Beiträge von Germanica Laevina

    Allmählich dachte Laevina darüber nach, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre in ihren Gemächern zu bleiben. Bislang hatte ihr dieses Abendessen jedenfalls nur Ärger gebracht...


    "Nun, vermutlich sollte ich mir wirklich keine Gedanken machen, bei einem so auf Allgemeinwohl bedachten Pater Familias, wie du es bist. " entgegnete Laevina in gönnerhaftem Tonfall und ließ sich noch etwas Wein nachschenken. Im Grunde hatte sie für heute Abend genug gestritten und wollte eigentlich nur noch in Ruhe und Frieden weiteressen.


    Kaum hatte sie beschlossen sich für's erste aus der Diskussion herauszuhalten, als Calvena die nächste Breitseite auf sie abschoss. Konnte dieses Mädchen denn nicht endlich mal Frieden geben?


    "Nein, meine Liebe, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, denn das habe ich ganz bestimmt nicht vor. Wer auch immer dich jemals heiraten will, bekommt meinen Segen, und wenn es der Latrinenreiniger von der Ecke gegenüber ist." antwortete sie mit kühler Stimme.


    "Und was Serrana angeht...." fügte sie dann hinzu und nippte wieder an ihrem Wein,"....so hat sie in der Tat eine sehr gute Partie wissentlich sausen lassen. Der junge Mann stammte aus einer guten Familie mit großen Landbesitz und war ausgesprochen wohlerzogen und höflich. So eine Gelegenheit wird sie garantiert nicht noch einmal bekommen, auch wenn sie sich das in ihrer Naivität vielleicht einbildet."
    Mit einem verächtlichen Schnauben wandte sich Laevina wieder der Essenstafel zu und nahm sich noch etwas von dem Linsengericht.

    Allmählich hingen ihr die Krabben doch ein wenig zum Hals raus. Laevina ließ den Blick über die vorhandenen Speisen gleiten und entschied sich, mit den sauer eingelegten Gurken weiterzumachen. Irgendwie passten die ganz gut zu ihrer aktuellen Stimmungslage.


    "Mein lieber Sedulus, es ist ja ganz rührend, dass du dir Gedanken um meine Lebenserwartung machst." zwitscherte sie dann. "Du wirst sicher erfreut sein zu hören, dass sowohl meine Mutter als auch meine Tanten über achtzig geworden sind. Und auch ich habe nicht vor, diese Welt früher zu verlassen." fügte sie mit einem strahlenden Lächeln hinzu. So eine Frechheit, da hatte sie schon zwei Ehemänner und einen Großteil ihrer Verwandtschaft überlebt und musste sich noch solche Kommentare anhören....


    "Aber du hast Recht, im Fall deiner Tochter ist das Thema Hochzeit noch uninteressant. Calvena ist da ja schon eher in einem Alter, in dem man darüber nachdenken sollte, nicht wahr?" fragte sie dann mit Unschuldsmiene nach. Natürlich hatte sie seinerzeit einen Großteil der Unterhaltung zwischen Sedulus und Valerian belauscht, aber offiziell war sie selbstverständlich nach wie vor arglos.


    Vielleicht würde dieses Thema ja auch an den Hausherrn endlich aus der Apathie reissen, den schien heute abend ja rein gar nichts zu interessieren...

    Warum ritt Sedulus denn immer noch auf dem Verhalten ihrer Enkelin herum? Da gab es doch nun wirklich interessantere Themen zu besprechen...
    Seine Bemerkung über ihre Jugend war dann allerdings schon indiskutabel.


    "Ich muss doch wirklich sehr bitten! Mein sittliches Verhalten hat zu keinem Zeitpunkt meines Lebens zu wünschen übrig gelassen!" schnaubte sie empört. Im Großen und Ganzen stimmte das auch, allerdings war es ihr in ihrer Jugend von Vindex auch sehr leicht gemacht worden. Da hatte sogar eine Regentonne mehr Leidenschaft im Blut...


    Als Calvena zusammen mit dem kleinen Mädchen wieder den Raum betrat, nickte sie dieser nur kurz zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Unterhaltung. Dass das Mädchen ihre letzte Anspielung mitbekommen hatte, beeindruckte sie nicht weiter. Die Kleine konnte inzwischen selbst ganz gut austeilen, da schadete es auch nicht, wenn sie zwischendurch mal etwas abbekam.


    Sedulus' Bemerkung über ihre Tochter brachte Laevina dann allerdings wirklich auf die Palme.


    "Wieso verscherbeln? Das soll doch wohl ein schlechter Scherz sein! Ich wollte, dass meine Tochter eine gute Partie macht. Dass sie einen Mann heiratet, der über einen gewissen Hintergrund verfügt und ihr ein standesgemäßes Leben bieten kann. Ich schlage vor, dass wir uns in zehn Jahren noch einmal über dieses Thema unterhalten, wenn deine eigene Tochter alt genug für eine Ehe ist. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass du die auch nicht irgendeinem hergelaufenen Burschen anvertrauen würdest, nur weil er gut aussieht und ihr schöne Augen macht!"


    Ärgerlich warf sie den nächsten Krabbenkopf zurück auf den Teller mit Abfällen und spülte das Fleisch mit etwas Wein hinunter.

    Dass Sedulus nach ihrer langen Erzählung ausgerechnet beim Thema ihrer Enkelin nachhakte, verwunderte Laevina ein wenig, aber sie machte sich keine weiteren Gedanken darüber.


    "Was heißt denn hier verschreckt?" fragte sie dann in etwas schärferem Ton. "Serrana ist nicht verschreckt, sie benimmt sich nur anständig und gesittet im Gegensatz zu einigen anderen unverheirateten Mädchen in diesem Haus."


    Sie musterte Sedulus leicht verärgert und biss dann einer Krabbe den Kopf ab, bevor sie sie mit Genuss zerkaute.


    "Und ja, du kannst dich darauf verlassen, dass ICH den Ehemann meiner Enkelin aussuchen werde. Das Kind ist viel zu arglos, um sich einen geeigneten Kandidaten mit den notwendigen Eigenschaften auszusuchen. Wer weiß, wen das Kind da anschleppen würde...."


    Und eine weitere Krabbe fand ihren Weg in Laevinas Magen.

    Das Spielen mit offenen Karten gehörte nicht gerade zu Laevinas herausstechenden Eigenschaften, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie heute abend zumindest im Rahmen ihrer Familie damit anfangen sollte. Vielleicht war es ja auch an der Zeit, sich ihre "besonderen" Energien mehr für Ereignisse und vermeintliche Gegner ausserhalb dieses Hauses zu aufzuheben.


    Nun, ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, wo ich da anfangen soll. Dass mein erster Mann Vindex schon sehr früh gestorben ist, wisst ihr ja wahrscheinlich schon. Meine beiden Söhne Severus und Victorius waren damals erst vier und drei Jahre alt, deshalb habe ich mich dazu entschlossen noch einmal zu heiraten." Dass ihre Verbindung mit Marcilius Lento seinerzeit tatsächlich aus Liebe zustande gekommen war, verschwieg Laevina bewusst. Zum einen würde das die beiden Männer kaum interessieren, und zum anderen hatte sie keinerlei Lust, irgendeinem anderen Menschen Einblick in ihr Gefühlsleben zu offenbaren.


    Daher nahm sie noch einen Schluck Wein und sprach dann mit ruhiger Stimme weiter.


    "Nach der Hochzeit sind Lento und ich dann mit den beiden Jungs auf das Landgut seiner Familie in Nola gezogen. Damals habe gehofft, es würde nur vorübergehend sein, aber da hatte ich mich leider getäuscht." Laevina seufzte und stocherte ein wenig auf ihrem Teller herum, bevor sie fortfuhr.
    "Mein zweiter Mann hatte durchaus einige Fähigkeiten und Talente, und er hätte es weit bringen können, aber leider hat er das nicht gewollt.
    Ein Jahr später wurde unsere gemeinsame Tochter geboren, und wir zogen die drei Kinder gemeinsam dort auf dem Land auf und lebten vom Geld seiner Familie und seinem bescheidenen Gehalt als Anwalt.
    Nun ja, die Kinder wurden groß und Victorius ging zur Armee".
    Ohne, dass sie es selbst merkte, fingen Laevinas Augen an zu leuchten, als sie von ihrem Lieblingsssohn erzählte.


    "Er war wirklich sehr talentiert, und ich habe von vielen Seiten gehört, dass er eine vielversprechende Karriere vor sich hatte..." an dieser Stelle musste sie schlucken......" aber dann ist er in Germanien gefallen." Laevina räusperte sich und trank noch einen weiteren Schluck Wein. Nein, diese Cena war wirklich nicht nach ihrem Geschmack...


    "Mein zweiter Sohn Severus war einige Zeit hier in Rom unterwegs, ich glaube, er hat sogar eine Weile in diesem Haus gelebt. Seit er aus Nola fortgegangen ist, hab ich nichts mehr von ihm gehört, solltet ihr also irgendetwas darüber wissen, wohin er verschwunden ist, wäre ich euch sehr dankbar." fügte sie dann auch mit einem Blick auf Avarus hinzu.


    "Und meine Tochter Alba...., nun ja, wie ich schon sagte, war sie ein sehr liebenswertes Mädchen und darüber hinaus auch sehr hübsch. Sie hatte jede Menge gutsituierter Verehrer aus vornehmen Familien, und ich hatte die Hoffnung, dass zumindest sie ihr weiteres Leben in Rom weiterführen würde können. Leider hat sie sich unter all ihren Bewunderern ausgerechnet Iunius Macro ausgesucht, der weder Vermögen noch irgendeine vielversprechende Karriere aufweisen konnte. Lento und ich waren natürlich dagegen, aber sie hat sich trotzdem heimlich mit ihm getroffen und.....nun ja, so wie die Dinge standen, blieb uns nichts anderes übrig, als einer Hochzeit zuzustimmen."


    Laevina machte eine kurze Pause und starrte in den Wein in ihrem Becher, als könne sie dort einige Gesichter der Vergangenheit sehen.


    "Natürlich hat sich herausgestellt, dass wir mit unserer Ablehnung richtig gelegen hatten. Macro konnte unserer Tochter nur ein armseliges Leben bieten, und kaum war sie tot, hat er sich vom Acker gemacht und sein Kind wie einen Sack Wäsche an unserer Tür abgegeben."


    Sie sah von ihrem Becher auf und sah nacheinander die beiden noch anwesenden Männer an.


    "Aus diesem Grund bin ich meiner Enkelin und auch einigen anderen Menschen gegenüber vermutlich strenger gewesen, als ich es hätte sein müssen, aber bislang hat sich meine Wachsamkeit bewährt und ich habe auch in Zukunft nicht vor sie abzulegen."


    So, das musste an "offenen Karten" für's erste genug sein. Alles was Laevina in den letzten Minuten erzählte hatte, entsprach tatsächlich den Tatsachen, hoffentlich würde das auch entsprechend gewürdigt werden...

    Bislang war diese Cena so gar nicht nach Laevinas Geschmack verlaufen. Eigentlich war sie hierhergekommen, um ein wenig über den verpassten Abend herauszufinden, und statt dessen hatte sie wesentlich mehr über sich und ihre Vergangenheit offenbaren müssen als ihr lieb war.
    Deshalb war sie jetzt sogar dem heulenden Kind für seinen Auftritt dankbar, da dieser ein bisschen von ihr selbst ablenkte und sogar den schmausenden Avarus endlich aus der Lethargie riss. Ganz abgesehen davon, dass Calvena nun den Raum verließ, allein dieser Umstand trug schon sehr zu Laevinas Wohlbefinden bei.


    Als wäre in den letzten Minuten nichts geschehen, trank die alte Germanica in aller Ruhe einen Schluck Wein und bediente sich nun auch bei den Speisen, die die beiden Herren nun schon seit geraumer Zeit sichtbar erfreuten.


    "Gibt es sonst noch irgendetwas, das ihr gern über mich, meine Ehemänner, Kinder oder Enkelin wissen möchtet?" fragte sie liebenswürdig an Avarus und Sedulus gewandt. Angriff war immer noch die beste Verteidigung, und im Grunde hatte sie jetzt auch nicht mehr allzu viel zu verbergen.


    "Ansonsten würde es mich persönlich sehr interessieren, was wegen des unseligen Sklaven unternommen worden ist, der für meinen Sturz verantwortlich war. Er wird doch wohl hoffentlich eine angemessene Strafe bekommen haben, oder?"

    Na, das war ja zu erwarten gewesen, dass Calvena nun auch noch die Nummer mit dem Brief aus dem Hut zog... Laevina schnaubte verächtlich und maß die jüngere Germanica mit einem kühlen Blick. Offenbar fühlte die sich tatsächlich vollkommen im Recht und sah sich als edle Streiterin für die Gerechtigkeit, die anderen Leuten ihre Fehler aufzeigte. 'Täusch dich bloß nicht in dir selbst, meine Kleine' dachte Laevina, 'du beherrscht die Kunst des hinterhältigen Verletzens viel zu gut, um einen einwandfreien Charakter haben zu können.


    "Oh, du brauchst dich für deine Fragen doch nicht zu entschuldigen, zumal sie ja sooooo offen und ehrlich gestellt wurden." antwortete sie mit dem Tonfall der verständnisvollen Großmutter.


    Da die Katze jetzt ohnehin aus dem Sack war, entschied sich Laevina den Stier bei den Hörnern zu packen, zumal sie ja davon ausging, dass Calvena über den Skandal Bescheid wusste, der damals in Nola das Leben der ganzen Familie verändert hatte.


    "Ob du es glaubst oder nicht, die Ehre und das Wohl der Familie gehen mir tatsächlich über alles, und ich würde tatsächlich alles dafür tun, um beides zu bewahren. Meine Methoden mögen dir vielleicht nicht gefallen, aber das ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal. Ich habe bereits einmal erlebt, wohin es führen kann, wenn man seine Kinder nicht vernünftig im Auge behält. Meiner Tochter hat es ein armseliges Leben und schließlich den Tod gebracht. Noch einmal werde ich das nicht zulassen, nicht einmal in deinem Fall!"


    So, jetzt war es raus. Irgendwie war Laevina erleichtert, all diese Dinge einmal ausgesprochen zu haben. Jetzt konnte sie nur noch abwarten, wie Calvena darauf reagieren würde.

    Sie sah sofort an Calvenas Augen, dass diese keineswegs beabsichtigte die Sache damit ruhen zu lassen. Von Seiten der beiden Männer hatte sie scheinbar auch keine Hilfe zu erwarten, dafür kauten diese viel zu vergnügt auf ihren Oliven und sonstigen Leckerbissen herum.
    Daher wappnete sich Laevina in Gedanken schon einmal für den nächsten Schlag, und siehe da, auch diese scheinheilige kleine Frage verfehlte ihre Wirkung nicht.


    Allein die Erwähnung von Iunius Macro allein hätte schon gereicht, um Laevina die Galle bis in die Ohren steigen zu lassen, aber die scheinbar so unbedarfte zweite Frage ihrer Großnichte löste erneut einen Großalarm im Hinterkopf der alten Germanica aus.


    Worauf wollte sie mit dieser Anspielung bloß hinaus? Es sei denn, sie wusste DARÜBER Bescheid.... Aber das konnte unmöglich sein, schließlich hatte davon nicht einmal Serrana eine Ahnung. Es sei denn, dieser Schwachkopf von Lento hatte seiner Enkelin davon erzählt.... Zuzutrauen wäre es ihm ja gewesen, der war ja genauso naiv wie Serrana gewesen...


    Laevina biss die Zähne zusammen und starrte Calvena an, diesmal ohne sich die Mühe zu machen den Hass in ihren Augen zu verschleiern. 'Das wirst du mir bezahlen, das verspreche ich dir' dachte sie und spürte, wie sie allmählich wieder ruhiger wurde. Irgendetwas passendes würde ihr für die liebe Großnichte schon einfallen, bei ihrer schwatzhaften Enkelin brauchte sie eine derartige Vorsicht nicht walten zu lassen, die konnte sich schonmal auf eine ordentliche Tracht Prügel freuen...


    "Ja, das hat er in der Tat." antwortete sie dann und es gelang ihr sogar, ihr freundliches Lächeln wieder auf ihr Gesicht zu zaubern.


    "Und deine zweite Frage kann ich nur bejahen, denn Iunius Macro entsprach bei weitem nicht den Erwartungen, die mein Mann und ich an unseren künftigen Schwiegersohn hatten. Du selbst mit deiner Vorliebe für die niederen Gesellschaftsränge wirst das sicher nicht nachvollziehen können."

    "Über meine Tochter?" fragte Laevina mit leicht krächzender Stimme. Da plötzlich ihr Familienleben in der Campania im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand, hätte sie im Grunde natürlich damit rechnen müssen, dass die Sprache auch auf ihre Tochter kommen würde. Aber irgendetwas an Calvenas Blick sagte ihr, dass das Mädchen ihr diese Frage nicht ohne Hintergedanken stellte. Worauf wollte dieses verdammte kleine Biest denn bloßl hinaus? Ihre unbedarfte Enkelin hatte ihrer Freundin in ihrer Einfalt vermutlich irgendetwas erzählt, was Laevinas selbstlosen und jahrelangen Einsatz für das Wohl ihrer Familie in ein schlechtes Licht rückte. So ein verdammter Undank! Zum ersten Mal überlegte die alte Germanica, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, ihrem verhassten Schwiegersohn die Tür vor der Nase zuzuschlagen, als der mit seiner kleinen Tochter nach dem Tod seiner Frau vor ihrer Tür gestanden hatte....


    Es kostete sie zwar einiges an Selbstbeherrschung, aber Laevina gewann die Gewalt über ihre Stimme zurück und sprach in liebenswürdigem Tonfall weiter.


    "Meine Tochter Alba war ein sehr wohlerzogenes und liebenswertes Mädchen." sagte sie an Calvena gewandt, wobei ihr Blick die stummen Worte "Ganz im Gegensatz zu dir..." mehr als deutlich vermittelte.
    "Sie hat ihrem Vater und mir Zeit ihres Lebens viel Freude gemacht, und wir sind immer sehr stolz auf sie gewesen." Das entsprach sogar der Wahrheit, wenn man von einer einzigen aber leider sehr entscheidenden Ausnahme einmal absah.


    "Leider ist sie vor zehn Jahren bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben." fügte sie dann mit Bitterkeit in der Stimme hinzu und warf Calvena einen erneuten und diesmal unverkennbar drohenden Blick zu. Wenn dieses Miststück vorhatte weiterzubohren, würde sie wirklich sehr wütend werden...

    Sedulus' Anspielung auf ihre erfolgreiche Abhöraktion bei seinem Gespräch mit Valerian kam durchaus bei Laevina an, aber sie zog es vor, weiterhin die Ahnungslose zu spielen.


    "Nun, dann bitte ich euch natürlich für dieses Missverständnis um Verzeihung. Ich war mich sicher, ich würde euch mit den Familiengeschichten aus meiner Zeit in der Campania nur unnötig langweilen. Solltest du also noch irgendetwas darüber wissen wollen, werde ich dir mit Vergnügen darüber Auskunft geben."Von Vergnügen konnte in Wahrheit natürlich keine Rede sein, denn Laevina erforschte deutlich lieber das Leben anderer Menschen, als Einblick in ihr eigenes zu gewähren.


    Das vom Familienoberhaupt so deutlich zur Schau getratene Desinteresse an diesem doch ziemlich heiklen Gespräch überraschte die alte Germanica ziemlich. Wie konnte Avarus nur derart ungerührt weiterhin an seinen Oliven herumknabbern, wenn es doch um elementare Fragen der Moral innerhalb der Familie ging? Unfassbar, da musste man sich ja nicht wundern, dass seine unverheiratete Großnichte derart ungestört ihrem Lotterleben nachgehen konnte...

    Die Tatsache, dass sich jetzt auch Sedulus in das Gespräch mit einmischte, erinnerte Laevina daran, dass ihr bislang höchst angenehmer Aufenthalt in diesem Haus noch längst nicht dauerhaft gesichert war und es weiterhin darauf ankam, bis zu einem gewissen Grad den guten Schein zu wahren. Daher sah sie ihn mit einem scheinbar überraschten Gesichtsaudruck an und antwortete dann in betont beiläufigem Ton.


    "Nun, um ehrlich zu sein, hatte ich nicht vermutet, dass die Nachkommen meiner zweiten Ehe in diesem Haus für irgendjemanden von Interesse sein könnten. Von "unterschlagen" kann also gar keine Rede sein, auch wenn ich das jüngste Verhalten meiner Enkelin im höchsten Maße missbillige."


    Auf Calvenas letzte Bemerkung reagierte sie mit einem giftigen Blick in deren Richtung, verkniff sich aber sicherheitshalber die ausgesprochen drastische Bemerkung, die ihr bereits auf den Lippen lag.

    Mit jedem Wort, das aus Calvenas Mund kam, wurde Laevina noch ein bisschen wütender, und der Umstand, dass das kleine Miststück dabei auch noch die Unschuldige spielte ärgerte sie zusätzlich. Trotzdem war die alte Germanica schlau genug, sich nicht zu einer übereilten Reaktion hinzureissen, auch wenn die Versuchung eines gewaltsamen Übergriffs in diesem Moment sehr groß war. Aber so wie die Dinge standen, war ihre wachende Präsenz in Rom jetzt scheinbar dringender vonnöten als jemals zuvor...


    "Nein, um ehrlich zu sein, hat mir das Kleid genauso wenig gefallen wie deins. Für die Subura wäre es vielleicht passend gewesen aber ganz sicher nicht für ein sittsames und unverheiratetes Mädchen. Man sollte doch wohl annehmen, dass selbst du an einem guten Ruf in der Gesellschaft interessiert bist." entgegnete sie langsam und deutlich, als müsse sie einer Schwachsinnigen etwas erklären. Vielleicht sollte sie Calvenas Angebot annehmen, und die beiden Mädchen beim nächsten Einkaufsbummel wirklich überwachen....Schade eigentlich, dass sie die liebe Großnichte bei dieser Gelegenheit nicht einfach irgendwo anleinen und zufällig vergessen konnte wie einen lästig gewordenen Hund...


    "Und unsere Vorstellungen von "Reife" scheinen auch ein wenig voneinander abzuweichen." fügte sie liebenswürdig hinzu, auch wenn sie Calvena in Gedanken gerade beide Daumen in die Augäpfel bohrte.


    "In meinen Augen ist es jedenfalls kein Zeichen von Reife, sich dem Wunsch der Familie zu widersetzen und ein vielversprechendes Ehe-Angebot auszuschlagen. Der Cultus Deorum kann dafür doch wohl kaum ein Ersatz sein."

    Mittlerweile machte es ihr fast schon Spaß, sich mit Calvena zu streiten, denn das Mädchen hatte sich immer mehr in der Gewalt, und das machte die Herausforderung, sie aus der Fassung zu bringen, deutlich größer und interessanter. Die nächste Bemerkung ihrer Großnichte verpasste allerdings erst einmal ihr selbst einen Schuss vor den Bug.


    Bewunderer? Ihr kleines und wohlbehütetes Mädchen? Das konnte doch wohl nicht wahr sein..... In Laevinas Hinterkopf begann eine ganze Ansammlung von Alarmglocken zu schrillen und sie musste sehr an sich halten, um nicht aufzuspringen und Calvena durchzuschütteln.


    "Achja?" fragte sie dann mit zusammengebissenen Zähnen und nur mühsam den betont freundlichen und unaufgeregten Tonfall beibehaltend.
    "Dann kann ich wohl auch davon ausgehen, dass sie ihr eigenes Kleid von dir hatte, nicht wahr? Dir ist wohl nicht zufällig mal der Gedanke gekommen, dass dieser unanständige Fummel vollkommen unpassend für ein fünfzehnjähriges Mädchen war, oder?"


    Laevina war froh, in diesem Moment den Weinkelch in ihrer Hand zusammenpressen zu können, um ihre Wut irgendwo abzulassen. Calvenas ominöse Anspielungen machten sie mehr als nervös, und da die beiden Männer im Raum waren, sah sie im Moment keine Chance, das Mädchen so zu verhören, wie sie es zu gern getan hätte.


    Was auch immer Calvena unter "Aufblühen" verstand, Laevina war sich sehr sicher, dass es ihr selbst nicht gefallen würde.

    Sedulus' Bemerkung war derartig wischiwaschi, dass sie genauso gut als Beschreibung für einen Kindergeburtstag hätte herhalten können, aber irgendwie weckte gerade das Laevinas Interesse. Wenn man ihr so gar nichts erzählen wollte, wurde sie immer sehr schnell misstrauisch.


    Während sie Calvena freundlichem Gezwitscher zuhörte (dieses verlogene kleine Biest....), stieg Laevinas Augenbraue nach und nach in die Höhe.


    "Soso, ich habe also einige Romanzen verpasst, hm...? Nun, da muss ich dir wohl glauben, denn auf diesem Gebiet kennst du dich zweifellos bestens aus." antwortete sie dann ebenso freundlich.


    "Allein die Auswahl deines Kleides könnte man da schon fast als "professionelles" Interesse deuten." Auf die letzte Bemerkung ließ sie noch ein strahlendes Lächeln folgen.

    Ach wie reizend, dass sich jetzt doch endlich mal jemand geruhte, nach ihrem Befinden zu fragen....


    Laevina war Sedulus immer noch dankbar, dass er sie relativ schnell aus dem ungemütlichen Wasserbecken herausgezogen hatte. Wer wusste schon, wie lange das sonst gedauert hätte. Calvena hätte sie vermutlich ersaufen lassen und der liebe Avarus hatte sich lieber beim Smalltalk mit irgendwelchen dahergelaufenen Witwen vergnügt. Ach, was war die Welt doch ungerecht, da hatte sie sich jahrzehntelang für Alles und Jeden selbstlos aufgeopfert und was war der Dank dafür? - ein freundlicher Klaps auf die Schulter und ein trockenes Handtuch.....


    Den Göttern sei Dank schwelgte Laevina wie immer nur kurz im Selbstmitleid und riss sich dann wieder am Riemen.


    "Vielen Dank, dass du nachfragst." flötete sie dann zuckersüß. "Wenn man davon absieht, dass ich zwei Tage allein und mit Schmerzen in meinem Bett verbracht habe, ist es mir wirklich ganz wundervoll ergangen." Da sie nach wie vor sehr neugierig auf den Teil des Festes war, den sie durch den ärgerlichen Unfall verpasst hatte, und keine Lust hatte, sich noch stundenlang mit dem langweiligen Tempel-Thema herumzuärgern, entschloss sie sich einfach selbst nachzuhaken.


    "Der Lautstärke in dieser Nacht nach zu urteilen, hat das Fest ja noch ziemlich lange gedauert. Habe ich denn irgendetwas interessantes verpasst?"

    Pisos schrilles Lachen schmerzte schon ganz schön in Laevinas Gehörgang, und sie brauchte einiges an Selbstbeherrschung um nicht zusammenzuzucken. Wenn der gute Junge in der selben Tonlage sang, wie er lachte, dann war er mit dem Obst vermutlich noch gut weggekommen....


    Auf seine Einladung hin nickte sie mit der gebotenen Begeisterung. "Ach, das ist ja wirklich sehr großzügig von dir. Ich bin mir sicher, meine Familie wird sich darum reissen, mich zu der Aufführung begleiten zu dürfen." Du liebe Güte, wen sollte sie da denn nur mitnehmen? Avarus und Sedulus machten beide nicht den Eindruck, als läge ihnen die feingeistige Poesie besonders am Herzen, und Calvena würde sie wohl nur freiwillig zu einer Veranstaltung begleiten, wenn es sich dabei um Laevinas Bestattungsfeierlichkeiten handelte. Ach, was freute sie sich schon darauf, dem lieben Mädchen unauffällig mitzuteilen, dass sie über deren Vergangenheit Bescheid wusste. Jetzt fehlten nur noch der geeignete Rahmen und Augenblick, um die kleine Bombe hochgehen zu lassen....


    Die alte Germanica hatte eine recht hohe Meinung von ihren eigenen geistigen Fähigkeiten, aber das Talent des Gedankenlesens gehörte leider nicht dazu. Dieser Umstand bewahrte ihr in diesem Moment ihren Seelenfrieden, denn der hochmotivierte Piso war gerade dabei, einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer kostbaren Restlebenszeit für sein Opus zu verplanen, und das hätte sie vermutlich doch ein wenig nervös gestimmt.


    Bei der Beschreibung seiner politischen Pläne machte Piso noch einen deutlich unentschlosseneren Eindruck als bei der Vorbereitung seines Gedichts, und es kostete Laevina ein wenig Mühe ihm bei seinen Sprüngen durch die diversen Ämter auf den Fersen zu bleiben.
    Wenn er wirklich Erfolg haben wollte, musste er dringend lernen etwas bestimmter aufzutreten. Die alte Germanica hatte immer schon eine Schwäche für den lange verblichenen Diktator Lucius Cornelius Sulla gehabt, wobei sie dessen patrizische Abstammung noch am wenigsten interessierte. Das war doch mal ein Mann in ihrem Sinne gewesen, jemand von echtem Schrot und Korn, der sich unbeirrt nach oben gearbeitet und alle Widerstände, egal ob menschlicher oder sonstiger Natur einfach aus dem Weg geräumt hatte! Ach, warum hatte sie nur gleich zweimal derartige Waschlappen abkriegen müssen..... Laevina seufzte melancholisch und konzentrierte sich lieber wieder auf Piso, um sich auf angenehmere Gedanken zu bringen.


    "Nun, das mit dem Vigintivir hört sich doch ganz vielversprechend an, und durch das Tribunat würdest du einen großen Rückhalt in der Armee gewinnen, das sollte man nie unterschätzen." sagte sie mit echtem Interesse. "Warum kannst du denn kein ritterliches Amt annehmen?"


    Den Cultus Deorum ließ die die nur notdürftig religiöse Laevina erstmal aussen vor. Vielleicht bot er ja eine ganz gute Basis, aber diese ständig betenden und Kühe zerschnippelnden Kerle dort hatte sie persönlich noch nie ernst nehmen können.

    Ach, du meine Güte, das fing ja schon mehr als langweilig an. Wenn Laevina geahnt hätte, dass sich das Gespräch um derart langweilige Dinge wie Tempel und Priester drehen würde, wäre sie noch ein Weilchen länger auf ihrem Zimmer geblieben. Die beiden Männer waren schließlich noch deutlich jünger als sie selbst, über was wollten die denn reden, wenn sie mal alt waren...? Und Calvena als Priesterin war auch ein guter Witz, da kamen ja wohl nur Dionysos oder Venus als Gottheiten in Frage.
    Sowas hatte sie gern, da wurde fröhlich über Hausaltäre und die Götter geschwätzt, statt die arme alte Verwandte, die zumindest scheinbar nur knapp dem Tode entronnen war wenigstens höflichkeitshalber nach ihrem Befinden zu befragen. Vermutlich könnte sie schon seit zwei Tagen verottet in ihrem Cubiculum liegen, und keiner im Haus würde es mitbekommen.....


    Laevina schnaubte leise und bediente sich dann beim Essen. So würde sie immerhin satt und mit etwas Glück kam das Gespräch ja vielleicht auch noch auf etwas interessantere Dinge.

    Laevina hatte sich bei den Vorbereitungen zur Cena absichtlich Zeit gelassen, schließlich war sie die Älteste im Haus und hatte es nicht nötig, wie ein pflichtbewusstes Kind zum Essen zu rennen.
    Da sie jedoch die letzten beiden Tage fast ausschließlich in ihren Gemächern verbracht hatte, um ihre ach so schweren Verletzungen durch den Sturz ins Atriumbecken auszukurieren, freute sich sich doch insgeheim auf das gemeinsame Abendessen sowie vielleicht die eine oder andere Neuigkeit.
    Da sie sich das natürlich niemals anmerken lassen würde, betrat sie das Triclinium mit einem nach wie vor leicht leidenden Gesichtsausdruck, grüßte dann Avarus, Sedulus und Calvena jeweils mit einem Kopfnicken (wobei dieses im Fall des Mädchens kaum zu sehen war) und ließ sich dann auf ihrem gewohnten Platz nieder.


    "Salvete, meine Lieben." sagte sie mit der gebotenen Höflichkeit (aber auch nicht mehr) und warf dann unauffällig einen prüfenden Blick in die Runde. Vielleicht gab es ja nachträglich noch einiges in Sachen Fontinalia zu erfahren, sie selbst hatte das Fest ja dummerweise frühzeitig verlassen müssen.

    Laevina atmete innerlich auf. Offenbar hatte sie die Vorstellung überzeugend genug hinter sich gebracht, und niemand hatte Verdacht geschöpft. Jetzt konnte sie sich ohne schlechtes Gewissen in ihre Gemächer zurückziehen und sich in Ruhe wieder aufwärmen und herrichten. Natürlich war es mehr als schade, dass ihr dadurch der Einblick auf die weiteren Ereignisse verwehrt bleiben würde, aber etwas später würde sie einfach die treue Quadrata losschicken, damit die ein wenig Augen und Ohren für ihre Herrin offen hielt.


    Ausnahmsweise mal tatsächlich ein wenig wackelig auf den Beinen, stützte sie sich auf den Sklaven, den Sedulus herbeigerufen hatte und verließ so würdevoll wie möglich das Atrium, um sich für den Rest des Abends zurückzuziehen.


    Sim-Off:

    @Romana: tststs...keine Ehrfurcht vor dem Alter, und das als Vestalin.....

    Es war wirklich bemerkenswert, wie unmittelbar und deutlich Pisos Mimik und Gestik seine jeweilige Stimmung widerspiegelten.
    Im Grunde brauchte Laevina ihm gar nicht zuzuhören, um in dieser Hinsicht auf dem Laufenden zu bleiben, aber dann würde ihr zweifellos auch die eine oder andere interessante Information vorbehalten bleiben, die der junge Flavier so unbedarft hervorsprudelte.


    Auf seinen Dank hin lächelte sie noch einmal großzügig und huldvoll und spielte die Bescheidene.


    "Es gibt nichts, wofür du dich bei mir bedanken müsstest. Früher oder später wärst du sicher von allein auf die selbe Idee gekommen, nur haben Menschen mit einer so langen Lebenserfahrung wie ich manchmal den Vorteil, erfolgversprechende Möglichkeiten ein wenig schneller zu erkennen."


    Sie beugte sich vor und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu.


    "Natürlich musst du mir versprechen, dass ich bei der ersten öffentlichen Vorführung deines Epos anwesend sein darf, ich würde mir das nur sehr ungern entgehen lassen." Ein Gedicht konnte ja so furchtbar lang nicht sein, und im schlimmsten Fall konnte sie sich immer noch in ihren geliebten "Uhu-Schlaf" flüchten, der von arglosen Betrachtern aufgrund ihrer stets halbgeöffneten Augen und des freundlichen Lächelns nie entlarvt wurde. Auf diese Weise hatte sie im Laufe ihres Leben schon so manche totlangweilige Situation nicht nur würdevoll überstanden sondern war sogar erfrischt aus ihr hervorgegangen. Ihrem zugegebenermaßen etwas schlicht angelegten ersten Mann hatte das immerhin einige Jahre lang die Illusion erhalten, ein grandioser Unterhalter und Liebhaber zu sein. Und was tat man nicht alles für den häuslichen Frieden...


    Als das Thema nun zur Politik umschwenkte, besaß Piso zum ersten Mal Laevinas uneingeschränkte und ehrliche Aufmerksamkeit. Interessiert hörte sie ihm zu und nickte zu seinen Ausführungen. Wie bedauerlich, dass Frauen dieser Weg versperrt war, denn die alte Germanica war felsenfest davon überzeugt, dass sie es mit ihren Anlagen wesentlich weiter geschafft hätte als so mancher alter Sack in ihrem Alter.
    Aber da es ohnehin keinen Sinn machte darüber zu philosophieren, konnte sie ihre diesbezüglichen Energien auch genauso gut in ihren neuen "Schützling" stecken.


    "Nun, um ehrlich zu sein, finde ich es ganz gut, dass ein Familienname allein nicht ausreicht, um automatisch die höchsten Ämter auszuüben. Auf diese Weise wird immerhin gewährleistet, dass das Reich von den fähigsten Männern regiert wird, findest du nicht auch?
    Dazu kamen selbstverständlich auch noch die erfolgreichsten Schleimer, Intriganten und Verräter, aber diesen Passus verkniff sich Laevina lieber, schließlich war sie ja eine nette und arglose alte Dame...


    "Was wäre in deinen Augen denn ein präferabler Posten?" hakte sie dann neugierig nach.