Beiträge von Germanica Laevina

    Laevina spürte, dass diese Unterhaltung allmählich begann sie zu ermüden und verdrehte entnervt die Augen. Normalerweise besaß sie das höchst praktische Talent, die Besonderheiten eines jeden Gesprächspartners blitzschnell auszuloten und für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, aber das brachte ihr im Moment herzlich wenig. Dieses Mädchen war ja ganz offensichtlich jenseits von Gut und Böse....


    Als sie das Wort "Bürgerin" vernahm, schnellte dann aber doch ihre Augenbraue nach oben. Das konnte doch wohl nur ein Scherz sein... Wenn diese Melina wirklich zur besseren Gesellschaft gehörte, wäre es doch wohl nur logisch, wenn sie von ihrer Familie in irgendeiner fensterlosen Kammer verborgen gehalten würde, um peinliche Auftritte in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Zumindest Laevina hätte es mit Sicherheit so gehalten, aber wer wusste denn schon, welch verweichlichte Erziehungsmethoden heutzutage in Rom gepflegt wurden...Andererseits bestand ja die Taktik der Familie vielleicht gerade darin, Melina vor die Tür zu schicken, in der Hoffnung sie würde sich rettungslos verlaufen und nicht wieder nach Hause finden...


    Um diese unerquickliche Unterhaltung zu beenden und endlich dem erhofften Snack daheim ein bisschen näher zu kommen, riss sie sich noch ein letztes Mal am Riemen und fragte in zuckersüßem Ton:


    "Wenn du wirklich eine Bürgerin bist, dann macht es dir ja sicher nichts aus mir den Namen deiner Gens zu nennen, nicht wahr?

    Eine dunkle Gestalt aus den Tiefen des Orcus? Ja, das würde wohl so einiges erklären, dachte Laevina, die sich allmählich wieder von ihrer Überraschung erholte. Allerdings war sie alles andere als ein abergläubischer Mensch und so schien ihr eine andere Erklärung weitaus glaubhafter zu sein. Dieses Wesen (irgend etwas in Laevina sträubte sich immer noch in ihrem Gegenüber eine Frau zu sehen) musste zweifellos schwachsinnig sein. Entweder war das angeboren, (dieses niedere Gesindel trieb es ja wild untereinander, wie man immer wieder hörte), oder aber das arme Kind hatte seinen Ball ein paar Mal zu oft vor den eigenen Kopf bekommen....
    Wo sie wohl her kam? Vermutlich stammte sie von irgendeiner Peregrini-Familie ab, die bis vor ein paar Wochen noch in irgendeiner Felshöhle und ohne Verbindung zur Zivilisation gehaust hatte. Andererseits war der Name Melina alles andere als exotisch und sprechen konnte das Kind ebenfalls, auch wenn seine Wortwahl selbstverständlich indiskutabel war....Bei dem Zustand seiner Tunika konnte es natürlich genauso gut ein Sklave sein, aber würde sich denn so etwas schon freiwillig ans Bein binden?
    Laevina bedauerte für einen Augenblick, dass es nicht in einer kleinen abgelegenen Gasse zu diesem Aufeinandertreffen gekommen war, sonst hätte sie das Mädchen mit Freuden mit ihren bislang immer höchst erfolgreichen Erziehungsmethoden bekannt gemacht. Es zuckte sie bereits merklich in den Fingern, aber leider, leider befand sie sich gerade mitten auf dem Forum , und an einer Szene war ihr in keinster Weise gelegen.
    Daher schluckte sie ihren Ärger mit einigen Mühen hinunter und fragte mit zusammengebissenen Zähnen:


    "Nun Melina....wie ist denn der Name deines Herrn oder der Familie bei der du lebst?" Wer auch immer das sein mochte, er konnte sich schon mal auf ein saftiges Schmerzensgeld einstellen....

    Hah! Kaum hatte Laevina die Stimme erhoben, waren die Rüpel schon in alle Richtungen auseinander gerannt und hatten sich verdrückt. Elendes feiges Pack! Sie fühlte sich wieder einmal in ihrer Theorie bestätigt, dass mindestens 95 Prozent ihrer Mitmenschen aus Weicheiern und Schlappschwänzen bestanden...
    Naja, eigentlich konnte ihr das nur recht sein, auf diese Weise wurde vieles deutlich einfacher.
    Eigentlich hatte Laevina gar nicht damit gerechnet, dass sich der Schuldige stellen würde, und war deshalb fast ein wenig erstaunt, dass einer der Bengel vor ihr stehen geblieben war. Nun denn, dann würde sie sich den eben ein wenig vorknöpfen, da traf die Erziehung sicherlich nicht den Falschen.
    Noch so ein feiges Subjekt, dachte sie, als der Knabe seine Täterschaft leugnete, doch dann drang seine nächste Bemerkung in ihr Bewusstsein. " Ein Mädchen"? Sie musste sich zweifellos verhört haben, auch wenn sie bislang immer der Meinung gewesen war über ausgezeichnete Ohren zu verfügen.
    Automatisch ließ sie ihren Blick über die Gestalt des jungen Mannes gleiten, und je länger dieser dauerte, desdo größer wurden ihre Augen. Dieses Wesen hatte eigentlich viel zu feminine Züge unter all dem Dreck in seinem Gesicht und...ja...das waren unverleugbar Brüste unter seiner ebenfalls nicht allzu gepflegten Tunika.
    Diesem Geschöpf war innerhalb von Sekunden etwas gelungen, was in den letzten 58 Jahren höchst selten geschehen war: Germanica Laevina war sprachlos!
    Als sie nach einer Weile endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte, krächzte sie immer noch völlig irritiert:


    "Wer oder was, in der Götter Namen, bist du überhaupt?"

    Laevina war noch ganz in ihren entspannten Betrachtungen versunken, als sie plötzlich einen scharfen Schlag am Kopf verspürte und Sterne sah. Was geschah da mit ihr? Für den Bruchteil einer Sekunde war sie der Meinung, ihre letztes Stündlein habe geschlagen und der hinterlistige Fährmann habe sie nun doch endlich aufgespürt und wolle sie gewaltsam auf sein Boot zerren. Weniger von gläubiger Ehrfurcht als von höchst weltlichem Ärger erfüllt, begehrte sie innerlich sofort auf. Das konnte doch wohl nur ein Scherz sein...sollte sie ausgerechnet jetzt etwa abberufen werden, wo sie endlich am Ort ihrer Träume angekommen war und dieser Stadt noch soviel wundervolles zu geben hatte? Niemals!
    Laevina fasste an ihren Hinterkopf, und spürte, dass sich dort bereits eine dicke Beule bildete. Dann fiel ihr Blick auf den ledernen Ball am Boden und Mordlust stieg in ihr auf. Wer hatte das gewagt....?
    Sie ließ den Blick über die Menge in ihrer Nähe schweifen, der schon nach kurzer Zeit an einer Gruppe halbwüchsiger Burschen hängen blieb. Einer von denen war zweifellos der Schuldige... Laevina beschloss, für einen Moment die liebe alte Dame beiseitezulegen und richtete ihren Gehstock (den sie eigentlich nur mit sich führte, um den Eindruck von Zerbrechlichkeit zu erregen) auf die jungen Rüpel.


    "Wer von euch war das?" bellte sie dann in einem Ton, der die Sklaven daheim in Nola regelmässig in Schockstarre hatte verfallen lassen.

    Endlich war sie angekommen, wo es sie schon seit Jahrzehnten hingezogen hatte und wo sie eigentlich immer schon hingehörte, mitten im Zentrum der Macht.... Laevina schritt langsam und würdevoll über das Forum, schließlich kam es in jeder Situation darauf an den bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen. Sie war an diesem Morgen ausgesprochen gut gelaunt, denn sie hatte nicht nur eine höchst erholsame Nacht in ihren neuen Räumlichkeiten in der Casa Germanica hinter sich, sondern auch soeben im Rahmen ihres kleinen Überraschungsbesuches bei ihrer undankbaren Enkelin Serrana einiges an erfolgreicher Überzeugungsarbeit geleistet.
    Ein leises Lächeln stahl sich auf Laevinas Lippen und sie betrachtete interessiert das Treiben um sie herum. Nach außen erweckte sie ganz den Anschein einer freundlichen alten Dame, die bei ihrem Spaziergang ein kleines Päuschen eingelegt hatte, aber in Gedanken war sie bereits mehr als rege und speicherte ohne Unterlass neue Gesichter und, falls es ihr möglich war diese aufzuschnappen, die dazugehörigen Namen in ihrem Gedächtnis ab. Schließlich konnte man ja nie frühzeitig genug damit anfangen, sich in einer neuen Stadt ein wenig zu orientieren….
    Ein paar Minütchen würde sie noch bleiben, dann war sicher der geeignete Moment gekommen, um für eine leckere kleine Zwischenmahlzeit daheim vorbeizuschauen.


    Sim-Off:

    reserviert

    Hervorragend! Räumlichkeiten direkt neben dem Atrium, besser hätte sich Laevina selbst nicht postieren können. Auf diese Weise würde ihr künftig auch nicht die kleinste Kleinigkeit von dem entgehen, was in diesem Haus so vorging....Die Dinge entwickelten sich wirklich blendend...
    So, jetzt war ein guter Abgang gefragt. Scheinbar unter leichten Mühen und offenbar Schmerzen unterdrückend erhob sie sich von ihrem Sitz. Natürlich war sie so gesund wie ein campanischer Ackergaul, aber das passte nun wirklich nicht in das mitleiderregende Bild, das sie gerade aufrecht erhalten wollte. Dabei legte sie ganz leicht ihre Hand auf Avarus Arm, als brauche sie seine Stütze. Männer mussten immer das Gefühl haben, stark und wichtig zu sein, das war wichtig für ihr Ego. Und zur Zeit war ihr wirklich sehr daran gelegen, ihren lieben kleinen Cousin Avarus bei Laune zu halten.


    "Oh, ein gemeinsames Abendessen wäre wundervoll" sagte sie dann mit bemüht erschöpfter Stimme. "Im meinem Alter isst man natürlich nur noch wie ein Vögelchen, aber es wäre eine sehr große Freude für mich, mit dir und deinen sonstigen Lieben gemeinsam zu speisen."


    Eigentlich knurrte ihr der Magen schon jetzt wie ein Bär, aber das war natürlich indiskutabel. Irgendwo in ihrem Reisegepäck würde sie sicher noch etwas Proviant finden, um die Zeit bis zur Cena zu überbrücken...

    Während Avarus auf sie zu kam, nutzte Laevina die Gelegenheit und musterte ihn etwas genauer. Ausnahmsweise hatte sie einmal nicht lügen müssen, denn ihr Cousin war wirklich ein stattlicher und attraktiver Mann und strahlte zudem eine natürliche Autorität aus, die Laevina schon seit geraumer Zeit bei niemandem mehr hatte beobachten können.
    Sie seufzte innerlich auf. Warum hatte ausgerechnet sie gleich zweimal hintereinander derartig in die Jauche greifen müssen? Ihr erster Mann Vindex war derartig langweilig gewesen, dass sie sich erfreulicherweise kaum noch an ihn erinnern konnte, und dabei war sie immerhin fünf Jahre mit verheiratet gewesen….
    Und dann war ihr der hübsche Lento zum Verhängnis geworden. Das hatte man davon, wenn man mal für ein paar Tage das Gehirn ausschaltete….drei Tage Leidenschaft und Freude gefolgt von 33 Jahren mit einem Waschlappen…Und was hätte aus einer Frau mit so grandiosen Anlagen wie den ihren alles werden können, wenn sie den richtigen Mann an ihrer Seite gehabt hätte…..Eine vielbeachtete und geehrte Senatorengattin wäre da wohl das absolute Minimum gewesen…wenn nicht gar die Gemahlin des Kaisers....
    Laevina verscheuchte ein wenig missmutig diese trüben Gedanken, jetzt hieß es, sich für die nächsten Jahrzehnte optimal zu betten, damit ihr wenigstens ein anständiger Lebensabend gesichert war. Die Nachricht von ihren neuen Gemächern passte da schon hervorragend ins Konzept und Laevina war ausgesprochen neugierig, was sie dort erwarten würde. Vielleicht ergab sich ja sogar die Möglichkeit, sich diese wirklich sehr schön anzusehende Bodenvase an Land zu ziehen und in ihren Gemächern aufzustellen. Eine kostbare Vase für eine kostbare Dame, dachte sie und kicherte innerlich.
    Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Avarus zu.


    „Mein Lieber, das ist ganz wundervoll von dir, damit habe ich wirklich nicht gerechnet“ ein neues Tränchen schimmerte, dieses mal im rechten Auge.
    „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, ich bin wegen meines tragischen Verlustes noch völlig am Boden zerstört, aber deine Großzügigkeit wird mir sicher bald wieder auf die Beine helfen….“


    Sie erwiderte Avarus’ Händedruck, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Wenn es dir recht ist, werde ich mich ein kleines Weilchen zurückziehen und verschnaufen, ich bin ja eine alte Dame und von der beschwerlichen Reise doch ein wenig erschöpft.“


    Eigentlich konnte es ihr gar nicht besser gehen, denn während der Fahrt hatte sie sich damit unterhalten, die mitreisenden Sklaven zu schikanieren, und das hatte sie, wie immer, hervorragend fit gehalten. Aber sie war doch mehr als neugierig auf den Rest des Hauses, da ja das Atrium schon so ausgesprochen vielversprechend war…


    „Vielleicht könntest du mir später ja ein wenig darüber erzählen, wie es den Germanicern in der letzten Zeit so ergangen ist. Ich würde sehr gern ein wenig mehr über meine lieben und hochgeschätzten Verwandten wissen…"(und dabei direkt ein paar Strategien und Schlachtpläne für die Zukunft entwickeln, aber das behielt sie erst einmal für sich.) Heute sollte noch nichts das Bild der leidgeprüften, liebenswerten alten Dame trüben…..

    "Fein, das freut mich." mit diesen Worten ließ Laevina ihre Enkelin los, die sofort einige Schritte zurückwich. Am nächsten Tag würde sie vermutlich einige hübsche rote Male an ihrem kleinen Hals haben, aber das sollte nicht Laevinas Sorge sein. Das Gespräch war ziemlich genauso verlaufen, wie sie es vorausgesehen hatte, und Laevina war ausgesprochen zufrieden mit sich und ihrer Überredungskunst. Ein wenig überrascht hatte sie lediglich Serranas letzte Reaktion; erstaunlicherweise schien die verträumte kleine Leseratte nun doch allmählich so etwas wie ein Rückgrat zu entwickeln....


    Laevina wandte sich Richtung Ausgang, drehte sich dann aber noch ein letztes mal um und lächelte Serrana zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen an.


    "Ach ja, und bevor ich es vergesse....Solltest du jemals Geld brauchen, komm nicht auf die Idee, mich darum zu bitten. Du hast meine jahrelange Großzügigkeit mit Füßen getreten und bist in die Arme dieser Brut gerannt, als du mir einen winzigen Gefallen tun solltest. Damit hast du in Zukunft jeglichen Anspruch auf meine Hilfe und Unterstützung verwirkt.
    Solltest du irgendetwas brauchen, kannst du es dir ja in Germanien bei dem Vetter deines nichtsnutzigen Vaters holen. Vale!"


    Mit diesen Worten rauschte Laevina aus dem Atrium und nahm aus den Augenwinkeln noch den hasserfüllten Blick wahr, mit dem ihr Serrana hinterher sah.
    Sollte die Kleine sie ruhig hassen....Hass machte stark und war sicherlich ein geeigneterer Antrieb als lächerliche Schwärmerei....

    Ganz offensichtlich beherrschte Serrana die Kunst der Verstellung immer noch nicht besser als früher, denn Laevina konnte ihr die plötzliche Erleichterung deutlich ansehen, als sie ihr von ihrem neuen Domizil in der Casa Germanica erzählte.
    Natürlich hatte sie damit gerechnet und entschied, dass es nun mal wieder an der Zeit für eine kleine Lektion war.


    Ohne Vorwarnung schoss sie auf ihre Enkelin zu, packte sie mit einer Hand am Kinn und zerrte sie gewaltsam zu sich hin, bis ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren.


    "Oja, ich gehe, aber freu dich bloß nicht zu früh!" zischte sie leise. "Wir mögen zwar jetzt in getrennten Häusern leben, aber ich werde dich sehr genau im Auge behalten. Und falls du irgendetwas tun solltest, was deinem Großvater oder mir Schande machen könnte, dann werde ich dich eigenhändig mit einem Rohrstock den ganzen Weg bis nach Nola zurückpeitschen! Hast du das verstanden?" bei den letzten Worten wurde ihre Stimme noch ein wenig leiser und ihr Griff verstärkte sich.

    Laevina verdrehte innerlich die Augen aber wirklich überrascht war sie über Serranas Pläne nicht. Wieder einmal wurde ihr klar, dass das Mädchen nicht nur die schönen Augen ihres Großvaters geerbt hatte (die im Nachhinein betrachtet zu seinen wenigen Vorzügen gehörten hatten) sondern ganz offensichtlich auch sein idealistisches und schwärmerisches Wesen. Aber zumindest würde sie im Cultus Deorum unter einer gewissen Aufsicht stehen, wobei man natürlich auch da niemals ganz sicher sein konnte.


    "Aha, nun denn, das klingt für mich nach einer akzeptablen Entscheidung" sagte sie und fixierte Serrana auch weiterhin mit unbewegtem Blick.


    "Aber pass gefälligst ein bisschen auf. Priesterrobe hin oder her, unter ihren Lendenschurzen sind alle Männer gleich, auch wenn sie im Dienste der Götter stehen."


    Zu ihrer großen Erleichterung und Zufriedenheit sah Laevina, dass ihre Enkelin auf diese Bemerkung noch genauso verlegen reagierte wie früher und sofort dunkelrot anlief. Ganz offensichtlich war ihrem Goldstück noch niemand allzu nah gekommen, und Laevina würde dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so blieb.
    Einen zweiten Macro würde es in ihrer Familiengeschichte nicht geben...


    Laevina fasste Serrana ein letztes Mal ins Auge. "So, jetzt werde ich mich wieder auf den Weg machen. Wie du vermutlich noch nicht weißt, werde ich von nun an in Rom bleiben und lebe jetzt fürs erste im Haus meines Cousins Germanicus Avarus. Du wirst sicherlich enttäuscht sein, dass ich nicht hier bei dir bleibe, aber in diesem Haus würde mir jeder Bissen im Halse stecken bleiben."

    Sieh einer an, da übte sich das undankbare kleine Biest doch tatsächlich in ihrer neuen Rolle als Hausherrin... dachte Laevina verärgert und antwortete dann in schneidendem Tonfall:


    "Auf die Erfrischungen dieses Hauses kann ich getrost verzichten. Ich bin nur gekommen um zu erfahren, wie du dir dein weiteres Leben in dieser Stadt vorstellst"

    Aha, da war Serrana ja endlich… Laevina nahm unverzüglich ihre Enkelin ins Visier und überprüfte sehr genau deren Äusseres, angefangen von ihrer Kleidung und ihrem Schmuck bis hin zu ihrer Frisur. Jegliche Veränderung, sei es nun ein neues Gewand oder Schmuckstück hätte sofort Laevinas Misstrauen geweckt, aber ganz offensichtlich trug Serrana noch immer die eher einfacheren Gewänder aus Nola. „Und eine vernünftige Ornatrix hat sie ganz offensichtlich auch noch nicht gefunden…“ dachte Laevina gehässig, als sie die eher schlichte und unauffällige Frisur ihrer Enkelin betrachtete.
    Sie war noch nie eine besonders herzliche Frau gewesen, aber Serrana hatte sie mit ihrer Flucht wirklich sehr verärgert und dementsprechend fiel auch ihre Begrüßung aus.


    „Wie nett, dass ich dich auch mal wieder zu Gesicht bekomme“ sagte sie mit kühler Stimme, ohne ihrer Enkelin auch nur einen Zentimeter entgegen zu gehen. „Offensichtlich hast du es dir im Haus deiner neuen Familie ja schon gemütlich gemacht.“ Das Wort „Familie“ spie sie förmlich aus, schon bei dem bloßen Gedanken wurde ihre Laune noch ein bisschen schlechter.

    Laevinas Interesse an Calvena erlahmte schlagartig, als ein Mann mittleren Alters das Atrium betrat, seinem selbstbewussten Auftreten nach eindeutig der Herr des Hauses. Soso, das war also der kleine Avarus…. Besonders gut konnte sie sich an ihren jüngeren Cousin nicht erinnern, schließlich war sie damals ein stolzer Teenager gewesen und hatte Besseres zu tun gehabt, als sich mit den rotznasigen kleinen Kindern unter ihren Verwandten abzugeben. Wirklich im Gedächtnis geblieben war ihr eigentlich nur, dass sie ihm auf einem Familienfest einmal gründlich den Hintern versohlt hatte, weil er es gewagt hatte, ihre neue teure Stola mit seinen schmutzigen kleinen Pfoten anzutatschen. Aber das war schließlich eine notwendige erzieherische Maßnahme gewesen, zu der sie als ältere Cousine ja quasi verpflichtet gewesen war.
    Avarus’ taxierender Blick in Bezug auf ihr Äusseres entging ihr natürlich nicht, auch wenn er sich Mühe gab, es einigermaßen unauffälig zu tun, und sie ließ sich davon ebenfalls nicht aus der Ruhe bringen. Damals vor 40 Jahren, als es noch darauf angekommen war, war sie durchaus eine attraktive junge Frau gewesen und hatte es auf eine stattliche Zahl von Bewerbern gebracht. Natürlich war es möglich, dass die auch durch ihr liebenswertes Wesen angezogen worden waren, aber vermutlich war es wohl eine Kombination aus beiden Dingen gewesen…
    In der Zwischenzeit hatte sie insgesamt 38 Ehejahre mit zwei verschiedenen Männern ausgehalten und drei Kinder geboren, mehr konnte man auf diesem Gebiet von ihr nun wirklich nicht mehr erwarten, denn schließlich hatte sie ihre Pflichten als römische Frau mehr als erfüllt.
    Jetzt kam es aber zunächst einmal auf den richtigen ersten Eindruck an, und Laevina beschloss, fürs Erste die Rolle der zerbrechlichen trauernden Witwe weiterzuspielen.
    Sie erhob sich (für den Betrachter scheinbar mit einigen Mühen) aus ihrem Sitz, zauberte ein Lächeln in ihr nach wie vor betrübtes Gesicht und ging mit ausgestreckten Armen auf ihren Cousin zu.


    „Avarus, welche Freude!“ zwitscherte sie und quetschte dabei ein kleines aber nicht übertriebenes Tränchen aus dem linken Auge. „Was ist aus dir doch für ein stattlicher Mann geworden…..“

    Also doch! Das Ganze hatte nur einen winzigen Moment gedauert, aber Laevina war Calvenas kurzes Zögern und ihr Ringen nach einer passenden Antwort nicht entgangen. Irgendetwas stimmte hier nicht, auch wenn es dem jungen Mädchen gut gelungen war, seine Verlegenheit zu überspielen, wie Laevina anerkennend feststellte.
    Aber was auch immer es wohl sein mochte, im Moment gab es wichtigere Dinge, und Laevina würde sich darüber weitere Gedanken machen, wenn sie sich erstmal eingelebt hatte. Wo wohl Avarus blieb? Mittlerweile hatte er doch bestimmt schon von der Ankunft seiner Cousine erfahren. Sie entschied sich, sich die Wartezeit noch mit ein bisschen Plauderei zu vertreiben.


    "Nein, da hast du Recht" antwortete sie Calvena dann. "Du hattest bislang noch keine Gelegenheit mich kennenzulernen, da ich eine ganze Weile nicht mehr in Rom gewesen bin. Ich habe in den letzten Jahren mit meinem Ehemann in der Campania gelebt, aber vor zwei Monaten wurde er mir plötzlich genommen". Sie setzte einen betrübten Gesichtsausdruck auf und seufzte tief.

    Mittlerweile befand sich Laevina im Atrium der Casa Iunia und wartete ungeduldig auf das Erscheinen ihrer Enkelin Serrana. So lebten sie also, die Iunier……
    Laevina stieg bereits die Galle in den Hals, wenn sie nur an diese Sippschaft dachte und an als das, was sie ihretwegen alles hatte erleiden müssen.
    Vor ihrem inneren Auge stieg die Erinnerung an ihre Tochter Alba auf, und für einen winzigen Moment musste Laevina schlucken. Was war sie doch für ein hübsches und viel versprechendes Mädchen gewesen, so gebildet und wohlerzogen und ihrer Familie treu ergeben. Die halbe Campania hatte sich um sie gerissen, und selbst aus Rom hatten ein paar wohlhabende und mächtige Bewerber vorgesprochen. Die Auswahl war so groß gewesen, dass Laevina sich nicht auf Anhieb hatte entscheiden können und noch eine kleine Weile hatte warten wollen. Just in diesem Moment war dieser Schwachkopf Iunius Macro auf der Bildfläche erschienen, der nichts weiter vorzuweisen hatte als ein hübsches Gesicht und einen klangvollen Namen, und ausgerechnet dem war es gelungen, ihrer Tochter den Kopf zu verdrehen und sie in einem unbewachten Moment ins Heu zu ziehen. Unfassbar…! Wie hatte ihr so etwas nur passieren können…..!
    Damit war Albas Schicksal natürlich besiegelt gewesen und sie selbst von nun an mit einem genauso unfähigen Ehemann geschlagen wie ihre Mutter.
    Und als ihre arme Tochter dann bei der Geburt des zweiten Kindes gestorben war, hatte dieser unselige Mistkerl nichts besseres zu tun gehabt, als seine kleine Tochter bei ihr und ihrem Mann abzuladen und nach Rom zu den Cohortes Urbanae zu verschwinden.
    Die wenigen Male, die er danach noch bei ihnen und seinem Kind aufgetaucht war, war er in seiner lächerlichen Uniform vor ihnen herumstolziert und hatte große Reden geschwungen…
    Laevina hatte jedes Mal hart mit sich kämpfen müssen, um ihm nicht den Kopf abzureißen, aber irgendwann hatte ihr das erfreulicherweise jemand abgenommen und Macro war im Orcus verschwunden, wo er hingehörte.
    Oh nein, Laevina war wahrlich nicht gut auf die Iunier zu sprechen….
    Wo blieb denn nun ihre Enkelin? Solange konnte es doch wohl kaum dauern ihr Bescheid zu geben…

    Laevina lächelte zufrieden, als Calvena gehorsam auf sie zukam. Die ausgesprochen nervöse Reaktion des Mädchens auf ihr nichtssagendes Kennelern-Geplänkel überraschte sie dann aber doch ein wenig. Was hatte sie denn auf einmal? Auch der Blick, den Calvena der jungen Sklavin zuwarf entging Laevina nicht.
    In ihrem Hinterkopf begann eine kleine aber durchaus vernehmbare Alarmglocke zu läuten. Hier gab es eindeutig etwas, was ihrer besonderen Aufmerksamkeit bedurfte...
    Aber jetzt galt es erst einmal sich nichts von der eigenen Verwirrung anmerken zu lassen.
    Daher nahm Laevina ihre Großnichte fest ins Visier (damit ihr auch blos keinerlei Reaktion entging) und sagte dann mit zuckersüßer Stimme:


    "Aber warum sollte ich dich denn nicht kennen, meine liebe Calvena? Ich habe es mir immer schon zur Aufgabe gemacht, über alle Mitglieder meiner Familie und auch deren größeren und kleineren Geheimnisse genaustens informiert zu sein. Man hat ja schließlich eine Art Verantwortung für die jüngere Generation, findest du nicht?"


    Die letzten beiden Bemerkungen waren natürlich ein Schuss in den blauen Himmel, aber man konnte ja nie wissen. Irgendetwas hatte schließlich jeder Mensch zu verbergen....

    Was war denn das nun wieder für ein Tölpel?


    "Deine Dienste kannst du gern für dich behalten, öffne mir gefälligst die Tür und bring mich zu meiner Enkelin Iunia Serrana!" blaffte Laevina den leicht verwirrten Ianitor an. Warum sollte sie ihm auch ihren Namen nennen, Serrana würde zweifellos sofort wissen, wer hier vor der Tür stand...

    Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte Laevina, dass das Mädchen unter ihrem prüfenden Blick verlegen wurde. Da waren Hopfen und Malz offenbar doch noch nicht verloren und mit paar wohlmeinenden erzieherischen Maßnahmen könnte man aus dieser jungen Dame sicherlich noch eine ganz vielversprechende Partie machen.
    Dann dachte sie über die eben genannten Namen nach. Der Senator Sedulus war ihr selbstverständlich ein Begriff, denn auch wenn sie ihn nie persönlich kennengelernt hatte, so hatte sie doch seine Karriere selbst im fernen Nola aufmerksam verfolgt. Nicht zum ersten Mal stieg Ärger in ihr hoch, als sie daran dachte, dass sie wegen ihres unfähigen zweiten Ehemannes über 30 Jahre in der Campania festgesessen hatte, statt am Aufstieg ihrer Familie teilzuhaben und den ihr gebührenden Anteil zu geniessen...
    Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen. Der Name Calvena sagte ihr rein gar nichts und sie hatte auch keine Ahnung in welchen Familienzweig sie sie packen sollte, aber das konnte sie sich selbstverständlich nicht anmerken lassen. Deshalb setzte sie jetzt ein (ihrer Meinung nach) gewinnendes Lächeln auf und sagte:


    "Achja, Calvena, natürlich" sie streckte dem Mädchen eine Hand entgegen. "Komm her und begrüße mich, ich bin Germanica Laevina und damit so etwas wie deine Großtante." Gottlob war diese Verwandtschaftsbezeichnung so schwammig, dass sie in jedem Fall passen würde...

    Vor dem Eingang der Casa Iunia stieg Laevina würdevoll aus ihrer Sänfte und ging auf das Haus zu. Zum ersten Mal seit ihrer gestrigen Ankunft in Rom war sie ein bisschen nervös, da sie heute ihre Enkelin Serrana wiedersehen würde, die sich vor einigen Wochen so undankbar aus dem Staub gemacht hatte um nach Rom umzuziehen.
    Laevinas Unruhe resultierte dabei weniger aus Sentimentalität als der Sorge, ihre kostbar behütete Enkelin könnte sich ausserhalb ihrer Obhut bereits in irgendwelche Schwierigkeiten gebracht haben. Angemeldet hatte sie ihren Besuch selbstverständlich nicht, auf diese Weise würden die Überraschung und die Wiedersehensfreude auch viel größer sein.
    Laevina beschloss jetzt keine weitere Zeit zu verlieren und klopfte schwungvoll und unüberhörbar an die Tür.

    Laevina trank langsam und genüsslich ihren Wein und ließ währenddessen ihren Blick liebevoll über die aufwendigen Wandmalereien und die zweifellos kostbaren Statuen und sonstigen Einrichtungsgegenstände um sie herum gleiten. Mit jeder Minute und jeder neuen Entdeckung wurde ihre Laune noch ein klein wenig besser. Sie wurde etwas unsanft aus ihren erfreulichen Betrachtungen gerissen, als sie eine junge weibliche Stimme vernahm, die eindeutig nicht zu der ihr bereits bekannten Sklavin gehörte.
    So löste sie ein wenig unwillig den Blick von einer besonders schön verzierten Bodenvase und richtete ihn auf das junge Mädchen, das gerade das Atrium betreten hatte.
    Sie musste ungefähr im selben Alter wie ihre Enkelin Serrana sein, war ähnlich klein und zierlich und hatte auch braunes Haar. Aber an dieser Stelle hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf. Serrana wäre niemals in derart farbenfroher und auffallender Kleidung in der Öffentlichkeit erschienen (zumindest solange sie noch unter Laevinas Kontrolle gestanden hatte), und auch auf ihre Frisur hatte Laevina immer ein wachsames Auge gehabt. Dieses Mädchen sah ja komplett zerwühlt aus! Hätte sie nicht die ganzen Schriftrollen unter dem Arm, könnte man ja auf schlimme Gedanken kommen... Ganz offensichtlich fehlte in diesem Haus jemand, der ein bisschen auf Disziplin und Ordnung achtete...
    Laevina musterte die junge Frau ungeniert von oben bis unten. Den kostbaren Stoffen und ihrem unbeschwerten Auftreten nach zu urteilen, gehörte sie eindeutig zur Familie und so setzte Laevina ein freundliches Lächeln auf. Selbstverständlich stand sie dabei nicht auf, denn gleichgültig wer das Mädchen auch sein mochte, sie selbst war eindeutig die Ältere und verdiente daher den größeren Respekt.


    "Salve" grüßte sie dann zurück. "Mit wem habe ich denn das Vergnügen?"