Beiträge von Aurelia Narcissa

    "Zu viele Leckereien machen sie nur rund und unbeweglich - Nada aber", Narcissa strich der Stute über das weiche Maul, dass diese die Unterlippe vorschob "Du kannst mir glauben, ich habe nichts mehr", sagte sie zu dem Tier und wandte sich wieder an Marei, die mit großen Augen neben ihr stand. "Sie tut immer gerade so, als würde sie von den Stallburschen keine Schaufel Hafer zugestanden bekommen..."



    Narcissa sah nicht von der Stute auf, als sie fast schon abwesend entgegnete: "Ja, ist sie nicht hübsch?" Erst jetzt, da ihre Finger das weiche Fell durchfuhren, merkte sie, wie sehr sie diese Berührung vermisst hatte.
    Natürlich nahm sie es Marei nicht Übel, dass das Mädchen noch vorsichtigen Abstand bewahrte. Epicharis zählte zwar nicht unbedingt zu den großen Pferden, sie war eine sehr zierliche Stute, für ein Kind mochte aber selbst ein kleines Pferd wie ein Riese erscheinen. "Oh, eigentlich schon immer...", antwortete Narcissa lächelnd. "Ich war dabei, als sie geboren wurde. Sie ist vier." Die andere Frage beantwortete Epicharis schon selbst. Sie roch nämlich die Äpfel, die Narcissa in einem Beutel mitgebracht hatte und streckte nun hungrig den Hals danach. Die junge Aurelia schmunzelte und indem sie den Kopf der Stute wegschob, meinte sie: "Na du bist auch nicht besser als Nada!"...Sie kam zu Marei ans Tor, Epicharis die ihr folgte, hinter sich und zog einen Apfel hervor, den sie mit einem kleinen Messer, das sie ebenfalls bei sich trug in vier Schnitze teilte und dann Marei in die kleinen Kinderhände gab.
    "Wenn du möchtest, kannst du sie ihr geben. Halte deine Hände ganz flach...",meinte sie und trat ein Stück zur Seite, blieb aber in Mareis Nähe, falls diese plötzlich von allzu großer Furcht gepackt werden sollte. Verschrecken wollte sie das kleine Mädchen schließlich nicht. Epicharisch unterdess näherte sich, die nüstern blähend und den Duft der Äpfel einsaugend vorsichtig Marei.

    Der Claudier musterte sie und zum ersten Mal in ihrem bisher noch recht kurzen Leben, verteufelte sich Narcissa dafür, dass sie am Morgen nicht auf Lysandra gehört und sich etwas mehr heraus geputzt hatte. Nicht, dass es sie unansehnlicher machte. Aber eine anständige Hochsteckfrisur anstatt eines Knotens, der die meisten lockigen Strähnen in ihrem Nacken bändigte, hätte wohl auch besser zu ihrer Pala gepasst. Na immerhin hast du Kohle benutzt, um die Augen zu betonen, beruhigte sie sich selbst in Gedanken. Und wieder antwortete jene innere Stimme, die sich auch schon zuvor über sie lustig gemacht hatte. Mädchen, du machst dich lächerlich! Völlig unerheblich!
    „Ja, das ist wahr....ich sollte das nächste Mal etwas vorsichtiger sein“, entgegnete sie. Nochmals würde sie bestimmt nicht ohne einen Custodes auf die Straße gehen. Natürlich war ihr klar, dass solches „Gesindel“, wie er es nannte, nicht von ungefähr kam. Es gab in Rom viele Menschen, die nicht das Glück hatten, als Tochter oder Sohn einer patrizischen Familie geboren worden zu sein.
    Für den Moment zumindest fühlte sie sich sicher. Mehr noch, sie fühlte sich wohl und wollte gern noch etwas länger in Begleitung des Claudiers bleiben. Ihn darum zu bitten kam leider nicht in Frage – das wäre für eine junge Frau unschicklich gewesen. Und sie wollte, dass er das beste von ihr dachte. Warum Narcissa das so wichtig war, verstand sie selbst nicht. Als Herausforderung sah sie es wohl nicht, da sie viel zu sehr mit dieser merkwürdigen Spannung beschäftigt war, die sie einerseits sich schwebendleicht fühlen, sie andererseits aber auf jedwede auch noch so kleinste Reaktion seinerseits achten ließ. Und das was sie wahrnahm, nährte mehr die Unsicherheit, auch wenn sie sich das nicht anmerken ließ. Der Claudier lächelte zwar, aber sein Tonfall war mehr als sachlich. Es versetzte ihr einen Stich, da sie jene Unruhe und Aufregung, die sie selbst verspürte, nicht in ihm erwidert sah. Dass es Selbstkontrolle war, die er nahezu perfekt beherrschte, davon ahnte die junge Aurelia nichts. Sie gab sich Mühe die leise Enttäuschung, die sie empfand, nicht nach außen hin zu tragen. Daher erwiderte sie sein Lächeln.
    „Ja, erst seit ein paar wenigen Wochen“, bestätigte sie. „Ich wurde hier in Rom geboren, aber meine Mutter hat meine Schwester und mich mit aufs Land genommen. Wir wohnen – wohnten“, verbesserte sie sich lächelnd selbst: „auf einem Landgut nahe Terentum.“ Vertrauensvoll fügte sie hinzu: „Kein Wunder also, dass ich mich hier ständig verlaufe, Terentum war viel kleiner..“, Schon im nächsten Moment bereute sie jedoch, was sie soeben gesagt hatte. Jetzt hielt er sie bestimmt für ein Landei – ein Landei ohne Hochsteckfrisur...Sofort hielt die innere Stimme spöttisch dagegen: Seit wann machst du dir über solchen albernen Mädchenkram Gedanken! Du bist doch kein kleines Mädchen mehr! Und überhaupt – warum ist es dir wichtig! Er scheint dich nett zu finden, mehr aber auch nicht!
    „Eigentlich?“, Narcissa hob die Brauen. „Ich halte Dich doch nicht auf? Wenn du weiter musst, dann ist das kein Problem...Ich möchte dir wirklich nicht deine Zeit stehlen!“, sagte sie, etwas zu rasch in ihren eigenen Ohren. Und als sie in sich selbst horchte, da wurde ihr klar, dass es ihr ganz im Gegenteil sogar ganz unrecht wäre, würde er jetzt gehen müssen.

    Wie wäre es wohl, wenn Narcissa selbst einen Buchladen eröffnete? Einen mit Regalen, die bis an die Decke reichten. Über und über beladen mit Schriftrollen, die wie lange, bleiche Finger herausstachen. Und sie mitten drin. Narcissa ertappte sich dabei, wie ihr Blick verträumt über die Regale wanderte und zuckte kaum merklich zusammen. Diese Gedanken waren absolut abwegig. Lächerliche Wunschvorstellungen. Besser sie machte sich nichts vor. Ihre Verwandten wären davon gewiss nicht sonderlich begeistert. Ein schweres Seufzen brach über Narcissas Lippen...


    Narcissa ahnte nichts davon, was in der Älteren vor sich ging. Sie bemerkte auch nicht, wie due Decima sie beobachte. Viel zu sehr war sie fasziniert von den Schriften, die vor ihr auslagen und scheinbar ihren Namen riefen.
    "Tatsächlich?", Überrascht hob sie die Augenbrauen. Es war eigentlich nicht der Umstand, dass sie in dieser großen Stadt auf jemanden traf, der Marcus seinen Patron nannte, sondern vielmehr, dass eine Frau bei der Acta arbeitete. Sonst hörte man doch immer, dass Schreiben Männersache war. "Du arbeitest bei der Acta?" Ihre Überraschung entlud sich in spontaner Begeisterung: "Das ist ja großartig!" Sie strahlte über das ganze Gesicht. "Wie ist es dort zu arbeiten?"

    Vom Umgang mit Sklaven - Narcissa et Lysandra
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    Die Nacht senkte sich allmählich über die Villa. In dem Maße, wie die Dunkelheit zunahm und die Schatten länger und tiefer machte, nahm auch das Leuchten der unzähligen Kerzen zu, welche Narcissas Zimmer in warmes, goldenes Licht tauchten und Ecken und Kanten weicher machten. Narcissa saß an einem der Fenster, wie so oft über eine Schriftrolle gebeugt, während die Dämmerung Einzug hielt und das letzte Licht des Tages auffraß. Neben ihr, auf einem Tisch, stand ein Strauß frischer Narzissen – eine kleine Aufmerksamkeit einer der Sklaven – und verströmten ihren Frühlingsduft. Es war ein schöner tag draußen gewesen. Mit viel Sonnenschein und der ersten zaghaften Wärme, die auch den letzten Römer ermutigt hatte, das Haus für zumindest ein paar Stunden zu verlassen. Inzwischen war es schon deutlich frischer geworden, denn mit dem Sonnelicht schwand auch die Wärme. Narcissa hatte sich eine Decke über die Schultern gelegt, doch auch diese hatte nicht verhindern können, dass ihre Gliedmaßen mit Gänsehaut überzogen waren. Ein leises Klopfen an jener Tür, welche ihr cubiculum mit dem ihrer Schwester verband, ließ sie aus den Zeilen auffahren. Schon im nächsten Moment betrat Lysandra das cubiculum. Narcissa erhob sich aus dem Weidenkorb, in welchem sie gesessen hatte, wobei die Decke achtlos zu Boden glitt. Sie hatte die Leibsklavin, die sich ihr nun lächelnd zu wandte, bereits erwartet, Für gewöhnlich half sie den Zwillingen bei der Morgen – und Abendtoilette. Jetzt war die ältere der Schwestern an der Reihe. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie heute Abend gekommen war. Lysandra musste mit Narcissa reden. Über gleich zwei Dinge, die ihr auf dem Herzen lagen. Während sie noch darüber nachdachte, wie sie ihre domina am besten darauf ansprechen konnte, half sie dieser dabei Pala und Tuinka abzulegen und hielt ihr schließlich ein Handtuch und eine frische Tunika entgegen, als sich der ältere Zwilling an einer Schüssel mit Wasser wusch. Es war ein intimer Moment. Doch Narcissa machte es nicht im geringsten aus, dass sie Leibsklavin sie splitterfasernackt zu Gesicht bekam. Lysandra war schon immer da gewesen, hatte die Zwillinge schon gebadet, als diese noch Knirpse von gerade einmal zwei Monaten gewesen waren. Von ihrer Mutter einmal abgesehen, gab es niemanden, der sie besser kannte oder den sie näher an sich heran ließen. Narcissa setzte sich vor den Spiegel vor der Kommode und ließ es zu, dass die Leibsklavin die Klammern und Bänder löste, mit denen sie die brünetten Locken am Morgen noch zu einer einigermaßen anständigen Hochsteckfrisur gebändigt hatte. Vorsichtig strichen die Finger Lysandras durch die Haarpracht und versuchten die Strähnen zu entwirren, ehe sie zur Bürste griff. Sie wusste, dass Narcissa es mochte, wenn man ihre Haare bürstete. Es war eines jener ganz speziellen Rituale. Sie entspannte sich dabei. Das war der beste Augenblick.
    „domina, darf ich sprechen?“, fragte sie, wie es der Anstand gebot.
    „Als ob du fragen müsstest“, erwiderte Narcissa belustigt lächelnd. Die Leibsklavin biss sich auf die Unterlippe- Genau das war es ja, weshalb sie mit ihr sprechen wollte.
    „domina, ich habe dich beobachtet...“
    „Tatsächlich?“, Lysandra hatte das Gefühl, die Aurelia mache sich über sie lustig und sie konnte erahnen weshalb. Das Mädchen fühlte sich ständig beobachtet.
    „Wobei?“, erkundigte sie sich pflichtschuldig.
    „Wie du mit den Sklaven dieses Hauses umgehst...“
    „Und? Was ist damit?“ Ungeduld mischte sich in ihre Stimme. Warum konnte Lysandra ihre Gedanken nicht einfach aussprechen und ließ sich stattdessen alles aus der Nase ziehen. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Eigentlich hätte die Leibsklavin jetzt die Lider senken müssen, doch sie tat es nicht. Stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe. Das, was kommen würde, war ihr unangenehm, denn eigentlich stand es ihr nicht zu, ihre domina zurecht zu weisen.
    „Nun?“, dränge Narcissa. Jetzt, da Lysandra begonnen hatte, sollte sie gefälligst auch zu Ende sprechen.
    „Du solltest nicht so freundlich mit ihnen umgehen....“, Narcissas feine Augenbrauen schnellten in die Höhe, ihre grünen Augen wurden groß vor Erstaunen und sie öffnete den Mund, fand aber keine Worte. Für einen Moment fragte sie sich ernsthaft, ob sie sich soeben nicht verhört hatte. Das konnte Lysandra nicht gesagt haben...Als sie jedoch das betreten Gesicht der Leibsklavin sah, wusste sie, dass sie sich nicht verhört hatte. Da konnte die Aurelia einfach nicht anders. Sie begann herzlich zu lachen. Ihre Schultern zuckten und sie hielt sich den Bauch, bis ihr sogar die Tränen kamen und die grünen Augen überschwemmt wurden. Die Reaktion ihrer Herrin machte die serva noch betretener. Spätestens jetzt erkannte Narcissa, dass Lysandra es nicht nur gesagt hatte, sondern es auch so gemeint hatte. Das Lachen verstummte abrupt und indem sie sich mit den Händen die Tränen von den Wangen wischte, sagte sie zu Lysandras Spiegelbild: „Du meinst es ernst.“ Es war eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung, doch Lysandra antwortete mit einem knaooen Nicken. Narcissa, nach wie vor entspannt sitzend, legte einen Finger an die Lippen und betrachtete die Sklavin nachdenklich dabei, wie sie mit der Bürste durch ihre Locken glitt.
    „Weißt du, dass es absolut keinen Sinn macht, dass ausgerechnet du mir das anträgst...?“ Eine leise Röte überzog Lysandras Wangen – abermals nickte sie. Sie selbst war ja nichts anderes als eine Sklavin. Der Gedanke jagte ihr selbst nach all den Jahren noch einen Schauer durch den Körper. Nein, sie hatte es gut getroffen. Die Schwestern waren für sie wie Töchter.
    „Du bestreitest es nicht?“ Sie sah mit großen Augen auf. Eine belustigte Linie verzog Narcissas Mundwinkel zu einem Lächeln.
    „Warum sollte ich?“, erwiderte sie ruhig „Ich meine damit nicht, dass ich mit ihnen „zu freundlich“ umgehe und daran irgendetwas ändern müsste...Wenn sie freundlich zu mir sind, bin ich es auch. Und ich finde jeder hat Respekt verdient....“ Ein leidender Ausdruck trat in Lysandras Augen.
    „Natürlich sollst du freundlich zu ihnen sein, domina...“ erklärte sie sich. „Aber sie...ich glaube, du pflegst eine zu freundschaftliche Beziehung mit einigen von ihnen...“
    „Du meinst zum Beispiel mit dir?“, unterbrach Narcissa und hob prüfend eine Braue. Es war kein Geheimnis, dass sich Lysandra viel erlauben konnte. Der Einwand brachte die Leibsklavin jedoch nicht aus der Ruhe. Unbeirrt sprach sie weiter: „Ich meine damit etwa die kleine Marei....“ Narcissas Gesicht verfinsterte sich, die Heiterkeit wich aus ihren Zügen....Hier hatte die Sklavin einen wunden Punkt getroffen. Sie wusste selbst, dass sie dem Mädchen womöglich zu viel zugestand. Dennoch: „Ich wüsste nicht, weshalb ich an dem Umgang mit ihr etwas ändern sollte...“
    „Sie ist eine Sklavin.“
    „Sie ist ein kleines Mädchen“, hielt Narcissa trotzig entgegen.
    „Sie ist domina Septimas Sklavenmädchen...“
    Narcissas Lippen wurden zu schmalen Strichen. Lysandra hatte Recht und sie wusste, dass es Narcissa wusste. Sie mochte das Mädchen einfach zu gern. Und sie mochte Cimon und die Freigelassene – Siv - , die nun doch die Villa mitsamt ihres kleinen Sohnes verlassen hatte.
    „Ich werde nichts ändern...“, Es war das letzte Wort, gesprochen, wie es nur Herren taten. „Ich wollte es dir nur sagen, dass es mir aufgefallen ist. Und wenn es mir auffällt, dann fällt es auch anderen auf und den mag das vielleicht nicht so zusagen." Narcissa biss sich auf die Lippen und schluckte eine scharfe Entgegnung hinunter – „Mir ist es bei den Göttern noch mal egal, was „den anderen“ zusagt und was nicht“...Das stimmte natürlich nicht. Das wusste sie selbst. Es konnte ihr gar nicht egal sein. Was nützte es ihr da, es sich einzureden.


    Einige Augenblicke lang versank der Raum in eisiges Schweigen. Selbst die Luft schien kälter geworden zu sein. Lysandra zögerte abermals, ihre domina anzusprechen. Vor allem da diese jetzt in keiner sonderlich guten Laune war. Aber schließlich hatte sie auch nicht erwartet, dass Narcissa ihre Kritik mit Freudentaumel aufnehmen würde.
    „domina...es gibt da noch etwas, worüber ich mit dir sprechen muss...“, setzte sie vorsichtig an.
    „Was ist es dieses Mal?“, erwiderte Narcissa, legte den Finger an die Lippen und tat so, also würde sie angestrengt nachdenke. Mit einem scharfen Blick zurück zu der Spiegel-Lysandra, meinte sie....“Lass mich raten, ich kleide mich nicht angemessen?“ Im nächsten Moment tat es der jungen Aurelia aber schon wieder Leid, dass sie die Sklavin so angefahren hatte. Sie wusste ja, dass Lysandra es nicht böse meinte. Sie wollte nur verhindern, dass sie, Narcissa, unnötig Ärger bekam.
    „Was ist es?“, schob sie sanfter nach.
    „Es geht um deine Schwester...“, antwortete Lysandra bedrückt reserviert. Wieder veränderte sich Narcissas Gesicht. Ein besorgter Ausdruck, machte sich darauf breit und sie richtete sich, die Hände auf die Armlehnen gelehnt, etwas in ihrem Korb auf.
    „Was ist mit ihr?“, fragte sie alarmiert. Was hatte sie nicht mitbekommen.
    „Du kannst dich beruhigen, domina...Es ist alles mit ihr in Ordnung...“, versicherte Lysandra hastig. Die Schwestern waren sehr empfindlich wenn es um die jeweils andere ging, sehr leicht aus der Ruhe zu bringen.
    „Ich habe nur den Eindruck, dass etwas sie in letzter Zeit beschäftigt...Sie ist so oft in Gedanken versunken und lächelt nicht so oft, wie sie es sonst immer tat...“
    Tatsächlich entspannte sich Narcissa wieder und ließ sich zurücksinken.
    „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen...“, nickte sie. Natürlich hatte auch sie es gemerkt, mehr noch, sogar gespürt, wie sie auf geheimnisvolle Weise immer wusste, wie es ihrer Schwester ging. Es war wie ein unsichtbares Band. Sie spürte instinktiv, wenn Flora sie brauchte. In letzter Zeit schien es aber, als sei ihr Zwilling auch ihr gegenüber weitaus verschlossener als sonst. Und Narcissa konnte einfach nicht erahnen, woran das lag. Lysandra legte die Bürste zurück auf die Kommode.
    „Vielleicht solltest du einmal mit ihr sprechen...“, schlug Lysandra vor. Wer konnte einem Zwilling besser helfen, als der andere Zwilling?
    Narcissa nickte, in Gedanken vertieft. „Ja, das sollte ich vielleicht...“
    „Brauchst du noch etwas, domina?“, Die Aurelia schreckte auf.
    „Was?... – hmm, nein. Du kannst gehen...“ Lysandra nickte, strich ihr noch ein letztes Mal über das Haar und verließ leise das Zimmer. Zurück blieb Narcissa. Grüne, nachdenkliche Augen blickten ihr aus einem zarten, jugendlichen Gesicht entgegen....

    Es war eine Premiere für Narcissa. Das erste Wagenrennen in ihrem jungen Leben und sie fieberte diesen Ereignis mit Vorfreude entgegen.
    Der circus war voller Menschen, die Luft aufgeladen mit allerlei Stimmen und Spannung. Sie tummelten sich auf den Rängen, sprachen wild und laut durcheinander, deuteten hierhin und dorthin. Es war ein Spektakel!
    Lysandra, unruhig wie ein Huhn, hatte die Zwillinge am Morgen noch ordentlich heraus geputzt. Jetzt standen sie gemeins - viel zu aufgeregt, um sich zu setzen - in der Loge bei ihrer Familie und beobachtete das bunte Treiben von diesem erhöhten Platz aus. Einen besseren Platz hätten sie gar nicht haben können. Was für ein Glück, dass es ihr Verwandter Marcus Aurelius Corvinus war, der dieses Rennen ausrichtete. Und natürlich waren die Schwestern gekommen, um die Aurata anzufeuern. "Oh, wann geht es nur endlich los!", wisperte Narcissa leise und ungeduldig ihrer Schwester zu. Sie waren für gewöhnlich immer dort, wo es auch Pferde gab.
    Ungeduldig wartete das Publikum das obligatorische Opfer ab und endlich - endlich! - öffneten sich die Tore und die Gespanne fuhren ein. Vier waren es. Und sie kamen auf die Startmarke zu, heftig von allen Seiten umjubelt. Die Quadrigen waren leicht auseinander zu halten, trug jede doch die Farbe ihrer factio. "Er ist ganz schön jung...Hat er denn schon Erfahrung im Wagenrennen?", bemerkte Narcissa mit einiger Überraschung.
    Marcus erhob sich, um seiner Pflicht als Veranstalter des Rennens nachzukommen. Langsam torkelte das weiße Tuch dem Erdboden zu - dann gab es kein halten mehr. Der Circus versank in einer Flut aus Anfeuerungsschreien, Jubel. Die Zuschauer sprangen wie vom Fieber gepackt von ihren Plätzen auf, Fäuste wurden in die leere Luft gestoßen. Die Gespanne hatten die erste Wendemarke fast erreicht. "Aurata! Aurata!", stimmten auch die Zwillinge begeistert in den vielstimmigen Chor ein.

    Narcissa schloss die Augen und atmete ganz tief die Luft ein. Es war warm, roch nach Heu und Stroh und Leder und Holz. Ah! Ein Lebenselixier. Nirgendwo sonst roch es so wie in einem Pferdestall. Und nirgendwo sonst war die Luft erfüllt von einer so friedlichen Unruhe. Von ihrer Schwester einmal abgesehen, gab es nichts auf der Welt, das sie besser beruhigen konnte, als der Geruch, die Geräusche und die Gegenwart von Pferden. Nicht einmal ihre heiß geliebten Schriftrollen vermochten das. Schon oft hatte sie sich zuhause in Terentum in die Stallung geflüchtet, wenn sich die ganze Welt gegen sie verschworen hatte. Hier war alles gut und richtig. Zu ihrem Pferd war sie dann gegangen - erst zu der alten Hela, später dann zu Epicharis – hatte das Gesicht in der weichen Mähne vergraben oder hatte sich einfach nur ins Stroh daneben gesetzt. Jetzt war sie wieder hier. Aber nicht, weil sie traurig oder wütend oder enttäuscht war, sondern beseelt von einem schlechten Gewissen. Seit geraumer Zeit war sie nun schon in Rom – und bisher hatte sie noch nicht einmal Epicharis besucht. „Na komm Marei...“, munterte sie lächelnd das kleine Sklavenmädchen auf, dass sie an der Hand hielt. Die zwei Stallburschen, die auf zwei schmalen Schemeln vor der Sattelkammer saßen und das Leder einiger Zaumzeuge reinigten, sahen kurz auf, als die junge Aurelia in einer dunkelgrünen Pala zusammen mit dem Mädchen den Gang entlang schritt und nach dem Namensschild ihrer Stute Ausschau hielt. Doch nicht ihr Pferd war es, das sie zuerst entdeckte. „Salve Nada“, begrüßte sie mit gesenkter Stimme die Fuchsstute ihrer Schwester, die sich ihr sogleich zu wandte und die Nase vertrauensvoll in die Hand drückte, die ihr entgegen gestreckt wurde. Narcissa verstand diese Geste sofort und lachte leise. „Du bist so verfressen, weißt du das?“, sprach sie weiter auf das Pferd ein, während sie mit der freien Hand in die Stofftasche griff, die sie bei sich trug und einen saftigen roten Apfel heraus fischte, den sie sogleich in viere Schnitze teilte und sie der Stute hinhielt. Vorsichtig nahm Nada ein Stück nach dem anderen und zerkaute sie schmatzend. „Siehst du Marei? Sie ist ganz vorsichtig und lieb...“ Als sie alle vier verdrückt hatte, gab sie ein zufriedenes Schnauben von sich und stupste Narcissa erneut an. „Nein, Mädchen. Das reicht...Du weißt doch, Flora sieht es nicht gern, wenn ich dir so viele Äpfel mitbringe...“ Sie klopfte den Hals der Stute und drückte ihr noch einen letzten Kuss auf das Nasenbein. „Ich muss weiter. Epicharis wartet...“
    Sie gingen weiter in den Stall hinein. Weiter in das Zwielicht, in die Wärme. Zahlreiche Pferdeköpfe streckten sich ihnen entgegen, die obschon der fremden Stimme neugierig geworden waren – nur einem Tier war der Klang nicht unbekannt. Schon von weitem begrüßte die Rappstute ihre Herrin mit freudigen Wiehern.
    „Salve Mädchen!“, erwiderte Narcissa den Gruß ihres Pferdes ebenso erfreut. Es war als träfen sich alte Freundinnen wieder. „Na komm, tritt ein Stück zurück!“, Die junge Aurelia öffnete das kleine Tor und trat zu dem Pferd hinein in die Box. Sanft strichen ihre Finger durch das weiche, schwarze Fell, wisperte eine leise Stimme ein „Verzeih, dass ich dich so lange habe warten lassen“, der Stute ins Ohr, die es mit einem lauten Schnauben quittierte. Narcissa wandte sich dem Törchen zu. Dort stand immer noch Marei. „Komm ruhig herein! Keine Angst...“, ermutigte sie das Mädchen und streckte ihr lächelnd ihre Hand entgegen.

    "Rhea Silvia...", verbesserte Narcissa Marei lachend. "Sie war eine Königstochter, die zur Vestalin geweiht wurde. Mars aber machte ihr zwei Kinder. Romulus und Remus. Während Rhea Silvia lebendig begraben wurde, sollten auch die Jungen den Tod in einer Zinnwanne im Tiber den Tod finden. Der Flussgott Tiberinus überließ sie aber einer Wöflin, die sie ernährte und aufzog", erzählte die junge Aurelia. "Romulus und Remus kennst du aber, oder?"
    "Ja, das I ist sehr einfach...Schreiben ist im Grunde nicht sehr schwer...", Sie lächelte über Mareis Einfallsreichtum mit dem sie den Buchstaben Bilder zu ordnete.
    Das Mädchen schien die kleine Zärtlichkeit, die sie ihr zu Teil werden ließ zu genießen, denn sie lehnte sich für einen Augenblick zurück. Offensichtlich zählte das zu den seltenen Dingen in ihrem Leben. Ihr Einverständnis klang dann auch etwas halbherzig, ehe sie im nächsten Moment bereits vorsichtig von ihrem Schoß herunter rutschte.
    "Das ist ein guter Platz...wir werden nicht sehr lange fort sein...", meinte sie, als Marei ihre Sachen unter den Stuhl packte. Lächelnd nahm Narcissa die kleine Hand, die ihr entgegen gestreckt wurde und drückte sie leicht. Hand in Hand verließen die Kleine und die Große die exedra und machten sich auf den Weg ins equile...

    Beschähmt war gar kein Ausdruck.
    Zuerst hatte Narcissa ihre Schwester dafür rügen wollen, dass sie die Tür einfach so geöffnet hatte - vergaß dann aber bereits im nächsten Moment all jene Worte, die ihr auf der Zunge gelegen hatten. Ihr Kopf war wie leer gefegt, angesichts des Schauspiels, dass sich ihren unschuldigen Augen bot. Denn unschuldig, das war sie, auch wenn sie durchaus mit reichlich Fantasie gesegnet war - dieses Bild war dann doch zu ungeheuerlich, als es sie so gänzlich unvorbereitet traf. Da half es auch nichts, dass Flora neben ihr stand. Röte überzog ihr Gesicht wie es sonst nur Flora passierte. "Ver...Salvete -Verzeihung!", Narcissa fand ihre Stimme wieder, auch wenn sie sich noch nicht so recht entscheiden konnte, wenn von den beiden sie dabei eigentlich anschauen sollte. Titus zumindest schien amüsiert zu sein. Das machte ihr die Situation nicht unbedingt weniger peinlich - aber zumindest etwas erträglicher. "Wir haben da etwas gefunden, dass Du Dir anschauen solltest..." Sie hielt Titus die Kiste entgegen, an der sie sich die ganze Zeit über festgehalten hatte...

    Ein Patrizier! Bei dem feinen Stoff, die seine breiten Schultern umschmeichelten, war das ganz offensichtlich. Seltsam, dass ihr das nicht gleich aufgefallen war – andererseits war sie mit ihren Augen auch ganz wo anders gewesen.
    „Soso, Quintus Claudius Lepidus...“, wiederholte Narcissa seinen Namen ein wenig abwesend, während sie in die Betrachtung seines Gesichtes vertieft war. Markantes gut geschnittenes Gesicht, braune Augen... Lysandra warf ihr von der Seite einen merkwürdigen Blick zu. So hatte sich ihre domina wahrlich noch nie benommen. Höchst eigenartig. Attraktiv war der Claudier ja allemal, das musste auch die Leibsklavin zugeben. Groß und sportlich. Ein Mann, der zweifelsohne die Aufmerksamkeit vieler Frauen auf sich zog. Normalerweise gab Lysandra Acht darauf, dass ihre zwei Schützlinge besonders um diese Sorte von Mann einen großen Bogen machten. Das gab nur Kummer und Tränen, denn so einen Mann hatte man nie für sich allein.
    Du starrst ihn an!, schoß es Narcissa auf einmal siedendheiß durch den Kopf. Ein Hauch von Röte schoss ihr ins Gesicht, färbte zart ihre Wangen und sie senkte verlegen den Blick. Dass er ihretwegen nervös war, dass merkte sie in ihrer eigenen Unruhe nicht. Dazu war sie zu verwirrt von dem eigenen Wulst an Gefühlen, der sie ganz Widersprüchliches empfinden ließ. Während ein Teil deutlich angetan von ihm war, ein anderer darauf hoffte, er möge ihr kindisches Verhalten nicht bemerken, ein anderer sich Sorgen machte, was er wohl von ihr denken mochte, fragte sich ein vierter was zur Hölle sie gerade hier tat und spottete über sie.


    Er lächelte! Es rührte etwas in der jungen Aurelia an und sie zeigte sich geschmeichelt angesichts seines Kompliments. Für gewöhnlich brachten sie schmeichelnde Worte eigentlich nicht allzu leicht aus dem Gleichgewicht...
    „Ehrlich gesagt, mir war bewusst, dass Rom gefährlich sein kann, aber ich habe nicht damit gerechnet am helllichten Tag von einem Paar Unholde so penetrant verfolgt zur werden. Aber ich habe mir wohl die falsche Tageszeit ausgesucht, um mir Rom genauer anzusehen - Ich bin noch nicht sehr lange in der Stadt und kenne mich hier zudem auch noch nicht so gut aus...“, Sie hob die Schultern und lächelte verlegen. Da hatte sie wirklich Glück gehabt an diesen Claudier zu geraten. Zu ihrer eigenen Schande musste sie sich eingestehen, dass sie jetzt fast schon froh war, dass diese zwei Halunken nicht locker gelassen hatten. Das war natürlich wieder gefundenes Fressen für jenen Teil in ihr, der sich angesichts dieser Situation lauthals über sie lustig machte und ihr Worte des Spotts zuwisperte.
    „Was hat Dich an diesem herrlichen Morgen hierher geführt, Quintus Claudius Lepidus?“ , versuchte sie zumindest ansatzweise den Anschein von Ruhe und Fassung zu wahren.

    Überrascht wechselte Narcissa mit gehobenen Brauen einen raschen Blick mit ihrer Schwester. Dieses "Mo..ment", klang etwas zu gehetzt, zu hoch. Ein solches "Moment" rief man, wenn man sich eilig daran machte, irgendwelche Dinge im Schrank oder unter dem Tisch verschwinden zu lassen, die man nicht entdeckt haben wollte. Also hatten sie ihn doch zu einem ungeschickten Zeitpunkt erwischt. "Wir können auch später nochmals kommen...?!", sprach sie gegen die Tür.

    Fein wie eine Nadel erfasste Narcissa Sivs Zögern. Den kleinen unscheinbaren Moment, in welchem sie inne hielt und jenes „Ich“ einsam und verloren in der Luft hing. Sie war auf sich selbst reduziert worden. Von diesem einsamen „Ich“ hing alles ab, auch die Zukunft des kleinen Jungen der in dem Körbchen lag und die Aufmerksamkeit seiner Mutter einforderte. Wie fühlte es sich an, so ganz für sich zu sein? Narcissa selbst war noch nie auf sich selbst reduziert worden. Es hatte immer jemanden gegeben, der ihr auf die eine oder andere Weise den Weg gewiesen hatte. Und speziell in ihrem Fall, hatte es immer Flora gegeben. Ihre Schwester, die ihr zur Seite stand. Meistens ein „Wir“, selten ein „Ich“.


    Die Aurelia neigte leicht den Kopf, als Siv ihren Satz zu Ende brachte. So ganz mochte sie ihr mit dieser Aussage nicht glauben. Dafür hatte sie zu lange gezögert – und lenkte zu schnell ab. Narcissa blickte auf den Teller mit dem geschnittenen Brot. Es erinnerte sie daran, weshalb sie eigentlich in die culina gekommen war. Ihr Magen fühlte sich unruhig an. „Gern“, sagte sie schließlich lächelnd und nahm sich etwas von dem Brot. Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich habe einen Mordshunger...“ Nein, es war ganz und gar nicht die Art wie eine Römerin mit Sklaven oder Freigelassenen umzugehen hatte. Aber sie saßen hier auch nicht wie Herrin und Untergebene. Narcissa konnte in Sivs Augen sehen, dass sie wohl dasselbe dachte. Es musste nicht ausgesprochen werden. Im Stillen wunderten sie sich wohl beide darüber. Sie saßen hier nicht wie Herrin und Untergebene zusammen, sondern begegneten sich vielmehr auf Augenhöhe. Nachdenklich kaute Narcissa an der Brotrinde, erfreute sich an dem einträchtigen Bild, das Mutter und Sohn gaben. „Hast du dir schon einen Namen für ihn überlegt?“, Die Neun-Tagesfrist war wohl noch nicht abgelaufen, aber bestimmt hatte sie sich schon Gedanken über einen Namen gemacht....

    Narcissa bemerkte wie der Germanicus ihnen beiden einen merkwürdigen Blick zu warf. Was ging ihm durch den Kopf? Warum um alles in der Welt sollte man Menschen erst versklaven und ihnen dann doch wieder nur Hoffnung auf Freiheit machen. War das nicht noch viel grausamer? Wie als hielte man einem Esel eine Karotte vor die Nase. Es gab einen Grund, warum die Menschen, um sie herum nicht frei waren. Nicht etwa, weil sie schlechtere Menschen waren, als die drei Römer in diesem Raum. Nein, der wahre Grund war, dass die Römer sie brauchten. Und man hatte die Ausrede, sie seien minderwertig erfunden, um ihre Ausnutzung zu rechtfertigen. Marei war nicht weniger wert als Flora oder sie selbst. Aber sie hatte das Pech gehabt von ihrer Mutter verkauft zu werden. Sie kannte nichts anderes als die Sklaverei. Sie war Sklave, seit sie ganz klein gewesen war. Wusste reichlich wenig von der Welt da draußen. Freiheit – konnte sie damit überhaupt zurecht kommen. In der Villa Aurelia war sie immerhin sicher, zumindest behütet von ihrer Schwester und ihr selbst. Zeigte das nicht ihre Fürsorge gegenüber dem Sklavenmädchen?
    Sie befand, dass das Thema Sklaven und Freiheit ein sehr heikles Thema war. Die Situation war merklich angespannt und Narcissa bemerkte, dass es dem jungen Mann nicht sehr angenehm war. Überhaupt musste er sich eingeschüchtert fühlen. Ihm gegenüber saß die geballte Macht zweier liebreizender Zwillingsschwestern und um ihn herum stand gleich eine ganze Schar an Sklaven bereit, dazu abkommandiert ihn im Auge zu behalten. Ein wenig so, als wäre er eine Art Unhold, dem man jegliche auch noch so erdenkliche Untat zu mutete. Die junge Aurelia ahnte nichts von seinen Vermutungen hinsichtlich eines Hausverbots. Hätte sie seine Gedanken lesen können, hätte sie bei einem solchen Unsinn wohl aber laut aufgelacht. Was wusste dieser junge Mann. Sicherlich, er verhielt sich reichlich tollpatschig, tappte von einem Fettnäppchen ins nächste. Aber ihn deshalb gleich verweisen? Nein, das war nicht Art einer Aurelia. Sie waren stolz, ja. Aber es bedurfte dann doch herberer Beleidigungen, dass sie sich herabließen ein Gast der Tür zu verweisen.
    „Nun und was gedenkst du noch in Rom zu tun, wenn du schon einmal da bist?“, erkundigte sie sich mit einem aufmunternden Lächeln, da sie ihn für ein wenig verschnupft befand.


    Marei neben ihr wisperte ganz leise, dass sie nun nichts mehr zu tun habe und streichelte über Ninas Kopf. Es war wirklich eine sehr hübsche Puppe. Schon einmal hatte sie die feine Arbeit bewundert, erstaunt darüber, zu welcher Feinarbeit die kräftigen Hände Cimons fähig waren. „Wenn du möchtest kannst du spielen gehen...“, erwiderte sie ebenso leise...

    „Das ist ja eine reichlich merkwürdige Geschichte“, bemerkte Narcissa nachdenklich. Von Laevina hatte sie das eine oder andere schon gehört. Eine ferne Verwandte, ein Cousine Priscas. Auch hatte sie von Laevinas Hochzeit mit dem Consul Tiberius Drusus erfahren und davon, dass der Consul einen Mann als seinen Sohn adoptiert hatte – etwas das kein gutes Licht auf die Verbindung mit Laevina warf und in der Aurelia für großes Missvergnügen gesorgt haben musste. „Deine Freunde sind sehr aufmerksam!“


    „Rea!“, griff Narcissa begeistert auf. „Dann weißt du schon fast, wie man Rea Silvia schreibt. Weißt du, wer diese Frau war...?“ Dass sie dagegen ihren Namen nicht schreiben konnte, war unhaltbar. „Für deinen Namen brauchst du ein M, ein A – wie du schon richtig gesagt hast – ein R und E und das hier...ein I...“ Sie deutete auf die einzelnen Buchstaben, die sie in verschiedenen Wörtern fand. „Wenn ich das nächste Mal eine Schreibtafel habe, dann schreibe ich dir deinen Namen nochmals richtig auf...“


    Narcissa hob überrascht die feinen Brauen. „Das ist eine gute Frage!“, bekannte sie – lächelte aber bereits im nächsten Moment zufrieden, als sie für sich eine logische Antwort gefunden hatte. „Der Fuchs weiß es nicht. Er versucht es einfach auf gut Glück – und wie wir sehen, ist ihm Fortuna hold. Der Rabe findet sich schön und das wird ihm zu seinem Verhängnis!“ Sie strich dem Mädchen sanft über das Haar. „Keine Sorge, Marei. Du brauchst keine Angst haben. Ich nehme dich bei der Hand und passe auf dich auf. Mit mir kann dir nichts geschehen...“, munterte Narcissa sie auf.

    Sim-Off:

    Die Blümchen kommen von hier


    Die beiden mussten sich wirklich Mühe geben nicht durch die Villa zu rennen und stattdessen ein einer Patrizierin würdiges Tempo beizubehalten. Schließlich waren sie nicht mehr in Terentum, wo sie mit ihrer Mutter mehr oder weniger unter sich selbst gewesen waren. Vor dem Officium ihres Verwandten Titus Aurelius Ursus hielten sie und Narcissa klopfte umgehend an der Tür, um Einlass zu erbitten. Vielleicht ein bisschen zu stürmisch. "Titus? Wir sind es...Flora und Narcissa!...Dürfen wir rein kommen?" Dem Klang ihrer Stimme war zu entnehmen, dass es sich um etwas von höchster Wichtigkeit handelte....

    Lysandra würde wohl nie einsehen, dass die beiden keine kleinen Kinder mehr waren. Es war eben auch für sie, welche die beiden hatte aufwachsen sehen, schwer zu akzeptieren, dass die Zwillinge allmählich erwachsen wurden.
    Dankbar setzte sie sich, als Narcissa ihr einen Weidenstuhl herantrug. Sanft und tröstend strich ihr die junge Aurelia über die Haare. Dass die beiden ihren Fund dominus Ursus zeigen wollte, war für die Sklavin die einzig richtige Entscheidung. "Geht ruhig...", meinte sie, als sie bemerkte, dass die Zwillinge noch aus Sorge um sie zögerten. "In Ordnung...Cimon", Sie schaute zu dem Nubier, "bleibe bitte noch, bis sie sich wieder gut genug fühlt..." Dann griff sie die Hand ihrer Schwester, nahm das Kästchen mit ihrer beider Fund und verließ Floras Cubiculum in Richtung Titus´ Officium...

    Narcissa klingelten förmlich die Ohren, als die Kerle sie auf so unverschämte Weise ansprachen. Anders als erwartet weckte diese Unverfrorenheit so etwas wie Trotz in ihr und sie wollte sich schon wortreich zur Wehr setzen - was den Kerlen wohl eher ein müdes Lächeln als wirklich Ehrfurcht abverlangt hätte - als sich der Mann, der zuvor noch auf dem Rand des Brunnen gesessen hatte, erhob und den Männern entgegen trat, sie in Schutz nahm. Es ließ die Halunken einen Augenblick straucheln. Kein Wunder, er war von großer stattlicher Statur, seine Bewegungen geschmeidig - so viel konnte Narcissa zumindest von ihrer Position aus sehen und ließ sie für einen Moment sogar das Lumpenpack vergessen. Zumindest auf sie machte er Eindruck.
    Mit fester Stimme wies er die beiden Männer in ihre Schranken. Das schien schon zu genügen, denn sie blieben stehen, beobachtete ihn und seinen Sklaven unsicher noch einen Moment, als wollten sie abschätzen, ob sie es mit ihnen aufnehmen konnten. Unterdessen hatte er sich wieder zu Narcissa umgedreht, welche die Situation sicher hinter seinem Rücken beobachtet hatte - oder vielmehr seinen Rücken, wie ihr jetzt entwas befremdet bewusst wurde.
    "Zumindest nicht ohne Custodes...", antwortete sie und warf nochmals einen Blick auf die zwei Bettler, die immer noch unsicher verharrten, dann wohl aber entschieden, dass es besser war, keinen Ärger anzufangen und mit runden Rücken schlurffend abzogen. Lächelnd sah sie ihm wieder ins Gesicht. Das Lächeln spiegelte sich auch in ihren grünen Augen wider. "Vielen Dank für Deine Hilfe! Man kann wohl guten Gewissens behaupten, dass du uns beide so eben heldenhaft gerettet hast...Ich bin Aurelia Narcissa und das ist meine Leibsklavin Lysandra", Sie deutete auf die junge Frau neben sich, die folgsam den Kopf neigte. "Dürfte ich auch den Namen meines Retters erfahren?", erkundigte sie sich.

    "Gut Ding, will gut Weile haben - heißt es nicht so?", meinte Narcissa aufmunternd und fügte ermutigend hinzu: "Ich glaube diese Räumlichkeiten waren eine gute Wahl...Du wirst viel darauß machen können." Auch die Lage des Ladens schien ihr günstig zu sein. Noch nicht allzu weit entfernt des nächstgrößeren Marktes, aber doch etwas abseits des größten Trubels.


    Sichtlich erfreut trat Narcissa näher an jenen Tisch heran, auf welchen der Sklave gerade im Begriff war, die ersten Schriften herauszulegen. Schon jetzt begannen ihre Fingerspitzen zu kribbeln, waren neugierig darauf, den Papyrus zu streifen. Es war immer dasselbe. Dieselbe Unruhe, dieselbe spannungsvolle Erwartung. Ein Fluch! Für gewöhnlich verabschiedete sich Narcissas Vernunft sobald es darum ging neue Bücher zu erwerben. Es ging nicht einmal darum, sie unbedingt zu lesen - sie besaß zahlreiche Schriftstücke, die sie noch nicht gelesen hatte -, es ging darum sie zu besitzen, sie ihr eigen zu nennen. Sammelten andere Frauen Unmengen von Sandalen, Schmuck oder Kleider, so sammelte sie Schriftrollen. Sie liebte deren Geruch, das raue Gefühl unter ihren Fingern, wenn sie darüber strich - Vielleicht hätte sie doch Lysandra mitnehmen sollen. Die hätte bestimmt auf sie aufgepasst. Oder besser gesagt, auf ihren Geldbeutel. Eine Frage riss sie aus ihren Gedanken. Sie kannte Marcus? Natürlich kannte sie ihn! Immerhin war er Pontifex und Auctor der Acta. Der Mann war gut und gern als "bunter Hund" zu beschreiben! "Ja, wir sind verwandt. Aber nicht direkt. Unsere Großväter waren Brüder" Sie dachte kurz nach, bevor sie die Verwandschaftsverhältnisse lächelnd noch näher benannte: "Also ist er eine Art Großonkel von mir...", Eine große Familie. Narcissa war dann aber doch neugierig: "Kennt ihr euch?"

    Narcissa beobachtete, wie Siv ihrem Sohn den Finger entgegen streckte und wie die kleine Hand danach griff, sich daran festhielt. Sie war stolz auf ihn. Nicht wir. Sie hörte den Trotz in Sivs Stimme. Trotz wurde entweder aus Wut, Enttäuschung oder Beleidigung geboren – oder einer Mischung aus allem. Nachdenklich betrachtete sie die junge Frau. Also war sie allein. Eigentlich hatte sie immer geglaubt, unter den Sklaven gab es so etwas wie ein Zusammenhalt. Auf die Idee, dass der Vater vielleicht gar kein anderer Sklave gewesen war, kam sie nicht. Vielleicht war es der Sklave einer anderen Familie gewesen? Vielleicht war er eiersüchtig darauf, dass Siv nun frei war...Wer konnte das schon wissen? Fragen wollte sie nicht, das wäre zu persönlich gewesen und Narcissa sah sich nicht berechtigt dazu, so weit in die junge Frau zu dringen – obschon sie es natürlich allzu gern gewusst hätte.
    Richtig, was für eine blöde Frage, schalt sie sich selbst in Gedanken. Dummes Mädchen. Natürlich war die Geburt nicht angenehm gewesen. „Was wirst du jetzt tun? Wirst du bei der Aurelia bleiben?“,

    "domina! Kommt hier entlang!", Lysandra schnappte Narcissa beim Arm und zog sie quer über den kleinen Platz in eine der kleinen abzweigenden Gassen hinein. Zu beiden Seiten ragten Häuser in die Höhe. Die Strahlen der tiefstehenden, jungen Sonne erreichten hier den Boden noch nicht. Es war frisch und düster. Schnellen Schrittes, fast schon laufend, ließen sie den Platz zurück, Lysandra voran. Die wenigen Menschen, die ihnen begegneten schauten den beiden Frauen, die nach wie vor noch von ein paar besonders hartnäckigen Bittstellern verfolgt wurden, verwundert hinterher. Eine laufende Patrizierin - das sah man unverkennbar an der feinen, golddurchwirkten dunkelgrünen Pala - das sah man in Rom selten. Die Gasse öffnete sich erneut zu einem Platz hin. Goldenen Sonnenflecken tanzten über die hellen Steinplatten. Außer Atem eilten sie aus der Gasse heraus, hinein ins Sonnenlicht und waren für einen Augenblick regelrecht geblendet. Wie auf so vielen Plätzen Roms, gab es auch hier einen kleinen Brunnen. Ein Mann saß auf dem schmalen Rand, ein zweiter stand daneben - Offensichtlich Herr und Sklave. Narcissa warf einen Blick hinter sich und sah zwei der Kerle, von denen sie schon zuvor belästigt worden war, denselben Weg nehmen. Kurzerhand steuerte sie auf den Mann am Brunnen zu. Vielleicht würden sie sie endlich in Ruhe lassen, wenn noch jemand anderes in ihrer Nähe war?! Einen Mann würden sie doch wohl kaum so penetrant bedrängen? Als Narcissa ihn erreichte, da hatten die zwei Bettler schon die Hälfte des Platzes überquert. Unauffällig "versteckte" sie sich hinter dem jungen Mann, indem sie ein paar Schritte entfernt von ihm am Brunnen stehen blieb und sich von Lysandra ein angefeuchtetes Tuch geben ließ. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie die zwei Bettler... Sie würden es doch nicht wagen?! Sie wagten es..."Mäuschen, möchtest du uns nicht ein bisschen Kleingeld geben?", sprachen sie die junge Aurelia reichlich unrühmlich an und entblößten zwei Reihen schwarzer, modriger Zähne, als sie die Mäuler zu einem schiefen Grinsen aufrissen...

    "Ja, domina!", antwortete Lysandra monoton, wobei nicht ersichtlich war, ob sie damit nun die "eigene Schuld" oder die Anweisung Floras meinte. Jedenfalls drückte sie das Handtuch so fest sie konnte auf die doch eigentlich recht kleine Wunde. Unterdessen sammelte Narcissa das Messer und den Beutel mit Sytrax ein. Beides verstaute sie in einem kleinen Kästchen, dass sie neben einem der Sessel gefunden hatte. Als sie wieder zu den beiden zurückkam, war Lysandra immer noch reichlich blass um das Näschen. Kurzerhand holte sie einen der Weidenkörbe heran und wies die Sklavin an, sich zu setzem. So von den beiden Zwillingen bewacht, erwarteten sie Cimons Rückkehr. er ließ nicht sehr lange auf sich warten, drückte erst der Sklavin einen Becher Wasser in die Hand und reichte das Verbandszeug dann Flora. "Wir sollten den Fund Titus zeigen...", bemerkte Narcissa, während sie zusah, wie ihre Schwester Lysandras Hand verband....