Beiträge von Marcus Germanicus Pius

    Mit großen Augen verfolgte er Venas Erzählung und der Gefahr eines Wolfes für einen eingeklemmten Esel. “Hast du schon mal einen echten Wolf gesehen?“ wollte er dann wissen und an der Art, wie er die Frage stellte, war zu erkennen, dass er noch nie einen gesehen hatte. Die Korrektur nahm Marcus hin. Verzweifelt. Er würde es sich merken.
    “Ich kann ja schon schreiben. Paullus hat es mir gezeigt. Wenn er verkauft hat, sollte ich schreiben. Er hat gesagt, so bin ich beschäftigt und lerne auch.“ Paullus konnte zwar schon etwas schreiben, aber geübt war er darin noch lange nicht. SeiN Schriftbild war ein Graus! Außerdem schrieb er eine eigene Sprache, ein noch sehr, sehr fehlerhaftes Latein mit so einigen spiegelverkehrten Buchstaben etc. Der Vorschlag mit dem Besuch war grandios! “Au ja! Und Sabina nehmen wir auch mit! Das macht bestimmt ganz viel Spaß. Können wir morgen nach Ostia gehen?“ Sehnsucht klang in der Kinderstimme mit.


    Er nickte ernst und legte einen Finger vor die Lippen. “Hast du auch schon mal Geister gesehen?“ Er überlegte kurz. “Sie haben mir Angst gemacht. Warum tun sie das denn? Und was sind Geister?“

    Aufmerksam zuhörend, entwickelte der Knabe aus Sedulus Antwort gleich einen Schwall neuer Fragen. “Du hast auch Freunde bei der Prima?“ Immerhin wusste er, dass man so die Legionen nannte, aber das wusste wahrscheinlich jedes Kind. “Was ist ein Tribunat? Müssen dass die Tribune machen? Und warum hast du gegen Valerian gekämpft? Du hättest ihn doch verletzen können! Und was ist ein Probatus und warum sind sie gemeine Legionäre? Ich glaube nicht,dass Valerian mal gemein und fies gewesen ist!“


    “Au, fein! Das muss ich Valerian erzählen!“ Seine Begeisterung geriet kurz ins Schwanken, aber er überging es einfach, weil Sedulus plötzlich anfing zu lachen. Marcus fragte sich warum, erfuhr aber sogleich was so lustig gewesen war. Er grinste und zuckte dann mit den Schultern. “Valerian hat gesagt, mit dem Laufen trainiert man die Ausdauer.“

    Marcus kicherte. “Er wollte, dass ihr ihn findet. Er war ganz zerzweifelt!“ Da er das Wort selten benutzte, bemerkte er nicht, dass sich ein Fehler eingeschlichen hatte. Wieder kicherte er. “Iiiii-Aaaa!“ Doch aus Marcus Mund kam es nur ganz leise.
    Vena kam auf seinen Bruder zu sprechen. Marcus sah von ihr weg in das Dunkel des Zimmers. Er nickte leicht. “Aber er kommt ja bald wieder zu Besuch.“ Natürlich vermisste er seinen Bruder. Er war nie getrennt gewesen von ihm und nun lebten sie sogar in unterschiedlichen Städten. So konnten sie nur noch sehr selten herum blödeln und sich raufen. Der Wunsch, auf der Stelle Paullus sehen zu wollen, war groß und machte den Knaben traurig. Doch das wollte er sich nicht anmerken lassen. Also sah er Calvena wieder an. Nachdenklich Gar ein wenig durchringend. “So doll, wie du deine Ziehgeschwister vermisst.“ Das hatte er im Gespür, aber mehr auch nicht.
    Von jetzt auf gleich war der Knabe wieder in der gruseligen Erinnerung. “Ja!“ bestätigte er flüsternd. “Ich glaube schon, dass es Geister waren. Paullus hat gesagt, ich soll so einen Unsinn nicht denken, aber er hat nicht gehört, was ich gehört habe… Sie waren überall und haben geraschelt!“

    “Wie lange denn schon nicht mehr?“ wollte Pius wissen, als Sedulus sagte, dass er schon ewig kein Gladius mehr geführt hatte. Der Begriff „Ewigkeit“ hatte für ein Kind etwas Nichtssagendes, so wusste er damit auch prompt nichts anzufangen. Dann zuckte er locker mit de Schultern und lächelte Sedulus munter an. “Aber das macht nichts! Dann üben wir einfach zusammen, bis du dich wieder erinnern kannst, wie es geht.“ Also für Pius klang das nach einer Menge Spaß!
    Mit einem Mal wurde der Junge dann jedoch wieder nachdenklich. Er runzelte die Stirn, während er Sedulus musterte. “Möchtest du denn auch 10 Runden im Hortus laufen und alle zwei Runden fünf Liegestütze machen, damit du wieder kräftig wirst?“


    Ui, nun wurde er auch noch gelobt. Sedulus schien gar nicht so streng zu sein. Die Freude über das Lob stand dem Kind auf das Gesicht geschrieben. Er hatte schon längst vergessen, weshalb er eigentlich hier war, fand das aber mit Sicherheit gar nicht schlimm. “Dann übe ich besser nur im Hortus. Ich möchte nicht eingesperrt werden.“

    Pius war kein Sklave (auch wenn er sich manchmal wie einer vorkam, wenn Bia ihn zum Lesen und Schreiben zwang) und doch vollbrachte Laevinas Tonfall bei ihm auch etwas. Er sah auf das Schneckenhaus und befand, dass seine Notlüge wirklich nicht sehr originell gewesen war. Allerdings weckte diese Tatsache erst seine Kreativität. Er schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Seiten. So wirkte er jetzt glatt etwas trotzig.


    “Das Schneckenhaus ist natürlich nicht durch die geschlossene Tür gefallen. Das ist doch Unsinn!“ Er äffte Bias Tonfall nicht ohne Grund nach, weil er befürchtete, dass Laevina sonst das Rattern in seinem Kopf hören könnte. “Die Tür stand nämlich schon offen. Der Februarius hat doch nur noch wenige Tage, oder? Das heißt, dass Saldir alle Zimmer gründlich putzen muss. Ich glaube, sie war gerade in deinem Zimmer oder hat es noch vorgehabt. Aber als mir das Schneckenhaus herunter fiel, war sie nicht hier.“ Es ab ja wirklich einiges, was den Jungen in Verlegenheit bringen konnte. Situationen, die eine Notlüge bedurften, gehörten dazu jedoch nicht. Er musste nachher nur schneller als Laevina bei Saldir sein und sie bestechen, damit sie mitspielte.

    Auch Marcus musste kicher. Die Vorstellung war wirklich lustig. Er konnte sich vorstellen, dass es nicht einfach gewesen war, den Esel zum Rückwärtsgehen zu bewegen. “Da hatte Pamuk aber Glück, dass ihr ihn gefunden habt. Allein wäre er bestimmt für immer zwischen den Bäumen gefangen gewesen.“ Ausnahmsweise fiel es dem Knaben nicht schwer leise zu sprechen.
    Nun nickte der Knabe, was man kaum sehen konnte, da er so eingekuschelt dalag. Seine Füße waren wieder warm geworden. “Ja, war ich schon einmal.“ Die Erinnerung an die Nacht im Wald machte dem Jungen eine Gänsehaut. “Paullus wollte nach Mantua gehen. Wir hatten nur ein Pferd, das unsere Sachen getragen hat, wir mussten den ganzen Weg laufen. Einmal haben wir uns auch verirrt. In einem Wald gab es einen Trampelpfad und wir dachten, dass das der richtige Weg ist. Aber der Pfad hatte kein Ende. Wir sind gelaufen, bis es dunkel wurde und dann sind wir umgedreht, weil Paullus sagte, dass wir die Nacht besser nicht im Wald verbringen. Aber es war sooo dunkel, dass wir den Weg nicht mehr sehen konnten.“ Er hatte flüsterleise gesprochen und sah Vena erneut mit großen, etwas ängstlichen Augen an. Er fürchtete sich nicht, er wollte nur für Stimmung sorgen.

    “Schade“ maulte Marcus etwas. Die Aussicht, mit den echten Soldaten zu trainieren, hatte ihm gefallen. Allerdings war es auch nicht schlecht mit Valerian im Hortus zu üben. Bestimmt bekam ein kleiner Junge wie er es war nicht allzu häufig Hilfe beim Training von einem echten Centurio von den Praetorianern.


    “Du magst mit uns üben?“ fragte der Knabe dann sogleich begeistert, als Sedulus etwas sagte, das sich ganz danach anhörte. “Ui, das wird bestimmt toll! Du kannst bestimmt gut kämpfen!“ Schließlich war Sedulus ja bei den Urbanern gewesen.


    Nachdenklich musterte Marcus eine kleine Büste auf Sedulus‘ Tisch. “ Ach so. Weil die Soldaten das Schwert für ihren Beruf brauchen, dürfen sie es tragen. Aber wir brauchen ja kein Schwert, deswegen dürfen wir es auch nicht tragen.“ Das war schlüssig, er würde es sich merken.

    Marcus grinste. Bia sagte auch immer, dass er nur Flausen im Kopf hatte. Für ihn war die Sache einfach: Wenn bei ihm Flausen im Kopf wuchsen, dann konnte er ja schließlich nichts dafür!


    Dann nickte er. Der Hortus bot sich wohl wirklich besser an zum Schnítzen und Üben als sein Cubiculum. Zumal er ja angehalten war, im Haus ruhig zu sein. “Wenn er keinen Ärger bekommt, könnten wir ja auch in der Castra üben. Dann mache ich einfach bei den Soldaten mit.“ Dass das wirklich nicht möglich war, konnte ein Kind ja schon mal vergessen, wenn es immerhin schon mal auf dem Exerzierplatz gestanden hatte und das erst kurz zuvor.


    Wie er sich auf seine Übungsstunden freute! Am liebsten hätte er ja sogleich angefangen, doch Sedulus ließ die Chance nicht verstreichen, dem Jungen gleich eine neue Regel geläufig zu machen, nämlich dass Schwerter innerhalb der Stadtmauern Roms nicht mitgeführt werden durften. Das verstand er nun aber nicht.


    “Die Regel verstehe ich nicht. Die Praetorianer tragen doch Schwerter. Ich habe es selbst gesehen! Ich bin dem Trupp gar nicht weit von hier begegnet und sie waren alle bewaffnet! Deswegen bin ich ihnen ja gefolgt.“

    Geschafft! Als die junge Germanica sich anschickte, dem Jungen eine Geschichte zu erzählen, kuschelte er sich noch tiefer in die wärmende Decke und sah sie gebannt an. Er war sehr gespannt, was sie ihm erzählen würde, und ob die Geschichte gruselig, lustig, traurig oder spannend werden würde. Ersteres oder letzteres wäre ihm ja am liebsten gewesen, aber für heute Abend nahm er sich vor nicht rumzunörgeln, wenn die Geschichte anders ausfiel, als er sich das vorgestellt hatte.


    Calvena erzählte ihm von einem Esel namens Pamuk. Vor Marcus innerem Auge wurde das Tier wahrhaftig lebendig und er sah die Kinder auf seinem Rücken sitzen, während Pamuk gutmütig und gemütlich dahin trottete. Die Vorstellung entlockte dem Kind erneut ein Lächeln, bis sich die Geschichte dem Versteck zuwandte, dass Calvena und die anderen Kinder gebaut hatten. Der dumme Esel verlief sich natürlich und während der Nacht musste er gesucht werden. In einem dunklen, finsteren Wald. Wie gruselig! Es wurde spannend. Für seinen Geschmack war die Erzählung jedoch viel zu schnell zu einem Ende gekommen. Oder ging die Geschichte noch weiter?


    “Habt ihr es geschafft, Pamuk zu befreien?“ fragte er gespannt nach und machte große Augen. Nun flüsterte er. “In einem Wald ist es nachts sehr dunkel und man hört viele seltsame Geräusche. Es ist gefährlich.“

    Marcus war fasziniert. Die Besichtigung der Gehege fing bei einer schwarzen, großen Katze an, deren Namen Marcus nicht gewusst hätte. Sabina deutete auf unruhig wirkende Tier und nannte es Panther. “Das ist ja ein schöner Panther! staunte der Knabe voller Begeisterung für die Eleganz der Raubkatze und trat so nah es ging an das Gehege ran – eben so weit, wie Calvenas fester Griff um seine Hand es zuließ. “Wo kommt der Panther her? Und was frisst er? Frisst er auch Menschen? Er ist so groß, dass er bestimmt einen ganzen Menschen verdrücken könnte, nicht?“ fragend sah Marcus von Vena zu Vitale und wieder zurück. Der Panther hatte es ihm angetan. Dieses schimmernde Fell und die weißen, gefährlichen Zähne brannten sich in sein Gedächtnis.


    Das nächste Gehege beherbergte Gazellen. Diese weckten nun weniger das Interesse das Jungen. Sie waren zu ungefährlich, so spähte er bereits in das nächste Gehege und sah schließlich Vitale an. “Ja! Können wir die Tiere hier denn auch füttern? Ich habe noch ein Stück trockenes Brot dabei!“ Die Notreserve in seinem Beutelchen. Ob die dem Panther schmecken könnte?

    Calvenas Tonfall veränderte sich etwas, aber ein Kind, das sehr sensibel war, konnte es wahrnehmen. Mit den Geschwistern hatte er anscheinend ausgerechnet ein Thema erwischt, das die junge Frau traurig stimmte. So sagte der 6-jährige erst einmal nichts, sondern beobachtete den Ausdruck auf dem Gesicht der Germanica, um daraus zu deuten, was nun kommen würde. Er war in dieser Disziplin Meister, wie die meisten Kinder auch. Es war die einzige Waffe, die ihm noch blieb, wenn die Laune eines Erwachsenen zu kippen drohte. Und das konnte manchmal sehr schnell gehen und sehr unerwartet kommen.


    Er lauschte ihren Worten und da sie am ihrem Ende sogar lächelte, wähnte der Junge sich und seinen Geschichtenabend in Sicherheit. Auch auf sein Gesicht stahl sich ein kleines Lächeln, das aber wieder verschwand, als Vena andeutete, wie schlimm ihr Traum gewesen sein musste. Umso froher war er, dass er sie aufgeweckt hatte. Er und nicht Valerian.


    “Ja, bitte. Irgendeine!“ munterte er sie schließlich auf. Er war wirklich nicht anspruchsvoll, was Geschichten anging. Aber es lag ihm doch sehr am Herzen, etwas über Vena zu erfahren. Schließlich wusste er wirklich wenig von ihr. “Vielleicht eine Geschichte von den Abenteuern, die du mit deinen Ziehbrüdern und –schwestern erlebt hast?“

    Sein Charme tat das Übliche – er brachte einen Erwachsenen Menschen dazu, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Nicht allzu selten hatte er damit Erfolg. Nun durfte er nur nicht allzu deutlich zeigen, dass er sich dem sehr bewusst war. Aber auch darin war er geübt. So behielt er seinen unschuldigen Blick bei, lächelte dann aber, als Vena ihm eine Decke hervorholte und ihm dabei half, es sich bequem zu machen.


    Schließlich lag er eingekuschelt neben ihr und sah Vena aufmerksam an. Sie war einfach ein toller Mensch und so lieb. Sie war erst einmal streng mit ihm gewesen und das zurecht.


    “Ich weiß nicht recht“ überlegte er laut und stützte seinen Kopf auf eine Hand auf. “Vielleicht eine Geschichte von dir. Hast du eigentlich einen Bruder oder eine Schwester?“ Er überlegte. War es wohl gescheit, sie zu fragen, was sie geträumt hatte. “Oder du kannst mir erzählen, was du geträumt hast. Es war kein schöner Traum, richtig? Paullus sagt, wenn man seinen bösen Traum jemanden erzählt, vergeht die Angst ganz schnell.“

    Das Kind simulierte den Fall der Sklavin im fremden Zimmer ein paar Mal, immer noch spektakulärer als das Mal zuvor, als ihn eine empörte Stimme anfuhr. Das Schneckenhaus fiel zu Boden und der Blick des Jungen schnellte zu der eintretenden Gestalt herum. Voller Entsetzen erkannte er, wer ihn da entdeckt hatte. Ausgerechnt Leavina, von der er schon so viel Schlimmes gehört hatte. Sabina hatte sogar mal gesagt, dass man der Alten nicht wissen konnte, ob sie kleine Kinder frühstückte.


    Unsicher schielte Marcus umher und trat von einem Fuß auf den anderen. “Ähm…. Ich….“ Verflucht! Sein Kopf wollte nicht denken. Intuitiv sah er auf den Boden, entdeckte das Schneckenhaus und hob es rasch auf. Die bunte Farbe hatte ihm blitzschnell eine Idee geliefert. Er umschloss das Schneckenhaus mit der Faust.


    “Ich habe draußen gespielt. Mit meinem Schneckenhaus, das Sabina mir geschenkt hat. Es ist mir heruntergefallen und ganz von allein in dein Zimmer gepurzelt.“ Sein Gesichtchen wollte einen unschuldigen Ausdruck zeigen, doch die Angst verzerrte es etwas. Das Zucken der Schultern war kaum mehr zu erkennen. “Ich wollte es nur schnell holen.“ Letzteres klang fast wie eine Frage, weil die Kinderstimme gen Ende hin in die Höhe ging.

    Sie schreckte hoch und er mit ihr, wie als hätte ihn die plötzliche heftige Bewegung angesteckt. So, wie er sich erschreckt hatte, sah er sie erst einmal einen ganzen Moment wie erstarrt an. Nachdem der erste Schrecken verdaut war, wartete er ab, ob es ein Donnerwetter geben würde, denn er wusste eigentlich, dass man nicht des Nächtens einfach in irgendwelche Räume spazierte, in denen jemand schlief. Gerade nicht bei Frauen.


    Aber Aculeo war in Ostia – zu wem hätte er also sonst gehen können? Calvena war ihm von all den neuen Verwandten am meisten ans Herz gewachsen. Neben Sabina, aber die schlief immer viel zu fest, als dass er sie hätte aufwecken können, ohne gleich das ganze Haut mit aufzuwecken.


    Er schüttelte leicht den Kopf, als sie ihn fragte, ob er nicht schlafen konnte, und entledigte sich gleichsam scheinbar mit der Befangenheit, die ihn kurzzeitig ergriffen hatte. “Es ist so dunkel und ich bin nicht müde“ flüsterte er und sah Vena zu, wie sie sich aufsetzte. Er setzte sich kurzerhand neben sie und hob die Füße vom Boden. Sie waren eiskalt. Von der Seite her sah er sie wie ein treuer, trauriger Welpe mit großen Äuglein an. “Du könntest mir eine Geschichte erzählen. Oder ich erzählte dir eine, aber ich glaube, du kannst das besser.“

    Auch wenn der Senator das mit den Flausen bestimmt nicht ernst meinte, denn er grinste so lustig, fand Pius es wichtig, ihm darauf zu antworten.


    “Aber er hat mir keine Flausen in den Kopf gesetzt. Er hat mir nur meine Fragen beantwortet.“ Er zuckte schlacksig mit den zierlichen Schultern. “Dann waren die Flausen wohl eher schon von alleine in meinem Kopf.“


    Nun nickte der Knabe aufgeregt. Sedulus fand die Sache mit dem Gladius offenbar genauso interessant wie er selbst. Dummerweise kamen seine zwei Fragen dazu etwas zu unerwartet. Wer musstekurz nachdenken.


    “Dazu treffen wir uns hier. Ich habe ja auch Hausarrest, also geht es gar nicht anders.“ Kinderlogik aber wahr. Dann fiel ihm ein, was Valerian ihm zum weiteren Verlauf des Trainings gesagt hatte. “Aber wo wir üben werden, darüber haben wir nicht geredet. Valerian hat gesagt, ich soll erst einmal stärker werden und Geduld zeigen. Hm. Vielleicht können wir ja in meinem Cubiculum üben, damit wir niemanden stören.“ Erwachsene flogen auf Naivität, vielleicht ja auch der Senator.

    Der Knabe betrachtete das Gesicht der Schlafenden genauer. Es hatte nichts Friedliches an sich. Es schimmerte kaum merklich und die Nasenflügel hoben und senkten sich unregelmäßig. Die feinen Augenbrauen zuckten einmal deutlich, dann verharrten sie wieder in vollkommener Ruhe. Sie kuschelte sich noch tiefer in ihre Kissen.
    Träumte sie etwa? Dann war das aber wohl kein schöner Traum. Ihr Atem ging immer härter und sie murmelte sogar etwas, das er jedoch nicht verstehen konnte. Ob sie sich gerade fürchtete, wie er sich eben noch?


    Kurzentschlossen streckte sich eine Kinderhand nach Calvenas Schulter aus, berührte sie dort ganz sacht und zog sie dann gleich wieder weg. Er fand den Gedanken ganz unerträglich, dass seine Calvena sich fürchtete. Er wollte nicht, dass sie Angst hatte, wollte nicht, dass ihr irgendetwas zustieß – und war es auch nur in ihren Träumen. “Calvena?“ wisperte der Kindermund kaum hörbar dabei, weil er sie nicht erschrecken wollte.

    Der Flur war zu einem Problem geworden. Im matten, zuckenden Schein der Lampen waren die Mosaike und Skulpturen zu Leben erwacht und hatten ihn mit aufgerissenen Mündern angestarrt und ihn mit ihren leeren Blicken verfolgt, bis ihn das rettende Schwarz eines fremden Zimmers verschluckte.


    Er kannte die Tür, durch die er sich beinahe mucksmäuschenstill stahl, ohne vorher angeklopft zu haben. Drinnen empfing ihn Dunkelheit und Stille. Eigentlich war es hier nicht weniger furchterregend, doch lag der vertraute Geruch einer gemochten Person in der Luft, der die Schrecken der Finsternis mühelos vertrieb.
    Sie schlief bestimmt. Er lauschte kurz konzentriert und hörte, wie sich jemand herumdrehte. War sie erwacht? Nein, offenbar nicht, zumindest hatte sie ihn dann nicht bemerkt. Also trat Pius näher an das Bett heran. Nun konnte er die Person erkennen, die dort schlief.

    Schlafenszeit war eine verhasste Zeit. Er gehörte zu den Kindern, die abends schwer müde wurden und in den Schlaf fanden, zu energiegeladen war er. Der unbändige Bewegungsdrang hielt ihn auch diesen Abend wieder wach. Er konnte nicht still liegen. Zuerst kitzelten ihn seine Fußsohlen, dann zwickte ihn etwas hinterm Ohr und überhaupt kribbelte es abwechselnd überall. Seit einigen Minuten, vielleicht auch schon länger als eine Stunde, wälzte er sich herum und dachte an das Erlebte der vergangenen Tage und die Dinge, die er noch alle entdecken wollte. Kurzum: Es gab keinen Weg in den Schlaf. Alle Wege führten zurück ins Wachsein.


    Und das war er auch immer noch. Hellwach. Also rutschte er langsam und leise unter der Decke hervor und aus dem Bett heraus. Nackte Füße berührten den kalten Boden, dann stand er und verharrte in Starre, um zu lauschen, ob eine meckernde Bia angerannt kam. Das drohte sie nämlich immer an. Schlafen oder es gibt was! sagte sie immer streng, wenn Marcus nach einem Lied gleich ein weiteres forderte, weil er noch nicht müde war.


    Aber eine Bia kam nicht angestürmt. Insgesamt war es still in der Casa. Ganz so, als schliefen schon alle. Mit einem Grinsen setzte sich der Knabe in Bewegung, auf Zehenspitzen und im Dunkeln, aber zielstrebig hinaus aus seinem Cubiculum in eine ganz bestimmte Richtung.