Mein lieber Bruder,
Ich muss dir nicht sagen, wie sehr es mich geschmerzt hat, dass du nicht hier in Rom warst, um mich zu begrüßen. Mein Verstand sagt, dass es richtig war, dass du gegangen bist, um deinen Aufgaben nachzukommen. Mein Herz, das Herz einer Schwester, kennt nur die Enttäuschung. Zu gern hätte ich mit dir die Ereignisse der letzten paar Tage geteilt. Der Tag nämlich, an dem ich nach Rom kam, war alles andere als langweilig. Ich fürchte, die nächsten Zeilen werden dich etwas beunruhigen – wahrscheinlich wirst du die Brauen heben, wie du es immer tust, und sie verwundert ein zweites Mal lesen. Aber bitte mach dir keinen Sorgen! Mutter hatte mir ja Sophie mit nach Rom geschickt und gab ihr eine Wegbeschreibung zur Casa Iulia. Leider erwies sich die als nicht ganz so gut, sodass wir auf einem Markt hielten, damit Sophie jemanden nach dem Weg fragen konnte. Sie verschwand und ich wartete. Und wartete. Und wartete. Zwischen durch sagte ich mir, Cara bleibe ruhig! Du bist so ungeduldig! Aber nachdem ich dann wirklich fast eine halbe Ewigkeit dort gestanden hatte, entschloss ich mich nach ihr zu suchen. Ich schritt den ganzen Markt auf der Suche nach ihr ab, aber konnte sie nirgends finden. Um ehrlich zu sein, mein erster Gedanke in dieser Situation war, dass sie wohl getürmt ist. Anders konnte ich mir ihr Verschwinden leider nicht erklären. Noch konnte ich dem Ganzen aber nicht nachgehen, weil ich natürlich erst einmal zur Casa Iulia gelangen musste. Ich fragte also einen Passanten – und du glaubst es nicht, an wen ich geriet! Senator Aurelius Ursus! Ich weiß nicht, ob dir der Name etwas sagt. Aber unser Vater hätte ihn ganz gewiss gekannt. Die beiden trainierten nämlich zusammen, als der Senator sein Tribunat in Germanien ableistete. Er hatte eine sehr hohe Meinung ihm. Dieser Senator nahm sich meiner nun also an – ich bin ihm wirklich dankbar dafür und werde mich bei den Göttern für diese Wohltat bedanken. Und er brachte mich sicher zur Casa. Ich bin mir sicher, dass er dafür sogar extra einen Umweg in Kauf nahm. Lucius war zunächst überrascht, als er mich mit dem Senator in seinem Tablinum stehen sah, und dann wenig angetan davon, dass ich allein in Rom unterwegs war. Aber ich konnte doch wirklich nichts dafür! Ich äußerte auch gegenüber dem Senator, dass ich befürchte, Sophie sei geflüchtet. Er ermahnte mich daraufhin aber, dass ich nicht voreilig Vermutungen anstellen soll. Er hat Recht, auch wenn es mir nach wie vor schwer fällt zu glauben, Sophie habe sich auf dem Markt verirrt. Lucius bot an, bei seinen Sklaven nachzufragen, ob Sophie vielleicht noch nachgekommen ist. Ich hoffe es wirklich! Inzwischen ist auch eine weitere Verwandte hier in Rom eingetroffen. Iulia Corona heißt sie und sie ist in Begleitung ihrer Mutter Lucia. Ich habe Mutter das eine oder andere Mal ihre Namen erwähnen hören, hatte aber einen sehr zwiespältigen Eindruck in das Verhältnis der beiden. Es steht wohl nicht zum besten, andererseits erscheint es mir so, als sei Mutter enttäuscht – weshalb auch immer. Jedenfalls hat sie Lucia einen Brief geschrieben. Das hat Corona mit erzählt, als wir letztens zusammen einkaufen waren (ich weiß schon was du jetzt denkst, Bruder: Hoffentlich verwahrt Lucius seine Goldmünzen gut...Aber keine Sorge! Corona hat sich als eine unglaubliche Händlerin herausgestellt. Wie eine Löwin hat sie gefeilscht und mit großem Erfolg gewonnen...). Lucia zeigte sich davon wohl alles andere als begeistert. Ich frage mich wirklich, was zwischen den beiden wohl vorgefallen ist, dass sie sich nicht mehr ausstehen können... Oh, und rate mal, wer noch seinen Weg in die Ewige Stadt gefunden hat!...Einst gehörte er zu unseren engsten Freunden. Bis zu jenem einen bestimmten Tag...Errätst du es, Bruder? Richtig! Kaeso Iulius Vestinus! Dieser Schurke, der unwürdig ist, den Namen unserer geliebten Familie zu tragen hat sich in der Casa wie ein Parasit eingenistet. Um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, wie er selbst sagt. Ich dagegen glaube ihm kein Wort! Sein einziges Ansinnen wird sein, Schande über die Familie zu bringen. Etwas anderes kann dieser Familienzweig ja schließlich nicht. Onkel Clemens ist so ein furchtbarer Mann – letztendlich hat ihn seine eigene Boshaftigkeit dahingerafft. Du hast bestimmt schon Nachricht von seinem Tod erhalten. Wenn du mich fragst, dann führt auch sein Sohn nichts gutes im Schilde. Der Kerl scheint mich zu verfolgen – aber ich werde ihm die Stirn bieten! Hier in Rom ist nicht Platz für uns beide! Er wird noch sein blaues Wunder erleben! Im Fall Sophie gibt es im Übrigen auch Neuigkeiten. Letztens habe ich den Maiordomus aufgesucht. Er scheint mir ein fähiger, gewissenhafter Mann zu sein, dennoch konnte er Sophie nicht ausmachen. Der Ägypter zeigte sich ganz geknickt, als er seine Befürchtungen hinsichtlich einer Flucht äußerte. Mir blutete das Herz, wenn ich daran denke. Wie konnte Sophie mich nur so verraten? Ich bin nicht einmal wütend – nur furchtbar enttäuscht! Ich habe ihr schließlich vertraut und meine, dass sie es bei mir nie schlecht gehabt hat. Lucius hat sich nun der Sache angenommen. Ich vertraue ihm. Er ist wirklich ein ganz netter Kerl. Natürlich noch jung und manchmal hat er ehrlich gesagt eine sehr merkwürdige Auffassung von Humor, der es liebt mich an die Decke gehen zu lassen. Das Verhältnis zu ihm ist zeitweise etwas schwierig. Im Allgemeinen habe ich ihn sehr gern. Er versucht es mir hier so einfach wie möglich zu machen und kümmert sich um mich, da du dieser Aufgabe ja entflohen bist. Andererseits, er ist der Hausherr. Ihm – und Marcus natürlich – obliegt das Wohl unserer gens. Das bringt automatisch auch Spannungen mit sich. Zuweilen habe ich den Eindruck, er ist tatsächlich so etwas wie ein guter Freund für mich, aber dann setzt er bereits im nächsten Moment die Maske des herrischen Hausherrn auf, sodass ich ganz verwirrt bin und für einen Atemzug gar nicht mehr weiß wie ich reagieren soll. Auch bin ich mir im Moment nicht so sicher, was er damit bezweckt mich nach drei Monaten Aufenthalt hier in Rom zurück nach Mogontiacum zu schicken. Ich soll eine gute Tochter sein, sagt er. Vermutlich hat er meinen Postausgang kontrolliert und festgestellt, dass ich Cretica noch keinen einzigen Brief geschrieben habe. Ehrlich gesagt reiße ich mich auch nicht gerade darum! Aber jetzt zurück nach Hause?! Ich fürchte der Grund ist, dass es unserer Mutter nicht so gut geht. Sie hat ja nun doch schon einige Winter auf den schmalen Schultern. Obschon es mir widerstrebt zurück zugehen, mache ich mir doch Sorgen. Wir – Corona wird mich begleiten und Lucius´ Maiordomus – werden während der Zeit übrigens bei einem Freund der Familie unterkommen. Marcus Decimus Livianus. Ich habe schon von ihm gehört. Ein wichtiger Senator, der nun einen Posten bei der Legio in Germania inferior angenommen hat. Ich weiß nicht, weshalb uns Lucius zu ihm schickt. Meiner Ansicht nach kann das nur bedeuten, dass es um Creticas Gesundheit nicht sehr gut bestellt ist. Ich bete dafür, dass ich mich irre... Bitte schreib mir bald, mein lieber Bruder! Ich lechze nach jedem kleinsten Wörtchen von dir! Vergiss mich nicht, auch wenn du im Moment so unglaublich fern von mir bist. Ich vermisse dich schrecklich! (Und hoffe, dass dich das schlechte Gewissen dafür verfolgt!). Ich werde dir schreiben, sobald ich kann!
Ich umarme dich!
Cara