Beiträge von Flavia Nigrina

    Nigrinas Blick ruhte einen Augenblick auf den beiden Männern, als Prisca sie ihr auf ihre Frage hin vorstellte. Tiberier. Ein feines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als die Aurelia weitersprach und anbot, sie bekannt zu machen. „Wie ich ihn finde? Nun… durchaus ansprechend. Soweit ich das auf die Entfernung beurteilen kann.“ Sie schmunzelte leicht. „Wenn es dir nichts ausmacht, mich bekannt zu machen – sehr gerne, lass sie uns begrüßen.“ Tiberius Durus. Der Name sagte ihr etwas, nur kam sie im Moment nicht gleich darauf, und bevor sie weiter überlegen konnte, welche Position er wohl innehaben mochte – und wie wichtig er damit wohl war – sprach Prisca über das Rennen. „Vorbei, tatsächlich? Oh, das ist mir auch nicht aufgefallen…“ Sie sah sich ein wenig suchend um, auch wenn es sie – genauso wenig wie Prisca wohl – nicht intessierte, wer nun gewonnen hatte. Die Menschenmenge um sie herum verdünnte sich nach und nach und machte sich auf den Weg zu den Ständen oder gleich auf den Heimweg, lediglich ihrer beider Sklaven blieben bei ihnen stehen und folgten ihnen erst, als sie sich auf den Weg zu den beiden Tiberiern machten.


    Als sie dann über Theater sprachen und Prisca zu strahlen begann, lächelte Nigrina erfreut zurück. Dieses Treffen wurde in der Tat immer besser, fand sie. Es war angenehm, mit der Aurelia zu plaudern, und Nigrina ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie sich wünschte, es möge auch so weiter gehen. So wichtig ein Beziehungsnetzwerk war für gesellschaftliches Ansehen und so sehr Nigrina deshalb Bekanntschaften knüpfen wollte, war es doch weit angenehmer, wenn man mit den Menschen tatsächlich etwas anfangen konnte und nicht nur vorspielen musste, sich sympathisch zu sein. Und die ein oder andere Freundin zu haben konnte, gerade in einer Stadt wie Rom, ganz sicher nur von Vorteil sein. „Das ist eine hervorragende Idee! Zu einem gemeinsamen Theaterbesuch werde ich Aulus sicher weit leichter überreden können als zum gemeinsamen Einkaufen.“ Auch Nigrinas Gedanken gingen in die gleiche Richtung wie Priscas. Im Theater war ein intensiveres Kennenlernen möglich als beim Einkaufen, und sie würde ihren Bruder und die Aurelia besser dabei beobachten können, wie sie miteinander umgingen. Und dann machte Prisca einen Vorschlag, der Nigrina verschmitzt schmunzeln ließ – und diesen Theaterausflug noch einmal interessanter machte. „Das wäre fantastisch, wenn du das tun würdest. Eine Begleitung für mich könnte ich wohl organisieren, aber ich weiß nicht, wie interessant ein solcher Abend wird, wenn ich mit einem weiteren Verwandten auftauche – der noch dazu deutlich älter sein wird als wir. Im Augenblick gibt es nicht allzu viel junge Flavier in Rom. Wenn ich richtig informiert bin, ist mein Bruder sogar der einzige.“ Was bei den Aureliern anders zu sein schien, Priscas Worten nach zu schließen. Erneut überlegte Nigrina, ob sie nun eine Bemerkung fallen lassen sollte darüber, weswegen ihr Vater sie nach Rom geschickt hatte. Aber sie konnte sich im Augenblick noch nicht einmal an den Namen ihres Vielleicht-Zukünftigen erinnern, und das wäre mehr als nur ein wenig peinlich gewesen, hätte sie das zugeben müssen, fand sie. Darüber hinaus wusste sie weder, ob der Aurelier bereits in Rom war, noch wie weit die Verhandlungen mittlerweile gediehen waren, wie viel ihr Vater bereits brieflich hatte festlegen können und wie viel Piso überlassen blieb. Sie musste es auch nicht wissen, so lange nur alles so lief wie geplant. Aber so lange eben noch nichts wirklich fest war, war es einfach besser, den Mund zu halten. Es waren schon Geschäfte ganz anderer Art geplatzt, weil irgendjemand zu früh oder zu viel geredet hatte, und da reichte schon irgendein dummer Zufall. Und sie kannte sowohl Prisca im Besonderen als auch die Aurelier im Allgemeinen einfach zu wenig. „Meinst du denn, du kannst einen deiner Cousins überreden, uns zu begleiten? Welches Theater würdest du vorschlagen?“

    Nigrina lag ausgestreckt auf der Cline und genoss die Sonnenstrahlen, den Becher mit Saft locker in ihrer Linken, als plötzlich erneut eine Stimme in ihrer Nähe erklang. Ein Salve. Nicht Herrin. Das registrierte sie sehr wohl. Und sollte das ein Sklave sein, der sie so ansprach, würde der etwas erleben. Andererseits klang die Stimme nicht nach einem Sklaven. Höflich, charmant, aber dennoch so, als sei der Besitzer es gewohnt, dass Menschen taten, was er sagte. Dass sie ihm gehorchten. Kein Sklave sprach in diesem Tonfall, wenn ihm seine Gesundheit etwas wert war. Kein Sklave war überhaupt in der Lage, sich einen derartigen Tonfall anzugewöhnen, mit der richtigen Nuance, so dass es nicht etwa übertrieben oder lächerlich wirkte. Nein, so etwas errang sich ein Mensch nur, wenn er das dazugehörige Verhalten tatsächlich gewöhnt war – und es für selbstverständlich hielt. Langsam schlug Nigrina die Augen auf und sah hoch zu dem Mann, der bei ihr stand, und es benötigte nur eines ersten, kurzen Blickes, um ihre Vermutung zu bestätigen, dass er kein Sklave war. Sie setzte sich ein wenig aufrechter hin, brachte ihren Körper in eine Pose, die angemessener war in Gegenwart eines Mannes von ihrem Stand – selbst wenn er ein Verwandter war, und diese Vermutung lag nahe, glaubte sie doch kaum, dass ein Fremder in der Villa Flavia einfach so umher laufen konnte.


    „Salve“, grüßte sie zurück, mit einem verhaltenen Lächeln, das sich ein wenig verstärkte, als er seinen Namen nannte – und, was noch wichtiger war, seinen Titel. Furianus also. Gehört hatte sie bereits von ihm, selbstverständlich, dafür hatten sowohl ihr Vater als auch ihr eigenes Interesse an den mächtigen Männern ihrer Familie gesorgt. Und daher wusste sie auch, dass er noch nicht lange Consul sein konnte. Nigrinas Augen blitzten flüchtig auf. „Flavia Nigrina“, stellte sie sich vor. „Ich bin Aulus’ und Veras jüngere Schwester. Unser Vater Aetius hat mich erst vor kurzem nach Rom geschickt.“ Um hier verheiratet zu werden, aber das ließ Nigrina noch unerwähnt. Das konnte sie immer noch sagen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot im Lauf des Gesprächs. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass meine Glückwünsche zur Wahl nicht verspätet sind, wenn ich sie jetzt ausspreche?“

    Als die Aurelia von der Hochzeit ihres Onkels und Nigrinas Verwandter schwärmte, wurmte es die Flavia dann noch ein wenig mehr, dass ihr Vater sich gegen einen Besuch gesperrt hatte. Es klang ganz sicher danach, als ob sie etwas verpasst hätte. „Nun, ich hoffe, es wird noch einige außergewöhnliche Feste geben… die ich dann nicht verpasse.“ Sie lächelte ein wenig bedauernd. Zu schade… zu schade, dass ihr Vater nicht früher auf die Idee gekommen war, sie zu verheiraten. Sie hatte ihm schon seit Jahren damit in den Ohren gelegen – nun, nicht wirklich damit, sie zu verheiraten, aber damit, sie doch endlich, endlich nach Rom gehen zu lassen. Aber das hatte er erst jetzt zugelassen, jetzt, wo sie so gut wie vergeben war. Was Nigrina sicher nicht daran hindern würde, trotzdem ihr Leben hier zu genießen, und mal ehrlich: es war doch leichter, es zu genießen, wenn man eine römische Matrone war und schon allein dadurch einen gewissen – höheren – gesellschaftlichen Status. Wenn ihr Zukünftiger dann noch flott die Karriereleiter raufkletterte, stand einem Genießen des Lebens ihrerseits nichts mehr im Weg. Und dass er die Karriereleiter hinaufklettern würde, dafür würde Nigrina schon sorgen. Ansonsten konnte sie sich immer noch nach jemand anderem umsehen, denn: wenn ihr Mann nur auf der faulen Haut lag, würde ihr Vater ihr sicher erlauben, die Scheidung zu fordern.


    Dann musste sie grinsen, als Prisca von der Einkaufstour sprach und davon, wie ihr Bruder sich geschlagen hatte dabei. Wacker also. Den Test mit Bravour bestanden. Nigrina musterte die Aurelia einen Moment eingehender, danach forschend, ob sie das nur sagte, weil Piso Nigrinas Bruder war… oder ob sie tatsächlich einen positiven Eindruck von ihm bekommen hatte. Und zumindest von dem, was sie sehen konnte, entsprangen Priscas Worte offenbar der Wahrheit und nicht nur reiner Höflichkeit, was Nigrina einerseits ein wenig überraschte – sie kannte ihren Bruder nun mal von einer völlig anderen Seite –, andererseits freute. Gute Voraussetzungen, diese Bekanntschaft weiter auszubauen. Sie folgte Priscas Blick, als diese plötzlich woanders hinsah, und entdeckte zwei Männer, von denen der jüngere ihnen gerade zulächelte. Nun ja, Prisca vielmehr, vermutete Nigrina, denn sie kannte ja noch niemand. „Wer sind die beiden?“ fragte sie neugierig und lächelte dann. „Also, was einen Einkaufsbummel mit meinem Bruder angeht: Unterstützung werde ich dabei sicherlich nicht ablehnen.“ Sie mochte sich irren, aber sie hatte das Gefühl, dass es das war, was Prisca hatte hören wollen. Und davon abgesehen war es ja die Bekanntschaft zur Aurelia, die sie interessierte – natürlich wollte sie Rom sehen und kennen lernen, aber wenn sie das mit Prisca tat und dadurch ihre neue Bekanntschaft vertiefte, schlug sie damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Ob ihr Bruder dann dabei war oder nicht, war für Nigrina eher sekundär – wenn die Aurelia Piso gern dabei haben wollte, würde sie zusehen, dass sie ihren Bruder eben dazu brachte. Und Nigrina hatte inzwischen doch irgendwie das Gefühl, dass Prisca das wollte. Die Art, wie sie von Piso sprach, wie sie vorgeschlagen hatte, dabei zu sein… Nicht etwa, dass sie und Nigrina zu zweit losziehen könnten, falls sie das nicht mit ihrem Bruder machen wollte, sondern zu dritt… Das war natürlich lange nicht genug, um einen wirklichen Verdacht zu wecken, geschweige denn eine entsprechende Frage zu stellen. Aber es war genug, um ein Treffen zu dritt anzuzetteln und zu sehen, wie Prisca auf Piso reagierte… und umgekehrt. Nur dass sie dann dabei das fünfte Rad am Wagen wurde, wollte Nigrina ganz sicher nicht. Aber das würde sie schon irgendwie zu verhindern wissen, und sei es dadurch, dass sie von irgendwoher noch einen Kerl auftrieb, der sie begleitete. „Ich glaube die Frage ist dabei aber eher, ob er dieses Wagnis einzugehen bereit ist. Allerdings, wenn du bereits gute Erfahrungen gemacht hast mit ihm als Einkaufsbegleiter, werde ich ihm einfach damit schmeicheln. Dann kann er sicher nicht nein sagen.“ Ihr Lächeln wurde ein wenig breiter. Sie war nicht umsonst das Nesthäkchen ihrer Familie. „Theater?“ wiederholte sie dann. „Ich liebe Theater. Generell unternehme ich gerne etwas, aber Theater gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Was ist mit dir?“

    Etwas gelangweilt strich Nigrina durch die Gänge der Villa Flavia. Es galt, ihr neues Heim in Augenschein zu nehmen, kennen zu lernen. Auch wenn ihre Zeit hier von vornherein begrenzt war, das war noch lange kein Grund, sich hier erst mal hängen zu lassen. Und sie wusste ja auch nicht, wie lange die Verhandlungen dauern würden. Am Ende vermasselte Piso noch irgendetwas, was den ganzen Prozess in die Länge ziehen würde. Sie strich also durch die Gänge – selbstverständlich in Begleitung von Sklaven – und ließ sich erklären, was wo war, bis sie schließlich die Exedra erreichte und hinaus in den Garten trat. Das Wetter war traumhaft, dennoch beschloss Nigrina nach einem kurzen Rundgang, sich auf einer Liege in der Exedra nieder zu lassen. Hier konnte sie auch die Sonne genießen, und nachdem sie die Villa erkunde hatte, konnte der Garten auch noch etwas warten. Mit einem fast lautlosen Seufzen schloss sie die Augen und winkelte ein Knie leicht an. Sie war bei Vera gewesen am vorigen Tag. Und Piso hatte tatsächlich nicht untertrieben. Nigrina war… nun, sie gestand es sich ungern ein, aber sie war schockiert gewesen über den Anblick, der sich ihr geboten hatte. Vera war tatsächlich nicht ansprechbar gewesen, hatte kein Anzeichen gegeben, dass sie ihre Anwesenheit überhaupt bemerkt hatte. Das gefiel Nigrina naturgemäß überhaupt nicht, und obwohl sie wusste, welch enges Verhältnis Vera und Piso miteinander verband, hatte doch ein winziger Teil in ihr geglaubt, sie, ihre Anwesenheit, könne sicherlich bewirken was sonst keiner geschafft hatte – nämlich dass Vera wieder zurückkehrte aus dem Traumreich, in dem ihr Geist wandeln mochte. Sie hatte es sich sogar ausgemalt, während sie neben Vera gesessen und ihre Hand gehalten hatte, stumm und mit ernstem Gesichtsausdruck. Sollten die Sklaven, die anwesend gewesen waren, nur herumerzählen, wie besorgt sie um ihre ältere Schwester war, wie sie sich kümmerte. Ihre Gedanken lesen konnte keiner, und in eben jenen Gedanken hatte sich die Vorstellung, in der sie wundersamerweise ihre Schwester zu wecken vermochte, abgewechselt mit lautlosen Tiraden, dass sie ihre Zeit wahrhaft besser verbringen konnte als sie hier mit einer Komatösen zu verschwenden, die vermutlich nicht einmal merkte, dass sie hier war, von einer Reaktion ganz zu schweigen.


    Sie musste ihrem Vater schreiben, Nigrina fand, dass er ein Recht darauf hatte das zu wissen, auch wenn Vera sich ähnlich wie Piso seit langer Zeit schon nicht mehr zu Hause hatte blicken lassen, mal abgesehen von diesem kleinen Besuch vor einiger Zeit, den ihr Bruder dem Landgut in Ravenna abgestattet hatte. Dass die zwei ein völlig anderes Verhältnis zu ihrem Vater hatten als sie war für sie kein Grund, ihm nicht zu schreiben. Sie wusste, dass er sich durchaus für das interessierte, was seine Sprösslinge taten – gerade jetzt, wo sie alle erwachsen waren. Nigrina fand daran nichts verwerfliches. Kinder waren in aller Regel einfach unerträgliche Blagen, kein Wunder, dass die meisten Eltern sie zu Ammen und Kindermädchen abschoben, vorausgesetzt sie konnten es sich leisten. Sie würde das nicht anders handhaben mit ihren. Und, mal ehrlich: es hatte keinem geschadet, ihr nicht, Piso nicht, und auch sonst keinem den sie kannte. Sie vergötterte ihren Vater nahezu, aber sie wusste auch, dass er kaum dazu geeignet war, ein kleines Kind groß zu ziehen. Nein, nein, es war besser, wenn zwischen Eltern und Kindern eine gewisse Distanz herrschte, vor allem so lange die Bälger klein waren. Taugten die Kinder etwas, förderte sie das nur. „Herrin?“ drang eine Stimme in ihre Gedanken. Nigrina brummte unwillig. „Verzeih, Herrin. Ich habe dir einen gemischten Saft gebracht.“ Sie zögerte kurz, dann blinzelte sie, öffnete langsam ihre Augen und streckte ihre Hand aus, ohne ein Wort zu sagen, um den Becher entgegen zu nehmen, den der Sklave ihr reichte. Es war keiner, der sie aus Ravenna begleitet hatte – ihre engsten Vertrauten kannte sie dann doch, und die übrigen waren wieder zurückgekehrt, nachdem sie sie sicher in die Villa Flavia in Rom gebracht haben. Es musste also einer von hier sein, und er bewies, dass gutes Material im flavischen Haus vorhanden war. Sie nickte ihm zu und schaffte es, dabei von oben herab zu wirken, obwohl sie lag und er stand, dann entließ sie ihn mit einer leichten Handbewegung und nippte an dem Getränk, das er gebracht hatte.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Sim-Off:

    Entschuldige die Wartezeit!


    In einer Geste, die beinahe spiegelbildlich war zu der ihres Bruders, neigte auch Nigrina ihren Kopf leicht zur Seite. Oh ja, sie dachte definitiv, dass Piso der Druck gut bekam. Zumindest nach dem, was sich ihr gerade so präsentierte. Bei den Göttern, er hatte doch selbst aufgezählt, was er nun war, und wo er hin wollte – das hätte sie ihm früher nicht zugetraut. Und sie hatte sich auch entsprechend lustig gemacht darüber, auf geschwisterlich-schroffe Art eben, die ihr nun mal zueigen war, selbst bei den Menschen, die ihr doch näher standen. Es gab nun mal nicht viel, was Nigrina Respekt abringen konnte, und das galt für jeden in ihrem Umfeld. Piso erschien ihr immer noch… zu weich. Ein wenig. Irgendwie. Aber er ging nun seinen Weg, in Rom, er machte Karriere, also schien es für ihn doch zu funktionieren. Aber sie nickte nur und antwortete darauf nichts mehr, genauso wenig wie sie noch etwas zu Vera oder ihrem Zustand sagte. Nicht etwa, weil doch deutlich wurde, dass Piso das Thema belastete, sondern weil sie selbst nicht gern darüber sprach. Vera war ihre Schwester, sie würde sie besuchen und sich ihren Zustand selbst ansehen, aber wenn es tatsächlich so schlimm war wie ihr Bruder sagte, dann war es doch besser, das ganze Thema einfach… nun ja… beiseite zu schieben. Abzuhaken. Warum großartig darüber reden? Es half ja doch nichts. Und als sie dann noch gewisse trügerische Anzeichen bei Piso zu erkennen meinte, war dieses Gesprächsthema für sie erst recht gestorben. Er war ein Kerl, bei allen Göttern! Er würde doch nun wirklich nicht anfangen zu flennen, weil seine Schwester – die ja nun mal seit Jahren schon kränklich war – in irgendeinen Zustand verfallen war, in dem sie nur noch im Bett lag! Natürlich machte sich Nigrina, trotz der deutlichen Worte, keine Vorstellung davon, wie schlimm Veras Zustand tatsächlich war. Aber selbst dann hätte sich an ihrer Einstellung nicht allzu viel geändert. Sie hatte keine große Lust darauf, nun ihren Bruder trösten zu müssen, also nahm sie den Themenwechsel nur allzu gern an.


    „Aah…“ Nigrina musste einen Augenblick lang überlegen, bevor sie mit dem Namen den chaotischen Freund ihres Bruders in Verbindung brachte. „Archias!“ Sie lachte leicht. Was für ein Chaotenteam die zwei gewesen waren… Piso hatte doch nicht etwa immer noch Kontakt mit dem? Wobei es ja doch Spaß gemacht hatte, die zwei zu ärgern. „Natürlich erinnere ich mich noch an ihn. Wie hat er das denn geschafft, Ritter zu werden?“ Sie nippte leicht an ihrem Becher. „Weißt du, so ehrbar die Arbeit in der kaiserlichen Kanzlei für einen Plebejer auch sein mag, für einen Flavier kann das doch einfach nicht das Wahre sein. Du bist für Höheres bestimmt, Aulus.“ Bei diesen Worten klang aus Nigrinas Tonfall eine Selbstverständlichkeit, die keinen Widerspruch duldete. Was auch immer geschehen würde: ihr Glaube daran, dass Patrizier – insbesondere natürlich die Flavier – etwas Besonderes waren, war unverrückbar.


    Die Frage nach der Sklavin war für Nigrina damit abgehakt, und sie verschwendete auch keinen weiteren Gedanken daran. Und auch die nächste Frage tat sie mit einem leichten Schulterzucken ab. „Die Sklaven kümmern sich um alles.“ Davon jedenfalls ging sie fest aus, und ihre Sklaven taten auch besser daran, tatsächlich alles zu ihrer Zufriedenheit vorzubereiten. „Ich gehe davon aus, dass bereits alles fertig ist, immerhin hatten sie Zeit genug dafür… Wie sieht es bei dir aus, hast du heute noch viel zu tun? Ich halte dich doch hoffentlich nicht von etwas Wichtigem ab.“

    Sim-Off:

    Entschuldige die Wartezeit!


    Zitat

    Original von Aurelia Prisca
    ...


    Davon gehört hatte Nigrina, dass Celerina auf einem Schiff geheiratet hatte. Und es wurmte sie bis heute, dass ihr Vater abgelehnt hatte, bei einem derartigen Großereignis – und vor allem mit dieser Gästeliste!!! – nicht anzureisen. Oder besser, es wurmte sie, dass er ihren Vorschlag abgelehnt hatte, sie könne doch alleine hinreisen. Aber das lag in der Vergangenheit, nun war sie ja in Rom, das war das Wichtigste, fand sie. Sie war in Rom, wo sie hingehörte, fand sie, und konnte somit nun selbst entscheiden, ob sie an derartigen Ereignissen teilnehmen wollte oder nicht. Und wenn ihr hoffentlich-Zukünftiger kein kompletter Vollidiot war, würde es auch allzu bald so weit sein, dass sie im Mittelpunkt eines solchen stand. „Die Feier muss traumhaft gewesen sein. Unkonventionell, auf einem Schiff, aber es war für die Braut ja nicht die erste Hochzeit, von daher…“ Nigrina liebte ungewöhnliche Dinge. Dinge, mit denen man auffiel, mit denen man im Gespräch blieb – so lange es nicht überwiegend negativ war, hieß das. Eine derartige Hochzeit trug sicher dazu bei. Andererseits zog sie doch vor, bei ihrer eigenen zunächst die traditionelle Variante zu wählen. Und da sie nicht erpicht darauf war, dass diese Ehe in naher Zukunft bereits scheiterte, brauchte sie sich im Grunde auch keine Gedanken darüber zu machen, wie weitere Zeremonien aussehen konnten… Allerdings, es gab ja noch genügend andere Anlässe, Feste auszurichten. In ungewöhnlicher Umgebung. Unwillkürlich verzogen sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln. Sie hatte Ravenna hinter sich gelassen. Sie war in Rom. Endlich.


    Als Prisca ihre Erzählung fortsetzte, flog ein flüchtiges Grinsen über Nigrinas Lippen. „Ihr wart zusammen einkaufen?“ Die Aurelia wirkte nicht so, als ob ihr dieses Erlebnis negativ in Erinnerung geblieben wäre. „Wie war es denn? Ich meine, mit einem Mann einkaufen, wenn das nicht der ultimative Test für ihn ist… Ich weiß nicht, ob ich mit ihm einkaufen gehen würde. Andererseits ist das unter Geschwistern wohl noch mal etwas anderes.“ Nigrina lachte leise. „Nein, die Gelegenheit hatte ich leider noch nicht“, gab sie zu und musterte Prisca, während sie überlegte, ob sie jetzt schon vorschlagen könnte, etwas gemeinsam zu unternehmen – oder ob sie besser noch warten sollte, darauf, dass die Aurelia einen weiteren Schritt tat, in welcher Form auch immer, weil es sonst zu aufdringlich wirken würde. Sie entschloss sich für einen Mittelweg, der signalisieren sollte, dass sie durchaus Interesse daran hätte, mit der Aurelia etwas zu unternehmen, der deutlich machte, dass sie Wert legte auf ihre Meinung, der allerdings noch nicht gleich mit der Tür ins Haus fiel. „Ich bin erst seit wenigen Tagen hier – die Megalesia konnte ich mir allerdings nicht entgehen lassen, ich werde mir auch die Gladiatorenkämpfe ansehen, denke ich. Die Märkte möchte ich mir allerdings auch sehr bald ansehen, genauso wie die Thermen. Hättest du vielleicht noch Empfehlungen für mich? Was muss man in Rom unbedingt gesehen haben?“

    Nigrina lächelte zurück. „Nein, ich bin erst seit kurzem in Rom. Ich stamme aus Ravenna, und mein Vater hat mich hergeschickt, in die Obhut der in Rom ansässigen Flavier.“ Was sich im Rennrund abspielte, schien nicht nur für sie, sondern auch für die Aurelia vergessen zu sein, und Nigrina war das nur recht. Das Gespräch mit der anderen ließ sich gut an, fand sie – insofern musste sie ihren Sklaven fast schon dankbar sein, dass sie es nicht sofort fertig gebracht hatten ihr den Weg zur flavischen Loge zu bahnen. Allerdings würde sie das niemals laut sagen. Immerhin war es kein Verdienst der Sklaven, dass sie nun Bekanntschaft gemacht hatte mit der Aurelia, eher war es ihrem eigenen Können zu verdanken, aus Situationen wie dieser dann doch das Beste zu machen – und Fortuna, dass sie ihre Schritte ausgerechnet hierher gelenkt hatte und nicht in die Nähe irgendeiner Plebejerin, oder, noch schlimmer, Peregrina. Wobei sie diese vermutlich schon auf mehrere Schritt Entfernung allein schon an der Kleidung erkannt und entsprechend Abstand gewahrt hätte.


    Was die Aurelia nun dachte, das vermochte Nigrina nicht mit Gewissheit zu sagen. An der freundlich lächelnden Miene der anderen war es jedenfalls nicht abzulesen. Aber die Flavia ging wie selbstverständlich davon aus, dass auch Prisca sich ihre Gedanken machte, ebenso wie sie – sie war Patrizierin, und lebte darüber hinaus bereits länger in Rom, kannte sich mit den Gepflogenheiten hier aus, hatte Beziehungen. Diesen Vorsprung, den sie damit hatte, gedachte Nigrina ein- oder zumindest aufzuholen, aber es würde dauern, das wusste sie. Und gleich mit ihren nächsten Worten bewies Prisca, dass sie die Oberschicht von Rom kannte. Nigrina warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu, als sie Piso erwähnte, und eine ihrer Augenbrauen wölbte sich in flavischer Manier um eine Winzigkeit nach oben. Sie kannte also ihren Bruder? Hatten sich sogar unterhalten? Der Satz wirkte unschuldig genug, aber Nigrinas Neugier war trotzdem geweckt, und gleichzeitig begann sie in Gedanken schon ein Netz zu spinnen, wie sie von Piso erfahren könnte, was er von der Aurelia hielt – wobei sie weniger die Möglichkeit in Betracht zog, einer der beiden könnte von dem anderen mehr wollen, sondern eher überlegte, ob ihr Bruder vielleicht beurteilen könnte, ob Prisca für sie, Nigrina, eine gute Bekanntschaft war. Eine, die sie sich warm halten sollte, weil sie gut vernetzt war innerhalb der Gesellschaft Roms. Aber sie war sich nicht so sicher, ob Piso so etwas tatsächlich beurteilen konnte. Priscas nächste Worte machten die Beurteilung für Nigrina dann aber um ein weiteres Stück leichter. Aurelius Corvinus war also ihr Onkel. Senator und derzeit Ädil, Nigrina wusste das, nicht zuletzt weil ihr Vater davon gesprochen hatte, dass er auf aurelischer Seite wohl die Verhandlungen mit Piso führen würde – jedenfalls solange ihr hoffentlich-Zukünftiger noch nicht in Rom war. Und von Celerina wusste sie natürlich ebenfalls, auch wenn sie die Flavia bisher noch nie getroffen hatte. Ein tragisches Schicksal… geborene Flavia zu sein, nur um dann bei Menschen von niederem Stand aufzuwachsen. Aber immerhin hatte sie sich nun den richtigen Mann geangelt, und Nigrina ging wie selbstverständlich davon aus, dass Blut einfach nicht zu leugnen war – dass Celerina eine Flavia sein würde, ganz gleich, wie sie aufgewachsen und erzogen worden war, weil nichts, nichts, flavisches Blut zu verwässern vermochte.


    Bis Prisca dann geendet hatte, hatte sich Nigrinas Augenbraue wieder gesenkt, und parallel dazu war ein erneutes Lächeln auf ihrem Gesicht erschienen. „Nein wirklich, du kennst Aulus? Er ist in der Tat mein Bruder! Nun, Halbbruder, um genau zu sein, aber es ist ja ohnehin die väterliche Seite entscheidend. Möglich, dass er von mir gesprochen hat – es kann aber auch sein, dass er Vera gemeint hat. Noch eine Schwester.“ Dass es in ihrem Bund noch eine dritte Schwester gab, verschwieg Nigrina an dieser Stelle. Leontia zu erwähnen, wäre hier wohl unpassend gewesen, sie wollte nicht über ihr Schicksal sprechen – selbst Vera mit ihrer Krankheit war schon gefährliches Terrain, fand sie, aber Vera war in Rom, sie konnte sie nicht nicht erwähnen. Aber es gab ja noch mehr Verwandte, von denen sie sprechen konnte. „Celerina ist eine Großcousine von mir. Allerdings hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen, sie kennen zu lernen.“ Nigrina lächelte flüchtig, und dass in der Zwischenzeit das Rennen sich dem Ende zugeneigt hatte, fiel ihr gar nicht so wirklich auf. „Aber erzähl, wie hast du meinen Bruder kennen gelernt?“

    Nigrina lachte leise. Ja, ihr Bruder Aulus war eben doch auch ein Flavier. Als asozialer Absteiger zum Stadtgespött zu werden, das wäre für keinen Flavier – keinen echten Flavier! – je eine Alternative gewesen. Alles andere, aber das nicht. „Nun ja, Rom mag brutal sein in dieser Hinsicht, aber, wenn ich das so sagen darf: der Druck tut dir ja offenbar ganz gut, Bruder.“ Oh ja, Piso schien tatsächlich einer von der Sorte zu sein, die den Druck brauchten. Nigrina wusste, dass er von ihrem Vater nicht dasselbe hielt wie sie, aber gerade jetzt wieder hatte sie doch den besten Beweis, dass er eigentlich froh sein konnte, einen Vater wie Aetius zu haben. Wer wusste schon, was aus Piso geworden wäre, hätte er einen Vater gehabt der ihn einfach hätte machen lassen? So hatte er sich austoben können, hatte sogar das Gefühl bekommen, sich gegen seinen Vater aufgelehnt zu haben, und war letztlich doch auf dem Weg gelandet, den Aetius gewollt hatte für seinen Sohn. So präsentierte sich die Sachlage jedenfalls Nigrina, was sie wohlweislich nicht laut aussprach, und besser, fand sie, konnte man seine Kinder doch kaum erziehen.


    Dann wurde sie allerdings tatsächlich ernst. Dass es um Vera so schlecht stand, hatte sie nicht gewusst. „Das… tut mir leid. Das wusste ich nicht.“ Fast ein wenig betroffen musterte sie ihren Bruder, der wirklich zu leiden schien unter dem Wissen, dass es Vera so schlecht ging, während sich zugleich unwillkürlich der Gedanke in ihren Kopf schlich, wie unnütz zu starke Bindungen doch waren. Man sah es ja an ihm. Er mochte seine Schwester zu sehr, sie war ihm zu wichtig, und deshalb ging es ihm jetzt schlecht. Oder war Piso, ganz Künstlerseele, allgemein zu empfindlich? Die hatten es doch immer mit der Empfindsamkeit, Nigrina könnte sich jedes Mal aufregen, wenn sie irgendeinem Künstler gleich welcher Art über den Weg lief, der den ganzen Weltschmerz auf sich zu spüren meinte. „Ich werde nach ihr sehen, so bald ich mich hier eingerichtet habe“, versprach sie, nicht aus übermäßiger Geschwisterliebe heraus, aber sie mochte sie ja beide. Und es gehörte sich einfach. Und Vera möglichst bald zu besuchen, hieß ja nicht, dass sie von jetzt an jeden Tag an ihrem Bett sitzen und ihr die Hand halten musste, was ohnehin völlig unsinnig wäre, wenn sie tatsächlich in einem Koma lag.


    Neuigkeiten aus Ravenna zu berichten, funktionierte als Ablenkung jedoch ganz gut, und Nigrina hatte beinahe den Eindruck, dass Piso froh darüber war – vielleicht aus anderen Gründen, aber ebenso froh wie sie. Ein Grinsen hob ihre Mundwinkel. „Genau. Das Walross“, bestätigte sie, und ihr Grinsen wurde noch ein wenig breiter, als sie sah, wie ihr Bruder auf die beiläufige Erwähnung des Septemvirs reagierte. Männer waren manchmal doch herrlich einfach. „Ja, das stimmt, die hat tatsächlich geheiratet. Aber wenn du mich fragst, völlig unter Niveau. Nicht dass die Erutia eine grandiose Familie wären, aber so wie sie aussieht, hätte sie doch jemand deutlich Besseren abkriegen können. Und der erste Rotzlöffel ist auch schon unterwegs…“ Nigrina unterdrückte ein Schaudern. Das war etwas, was auf sie auch noch zukommen würde, und es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Bälger in die Welt zu setzen, das war eine der Aufgaben von Frauen in der Ehe, und so sehr sie den Gedanken an die Unannehmlichkeiten, die Schwangerschaft und Geburt so mit sich brachten, auch hasste – man denke nur daran, wie unförmig der Körper dann aussehen würde! –, gab es doch keinen Weg, der darum herumführen würde. Es brachte noch nicht einmal etwas, sich zu wünschen, sie könnte keine Kinder empfangen, denn dann würde sie keinen Ehemann abkriegen, keinen jedenfalls, den sie als Flavia verdient hatte und der ihr das sichern konnte, was sie an Status und Reichtum beanspruchte. „Wer?“ rutschte ihr dann heraus, bevor sie sich dann doch erinnerte. Die Sklavin. Das Kindermädchen. Nigrina hatte ja nie viel von Kindermädchen gehalten, und sie hatte einen recht hohen Verschleiß gehabt, im Gegensatz zu Piso. „Ah, die. Hm.“ Verflixt, warum musste er ausgerechnet nach einer Sklavin fragen? Nigrina wühlte in ihren Erinnerungen herum, aber Sklaven waren einfach… nicht wichtig genug, um sich zu merken, was los war mit ihnen. Wenn denn überhaupt etwas los war, Sklaven waren Sklaven, deren Gefühlsleben passte doch auf eine Messerspitze. Schließlich zuckte sie nur mit den Achseln. Es war immerhin kein Geheimnis, was sie von Sklaven hielt. „Offen gestanden, ich weiß es nicht. Frag meine Leibsklavin, wenn es dir wichtig ist, sie kann dir sicher mehr sagen.“ Und wenn Piso das tun würde, würde Nigrinas Leibsklavin ihm mit Sicherheit erzählen können, dass Sophonisba es bis heute nicht verarbeitet hatte, dass Piso ihr gesagt hatte, sie nie wiedersehen zu wollen. Aber davon hatte Nigrina nicht den geringsten Schimmer.

    Wetten. Wetten! Das war Rom! Nigrina hatte sich ja ohnehin darauf gefreut, das Kaff Ravenna endlich hinter sich zu lassen – auch wenn sie ihren Vater vermisste –, aber das hier, die Rennen, die Kämpfe, das war das, worauf sie sich gefreut hatte. Abgesehen von den zahllosen anderen Möglichkeiten, die keine andere Stadt bieten konnte… Und wo es in Ravenna in unerträglichem Tratsch ausgeartet wäre, wenn sie gewettet hätte, konnte sie das hier ohne Probleme. Wer wusste hier denn schon, welcher Sklave der ihre war, der das Geld setzte? Und selbst wenn, das hier war Rom… Kein Kaff. Nur dass sie sich Geld hatte leihen müssen, weil ihr Vater ihre Finanzen in selten weiser Voraussicht eingeschränkt hatte, schmeckte ihr nicht so wirklich. Ob ihr Bruder ihr das Geld geliehen hätte, da war sie sich nicht so sicher, jedenfalls nicht wenn er gewusst hätte, wofür sie es hätte haben wollen. Aber es gab ja zum Glück auch noch andere Verwandten, die sie hatte fragen können, und Piso musste ganz definitiv nichts davon wissen, dass Nigrina vorhatte zu wetten. Und, auch das hatte sie beschlossen, er musste nicht einmal etwas davon wissen, dass sie sich die Gladiatorenkämpfe ansah. Es war besser, wenn er sie für unschuldig hielt, so unschuldig, wie es nun mal möglich war in Anbetracht der Tatsache, dass sie Geschwister waren. Zickig, das war eine Sache, aber wetten und eine Vorliebe für Gladiatoren, muskulöse Männer, die sich im Dreck wälzten… Nein. Wenn ihrem Bruder dieser Aspekt über sie nicht bewusst war, würde sie ihn ganz sicher nicht mit der Nase darauf stoßen.


    Nigrina schickte also einen Sklaven zu dem Wettanbieter, der sich in der Mitte des Platzes aufgebaut hatte, und dieser gab an, auf wen sie setzte. Von welcher Schule die Kämpfer stammten, war ihr dabei primär egal, sie hatte nichts davon, wenn sie zu der ihrer Heimatstadt hielt. Nein… ihre Entscheidungskriterien waren denkbar einfach. Welche Waffen hatte der Kerl, wie sah er aus, und wenn sie das nicht weiter brachte, entschied sie nach dem Namen, der ihr besser gefiel. Was nun die erste Partie betraf, wäre eigentlich der Secutor ihre Wahl gewesen – Nigrina stand auf die Kämpfer mit den schweren Waffen, und warum in der Arena einer mit einem Netz herumlief und einen Dreizack schwang wie Neptun persönlich war ihr sowieso völlig unverständlich. Aber sie wusste, wie Ursus aussah. Und das ging gar nicht. Fand sie. Beim zweiten Kampf musste der Name den Ausschlag geben, beim dritten war die Entscheidung wieder denkbar einfach – wer schickte schon einen Kämpfer mit nur zwei Dolchen los? Der Sklave setzte also, gemäß den Weisungen seiner Herrin, ohne jedoch ihre Überlegungen zu kennen, auf den Sieg von Seuthos, Darius und Abrax.


    Sim-Off:

    Wetteinsatz wird von Furianus überwiesen :D

    Zitat

    Original von Aurelia Prisca
    Ja welcher Wagen liegt denn nun vorne? Einar und Bernulf wechselten einen kurzen Blick um sicher zu gehen, dass die Frage ihnen gegolten hatte. Zweifellos konnten die zwei Germanen aufgrund ihrer Größe das Geschehen am besten überblicken und Wagenrennen an sich fanden die beiden auch toll nur, … hatten die sie keinen blassen Schimmer welche factio (das, was die Herrin sicher wissen wollte) das nun wäre. "Na der da! Der liegt klar vorne.", hob Bernulf schließlich den Finger und deutete völlig unbedarft auf die Staubwolke des führenden Gespanns und ... "Au!" ... erntete dafür sofort einen Klaps auf den Hinterkopf. "Du Hornochse! Das sieht die Herrin selbst", zischte Einar und kniff angestrengt die Augen zusammen um die Farbe des Gespannes noch auszumachen, ehe die Wagen zu weit entfernt dafür wären. Dumm nur, dass der Germane eine leichte Farbschwäche besaß und somit auch nicht genau sagen konnte ob das nun "Es … Es ist der orange Wa..., nein halt der gelb..e? … Rosa! Genau es ist der rosa Wagen Herrin! … g..glaub ich zumindest", stammelte Einar in seiner Verzweiflung herum und ahnte schon im voraus, dass er und sein Kollege nun vollends den Unmut der Aurelia erregt hatten.


    Was soll ich davon bloß halten? Prisca war schockiert über so viel Dummheit und zum ersten Mal seit Wochen wünschte sie sich 'ihren' Hektor (den in Ugnade gefallenen custos) wieder an ihre Seite. "Haltet den Mund! Beide! Sofort! … Zuerst seid ihr unfähig mich zu meiner Loge zu bringen und nun könnt ihr mir nicht einmal die Farbe des Wagens nennen?! … Schade nur, dass das hier ein Wagenrennen und keine Tierhatz ist, sonst würde ich euch persönlich den Tigern zum Fraße vorwerfen lassen … ", wetterte Prisca nun ihrerseits mit den Sklaven, ehe sie sich kopfschüttelnd zu der Frauenstimme hin drehte, die soeben das Wort an sie rchtete.


    Unglaublich nicht wahr?, wollte Prisca schon laut fragen, doch es blieb nur bei dem fragenden Blick der sich allerdings sehr schnell in offenes Interesse für die andere Frau verwandelte, die sich selbst als eine Flavia vorstellte. Ihren nomen gentile hatte Prisca zwar noch nie in Verbindung mit den Flaviern vernommen aber ein Blick auf die aristokratischen Züge der schönen jungen Frau genügte schon, um sie als solche zu behandeln. "Flavia Nigrina, … ", wiederholte Prisca den Namen mit einem anerkennenden Nicken und einem freundlichen Lächeln: " Es ist mir eine große Freude deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Aurelia Prisca und … du brauchst dich doch nicht bei mir entschuldigen!". Nun wusste die Aurelia wenigstens, wer da vorhin neben ihr so herum geschimpft hatte. Eine Beachtung war das Sklavenpack allemal nicht wert, dennoch huschten die Augen der Aurelia flüchtig über die umstehenden Diener, ehe sie schmunzelnd zu Nigrina meinte: "Mir scheint wir haben heute beide kein großes Glück und dürfen - Dank der Unfähigkeit unserer Sklaven - stehen anstatt in unseren schönen Logen zu sitzen." Doch in so angenehmer Gesellschaft würde selbst dieser Umstand nicht die gute Laune der Aurelia trüben und so schlug sie mit einer einladenden Geste einfach vor: "Lass uns doch zusammen das Rennen verfolgen und gemeinsam herausfinden, welcher Wagen vorne liegt!? ..."


    Es war ja eigentlich so gar nicht Nigrinas Art, den Gesprächen von Sklaven zu lauschen. Aber bei den beiden Idioten, die in ihrer Nähe standen, konnte sie gar nicht anders. Am liebsten hätte sie ihnen einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst, einen nach dem anderen. Warum nur war es so schwer, an gutes Material zu kommen? Aber immerhin war sie nicht die Einzige, der es so ging. Rosa. Sie hatte von Wagenrennen ja keine Ahnung und feuerte die Factio an, die gerade vorne lag, weil es ja immerhin ums Gewinnen ging, aber rosa? Gab es eine rosa Factio?


    In jedem Fall war die Reaktion der Römerin, mit der die beiden hier waren, interessant genug, um Nigrina noch aufmerksamer auf sie zu machen. Und als sie sich vorstellte, wurde Nigrinas Lächeln noch eine Nuance freundlicher – und mehr als nur eine Nuance interessierter. Aurelia. Patrizier, wenn auch minor, das war schon etwas. Was aber viel interessanter war: ihr Zukünftiger würde ein Aurelius sein. Nigrina konnte sich nicht mehr wirklich an den Namen erinnern, den ihr Vater ihr genannt, aber sie wusste, dass der Mann, den sie heiraten sollte – wenn denn die Verhandlungen nach Wunsch verliefen –, ein Aurelius sein würde. Und das machte Prisca vor ihr schlicht und ergreifend zu einer noch interessanteren Bekanntschaft, als sie es ohnehin wäre. Das Wagenrennen, das für Nigrina ohnehin nur peripher von Interesse gewesen war, war nun für den Augenblick vergessen, abgesehen von den Momenten, in denen es sich durch den Jubel der Zuschauer regelrecht aufdrängte. Eine Verwandte ihres Zukünftigen. Zu schade, dass sie den Namen nicht mehr wusste, sonst hätte sie vielleicht unauffällig etwas in Erfahrung bringen können… aber es konnte ja auch nicht schaden, allgemein ein wenig über die Familie in Erfahrung zu bringen, mit der sie in Zukunft zusammenleben würde. „Aurelia Prisca. Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“ Nigrinas Lächeln wurde für einen Moment strahlend, bevor es wieder ein wenig abflaute. Man musste ja nicht übertreiben, und Nigrina verstand es, die richtigen Nuancen zu wählen in ihrem Auftreten. Genauso wenig musste sie darüber nachdenken, dass sie der Aurelia nicht von den Planungen erzählen würde. Die Verhandlungen waren noch ganz am Anfang, sie würde sich hüten, diese irgendwie aufs Spiel zu setzen. „Ja, die Götter scheinen uns wenig wohl gesonnen zu sein…“ Nigrina schoss einen scharfen Blick in Richtung ihrer Sklaven ab, und dann einen weiteren zu jenen der Aurelia. „Das ist eine hervorragende Idee“, lächelte sie, und um den Schein zu wahren – so etwas musste schließlich auch sein – machte sie einen Schritt nach vorne und tat für einen Moment so, als bemühe sie sich zu erkennen, was auf der Bahn unten vorging. Sie konnte nur wirbelnden Staub erkennen, und dazwischen gelegentlich ein paar Pferde und die Wägen – und gelegentlich das Aufblitzen der Farben. „Verzeih meine Neugier – lebst du hier in Rom, oder bist du anlässlich der Megalesia hier?“

    Zitat

    Original von Aurelia Prisca
    "Welcher Wagen liegt denn vorne?", richtete sie deshalb die Frage mit lauter Stimme an einen ihrer Sklaven, ohne den Blick dabei von den übrigen Wagen abzuwenden, die in dichter Folge soeben an ihnen vorbei preschten.


    Nigrina war, gelinde gesagt, angesäuert. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Es KONNTE nicht sein, dass hier kein Durchkommen mehr war zu den Logenplätzen! Sie war eine Flavia, sie hatte ein Recht darauf, in deren Loge zu sitzen und nicht hier zwischen den Leuten herumzustehen! „Hättet ihr endlich die Güte, das zu tun, was eure Aufgabe ist?“ fauchte sie ihre Begleiter entnervt an. „Verzeih, Herrin, aber die Menge steht zu dicht.“ Der Leibwächter, der das Wort ergriffen hatte, war nicht von Ravenna mitgekommen, sondern von der Villa Flavia in Rom. Weshalb er sich vermutlich traute, überhaupt etwas zu sagen. Nigrina funkelte ihn an und hätte ihm am liebsten eine gescheuert, aber dazu ließ sie sich in der Öffentlichkeit dann doch nicht herab. „Das seh ich selbst. Deine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass wir trotzdem durchkommen!“ Der Leibwächter wollte wieder etwas sagen, aber sein Kollege – aus Ravenna und einer von Nigrinas wenigen Vertrauten unter der Dienerschaft – legte ihm eine Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. Was genau einen Moment lang funktionierte, bevor der andere trotzdem weiter sprach. „Herrin, wir würden nur den Unmut der Menschen auf uns ziehen.“ Nigrinas linke Augenbraue rutschte nach oben. „Und du ziehst dir meinen Unmut auf dich!“
    „Herrin…“
    „Nein!“ zischte sie. „Geh mir aus den Augen, unfähiges Stück!“
    Jetzt endlich schaffte es der andere Leibwächter, zu seinem Kollegen durchzudringen, und einer Kopfbewegung schickte er ihn nach hinten – nicht fort, aber dorthin, wo er zumindest im Augenblick nicht mehr in Nigrinas Sichtfeld stand. Und nun war es die Leibsklavin der Flavia, die das Wort ergriff. „Herrin, vielleicht möchtest du dich noch ein wenig abseits der Rennstrecke umsehen?“ Nigrina verschränkte die Arme und sah mit gewitterumwölkter Miene zur Rennbahn, wo Staub aufwirbelte, als die Wagen an ihnen vorbeipreschten. „Nein“, murrte sie. „Seht einfach zu, dass wir so bald wie möglich zu unserer Loge kommen. Und schick jemanden, der etwas zu trinken holt. Und essen. Und kann man hier vielleicht wenigstens einen Stuhl bekommen?“ Ging ja nicht an, dass sie die ganze Zeit hier herumstand Im nächsten Augenblick hörte sie, wie eine junge Frau, die direkt in ihrer Nähe stand, eine Frage aussprach, die durchaus Sinn machte. Sie warf ihr einen kurzen Blick zu und musterte sie, und dieser erste Blick reichte schon aus um ihr zu sagen, dass die Frau hier im Grunde auch nicht viel zu suchen hatte. „Oh, das würde mich auch interessieren.“ Nein, eigentlich nicht. Sie war hier, weil das ein gesellschaftliches Ereignis war, weil man hier sah und gesehen wurde. Allerdings nicht, wenn die Sklaven es nicht schafften, einen zur eigenen Loge zu bringen. Also musste man anders vorgehen, und wer wusste schon, vielleicht konnte sie ja auf die Art ein paar Leute gleich näher kennen lernen, was ihr in der flavischen Loge sicher nicht gelungen wäre. Sie lächelte der anderen Frau zu. „Verzeih, wenn ich mich einfach eingemischt habe. Ich bin Flavia Nigrina.“

    Was den Streit betraf, den ihr Bruder mit ihrem Vater angezettelt hatte: Nigrina hatte ihn nicht persönlich erlebt, sie war zu dieser Zeit nicht einmal auf dem Landgut gewesen. Sie wusste nur, was Aetius ihr erzählt hatte, und der hatte ihr dieses kleine Intermezzo mit seinem Sohn ein wenig anders dargestellt, als Piso es wohl würde. Dies war mit einer der Gründe, warum Nigrina gerade auch gut zu sprechen war auf ihren Bruder, hatte ihr Vater den Streit doch in einer Art dargestellt, wie er auch im Brief an Piso darüber geschrieben hatte – endlich, endlich, besann sich der Junge seiner Wurzeln, seiner eigentlichen, flavischen Wurzeln, stand seinen Mann und machte etwas aus seinem Leben! Dass er sich dabei gegen seinen Vater auflehnte, war nur natürlich, so waren Männer, in welcher Familie geschah das nicht, oder besser: welcher wahrhaft große Mann hatte das nicht irgendwann getan? Dass Aulus damit einige Jahre später dran war als viele andere, störte das Bild nur minimal.


    Zu der Wartezeit, die Nigrina über sich hatte ergehen lassen, sagte ihr Bruder nichts, nicht einmal eine Entschuldigung, was eine ihrer Augenbrauen sich nach oben wölben lassen ließ. Aber sie sagte nichts. Sie hatte ja auch eigentlich nichts sagen wollen, ursprünglich. Aber sie wartete einfach nicht gern! Nur, sie war gerade erst angekommen. In Ravenna kannte sie alles und jeden, hier kannte sie außer Aulus und Vera niemanden, nicht wirklich – hatte vielleicht den ein oder anderen in früher Kindheit mal getroffen, auf irgendwelchen Familienfeiern oder ähnliches, aber nie so, dass man wirklich von kennen sprechen konnte. Es war ganz gut, es sich nicht gleich am Anfang zu verderben, schon gar nicht wegen einer Kleinigkeit, die ihr vermutlich gar nicht aufgefallen wäre, wenn sie nicht die Reise hinter sich gehabt hätte – und die nicht so furchtbar langweilig gewesen wäre. Nigrina hatte ja nicht nur einige Augenblicke im Atrium gewartet, sie wartete – gefühlt, jedenfalls – seit Tagen, nämlich darauf, endlich anzukommen. Mit ihrer Frage nach seiner Karriere allerdings hatte sie offenbar genau das richtige Thema getroffen. Ein Schmunzeln konnte sie nicht unterdrücken, als Aulus aussprach, was sie sich gerade verkniffen hatte, und ihr wurde bewusst, dass sie ihn wohl erst mal wieder besser kennen lernen musste. Sie hätte nicht unbedingt erwartet, dass er das ebenso sah. „Septemvir und Tresvir Capitalis“, wiederholte sie, mit gebührender Bewunderung in der Stimme, aber leichtem Schalk in ihren Augenwinkeln. „Meinen Respekt.“ Senator Roms. Das klang mehr als gut, das musste sie zugeben, und so wie er sich gerade gab, glaubte sie den dafür nötigen Ehrgeiz in jedem Fall zu erkennen. „Nein, ich muss zugeben, bis vor kurzem hätte ich nicht gedacht, dass es dich eines Tages auf diesen Weg verschlägt. Aber Ästhetik lässt sich doch in allem finden, das man mit dem Streben nach Perfektion angeht.“ Ästhetik war das A und O für Aulus, das wusste sie. Und sie selbst… nun, sie schätzte Ästhetik ebenfalls. Und was sie gerade gesagt hatte, war ebenfalls wahr. Die Perfektion beispielsweise, die ihr Vater im Spiel mit den Frauen entwickelt hatte, hatte ihre ganz eigene Ästhetik, fand sie.


    Und dann sprach Aulus von Vera, und Nigrina merkte auf. Natürlich hatte sie sich gefragt, wo diese blieb, allerdings hatte es ihr schon genügt, nicht mehr länger warten zu müssen, und Aulus war ja derjenige, in dessen Obhut ihr Vater sie gegeben hatte. „Oh, sie… das tut mir leid.“ Sie wusste, wie nah die beiden sich standen, auch wenn sie es nie ganz begriffen hatte. Der Mensch, der ihr am nächsten stand, war sie selbst. Davon abgesehen hatte sie Vera immer für… nun ja… empfindlich gehalten. Weinerlich. Gut, sie war kränklich, aber Nigrina konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass da ein Gutteil Aufmerksamkeitshascherei dahinter steckte. Und warum hatte sie quer durch die Weltgeschichte reisen müssen, wenn sie doch ohnehin eher schwächlich war? Aber sie war ihre Schwester, immerhin. „Ist es das alte Leiden? Und ist sie hier, in der Villa?“ Sie musterte Aulus kurz und legte dann ihre Hand auf die seine, als er ihre Schulter berührte, dann deutete sie ein Achselzucken an. „So weit geht es allen gut, es hat sich nicht allzu viel getan, schon gar nicht auf unserem Anwesen.“ Natürlich wechselten die Begleiterinnen ihres Vaters, aber das war ja nun wirklich nichts neues. Eine Nachricht wäre gewesen, hätte sie Aulus erzählen können, dass mal wieder eine da war, die es länger schaffte an seiner Seite zu bleiben. Die letzte, die mehr als ein Jahr da gewesen war, war schon eine Weile her. „Einer der Gründe, warum ich auch froh bin, hier zu sein. Ravenna ist auf die Dauer zu… eintönig. Es passiert einfach nichts. Ich kann dir nur ein wenig Klatsch erzählen. Erinnerst du dich noch an Potitus Publicius Staius? Er hat seinen Posten in der Stadtverwaltung aufgegeben, seitdem verbringen er und Vater fast noch mehr Zeit miteinander bei abendlichen Treffen. Staius’ Frau ist nicht allzu begeistert darüber… Nicht, dass er sich mit Vater trifft, aber dass er nun nirgendwo mehr tätig ist.“ Nigrina nippte an ihrem Wasser und fuhr nach der Pause fort. „Von diesen Geschichten könnte ich dir noch einige erzählen. Aber ich weiß nicht, ob der Tratsch einer Kleinstadt wirklich so interessant ist… für einen Septemvir Roms.“

    Nigrina nippte zwischendurch an ihrem Wasser und wippte dem Fuß, den sie locker über den anderen geschlagen hatte, nachdem sie sich in einen der Stühle gesetzt hatte. Warten. Sie hasste es zu warten. Sie fand es auch unmöglich, dass man sie warten ließ, wobei sie sich widerwillig eingestand, dass Aulus ja nicht gewusst hatte, wann genau sie ankommen würde, und dass er – nach allem, was sie wusste – es inzwischen aufgegeben hatte in den Tag hinein zu leben und es geschafft hatte, sich einen vernünftigen Posten anzulachen, was Arbeit bedeutete… Und trotzdem. Er sollte hier sein. Jetzt. Sie unterdrückte ein ungeduldiges Knurren und fragte sich, ob er wenigstens die Singerei aufgegeben hatte, oder ob er diesem wolkigen Traumgebilde immer noch nachhing. Künstler. Hatte er sich nicht selbst so bezeichnet? Nigrina hielt nicht viel von Künstlern, nicht einmal von denen, die wirklich Talent hatten. Unterhaltung hatte es in gewissen Situationen zu geben, und von niederrangigen Menschen war zu erwarten, dass sie dafür sorgten. Die Götter hatten die Talente nicht ohne Sinn und Verstand so verteilt. Wenn Menschen wie sie unterhalten werden wollten, hatten Menschen wie… nun, wie Sklaven oder Peregrini eben dafür zu sorgen, dass sie unterhalten wurde. Und das möglichst gut, denn sonst konnten sie genauso gut den Boden schrubben. Wenn sie von den Göttern mit einem entsprechenden Talent gesegnet waren, dann waren sie einfach dazu da, es zum Wohle höher Gestellter zu nutzen. Also ihr, beispielsweise. Insofern konnte Aulus ja von Glück reden, dass sein Talent eher… mäßig ausgeprägt war, denn sonst würde Nigrina sich fragen, wie viel flavisches Blut tatsächlich in ihm steckte.


    Und dann tauchte er endlich auf – nach einer nicht allzu langen Zeitspanne, aber für Nigrina, die die Ungeduld in Person war, dennoch zu lange. Aber zumindest vorerst verzichtete sie sich eine entsprechende Bemerkung, sondern setzte ein Lächeln auf. „Salve, Bruder.“ Fließend erhob sie sich aus dem Stuhl, nachdem sie den Becher abgestellt hatte, und kam ihm einen Schritt entgegen, um sich dann von ihm in den Arm nehmen zu lassen. Doch, es tat ganz gut, ihn wieder zu sehen, stellte sie fest, Tagträumer hin oder her. Und ihm konnte es ganz gut tun, wenn sie nun hier war und ihm gelegentlich – im übertragenen Sinn – in den Hintern treten konnte. Dass er nur ihr Halbbruder war, zählte für Nigrina wenig. Mit ihrer Mutter verband sie wenig, außer dass sie einen guten Teil ihrer Zickigkeit geerbt hatte – und dass sie, obwohl sie durchaus einige Erinnerungen an sie besaß, sie nicht im Mindesten vermisste oder sich wünschte, sie würde noch leben. Nigrina war schon immer ein Vaterkind gewesen. Ihr Vater bildete – für sie – den Mittelpunkt der Familie. Aulus war ein Sohn ihres Vaters und damit ihr Bruder. Wer seine Mutter gewesen war, spielte überhaupt keine Rolle. „Wundervoll, endlich hier zu sein. Und willkommen geheißen zu werden.“ Den Nachsatz konnte sie sich nun nicht mehr verkneifen. „Oh, angenehm. Langweilig, aber angenehm, insofern als dass es keinerlei Zwischenfälle gegeben hat.“ Nigrina hatte begonnen, die Sklaven zu triezen, weil ihr so langweilig gewesen war. „Wie ist es denn dir ergangen? Ich habe gehört, du machst nun Karriere?“ Nigrina war stolz auf sich. Ihr hatten eigentlich ganz andere Formulierungen auf den Lippen gelegen – ich habe gehört, du machst nun was Anständiges, oder: ich habe gehört, du hast endlich deinen Allerwertesten hochgekriegt, oder ich habe gehört, du hast beschlossen nicht mehr herum zu gammeln… –, aber die, die sie letztlich gewählt hatte, klang überhaupt nicht abfällig, fand sie. Sie mochte zwar etwas euphemistisch formuliert sein, aber sie war nicht abfällig.

    Während Nigrina darauf wartete, dass sich die Tür öffnete, war noch alles – einigermaßen – in Ordnung. Und sie öffnete sich verhältnismäßig schnell, sprich, im Rahmen dessen, was normal war, auch wenn es für ihren Geschmack – und nach der Reise, die sie hinter sich hatte – auch schneller hätte gehen können. Dann jedoch musste sie wieder warten. Er musste nachfragen. Nachfragen. Wusste er denn nicht Bescheid? Nigrina unterdrückte das Bedürfnis, die Arme zu verschränken und mit ihren Fingern ungeduldig auf den Oberarmen zu tippen, und wartete stattdessen einfach nur. Und auch die Bestätigung kam recht schnell, denn es dauerte nicht lang, bis die Tür sich wieder öffnete und der Ianitor sie eintreten ließ. Als er ihr den Weg ins Atrium wies, schenkte Nigrina ihm zum ersten Mal einen genaueren Blick. Ein perfekter Ianitor, wie es schon, groß und grimmig, auch wenn er sich ihr gegenüber nicht sonderlich grimmig benahm – was auch besser für ihn war. Sie verzog einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln und betrat das Atrium.


    Und wartete wieder. Sie streckte die Hand aus und verzog das Gesicht, als ihr einer der Sklaven einen Becher verdünnten Wein reichte. Kühl sah sie ihn an, hielt ihm den Becher wieder hin – und ließ ihn fallen, kurz bevor er ihn greifen konnte. Der Becher landete auf dem Boden, der Inhalt verteilte sich dort, während ein paar Spritzer davon sich auf ihrem Reiseumhang niederließen. Nigrinas Augenbrauen wanderten nach oben. „Ich hoffe für dich, dass sich diese Flecken wieder entfernen lassen, Sklave.“ Dann streckte sie eine Hand aus zu einem der Sklaven, die sie von Ravenna hierher begleitet hatten, und bekam einen Augenblick später einen Becher Quellwasser in die Hand gedrückt. Die Sklaven aus Ravenna wussten, dass sie nach so einer Reise keinen Wein wollte – und dass sie, wenn sie Wein trank, ihn nicht derart verdünnt wollte, dass er nur noch verwässert war. Und dann – wartete sie wieder. Mit zunehmender Ungeduld.

    Nicht ganz eine Woche später stand Nigrina vor der Villa Flavia und betrachtete mit kritischem Auge das Gebäude, das von nun an – bis zur Hochzeit, sofern die Verhandlungen erfolgreich verliefen – ihr Zuhause sein sollte. Die Sänfte, aus der sie gerade entstiegen war, trug das flavische Wappen, und mit einem leicht unwilligen Kopfnicken bedeutete sie einem Sklaven, zu klopfen und sie anzukündigen. Was dieser auch unverzüglich tat, und kaum war ihm geöffnet worden, leierte er auch schon seinen Text herunter. „Salve. Domina Flavia Nigrina wünscht Einlass, ebenso wie ein Gespräch mit ihrem Bruder, Dominus Flavius Piso, so er zugegen ist. Ihr Kommen wurde bereits brieflich angekündigt.“

    Die Sklaven hatten gewusst, was zu tun war. Und so hatte das Ding keinen Tag mehr in der Villa überlebt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aetius war nicht zimperlich, wenn es um die Entsorgung seiner Ex-Gespielinnen ging.


    Am nächsten Tag traf Nigrina sich mit ihrem Vater zum Frühstück. In der Exedra. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich auf eben jener Cline niederließ, auf der sie auch gestern schon gelegen hatte – da sie nur mit ihrem Vater speiste und sonst niemand anwesend war, verzichtete sie darauf, sich in einen der Korbstühle zu setzen. „Guten Morgen, Papá.“ Sie sah sich betont um. „Was ist mit deiner Freundin, die uns während der letzten Wochen Gesellschaft geleistet hat?“ Unschuldig lächelte sie ihn an. Aetius musterte sie für einen Augenblick und zog die Augenbraue hoch. „Sie musste uns verlassen.“ Nigrina trank einen Schluck von dem Saft, den ihr einer der Sklaven gereicht hatte. „Wie… schade“, bemerkte sie beiläufig. Ihr Vater wusste genau, was Sache war. Und sie wusste, dass er es wusste. Gerade deshalb machte das kleine Wortgeplänkel ja auch Spaß – und gerade deshalb hatte es ein wenig Nervenkitzel, weil sie sich nicht vollkommen sicher war, es nicht zu weit getrieben zu haben. Aetius wusste wohl, wie seine Tochter war und was sie gelegentlich anstellte, immerhin war sie seine Tochter, und von allen seinen Kindern schlug sie womöglich am meisten nach ihm. Und er hatte nie etwas dagegen gesagt, im Gegenteil, Nigrina hatte eher den Eindruck, dass er stolz auf sie war. Obwohl sie nicht Leontia war, sein erkorenes Lieblingskind, und auch kein Sohn, was ihm wohl am liebsten gewesen wäre. „Oh, ich kann mir vorstellen, dass du das schade findest… Sie war außerordentlich zungenfertig.“ Nigrina musste ein Lachen unterdrücken. „Das war sie in der Tat…“ Aetius grinste nun ganz offen, einige Momente lang, und spätestens jetzt wusste Nigrina, dass er ihr nicht böse war. Sie grinste zurück. Und dann wurde er plötzlich ernst. „Versprich mir nur, dass du dich nicht mit Kerlen einlässt. Nicht vor deiner Hochzeit.“ Nigrina sah auf. „Sicher nicht. Das setz ich nicht aufs Spiel, das weißt du.“ Ihr Vater musterte sie einen Augenblick lang eindringlich, dann nickte er. „Das ist gut so. Du wirst nämlich in ein paar Tagen nach Rom reisen, um dort deinen Zukünftigen kennen zu lernen. Die ersten Schritte sind schon gemacht, aber dein Bruder wird die eigentlichen Verhandlungen führen. Ich möchte, dass du dann schon in Rom bist. So kannst du dich erst mal dort in Ruhe einleben, unsere Familie dort kennen lernen und Rom genauso. Es kann nicht angehen, dass du auf deinen Zukünftigen und seine Familie angewiesen bist um dich einzuleben. Und Aulus wird es auch ganz gut tun, wenn du da bist, denke ich.“ Nigrina strahlte plötzlich. So ungern sie ihren Vater verlassen wollte, aber Rom. Rom! Und sie würde heiraten. Würde ein Mann haben, wie es sich gehörte, einen Patrizier, der zwar noch kein Senator war, der aber einer werden würde, dafür würde sie schon sorgen… Mit einer Frau wie ihr an seiner Seite konnte er gar nicht anders… Und sie würde in Rom leben… und davon ganz abgesehen: sie würde endlich gewisse Erfahrungen mit einem Mann sammeln können, eines der wenigen Dinge, die sie sich bis jetzt immer versagt hatte, so schwer ihr das manchmal auch gefallen war. „Das klingt doch hervorragend“, lächelte sie. Und damit war das Thema beendet, und Vater und Tochter begannen endlich richtig mit dem Frühstück.

    Erst als Nigrina eine Bewegung spürte, öffnete sie die Augen und erblickte das Ding, das sie erwartungsvoll, jedoch mit zunehmender Verwirrung und Irritiertheit musterte. Nigrina zog die Brauen hoch. „Was ist?“ Die Frage war keineswegs ernst gemeint. Natürlich wusste die Flavia, was die andere nun wollte. Und wäre die Situation eine andere gewesen, Nigrina hätte ihr ihren Wunsch – vielleicht – erfüllt. Aber Nigrina war nicht auf eine längerfristige Liaison mit der anderen aus – auch wenn sie nur darauf beruhte, sich gegenseitig Lust zu verschaffen –, und selbst wenn sie es gewesen wäre: es hätte keinen Sinn gehabt. Nicht mit diesem Ding. Gleich was es sich selbst einbildete, es würde nicht lange an der Seite ihres Vaters bleiben, Nigrina wusste das. Im Gegenteil. Das, was gerade geschehen war, würde ihre Zeit auf diesem Anwesen nur verkürzen, und wenn sie selbst dafür sorgen musste, dass etwas zu ihrem Vater durchsickerte. Das Ding allerdings konnte keine Gedanken lesen, und so saß es da und sah Nigrina weiterhin an, nun sichtlich verwirrt. So wenig Hemmungen es gerade eben noch gehabt hatte, so viele schien es jetzt zu haben, auszusprechen, was es nun umgekehrt haben wollte. Und das bestärkte Nigrina nur in ihrer Überzeugung, dass es richtig war, das bei einer einmaligen Sache zu belassen. Was sie auch der Mühe enthob, weiterhin etwas vorzuspielen. „Ja?“ Diesmal klang ihre Stimme schon ungeduldiger. „Nun…“ War das etwa ein verlegenes Lächeln auf dem Gesicht der anderen? „Nun, ich dachte… du…“ Nigrina verzog den Mund ein wenig, kräuselte leicht die Nase und wölbte die Oberlippe etwas nach oben. „Du solltest nicht denken. Nur so als kleiner Rat von mir.“ Sie schloss wieder die Augen und wollte die Sonne genießen, aber das Ding gab keine Ruhe. „Aber… Ich dachte… Moment, du-“ Als Nigrina diesmal die Augen aufschlug, blitzten sie. Nicht in Wut, nein, dafür genoss sie auch dieses Spiel zu sehr. Die andere zu enttäuschen. Sie fallen zu lassen. Genauso wie ihre Maske. „Ich danke dir für die vergnüglichen Momente. Du kannst jetzt gehen.“ Wie auch Stichwort erschien Nigrinas Leibwächter. So wenig sie auch von Sklaven hielt, so abfällig sie von ihnen dachte, was die wenigen persönlichen anging, die Vertrauten, diese wählte sie sehr sorgfältig aus, und stets aus der flavischen Zuchtlinie. Natürlich ließ sie manches Mal auch andere, fremde in den engeren Kreis, aber diese dienten stets als Spielzeug, wurden nie wirklich zu Vertrauten. Ihre persönlichen Sklaven, ihre Leibsklavin und ihr Leibwächter, waren schon seit Jahren loyale Begleiter. Wären sie es nicht, Nigrina hätte nicht die geringsten Skrupel gehabt, sie loszuwerden.


    Und so tauchte auch jetzt ihr Leibwächter auf, gerade im richtigen Moment, mit einem anderen Sklaven, der dem engeren Kreis des Maiordomus angehörte und, wenn schon nicht ihr, so doch ihrem Vater treu ergeben war. Die Gespielin sah ein paar Mal zwischen den Sklaven und der Flavia hin und her, sprachlos, schien es, mit zunehmender Empörung, in die sich nach und nach Unsicherheit mischte. Einen Augenblick des Überlegens brauchte sie noch – dann ging sie, mit so viel Stolz und Würde, wie sie in dieser Situation noch aufbringen konnte. Und über Nigrinas Züge glitt ein Lächeln, leicht triumphierend, mit dem Hauch von Arroganz derjenigen, die gewohnt ist zu kriegen, was sie will. Sie griff wieder nach der Schriftrolle und suchte nach der Stelle, an der sie aufgehört hatte. „Ihr habt gesehen, was passiert ist?“ Sie hatte die Stelle gefunden und begann bereits, die ersten Worte zu lesen, während sie noch auf Antwort lauschte. „Ja, Herrin.“ Erneut formte sich ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht. „Dann wisst ihr, was ihr zu tun habt.“

    Je fordernder die Lippen der anderen wurden, je weiter ihre Hand vordrang, desto schwerer fiel es Nigrina, weiterhin die Unerfahrene zu spielen. Sie erwiderte den Kuss, und nicht zuletzt dank ihr wurde er stürmischer, zügelloser. Die Gespielin ihres Vaters war jedoch entweder selbst schon so weit, dass sie dem keine Beachtung mehr schenkte, oder es war ihr egal. Ihre Hand fand endlich ihren Bestimmungsort, und dies war der Augenblick, in dem Nigrina auch den letzten, noch vage vorhandenen Versuch über Bord warf so zu tun, als sei dies etwas neues für sie. Wer wusste es schon, vielleicht war das Ding ja blöd genug zu glauben, ihr Können allein habe die Exstase zu verantworten, die von Nigrina Stück für Stück Besitz ergriff, und nicht etwa ein Gutteil Vorstellungskraft, die die Flavia ihr eigen nennen durfte. Glaubte vielleicht, ihrem Können allein sei es zu verdanken, dass Nigrina sich dieser Exstase ergab, die ihren Körper ergriff – oder dass sie nun selbst die Initiative ergriff. Während sie den Kuss unterbrach und ihren Kopf leicht zur Seite drehte, so dass die Gespielin sich ihrem Hals und, nachdem die Fibeln an der Tunika gelöst waren, ihrer Brust widmen konnte, griff Nigrina mit ihrer linken Hand in die Haare der anderen. Ihre andere legte sich auf die Hand der Gespielin und verstärkte den Druck, ließ das Spiel der Finger fordernder werden, fester, drängender. Ein Stöhnen drang über ihre Lippen, während sie die Berührungen genoss, dann, nach und nach, drückte sie den Kopf der anderen hinab, immer weiter hinab, bis sich zu den Händen schließlich Lippen und Zunge gesellten. Nigrinas Körper war schon lang nicht mehr ruhig. Sie wand sich unter den Berührungen der anderen, die durchaus etwas verstand von dem, was sie da tat, erzitterte im Lustrausch und bog ihren Rücken durch, während ihr Kopf sich in den Nacken legte und Gesicht und Oberkörper von der Frühlingssonne beschienen wurden, ihre Haut noch mehr erhitzten als sie ohnehin schon war. Aufforderung brauchte die andere inzwischen nicht mehr, dennoch blieben Nigrinas Hände nicht untätig, krallten sich nur in die Haare der anderen und zeigten auf eine deutliche Art und Weise, was ihr gefiel, bis die Berührungen ihr schließlich jene Lustschauer bescherte, denen sie entgegen gefiebert hatte, seit zum ersten Mal bemerkt hatte, wie das Ding sie ansah. Es war etwas anderes, mit einer wie ihr. Etwas anderes als, beispielsweise, eine Sklavin zu verführen. Etwas völlig anderes, als einer Sklavin zu befehlen gleiches zu tun. Dazu kam der Nervenkitzel, den die momentane Situation hervorrief, oder besser, hervorgerufen hatte, denn im Augenblick verschwendete Nigrina keinen Gedanken mehr daran, wer sie sehen könnte – ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie durchaus darauf spekuliert hatte, gesehen zu werden. Ja, es etwas anderes, und Nigrina genoss jeden Augenblick davon, genoss jede Berührung, jedes Geräusch, das sie hörte und selbst von sich gab, bis ihr Körper schließlich ermattet zur Ruhe kam. Ein wohliges Schnurren drang aus ihrer Kehle, als sie sich genießerisch räkelnd auf der Cline zurücklegte und zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder bewusst die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut genoss, und mehr noch den zarten Wind, der über sie hinweg streichelte.

    Es wäre die Krönung gewesen. Aber es war nicht nötig. Nigrina spürte mehr die Bewegung als dass sie sie tatsächlich sah, als die andere plötzlich aufstand und dann zu ihr herüber kam. Nigrina wartete, wartete… und hob ihren Kopf erst dann, als sie sich tatsächlich auf ihrer Cline niederließ, neben ihren Beinen. Ihre Mundwinkel zuckten kurz, als die andere die Sklaven fortwinkte, und sie lenkte kurz ihren Blick zu den die Exedra verlassenden Körpern, sah ihnen nach. Und dann spürte sie eine sachte Berührung auf ihrem Bein. Ihrem Unterschenkel, knapp unterhalb des Knies. Dort, wo der Stoff ihrer Tunika zum Ruhen gekommen war. Ein Blick zeigte ihr, dass die Gespielin ihre Finger dorthin gelegt hatte, die Hand auf dem Stoff, die Finger jedoch am Saum ihrer Tunika, wo die Kuppen auf bloße Haut trafen. Irrte sie sich, oder spürte sie sogar eine sachte Bewegung dort? Nigrina hob ihren Blick und begegnete dem der anderen. Ihr fiel durchaus das ein oder andere ein, was sie nun hätte tun können, um das Ganze zu beschleunigen. Aber noch wollte die Maske der Unschuld gewahrt bleiben, fand sie. Vielleicht wollte sie die ganze Zeit gewahrt bleiben, so genau wusste Nigrina das nicht, das entschied sie spontan, ob und wann sie offenbarte, wer in diesem Spiel tatsächlich die Strippen zog. Noch jedenfalls ließ sie die andere in dem Glauben, dass sie, schon allein als die Ältere, aber auch als die Geliebte des Hausherrn und nicht als dessen Tochter diejenige war, die die Oberhand hatte. Wieder irrte ihr Blick kurz zu der Hand, dann wieder zu den Augen der anderen, dann bewegte sie ihren Fuß, zog ihn leicht an, so dass die Hand etwas herabrutschte an ihrem Unterschenkel, und streckte ihn dann wieder ein wenig. Dass dabei die Finger der anderen Frau nicht nur über die Haut strichen, sondern am Ende höher lagen als zuvor und irgendwie unter den Stoff geraten waren, war dabei pure Absicht gewesen – auch wenn Nigrina sich Mühe gab den Anschein zu erwecken, als sei sie erschrocken darüber. So erschrocken, dass sie innehielt. Erschrocken nicht aber über die Tatsache an sich, sondern scheinbar erschrocken über den eigenen Mut, so sehr, dass sie sich den Anschein gab nicht zu wagen, sich noch einmal zu bewegen. Und ihr Plan ging auf, denn nun bewegte sich die andere. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, und Nigrina kannte diese Art von Lächeln zu gut, um es nicht zu erkennen – den Triumph, der sich nur mühsam verhalten darin spiegelte. Der sich in ihrem eigenen Lächeln gespiegelt hätte, hätte sie es zugelassen. Stattdessen öffnete sie ihre Lippen nur leicht und strich sich mit der Zunge darüber. „Was…“ Ein Wispern war das Wort, ein Hauch nur, kaum laut genug, um wirklich verstanden zu werden. „Sh“, machte die andere, hob eine Hand und legte einen Finger auf Nigrinas Lippen. Erneut ein Lächeln, das Lächeln der – vermeintlich – Erfahreneren, das Lächeln derjenigen, die sich siegreich wähnte. Die Bewegungen der Hand auf Nigrinas Bein wurden deutlicher. Zart strichen die Kuppen über ihre Haut und wanderten dabei Stück für Stück nach oben. Und Nigrina musste sich zurückhalten, um nicht jetzt schon den Kopf zurückzulegen, zu einladend zu wirken. Sie war die Unerfahrene. Die, die neugierig war, ja, die ausprobieren wollte und nur etwas Überredung brauchte, aber dennoch vor allem eines war: die Unschuldige. Die Rolle machte ihr im Augenblick noch zu viel Spaß, um nun schon herauszufallen, und davon abgesehen konnte es immer noch sein, dass die andere sich womöglich zurückzog, wenn sie merkte, dass Nigrina nicht ganz so schüchtern und unschuldig war wie sie dachte. Sie ließ ihren Atem etwas schneller werden, als die Finger höher wanderten und nun auf ihrem Oberschenkel waren – und blieben –, ließ ihren Blick wieder dorthin wandern, wo sich die Hand unter dem Stoff abzeichnete. Sie legte ihre eigene darauf, allerdings nicht in einem Griff, der es tatsächlich darauf anlegte, die andere zu stoppen. „Mein…“ Einen Moment hielt das Ding inne. Dann ließ es ein Lächeln auf seinen Lippen erscheinen, das wohl vertrauenerweckend sein sollte. „Er ist nicht da. Vertrau mir. Genieß einfach.“ Nigrinas Lippen öffneten sich erneut leicht, aber diesmal nicht, um etwas zu sagen. Stattdessen fuhr nur wieder ihre Zungenspitze darüber, ganz leicht. Und nun konnte die andere nicht mehr an sich halten. Sie neigte sich nach vorne und berührte Nigrinas Lippen, sacht zunächst nur, vorsichtig, stets bereit sich zurückzuziehen, schien es, aber als von Nigrina kein Widerstand kam, wurde sie fordernder, und Stück für Stück gab die Flavia nach, offenbarte mehr, ließ die andere mehr von sich kosten. Zugleich spürte sie, wie die Hand auf ihrem Oberschenkel sich weiter vortastete, sich mehr und mehr ihrem Schoß näherte, der mit zunehmender Hitze in Erwartung auf das Kommende reagierte.


    Genieß einfach.


    Genau das hatte Nigrina vor.

    Nigrina verstand es zu spielen. Sie verstand es sogar sehr gut, zu spielen. Sie hatte viel von ihrem Vater gelernt, und sich noch mehr von ihm abgesehen. Und von seinen Gespielinnen, bei denen häufig auch solche dabei waren, die selbst zu spielen verstanden. Nigrina hatte genug gelernt, um das Spiel inzwischen nahezu perfekt zu beherrschen – perfekt, wenn man sie fragte. Bisher zumindest hatte sie niemanden getroffen, der ihr das Wasser hätte reichen können. Dass das durchaus auch an der Gesellschaft in Ravenna und ihrer – trotz aller Eskapaden ihres Vaters – behüteten Kindheit und Jugend liegen mochte, war ihr selbst nicht klar. Was die Menschen jedenfalls betraf, die sie hier umgaben: mit diesen verstand Nigrina es perfekt zu spielen. Sie bekam, was sie wollte. Und im Augenblick wollte sie das Dingelchen. Hätte man sie gefragt, Nigrina hätte nicht einmal sagen können, wieso. Es reichte, dass sie da war. Dass sie eine jener Gespielinnen ihres Vaters war, die eine… fast schon… rührende Naivität ausstrahlten. Nigrina konnte nicht wirklich den Finger darauf legen, was es war, weil es ihr so völlig fern lag, aber Naivität traf es ganz gut. Vielleicht auch Vertrauensseligkeit. Das Ding gehörte zu denen, die dachten, sie würden ihrem Vater tatsächlich etwas bedeuten. Wie es auf die Idee kam, war Nigrina schleierhaft, aber es schien so zu sein. Es glaubte, ihr Vater sei ihm verfallen, genug jedenfalls, dass es mit der Tochter zu liebäugeln begonnen hatte. Welch erfrischende Naivität.


    Und welch Gelegenheit für Nigrina. Als ihr aufgefallen war, wie ihres Vaters Gespielin sie manchmal ansah, hatte sie sich Erkundigungen eingezogen, das hieß, einziehen lassen, und es hatte nicht lange gedauert, bis ihr berichtet worden war, dass die neueste Eroberung ihres Vaters dem eigenen Geschlecht durchaus nicht abgeneigt. Was vermutlich einer der Gründe war, warum sie es überhaupt an ihres Vaters Seite geschafft hatte, vermutete Nigrina. Sie kannte ihren Vater ja. Für sie allerdings bedeutete diese Bestätigung ihres Verdachts, dass sie loslegen konnte. Es musste sich nur eine passende Plattform bieten, und die hatte sie heute geschaffen mit diesem Zusammentreffen in der Exedra. Und das Spiel konnte beginnen… Erst die Bewegungen, völlig unbewusst scheinbar. Der Fuß, der am anderen entlang strich, immer wieder, und dabei stückchenweise mehr nackte Haut entblößte. Ein leichtes Nippen an ihrem Getränk, ein stark verwässerter, fruchtiger Wein, was sicherlich den Blick auf ihre Lippen lenkte. Der Arm, der sich hob, über dem Kopf abgelegt wurde, wodurch sich ihr Oberkörper streckte. Ein leichtes Räkeln in der Sonne, genießerisch die wärmenden Strahlen empfangend, angedeutet lasziv, aber ja nicht zu viel, nie zu viel, nie so, dass es vulgär hätte wirken können. Niemals so. Dann, nach und nach, die Blicke, versteckt, scheinbar. Es war nicht schwer so zu tun, also wollte man eigentlich nicht, der andere sähe es. Der Trick war nicht, im richtigen Moment hinzusehen – der Trick war, im richtigen Moment wegzusehen. Nigrina genoss ihr Spielchen, trieb es weiter, bis sich schließlich ein erster richtiger Blickkontakt manifestierte, der erste, dem sie nicht auswich, sondern begegnete – standhielt, wie es wohl für die andere aussehen musste –, Momente lang, bevor Nigrina ihre Lider wieder senkte, scheinbar verlegen, und dabei ein verschämtes Lächeln ihre Mundwinkel umspielen ließ. Nur um einen Augenblick später wieder, unter immer noch leicht gesenkten Lidern, hervorzublinzeln – und den Blick abermals zu senken, da die andere sie immer noch ansah. Den Blick von ihr nicht abzuwenden können schien. Nigrina musste Acht geben, dass ihr Lächeln nicht triumphierend wurde, während sie zugleich bedauerte, nicht auf Kommando eine leichte, verlegene Röte auf ihre Wangen zaubern zu können. Dies zu beherrschen, ihren Körper derart zu kontrollieren, wäre wahrhaftig die Krönung gewesen.