Beiträge von Flavia Nigrina

    Ad
    Aurelia Prisca
    Villa Aurelia
    Roma


    Salve Prisca,


    ich danke dir für deine Nachricht! Mit meinem Bruder habe ich ebenfalls bereits sprechen können, und er freut sich auf unseren gemeinsamen Theaterbesuch. Ich würde vorschlagen, wir treffen uns am ANTE DIEM IV NON IUL DCCCLX A.U.C. im Theatrum Marcelli, wie wir ausgemacht hatten. Eine Loge wird für uns reserviert sein!


    Mögen die Götter dich und die deinen behüten.


    Vale,


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    Ein wenig hatte es gedauert, bis alle Vorbereitungen, alle Absprachen getroffen waren, aber nun war es so weit: Nigrina befand sich, in Begleitung ihres Bruders, auf dem Weg zum Theatrum Marcelli, wo sie beide gemeinsam mit Aurelia Prisca und einem weiteren Aurelier sich das Theaterstück ansehen würden, das derzeit gespielt wurde – Die Vögel von Aristophanes, eine Komödie, ganz wie Prisca gesagt hatte. Selbstverständlich waren die beiden Flavier in der obligatorischen Sänfte mit den flavischen Insignien unterwegs, begleitet von einigen zusätzlichen Sklaven, ohne die Nigrina ohnehin kaum vor die Tür ging, weil man ja nie so recht wusste, wann man Träger oder Laufburschen brauchte.


    Beim Theater angekommen, kümmerten sich die flavischen Sklaven darum, dass die Geschwister zu der Loge gebracht wurden, die Nigrina für diesen Abend hatte reservieren lassen. Und die Flavia war recht deutlich gewesen, was sie erwartete, auch wenn das für patrizische Ansprüche letztlich nichts besonderes war. Eine Loge für vier, die dennoch ein wenig Raum bot, immerhin konnte sie über Pisos und Priscas Verhältnis zueinander nur dann mehr herausfinden, wenn die zwei wenigstens den Eindruck von oberflächlicher Zweisamkeit gewinnen konnten, und wer wusste schon, vielleicht war ihr Begleiter ja so interessant, dass auch sie einer gewissen Zweisamkeit nicht abgeneigt war. Darüber hinaus waren Getränke und eine Zusammenstellung verschiedener kleinerer Häppchen bereit gestellt worden, so dass es den vier Patriziern an nichts mangeln würde während des Theaterstücks.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Die Aurelia würde sich also weigern, gegen den Willen ihres Tutors zu heiraten. Nun ja, das stellte dann doch ein Problem dar, für das Nigrina nicht wirklich eine Lösung hatte. „Nun… dann wirst du diesen Aurelier eben von dir einnehmen. Du bist immerhin Flavier. Weiß er denn schon, welche Absichten du hegst?“ fragte Nigrina dann unvermittelt. „Und weiß sie es?“ Es brachte ja nichts, sich hier jetzt großartig aufzuregen, wenn noch gar nichts fest war. Solange Piso seine Absichten nicht eindeutig gemacht hatte, konnte ja auch keiner wissen, was dieser Aurelier dann wirklich sagen würde. Oder ob Prisca Piso überhaupt wollte… und der sich nicht irgendwas einbildete, was von Seiten der Aurelia womöglich nicht mehr als oberflächliche Schwärmerei war. „Nun“, kommentierte sie dann Pisos Überlegungen bezüglich des Consuls, nichtsahnend, dass ihr Bruder fast so etwas wie Angst vor Furianus hatte – obwohl es ihr durchaus ein wenig merkwürdig vorkam, dass er so herumstotterte –, „es handelt sich ja offenbar um mehr als nur irgendeine Liebschaft, wenn du vorhast sie zu ehelichen.“ Ob es nun ihre Worte waren oder ob Piso selbst zu dem Schluss gekommen, er stimmte in jedem Fall zu, auch Furianus um Unterstützung zu bitten. Anschließend lächelte Nigrina und versuchte damit, Zuversicht auszustrahlen. Der Theaterabend immerhin würde eine Chance sein, für Piso, aber auch für sie, um zu sehen, wie ernst es ihm – und Prisca – denn tatsächlich war. Und es war eine Gelegenheit, weitere Mitglieder der Familie kennen zu lernen, bei der sie zukünftig leben würde. „In Ordnung, dann mache ich einen Termin aus und gebe dir dann Bescheid.“


    Was jedoch ihre Hochzeit – und ihre damit verbundene künftige gesellschaftliche Stellung – anging, kannte Nigrina keinen Spaß. Auch kein Pardon. Und erst recht kein Abweichen von ihrem Standpunkt, und sei es nur ein Fingerbreit. „Oh nein, das ist NICHT dein Ernst.“ Ihre Stimme klang genauso eingeschnappt wie seine. „Und natürlich geht es dir um dich, es geht nur um dich und darum, dass du diese Prisca unbedingt willst, obwohl du noch nicht mal mit Verhandlungen angefangen hast. Und MIR geht es um MICH und MEINE gesellschaftliche Zukunft! Und was würde es denn für die Ehre unserer Familie bedeuten, wenn ich nächstes Jahr noch unverheiratet bin? Ich werde bald 18, Aulus! Sollen die Leute tratschen, die Flavier wären nicht in der Lage ihre Töchter standesgemäß in angemessener Zeit zu verheiraten? Ich werde mit Sicherheit nicht noch länger auf meine Hochzeit warten, nur weil du meinst die deine nicht anders auf die Reihe kriegen zu können! Ob DU nun dieses Jahr noch heiratest, nächstes erst oder das Jahr darauf, das spielt doch für euch Männer keine Rolle! Aber ICH bin eine Frau, und eine Frau, gerade eine Patrizierin in meinem Alter sollte eigentlich schon längst verheiratet sein!“ Sie funkelte ihren Bruder an. „DU darfst dir das von diesem Aurelier nicht bieten lassen, da stimme ich dir zu, aber das wirst du wohl oder übel mit den Mitteln ausfechten müssen, die dir allein zur Verfügung stehen, und nicht meine geplante Hochzeit dafür verwenden! Vater mag dir die weiteren Verhandlungen übertragen haben, aber du weißt so gut wie ich, dass er die ersten bereits begonnen hat, dass das grundlegende Einverständnis von beiden Seiten bereits da ist, dass es eigentlich nur noch um die Mitgift geht! Und Vater ist der, der meine Patria Potestas hat – nicht du!“ Nigrina schäumte nun beinahe vor Wut, und inzwischen war sie dazu übergangen, vor Piso hin und her zu laufen, während sie mit ihren Händen gestikulierte. „Ich liege Vater seit zwei Jahren damit in den Ohren, dass er endlich einen Ehemann für mich aussucht, und jetzt hat er das ENDLICH getan! Und eines sag ich dir, wenn du vorhast mir DAS zu verderben und mich zu zwingen, NOCH länger zu warten, werde ich Vater bitten herzukommen und die Verhandlungen selbst zu Ende zu führen!“

    „Ihr Tutor?“ Dann hatte der Kerl doch ungefähr genauso viel zu sagen wie Piso bei ihr. Nigrina ging einfach mal davon aus, dass Prisca damit keiner Patria Potestas mehr unterstand, ansonsten hätte ihr Bruder das doch sicher erwähnt. Und wenn dem so war, dann… nun, natürlich würde sie nicht ihre komplette Familie vor den Kopf stoßen können, aber was sollte denn bitte die aurelische Familie dagegen haben, eine weitere Verbindung mit den Flaviern einzugehen? Sie waren die FLAVIER, bei allen Göttern! „Sicher kommst du irgendwie an ihm vorbei“, erklärte Nigrina kategorisch. Kam ja gar nicht in Frage, dass er hier so einfach aufgab. Während sie seine Umarmung erwiderte, überlegte sie, was sie tun könnten. Ihrem Vater zu schreiben war wohl keine so gute Idee, immerhin hatte der ja quasi gerade erst angefangen zu denken, Piso wäre wahrhaftig in der Lage auf eigenen Beinen zu stehen und seinen Weg zu gehen – da kam es wohl nicht so gut an, wenn er nun erfuhr, womit er sich bezüglich einer möglichen Vermählung herumschlagen musste. Und Nigrina war sich auch sicher, dass ihr Vater erst mal einen herzlichen Lachanfall bekommen würde, wenn er erfuhr, dass Piso verliebt war und deswegen unbedingt diesen aurelischen Wachhund irgendwie austricksen musste, weil er ganz offenbar nun mal Prisca wollte. Nigrina nahm an, sie müsste wohl noch froh darüber sein, dass Piso sich in eine Patrizierin verguckt hatte. Nein, ihren Vater ließ sie besser außen vor. Aber wozu hatte man einen Consul in der Familie. „Was ist mit Furianus, schon mal daran gedacht ihn einzuschalten?“


    Immer noch in seiner Umarmung, ließ auch Nigrina ihre Arme, wo sie waren – wer wusste schon, was für einen Bonus ihr das einbrachte, und, ja, irgendwie gefiel es ihr auch, dass Piso sie so behandelte und so mit ihr sprach. Und dann gab er ihr auch noch einen Kuss. Ihr Bruder im Überschwang der Gefühle. Nigrina musste schon wieder schmunzeln, aber sie schaffte es, ein leichtes Lächeln daraus werden zu lassen, als Piso sie nun losließ und sie sich wieder ansahen. „Noch gar nichts“, antwortete sie ihm dann. „Wir wollten zunächst Begleiter organisieren, bevor wir uns auf einen Tag festlegen – aber nachdem das nun von meiner Seite aus geklärt ist, würde ich ihr eine Nachricht zukommen lassen. Wann würde es dir denn am besten passen? Dann kann ich ihr einen Vorschlag machen.“


    Und dann sprach Piso wieder. Und sprach weiter. Und sprach weiter. Und Nigrinas Brauen rutschten mit jedem Wort ein Stückchen höher, die linke dabei stets ein wenig höher als die rechte. Sie traute ihren Ohren nicht so recht. Sie musste sich da einfach verhören. Das konnte doch unmöglich Pisos Ernst sein! Wegen einer… einer… einer lächerlichen VERLIEBTHEIT wagte er es ernsthaft, ERNSTHAFT in Betracht zu ziehen, IHRE Hochzeit aufs Spiel zu setzen? Es ging Nigrina dabei gar nicht darum, dass Piso sie quasi als Tauschobjekt zu nutzen gedachte. Nein, das fand sie in gewisser Hinsicht sogar normal. Aber bei allen Göttern, es ging hier nicht um die Tochter eines Consul oder gar des Kaisers! Ihr Vater war nicht mehr am Leben, sonst hätte sie keinen Tutor, und er war damit schon mal kein lebendiger Senator mehr! Und sie war eine Aurelia, keine Claudia beispielsweise! Und da wagte Piso es, auch nur darüber nachzudenken, sie, ihre Hochzeit, ihre künftige gesellschaftliche Stellung als Faustpfand zu verwenden? Nigrinas Augen begannen zu funkeln, als ihr klar wurde, dass ihr Bruder das sehr wohl so meinte, wie er es sagte. „Das ist nicht dein Ernst.“ Ihr Temperament begann zu brodeln. „Das KANNST du nicht ernst meinen! Hör mal, ich finde Prisca auch sympathisch – aber sie ist nicht die Tochter des Kaisers!“ Wer von ihnen war es denn, bei dem es egal war, in welchem Alter er letztlich verheiratet war und am besten schon soundsoviele Kinder, noch besser Söhne, geworfen hatte? Das war doch wohl bitte sie, von der das erwartet wurde, nicht er! „Natürlich werden wir ihnen nicht klein beigeben, wir sind Flavier, das tun wir nie, gegenüber niemandem! Aber du wirst nicht meine Zukunft aufs Spiel setzen, nur damit du Prisca kriegst, da wirst du dir was anderes einfallen lassen müssen!“

    Es war tatsächlich faszinierend, zu beobachten, wie rasant ihr Bruder zwischen verschiedenen emotionalen Zuständen schwankte. Erst grinsend, dann beherrscht, wieder grinsend, beinahe verlegen, strahlend, deprimiert und zu guter Letzt wütend. Nigrina war so fasziniert davon, dass sie beinahe vergaß den Worten zu folgen, die Piso dazu noch aussprach. Sie hätte ja nie gedacht, dass ihr kurzer Besuch hier so erfolgreich sein würde, und sie hätte auch nicht gedacht, dass Piso so für Prisca empfand – dass da irgendetwas war, das schon, das hatte sie zumindest für möglich gehalten, aber das hier… sogar geküsst hatten sie sich auch schon. Nicht, dass Nigrina das für so ungewöhnlich hielt, aber Piso hätte sie das nun nicht unbedingt zugetraut, so draufgängerisch zu sein. Aber er hatte sich erwischen lassen. Und dann sagte er, dass er Prisca liebte. LIEBTE. Ausgerechnet!


    Nigrina war nicht unbedingt eine Römerin, die notwendigerweise an Liebe glaubte. Lust, das ja. Und dass man jemanden mochte. Irgendwie auch liebte, bei manchen mochte es das geben. Aber mal ehrlich: letztlich war sich doch jeder selbst der Nächste. Wenn es hart auf hart kam, wer würde da noch ein As auf Liebe geben? Und eine Ehe, eine patrizische vor allem, sollte auf ganz anderen Pfeilern aufbauen, fand sie. Wenn sich dann noch Sympathie dazu gesellte, umso besser, sie wollte schließlich auch nicht ihr Leben mit einem Kerl verbringen, den sie überhaupt nicht leiden konnte – obwohl sich auch das arrangieren ließe irgendwie, zur Not ließ sie sich halt irgendwann scheiden oder hielt es wie ihr Vater, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot, hieß das –, aber Liebe? Daran zweifelte sie doch sehr. Was sie allerdings nicht davon abhielt, ihre Gedanken vor Piso sorgfältig zu verbergen. „Du machst Sachen… Ich schätze mal, dieser Aurelius Corvinus hat etwas zu sagen bei Prisca, oder wie?“ Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen mitfühlenden Klang zu geben, während ein Teil von ihr fast versucht war zu lachen. Aber es war einfach irgendwie komisch, welche Vorstellung Piso gerade ablieferte.


    „Lass den Kopf nicht hängen, Aulus, das kriegst du schon irgendwie hin, du-“ Weiter kam Nigrina nicht, denn in diesem Augenblick hing Piso ihr plötzlich um den Hals. „Wuah!“ stieß sie hervor, während sie zuerst die Arme von sich streckte und dann, etwas verspätet, die Umarmung erwiderte – nur um dann völlig perplex zu fragen: „Eh. Ich bin was?“ Natürlich war sie das, aber sie hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, dass Piso ihr das so sagen würde – oder gar so zeigen. Sie strich ihm leicht über den Rücken. „Na das mit dem Theater war ja Zufall, ich wusste doch nicht, wer sie ist… Aber das ist doch klasse, so kannst du mit ihr reden. Und mal ehrlich, dieser Corvinus wird sich doch nicht gegen einen Flavier sperren. Was denkt er von sich?“ Er war Patrizier, aber keiner vom alten Geschlecht. Der sollte sich bloß nicht einbilden, er könne einen Flavius davon abhalten, das zu bekommen, was er wollte!

    Auf ihre Frage stotterte Piso erst mal ein wenig vor sich hin, während er weiterhin einen Gesichtsausdruck hatte, der irgendwo zwischen dümmlich und strahlend hin und her schwankte. Nigrina gab sich wirklich Mühe, nicht allzu sehr zu grinsen. In diesem Moment fand sie ihn irgendwie… ja, irgendwie süß, obwohl das normalerweise kein Ausdruck war, den sie gebrauchte. Aber bei ihrem Bruder konnte sie ja wohl mal eine Ausnahme machen. „Gar nichts also…“ Nigrinas Augenbrauen zuckten leicht nach oben. „Ich frag mich grad nur, warum du so grinst. Und, weißt du, aufgeregt wirkst du auch irgendwie ein bisschen…“ Natürlich wollte Nigrina noch mehr herausfinden, wollte noch mehr an Reaktion aus Piso herauskitzeln – je mehr sie wusste, desto besser für sie. Und es war ja nicht so, dass sie nicht noch den ein oder anderen Trumpf hätte, den sie spielen könnte. „Sie hat mir übrigens erzählt, dass ihr euch schon mal begegnet seid“, erwähnte sie also beiläufig.

    Ihr Benehmen. So so… Nun, benehmen konnte Nigrina sich – sie konnte es sogar sehr gut. Wenn sie wollte. Und bei Furianus stellte sich augenblicklich nicht die Frage, ob sie wollte oder nicht – er war Consul, bei allen Göttern, mit so jemandem verscherzte man es sich so oder so nicht, erst recht nicht, wenn er zur Familie gehörte! Das Thema mit seinem Landgut und einem eventuellen Besuch ihrerseits dort ließ sie nun vorerst auf sich beruhen. Furianus hatte eher einen zurückhaltenden Eindruck gemacht, und Nigrina sah durchaus sich in der Lage, eine solche Zurückhaltung zu interpretieren.


    Auf ihre weiteren Worte reagierte er kaum, und das war nun etwas, was Nigrina ein wenig… störte. Sie konnte nicht erkennen, nicht abschätzen, wie er über ihre Worte dachte, wie er sie aufnahm, und das störte sie einfach, wurde es dadurch doch umso schwerer, die richtige Reaktion zu finden. „Ja… Celerina ist mit einem Aurelier verheiratet, nicht wahr?“ Celerina… Nigrina grübelte einen Moment. Das war eine Verwandte, die sie auch noch kennen lernen sollte, spätestens wenn die Verhandlungen offiziell waren. Dass Furianus betonte, dass die Bande zwischen der Aurelia und der Flavia bereits eng waren, konnte allerdings wieder als Nachteil interpretiert werden. Immerhin war es besser, politische Verbindungen eher weit zu streuen… Aber ihr Vater hatte sich umgehört und nun einmal die Aurelia auserkoren, und diesen Zweig – sie wusste nicht, ob er den Vater ihres Zukünftigen vielleicht irgendwann einmal kennen gelernt oder was sonst Aetius dazu bewogen haben mochte, ausgerechnet diesen Mann anzuschreiben, ob er einen seiner Söhne mit Nigrina verheiraten würde. War im Grunde auch nicht allzu wichtig, nicht für sie, weil sie ohnehin kein Mitspracherecht war – und solange es ein Patrizier war, der ein Mindestmaß an Ehrgeiz mit brachte, sollte es ihr recht sein. Ein Senator wäre natürlich noch einmal eine ganz andere Liga… andererseits war sie da durchaus zwiegespalten. Würde sie einen Senator heiraten, hätte sie von vornherein einen ganz anderen Stand. Aber sie wollte auch keinen alten Knacker abkriegen, da war es ihr im Grunde fast lieber, einen zu heiraten, der noch ein Niemand war, aber das Zeug hatte sich hochzuarbeiten… und dafür jung war.


    „Nein, hat er noch nicht“, antwortete sie dann wahrheitsgemäß. „So weit ich weiß, jedenfalls. Bevor er mich nach Rom geschickt hat, hat er mir gesagt, er hätte Aulus mit allem Nötigen beauftragt. Demnach steht bisher die Verlobung selbst noch nicht einmal wirklich fest, nur der Wille, entsprechende Verhandlungen zu führen.“ Sie lächelte leicht, aber wertfrei – es gab hier nichts, wofür sie sich entschuldigen müsste, sie hatte mit dieser Sache im Grunde nichts zu tun. „Falls sich inzwischen Änderungen ergeben haben sollten, wäre Aulus der richtige Ansprechpartner.“

    Natürlich kannte Nigrina ihren Bruder – und wusste nur zu gut, wie sie ihn ärgern konnte. Oder wenigstens ein bisschen aufziehen. Sie musste gar nicht darüber nachdenken. Gewisse Dinge schliffen sich einfach ein unter Geschwistern, und selbst wenn sie etwas daran hätte ändern wollen, hätte sie zunächst Schwierigkeiten gehabt, aus der Rolle auszubrechen, die sie als kleine, als jüngste Schwester, kombiniert mit ihrem Charakter, im Lauf der Zeit eingenommen hatte. Allerdings wollte sie gar nicht ausbrechen, im Gegenteil – sie persönlich fand, dass es einen großen Nutzen hatte, wenn man in der Lage war andere zu ärgern, oder wenigstens wusste, wie man sie ärgern konnte. Es gab einem nur einen zusätzlichen Trumpf in die Hand, den man spielen konnte, vorausgesetzt man war sich bewusst darüber. War man es nicht, konnte sich der Trumpf nur allzu schnell ins Gegenteil verkehren… aber auch darüber war Nigrina sich, inzwischen, bewusst.


    Sie ließ sich also ein wenig Zeit, erzählte über die Gladiatorenkämpfe, war fast ein wenig enttäuscht, dass er nicht nachfragte, und kam dann endlich auf den Punkt. Was aber dann geschah, war… nahezu unbeschreiblich. Pisos Reaktion, als sie Priscas Namen nannte, übertraf jede Erwartung, die Nigrina gehegt hätte. Sie hatte darauf spekuliert, dass er irgendwie reagierte, dass ja. Aber so… Einige Momente lang musterte sie ihren Bruder, fast verblüfft, fragte sich für einen winzigen Augenblick gar, was wohl vorgefallen sein mochte zwischen den beiden, denn zunächst wirkte Piso so schockiert, dass sie eher dazu tendierte, Negatives anzunehmen. Dann jedoch schlich sich zunehmend ein Lächeln auf ihre Lippen, und sie musste sich zusammenreißen, um es nicht zu einem ausgewachsenen Grinsen werden zu lassen. Piso war verliebt. VERLIEBT! Na wenn ihr das nicht hervorragend in die Hände spielte! Nigrina dachte nicht unbedingt hoch von Verliebten, aber Fakt war, dass sie sehr leicht zu kontrollieren waren, Männer wie Frauen.


    „Ja?“ wiederholte sie mit einem strahlenden Lächeln. „Das ist toll, danke!“ Und dann, endlich, fing sie doch an ein wenig zu grinsen. „Was ist denn mit dir los?“

    Ihren Bruder schien es nicht sonderlich zu stören, dass sie hereingeplatzt kam – im Gegenteil, irgendwie wirkte er eher erleichtert. Umso besser für sie, befand Nigrina. Sie hatte ja keine Ahnung, was er von der Idee halten würde, mit ihr, Prisca und einem weiteren Aurelier ins Theater zu gehen. Nun, gegen das Theater an sich würde er wohl kaum etwas haben, aber sie wusste ja nicht, was er von Prisca hielt. Ob er sie wieder sehen wollte oder eher nicht. Andererseits… Theater war Theater. Und Piso konnte etwas Ablenkung gebrauchen, fand Nigrina – in den letzten Tagen hatte er recht niedergeschlagen gewirkt, die paar Mal, bei denen sie sich über den Weg gelaufen waren, niedergeschlagen oder gestresst oder sonst etwas, jedenfalls war es eine von diesen Launen gewesen, die sich negativ auswirkten. An Vera konnte es nicht liegen, Veras Zustand hatte sich nicht geändert, seit sie angekommen war – aber nun gut, vielleicht war es ja genau das, dass sich bei ihrer Schwester nichts zum Positiven zu wenden schien, was Piso immer mehr bedrückte. Oder er vermisste seine Arbeit, wer wusste das schon. „Nun…“ lächelte sie ihn an und lehnte sich ebenfalls an den Schreibtisch, so dass sie ihn nun von der Seite her ansah. „Die Sache ist die…“ Oh ja, Nigrina machte es manchmal gern spannend. „Also, ich war doch während der Megalesia bei den Wagenrennen. Und bei den Gladiatorenkämpfen – oh, die hättest du sehen sollen, das war furchtbar spannend… Nur leider haben immer die verloren, zu denen ich gehalten habe.“ Was eine schmeichelhafte Umschreibung dafür war, dass sie gewettet hatte. Und einen Haufen Kohle damit verpulvert. „Weißt du, eine der Schulen war die ravennische… Was ich aber eigentlich fragen wollte“, kam Nigrina nun doch endlich zum Punkt, „ich habe bei den Wagenrennen zufällig Bekanntschaft geschlossen mit einer Patrizierin. Und wir würden gerne gemeinsam ins Theater gehen, aber du weißt ja, wie das ist… Zwei junge Damen, ohne männliche Begleitung? Sie würde einen ihrer Verwandten fragen, und ich habe ihr zugesagt, dass ich meinen Bruder fragen würde.“ Nigrina machte eine kleine Kunstpause und lächelte ihren Bruder lieb an, zum Teil, weil sie ihn überreden wollte, zum Teil aber um zu vertuschen, dass sie nun scharf seine Reaktion beobachtete auf die Worte, die sie nun aussprechen würde. „Was sagst du? Du, ich, und Aurelia Prisca und einer ihrer Verwandten?“

    Das Wagenrennen war vorbei. Die Gladiatorenkämpfe ebenso. Ersteres hatte für Nigrina ein positives Erlebnis beinhaltet, letzteres… keins. Ganz im Gegenteil. Haushoch verloren hatte sie! Innerlich regte sie sich immer noch auf darüber, wenn sie nur daran dachte. Und sie war überzeugt davon, dass da geschummelt worden war, denn wie sonst war zu erklären, dass sie verloren hatte? Mit einem Zähneknirschen verdrängte sie die Gedanken an die Niederlage, die sie dabei hatte erleiden müssen – selbst wenn es nur Wetten gewesen waren, eine Niederlage war eine Niederlage –, und beschloss, sich nur noch mehr auf das Positive zu konzentrieren, dass ihr bei den Wagenrennen zuteil geworden war. Sie hatte Bekanntschaft geschlossen mit einer Aurelia, einer ihres Standes, die ihr noch dazu auf Anhieb sympathisch gewesen war, die darüber hinaus ihren Bruder bereits kannte und die – hoffentlich – ihr helfen würde, sich weiter in die römische Gesellschaft einzuführen. Die richtigen Leute, die richtigen Feste, das alles musste zunächst überhaupt erst erkannt werden und dann durchdacht sein, und es war wichtig, eine zu haben, die ihr Ratschläge geben konnte. Denn dass Piso das nicht konnte, darüber machte Nigrina sich keine Illusionen. Er hatte zunächst in der Kanzlei arbeiten wollen und hing ja offenbar immer noch mit diesem Chaotenaelier herum – wie sollte er bitte unterscheiden können, was für eine junge Flavia die richtige Gesellschaft war und was nicht? Auf welchen Feiern sie sich unbedingt blicken lassen musste, auf welchen vielleicht, auf welchen gar nicht? Und das Ganze konnte ohne Ende herunter gebrochen werden. Die richtigen Geschäfte, die richtige Kleidung… Das Leben einer Römerin, gar einer Patrizierin, glich mehr einem Gesamtkunstwerk, fand Nigrina, und ebenso wie ein solches musste die Komposition der einzelnen Teile stimmig sein. Und dazu war Piso einfach nicht fähig. Das lag nicht unbedingt nur an ihm als Person, sondern auch an der Tatsache, dass er ein Mann war. Männer konnten so ein Gesamtkunstwerk genießen, aber in aller Regel nicht durchblicken, was tatsächlich dahinter steckte, oder was nötig war, um so etwas aus sich zu machen.


    Während sie über diese Dinge nachgrübelte, hatte Nigrina ihr Ziel erreicht: die Tür zu Pisos Officium. Leicht, aber nicht zaghaft, klopfte sie an und betrat dann den Raum, als er sie dazu aufgefordert hatte. „Bruder“, lächelte sie ihm entgegen und kam auf ihn zu, um ihn zu umarmen und ihm einen leichten Kuss auf die Wange zu geben. „Ich hoffe ich störe dich nicht?“ Was eine rhetorische Frage war. „Ich habe eine Bitte…“

    Keine weiteren Landgüter. Keine weiteren Möglichkeiten, sich zurückzuziehen, sollte Rom tatsächlich ihr ebenso auf die Nerven gehen im Sommer. Nigrina nippte an ihrem Getränk, während sie zugleich befand, dass sie schon irgendeinen Weg finden würde, es ihr gut gehen zu lassen. Nach Ravenna zurückzureisen hieße in jedem Fall, dort gänzlich die Sommermonate zu verbringen, das gleiche galt beispielsweise für Baiae als mögliches Ziel, wo ebenfalls Verwandte lebten – eine derartige Reise nahm sie nicht einfach so auf sich, nicht um sich dort dann nur wenige Wochen aufzuhalten. Und sie wollte einfach nicht derart lange aus Rom fort sein, wo sie doch gerade erst hierher gekommen war. Furianus’ vage Formulierung bei seiner Antwort fiel ihr in jedem Fall auf – woran diese Vagheit nun lag, wusste sie freilich nicht, aber sie bemerkte sie. „Worauf kommt es denn an?“ Ihr Lächeln blieb so liebenswürdig wie zuvor. „Ich möchte dir ganz sicher nicht zur Last fallen, verzeih mir, wenn ich zu aufdringlich gewesen sein sollte.“ Wenn das Landgut des Furianus’ tatsächlich das einzige flavische in der näheren Umgebung Roms war, war es noch wichtiger, es sich nicht mit ihm zu verscherzen, wollte sie wenigstens irgendwann einmal die Gelegenheit haben, ihn dort zu besuchen – und damit Rom zu entfliehen. Immer vorausgesetzt natürlich, die Hitze und der Gestank waren tatsächlich unerträglich, aber da sie recht verwöhnt war, oder, wie sie selbst es formulieren würde: sehr anspruchsvoll, würde es vermutlich darauf hinauslaufen. Und es hatte ja einen Grund, warum so viele Mitglieder der Nobilitas im Sommer Rom für einen längeren Zeitraum verließen – und auch jeder sonst, der die Gelegenheit und das nötige Kleingeld dazu hatte.


    „Noch bin ich 17“, erlaubte sie sich dann ihn dann zu verbessern. Und dann verzog sie ihre Lippen zu einem leichten… nun, Schmollen konnte man es nicht ganz nennen, aber es war definitiv ein entsprechender Anflug davon. Sie hatte es ja selbst gesagt – aber sie fand es trotzdem nicht sonderlich höflich, dass er das noch einmal so explizit erwähnte. Es war einfach etwas anderes, wenn sie selbst damit kokettierte! Aber im Endeffekt konnte sie dem Consul nur zustimmen, und das war ein weiterer Grund dafür, dass sie schmollte, nicht ihm, sondern ihrem Vater – und dem noch weit mehr. „Meine Rede! Seit zwei Jahren liege ich meinem Vater damit in den Ohren, er möge einen Ehemann für mich aussuchen, oder wenigstens einen passenden Kandidaten…“ Sie seufzte leicht und lächelte dann wieder. „Aber nun hat er sich darum endlich gekümmert. Einer der Gründe, warum ich hier in Rom bin – mein Vater hat sich für den Sohn eines Aureliers entschieden. Mein Bruder Aulus soll in der nächsten Zeit die entscheidenden Verhandlungen aufnehmen.“

    Nigrina lächelte, sichtlich erfreut bei der Aussicht, bald einen Theaterabend mit ihrer neuen Bekanntschaft und einem jungen, gutaussehenden Aurelier verbringen zu können. Unabhängig davon, dass sie, wenn alles lief wie geplant, irgendeinen von denen heiraten würde. Oder vielleicht auch nicht, sie wusste ja nicht, ob derjenige welche schon in Rom war, und es interessierte sie auch nicht sonderlich, solange er zur Hochzeit dann da war. Denn, obwohl es theoretisch nicht nötig war, dass er anwesend war – Nigrina hatte dann doch… gewisse… Ansprüche. Und sie wollte eine Hochzeit, bei dem ihr Kerl da war. Nicht zuletzt der Hochzeitsnacht wegen. Was nun die Verwandten ihres Zukünftigen anging: es konnte nie schaden, sie beizeiten kennen zu lernen, und mit beizeiten meinte Nigrina in diesem Fall vorher. Noch bevor feststand, ob sie überhaupt einen von ihnen heiraten würde. Noch bevor diese davon wussten, jedenfalls. Bei Priscas Scherz, der mitten in diese Gedanken hinein ausgesprochen wurde, konnte Nigrina ein Lachen nicht unterdrücken. „Nein, muss ich ja nicht“, bestätigte sie liebenswürdig und bemühte sich, ihr Lachen einzudämmen, damit es nicht etwa auffiel. Prisca hatte keine Ahnung… und so kurz, wie sie sich erst kannten, sah Nigrina gar nicht ein ihr etwas zu erzählen. Es gefiel ihr im Gegenteil eher, sie noch ein wenig im Ahnungslosen zu lassen, rein aus Prinzip. Und je nachdem, wie ihre Bekanntschaft sich entwickelte, würde sie sie sicher einweihen. Wenn dieser Theaterabend Spaß machen würde… und sie tatsächlich den Eindruck gewann, dass sie Prisca vertrauen, dass sie gar eine Art Freundin sein könnte… vielleicht würde sie ihr dann sogar schon von der geplanten Verlobung erzählen, bevor die Sache in trockenen Tüchern war. „So lange es etwas zu lachen gibt… mir steht der Sinn mehr nach Komödien“, grinste sie zurück, bevor sie nickte. „Sobald ich Aulus’ Einverständnis habe, werde ich dich informieren – oder du mich, je nachdem, wer eben schneller ist.“


    Nigrina hatte ihren Satz kaum beendet, da besaß einer der Tiberier nun den Anstand, auf sie aufmerksam zu werden und sie zu begrüßen, zunächst Prisca, verständlicherweise, dann sie, mit einer Verbeugung, die Nigrina mit einem leicht koketten Neigen ihres Kopfes quittierte. Sie überließ dem Tiberier und Prisca die ersten, einleitenden Worte, dann lächelte sie. „Es freut mich sehr, eure Bekanntschaft zu machen, Tiberius Durus, Tiberius Celsus.“ Sie warf Prisca einen Blick zu und lachte leise auf. „Oh, ich bin ebenso froh wie du. Wir sind wohl beide etwas zu spät gekommen, müsst ihr wissen“, wandte sie sich erklärend an die beiden Tiberier. „In jedem Fall war die Menge offenbar schon derart dicht, dass unsere Sklaven es nicht mehr geschafft haben, uns zu unseren eigentlichen Plätzen zu bringen. Von dem Rennen haben wir nicht allzu viel sehen können, leider.“ Das letzte Wort war glatt gelogen. Es störte sie nicht im Geringsten, dass sie von dem Rennen nicht mehr viel bemerkt hatte, nicht nachdem sie Priscas Bekanntschaft gemacht hatte.

    Für einige Momente saß Nigrina einfach nur sprachlos da und starrte auf die Szene in der Arena. Fassungslos. Das war… das war so… ENTWÜRDIGEND! Da verlor sie nun auch noch die dritte Wette, nur weil dieser Depp nicht fähig war mit seinem Schild umzugehen! Das war einfach nicht zu fassen! „Du… du… du…“ Kein Schimpfwort, kein Fluch schien groß, passend, schlimm genug zu sein für diesen hirnverbrannten Idioten, der sich da einfach schlagen ließ. Der VERLOR! So wie die beiden anderen Trottel vor ihm auch! Was fiel denen überhaupt ein? Langsam, aber sicher begann Nigrina vor Wut zu schäumen. Sie war keine sonderlich gute Verliererin, im Gegenteil, sie war eine äußerst schlechte Verliererin. Sie hasste es zu verlieren. Und sie trug meistens Sorge dafür, dass sie eben nicht verlor – aber bei Wetten wie diesen ging das schlecht, oder besser: konnte sie das nicht. Andere ja, sie nicht, und vermutlich war das des Rätsels Lösung, die Kämpfe waren alle abgesprochen gewesen, da war doch Geld geflossen, damit die so ausgingen, es MUSSTE einfach so sein, wie sonst war denn zu erklären, dass sie verloren hatte – ALLE drei Wetten? Oh nein, da musste irgendwer irgendwas gedreht haben. Was nichts anderes hieß als: sie würde sich beim nächsten Mal besser vorbereiten müssen. Nicht dass sie da irgendwie mitmischen konnte, da machte sie sich nichts vor, aber sie konnte ja wenigstens Erkundigungen einholen… Empfehlungen… dafür würde sie nur eben die richtigen Leute kennen müssen bis dahin.


    Dieser Vorsatz brachte ihr jetzt allerdings nicht viel, genauer gesagt gar nichts, und so starrte sie immer noch auf den Kampfplatz und war schlicht und ergreifend stinksauer darüber, dass sie verloren hatte. Gut, es war ja nicht ihr Geld, aber – trotzdem! Es ging ums Prinzip, so einfach war das, eine Flavia verlor nicht, SIE verlor nicht! Und als der Veranstalter nun erneut die Arena betrat und den Sieger verkündete, als er das Publikum nun vor die Wahl stellte, zu entscheiden, was mit dem Verlierer passieren würde, dachte Nigrina nicht einen Augenblick lang nach. „IUGULA!“ brüllte sie, und sie gab ihren Sklaven einen Wink, das Gleiche zu tun, damit der Ruf noch lauter wurde. Wenn dieser Schwachkopf nicht gewinnen konnte, wo sie doch auf ihn gesetzt hatte, hatte er es auch nicht verdient am Leben zu bleiben. Eine Niederlage nahm Nigrina sehr persönlich.

    Nigrina musterte ihn einen Augenblick lang mit offener Neugier. „Zu schade, dass Rom in den Sommermonaten tatsächlich so unerträglich ist.“ Dass er tatsächlich ehrlich war, wie er es sagte, stellte sie nicht in Frage. Allerdings wollte sie tatsächlich nicht fort. Nicht allzu weit. Sie wollte nahe genug an Rom sein, dass es keinen großen Aufwand bedeuten würde, in die Stadt zu reisen, wenn irgendetwas los war. Wenn denn etwas los war, denn nach allem was sie bereits gehört hatte – und was Furianus gerade gesagt hatte –, verließ doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bevölkerung im Sommer die Stadt. Der Bevölkerung jedenfalls, die zählte in ihren Augen. Aber falls etwas los war, wollte sie sich das nicht entgehen lassen, und sie wollte auch die Abwechslung haben, die eine Stadt wie Rom bot. „Gibt es denn noch andere flavische Landgüter in der Nähe Roms?“ erkundigte sie sich. „Oder“, das folgte mit einem Lächeln, das sie immer zeigte, wenn sie von ihrem Vater etwas wollte, und das zumindest bei diesem in aller Regel auch Wirkung zeigte in seiner Mischung aus Liebenswürdigkeit und Schalk, „wäre es zu frech von mir dich zu fragen, ob ich dich vielleicht bei Gelegenheit auf deinem Landgut besuchen könnte?“ Sofern besagtes Landgut nicht zu weit weg war von Rom… wäre das die Ideallösung, fand sie.


    Die folgende Frage kommentierte sie mit einem weiteren Lächeln, auch wenn es diesmal undurchsichtiger war. Genau das war einer der Streitpunkte gewesen zwischen ihrem Vater und ihr – sie selbst hielt sich für gar nicht mehr so jung, im Grunde hätte er sie schon vor zwei Jahren nach Rom schicken können. Fand sie. Hatte er nicht gefunden. Und so war es eben auch zwischen ihnen zu diesen kleinen Streitgesprächen gekommen, die zwischen Vätern und ihren heranwachsenden Töchtern wohl üblich waren. „Fast 18 Jahre hat er mich bei sich behalten. Fast zu lange, wenn du mich fragst. Andere sind in meinem Alter bereits verheiratet…“

    Herennius. Nigrina nickte leicht. Herennius… Keine allzu herausragende Familie? Sie grübelte für einen Moment, beschloss sich den Namen zu merken – nur für alle Fälle – und lächelte Furianus erneut an. Politik interessierte sie im Grunde nur insoweit, wie es ihre gesellschaftliche Stellung betraf. Was letztlich hieß, dass sie doch das ein oder andere zwangsläufig in Erfahrung bringen musste, was sie eigentlich nur peripher von Interesse fand. Allerdings, hauptsächlich war es für sie wichtig, zu wissen welche Menschen und Familien wichtig waren und welche nicht. Bei welchen Plebejern es hieß, sich entsprechend zu benehmen und nicht allzu sehr zu zeigen, was sie von ihnen hielt, und bei welchen nicht. So etwas in der Richtung. Und dafür hatte sie ein Gespür. Ob es nun angeboren war oder im Lauf der Jahre entwickelt, wusste sie nicht genau zu sagen, aber in der Regel hatte sie ein Gespür dafür, welche Leute sie vor den Kopf stoßen konnte und welche nicht – was jedoch nicht hieß, dass sie immer danach handelte, oder abwartete, bis sie Bescheid wusste. Vor allem dann nicht, wenn ihr Temperament mit ihr durchging.


    Als Furianus dann seine Empfehlung aussprach, stutzte Nigrina für einen Moment, tatsächlich überrascht – und lachte dann leise. „Ich bin gerade erst angekommen, und du rätst mir, Rom schon wieder zu verlassen?“ Sie zog für einen Moment die Nase kraus, konnte sich das Lächeln dabei aber nicht verkneifen. Sicher gab es irgendwelche flavischen Landgüter in der Nähe Roms, zu denen sie flüchten konnte, wenn der Gestank der Stadt zu schlimm wurde – sie hatte in jedem Fall nicht vor, jetzt schon wieder nach Ravenna zurückzukehren, wo sie doch gerade erst entkommen war. „Wo wirst du den Sommer verbringen? Oder musst du hier bleiben, als Consul?“ Sie schmunzelte leicht. „Hab Dank für deine Empfehlungen, ich werde beides besichtigen. Und das Forum in jedem Fall auch. In angemessener Begleitung.“ Acht starke Sklaven, diese sollten doch aufzutreiben sein in der Villa Flavia. Aber auch ohne Furianus’ Empfehlung hätte sie annähernd so viele mitgenommen. Immerhin wusste man ja nie, was so alles passierte, und damit meinte Nigrina nicht die Möglichkeit eines Überfalls, sondern eher die Möglichkeit, dass sie unerwartet etwas wollte, Träger brauchte, Laufburschen… was auch immer. „Ein Besuch des Theatrums Marcelli habe ich ebenfalls bereits geplant.“

    Nein, es machte ihr nichts aus. Genau das war die Antwort, die Nigrina hatte hören wollen, die Antwort im Grunde, die allein schon die Höflichkeit gebot. Aber höfliches Geplänkel war das A und O in der Welt, in der sie lebten. Nigrina lächelte dennoch erfreut und folgte Prisca durch die sich lichtende Menge. Dafür, dass sie keineswegs standesgemäß das Rennen in der Loge hatte verfolgen können, hatte sie es gut getroffen, fand sie inzwischen. Sehr gut, um genau zu sein. Nicht dass sie später nicht doch noch ein Wörtchen mit ihren Sklaven reden würde, bezüglich ihrer Meinung, sie hätten sie nicht durch die Menge hindurchschleusen können bis zu der Loge, aber ihre Laune war nun um einiges besser, und das würde auch ihnen zugute kommen. Sie näherten sich den beiden Tiberiern, ohne dass Prisca sie allerdings ansprach – und das war etwas, was Nigrina sehr gut nachvollziehen konnte. Wenn sie sie kannte, war es an ihnen, sie nun anzusprechen. Ebenso wie die Aurelia also behielt sie ihre Aufmerksamkeit bei ihrer Gesprächspartnerin. „Gleich mehrere? Das klingt verlockend, sind derzeit so viele junge Aurelier in Rom?“ Sie schmunzelte leicht. „Oh, nein, einen bestimmten Wunsch habe ich nicht. Solange er einigermaßen gut aussieht und unterhaltsam ist… Der Abend soll ja schließlich Spaß machen. Aber ich vertraue dir da voll und ganz.“


    Ihre Schritte waren unterdessen noch langsamer geworden, während sie sich den beiden Männern näherten. „Nun… offen gestanden, mir wäre eine Komödie auch weit lieber.“ Liebestragödien waren so… so… tragisch. So dramatisch. Nigrina konnte damit nicht viel anfangen. Aber dann wieder konnte sie generell nicht viel mit Liebe anfangen, oder Liebesgeschichten, oder sonst etwas in der Richtung… Beziehungen waren dazu da, ihr zu nutzen, fand sie, vielleicht noch sich gegenseitig zu helfen und nach oben zu bringen – genau das war es, was sie bei ihrem Vater gelernt hatte. Diese Tragik, die manch Verliebte an den Tag legten, fand sie doch sehr übertrieben, und sie musste sich das nicht auch noch im Theater antun. „Dann ist das abgemacht? Das Theatrum Marcelli? Wann hättest du denn Zeit und Lust, dann kann ich Aulus fragen diesbezüglich.“

    Nigrina traute ihren Augen kaum. Da VERLOREN die doch einfach! Beim ersten Kampf wäre sie ja schon am liebsten in die Luft gegangen, als der Kerl, auf den sie gesetzt hatte, einfach… einfach so… verlor! Und jetzt auch noch der zweite… Wäre sie nicht so in der Öffentlichkeit gewesen, sie hätte in diesem Augenblick einen Wutanfall bekommen. Auch so war sie wütend genug, dass sie unflätige Kommentare rief und die Kämpfer beschimpfte, was allerdings in den Rufen der Menge unterging. Von den übrigen Flaviern hatte sie keiner begleitet, also war sie mit einem Tross Sklaven allein in der flavischen Loge, und diese beachtete sie ohnehin nicht. Wäre jemand in der Nähe gewesen, der sie hätte hören können, sie hätte sich mehr Mühe gegeben sich zusammenzureißen. So allerdings gehörte sie zu jenen, die deutlich Seuthos’ Tod forderten. Verlor der Kerl so einfach! Sie hatte auf ihn gesetzt, und er verlor – das war in ihren Augen Grund genug dafür, ihn nun zu töten.


    Nach dem ersten Kampf hatte sie sich dann wieder beruhigt. Zunächst. Immerhin war es nur der erste Kampf gewesen, nicht wahr? Allerdings verlief der zweite nicht wirklich besser. Es floss mehr Blut, was Nigrina wenigstens etwas versöhnte, immerhin. Aber der ihre verlor SCHON WIEDER. Diesmal konnte sie einen Wutschrei nicht unterdrücken. „AaaaAARGH! Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ fauchte sie wütend, während sie zugleich aufsprang und in die Arena hinunter starrte. „Du Schlappschwanz! Bei allen Göttern, das ist doch abgesprochen, das ist doch nicht zu fassen, so eine MEMME!“ Die Sklaven um sie herum wurden merklich nervöser. Inzwischen wussten auch diejenigen Bescheid über sie, die nicht aus Ravenna stammten – nicht dass ihre eigenen Sklaven, ihre engsten Vertrauten es gewagt hätten zu plaudern, aber das ein oder andere machte eben doch die Runde. Darüber hinaus waren die übrigen ravennischen Sklaven einige Tage in Rom geblieben, bevor sie wieder abgereist waren, und hatten mehr erzählt, und dazu kam noch, dass der ein oder andere Sklave der römischen Villa Flavia bereits Bekanntschaft mit ihr hatte machen dürfen. Und so wussten die Sklaven um sie herum, dass sie heute in keiner sonderlich guten Stimmung mehr sein würde – und sie wussten auch, an wem Nigrina das später auslassen würde. „Ersauf in deinem Blut, wenigstens das.“ Sie schnaubte. So ein Kampftod war noch viel zu gut für den, am liebsten hätte sie eine Hinrichtung gehabt, nach dem Kampf. Einen bewussten Schlag. Langsam ließ sie sich wieder sinken, während die Arena notdürftig gesäubert wurde und die nächsten Kämpfer den Platz betraten. Ein Kampf noch. Hoffentlich ging wenigstens der zu ihren Gunsten aus.

    Nigrinas Augenbraue wölbte sich leicht nach oben. Aelius Quarto wiederum war ein Name, der ihr sofort etwas sagte – allerdings hatte sie nicht wirklich in Erinnerung, dass Archias tatsächlich näher mit ihm verwandt war. „Der ist sein Onkel? Aber kein direkter, oder?“ Wäre er das, wäre der Kaiser ja auch Archias’ Onkel. Am Ende musste sie sich mit dem Chaoten noch gut stellen, wenn er so nah mit dem Kaiser verwandt war… Andererseits… Am Ende war er kein gar solcher Chaot mehr wie früher. Ihr Bruder hatte sich ja auch weiter entwickelt. Postpräfekt war er also gewesen… Nun ja. „Wenn er es verdient, wird er sicherlich noch weiter aufsteigen. Ist er immer noch so ein Chaot?“ Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Was hatten die zwei nur immer angestellt früher, und sie… nun, sie hatte ihnen das Leben nicht wirklich leicht gemacht, das gab sie auch gern zu. Aber was hätte sie auch tun sollen? Sich ärgern zu lassen von ihrem großen Bruder und seinem Freund, ohne zurückzuschlagen in irgendeiner Form? Das war vielleicht Veras Art gewesen, aber so zurückhaltend war Nigrina nie gewesen. Im Grunde war sie es bis heute nicht. „Vescularius.“ Nigrina runzelte leicht die Stirn. „Ist das nicht dieser… dieser plebejische Empörkömmling? Was fällt dem eigentlich ein? Er sollte froh sein, dass er überhaupt einen derartigen Posten innehat, anstatt Patrizier zu diskriminieren.“ Die ihm allein von Geburt überlegen waren. Gleich darauf machte sie eine wegwerfende Bewegung. „Gleichgültig. Du solltest froh sein. Ein Patrizier hat nichts in der Kanzlei verloren, und so ehrbar es für manche sein mag, Ritter zu sein – ich bitte dich, du hattest doch nicht etwa vor, das tatsächlich zu mehr zu nutzen als lediglich als Sprungbrett. Und deine jetzigen Positionen sind dir da doch sicher hilfreicher.“ Dann zeigte sich das typische, feine Lächeln auf ihren Zügen. Piso war wie alle Männer – Schmeicheleien zeigten doch stets ihre Wirkung. Auch wenn Nigrina das diesmal ernst gemeint hatte. „Natürlich bist du das“, bekräftigte sie. Immerhin war er flavischen Blutes, das allein bestimmte ihn schon zu Höherem. Und darüber hinaus wusste sie auch, dass er zu einigem fähig war. Er brauchte nur den richtigen Antrieb, und Rom bot ihm offenbar diesen Antrieb.


    Dann lächelte Nigrina – und als Piso weitersprach, begann sie zu strahlen. Dass sie gerade erst angekommen war, spielte überhaupt keine Rolle. Sie würde sich kurz frisch machen, aber ausruhen musste sie sich ganz sicher nicht. „Ja, das würde ich sehr gerne. Ich weiß nicht, was schlägst du vor? Was kannst du empfehlen für meinen ersten Tag hier?“

    Dass Nigrina ihre Familie Geld kostete und noch kosten würde, war ihr durchaus bewusst. Allerdings: in ihrer Weltsicht war sie jeden einzelnen Sesterz davon wert. Davon abgesehen war Geld etwas, das man einfach hatte – oder besser etwas, das ihre Familie einfach hatte. Wie sie dazu kamen, war für sie eher sekundär. Natürlich war ihr bewusst, dass der flavische Reichtum ihnen nicht direkt von den Göttern geschenkt wurde, aber: sie war eine Frau. Es gab ohnehin nichts, was sie dazu beitragen konnte, das war und blieb Aufgabe, Vorrecht und damit auch Pflicht der Männer. Womit Nigrina nicht das geringste Problem hatte, genauso wenig damit, dass sie letztlich herzlich wenig beitragen konnte zur Mehrung des Ansehens ihrer Familie, jedenfalls des politischen – außer sich entsprechend von Stand verheiraten zu lassen, und genau deswegen war sie hier. Und was sie darüber hinaus gesellschaftlich tun konnte, um ihrer Familie würdig zu sein, würde sie tun, schon allein um ihrer selbst willen. Es gab wenig – wenn nicht gar nichts – was Nigrina nicht wenigstens teils um ihrer selbst willen tat.


    „Dann nimm meine Glückwünsche zur erfolgreichen Wahl entgegen“, lächelte Nigrina zurück. „Wer bestreitet das Consulat mit dir, wenn ich fragen darf?“ Nicht dass sie sich sonderlich für Politik interessierte – aber sie interessierte sich durchaus dafür, wer gerade Macht innehatte. Und welche Familie damit im Umkehrschluss gesellschaftlich populär war. Aber detailliert musste sie ja nicht darlegen, was der Grund für ihre Frage war. Und wenn ihr Verwandter diese Frage womöglich als Interesse an seinen Tätigkeiten auslegte, umso besser. „Nun…“, ging sie dann auf seine Frage bezüglich Roms ein. „Bisher habe ich noch recht wenig gesehen, muss ich gestehen. Ich war bereits mit Aulus in der Stadt unterwegs, allerdings gleich an meinem ersten Tag hier, kurz nach meiner Ankunft. Allzu viel haben wir an diesem Tag dann nicht mehr geschafft.“ Sie nippte an ihrem Saft und musterte Furianus. „Mein erster Eindruck ist allerdings… gewaltig. Die Stadt pulsiert vor Leben. Ganz anders als Ravenna, so anders, dass man sich fast nicht traut, die beiden Städte in einem Atemzug zu erwähnen. Kurz, bislang sind meine Erwartungen noch nicht enttäuscht worden – eher übertroffen.“ Das Lächeln auf ihren Lippen verbreiterte sich ein wenig. „Hast du denn den ein oder anderen Tipp für mich? Was darf man auf keinen Fall verpassen?“