Beiträge von Flavia Nigrina

    Nigrina presste die Lippen aufeinander, als er so zu lachen anfing, aber immerhin brachte es etwas: sie bekam ihre Sachen. Nur dass sie jemand anders holen sollte, gefiel ihr nicht. Sie wollte nicht, dass jemand Fremdes in ihren Sachen wühlte... aber sie konnte sich denken, dass das schon längst passiert war. Oder ohnehin nicht passieren würde... mit einem Hochverräter in der Familie würde die Villa Aurelia sicher nicht vor Hausdurchsuchungen verschont bleiben. Nur... „Lass meinen Sklaven dort einfach sagen, dass sie meine Sachen packen sollen, sie wissen dann schon Bescheid. Oh und wenn du so gut wärst“, jetzt lächelte Nigrina wieder, „lass ihnen doch auch mitteilen, dass sie zurück in die Villa Flavia ziehen sollen.“

    Aemilius Classicus also. Den Namen musste sie sich merken, nur für den Fall dass ihr Sklave irgendwie... abhanden kam. Und er hatte ja gesagt, er würde sich darum kümmern. Als er sie dann nach ihrem fragte, warf sie ihm einen flüchtigen Blick zu, taxierte ihn kurz. „Flavia Nigrina“, antwortete sie dann. Was dem Kerl vermutlich auch nichts sagen würde. Und sogar in ihrem Zustand verspürte sie Ärger darüber... weil sie so dicht davor gewesen war, endlich wirklich bekannt zu werden. Ihr Mann war zum Senator ernannt worden, es war nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis er Ädil, Prätor, Consul geworden wäre... dazu vielleicht noch oberster Haruspex. Und dann hätte auch jeder den Namen seiner Frau gewusst. So dicht davor... und dann so was.

    So sehr sie auch versuchte, weiterhin lieb zu lächeln – Nigrina verzog trotzdem kurz das Gesicht. „Das ist gebraucht“, erwiderte sie betont. Das allein schon war doch Grund genug, dass sie ihre eigenen Sachen haben wollte. Und davon abgesehen war das Kleid, das sie trug, nun wirklich nicht ihr Stil – und auch sonst hatte sie im Fundus von... von... wie hieß das Ding noch mal? Nigrina hatte es schon wieder vergessen. Egal: in jedem Fall hatte sie bei deren Sachen auch sonst nichts gefunden, was ihr wirklich gefallen hätte. Schon aus Prinzip nicht. „Aber ich kann mich auch gern auf deine Kosten neu eindecken.“

    Ja, das wusste er dann wohl nur zu gut. Nigrina bezweifelte, dass sie so bald die Möglichkeit haben würde dem Vescularius zu entgehen. „Ich nehm dich beim Wort“, erwiderte sie, nach wie vor eher müde als trotzig, als der Urbaner noch mal auf ihren Sklaven einging. Sie wollte den Parther wieder haben... aber der Vescularius schien da ja nichts dagegen zu haben, solange er nur woanders untergebracht wurde. „Wie ist dein Name?“

    Es brodelte in Nigrina. Es brodelte gewaltig in ihr. Sie knirschte mit den Zähnen, und ihre Hand krampfte sich so fest um ihren Weinkelch, dass die Knöchel hervortraten. Aber bevor sie etwas erwidern konnte auf die erste Zurechtweisung, schnitt Vescularius ihr das Wort ab und beendete das Thema. Und Nigrina war klug – und glücklicherweise in diesem Moment auch beherrscht – genug, um die Klappe zu halten. Sie konnte hier nur den Kürzeren ziehen, das wusste sie. Es gab einfach nichts, was sie tun konnte, nichts, um das hier zu verhindern, und erst recht nichts, um das Grinsen aus dem Gesicht des Mannes zu wischen, der sich Kaiser schimpfte. So sehr sie sich rächen wollte, so sehr sie sich danach sehnte, Vescularius auf den Platz zu verweisen, der ihm zustand – im Augenblick blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu fügen, so bitter das auch war. Mit halbem Ohr hörte sie den weiteren Gesprächen zu, aß hin und wieder etwas – und sah hin und wieder zu dem Mann neben ihr. Domitius Scordiscus. Sie machte sich dabei nicht die Mühe, unauffällig zu sein, sondern taxierte ihn offen heraus – und von oben herab –, aber was sie sah, gefiel ihr nicht wirklich. Er schien immer noch ein wenig baff zu sein von der Neuigkeit, die ihn offenbar genauso überrascht hatte wie sie... und er schien überhaupt nicht begeistert zu sein. Was vermutlich daran lag, wie sie sich aufgeführt hatte, aber das war ihr ziemlich egal. Er war... er war so... gewöhnlich! Furchtbar gewöhnlich. Wenigstens geehrt könnte er sich fühlen, aber das hatte ja nicht den Anschein danach.
    Ihr zukünftiger Ehemann.
    Na super.

    Nigrina lagen eine Menge Dinge auf der Zunge, die sie hätte sagen können – angefangen damit, dass sie ihm auch lauthals den Zorn Iuppiters an den Hals wünschte. Aber sie trank lieber einen weiteren Schluck Wein, bevor ihr etwas über die Lippen kam, was er wirklich übel nehmen könnte... so sehr sie sich wünschte, dass sie es schaffte ihn wirklich zu reizen, war ihr doch auch klar, dass ihr selbst das wohl kaum gut bekommen würde.
    Etwas wirklich unverfängliches wollte ihr aber auch nicht so recht einfallen. Sie beschäftigte sich mit dem Essen, mit dem Wein, sah den Tänzerinnen zu... und wandte sich schließlich wieder an ihren Gastgeber. „Ich würde in den nächsten Tagen gerne zur Villa Aurelia gehen, um ein paar meiner Sachen zu holen...“ Die Worte brannten, und am liebsten hätte Nigrina das Gesicht verzogen, auch wenn sie sich zusammenriss und nur ein oberflächliches Lächeln zeigte. Es war nichts anderes als eine verkappte Frage, ob sie durfte... und dass sie das musste, war einfach demütigend.

    Nigrina scherte sich nicht um die Blicke von den anderen Gästen, die ihr Ausbruch ihr einbrachte. Sie scherte sich auch nicht darum, was der Kerl neben ihr wohl denken mochte oder davon hielt. Warum auch? Sie würde den ganz sicher nicht heiraten! Mit einem Plebejer hatte sie ja gerechnet, aber mit einem aus einer Familie, die Rom schon länger diente, die auf eine gewisse Geschichte zurückblicken konnte und auf Errungenschaften – ganz sicher nicht mit einem Homo novissimus vom Arsch der Welt! Und wie Vescularius dann noch über sie sprach, als sei sie ein Pferd, dass gezähmt werden müsste! Und sie zurechtwies, sie! Wütend presste sie ihre Kiefer aufeinander. Das Problem mit seinem Argument war nur, das sie es kaum aushebeln konnte: auch ihre Verwandten gehörten zu den Verrätern. Vescularius ließ sie verfolgen. Und so empört sie gerade auch war, sie war nicht so dumm, den Kaiser hier wirklich offen anzugehen, ihm zu sagen, dass er völlig zu Unrecht auf dem Thron saß und die sogenannten Verräter ja eigentlich im Recht waren. Zumindest damit, dass sie den Vescularius absägen wollten.


    Stattdessen stürzte sie sich also auf das einzige, was ihr als Kontermöglichkeit blieb: „Dann trifft es sich doch hervorragend, dass Daidalos gar nicht vom Himmel fiel! Er wusste, was er sich zutrauen kann, wo sein Platz war – ebenso wie die Flavia weiß, wo ihr Platz ist!“ Nämlich ganz oben in der Gesellschaft Roms. „Ganz im Gegensatz zu Ikaros. Der versuchte in Höhen aufzusteigen, die einfach nicht für ihn gemacht waren!“ Ungebildetes Pack! Und mit so was musste sie sich herumschlagen hier! Aber wenigstens hatte er ihr damit eine glänzende Vorlage geliefert, denn es war nicht schwer zu erraten, wen sie mit Ikaros gleichsetzte... womit auch klar wurde, wie sie die Regentschaft des Vescularius sah, oder zumindest hoffte sie zu sehen. Und das Beste: sie musste es nicht mal offen aussprechen.

    „Oh, das haben sie sehr wohl“, konterte Nigrina. „Und mein Vater hat mir beigebracht, das Gehörte auch zu kommentieren...“ Am liebsten hätte sie nachgefragt, wer denn nun genau alles rebellierte. Zuerst sollten es so viele sein, dass er sie nicht mal zählen konnte, und das in gleich drei Himmelsrichtungen – dann wieder war es nur ein kleiner Aufstand? Was denn nun? Sie wollte das Ganze irgendwie einschätzen können, realistisch einschätzen, wer da wirklich Chancen hatte... Sicher, für den Moment blieb ihr so oder so nichts anderes übrig als mehr oder weniger gute Miene zum bösen Spiel zu machen... aber wenn sich jetzt schon abzeichnete, dass der Vescularius tatsächlich als Sieger aus diesem Konflikt hervorgehen würde, war es wohl angebrachter wenn sie sich jetzt schon dazu zwang, sich gut mit ihm zu stellen. Wirklich gut. Zu versuchen ihn zu überzeugen, dass sie ihn ja achsotoll fand, und er der einzig wahre Kaiser war, solche Sachen halt. Um vielleicht irgendwann mal wieder besser da zu stehen. Was ihr im Moment allerdings verdammt schwer fiel. „Möge Iuppiter sich deiner Worte erinnern...“ Und einen Blitz auf ihn herabfahren lassen. Am besten sofort. So als kleines Zeichen. Nigrina unterdrückte ein entnervtes Seufzen und trank lieber noch einen Schluck Wein.

    Na super. Was für eine Wahl war DAS denn bitte? Ochsenkarren! Hatten die nichts Standesgemäßes für hochrangige Gäste da?
    Bevor sie allerdings etwas dazu sagen konnte, redete der Urbaner schon weiter und nahm ihren Arm, und irgendwie klangen seine Worte nun so, als ob zu Fuß gehen die einzige Wahl war. Nigrina presste die Lippen aufeinander und zog ihren Arm weg, um die Berührung wieder zu lösen. „Dann sollten wir wohl gehen“, machte sie, aber es klang nicht so trotzig, wie sie es gern gehabt hätte. Eher müde. Es wurde Zeit, dass sie endlich irgendwo ankam, dass sie etwas essen konnte und sich waschen und schlafen. Da war es ihr beinahe schon egal, dass es zur Casa Vescularia ging, und nicht nur zur Villa Aurelia. Oder Flavia.

    Lupus. Passender Name. Haha. Sie hasste es, wie er über Sextus herzog, nicht weil es sie wegen ihm selbst störte, sondern weil sie halt mit ihm verheiratet gewesen war – und der Spott deswegen eigentlich ihr galt. Und da war es ganz egal, dass räudiger Hund eigentlich gar nicht stimmte.
    Trotzdem lächelte auch sie routiniert. Immer schön lächeln... und auf liebenswürdigste Art und Weise Spitzen loslassen. „Sicherlich. Es war ja auch nur eine Wölfin, die die Gründerväter Roms großgezogen hat...“ Aber der Kommentar schien zu ihrem Frust im allgemeinen Gelächter der Anwesenden unterzugehen. Die noch dazu größtenteils aus Männern bestanden... und unter den wenigen Frauen, die anwesend waren, waren offenbar noch weniger, mit denen ein halbwegs vernünftiges Gespräch möglich schien.
    Zum Glück eröffnete der Kaiser gleich darauf das Essen, was hieß, dass erst mal sowieso größtenteils Stille herrschte. Keine Not, sich mit irgendwem zu unterhalten, außer ein paar kleinen Gesprächsfetzen. Ihr wurde ein Platz neben einem Kerl zugewiesen – Domitius irgendwas –, und scheinbar schien der Vescularius auch hier und in diesem Rahmen nicht sonderlich viel Wert auf Sitten und Anstand zu legen, den Sessel oder ähnliches für Frauen gab es nicht... nur die Klinen. Und die anderen Weiber legten sich hin, ohne zu meckern. Na gut, tat sie halt das gleiche, auch wenn ihr Kleid nicht wirklich dafür gemacht war, sich damit auf eine Kline zu legen – was nichts anderes hieß, als dass sie nun plötzlich aufpassen musste, dass nichts verrutschte und sie nicht unfreiwillig zu viel enthüllte. Entsprechend aß sie auch nur langsam und relativ wenig, wobei das andererseits sowieso angebracht gewesen wäre. Mit diesem Kleid konnte man sich einfach nicht den Bauch vollschlagen, ohne sich danach unwohl zu fühlen. Nigrina nutzte die Gelegenheit stattdessen, während sie sich dem Essen widmete, die Anwesenden der Reihe nach ein bisschen zu begutachten. Wie zu erwarten: allesamt welche, die den Vescularius unterstützten. Und die von ihm profitiert hatten. Elendes Pack...


    Als sich der Hauptgang dem Ende näherte, kam wieder mehr Leben in die Runde, und schließlich ließ auch Vescularius wieder was von sich hören. Er sah zu ihr, aber er sprach offenbar den Kerl neben ihr an – Scordiscus. Domitius Scordiscus allerdings. Irgendeiner dieser Emporkömmlinge, der Cognomen sagte ja bereits, woher er stammte: von einem Barbarenvolk – wobei Nigrina keine Ahnung hatte, wo die Skordisker nun genau hockten. Spielte auch keine Rolle, Barbar war Barbar. Sie lauschte Vescularius' Worten, wie er wieder mal über Sextus herzog, wie er von ihrer Scheidung erzählte, nippte nebenbei an ihrem Wein – und verschluckte sich dann. Einen Augenblick kämpfte sie mit dem Hustenreiz, bevor aus ihr herausplatzte: „Bitte WAS?“
    Entgeistert starrte sie den Kerl an, der ihr da gerade eröffnet hatte, sie sollte allen Ernstes den Mann neben sich heiraten. Den Scordiscus. Den Barbaren. Der noch nicht mal irgendwas Interessantes erreicht hatte, wenigstens Senator war, den sonst wäre ihr der Name doch irgendwie geläufig gewesen. Sie starrte den Vescularius an, und je mehr Zeit verging, desto mehr ebbte der erste Schock ab... und Empörung und Wut brodelten in ihr hoch. Wo sie war, dass sie nicht alleine war, fand da keinen Platz in ihren Gedanken. Sie achtete gar nicht darauf. Da war zu viel entsetzte Empörung in ihr, um darauf zu achten. Sie hatte im Lauf ihrer Ehe mit Sextus einiges gelernt, darunter auch, ihr Temperament deutlich besser zu zügeln als früher... aber deutlich besser war nicht einmal immer gleichzusetzen mit gut – und schon gar nicht mit perfekt. Und Nigrina befand sich ohnehin schon seit der Flucht in einem dauernden Ausnahmezustand, der von ihr einiges abverlangte – vor allem einiges an Selbstbeherrschung, die nicht zu ihren Begabungen zählte, und schon gar nicht zu ihren Tugenden. Irgendwann war einfach Schluss. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem es mehr wurde, als sie ertragen konnte, ohne dass ihr Temperament ausbrach. Und dieser Moment war jetzt da, jetzt, wo der Vescularius meinte ihr diesen Kerl andrehen zu können. Und das noch dazu vor versammelter Festgesellschaft, ohne sie wenigstens vorzuwarnen. Dass sie ihm mit einem Temperamentsausbruch im Grunde in die Hände spielte, dass er wohl sehen wollte, wie sehr sie diesen Vorschlag verabscheute, dass ihm das Genugtuung verschaffen würde, war einem Teil von ihr sogar bewusst – aber dieser Teil konnte sich in ihrem überschäumenden Temperament nicht im Mindesten Gehör verschaffen. Schon gar nicht genug, als dass sie sich gezügelt hätte.
    Scordiscus?!? Das ist NICHT dein Ernst! Ich bin eine FLAVIA! Meine Familie gehört zu den ältesten, edelsten und mächtigsten Geschlechtern Roms!“ Domus Flaviana. In diesem Flügel befanden sie sich. Das hier war ihr Flügel, wenn man es genau betrachtete! KAISER sind meine Ahnen, ihr Blut fließt in meinen Adern, und du willst mir einen Barbar andrehen, der unter irgendeinem Busch hervorgekrochen ist? Aber ganz sicher nicht!“

    Nigrina spannte ihre Kiefermuskeln an, versuchte aber eine gelassene Miene zu bewahren. So gut es ging. Aber wie gut sollte das schon gehen? Die Lage war leider eindeutig – ihr Mann war geflohen, sie war hier gelandet, als Gast des Vescularius, und es gab zwar Aufstände gegen den Kerl, aber sie hatte keine Ahnung, ob die wirklich eine Chance auf Erfolg hatten. Ob sie Vescularius mitsamt seinen Unterstützern – und das dazu auch eine Menge Leute mit Legionen gehörten, wusste sie – würden schlagen können. Und selbst wenn ja... war da ja immer noch der Zeitfaktor. Selbst wenn der Vescularius abgesägt werden würde, das konnte dauern, und so lange war sie nun mal hier... und musste mit der Situation umgehen wie sie war. Und sie war nicht scharf drauf, doch noch in irgendeiner Zelle zu landen. Oder auch nur unter Hausarrest gestellt zu werden.
    Sie räusperte sich und trank einen Schluck Wein, um sich Zeit zu verschaffen. Einen großen Schluck Wein. „Ich flehe für niemanden, Vescularius“, erwiderte sie schließlich, ein wenig spröde und erneut ziemlich spitz, und ohne bewusst darüber nachzudenken auf seinen Titel verzichtend. „Auch nicht für irgendwelche Exmänner. Und erst recht nicht für jemanden, der sich an ein Kreuz schlagen lässt.“ Wobei sie freilich nicht hoffte, dass Sextus das passieren würde. Schon allein weil das dann wohl heißen würde, dass der Vescularius gewonnen hatte.


    Bei seinem anschließenden lauten Lachen nutzte sie die Gelegenheit, sich wieder zu sammeln. Zu wappnen. Für was auch immer. Denn egal was sie sagte, der Vescularius schien irgendwie stets einen Konter parat zu haben, einen, der ihr irgendwie den Wind aus den Segeln nahm... dass das kein Wunder war in Anbetracht der Umstände, unter denen sie nun hier gelandet war, trug nicht wirklich dazu bei, dass Nigrina das leichter hinnehmen konnte. „Müsstest du?“ machte sie gespielt bedauernd. „Ist dein Sieg über die Rebellen so unsicher, dass du nicht einmal etwas über den Zeitrahmen sagen kannst?“ Sie lehnte sich in ihrem Korbstuhl zurück und hob erneut ihren Kelch an die Lippen, nippte diesmal aber nur daran, bevor sie erneut ein Lächeln aufsetzte. „Je länger diese elende Bürgerkrieg im Raum steht, desto mehr wird das Leben in Rom beeinträchtigt werden. Und ich fürchte ja nun beinahe, dass es lange dauern wird... wo doch scheinbar so viele gegen dich rebellieren.“

    „Ach so viele gleich?“ erwiderte Nigrina und stimmte in das Lachen mit ein. Aus vollem Herzen. Und sollten nur noch ein paar Legionen mehr dazu kommen, mehr, noch mehr. Das einzige, was ihr in diesem Moment leid tat, war die Tatsache, dass sie nicht das erwidern konnte was ihr zuerst auf den Lippen gelegen hatte: dass es nicht notwendigerweise sonderlich viele Legionen sein mussten, wenn er sie kaum mehr zählen konnte. Aber sie wollte ja, dass es viele waren, also verkniff sie sich diese Beleidigung.
    Oh, und da war noch eine Sache: sie hatte ihn offenbar wieder nicht getroffen. Nicht so, dass er erschüttert wäre – oder zumindest zeigte er es nicht. Stattdessen kam er jetzt sogar wieder auf Sextus zu ärgern, und so wie er das Ex betonte, machte er das nur um jetzt sie zu ärgern. Und das wurmte sie. Alles zusammen. Es wurmte sie gewaltig.


    Allerdings: was sie jetzt darauf erwidern sollte, wusste sie nicht so recht. Offiziell hatte sie noch nicht mal zugegeben, dass Sextus bei den Rebellen war. Sie hatte aufgegeben dem Vescularius empört zu widersprechen, wenn der ihren Mann als Verräter hinstellte, aber sie hatte nicht gesagt, dass sie ihm das glaubte – geschweige denn zugegeben, dass es stimmte. Und das würde sie auch nicht. Andererseits... so wie die Rebellen die ganze Sache auslegten, saß ja eh der Bösewicht vor ihr. „Ich kann dir nicht sagen, was mein Ex-Mann“, Götter, wie sie es hasste, das sagen zu müssen – nicht dass es ihr so schwer fiel, sich von Sextus zu trennen, aber sie hasste es, weil der Vescularius sie dazu zwang, „tut, wo er ist, oder was er merkt. Aber er ist nicht dumm. Ganz im Gegenteil.“ Sie lächelte zwar, aber es hatte für einen Moment beinahe etwas grimmiges, bevor sie sich wieder um mehr Lockerheit bemühte. „Wir werden sehen, wer die Götter auf seiner Seite hat“, meinte sie dann leichthin. „Wann meinst du werden sie denn die... bösen Rebellen zermalmen?“

    Nigrina genoss die Blicke. Und wie sie sie genoss. Sie hatte sogar den Eindruck, dass dem ein oder anderen Kerl beinahe die Augen rausfielen – und das, obwohl nichts explizit zu sehen war von ihren Rundungen. Nur drumherum. Und davon zumindest vorne auch nicht allzu viel. „Warum aufpassen? Würde Iuppiter kommen und mich holen wollen, wer wäre ich, mich ihm zu verweigern?“ konterte sie mit einem Lächeln. „Der Göttervater, Herrscher des Himmels... und eine Flavia. Passend, findest du nicht auch?“

    Nigrina verzog leicht das Gesicht, und ganz flüchtig kam ihr der Gedanke, Rabatz zu machen. Darauf zu bestehen, dass sie jetzt nachsehen sollten, wo ihr Leibwächter war. Aber... sie war müde. Einfach nur müde. Und der Sklave konnte ja ohnehin nicht bei ihr bleiben. Nach einem kurzen Zögern also zuckte sie einfach nur die Achseln und akzeptierte widerspruchslos, was der Soldat ihr sagte. „Tu das“, murmelte sie nur. „Ihr habt doch sicher Sänften?“ Bei den Göttern, sie hatte keine Lust, noch mehr zu Fuß zu gehen. Und auch wenn sie hier als Gefangene abgeliefert worden war, war sie jetzt Gast des zukünftigen Imperators. Sie konnte nicht anders, als das so zu sehen, sie musste verdrängen, wenigstens für den Moment, dass sie nach wie vor im Grunde nicht mehr war als eine Gefangene. Eine Geisel. Ihr Stolz war das einzige, was sie im Moment noch aufrecht hielt, und der klammerte sich daran, dass der Vescularius sie wenigstens so weit angemessen behandelte. Er hatte sie in sein Haus eingeladen, basta. Das sollte ja wohl irgendwas wert sein.

    Nigrina schickte regelmäßig Sklaven zur Villa Flavia und auch Aurelia – sie selbst hatte sich da noch nicht blicken lassen, weil sie davon ausging, dass der Vescularius davon kaum begeistert wäre... aber sie wollte doch wissen, was los war, weswegen sie so die Verbindung hielt. Eines Tages war also einer dieser Sklaven mit einem Schreiben für sie zurückgekommen, und so war besagter Sklave kurze Zeit später mit einem weiteren Schreiben wieder losgeschickt worden, den er nun im Büro des Iulius' Proximus abgab.

    Ad
    Marcus Iulius Proximus
    Basilica Ulpia | Officii Decimv. Lit. Iud. | Roma | Italia


    Salve Iulius,


    ich danke dir für dein Schreiben und für die Bearbeitung des Erbes meines Bruders. Ich möchte dir auf diesem Weg mitteilen, dass ich meinen Teil des Erbes annehme.


    Vale bene,



    Nachdem sie von den Wachen durchsucht worden war – was Nigrina ohne Widerspruch und mit Würde hingenommen hatte, immerhin war das nun nichts Neues –, wurde sie hineingeführt, in den Palast, durch die Gänge hindurch bis zum Triclinium, wo das Fest stattfinden würde. Und sie konnte nicht anders als zu gucken. Sie bemühte sich sehr, das ihre Begleiter nicht allzu sehr merken zu lassen, aber sie war zum ersten Mal hier im Palast. Natürlich guckte sie. Sie war nicht hin und weg von dem Reichtum, dem Prunk, der hier zur Schau gestellt wurde, zu sehr kannte sie genau diese Dinge ihr ganzes Leben lang – aber ein klitzekleines bisschen beeindruckt war sie halt doch, einfach durch das Wissen, dass das hier der Palast war. Und mehr noch: das hier war der Flügel, den sie Domus Flaviana nannten. Flaviana. Es hatte fast etwas von Heimkommen, oder es wäre zumindest ziemlich schön gewesen, wenn es ein Heimkommen gewesen wäre. Ihre Familie gehörte hierher – hätte schon immer hierher gehört. Nicht die Ulpier. Und erst recht nicht dieser madige Emporkömmling.
    Was sie also ihre Begleiter, die sie zum Triclinium brachten, sehen ließ, war zwar schon dass sie sich aufmerksam umsah – aber mit eher vergleichendem Interesse, nicht mit großen Augen und unwiderstehlich beeindruckt. Und sie bewegte sich mit einem Stolz, als gehörte sie hierher. War zwar nicht so, aber man konnte ja so tun als ob, um damit jedem in Erinnerung zu rufen, wie verdreht die Verhältnisse doch eigentlich waren. Und mit derselben Ausstrahlung betrat sie schließlich auch das Triclinium – wo sie feststellte, dass sie ihr Eintreffen ziemlich perfekt gewählt hatte. Der Raum war schon gut gefüllt, es waren viele der Gäste da, standen herum und plauderten ein wenig. Genau richtig für den Auftritt einer Flavia, die alles tat, aber ganz sicher nicht zu den ersten Gästen gehörte.


    Mit sicheren Schritten, immer noch ganz so, als gehörte sie hierher, betrat sie den Raum und ging auf den Vescularius zu, und während sie an den anderen Gästen vorbei ging, entdeckte sie das ein oder andere bekannte Gesicht, lächelte, nickte grüßend... und fing auch den ein oder anderen Blick auf, der mehr ihrem Äußeren geschuldet war als der Tatsache, wer sie war. Sie hatte sich natürlich ihre eigenen Kleider kommen lassen, dass sie nach diesem ersten Tag, wo keine Zeit mehr dafür gewesen war, weiterhin Dinge anzog, die andere vor ihr getragen hatten, kam ja gar nicht in Frage. Ihr Kleid heute allerdings war neu, sie hatte es sich extra für diesen Anlass von ihrem Lieblingsschneider anfertigen lassen – der zum Glück in Rom geblieben war! –, und sogar sie fand, dass er sich selbst übertroffen hatte. Fließende Seide, geschmeidig um ihren Körper drapiert, in einem dunklen Weinrot und verziert mit goldenen Stickereien, den Farben ihrer Familie, das sollte jeder hier ruhig sehen, dass sie dazu stand, wer sie war. Spektakulär war allerdings vor allem der Ausschnitt – sowohl vorne als auch hinten. Auf beiden Seiten reichte er bis auf Höhe ihres Bauchnabels hinunter, in Form eines V's, das vorne sehr spitz zulaufend und bereits auf Brusthöhe schmal genug war, dass der Anstand gewahrt blieb, hinten jedoch um einiges großzügiger angelegt war. Die schmalen Streifen, die sich von ihrer Hüfte nach oben zogen und an ihren Schultern jeweils von einer goldenen Fibel zusammengehalten wurden, lagen in mehreren Schichten übereinander und fielen abgestuft in leichten Wellen, ein Muster, das sich auch nach unten über ihre Beine fortsetzte. Knapp unter ihrer Brust war ein angedeuteter, schmaler Gürtel zu sehen, selbstredend goldfarben; angedeutet deshalb, weil er nicht um ihren Körper herumreichte – um die Rückansicht nicht zu verunstalten –, sondern an ihren Seiten mit dem vorderen Stoff verbunden war, und um ihre Hüften schlang sich ein richtiger Gürtel, ebenso schmal, ebenso goldfarben wie der obere. Frisur und Schmuck waren entsprechend so ausgewählt worden, dass sie den Effekt des Kleides nicht schmälerten oder davon ablenkten, sondern ihn nur unterstrichen – das hieß, eine Hochsteckfrisur, aus der sich nur einzelne Strähnen länger herauskringelten, so dass ihr Rücken frei blieb, nur schmale Anhänger an ihren Ohren mit je einem einzelnen, kleinen Rubin, die wie ein Tropfen Blut wirkten, und keine Kette.
    „Meine besten Grüße, Imperator“, lächelte sie den Vescularius an, als sie ihm angekündigt worden war. „Hab Dank für die Einladung.“

    Jetzt war Nigrina – was selten vorkam – sprachlos. Dass er so damit umging, dass er nicht beleidigt war, dass er auch noch laut aussprach, was sie nur angedeutet hatte... und das auf eine Art, die sie maßlos ärgerte und die wohl auch nur dazu gedacht war, sie zu ärgern, damit hätte sie nicht wirklich gerechnet.
    Die Momente der Sprachlosigkeit retteten sie vermutlich. Hätten ihr nicht die Worte gefehlt, hätte sie sich schwerlich zusammenreißen können, und ihre erste Reaktion hätte wohl mit den Worten begonnen: Aber nur weil, und dann wäre irgendwas gefolgt wie: weil du den Titel unrechtmäßig an dich gerissen hast, weil du dir etwas anmaßt was dir nicht zusteht, weil du wertlosen Dreck in Positionen gehievt hast, in denen sie dich jetzt unterstützen können. Nach diesen ersten Momenten lagen ihr diese Worte zwar immer noch auf der Zunge, brannten vielmehr, und sie hätte einiges gegeben, sie ihm ins Gesicht schleudern zu können – aber ihr Verstand hatte da schon wieder weit genug die Oberhand, dass sie sich beherrschte. Sie war sich nicht ganz so sicher, ob er auf so was auch nur mit einem Lachen und einer weiteren Beleidigung für sie gekontert hätte. Und wenn sie sich die übrigen Gäste so ansah, dann war da keiner hier, der auch nur ansatzweise auf ihrer Seite sein würde. Ganz im Gegenteil schien sich hier eher – wenig verwunderlich – besagter wertloser Dreck versammelt zu haben.


    Sie schnaubte also nur – wenig damenhaft, aber dafür auf eine Art, die ihre Herablassung und Verachtung fast noch besser ausdrückte, als Worte es gekonnt hätten – und meinte spitz: „Ja. Scheinbar.“ Sie neigte sich nach vor und griff nach ihrem Kelch, in der ziemlich starken Überzeugung, dass sie diesen Abend wohl nur mit Alkohol würde überstehen können, und trank einen Schluck von dem unverdünnten Wein. Der gut war. Richtig gut. Was sie freute, weil sie ihn genoss, und sie gleichzeitig ärgerte, weil der Vescularius Geschmack bewies. Aber vermutlich hatte er den gar nicht selbst ausgesucht, sondern sich einfach den besten, teuersten liefern lassen – ganz sicher schmeckte der hier für ihn genauso wie das übelste Gesöff, redete sie sich ein, um wenigstens irgendwas zu haben, an das sie sich hier klammern konnte. „Wie ist das eigentlich mit denen, die deinen Anspruch... nicht anerkennen? Ich habe heute Nachmittag gehört, dass es doch einige sind. Mit Legionen“, erkundigte sie sich – hauptsächlich um eine weitere Spitze loszulassen, weil es doch irgendetwas geben musste, was ihn wenigstens kurz aus der Fassung brachte, aber auch aus echtem Interesse. Immerhin würde das das Reich, Rom und nicht zuletzt das Leben hier nicht wenig beeinflussen in den kommenden Monaten.

    „Bitte was?“ Nigrina runzelte flüchtig die Stirn und sah den Vescularius verwirrt an. Was machte eine Patrizierin nicht? Sich waschen, einölen und massieren lassen? Wofür gab es denn Sklaven... Oder meinte der etwa ernsthaft, dass sie das selbst tun sollte?
    Es dauerte tatsächlich einen Moment, bis sie begriff, wovon er sprach – und als sie es tat, war sie sich für einen Augenblick nicht sicher, ob sie jetzt lachen oder sich ärgern sollte. Der Laut, den sie ausstieß, war in jedem Fall eine Mischung aus spöttischem Lachen und verächtlichem Schnauben... und irgendwo war sie sich darüber im Klaren, dass es wohl die klügere Reaktion wäre, das ins Lächerliche zu ziehen. Aber sie konnte sich nicht helfen: die Empörung über die Andeutung, über den bloßen Gedanken, war größer, und sie wuchs.
    „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich Sklaven an mich ran lasse.“ Das Wort Sklaven spuckte sie förmlich aus. Als ob sie zulassen würde, dass ein Sklave ihr auf diese Art zu nahe kam! Sklaven. Gut genug für eine Flavia ist sowieso nur ein Patrizier!“ Und dann, von einem Moment zum anderen, setzte sie wieder ein Lächeln auf. „Imperator.“ Ihr Lächeln war lieblich, und der Tonfall zuckersüß – und beides war von jener bestimmten Sorte, die zwar ziemlich eindeutig nicht freundlich gemeint war, die dem Gegenüber aber dennoch keine konkrete Vorlage lieferte... geschweige denn eine konkrete Beleidigung, auf die man hätte reagieren können. Was in Nigrinas Worten mitschwang war: homo novus. In so ziemlich demselben gedanklichen Tonfall, in dem sie zuvor das Wort Sklave ausgesprochen hatte. Sie wusste, dass es nicht klug war. Aber sie konnte nicht anders, als auf seine Provokation zu reagieren, weil es sie wahnsinnig gemacht hätte, einfach zu schlucken und es auf sich sitzen zu lassen. Darin war sie noch nie wirklich gut gewesen.

    „Zu großzügig von dir“, antwortete Nigrina mit einem liebenswürdigen Lächeln – auch wenn er das wohl kaum sah, wenn man die Blickrichtung beurteilte. Was sie allerdings weniger störte. Vor ein paar Stunden, in seinem Officium, da hatte sie sich unwohl gefühlt – als sie schmutzig gewesen war, ungewaschen, mit strähnigen Haaren und in dreckiger Kleidung. Das hatte sie massiv gestört. In Kleidern wie diesen hier, oder auch in den noch offenherzigeren, die sie zuvor in Augenschein genommen hatte – da fühlte sie sich keineswegs unwohl. Sie störte sich auch nicht daran, wenn sie angesehen wurde. Ganz im Gegenteil, sie mochte es, Blicke auf sich zu ziehen. Es war nur so, dass es für eine Patrizierin da einen ziemlich engen Rahmen gab, in dem so was angebracht war. Nämlich innerhalb von vier Wänden, und das idealerweise den eigenen. Und da... nun. Wen das da genau involvierte, war mehr oder weniger egal, so lange es nur niemand mitbekam. Und in ihrem Fall hatte es sogar ihr Mann mitbekommen können, so lange es keinen anderen Kerl gab. Nigrina hatte zwar keine Ahnung, ob Sextus das je wirklich mitgekriegt hatte, dass sie sich manchmal Sklavinnen ins Bett holte, wenn sie keine Lust auf einen Kerl hatte – aber sie bezweifelte, dass ihn das gestört hätte. Oder hatte, je nachdem.


    Aber was für sie als Patrizierin angemessen war oder nicht, war momentan ja sowieso egal. So bald bekannt wurde, dass sie – wieder oder immer noch – in Rom war und dass sie beim Vescularius logierte, würden sich gewisse Leute ohnehin das Maul zerreißen. Und er griff in ihr Leben ohnehin noch weit mehr ein... Scheidung. Neue Heirat. Und bis dahin: unter seiner Fuchtel. Aber wenigstens war sie am Leben, das war schon mehr, als sie in den letzten Tagen wirklich hatte hoffen können, und viel mehr noch als das: es ging ihr gut. Und der Vescularius hatte ihr gerade eben sozusagen offiziell die Erlaubnis erteilt, es sich noch besser gehen zu lassen. Genauer gesagt: in seinem Luxus zu schwelgen. Was sie unverfroren auszunutzen gedachte. Wenn sie schon im goldenen Käfig saß... wollte sie auch was davon haben. „Ich konnte heute schon eine erste Kostprobe genießen von dem, was dein Haushalt zu bieten hat.“ Sie neigte sich vor und griff sich ein paar Oliven, als die Vorspeise serviert wurde. „Deine Badesklaven sind vorzüglich... was ist dir lieber? Praefectus? Imperator?“