Da war es wieder, das genüssliche Grinsen. Und obwohl Nigrina gerade eben noch gedacht hatte, dass ihr dieses lieber wäre, war sie sich jetzt wieder unsicher. Aber vermutlich gab sich da einfach nicht viel. Es war nur eine andere Art von unangenehmem Grinsen, von... unangenehmer Ausstrahlung, aber in ihrer jeweiligen Art waren beide gleich. Und sie stand immer noch da und versuchte zu verdauen, was sie gerade gehört hatte. Hatte der Vescularius gerade eben wirklich gesagt, dass Tiberius Durus sich umgebracht hatte? War der Alte von Sinnen gewesen? Ein besseres Schuldeingeständnis gab es doch nicht! Von wegen ehrbarer Römer und bla, darauf gab Nigrina nicht viel – ehrbar wäre gewesen, der Folter ins Auge zu sehen! Alles, was unter Folter gestanden wurde, konnte später in Frage gestellt werden, aber wer sich selbst umbrachte, der zeigte doch, dass er etwas zu verbergen hatte. Kein Mensch brachte sich doch um, wenn er sich wirklich nichts, aber auch gar nichts hatte zu Schulden kommen lassen...
Ihr Mund war plötzlich trocken, so trocken, dass er klebte. Sie wich dem Augenkontakt mit dem Vescularius aus und fuhr sich über den Mund, ihr Blick irrte durch das Officium, bevor er sich dann doch wieder auf den Mann vor ihr heftete. „Ich weiß nicht, wo er ist“, wiederholte sie, immer noch tonlos. Sie biss sich auf die Unterlippe, und ihre Gedanken rasten. Sie war keine Märtyrerin. Sie wollte auch gar keine sein. Wenn sie die Wahl hatte zwischen dem, was gemeinhin als richtig betrachtet werden mochte, und dem, was gut, was vorteilhaft für sie war, dann musste sie nicht lange überlegen, für was sie sich entschied. Schon gar nicht, wenn die angeblich richtige Entscheidung im schlimmsten Fall so was wie Folter oder so nach sich ziehen konnte.
Trotzdem war auch in ihr ein Minimum an Anstand, genug, dass sie zumindest überlegte. Aber allein die Tatsache, dass Salinator noch mal nachgefragt hatte, zeugte doch davon, dass er ihr nicht geglaubt hatte vorhin. Und sie... hatte nichts davon, wenn sie sich stur stellte. Sie wollte hier so ungeschoren wie möglich heraus kommen, das war das einzige, was für sie zählte, und so viel wie möglich von dem, was sie im Erreichen dieses Ziels behindern mochte, wurde ausgeblendet. Andernfalls hätte sie vermutlich mittlerweile eine Panikattacke oder einen Nervenzusammenbruch bekommen. „Als er mich weggeschickt hat, hat er... davon gesprochen, Rom auch zu verlassen. Er wollte nach Norden. Aber das... ist schon eine Zeitlang her. Das war am Tag als der Tod des Kaisers in Rom bekannt wurde.“ Vielleicht gab sich der Praefectus mit dieser Erklärung zufrieden. Sie hoffte es. Sie konnte ja tatsächlich nicht wissen, ob Sextus seine Pläne in der Zwischenzeit geändert hatte, oder ob ihn vielleicht irgendwas aufgehalten hatte, dafür war zu viel Zeit vergangen. Was sie hingegen wusste, war Sextus' ursprüngliches Ziel... das sie immer noch nicht genannt hatte. Sie würde tun was nötig war, um selbst zu überleben, aber das änderte nichts daran, dass sie den Mann vor ihr am liebsten vor ihr im Staub kriechen sehen würde. Und für den Fall, dass die Prima sich gegen ihn stellte... er das aber noch nicht wusste... wollte sie ihm diese Überraschung – und seinen Gegnern diesen taktischen Vorteil – nicht verderben. Sie hoffte nur bei allen Göttern, dass er sich mit ihren Worten tatsächlich zufrieden gab.
Nigrina räusperte sich, und unwillkürlich verschränkte sie wieder die Arme vor der Brust, als sie sich dem nächsten Thema zuwandte, das er auf den Tisch gebracht hatte. Scheiden lassen. Neu heiraten. Das war auch eine Variante, sie in Geißelhaft zu belassen, vermutete sie. In jedem Fall hatte er sie so unter Kontrolle – andererseits hatte sie dadurch wenigstens halbwegs Gewissheit, dass sie sicher war. Und wenigstens einen gewissen Lebensstandard haben würde, denn sie ging mal nicht davon aus, dass er sie an den Fußabtreter unter seinen Anhängern verheiraten würde. Nicht eine Flavia – dafür zählte ihr Name, der Name ihrer Familie, zu viel, das konnte nicht einmal er ignorieren. Trotzdem willigte sie nicht sofort ein. Auch wenn sie wusste, dass sie hier auf verlorenem Boden stand, hatte sie immer noch ihren Stolz, und den würde sie sich bewahren so gut es ging. „Ich bin mir sicher, dass du viele ehrbare Männer kennst. Aber ich bin nicht sui iuris.“ Sie hatte keine Ahnung, ob es da einen rechtlichen Kniff gab, wie die Einwilligung ihres Vaters übergangen werden konnte – denn sie wagte zu bezweifeln, ob der zur Zeit auffindbar war, wenn Furianus Hochverrat gestanden hatte. Mit solchen Dingen hatte sie sich weder beschäftigt noch hatte es sie je interessiert. Warum auch? Es gab eine größere Entscheidung zu treffen in ihrem Leben – ihr Vater traf sie. Sprach vorher vielleicht noch mit ihr, bezog ihre Meinung mit ein – aber er traf sie. So einfach war das. „Und mit meiner Mitgift dürfte es auch ein kleines Problem geben.“