‚Das rauschende Meer mit der krönenden Gischt welches oftmals an den Strand schlug und nach Beigaben verlangte oder einfach nur das Ohr mit natürlicher Musik erfüllte. Das Schreien der Vögel, das Lachen der Sklaven. Die Spuren im Sand und der Wind der das braune Haar zerzauste, in dem Wissen, dass kaum eine Bürste dieses später würde bändigen können. Schon jetzt hörte Aviana das Stöhnen Tullias, die…‘
„Domina?“ Helvetia erwachte mit einem leichten Zucken aus ihrem Tagtraum, der sie in der hin- und herschaukelnden Kutsche überkommen hatte. Kurz blinzelte sie, als ob sie sich an das spärliche Tageslicht gewöhnen müsste, das in der Kutsche ankam, dabei hatte sie nicht einen Moment die Augen geschlossen. Nur an die Realität, an die musste sie sich für den Moment gewöhnen. Sie war schon sehr erleichtert, dass der Weg vom Hafen Misenums aus nicht allzu weit war, wenn sie die Villa Rustica ihres Vaters erreichen wollte. Was die Reise anging hatte sie bedauerlicherweise auch ihre guten Manieren über Bord geworfen und sich nicht angemeldet. Die Abreise war zu plötzlich gekommen und die Nachricht ihres Eintreffens vermutlich zeitgleich mit ihrem tatsächlichen Eintreffen angelangt.
„Domina siehst du? Dort vorn ist die Villa, es ist nicht mehr weit!“ Tullia hatte den Vorhang leicht zur Seite geschoben und Aviana neigte sich minimal vor um hinaus blinzeln zu können. Es war beispiellos schönes Wetter, wenngleich noch immer deutlich zu spüren war, dass der Sommer noch ein wenig auf sich warten lassen würde. Ein nervöses Pochen in ihrer Brust machte sich zeitgleich mit dem Gefühl bemerkbar, dass sie sich gleich übergeben würde. Sie hatte ihren Vater ihr Leben lang noch nicht gesehen und in ihr nagten starke Zweifel, dass sie willkommen war. Sie hatte manches über Helvetius Geminus in Erfahrung bringen können und er hatte ein derart politisch erfülltes Leben hinter sich, dass sie zweifelte, dass er sich über ein uneheliches Kind übermäßig freuen würde, das unangemeldet auf ihn zugestolpert kam. Sie sog tief die frische Luft ein, ehe der Vorhang wieder den Blick nach draußen versperrte. Zögerlich wandte sie sich ihrer Leibsklavin, Tullia zu, die sie nun schon eine recht lange Zeit durchs Leben begleitet hatte. Es gab Tage, da wünschte Aviana sich, dass Tullia sich in Luft auflöste, aber alles in allem war sie sehr froh über den lebensfrohen, aber doch manchmal etwas sehr strengen Charakter der Sklavin.
„Tullia, was soll ich tun wenn er mich fortschickt? Ich meine…“ Aviana stockte einen Moment und musste sich besinnen. Dieses Szenario waren sie seit der Abreise so unglaublich viele Male durchgegangen aber so kurz vorm Ziel schienen alle Hoffnungen sie wieder verlassen zu haben. „Ich meine, ich habe mich nicht angemeldet, ich bin ein uneheliches Kind. Er wird vermuten ich bin nur auf seinen Titel aus und auf sein Geld und…“
„Aber Domina, das hatten wir doch schon…“ kam postwendend die schon beinahe genervte Antwort, die Aviana ausnahmsweise nicht mit einem strengen Blick quittierte. Nein, viel eher hoffnungsvoll, als würde sie ertrinkend einen Strohhalm zum atmen suchen, haftete ihr Blick an der Nubierin. „Er adoptierte dich schon viel früher, wenn er dich nicht hätte annehmen wollen, dann hätte er dies damals schon entsagt. Aber trotz des Umstandes dass es zu keiner Eheschließung zwischen deinen Eltern kam, hat er dich adoptiert und vor Römischem Recht zu seiner Tochter gemacht. Und wenn er dich wegschickt, seine Verantwortung trägt er trotz alledem!“
Helvetia wandte nur unsicher den Blick ab und starrte ins Leere. Sie wollte doch gar nicht dass er die Verantwortung trug, sie wollte seine aufrichtige Zuneigung. Was wenn er nun einer dieser korrupten Politiker war die ohne zu zögern über Leichen ging? Ihre Mutter sagte sie sähe ihm nicht unähnlich, was, wenn sie nun die Male eines schlechten Menschen trug? Da plötzlich hielt die Kutsche und ihr Blick erstarrte. Es schien wohl an der Zeit langsam…
„Aussteigen, Herrin!“ ertönte von draußen die dunkle Stimme des Kutschers, ebenfalls Sklave nubischer Abstammung der unter der Sklavenschaft nicht unbeliebt war. Helvetia verdrängte die kichernden Sprüche der Sklavinnen über seine Bestückung, die ihr urplötzlich in den Sinn kamen. Heftig schüttelte sie den Kopf und erntete einen verständnislosen Blick Tullias. Dann erhob sie sich und ließ sich heraushelfen. Mit zaghaftem Schritt erfasste sie den Boden unter ihren Füßen. Nach der langen Zeit der Seereise und der anschließenden Kutschfahrt war es eine riesige Wohltat, zu wissen, dass der Boden für länger so fest bleiben würde. Sie übte kurz ihr gewinnendes Lächeln, was eher in eine Fratze umschlug, und brüstete sich leicht unter der schweren Stola. Tullia zupfte rasch die letzten Falten zurecht, prüfte den makellosen Sitz der Palla und ging anschließend vor der Herrin her, auf die Villa Rustica Helvetia zu. Die Zeit schien in Zeitlupe zu verstreichen, während Helvetia sich immer weiter dem Eingansportal näherte. ‚Gleich ist alles vorbei, gleich werde ich abgewiesen! Nur nicht weinen. Die Kette? Jaa, da ist die Kette…‘ schoss ihr in einem ewigen Kreislauf durch den Kopf, während sie das kalte Metall an ihrem Fußgelenk spürte. ‚Und wenn dies nun die falsche Villa ist?‘ keimte in ihr eine Hoffnung auf. Hoffnung? Doch, in diesem Moment wäre sogar eine plötzliche Hinrichtung beinahe eine große Hoffnung, nur, um der Begegnung zu entfliehen. ‚Und wenn er nett ist? Wenn alles gut geht?‘ Ja, die Gedanken vernahm sie gerne in ihrem Hinterkopf. Wie aus der Ferne hörte sie, wie Tullias Worte verklangen.
„…tia Aviana. Sie würde gerne mit Helvetius Geminus sprechen, ist dieser zugegen?“ Mit einem nervösen Lächeln, das eher einem dümmlichen Grinsen ähnelte, neigte sie entgegen ihrer sonstigen Art leicht den Kopf und sah mit den Augen zu Boden. Den Augen, die ihrem Vater ohne jede Widerrede absolut ähnelten, was zu diesem Zeitpunkt weder er noch sie ahnen konnten.