Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    “Mantua mit nur einer Legion lange genug zu halten ist utopisch. Prinzipiell sieht mein Vetter den Zeitpunkt für entscheidend an, wo man sich vereint. Je länger deine Vorbereitungen brauchen, umso sicherer ist der Treffpunkt in Raetia gewählt, so dass man mit vereinten Kräften gegen Marius und Vescularius vorgehen kann. So umgeht man auch die Gefahr, dass dann hinterher sowohl deine Legionen als auch die seine zwischen denen von Marius und der Stadt Rom sitzen wie zwischen Hammer und Amboss.
    Im übrigen glaubt mein Vetter nicht, dass Vescularius es sich leisten kann, große Teile der Praetorianer, Cohortes Urbani und Vigiles aus Rom abzuziehen, da die Bevölkerung kaum hinter ihm steht. Er hatte auch bis zu meiner Abreise nichts unternommen, um daran etwas zu ändern, nicht einmal Leichenspiele für den verstorbenen Imperator. Von daher sollte es uns möglich sein, Marius abzufangen, ehe er Rom erreicht. Sofern wir schnell handeln.“

    Dann aber sagte Modestus etwas, das Sextus nicht so gefiel. Claudius herholen. Jetzt. Der Iulier müsste noch mitten im Gespräch mit ihm sein, und im Gegensatz zu dem Annaer, der sich ganz offensichtlich nicht mehr an das Essen bei Tiberius vor vielen Jahren so genau erinnerte und daher den kleinen Klienten von Durus, der damals noch Vigintivir werden wollte, vergessen hatte, erinnerte sich der Claudier sicher noch an ihn. Die Claudier und die Aurelier mochten einander nicht besonders, und nach dem Debakel mit den claudischen Sklaven und der mangelnden Opfervorbereitung und der Ablehnung des jungen Claudius Wiehießerdochgleichnochmal bei den Saliern hatte sich das bestimmt nicht gebessert. Sextus erinnerte sich auch an nachfolgende Schmierereien gegen seinen Namen, wobei er hierfür keine Beweise hatte – allerdings auch sonst niemanden, der Veranlassung für so einen Unfug gehabt hätte außer dem ständig maulenden Pöbel.
    Von daher hielt Sextus es für eine ausgesprochen schlechte Idee, den Claudier jetzt hier antraben zu lassen und das ganze im kleinen Kreis zu besprechen, wo der Statthalter ihn nicht gerade freundlich behandelte. Zwei Männer in diese Situation zu bringen war in jedem Fall kontraproduktiv für Sextus vorhaben, wenn die beiden sich dann gegen ihn verbündeten, einfach aus persönlichen Befangen.
    “Ich denke, wenn ohnehin eine Besprechung anberaumt ist und du mir erlaubst, daran teilzunehmen, wäre der Sache besser gedient, so sind alle gleich informiert und man kann Beschlüsse fassen, die nicht nachträglich erneut revidiert werden müssen“, gab er eine pragmatische Begründung vor, die seine wahre Meinung nicht preisgab. In großer Runde war es wahrscheinlicher, dass der Claudier sich seiner Manieren erinnerte, ebenso gab dies seinem Begleiter die Möglichkeit, den Claudier zuvor schon auf ihre Seite zu ziehen – auch wenn dies nach dem von Claudius unterschriebenen Brief an Vescularius wohl ebenso unnötig war wie seine Überzeugung des Annaeus.


    Die andere Frage war da schon gänzlich anderer Natur und erforderte ein kurzes Nachdenken. “Der Praefect der Classis von Misenum ist Octavius Dragonum, der bekanntermaßen ein Klient von Decimus Livianus ist, der ein bekennender Gegner von Vescularius ist. Allerdings gehört Senator Octavius Macer zu denjenigen, die am meisten durch Vescularius profitiert haben. Ebenso haben die Decimer wohl ihren eigenen Frieden mit den Vescularius-Getreuen geschlossen durch die Hochzeit von Decimus Livianus' Nichte mit Terentius Cyprianus, der ebenfalls zum Dunstkreis des Usurpators gehört.
    Von daher würde ich nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass er auf unserer Seite steht und nicht mit ihm rechnen. Inwieweit eine Kontaktaufnahme sinnvoll wäre, weiß ich auch nicht abzuschätzen, der Mann ist mir nicht bekannt.
    Was Marcus Antonius Longus als Praefectus Classis Ravennae angeht, ist er mir persönlich nicht bekannt. Meine Mutter stammt ebenfalls aus der Gens Antonia, allerdings ist die Verwandtschaft vermutlich nur sehr entfernt, sofern vorhanden, sonst wäre mir sein Name vermutlich geläufiger. Ich kann nicht abschätzen, inwiefern für diesen Mann verwandtschaftliche Bande ausschlaggebend sein mögen, so dass ich die Sinnhaftigkeit einer Kontaktaufnahme nicht abschätzen kann. Generell hat die Gens Antonia allerdings keinen Nutzen von Vescularius' Herrschaft, im Gegensatz zur Gens Octavia.“

    Was sollte sein Vetter schon vorhaben? Einen heldenhaften Alleingang entgegen allen Wahrscheinlichkeiten? War Ursus zugegebenermaßen zuzutrauen. Aber in dem Fall doch hoffentlich nicht der Wahrheit entsprechend.
    “Genau um das zu besprechen hat mein Vetter mich hergeschickt. Ein Zusammenschluss seiner Legio mit deinen wäre vermutlich das vernünftigste und angebrachteste. Daraus ergibt sich die Frage, wie deine bisherigen Planungen, die ja allem Anschein nach schon weit fortgeschritten zu sein scheinen, aussehen. Bislang haben weder Vescularius noch Marius ihre Truppen bewegt, so dass Rom wie auch Pannonia stark befestigt sein dürften und die Legio I zwischen beiden in der Falle sitzt, weshalb eine Aufgabe des jetzigen Standortes angebracht ist, oder aber eine entsprechende Verstärkung und dann ein Marsch, vorzugsweise Richtung Rom. Allerdings fehlen uns Informationen über die Legionen unter Cornelius aus Syria, wie und in welcher Weise er er sich bewegen wird. Da er sich zum Imperator hat ausrufen lassen, muss sein Ziel lauten, Roma einzunehmen. Doch welchen Weg er einschlagen wird und ob er versuchen wird, Marius in Pannonia zu umgehen oder sich ihm zu stellen und ihn zu vernichten, war bis zum Zeitpunkt meiner Abreise nicht bekannt. Ebenso die Verhaltensweise der britannischen Armeen unter seinem Bruder Cornelius Cethegus, die sich sicher ebenfalls ihm anschließen werden. Ich würde die Entsendung von Boten vorschlagen, sofern noch nicht geschehen.
    Folglich ist die Frage offen, ob du, Annaeus, mit deinen Legionen südwärts ziehen willst und wo ein Zusammenschluss der Legionen am Sinnigsten wäre, diesseits oder italischerseits der Alpes. Allerdings müsste die Entscheidung recht bald fallen, da eine Legion die vielen von Marius sicher nicht lange aufhalten kann und mein Vetter damit zum Rückzug gezwungen wäre.“


    Und endlich wurde ihm auch ein Sitzplatz angeboten, den Sextus auch einnahm. Allerdings nicht ohne die erneuerte Nachfrage, wer Sextus denn sei. So langsam wurde es ermüdend.
    “Und so leid es mir tut, dich vermutlich enttäuschen zu müssen, ich bin wirklich Aurelier, und ich bin wirklich ein Vetter von Aurelius Ursus. Mein Vater ist Numerius Aurelius Fulvus, der dir nichts sagen dürfte, mein Großvater war Claudius Aurelius Crassus, Proconsul Germanias, Syrias, Italias... der dürfte dir etwas sagen. Darüber hinaus bin ich Haruspex und Senator, falls du dir Sorgen machst, dass mein Stand diesen Verhandlungen nicht angemessen sein sollte. Doch dies alles hat nichts mit der Frage um die Notwendigkeiten taktischer Standortverlegungen zu tun.“
    So langsam fragte sich Sextus, was das alles sollte. Es war ja nicht so, als hätte er seinem Gegenüber keinen Namen genannt. Er hatte ihm sogar einen wahren Namen genannt und sich nicht auf eine Lüge herausgeredet. Und außer dem nomen gentile war kein Bestandteil eines Namens auch nur annähernd von Bedeutung. Daher gab es auch nur eine sehr begrenzte Auswahl an Praenomina. Sextus hieß deshalb Sextus, weil er das sechste Kind seines Vaters war, das lange genug gelebt hatte, um einen Namen zu benötigen. Sein Vater hatte alle seine Kinder einfach durchnummeriert. Primus, Secundus, dann Tertia... Und wen interessierte das schon, vor allem in einer Zeit, da die Hälfte aller Menschen das zehnte Lebensjahr nicht erreichte? Ebenso mit den Cognomina, die man ändern konnte, wie man wollte. Es gab ein paar Ehrennamen, aber der Rest? Familientraditionen, die man nicht ablegen konnte, oder Spitznamen, die man aufgrund irgendwelcher Vorkommnisse erhielt. Agrippa, der mit den Füßen zuerst geborene. Cincinnatus, der Lockenkopf. Ursus, der Bär. Warum sein Gegenüber ausgerechnet „der Gemäßigte“ genannt wurde, war ihm aber ein Rätsel. Vielleicht eine besondere Art von freundschaftlichem Sarkasmus. Sextus hatte seinen Beinamen – Wolf – in seiner Jugend von seinen Freunden erhalten, aufgrund seiner taktischen und skrupellosen Art – auch wenn es damals mit Mädchen zu tun gehabt hatte.
    Und Sextus würde es ebenso halten. Sein Sohn hatte auch keinen Cognomen, sondern sollte ihn sich verdienen durch Charaktereigenschaften. Und er hieß deshalb Lucius, weil er am Tag geboren wurde. Jeder im März geborene würde Marcus heißen, alle nachts geborenen würden einfach durchnummeriert, Mädchen einfach Maior oder Minor genannt werden. Gegebenenfalls, falls es mehr als zwei werden sollten, konnte man das ja noch einmal anpassen. Ein persönlicher Name war nichts unabänderliches und festes. Protokolliert war er auch schon gar nicht. Von daher waren sowohl Prae- als auch Cognomen vollkommen irrelevant. Das einzige, was zählte, war der Name der Gens, der man entstammte, für die man Ruhm und Ehre erwarb und auf die man sich bei allen Taten bezog. Und mit der man auch angesprochen wurde.


    Ein schönes Beispiel hierfür war gerade einmal fünfzig Jahre alt. Der Imperator Nero war geboren worden als Lucius Domitius Ahenobarbus. Mit dreizehn Jahren adoptiert hieß er dann Tiberius Claudius Nero Drusus Germanicus Caesar. Kein Teil seines Namens war ihm geblieben, nicht einmal die Spur davon. Und in die Geschichte ging er schließlich ein als Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus. Alle Titel weggedacht wurde aus einem Lucius erst ein Tiberius und dann ein Nero in nichtmal dreißig Jahren. Das sagte wohl alles über die Relevanz von römischen Namen.

    Wie der Mann vor ihm es auf seinen Platz geschafft hatte bei so wenig Gespür für die rudimentärsten Formen des menschlichen Miteinanders war Sextus ein Rätsel. Er selbst war auch nicht unbedingt immer der höflichste Zeitgenosse, aber einen solchen Mangel an Umgangsformen hätte er nie zur Schau getragen.


    Schweigend und ruhig nahm er also das Pergament noch immer stehend entgegen, dass der Legat aus dem Nichts hervorgezaubert hatte, und las es sich durch. Prima, da ritt er durch das halbe Imperium, um den Mann vor sich zu überzeugen, ließ sich diese unfreundliche Behandlung deshalb angedeihen, und der Mann kotzte ihm die ganze Provinz mitsamt ihren Legionen regelrecht als Geschenk vor die Füße. Und das ohne Vorwarnung und noch innerhalb dieser unfreundlichen Grundstimmung. Die Götter hatten einen sehr verqueren Sinn für Humor.
    Offen reden? Sextus las das Schriftstück erneut mit ausdrucksloser Miene. Offen reden konnten sie wohl kaum. Es war eine Sache, sich über die taktische Verteilung von Truppenstärken und die Unterstützung eines Kaiserkandidaten zu unterhalten. Eine ganz andere war es, zu sagen, dass man ein Testament gefälscht hatte und den letzten Kaiser ermordet hatte, und nur der beauftragte Mörder ein vorschneller Vollidiot gewesen war, der den schönen Ursprungsplan unbrauchbar gemacht hatte. Offen war also kein Wort, das Sextus benutzen würde, wenn es um jegliche Unterhaltungen abseits des ohnehin schon eingeweihten Kreises ging. Selbst die Männer, mit denen er gereist war, wussten nichts. Und der schweigsame Princeps Praetorii war auch in seiner Reaktion cniht einzuschätzen.
    Und so gab er dem Legaten sein Schriftstück auch einfach unbeeindruckt zurück und fing an, in die Details der Verhandlungen einzusteigen, nachdem das Grundsatzkonzept offensichtlich schon zum gemeinsamen Konsens stand.
    “Du kannst den Schriftsatz um die erste Legion erweitern, mein Vetter wird es mit Freuden gegenzeichnen. Wie dir vielleicht bekannt sein dürfte, unterhält die Gens Aurelia viele Verbindungen zu den Gentes Flavia und Tiberia und ist ebenso mit Cornelius Palma bereits in Freundschaft bekannt. Ich gebe zu, dass unsere Hoffnung darin lag, in dir einen verbündeten also gewinnen zu können, doch wie ich sehe, ist dies bereits ohne unser zutun von deiner Seite aus so gewollt, was mich und auch meinen Vetter sehr erfreut.“
    Sextus fütterte also den Annaer mit ein paar kleinen Informationen. Zwar waren die nicht gänzlich korrekt, aber auch nicht falsch. Sextus hatte Cornelius Palma kennengelernt bei den Treffen bei seinem Patron, und soweit hatte er sich gut mit ihm verstanden. Zumindest hatte er keinen Grund, anzunehmen, dass sie sich nicht verstanden hätten. Und das war sicher mehr, als jeder sonst in diesem Raum von sich oder seiner Gens behaupten konnte.
    “Desweiteren wird ebenso der etrurische Städtebund auf unserer Seite stehen und Vescularius seine Mittel entziehen.“ Das war auch etwas, das Sextus nicht sicher zu sagen wusste, worauf er aber pokerte. Er hatte nicht umsonst als Haruspex den Städten dort geschrieben in genau dieser Angelegenheit, und einige Sprösslinge der ältesten und einflussreichsten Familien dieser Städte schuldeten ihm mehr als nur einen Gefallen. Er war sich sicher, dass sein Lehrer und guter Freund Cilnius Lanatus alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um Tarquinia auf seine Seite zu stellen. Und wohin Tarquinia wies, dahin gingen auch Volsinii, Chiusi , Veji und Caere, noch dazu, da in eben jenen Städten auch Freunde von Sextus waren.


    Da war dann eigentlich nur vielleicht eine Sache, die man noch erwähnen könnte. “Vielleicht könnte man bei dieser Gelegenheit ebenfalls darauf hinweisen, dass die Edikte des Vesculariers keine Gültigkeit haben. Wie du vielleicht weißt, sind laut diesen einige Personen auf Proskriptionslisten gelandet, nicht zuletzt aus den Gentes Aurelia und Flavia, und auch Cornelius Palma selbst.“ Sextus würde sich zumindest weit wohler fühlen, wenn er auch semioffiziell nicht mehr vogelfrei war.

    Und noch immer kein Sitzplatz und nichts zu trinken. Offensichtlich hatten die nördlichen Provinzen doch Auswirkungen auf den Römer vor ihm, ließen sie ihn zumindest die Grundformen der Höflichkeit vergessen. Vielleicht auch mit voller Absicht, was noch weniger vertrauenserweckend war und Sextus darin bestärkte, das folgende Gespräch so sparsam wie möglich zu gestalten. Der Annaeer schien ihn nicht besonders leiden zu können und schien noch nicht einmal die Notwendigkeit zu verspüren, so zu tun, als könne er ihn leiden. Wenn ein Mann selbst darauf verzichtete, dachte er, dass er Höflichkeit nicht nötig hatte und unangreifbar war. Und solche Machtphantasien wurden sehr häufig durch brutale Vorgehensweisen untermauert. Und Sextus hatte kein Verlangen nach derlei Schauspiel, schon gar nicht auf seine Kosten.
    So ernüchternd diese Erkenntnis auch war, so unumgänglich war sie auch. Und weitaus ernüchternder war die daraus folgende Erkenntnis, dass dieses Gespräch hier vermutlich nicht den gewünschten Erfolg haben würde, womit Sextus eher auf den plebejischen Centurio Iulius und dessen Gespräch bei Claudius Menecrates angewiesen war. Nicht unbedingt gute Voraussetzungen. Oder solche, die seine Laune heben würden.


    Dennoch blieb er äußerlich freundlich und ließ sich von seinen Gedankengängen nichts anmerken. Jetzt war er schon mehrere hundert Meilen weit gereist, hatte eine Überquerung der Alpes und Wochen auf einem Pferderücken in Kauf genommen für diesen Blödsinn, da ließ er sich von so ein wenig Machtphantasterei nicht gleich abschrecken und aufhalten.
    “Ich bin mir sicher, dass dir die gegenwärtige Lage im Imperium ebenfalls bewusst ist, ebenso wie damit einhergehenden Fragen sicherlich auch schon auf deinem Tagesplan zu finden sind. Jeder Mann, der eine Legion unter sich hat, so wie du und Legat Aurelius Ursus, wird sich vermutlich dieselbe Frage stellen, ob und in welchem Rahmen man aktiv werden sollte. Immerhin gibt es – oder gab es zum Zeitpunkt meiner Abreise aus Mantua – bereits zwei Kaiser. Potitus Vescularius Salinator in Rom, und Appius Cornelius Palma im Osten.
    Daraus ergeben sich notwendigerweise Entscheidungen, die gemeinsam getroffen vielleicht leichter fallen“
    , begann Sextus also vage genug, um nicht gleich verhaftet oder eingesperrt zu werden.

    Vielleicht wäre der Scherz doch besser gewesen. Das hier schien sehr schwierig zu werden.
    “Nun, ich hätte es mit einem Salve, Aurelius vorerst versucht“, meinte Sextus freundlich und mit offenem Lächeln. Die Frage nach seinem genauen Namen war ja auch irgendwo zum Lächeln. Abgesehen davon, dass es außer dem Gensnamen selten etwas gab, das wirklich zählte, und man mit diesem sein Gegenüber sehr wohl hinreichend und auch höflich anreden konnte, wie sollte man schon beweisen, dass man war, wer man war? Sollte die kaiserliche Kanzlei einem ein mit Wachs versiegeltes Stück Papier geben, am besten mir einem möglichst komplizierten, in Gold gefassten Siegel darauf, auf dem der eigene Name stand, und das man immer und überall mitzuführen hatte? Sextus hatte auf einmal ein Bild vor Augen von einem jungen Burschen, der besoffen einen Wagen durch die Straßen gelenkt hatte, und nun von den Vigiles angehalten worden war, die diesen Wisch haben wollten, und am besten eine Wagenfahrerlaubnis gleich mit oben drauf. Amüsanter Gedanke. Allein der Papierkram wäre überwältigend. Und der letzte Zensus der Bevölkerung, dass auch nur gezählt wurde, wie viele Bürger es denn gab, war auch schon Jahrzehnte her.


    “Und abgesehen davon, dass ich mit seinen Männern hierher gereist bin“ – was entweder eine geniale wie wahnwitzige Desertion darstellte oder aber Beweis genug dafür sein müsste, dass er nicht verrückt war, sowas zu behaupten und direkt zur Regia zu marschieren -“fürchte ich, dass ich keinen Beweis habe. Einen geheimen Handschlag hat meine Gens meines Wissens nach noch nicht eingeführt. Und wenn, wäre er nicht geheim, wenn jeder ihn kennen und somit verifizieren könnte.“
    Sextus Gesicht blieb freundlich, seine Stimme ruhig und sachlich, trotz des leicht spöttischen Inhalts der Worte. Aber er würde ganz sicher nicht ankommen, seinem Gegenüber seinen Namen aufbinden und schon auf die Götter vertrauen, dass die an die Anständigkeit des Annaeers appellierten und Sextus Kopf damit auf seinen Schultern ließen. Entweder respektierte der Annaeer ihn als Boten oder er tat es nicht, ganz einfach. Daran änderte auch ein Name nichts. Und selbst wenn, konnte er ihm einfach irgend einen nennen, und eigentlich musste das seinem Gegenüber auch sehr klar sein. “Daher, Legat, kannst du mir entweder trauen, dass ich kein lebensmüder Hochstapler bin, oder nicht.“ Sextus zuckte leicht mit den Schultern, als wäre es ihm egal. Im Grunde war es das auch. Der Bote war nicht das Entscheidende, und das wusste Sextus auch, sondern die Botschaft. Abgesehen davon, dass Sextus sich auf diese Art von Machtspielchen gar nicht erst einließ. Was sollte er vor dem Annaeus JETZT auch einknicken? Allein die Vorstellung, das zu tun, war lächerlich. Und auch nicht sienen Zielen nützlich. Für diese musste er auf Augenhöhe mit dem Mann kommunizieren, und nicht wie ein Wicht von unten nach oben.

    Und Sextus betrat das Officium des LAPP wie geheißen. Ihm gegenüber war ein Mann gehobenen Alters und annähernd gleicher Größe. Erfreulicherweise kein Bart. Sextus hatte schon mit einem ähnlich germanisierten Mann gerechnet. Man wusste ja nie, was diese Provinzen einem Römer antaten. Und der Mann war schon lange hier im Norden. Sein Gegenüber sah aber noch erfreulich römisch aus.


    Eigentlich hatte Sextus vor, das Gespräch mit einem lockeren Scherz zu beginnen. Etwas in der Art wie 'An deiner Stelle würde ich diene Vorzimmerdame feuern. Bietet Gästen nichtmal was zu trinken an' oder etwas in der Art. Allerdings gesellte sich besagte Vorzimmerdame mit in den Raum und stellte sich zu dem Annaer. Aber Sextus kannte den schmalen Grad zwischen Humor und Beleidigung, und auch den schmalen Grad zwischen Mut und Todessehnsucht. Also beließ er es bei unhörbaren Gedanken, auch wenn er sehr wohl auf die Gesichtsausdrücke beider Männer dabei sehr gespannt gewesen wäre.
    “Salve, Legatus Annaeus. Mein Vetter Aurelius Ursus bat mich, dir seine besten Grüße zu bestellen“, eröffnete er also leichtzüngig die Unterhaltung und wartete darauf, dass der Annaeus ihn begrüßte und ihm einen Platz anbot.
    Dass der Annaeus ihn nicht allein empfing, schmeichelte ihm sogar auf eine Art und Weise, auch wenn es das folgende Gespräch sehr schwer machen würde, da es vertrauliche Details quasi komplett von vornherein ausschloss. Allerdings zeigte es Sextus, dass der Mann ihn wohl als gefährlich genug erachtete, dass er zumindest eine zweite Meinung, wenn nicht sogar eine Wache in seiner Nähe dabei haben wollte.

    Im Grunde wäre Sextus ein sehr schlechter Politiker ohne jede Erfahrung oder Ausbildung, würde er seinem Gegenüber bei welcher Gelegenheit auch immer auf die schiefe Nase, die zusammengewachsenen Augenbrauen, das eingewachsene Furunkel, die schwarzen Zähne oder Zahnlücken oder eben auf den Schnauzbart starren würde. Und er wäre geradezu ein fürchterlicher Politiker, wenn er dabei Abneigung erkennen lassen würde. Und so dachte er auch nicht daran, dass sein kurzer Blick von seinem Gegenüber als halbe Beleidigung aufgefasst werden könnte und gab sich so charmant und leicht, wie er geplant hatte, seine Rolle zu spielen.
    “Besten Dank“, meinte er also leichthin und machte es sich auf dem angewiesenen Platz bequem. Er war gespannt, wie lange man ihn warten lassen würde. Bestimmt eine angemessene Zeit, so dass der Annaeus seine Position als scheinbar überlegener Gesprächspartner so von vornherein fixieren konnte. Ganz sicher würde er nicht aufgeregt hereingebeten und mit Freundlichkeiten überhäuft werden, dafür hatte der Mann vor ihm zu viele Legionen hinter sich und Sextus respektive Ursus zu wenige. Aber das machte nichts. Sextus mochte das Spiel, allein schon um des Spielens willen, und kannte seine Regeln. Er wartete nicht nur, er sammelte sich, ordnete Gedanken, beobachtete, resümierte, bereitete sich vor. Minuten, sinnvoll genutzt, nicht vergeudet.

    Entweder stand hier ein Germane vor ihm, oder ein Römer, der sich an die hiesigen Sitten angepasst und sich einen für römisches Empfinden geradezu widerlich langen Schnauzbart hatte stehen lassen. Noch ein Grund mehr, warum Sextus seine Sympathien den italischen Provinzen eher zugestand als den nördlichen oder östlichen des Reiches.
    Dennoch ging er so unbeteiligt wie nur möglich darüber hinweg und gab sich ganz politisch, vielleicht etwas lockerer. Ab jetzt war alles ein Schauspiel, und Sextus hatte vor, in seiner Rolle zu glänzen. Es sollten ihn ruhig alle für offen und unvorsichtig halten, unterschätzt zu werden war immerhin ein Vorteil.
    “Ich würde es weniger eine Botschaft nennen. Der Legat der ersten Legion, Senator Titus Aurelius Ursus schickt mich, um mit dem geehrten Legatus Augusti pro Praetore Annaeus über die Zukunft des Reiches zu sprechen. Und gegebenenfalls Verhandlungen abzuschließen.“


    Sextus sagte natürlich nicht, in welche Richtung sowohl er als auch sein Vetter tendierten. Erstens war das hier nur der Scriba – zwar der persönliche Scriba mit offiziellem Amt und Titel, aber dennoch nur der Schriftführer – des Legaten, und zweitens hatte er keine Ahnung, inwieweit der Annaeer sich darüber auch nur Gedanken gemacht hatte, was er in seiner Position anzustellen gedachte. Und er wollte zumindest erst nach dem Gespräch mit dem Mann in Ketten geworfen werden und nicht schon vorher. Wobei jeglicher Kontakt mit Eisen an seinem Körper möglichst zu vermeiden war.

    Und Sextus folgte dem wachhabenden Soldaten bis in das Officium des Pinceps Praetorii, wo er erst einmal eine zwangsläufige Pause einlegte. Im Grunde hatte er angenommen, dass nach ihrer [strike]Gefangennahme[/strike] Auffindung durch die Männer der Legio VIII schon genügend Boten vorausgeritten waren, um ihre Ankunft anzukündigen, erst recht nach dem gestrigen längeren Aufenthalt, um sich repräsentabel herzurichten. Aber offensichtlich reichten diese Boten auch nicht weiter als vor die Tore der Regia – oder das Vorzimmer des Präfekten. Aber gut, Sextus hatte Zeit. Wenn der LAPP ihn warten lassen wollte, sollte er ihn warten lassen. Er selber stand also im Officium des Praefectus Praetorii und ließ seine Wache, die ihm freundlicherweise auch den Weg hierher gewiesen hatte, ihn auch ankündigen. Soviel wusste Sextus inzwischen schon vom Militär, dass der Kerl Meldung zu machen hatte, sobald er nur nah genug an den Schreibtisch getreten war. Daher musste er sich nicht an ihm vorbeidrängeln und selber nochmal den Satz sagen, den der Mann so oder so von sich geben würde, um sein Hiersein zu erklären.

    Die Eskorte führte Sextus direkt bis zu den Toren der Regia, wo er auch artig angemeldet wurde. Natürlich nicht mit seinem eigenen Namen, den er den Beneficarii nicht genannt hatte. Immerhin stand er auf einer Proskriptionsliste und er war nicht versessen darauf, seinen Kopf auf einer Lanze wiederzufinden, wo er sich auf seinen Schultern doch so viel besser machte.
    Und so hieß es einfach nur “Der Abgesandte der Legio I, Aurelius, wünscht zum Legaten vorgelassen zu werden.“
    Artig aufgesagt, dachte sich der Aurelier, der sich just in diesem Moment aus seinem Sattel schwang. Nach dem gut zweiwöchigen Ritt konnte er die Frage beantworten, wo man überall Schwielen bekommen konnte – auch wenn Sextus sich bei einigen Körperstellen die Experimente zur Beantwortung dieser Frage angenehmer und in weiblicherer Begleitung vor allen Dingen vorgestellt hatte. Doch wenigstens waren die allgemeinen Schmerzen beim Reiten vergangen oder aber er hatte sich so sehr an sie gewöhnt, dass er sie nicht mehr aktiv wahrnahm und daher eine doch ordentliche Erscheinung abgab. Vielleicht trug auch die saubere Tunika und der Haarschnitt dazu bei, dass er sich besser fühlte als noch vor einer Woche.


    Er selbst also schritt auf das Tor der Regia zu und erwartete, dass man ihm schon den Weg weisen würde, wohin er sich zu wenden habe.

    Insgesamt waren doch zwei Pferdewechsel nötig geworden, wenn auch sehr unfreiwillig. Sextus hatte sich wirklich gut beherrscht und dem Centurio seinen Willen gelassen. Im Endeffekt sollte die Reise nicht auf einen Machtkampf über Stellung und Rang hinauslaufen, und Sextus sah keinen Mehrgewinn darin, seine Meinung durchzusetzen – was er gekonnt hätte – und sich dafür einen Feind zu schaffen – was vermeidbar gewesen war. Allerdings hatten sie zur Überquerung des Passes bei den Alpen doch ihre Reittiere wechseln müssen. Ihr einheimischer Führer - ein Mann, dessen Namen Sextus schon längst wieder vergessen hatte, so er sich überhaupt bemüht hatte, ihn sich zu merken – hatte darauf bestanden, dass sie ihre Pferde gegen die trittsichereren Maultiere tauschten, die den Weg über den Pass noch kannten. Und alles Diskutieren hatte letztlich nur dazu geführt, dass der Mann sich beharrlich geweigert hatte, sollten sie auf ihre Pferde bestehen. Und als die Reisegruppe sich über einen sehr schmalen Steinpfad hinfortbewegte, vorbei an Gesteinslawinen und in beißend kaltem Wind, und er so in die waldige Schlucht unter ihm schauen konnte, war er sich nicht mehr sicher, ob er sich in seinem Stolz wirklich gekränkt fühlen sollte, weil er gezwungen worden war, auf dem weißen, zotteligen Tier unter ihm Platz zu nehmen.
    Als sie allerdings den Pass und schließlich auch die Alpes hinter sich gelassen hatten, die Straße sich als gepflasterter Weg vor ihnen wieder auftat und die schroffen Steingebirge langsam in tiefgrüne Wälder in einer fruchtbaren Hügellandschaft übergingen, hatte Sextus auf einen Wechsel der Reittiere bestanden. Er würde nicht auf einem Maultier nach Mogontiacum einreiten und so dem Statthalter gegenübertreten. Und das war nichts gewesen, worüber es auch nur den kleinsten Spielraum einer Verhandlung gab.


    Jenseits der Alpes verlief die Reise ähnlich wie auf italischer Seite, wenngleich trotz des Tierwechsels insgesamt auf größere Geheimhaltung geachtet wurde. Was sehr zum Unwohlsein des Patriziers beitrug, schloss diese Vorgehensweise doch sämtlichen Aufenthalt in Badehäusern oder Herbergen kategorisch aus. Stattdessen kampierten sie in irgendwelchen Senken, teils ohne Feuer, in Zelten und auf Fellen nächtigend. Sextus beschloss, sich nie wieder über Unbequemlichkeit bei sich zuhause zu beschweren. Oder über die Hygienevorstellungen diverser Mitbürger.
    Als sie schließlich Raetia hinter sich gelassen hatten und nach Germania Superior gelangt waren, stank er wie ein Wisent und sah vermutlich auch nicht sehr viel besser aus. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen, um auf eine Patrouille zu treffen, doch hatten die Götter ihren eigenen Sinn für Humor. Und so wurden sie von einigen Beneficarii aufgehalten, und es dauerte ein wenig, bis Sextus ihnen glaubhaft machen konnte, dass sie Boten waren und auf dem Weg zum Legatus Augustus pro praetore der Provinz waren.


    Ein gutes hatte ihre Entdeckung allerdings: Weitere Geheimhaltung ihrer Reise als solches wurde damit überflüssig. Sie erhielten eine Begleitung – oder Bewachung, je nach Betrachtungsweise - von einigen Reitern und nutzten fortan die Straße. Und kehrten vor Mogontiacum auch noch ein, was ein ordentliches Bad, eine Rasur und den Schlaf in einem vernünftigen Bett einschloss. Und ein weiterer Vorteil offenbarte sich, als Sextus so nicht wie ein Bettler stinkend und einigermaßen repräsentabel auf das Stadttor von Mogontiacum zuhielt: Sie bereiteten ihm den Weg und übernahmen die Meldung bei den Stadtwachen, so dass ihre Reisegruppe ohne weitere Schwierigkeiten einreiten konnte.
    “Centurio Iulius. Ich würde dich bitte, dich vorerst um ein Quartier für uns zu kümmern, da ich die Gastfreundschaft des Annaeus nicht einschätzen kann. Desweiteren wäre es mir sehr recht, wenn du das Treffen mit Claudius bald eigenständig einleiten könntest, da ich nicht weiß, wie lange ich in der Regia aufgehalten werde.“
    Die Worte an den Iulius, mit dem er sich nach seinem Dafürhalten ganz gut zusammengerauft hatte, waren beiläufig und allgemein genug gewählt, um bei ihrer Eskorte nicht für Aufregung zu Sorgen. Seitdem sie auf die Männer der Legio VIII getroffen waren, waren sämtliche inhaltlichen Taktikbesprechungen notgedrungen ausgefallen. Allerdings hoffte Sextus, dass der Iulius wirklich so vertrauenswürdig war, wie Ursus behauptet hatte, und damit versuchte, den Claudius von ihrer Sache und einem Kaiser Cornelius Palma zu überzeugen, und dass der Mann genug Verhandlungsgeschick besaß, um dieses auch zu bewerkstelligen. Und genug Intelligenz, zu handeln, sollte Sextus nach einem Tag noch nicht aus der Regia wieder zurückgekehrt sein. Es galt allgemein als unrömisch, die Boten zu töten, allerdings war es nicht auszuschließen.
    Sextus selbst ließ sich von seiner Eskorte auf direktem Weg zur Regia des Statthalters bringen. Sicher war sein Besuch ohnehin schon angekündigt, so dass es kaum Sinn machte, es weiter hinauszuzögern. Sollte der Annaeus ruhig der Annahme verfallen, dass Sextus ihn so wichtig nahm, sich ohne weitere Rast direkt zu ihm aufzumachen. Vielleicht war das der kleine Bonus, den Sextus brauchen würde, um den Mann zu überzeugen. Oder der kleine Bonus, der ihn und die Männer sicher wieder zu seinem Vetter Ursus zurückkehren ließ, sollte der Annaeus eigene Pläne verfolgen, was nicht auszuschließen war.

    Humor war schonmal kein zwingendes Element der funktionierenden Kommandostruktur, wie Sextus gerade vor Augen geführt wurde. Das konnten spaßige Wochen werden, wenn der Iulier immer so bärbeißig war. Andererseits war er auch nicht auf einer Erholungsreise oder einem Triumphzug, und solange er wusste, woran er mit seinen Reisebegleitern war, konnte er wohl auch damit arbeiten. Er hatte einen verlässlichen Griesgram definitiv lieber als ein unwägbar spaßiges Risiko. Zumal er selbst auch nicht zu den Komödianten zählte.
    Sextus verzichtete darauf, den Centurio darauf hinzuweisen, was Haruspices taten oder auch nicht taten, vor allem im padanischen Etrurien, in dem sie sich befanden. Je weiter sie sich vom Padus entfernten, umso geringer wurde freilich der Einfluss der etruskischen Kultur. Allerdings war sie selbstverständlich sowohl den Bergstämmen als auch den Kelten durch die bewegte Vergangenheit dieser Völker mitsamt Eroberungen und Rückeroberungen der Gebiete an diesem wichtigen Fluss – und damit der Handelsschifffahrt – und den vor noch gut fünf Generationen andauernd vorkommenden Grenzverschiebungen sehr gut bekannt. Da war ein herumreisender Haruspex – von denen es viel zu viele gab, gerade diejenigen, die sich selbst nur als solche bezeichneten, aber nie in den Universitäten Etruriens studiert hatten – nicht wirklich etwas auffälliges. Und vermutlich sahen die Menschen von jenen zwei pro Woche. Ein in militärischer Begleitung reisender Haruspex hingegen, der mitsamt eben jener Begleitung die Pferde wechselte, war da gewiss seltener. Seine eigene Anwesenheit bei Bewaffneten war leicht zu erklären durch den Schutz der Gruppe – auch Haruspices waren sterblich und so genau nahmen es die meisten Räuber nicht, ob sie eventuell Götterdiener oder andere überfielen – die Freundlichkeit, die 'zufällig getroffenen Meldereiter' ebenfalls mit frischen Pferden auszustatten wohl weniger. Auch wenn Sextus das nie zugeben würde, in diesem Punkt weniger weit gedacht zu haben wie sein Mitreisender.
    Stattdessen überging er sämtliche Kommentare da einfach fortan schweigend und fügte sich für den Moment. Ganz sicher ergaben sich noch Gelegenheiten, sich selbst als nützlicher zu gerieren und ebenso den Iulius auf seine Stellung und seine Herkunft zu verweisen, ohne dadurch die anstehende Reise zu gefährden.


    Und so ritten sie eine Weile ohne Konversation, ehe der Iulius doch einen Anflug von Humor zeigte und sich über sein Reittier beschwerte. Nun, vielleicht war der Mann doch nicht so nervenaufreibend und abweisend wie gedacht. Sextus zumindest beschränkte sich nicht auf ein kleines Schmunzeln wie die nachfolgenden Reiter, sondern lachte einmal kurz auf, so dass der Iulius es mitbekam. “Dasselbe frage ich mich auch. Wenn du mir einen Vorschlag gestattest, Mars nimmt doch Pferde als Opfertiere an. Sollte er uns sicher bis nach Mogontiacum geleiten, denke ich, dass wir ihm diese trefflichen Reittiere vermachen sollten.“ Zumindest hatte Sextus genau das mit seinem Reituntersatz vor. Das Vieh sollte sich nicht lange daran erfreuen, ihn durchgeschüttelt, wundgerieben und gequält zu haben.


    Sim-Off:

    So, Ummeldung erfolgt

    Der Tonfall gefiel Sextus nicht wirklich. Natürlich würde das nicht geheim bleiben, wenn sie die Pferde tauschten und er dies aufgrund seines Status' besonders gut machen würden. Allerdings wie wahrscheinlich war es, dass sie unentdeckt blieben, wenn er dies nicht sagte? Ein Trupp Soldaten fiel so oder so auf, und jeder, der danach suchte, würde da Informationen bekommen, bei jedem Haus und jedem Hof, und erst recht bei den Stadtwachen der verschiedenen Städte, die sie zwangsläufig passieren mussten. Jeder Händler, den sie passierten, würde die Nachricht in das nächste Dorf weitertragen, wenn man ihn nur danach fragte. Wollte Licinus die alle einfach umbringen, um ihre Reise geheim zu halten? Amüsanter Gedanke. Eine Blutspur hinter sich herzuziehen wäre vermutlich noch auffälliger.
    “Dieser Logik folgend sollten wir alle Städte meiden und die Pferde gar nicht wechseln. Am besten noch nicht einmal die Straße benutzen“, spöttelte Sextus leicht, ohne wirklich abwertend zu werden. Er brauchte den Mann neben sich noch, er wollte es sich nicht gleich zu Beginn der Reise mit ihm verscherzen. Was auch immer die Not erforderte, war Gesetz. Seine Notlage erforderte es, einen Plebejer und seine Worte zu ertragen, also würde er sich daran halten und seine Laune für die Zeit bis zum hoffentlich erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen für sich behalten. Zumindest weitestgehend. “Letzteres allerdings wird für unser Vorankommen unabänderlich sein. Aber wenn es dich beruhigt, verzichten wir für die beiden Wochen auf sämtliche Annehmlichkeiten und halten uns so bedeckt wie möglich.“ Ein kleines Opfer für Sextus. Ein großes für seinen Hintern. Jener hasste den Gaul unter ihm jetzt schon besonders. Nicht, dass ein anderer unbedingt besser gewesen wäre. Aber zumindest bestand die vage Hoffnung, dass er es wäre.


    Die Ausführungen zur Verwandtschaft des Iuliers waren da schon recht ernüchternd. Sporadischen Kontakt mit Senator Iulius... Sextus beobachtete die Miene des Centurios genau bei dessen Antwort, konnte allerdings keine Anzeichen für zurückgehaltene Gedanken oder ein Erschrecken feststellen. Vielleicht sprach der Mann neben ihm sogar die Wahrheit. Was ihn zwar nicht unbedingt vertrauenswürdiger machte, aber eben auch nicht misstrauenswürdiger. Vielleicht wusste er wirklich nicht, auf welcher Seite sich der Senator wohl positioniert hatte. Und gänzlich fehlender Kontakt zu Iulius Dives bedeutete auch keinen persönlichen Groll gegenüber Sextus, weil dieser den jungen Bengel rausgeschmissen hatte, als der mit seiner lächerlichen Hafenverordnung bei ihm zuhause aufschlug und ihm damit auch noch drohen wollte.
    “Schade, es waren wirklich sehr erquickliche Gespräche“, meinte er halb scherzend, halb ernst. Das Gespräch mit Iulius Dives war auch auf seine eigene Art sehr erquicklich gewesen. Sextus diskutierte gern, vor allen Dingen, wenn er im Recht war. Auch wenn die Gesellschaft und das Thema damals weniger erfreulich waren. Doch da würde sich, sofern das hier alles wirklich sich so wenden sollte, dass er erstens überlebte (was unwahrscheinlich war) und zweitens am Ende auf der Seite der Sieger stand (was noch unwahrscheinlicher war) schon Gelegenheit finden, sich zu revanchieren.


    Sextus überlegte, ob er noch weiter das Gespräch in diese Richtung drängen sollte, aber der Iulius hielt seine Antworten alle sehr vage und knapp, schon seit dem Beginn des Gespräches. Vielleicht würde er im Laufe der zwei Wochen noch etwas auftauen, und Sextus könnte ihn besser aushorchen. Für den Moment schien der Iulius eher abgeneigt, was längere Gespräche anging. Entweder das, oder das Leben als Centurio machte einen wortkarg.
    Also beschloss Sextus, es erst einmal hierbei zu belassen. Sollte der Iulier Bedarf an Konversation verspüren, wusste er, wo er Sextus finden konnte. Für alles weitere hatten sie Zeit. Sextus musste nicht die gesamte Konversation zweier Wochen innerhalb von zweier Stunden abhandeln.

    Sim-Off:

    Kein Thema. Ich bin bei der Wegbeschreibung einfach der Karte im Tabularium gefolgt, im festen Vertrauen darauf, dass die mit Punkten angedeutete Straße nicht nur hervorragend gezeichnet, sondern auch vom Kartenmacher so recherchiert war, ohne selbst zu recherchieren, was da denn nun heutzutage so genau liegt.


    Fast zwei Wochen auf diesem blöden Gaul zu sitzen war keine sehr erquickliche Aussicht. Auch wenn es Sextus so schon fast erwartet hatte, die Strecke bis nach Germania war verdammt lang. Ein Grund mehr, diesen von den Göttern vergessenen Fleck der Erde nicht unbedingt mit großen Sympathien zu beschenken. Nicht, dass es die seitens Sextus jemals besessen hätte oder auch nur die Chance gehabt hätte, selbige je zu erhalten. Außer als Lieferant für Bernstein, Sklaven, Kupfer und Land für gediegene Veteranen oder als Steuereinnahmequelle und Puffer gegen feindliche Volksgruppen sah er in dieser Provinz keinen Nutzen – was allerdings auf die meisten Provinzen so zutraf, die somit allesamt keine Sympathien für sich verbuchen konnten, außer in ihrer Existenz als solches zum Schutz und für den Reichtum des Römischen Reiches und damit letztlich seinem eigenen.
    Noch einmal bereute Sextus die Verknüpfung an Ereignissen, die diese Reise hier notwendig machten. Allerdings war er Realist genug, um ihre Notwendigkeit über persönliche Belange zu stellen und damit die Unbequemlichkeiten notgedrungen in Kauf zu nehmen. Im Endeffekt blieb ihm ohnehin nichts anderes übrig, und sich über unabänderliche Dinge aufzuregen war ineffizient. Sextus hasste Ineffizienz.
    “Gut“, war alles, was er zu den Ausführungen des Centurios zu sagen hatte. Er hatte keine durch Erfahrung qualifizierte Gegenargumentation, mit welcher er zustimmen oder widersprechen hätte können. Und wenn man keine Ahnung hatte, hielt man am besten einfach die Klappe.
    Das Pferd unter ihm lief einen ruckeligen Trab und schüttelte ihn dementsprechend durch. Allerdings konnten sie nicht die gesamte Strecke im Galopp dahinpreschen – und selbst wenn war jener nicht wirklich bequemer, eher noch anstrengender für die Beinmuskulatur. “Solange wir noch auf dieser Seite der Alpes sind, sollte mein Status als Haruspex Pferdewechsel einfach machen. Jenseits des etruskischen Einflussbereiches könnte es sich schwieriger gestalten“, philosophierte er, ohne wirklich ein Gesprächsthema darin zu finden, das ergiebig wäre. Sein Charme hatte in den letzten Wochen wohl arg gelitten, oder aber er fand keinen Bezug, diesen im militärischen Rahmen einzusetzen. Letzteres war sogar recht wahrscheinlich.
    Nach einer Weile des Dahinreitens beschloss er also eine andere Taktik. Eine offensivere, was ihm ein sichereres Grundkapital an Argumentation einbringen sollte. “Wenn du mir die Frage gestattest, Centurio Iulius: Ich hatte Gelegenheit, einige Iulier in Roma kennenzulernen. Bist du zufällig mit ihnen verwandt? Genauer war es ein gewisser Iulius Dives, ein junger Bursche von vielleicht zwanzig Jahren. Und selbstverständlich ist Senator Iulius Centho in Rom kein Unbekannter.“ Vor allem ob dessen Gefolgschaft an Salinator. Doch war die Frage so unschuldig und leichtzüngig von Sextus gestellt, dass man ihm beim besten willen nicht seine wahren Absichten daraufhin wohl unterstellen mochte. Und doch fragte der Aurelius aus einem Grund. Er musste diesem Mann neben sich vertrauen können, dass seine Loyalität gegenüber Aurelius Ursus größer war als eventuelle Loyalitäten zu seinen Verwandten, die bekennende Günstlinge des Usurpators waren. Er wollte sich auf dieser Reise nicht andauernd fragen müssen, ob er mit durchschnittener Kehle im Graben enden würde, weil dieser spezielle Iulius hier die Botschaft nach Germania lieber nicht überbracht wüsste.

    Der Drang, ein fragendes Gesicht zu machen, wurde von Sextus mit jahrelanger Übung unterdrückt. Eigentlich hatte er gedacht, sie wären an Verona schon vorbei, aber sich die Blöße, diese offensichtliche Fehleinschätzung durch eine Rückfrage offenzulegen, gab sich der Aurelius nicht. Er war Patrizier, Senator, im Moment offizieller Botschafter und Haruspex. Er konnte in die Zukunft sehen, glaubte zumindest die einfache Bevölkerung. Ganze vier Gründe, die ihn für alle anderen allwissend machen mussten. Also wusste er immer, wo man sich befand und was als nächstes zu tun war, selbst wenn er es nicht wusste. Wie jetzt.
    “Wollen wir es hoffen, eine Reise um die Alpes würde unsere Reise erheblich verlängern, und wir haben wahrlich schon genügend Zeit, die wir nicht haben, verplempert.“
    Sextus wusste, er würde den nächsten Vorschlag sicher bereuen. Seine Kehrseite hatte sich trotz der langen Warterei noch nicht wirklich vom letzten Ritt erholt, schien es ihm, denn nach kaum vier Stunden auf einem Pferderücken meinte er bereits wieder, jeden Muskel einzeln zu fühlen, nach einem Tag war er sicher. Wie er sich nach den Wochen der Reise fühlen würde, mochte er sich kaum vorzustellen. Er würde auf jeden Fall im Anschluss wohl wissen, an welchen Körperstellen man alles Hornhaut ausbilden konnte. Eine Frage, der er nie mit praktischer Forschung nachzugehen gedacht hatte.
    “Du bist der militärisch und praktisch Erfahrenere von uns beiden, daher bitte ich um diene Einschätzung: Inwieweit können wir unser Reisetempo steigern und wie ist deine Einschätzung über unsere Möglichkeiten, die Pferde zu wechseln? Ich möchte so bald als möglich in Mogontiacum ankommen, allerdings ist die Strecke lang und meiner Einschätzung nach sind unsere Ressourcen, was die Verfügbarkeit von Wechselpferden bei gleichzeitiger möglichst unauffälliger Reise anbelangt arg begrenzt.“

    Es hatte eine Weile gedauert, bis die Vorbereitungen für die Reise doch so weit gediehen waren, dass sie hatten aufbrechen können. Einige Tage nach seiner Ankunft hatten Ursus und Sextus erst die Zeit gefunden, noch einmal genauer zu reden, zu viele Dinge hatten sich dazwischen ereignet: Flora lebte und war mit dem Sohn des Tiberiers im Castell angekommen. Wobei Sextus ersterer Tatsache mehr abgewinnen konnte als letzterer. Da Flora ein Kind erwartete, hätten die Aurelier ohne den tiberischen Sprößling Anspruch auf das Vermögen seines Patrons anmelden können. Noch dazu, so sehr Sextus auch den Vorteil einer Märtyrerin erkannte, lag ihm nichts daran, seine Verwandtschaft abgeschlachtet zu wissen. Doch vielleicht würde sich mit etwas Glück noch eine Möglichkeit ergeben, etwaige Ansprüche des Adoptivsohnes von Tiberius Durus anzufechten. Sofern er das kommende überlebte. Und sofern die Aurelii es überlebten.
    Auch Flavius Gracchus war angekommen. Der Flavier hatte seine Familie rechtzeitig aus Rom fortschaffen können, was Sextus auch erleichtert stimmte. Selbst jetzt, wo Nigrina wohl gestorben war – ein Wissen, das Sextus für sich behielt. Seine Frau zu einer Märtyrerin zu machen, dazu würde sich Gelegenheit finden, um so die Flavier an sich zu binden und das Volk noch mehr von der Schuld des Vesculariers zu überzeugen. Bislang allerdings brauchte er die unverbrüchliche Unterstützung der Flavier, die auf Hochzeitsbanden beruhte. Daran jetzt zu rütteln wäre dumm gewesen – sah er auch Vorteile in der Quantität seiner Verbündeten und nicht nur deren Qualität.
    Der Bote mit der Nachricht über seine Frau gehörte zu den weniger positiven Meldungen und hatte eine Reihe an Handlungen erforderlich gemacht, die mehr Sextus' Aufmerksamkeit gefordert hatten und somit seinerseits längere Gespräche verschoben hatten. Nicht zuletzt hatte er aufgrund dessen Nachrichten an eine Vielzahl von Personen geschrieben, in der Hoffnung auf ein positives Echo oder zumindest der Vermeidung weiterer Schwierigkeiten.
    Als sein Vetter und er schließlich die Gelegenheit gefunden hatten, noch einmal über das ein oder andere Thema, das bei Sextus' Ankunft angesprochen war, zu reden, waren einige Tage ins Land gezogen. Reichlich Zeit, in der Sextus auch noch einmal hatte nachdenken können, so dass, als das Thema neuerlich auf den unabwendbaren Botengang zu den Truppen Germanias zu sprechen kam, Sextus diesmal einwilligte, sich auf den Weg zu machen. Nicht, weil er gerne dahin wollte – wer reiste schon gerne? - oder weil er sich in der Verantwortung zu seinem Vetter sah. Es war schlicht, dass er niemanden geeigneteren unter den verbliebenen Möglichkeiten sah. Zumindest niemanden, dem er die Verhandlungen unter den gegebenen Bedingungen vorbehaltlos zutraute. Gracchus war zu flavisch, der Tiberius zu jung und ohne Rückhalt. Abgesehen davon, dass Sextus bei letzterem insistiert hätte, jemand anderen zu schicken, wollte er doch in der vagen Hoffnung auf spätere Partizipation am tiberischen Restvermögen mittels seiner Cousine und ihrem Kind die Möglichkeit ausschließen, dass der Kerl sich einen Namen machte.
    Als Begleitung, um mit dem schwierigen Claudier zu verhandeln, hätte Sextus wiederum wohl auf Flavius Gracchus vertraut, doch hatte sich anderes ergeben.


    Der Vorteil dieser immer neuen Aufschübe lag dafür nun in der Möglichkeit, sich direkt nordwärts wenden zu können, und nicht erst weit in den Westen Italias reisen zu müssen, um an der Küste entlang an den Alpes vorbeizugelangen. Noch war das Frühjahr zwar nicht zu weit vorangeschritten, aber die Pässe sollten den Weg freigegeben haben. Und welcher Monat wäre besser geeignet, um Kriegspläne auf den Weg zu bringen, als der des Mars?
    Ursus hatte Sextus einige Männer als Eskorte mitgegeben. Ihre Gruppe war klein genug, um schnell voran zu kommen, aber groß genug, um nicht aufgehalten zu werden. Oder überfallen. Sextus schätzte den Gedanken sehr, in einem Stück zu dem Annaeer zu gelangen, ohne Zwischenfälle. Aber mehrere gerüstete und bewaffnete Personen schreckten wohl die meisten Räuberbanden ab. Auch Sextus hatte bequeme Reisekleidung gegen eine stärkere Bewehrung getauscht, sicher war sicher. Er wollte nicht offensichtliches Entführungsziel ihrer Gruppe sein, indem er aus der Menge herausstach.


    Der Weg führte also nordwärts. Verona ließen sie rechterhand liegen und wandten sich direkt der Straße nach in Richtung Mediolanum, von wo aus es nach Norden in die Alpes nach Clunia in Raetia gehen sollte, und von dort dann nordwestlich am Lacus Venetus und am Rhenus entlang bis nach Mogontiacum. So zumindest war der Plan. Den Sextus jetzt schon verabscheute, schloss er doch wochenlangen Aufenthalt auf einem Pferderücken ein - etwas, das Sextus für den Rest seines Lebens zu vermeiden gedachte.
    “Was meinst du, Centurio, wie lange, bis wir Gewissheit haben, ob die Pässe passierbar sind oder nicht?“ fragte Sextus den ranghöchsten seiner Reisebegleiter, bei welchem er sich hiermit um Konversation bemühte. Weniger aus Beschäftigungsgründen. Vielmehr wollte er den Mann kennenlernen, wozu die Reisezeit wohl ausreichend Gelegenheit bot, wenn sonst schon wenig positives. Immerhin musste er einschätzen können, inwieweit er vertrauenswürdig war, lag seine Sicherheit und der Verbleib seines Kopfes aus Sextus' Schultern doch maßgeblich in den Händen dieses Mannes, den Ursus zwar als vertrauenswürdig beschrieben hatte, was für Sextus allerdings noch nicht viel heißen musste.

    Auch wenn der Bote der Meinung war, angesichts dieser Zeiten und der Gefahr, plötzlich durch eine Kriegsfront hindurchreisen zu müssen, fürchterlich unterbezahlt worden zu sein, überbrachte er gewissenhaft den Brief seines Auftraggebers und gab ihn in der Casa Pugitia beim Ianitor ab.



    Sextus Aurelius Lupus Purgitio Macre s.d.


    Ich kann nur hoffen, dass diese Zeilen von dir nicht sofort dem Feuer überantwortet werden, ehe du sie gelesen hast. Und ich könnte es dir nicht verübeln, wenn du genau dies tun würdest, schreibt dir hier doch ein Mann, der öffentlich gebranntmarkt wurde. Ich bin sicher, dass es auch Gerüchte meine Flucht betreffend gibt, die mich mit dem Tod des Kaisers in Verbindung bringen wollen, und ich bin mir ebenso sicher, dass wir beide wissen, von welcher Quelle diese Andeutungen oder auch offenen Anschuldigungen stammen mögen.


    Ich will von dir keine Absolution oder Verständnis für meine Flucht. Darüber mögest du dir dein Urteil bilden, wie auch immer es ausfallen mag. Ich habe meine Gründe, die dir angesichts der Lage in Rom vor meiner Abreise plausibel erscheinen mögen oder auch nicht. Ich denke nicht, dass ich dich, solltest du sie für unredlich halten, davon würde überzeugen können, dass sie nicht aus Selbstsucht oder gar berechtigter Furcht aufgrund einer Missetat geschah. Ich kann dir nur mit meinem Wort versichern, dass nichts von dem, was mir zur Last gelegt wird, zutreffend ist, was du glauben kannst oder nicht. Diese Entscheidung kann ich dir nicht abnehmen.


    Doch dies ist nicht der Grund dieses Briefes. Vielmehr schreibe ich dir, da mein Patron, der Mann meiner geliebten Cousine Aurelia Flora, der Consular Tiberius Durus auch mit deiner Familie verbunden war durch deine Ehefrau. Ebenso wie mein Vetter Aurelius Ursus mit ihm verbunden war durch die seine. Und der durch Vescularius ermordet wurde. Ja, ich schreibe ermordet, auch wenn ich um die exakten Umstände seines Todes vermutlich genauso wenig weiß, wie du. Dennoch war er ein redlicher, aufrechter Römer, Consular Roms, Pontifex, langjähriges Senatsmitglied, und wie auch immer sein Tod vonstatten gegangen sein mag, er hatte besseres verdient, als sein Haus von Prätorianern auf Befehl des Vescularius erstürmt zu wissen, so dass nicht nur er, sondern auch Teile seiner Familie und seiner Getreuen den Tod finden mussten.
    Ich weiß, auch wenn du als ebenso aufrechter Römer mit mir darin sicherlich übereinstimmst, dass uns dieses Wissen nicht zu Verbündeten und auch nicht zu Freunden macht. Dennoch hoffe ich, dass du über dieses Wissen verstehst, dass die folgenden Taten, die so unabwendbar sind wie der Lauf der Gestirne, nicht aus Niedertracht oder Gier geschehen werden, sondern zu ehren eines großen Mannes, der besseres verdient hat als die Behandlung, die ihm zuteil wurde. Vor kurzer Zeit verkündeten die Zeichen, dass die Götter nicht zulassen würden, dass der Schuldige am Tod des Kaisers seinen Thron mit noch blutigen Händen ergreift. Nun, die Götter werden es nicht zulassen, auch wenn es Menschen sein werden, derer sie sich als Werkzeug bedienen.
    Ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht ein Cnaeus Marcius Coriolanus bin. Ich tue Dinge nicht aus übertriebenen Stolz oder gekränkter Eitelkeit. Niemand von uns wird sich mit Roms Feinden verbünden, um gemeinsam Rom anzugreifen, auf dass unsere Mütter und Ehefrauen uns erst wieder zur Vernunft bringen müssten um einzusehen, welche Frevel wir zu begehen uns anschicken.
    Ich kann von dir nicht erwarten, auf unserer Seite zu stehen. Ich kann vor dir noch nicht einmal erwarten, dass du mir glaubst. Und dennoch habe ich die Hoffnung, dass wir uns nicht als Feinde wiedertreffen müssen, und vielleicht, wenn die Götter das Schicksal zu seiner Erfüllung gebracht haben, uns als Freunde wiedertreffen können.


    Mögen die Götter ihre schützende Hand über dich und deine Familie legen.