Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    Nur unmerklich nach seinen Verwandten betrat auch Sextus den Raum der Sitzung. Er hatte sich noch kurz vor dem Raum einmal gesammelt, war seine Argumente durchgegangen, das für und wider. Nervös war er nicht, wozu auch? Zum einen war er sehr von sich überzeugt, und zum anderen hatte er die Stimmen seiner Verwandten wohl sicher. Wenn er die anderen zumindest soweit überzeugen konnte, dass sie nicht offen gegen ihn stimmten, reichte das schon. Und warum sollten sie es ihm auch verwehren?
    Er begrüßte alle also kurz mit einem Nicken und verweilte dann an der Wand stehend. Er würde sich dann in die Runde der anderen setzen, wenn er aufgenommen war.

    Oh, sicher wäre seine Geschichte gut genug für eine griechische Tragödie. Im Grunde fehlte nur noch der Deus ex Machina, der das ganze zu einem fulminanten Abschluss führte. Dennoch tat Sextus gespielt betroffen bei Priscas Worten. Zumindest bis zu jenem Punkt, an dem sie ihn gespielt anschmollte und fragte, ob sie denn so aussehe. Und direkt noch einen spitzen, kleinen Vorwurf hinterhersetze.
    Diese Vorlage allerdings war zu gut, um sie nicht zu nutzen. Sextus beugte sich zu ihr herüber und fuhr mit einem Zeigefinger einmal ihren Arm vom Oberarm zur Hand ganz sachte entlang, während er redete. “Nein, liebste Cousine. Du siehst aus, als hätte ein Bildhauer dich ersonnen. Völlig ohne den geringsten Makel.“ Er ließ die schmeichlerischen Worte genau so lange zwischen ihnen stehen, wie er brauchte, seine Hand wieder zurück zu nehmen und den verträumten Blick wieder gegen einen verschmitzten einzutauschen, als er sie angrinste. “Und würdet ihr Frauen uns Männer denn wirklich anders haben wollen? Dann wäre das Leben mit uns doch schrecklich öde.“ Es war doch immer so, erst tat frau alles Menschenmögliche, um einen Mann zu verändern, und dann beschwerte sie sich, wieso sie so einen Langweiler zum Ehemann hatte.


    Und dann passierte es. Wäre Sextus fähig, sein Herz an jemanden zu verlieren, Prisca hätte es ihm gerade eiskalt herausgerissen. Er sollte also aufpassen, dass ihr Begleiter seine Griffel bei sich behielt? Oder sollte er vielmehr die Schwester ablenken, eben damit der andere seine Griffel nicht bei sich behielt? So oder so, Prisca hatte ihn eben gerade auflaufen lassen. Gespielt legte er seine Rechte auf die linke Seite seiner Brust, direkt über das Herz, und verzog das Gesicht schmerzerfüllt in einer theatralischen Geste. Nie würde er sich anmerken lassen, dass es ihm nicht passte, dass sie ihn so benutzte.
    “Oh, grausame Göttin, mich erst in verzückende Wonne zu versetzen und nun, liebestoll und von Sinnen, von dir zu stoßen in die Kälte einer Welt ohne Sonne.“ Schauspielerisch eindrucksvoll ließ er sich auf seinem Sitz hinabsinken, als verließe ihn die Kraft. Als er schon beinahe heruntergerutscht war, kam er erst wieder lachend hoch, angelte nach einer weiteren Traube und setzte sich wieder gerade hin.
    Den Seitenblick zu Corvinus sah er natürlich, und die Geheimniskrämerei machte das ganze schon fast zu offensichtlich. Priscas Verehrer war also beim Hausherrn nicht besonders beliebt, wie es schien. Das, plus die Tatsache, dass Prisca ihn um diesen Gefallen bat, verbuchte Sextus ganz oben auf der Liste der Dinge, die er noch einmal verwenden könnte, wenn er etwas brauchte. Nur musste er dazu wirklich mit auf diesen Theaterabend, ebenso wie er diese Information dann, wenn er gedachte, sie einzusetzen, das tun musste, ehe Prisca es Corvinus am Ende gestanden hätte. Nur ein kleiner Zeitrahmen, eine eventuelle Gefälligkeit einzufordern. Aber das war eben auch Teil des großen Spiels. Vielleicht forderte er den gefallen ein. Vielleicht schon morgen, vielleicht erst in einem Jahr, vielleicht niemals. Es ging nur darum, dass er ihn erst einmal hatte, wenngleich Prisca das so vielleicht nicht bewusst war.
    “Wie könnte ich so eine Bitte abschlagen?“ Sextus wirkte bei diesen wenigen Worten wieder ernst, so dass sie sicher sein konnte, dass er sie nicht mehr aufzog. Doch sogleich danach feixte er munter weiter. So ganz lassen konnte er es natürlich nicht. “Auch wenn es mir das Herz brechen wird, dich an der Seite eines anderen zu sehen, und sei es nur im Theater.“ Er zwinkerte ihr frech zu. Alles in allem war er mit der Situation beinahe zufrieden.

    Der Kerl ließ sich einfach nicht packen. Wenn Sextus ihn einmal kurz erwischte, wand der Kerl sich sofort aus dem Griff und gab dem Aurelier postwendend einen Schlag als Antwort, der nicht unbedingt zur Verbesserung der Lage beitrug. Zumindest nicht der aus Sextus Perspektive. Doch irgendwann schien der Kampf wieder einigermaßen ausgeglichen zu sein. So ziemlich dann, als beide in etwa gleich viele Schrammen aufzuweisen hatten, und der Kerl wich vor ihm zurück. Sextus setzte ihm nach, wenngleich langsamer als gewollt. Zu spät sah er, was der andere vorhatte, und er konnte nur noch die Arme abwehrend vor sich halten und einen Schritt zur Seite machen, ehe der andere ihn schlicht und ergreifend umriss.
    Er musste eine oder auch zwei Augenblicke verloren haben, denn er merkte nur, wie er da lag und in den Himmel starrte. So ziemlich jeder einzelne Knochen schmerzte grade, und bis auf Atmen konnte Sextus einen Moment nichts tun. Er hörte den anderen, wie der sich ächzend erhob. Er wollte es ihm gleich tun, aber sein Körper tat nicht ganz, was er von ihm verlangte. Er kam gerade halb nach vorne mit dem Kopf, als er auch schon einen Schuh auf den Hals gedrückt bekam und sich einfach mit einem kurzen Stöhnen wieder zurückfallen ließ. Gut, er hatte verloren. Gut, andersherum wäre es ihm lieber gewesen. Aber hey, wann hatte er sich zum letzten Mal so geprügelt?
    “Bier? Ich dachte eher an Wein. Eine Menge Wein.“ Er grinste leicht, obwohl er noch am Boden lag. Scheiße, ihm tat alles weh, aber er fühlte sich großartig. Sein Kiefer tat weh, seine Rippen ächzten und sein Schädel dröhnte, aber er fühlte sich weitaus besser als vorhin. “Aber wenn dir Bier lieber ist, auch das.“
    Als der Schuh von seinem Hals verschwunden war, kam er etwas schwerfällig hoch. Er hatte noch immer den Geschmack von Blut im Mund, und der musste dringend weggespült werden, egal mit was. Er rieb sich einmal kurz den Kiefer. “Saubere rechte Gerade“, meinte er kurz anerkennend.

    Es hieß, der Hochmut kam vor dem Fall. Und Sextus musste daran denken, als der Betrunkene plötzlich zu ernüchtern schien und ihm mit einem schnellen Schlag gegen die untersten Rippen die Luft aus den Lungen zu treiben. Reflexartig klappte sein Körper leicht nach vorne, als er auch schon den Ellbogen gegen den Kopf bekam und ein kurzes Flimmern vor Augen sah. Verdammt, wie konnte er sich nur so verkalkulieren? Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er geglaubt, leichtes Spiel zu haben, hatte sich sogar schon fast wieder gelangweilt bei den eher stümperhaften Versuchen seines Gegners, ihn anzugreifen. Und jetzt bekam er gerade noch so eben die Deckung hoch, dass der andere ihm nicht mit noch so einem Schlag gegen seinen Dickschädel das Licht vorerst auspustete.
    Er wich vor den Schlägen kurz zurück, um sich wieder vernünftig aufstellen zu können, aber der andere kam mit und drosch nun seinerseits auf den Aurelier ein. Sextus Schienbein pochte. DAS würde definitiv einen blauen Fleck geben. Er wehrte gerade eine linke Gerade ab, nur um einen rechten Haken in die Rippen zu bekommen. Kurz keuchte er auf und setzte dann einen zugegebenermaßen nicht mehr ganz so kräftigen Schlag auf den Oberkörper seines Kontrahenten. Aber er hatte nicht vor, sich verdreschen zu lassen. Dass der andere unter Umständen sogar kräftiger als er sein könnte, störte ihn auch nicht. Sextus hieß nicht deshalb Sextus, weil der Name so schön klang, sondern weil er 5 ältere Geschwister hatte. Und seine Brüder hatten sich nicht nur einmal mit ihm geprügelt. Und auch, wenn er weit jünger war als seine ältesten beiden Brüder, gedrückt hatte er sich nie. Und er hatte auch das ein oder andere Mal trotz des Altersunterschiedes sogar gewonnen.
    Er versuchte, seinen Gegner zu erwischen und zu packen zu bekommen. Im Boxen hatte der Kerl mit seiner Größe und seiner Schlagkraft zuviel Vorteile gerade. Beim Ringen aber hatte Sextus einfach die höhere Muskelmasse aufzuweisen. Nur tat der Mann ihm nicht den Gefallen, sich packen zu lassen und semmelte ihm stattdessen noch eine aufs Kinn, so dass Sextus erstmal rückwärts taumelte. Sein Kiefer sang in einer ähnlichen Melodie wie sein Schädel, und er hatte sich bei dem Spaß auf die Zunge gebissen, so dass er einmal kurz ein Gemisch aus Blut und Speichel ausspuckte. Und dennoch lockte der metallische Geschmack ganz kurz ein wölfisches Grinsen auf seine Lippen.
    Der Kerl hatte ihn reingelegt, und auch, wenn er ihm gerade keine Zeit gab, ihn dazu zu beglückwünschen, Sextus musste das respektvoll anerkennen. Wenn er ihn zu Boden geschickt hatte, würde er es ihm sagen. Aber erst fing er noch einen Schlag mit seinem Unterarm ab und versuchte seinerseits, dem Kerl mit Schlägen beizukommen.

    Wahrlich brav getroffen! Sextus fühlte seine Faust mit Wucht auf den Kerl treffen, wenngleich nicht so gut platziert wie erhofft. Aber die Gestalt taumelte einige Schritte zurück und hielt sich die Seite, keuchte einmal und blieb auf Entfernung. Schade, der Kerl war wohl doch zu besoffen, um sich anständig zu wehren. Aber das war zu diesem Zeitpunkt schon egal, Sextus würde noch nicht aufhören. Es wäre nicht ganz so befreiend, aber es würde genügen. Und wenn nicht, hatte er danach noch immer genug Geld, um seiner neuen Freundin von eben nochmal seine Aufwartung zu machen.
    Sextus lockerte automatisch seine Muskeln, als er spielerisch einmal die Schultern rollte und kurz mit den Füßen einmal verspielt federte. “Na komm schon, das kannst du besser“, lockte er seinen Gegner. Machte ja keinen Spaß, wenn der sich so gar nicht wehrte. Er ging auf den Kerl zu und schubste ihn einmal mit beiden Händen, um ihn zu provozieren. Er wollte nicht einfach nur auf den Mann eindreschen wie auf einen Sandsack. Er wollte ihn besiegen, er wollte sich an seinem Sieg berauschen und er wollte, dass es nicht so verdammt einfach ging.

    Und da war sie wieder, diese abweisende Haltung, die aufgesetzte Höflichkeit und die kalte Schulter, die er schon fast vermisst hatte. Wie gesagt: Fast. Beinahe hätte Lupus gegrinst, als sie sich wieder in die Schneekönigin verwandelte, aber er hatte sich zu gut unter Kontrolle, um diesem Impuls zu folgen. Als sie dann aber meinte, die Spiele der Frauen währen harmlos, grinste er doch einmal offen. Es war nicht unbedingt böswillig, aber sicher nicht das charmante Lächeln von eben. Er lehnte sich mit einer weiteren Traube in den Fingern zurück und blickte hinunter in die Arena zu den wartenden Gladiatoren.
    “Ich erzähl dir von einem kleinen Spiel, das eine Frau in Athen gespielt hat.“ Sextus' Stimme war gefasster und sachlicher, nicht mehr auf Verführung ausgelegt. Prisca hatte sich zurückgezogen, und er ging ihr nicht hinterher. Er bettelte nicht, und er glaubte auch nicht, dass das bei ihr Erfolg haben würde. Frauen wollten keinen Kerl, der ihnen zu Füßen lag, wenngleich sie nicht müde wurden, solcherlei zu behaupten.
    “Die Frau war die Hetäre eines einflussreichen Lokalpolitikers. Der war selbstverständlich verheiratet, hatte seinen Erben, und alles in allem war es seiner Frau egal, ob er noch eine Geliebte hatte oder nicht.“ Hetären waren schließlich nichts ungewöhnliches oder gar verwerfliches. “Doch eines Tages starb seine Frau, und die Hetäre dachte, nun würde er nach all den Jahren, wo er doch nichts mehr gewinnen musste und alles erreicht hatte, dann sie nehmen. Nun, aber er nahm nicht sie, sondern ein junges Mädchen aus gutem Hause, zwar kein wirklicher Machtgewinn, aber...“ Sextus zuckte gleichgültig mit den Schultern. “Der neuen Frau war die Geliebte aber nicht so egal, und sie bestand darauf, dass der Mann sie fallen ließ. Was er auch tat.“ Die Traube verschwand in seinem Mund und erschuf damit für Sextus eine kurze Redepause, in der Prisca sich das gesagte, so sie denn wollte, vorstellen konnte. Pausen im Sprechen waren ebenso wichtig wie das gesagte, solange sie an den richtigen Stellen kamen. “Also fing die Hetäre an, ein eigenes Spiel zu spielen. Sie war eine wirklich sehr schöne und kluge Frau, und schnell brachte sie die Feinde ihres Mannes dazu, ihr zuzuhören. Bald schon liefen die Geschäfte ihres Mannes schlecht, weil die Zollbeamten etwas genauer hinschauten. Und die vielen, kleinen Geheimnisse, die er ihr anvertraut hatten, waren nicht mehr alle geheim, so dass sich einige seiner Verbündeten von ihm abwandten. Schließlich verlor er weiteres Ansehen und damit eine für ihn wichtige Wahl.“ Kurz schenkte er Prisca ein Lächeln, damit sie sah, dass er es nicht so streng mit all dem nahm. Sollte sie ruhig denken, sie wüsste, wie es in ihm aussah, das wäre ihm ganz recht. Es ersparte bohrendes Nachfragen, denn alle Frauen gaben nicht eher Ruhe, ehe sie nicht überzeugt waren, sie wüssten, wie ein Mann tickt.“Er stellte sie natürlich zur Rede, verlangte, dass sie aufhörte. Er drohte ihr sogar. Wenig später fand man seinen Sohn mit aufgeschlitzter Kehle. Er hatte wohl beim Würfeln verloren und konnte seine Schulden nicht zahlen. Das kam zumindest bei der Untersuchung heraus. Der Mann seiner Tochter erwürgte diese, als er sie im Bett mit einem anderen erwischte. Ihre letzten Schreie sollen gewesen sei, er habe sie gezwungen... naja.“ Wieder ein recht gleichgültiges Achselzucken.“Schließlich starb seine junge Frau bei der Geburt, weil sie nicht aufhören wollte zu bluten. Vielleicht war sie verflucht, vielleicht war es einfach nur Pech. Doch jetzt hatte der Mann keinen Erben mehr, keine Tochter mehr, seinen Ruf verloren, kein Ansehen mehr, keine Frau mehr, und wohl auch keine Gelegenheit, wieder so gut zu heiraten.“ Jetzt wandte sich Sextus wieder ganz und gar Prisca zu, mit leicht verschlagenem Gesichtsausdruck. “Ich bin mir sicher, bei den Spielen, die Frauen so spielen, sollten Männer besser nicht versuchen, mitzumischen. Dazu fehlen uns ganz eindeutig die nötigen Waffen.“ Für jede Arbeit gab es das richtige Werkzeug. Und beim Thema Intrige waren die schärfsten Klingen die, die Frauen führten. Dennoch lächelte Sextus jetzt wieder so wölfisch, dass man ihn kaum ernst nehmen mochte.


    Wirklich überrascht war Sextus schon eher, wie gefasst sie die Nachricht aufnahm, dass sie erneut gewonnen hatte. Vorhin schien sie geradezu elektrisiert vom Siegen, nun schien es ihr gleichgültig. Sie beherrschte sich wirklich sehr gut. Ein Gedanke huschte wieder durch seinen Kopf, an welchem Punkt ihre Selbstbeherrschung wohl vollkommen weggewischt wäre, und er hatte von diesem Moment ein sehr präzises Bild im Kopf. Warum nur war sie seine Cousine? Er würde es nur zu gerne sehen. Und wenn sich die Gelegenheit wirklich bot, er würde sich wohl durch diesen einen Grund, der ihn jetzt davon abhielt, dahin zu drängen, nicht aufhalten lassen.
    Ihre Entscheidung hingegen, den Gladiator leben zu lassen, war weniger überraschend. Den fragenden Blick erwiderte er mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck. Sextus fühlte keine Mordlust bei dem Gladiator da unten in der Arena. Er führte das Schwert ja ohnehin nicht selber, und so eine Hinrichtung war ein sehr, sehr kurzes und sehr, sehr endgültiges Vergnügen. Nein, er fühlte für den Mann dort unten etwas, was weitaus schlimmer war: Er war ihm total gleichgültig. Ob er lebte, ob er starb, es interessierte ihn nicht im Geringsten. Er war ersetzbar und unerheblich. Warum sollten sich seine Gedanken näher mit ihm befassen?
    Als Prisca dann aber mit einer glattzüngigen Erklärung aufwartete, warum sie ihn leben lassen wollte, musste Sextus lachen. Er lachte sie nicht direkt aus, aber er lachte laut und deutlich und schüttelte kurz für sich selber den Kopf, als könne er das Gesagte nicht ganz glauben. “Oh, Prisca, einen Moment habe ich doch tatsächlich gedacht, dein edelmütiges Herz wäre weich geworden.“ Er zwinkerte sie kurz frech an, setzte dann aber einen entschuldigenden Blick hinterher. Er wollte sie ja nur aufziehen und nicht ganz vergraulen, auch wenn er merkte, dass der Flirt wohl ein Ende gefunden hatte. Zumindest vorerst. “Aber dein Wunsch, oh meine Göttin, sei diesem armen Sterblichen Befehl.“ Er verneigte sich kurz schalkhaft in ihre Richtung, ehe auch er kurz in den Chor einfiel und lautstark “MISSUM! Lasst den armen Kerl gehen!“ rief.


    Die Sprache kam wieder auf eine Herausforderung, und Sextus schaute neugierig zu ihr herüber. Da war er wirklich gespannt, was seine heißkalte Cousine vorschlagen würde. “Theater?“ Er tat kurz, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken. Besonders herausfordernd klang ein Theaterbesuch nun nicht, aber wen er Prisca begleiten konnte, warum sollte er sich dem verweigern? Vielleicht ergab sich ja doch nochmal eine Gelegenheit, das ein oder andere zu vertiefen. Im Moment ging er ihr nicht nach, auch wenn sie lockte. Aber er wollte es nicht überstürzen. Sie sollte zu ihm kommen, und nicht ihn zu sich lotsen. Er wollte verführen, nicht verführt werden. “Ich denke, das ist eine wunderbare Idee. Du hast doch sicher schon etwas bestimmtes im Kopf?“ Er blickte sie einen Moment fast streng an. Dass ihr die Idee spontan gekommen war, glaubte er nicht. Prisca war genau wie er selbst jemand, der zweimal dachte und einmal sprach. Ihr rutschte so ein Vorschlag sicher nicht einfach so raus, nicht nach dem, wie sie sich bislang gegeben und gezeigt hatte. Aber so oder so, es würde eine nette Zerstreuung werden.

    Zunächst kam gar keine Reaktion. Der Mann schien betrunken. Vielleicht hatte er ihn nichtmal gehört. Sextus war auch nicht mehr stocknüchtern, aber eben nüchtern genug, um zu merken, dass es ihm keinen Spaß machen würde, wenn der Kerl wirklich zu besoffen war. Er quälte ja auch keine Hundewelpen, nur weil er es konnte. Er würde den wohl dennoch verprügeln, aber es wäre eben bei weitem nicht so befreiend.
    Der Kerl torkelte leicht, als Sextus näher herankam. Er war groß, größer als er selbst, aber hatte weniger Masse vorzuweisen. Wären sie beide nüchtern, wär es wohl interessanter. Fast schon verlor Sextus die Lust daran, seinen Plan überhaupt in die Tat umzusetzen, als der Mann doch mit einem Schlag aufwartete. Ganz leicht wich Sextus einfach aus und ließ die Linke ins Leere laufen. “Oh, nichtmal ein kleines Wort zur Begrüßung?“ spottete er noch, als auch schon die Rechte auf seine Brust zugeschossen kam.
    Es war mehr Reflex als Kalkulation, dass sich seine Muskeln anspannten und seine Linke versuchte, den Schlag abzufangen. Das hier war nicht seine erste Schlägerei, und angesichts seiner Neigung, schlechte Laune vorzugsweise an anderen abzureagieren, wohl auch nicht seine letzte. Er wusste sich schon zu wehren.


    Der Schlag traf seinen angespannten Unterarm, und Sextus setzte gleich mit der freien Rechten einen Schlag an. Immerhin bot der Kerl ein Ziel, das groß genug war. Vielleicht war der Kampf ja doch gar nicht so uninteressant wie befürchtet. Dumpf pochte es in seinem linken Unterarm, wo er den Schlag spürte. Auf gespannten Muskeln war das nicht wirklich schmerzhaft, es würde vielleicht einen Bluterguss geben. Wahrscheinlich noch nicht einmal das, dafür war der Schlag nicht hart genug.
    Er merkte nicht einmal, wie er anfing, leicht zu lächeln. Auch wenn es fast etwas von einem Zähnefletschen hatte, aber die Aussicht, mit dieser ganzen angestauten Kraft nun ein Ventil gefunden zu haben, das sich auch wehrte, war an sich schon befreiend. Und wenn er den Kerl erst zu Kleinholz verarbeitet hätte, würde es ihm sicher noch viel besser gehen.

    Lupanare waren eine äußerst praktische Erfindung.Vielleicht keine besonders spaßige oder besonders anregende, aber ungeheuer praktisch. Vor allem, wenn man gerade eine Frau brauchte, um die man sich hinterher nicht die geringsten Gedanken machen musste. Egal, was man mit ihr anstellte. Und heute war einer dieser Tage, da brauchte Sextus ein Weib, mit dem er anstellen konnte, was er wollte, ohne an die Konsequenzen denken zu müssen.
    Prisca spukte in seinem Kopf herum. Ihre weiße Haut, ihr schwarzes Haar, und dieser strenge Blick machten ihn im Moment wahnsinnig. Er hasste es, wenn er etwas haben wollte, und es unerreichbar für ihn war. Das verdarb ihm ungemein die Laune. Er zwang sich nicht gern dazu, etwas zu tun, was er nicht wollte. Also tat er das, was er gerne machte: Er ließ es an jemand anderem aus.
    Bei seiner Laune kam ein Lupanar der obersten Klasse nicht in Frage. Da hätte es Schwierigkeiten gegeben, und im Moment musste er sich noch zusammenreißen. Wenn er irgendwann einmal genug Macht und Einfluss um sich geschart hatte, um auf das Gezeter irgendwelcher unwichtigen Proletarier einen Dreck zu geben, konnte er sich auch das erlauben, aber erst einmal hieß es, dahin zu kommen. Also fiel diese Option aus. Aber auch eine Etage tiefer gab es genug Lupanare, die ihr Geld wert waren.


    Das Mädchen, das er sich ausgesucht hatte, hatte insofern Ähnlichkeit mit dem Objekt seines Frustes, dass beide dieselbe Haarfarbe und dasselbe Geschlecht hatten. Da hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf. Als Sextus das Zimmer verließ, hörte er das Mädchen noch ein wenig wimmern. Gewissensbisse hatte er deswegen sicher keine. Es war eine Dienstleistung, für die er bezahlt hatte.
    Die üblichen Floskeln beim Hinausgehen, er möge das Haus doch bald wieder beehren, hörte er schon gar nicht mehr. Er trat einfach bis hinaus auf die Straße und sah sich um. Seine Laune war noch immer nicht wirklich besser, er fühlte sich immernoch zum zerreißen angespannt. Nicht einmal der Wein hatte daran etwas geändert. Er brauchte noch irgendwas, um sich abzureagieren. Nur einen kleinen Vorwand, der seine miese Laune rechtfertigen würde.


    Er stapfte los, einfach hinein in die nächste Gasse. Er sah einen Kerl, der gegen die nächstbeste Häuserwand pinkelte. An und für sich nichts, was ihm einen Grund lieferte, auch nur einen schritt in seine Richtung zu machen. Aber heute war Sextus auf Krawall gebürstet. Er brauchte keinen Grund. Er suchte sich einen.
    Er ging also näher, als wolle er einfach nur an ihm vorbei. In diesem Moment machte der Kerl einen recht expressionistischen Schlenker, der zwar weit vorbei ging, aber eben doch in seine Richtung . Das reichte Sextus schon als Grund.
    “Hey, du Idiot. Zu dämlich zu pissen?“ Erst einmal die geharnischte Direktansprache ein wenig üben. Musste ja alles seine liebe Ordnung haben.

    Sie flirtete definitiv mit ihm. Der selbstzufriedene Ausdruck in Sextus' Gesicht wurde noch einen Tacken selbstzufriedener. Da war seine unnahbare, kleine Cousine hier bei ihm und flirtete mit ihm und bedachte ihn mit Zweideutigkeiten. Er würde lügen, wenn ihm dabei nicht so einige Gedanken kamen. Und dass Prisca seine Cousine war störte dabei nicht im geringsten. Der Gedanke, sie nicht in die Tat hier und jetzt umsetzen zu können schon eher.
    Als Prisca die Mädchenspiele erwähnte, verstärkte sich kurz sein Grinsen, als ein ganz bestimmtes Bild von mehreren jungen Frauen durch seinen Geist huschte. Und dabei hätte er wohl nur zu gerne mitgemacht. Allerdings wurde sein Lächeln fast schon, als hätte sie ihn überrumpelt. “Oh, wenn ich eines gelernt habe, liebste Cousine, dass ein Mann bei euren Spielen nicht mithalten kann.Was ihr üblicherweise so spielt bringt ganze Städte ins Wanken. Ich weiß nicht, ob ich mich mit solchen Gegnern auf ihren Schlachtfeldern messen sollte.“ Nun, zum Teil war es nicht ganz gelogen. Es gab einige Frauen, die wahrhaft meisterlich die Kunst der Intrige beherrschten und einem Mann damit das Leben verdammt schwer oder auch verdammt süß machen konnten. Doch im Schalk zwinkerte er ihr wieder zu, sie sollte ihn schließlich nicht zu ernst nehmen. “Aber es gibt ja auch genug Spiele, die man auch so spielen kann. Mir fiele da schon das ein oder andere ein.“ Kurz ließ er seinen Blick so über ihren Körper gleiten, dass sie es mitbekommen musste. Und in der Tat, er hatte so einige Vorstellungen, was er mit ihrem wundervollen Körper wohl anstellen wollen würde. "Aber da ich Rom noch nicht so kenne, lasse ich mir gerne von dir eine Herausforderung vorschlagen." Wieder ein selbstsicherer Blick in ihre Augen, bepaart mit einem leichten Lächeln.


    Nebenzu ging das Gejohle los, als auch der dritte Kampf endete. Kurz wandte sich Lupus von Prisca ab und grinste dann wieder wölfisch, als er sah, wer gewonnen hatte und wie die Situation gerade war. “Heute scheint dir Fortuna wirklich hold zu sein, liebste Prisca. Würdest du mir für das ein oder andere Spiel etwas von deinem Glück abgeben?“ Wieder ein fast herausfordernder Blick. Prisca war so unendlich verboten, dass es fast unerträglich war, dieses Verbot nicht zu brechen. Es kitzelte Lupus geradezu in den Fingerspitzen, sie zufällig zu berühren. Ganz leicht nur das schlanke Handgelenk streifen, nur eine leichte Berührung, um zu sehen, wie sie reagierte, wie die Pupillen sich einen Augenblick weiteten oder der Atem kurz stockte, um dann eine Sekunde später etwas tiefer wieder einzusetzen.
    Aber das wäre jetzt zu schnell. So sehr sie ihn auch reizte, das Spiel an sich war es, das ihm Befriedigung gab. Daher kostete er jede Sekunde aus und führte es nicht vorschnell zu einem vorläufigen Finale. Sollte sie ruhig Gelegenheit haben, ein wenig ihr Spiel weiterzuspinnen. Es war ja langweilig, wenn die Frau ihm sofort verfiel und nur noch kichernd darauf wartete, von ihm wie eine reife Frucht gepflückt zu werden.
    “Und, Cousine, was denkst du? Was soll mit dem armen Kerl geschehen, dessen Leben in deinen Händen liegt? Ein Wort von dir, und er könnte sterben oder leben. Macht, wie sie sonst nur einer Göttin zukommt.“ Auch wenn seine Worte darauf schließen ließen, dass er den Gladiator in der Arena meinte, er nickte nicht einmal in dessen Richtung. Er sah nur lange und durchdringlich seine Cousine an, ohne auch nur einen Herzschlag sich abzuwenden oder von den lauten Rufen um sie herum ablenken zu lassen. “Also, was machen wir mit ihm?“


    Sextus musste wirklich aufpassen, dass sein Lächeln nicht zu sehr ins wölfische abdriftete. Aber er war gespannt, was Prisca wohl antworten würde, und wie sie reagieren würde. Genoss sie die Vorstellung, solche Macht zu haben? Oder würde sie vielleicht gar verlegen sein? Nein, letzteres wohl eher nicht, dafür war sie wohl zu beherrscht. Aber würde sie auch nur zu dem Mann unten in der Arena schauen, um den es ging, oder weiterhin nur ihn mit ihrer Aufmerksamkeit beglücken? Das war schon eine interessantere Frage.

    Die Frage nach seinen Kenntnissen in Griechisch und der Rhetorik war schon fast verwunderlich. “Natürlich“, erwiderte Sextus nur knapp. Wie konnte man in Athen studieren und dem entkommen? So sehr sein Vater sich auch aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, er hatte dennoch auf eine umfängliche Bildung seiner Söhne bestanden.
    Die zweite Frage dann war doch etwas kniffliger. Sextus hatte sich die Sache hier deutlich einfacher vorgestellt. Vor allem hatte er keine Ahnung, was der Consul hören wollte. War er empfänglich für Schmeichelei, tat er sie als Speichelleckerei ab? Wollte er eine ehrliche Meinung, oder eine Bestätigung, dass er im Recht war? Ein falsches Wort konnte jetzt viel zerstören. Sextus lehnte sich auf seiner Liege etwas zurück und nahm nun doch einen Schluck wein. Er überlegte, ruhig, gelassen. Vorschnelle Antworten waren nicht seine Art. Und er merkte, dass er Corvinus hätte besser ausquetschen sollen über den Charakter des Consuls. Da wären nun einige Informationen recht nützlich gewesen.
    “Unrömisch....“ fing er schließlich an und ließ das Wort einen Moment betont zwischen ihnen stehen. “Da stellt sich die Frage, ob es dem römischen Wesen eher entspricht, wenn einige Großgrundbesitzer das Land für sich beanspruchen und die Veteranen, die für Rom gekämpft haben und die Kleinbauern, von denen wir auch leben und die einen nicht unerheblichen Teil unserer Bevölkerung ausmachen, kein Land bekommen können, weil der ager publicus nicht weiter privatisiert werden kann.“ Sextus nahm einen weiteren Schluck, um eine kleine Redepause zu erschaffen und seine Gedanken noch einmal zu ordnen. “Was nun deine Reform angeht – ich muss zugeben, ich bin nicht mit allen Einzelheiten vertraut. Sie erinnert etwas an die Lex Sepronia agraria der Gracchen. Und auch bei dir war nach meinen Informationen der Widerstand der Senatoren groß. Das Gesetz auf den Weg zu bringen wird wohl ebenso schwer werden wie damals – wobei ich dir nicht unterstellen möchte, auf solche verfassungswidrigen Mittel zurückzugreifen.“ Sextus hob sofort beschwichtigend die Hand. “Aber ich denke nicht, dass die, die viel Land besitzen, davon freiwillig auch nur einen digitus hergeben. Vor allem, da einige sehr viel Land verlieren würden. Wenngleich du auch zu jenen gehörst, die mehr als den von dir vorgeschlagenen Census besitzen, denke ich nicht, dass das deinen Kritikern genügen wird. Und sie werden wohl jedes Mittel einsetzen, das ihnen zur Verfügung steht. Die Kunst wird also sein, einen Weg zu finden, dass sie das Gesetz nicht verschleppen oder aushebeln, oder du wie die Gracchen von deinen Gegnern erschlagen wirst.“ Letzteres war vielleicht eine heftige Unterstellung, aber der Flavier wäre nicht der erste, dem im Senat ein Dolch zwischen die Rippen gejagt wurde. Und verzweifelte Menschen ergriffen verzweifelte Maßnahmen. Nicht dass Sextus gegen diese irgendetwas einzuwenden hätte, aber das musste er dem Consul auch nicht auf die Nase binden.
    “Insgesamt aber stimme ich dir zu, dass eine Agrarreform nötig ist. Denn meiner Ansicht nach gibt es nichts unrömischeres, als Männern, die Rom gedient haben, ihre Versorgung nach der Dienstzeit zu verwehren, nur damit einige andere Steuern sparen.“
    Sextus lehnte sich wieder leicht zurück. Er wusste nicht, ob das die Antwort war, die Furianus hören wollte. Und es hinterließ einen schlechten Geschmack in seinem Mund, die Begebenheit hier nicht nach seinem Gutdünken lenken zu können. Aber diese Gelegenheit hier war zu gut, um sie mit Arroganz zu vertun.

    Auch Sextus setzte sich, als er dazu aufgefordert wurde. Die Toga ließ dabei nur eine würdevolle Haltung zu, auch wenn ihm auch sonst nie eingefallen wäre, sich bequem hinzulümmeln. Ebenso wie Corvinus gab er dem Sklaven einen Wink, der andeutete, das er dasselbe nahm. Allerdings rührte er den Becher vorerst nicht an, sondern ließ ihn einfach bei sich stehen.
    Corvinus kam auch sogleich auf den Grund ihres Hierseins zu sprechen, und Sextus gab sich aufgeschlossen, aber ruhig. Als der Consul dann aber nur sehr knapp reagierte, zuckte es ganz kurz um seinen Mundwinkel. Keine Frage, nur ein durchdringender Blick. Warum sollte es auch einfach gehen? Aber schließlich war er ja hier, um sich zu verkaufen, und er war auch nicht unvorbereitet hierher gekommen.
    “Wenn du erlaubst, würde ich dir meine Bitte gerne näher erläutern.“ Sextus verzichtete auf Lächeln oder anderen Schnickschnack, der der Damenwelt vorbehalten war. Furianus würde sich kaum mit einem Kompliment zu seinem Haar aus dem Takt bringen lassen, und übermäßige Freundlichkeit würde nur als Schwäche und Schleimerei abgetan werden. Wozu also Atem daran verschwenden?
    Er wartete auf ein Zeichen des Einverständnisses des Flaviers, und begann dann ruhig und sachlich. “Wie mein Vetter bereits erwähnt hat, ist es sowohl der Wunsch meines Vaters als auch der meine, hier eine politische Laufbahn anzustreben. Allerdings bin ich mir sehr bewusst, dass ich hier bis auf den Namen meiner Familie nichts vorzuweisen habe. Meine Bildung erfolgte bislang in Achaia, in Rom bin ich erst wenige Wochen.“
    Soviel zum Vorgeplänkel, nun zum Hauptteil. “Die Flavier und die Aurelier unterhalten schon lange für beide Seiten gewinnbringende Verbindungen miteinander. Mein Vetter hier ist mit einer Flavia verheiratet, meine Tante mit einem Flavius. Ich weiß nicht, inwiefern du unterrichtet bist, aber mein Vater steht ebenfalls in Verhandlungen mit einem Mitglied deiner ehrenwerten Gens.“ Auch wenn Sextus eigentlich nicht darüber hatte sprechen wollen, diese Karte war zu gut, um sie nicht zu spielen. “Von daher war es der logischste Beschluss, zu dir zu kommen. Zumal du das ehrenvolle Amt des Consuls inne hast. Wo sonst könnte ich so viel lernen, wie bei dir, wo sonst tiefere Einblicke finden?“ Einen Moment ließ er diese Fragen im Raum stehen, ehe weitersprach. “Sicher hast du Fragen zu meiner Eignung. Immerhin ist es deine Zeit, die ich in Beschlag nehmen würde. Mein Studium bislang ist rein akademischer Natur. In Athen lernte ich die Philosophie und die Theorien des Staatswesens, allerdings fehlt mir wie bereits angemerkt jedwede Praxis. Doch ich lerne schnell. Glaube mir, ich möchte wohl ebenso wenig wie du kostbare Zeit verschwenden.“
    Sextus überlegte, ob er noch weiter sprechen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Zum einen wollte er nicht sämtliche Munition zu Anfang verfeuern, und zum anderen wollte er den Flavier überzeugen, nicht überreden. Und das gebot, dass er auch die Chance hatte, auf das Gesagte zu reagieren, und nicht ihn totzureden.

    Es hatte Sextus nichts ausgemacht, den kurzen Weg hierher zu gehen. Er war jung und kräftig. Höchstens hatte er etwas Bedenken wegen seiner feierlichen Toga, die er zu diesem Treffen extra angelegt hatte. Doch hier waren die Straßen sauber, so dass er so blütenweiß ankam, wie er losgegangen war.
    Von dem Sklaven hereingebracht blieb Sextus auch zunächst einmal stehen und sah sich kurz im Raum um. Doch, man merkte durchaus, dass auch die Flavier dem Patriziat angehörten. Vielleicht hatte sein Vater doch gar nicht so schlecht gehandelt, auf das Angebot von Flavius Aetius eingegangen war. Wobei seine künftige Braut bei seinem Glück vermutlich schielte und einen Buckel hatte. Was aber im Endeffekt auch egal wäre, ging es doch um Politik.


    Sie mussten nicht lange warten, bis der Consul eintrag. Sextus erwiderte die Begrüßung mit angemessener Ruhe. “Consul Flavius, die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Vielmehr muss ich dir für deine Zeit danken.“ Mehr sagte er erst einmal nicht. Immerhin war er hier der Neuling im Raum, während sein Vetter und der Flavier Senatoren waren, die ihren Wert nicht mehr erst beweisen mussten. Sextus war nicht so vorwitzig, sein Maul vorschnell aufzureißen. Auch wenn ihm sein Stand hier in Rom nicht behagte, war er sich dessen sehr wohl bewusst. Corvinus sollte ruhig das Gespräch einleiten, ehe er es übernehmen würde. Aber alles zu seiner Zeit.
    Ebenso hielt er es bei der Frage nach den Getränken. Abzulehnen wäre wohl unhöflich, aber auch hier wartete er erst auf seinen Vetter und schloss sich diesem dann an, als dieser sich entschieden hatte. Geschlossenheit war ebenfalls eine feine und einfache Sache, die das Leben doch erheblich einfacher machen konnte.

    Nicht einmal ein kleines Lächeln schenkte sie ihm, das über pure Höflichkeit hinausging. Sie setzte sich einfach mit einem Nicken und demselben Lächeln, das sie wohl jedem angedeihen ließ, wenn sie freundlich sein wollte. Und genau das reizte Sextus im Moment mehr als das Blutvergießen unten in der Arena. Die meisten Frauen kicherten, warfen ihm Blicke zu, irgendwas. Gut, sie war seine Cousine, aber sie war dennoch eine Frau! Ihre Beherrschung allerdings war makellos.


    Dass sie gerne wettete, war eine interessante, kleine Information. Wie alles, was man ihm sagte, sammelte Lupus diese Kleinigkeit in seinem Fundus, um bei Gelegenheit darauf zurückzugreifen. Es gab absolut nichts, was vollkommen nutzlos war. Je mehr man von einem anderen wusste, umso mehr konnte man ihn nach den eigenen Vorlieben dirigieren. Nicht, dass er das mit Prisca vorhatte. Zum einen war sie seine Cousine und seiner Familie zu schaden brachte nur in den allerseltensten Fällen einen Vorteil. Und zum zweiten gab es keinen Grund, es zu tun. Nicht einmal der, dass es ihm Spaß machen könnte, nicht bei seinen Cousinen.
    “Ich? Nein, ich habe nicht gewettet. Vielleicht bei den nächsten Spielen, wenn du mir etwas von Fortunas Gunst abgibst.“ Er lächelte sie wieder gewinnend an. Sie schien gerade lockerer zu werden. Blieb zu hoffen, dass auch Lobo gewinnen würde, denn ihre Ausgelassenheit schien auf ihrem Sieg begründet zu sein. Und schon schloss sie die nächste Wette, diesmal über seinen Charakter. Sextus lachte leicht und ehrlich klingend, aber nicht so, als würde er sie auslachen. “Oh, ob ich mich bei deinem heutigen Glück trauen dürfte, dagegen zu halten?“ Wieder machte er seinem Namensgeber alle Ehre, als ein wölfisches Grinsen folgte, ehe er den Blick kurz zur Arena und den neuen Kämpfern wandte. Im Moment wurden die immer uninteressanter, wenngleich es ein seltenes Vergnügen war, einen Dimachaerus in Aktion zu bewundern. “Ich mag verschiedene Spiele. Auch diejenigen, die ein gewisses Risiko bergen. Aber am meisten mag ich die, bei denen ich mich nicht nur auf mein Glück verlassen muss.“ Er zwinkerte ihr leicht zu. Sextus war ein Planer, das wusste er selbst auch. Er hatte gern die Kontrolle über das, was sich um ihn herum tat, und nur zu gern zog er dabei die Fäden. Er mochte zwar den Nervenkitzel des Ungewissen, aber am meisten liebte er den Geschmack des Triumphes.


    Er blickte kurz zu seiner Cousine, die ihm nun deutlich aufgeschlossener gegenüber zu sein schien. Flirtete sie gar mit ihm? Sein Blick ruhte wieder auf ihr, als der Kampf zur Gänze sein Interesse verlor. Dieses Spiel hier, das war viel eher etwas, das nach seinem Geschmack war. Auch hier gab es ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Aber hier zu gewinnen war ungleich süßer als bei einer Wette. Wenngleich Sextus nicht ganz sicher war, was er als Sieg verbuchen wollte.
    “Nun, das kommt ganz auf mein Gegenüber an, bei was es denn mitspielen würde. Ganz allein zu spielen ist doch langweilig, nicht? Es sollte schon immer eine passende Herausforderung geben, und einen angemessenen Preis.“ Bewusst ließ er seine Worte kurz wirken in all ihrer Zweideutigkeit, ehe er mit einem fast schon unschuldigen Lächeln nach einer Traube aus der Obstschale neben ihnen fischte. “Leider sind die, die wirklich Spaß machen, meist auch sehr verboten.“ Aus den Augenwinkeln beobachtete er Priscas Reaktion, ob er einen Treffer gelandet hatte. Erst dann wandte er sich ihr wieder zu und beschloss, etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern. “Athen war sogesehen sehr interessant. Man musste nur die richtigen Freunde haben und die richtigen Ecken kennen. Hundekämpfe, Hahnenkämpfe, Würfelspiele... man musste nur wissen, wo man suchen muss. Und natürlich galt wie überall das wichtigste Gebot: Nicht erwischen lassen.“
    Vielleicht hätte Sextus dazusagen sollen, dass er selber in den seltensten Fällen gewettet hatte. Oder gar gewürfelt. Vielleicht hätte er dazusagen sollen, dass er selbst viel eher beim Soldatenspiel zu finden gewesen war, das bei weitem weniger mit Glück zu tun hatte , als mit Erfahrung und Taktik. Vielleicht hätte er das tun sollen. Tat er aber nicht. Stattdessen führte er nur noch eine Traube zum Mund und beobachtete seine im wahrsten Sinne des Wortes reizende Cousine, die wohl doch auch eine Frau war und damit Charme durchaus zugänglich.
    “Aber hier in Rom sind solche Jugendsünden wohl nicht mehr ganz so angemessen. Oder was meinst du?“ Jetzt war er ja wirklich mal gespannt, was bei Prisca überwog. Der Drang, zu Spielen, oder das so perfekte Bild, das sie sich lange antrainiert hatte.

    Immer so unnahbar. Da saß sie nun direkt neben ihm und doch hätte sie genauso auf der anderen Seite der Arena sitzen können, es hätte wenig Unterschied gemacht. Nun, einen Unterschied machte es doch, denn so konnte Sextus sie einmal wirklich aus der Nähe betrachten. Sie hatte eine wirklich wundervolle Haut. Makellos. Ihr Gesicht war ebenmäßig, und ihre Haare ein ebenholzfarbener Traum. “Nein, er ist nicht reserviert. Und wenn er es wäre, würde ich lieber jeden anderen versetzen, als mir die Gelegenheit der Anwesenheit einer so wunderschönen Frau entgehen zu lassen.“ Sextus schenkte ihr sein gewinnendstes Lächeln. Doch aus unerfindlichem Grund hatte er ein schlechtes Gewissen, kaum dass er die Worte gesprochen hatte. Fast wollte er sich für das Kompliment entschuldigen.
    Er wandte seine Aufmerksamkeit kurz der Arena zu, um dieses merkwürdige Gefühl in Staub und Blut zu ersticken. Er musste dringend dahinter kommen, was es war, das seine Cousine umgab. Sextus mochte es ganz und gar nicht, dass sie diese weibischen Gefühle in ihm weckte, indem sie ihn einfach nur streng ansah. Ganz und gar nicht.


    Mit deutlich mehr Selbstsicherheit und schon jovialer Selbstzufriedenheit wandte er wieder den Kopf zu ihr, als sie nach seiner Einschätzung ihrer Wette fragte. Er überlegte kurz, ob er seine Antwort in Worte kleiden sollte, die Frauen wohl begriffen, entschied sich dann aber dagegen. Was immer es war, was ihn an Prisca reizte, sie war definitiv nicht so verträumt wie andere Frauen. Wenn er sie so behandelte, würde er nichts gewinnen.
    “Im Allgemeinen stehen die Chancen immer gleich gut für jeden der Kämpfer. Die Gladiatorenschulen und die Veranstalter achten darauf, dass die Kämpfe ausgeglichen sind. Sonst wäre es ja langweilig, wenn immer der eine oder immer der andere bei einer bestimmten Paarung aufeinandertreffen würde.“
    Sextus wandte immer wieder seinen Blick der Arena zu, wo der Schiedsrichter den Kampf gerade wieder frei gab und der verletzte Murmillo gerade vortrefflich den Speer des Hoplomachus am Boden festnagelte. Ja! fuhr es ihm durch den Kopf, und er musste aufpassen, nicht den faden zu verlieren.
    “Es gibt Regeln, die die Kämpfe ausgeglichen sein lassen. Die beiden Schiedsrichter da unten achten darauf, dass die Kämpfer sie einhalten und unterbrechen, wenn es etwas schwerwiegendes gibt. Wie die Verletzung eben. Der Murmillo ist verletzt, weshalb er jetzt einen Nachteil hat. Wenn der Hoplomachus schlau ist, nutzt er das aus. Ich schätze, diese Wette hast du wohl eher verloren.“
    Sextus lächelte ihr fast schon entschuldigend zu. Aber eine Verletzung am Schwertarm war meist Ursache dafür, dass ein Kampf verloren ging. Früher oder später fühlte der Kämpfer dort den Schmerz, und das Blut verkleisterte um die Wunde. Kleine Kratzer waren nicht der Rede wert, aber hier war Blut geflossen.


    Und just, als Sextus ansetzen wollte, über ihre Entscheidung beim dritten Kampf zu philosophieren, ging ein Raunen durch die Zuschauer. Instinktiv stand Sextus auf und sah hinunter in die Arena, sah, wie der Holpomachus sich die Kehle hielt und den Blutschwall, der von dort zu kommen schien. Wieder bleckte er die Zähne, seinem Namensgeber alle Ehre machend, und setzte sich dann wieder neben Prisca. Es brauchte einen Moment, die Blutlust wieder zu gelassenem Charme zurückzukämpfen.
    “Manchmal aber, wie jetzt, reicht ein glücklicher Schlag, um alles zu wenden. Ich schätze, du hast gewonnen.“ Sextus beobachtete ihre Reaktion auf das Geschehen in der Arena, und auf die Siegesnachricht. Nirgends waren Menschen so sehr sie selbst wie im Angesicht von Tod und Triumph.

    Kaum war er eine Woche in Rom, da waren auch schon Spiele. Wenigstens eine Sache, die Rom seiner Heimat in Achaia voraus hatte. Dort gab es zwar auch Spiele, keine Frage, aber nicht in dem Ausmaß und nicht mit so viel Pomp und Gloria. Oder anders gesagt, Sextus genoss den unbeschwerten Anfang seines Aufenthaltes gerade doch zunehmend.
    Er saß etwas am Rand der Plätze, die die Aurelier für sich bei diesem Spektakel gesichert hatten, und betrachtete das Können der Gladiatoren in der Arena. Am liebsten hätte er sich eine Waffe geschnappt und mitgemischt. Nun, nicht ganz, er hing zum einen an seinem Leben und zum anderen war das weit unter seinem Stand. Aber dennoch weckte das Waffengeklirr und das Blut etwas in ihm.
    Der zweite Kampf begann gerade schnell und heftig, als er seine Cousine bemerkte, die sich zu ihnen gesellte und sich offenbar über ihren Gewinn freute. Er lächelte ihr charmant zu und versuchte, nicht zu aufdringlich zu erscheinen. Prisca war für ihn von allen Familienmitgliedern das größte Rätsel, weil er bei ihr keine Ahnung hatte, was sie dachte. Die anderen konnte er abschätzen, konnte er zuordnen. Sie sah ihn, wenn sie ihn denn überhaupt ansah, nur mit diesem durchdringenden Blick an, so dass er sich fühlte, als hätte er etwas angestellt. Das war enervierend und gleichzeitig trieb es doch Sextus' Ehrgeiz in nicht unerheblichem Maß an. Durch irgendwas musste dieser Frau doch ein verliebtes Lächeln zu entlocken sein, auch wenn es seine Cousine war. Er kam nur nicht dahinter, was.
    “Prisca. Setz dich doch.“ Sextus lud sie auf den Platz neben sich ein, etwas abseits von Corvinus und seiner Frau – sofern man hier abseits von irgendwem sein konnte.


    Gerade da führte der Hoplomachus einen besonders heftigen Angriff, und Sextus zog scharf die Luft ein und bleckte dann wie ein hungriger Wolf fast erwartungsvoll die Zähne einen Moment lang, als der Schiedsrichter den Kampf pausierte und er das Blut an der Schulter des Murmillo sah. Ja, genau so musste ein Kampf ablaufen. Zufrieden lehnte er sich zurück und sah nochmal aufmunternd zu Prisca. “Hast du auf den zweiten Kampf auch gewettet?“ fragte er mit gedämpfter Stimme, um die anderen anwesenden Aurelier nicht zu stören. Aber er hatte beschlossen, sich mit Prisca noch ein wenig mehr zu befassen und das Rätsel, das sie umgab, zu durchschauen. Was war dafür geeigneter als ein zwangloses, kleines Gespräch am Rande einer solchen Veranstaltung?

    “Dann weiß ich nicht, ob ich Ursus beneiden oder bedauern soll, liebe Septima.“ Kurz lächelte er ihr wölfisch entgegen, ehe er galant anfügte. “Wobei der Neid überwiegt, denke ich. Manche Dinge sind es wert, dass man dafür blutet.“ Er zwinkerte ihr noch einmal zu und zog sich dann lächelnd zurück. Am Ende würde ihm Ursus sonst doch noch den Hals umdrehen. Und das nur, weil er bei schönen Frauen nicht widerstehen konnte. Zumindest nicht, wen diese sich scheinbar so bereitwillig umgarnen ließen.


    Avianus meinte, er könne das nicht allein entscheiden. Und offenbar gab es auch Probleme, weil schon so viele Aurelier bei den Saliern waren? Das konnte ja lustig werden. Aber Sextus verzog keine Miene, sondern lächelte unbeschwert weiter. “Es soll alles seinen rechten Gang gehen. Denn du hast recht, es soll nicht nach Vetternwirtschaft aussehen. Ich wäre dir daher dankbar, wenn du eine Sitzung einberufen könntest, damit über meine Aufnahme abgestimmt wird.“ Zur Not würde er auch Singen, wenn die Tänzer schon eine Überfülle an Aureliern hatten. Da mussten ja nur die Götter darunter leiden, wenn er seine Stimme melodisch exsaltieren sollte. Beim Tanzen trainierte er wenigstens noch seine Balance.
    Aber das war alles noch in weiter Ferne. Kein Grund, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, wo es ihm im Grunde gleichgültig war. Wenngleich er darauf achtete, das nicht nach außen dringen zu lassen. “Und danke für dein Vertrauen. Ich werde mich bemühen, es nicht zu enttäuschen“


    Der Abschied kam offenbar, und vor allem die Frauen schienen bedrückt. Weiber! Sextus bemühte sich, möglichst betroffen zu wirken, ohne zu betroffen zu wirken. Immerhin war er ein Kerl, als solcher nahm man Abschiede gelassen und jammerte nicht rum. So hielt er sich ruhig im Hintergrund, nur dann und wann etwas betrübt schauend, wenn ihn jemand direkt ansah, und betrachtete die letzten Nachwehen des Abschiedes, ehe Ursus und Septima nach Mantua abreisen würden.

    Sicher, die geplante Hochzeit konnte ein Punkt sein, der für Sextus sprechen würde. Sicher wäre es auch angebracht, sie zur Sprache zu bringen. Nur dass er das aus verschiedenen Gründen nicht forcieren wollte. Zum einen wollte er nicht den Eindruck machen, als würde er diese Hochzeit als Sprungbrett in die Politik nutzen und sich damit zum Lakai der Flavier machen. Das wäre eine absolut katastrophale Ausgangssituation für die Verhandlungen. Zum anderen dachte er nicht, dass er darauf angewiesen sein würde, es explizit zu erwähnen, wenn es um seine Eignung für diese Stelle ging. Er würde den Consul schon auch so überzeugen. Und schließlich und endlich: Er hasste die Hochzeit jetzt schon, obwohl bis auf einen Briefwechsel noch nichts davon stattgefunden hatte. Er wollte sich damit nicht jetzt sofort befassen. Zumal der Consul gar nicht sein Ansprechpartner bei dieser ganzen Sache sein würde, sondern wohl der Bruder der Braut. Und Sextus wollte da keinen familieninternen Zwist noch heraufbeschwören – außer es würde ihm zum Vorteil gereichen, das zu tun.
    “Keine Sorge, ich werde es schon im rechten Augenblick zu artikulieren wissen.“ Wenn sein Vetter so sehr darauf bestand, würde er es eben zur Sprache bringen, entgegen seiner Gründe. Aber dann auf seine Weise.


    Als Corvinus schließlich nachfragte, ob er noch etwas brauche,winkte Sextus mit einem etwas müde wirkenden Lächeln ab. “Nein, ich denke, es ist alles geklärt. Wenn du erlaubst, nehme ich jetzt erst einmal mein Zimmer in Augenschein. Wenn ich dann nachher die übrigen Hausmitglieder noch begrüßen kann, bin ich wunschlos glücklich.“
    Er erhob sich auch gleich und ließ den halbgetrunkenen Wein stehen. Er nahm an, dass einer der Sklaven ihn gleich pflichtschuldig wegräumen würde – und vermutlich bei der Gelegenheit austrinken. “Vielleicht sollte ich vorher noch das Balneum aufsuchen“, setzte er mit verschmitztem Blick noch hinzu. Immerhin kam er gerade von einer nicht gerade kurzen Reise, und er wollte ja auf die übrigen Familienmitglieder ebenfalls einen möglichst guten Eindruck machen. Nach Straße und Staub zu stinken trug da nicht unbedingt dazu bei.

    Nachdem das Thema der Götterverehrung nun endgültig abgehakt schien, kamen sie wieder auf die Ehe zu sprechen. Sextus gab sich gelassen. Wenngleich dieses Damoklesschwert sein Gemüt beschattete, ließ er sich nichts anmerken. Er würde Mittel und Wege finden, sich bei zu großer Anspannung abzureagieren, daran hegte er keine Zweifel.
    “Sicher. Wobei ich, wenn du erlaubst, da für mich selber sprechen will. Zumal unsere Väter sich über das Gröbste schon einig sind, denke ich, dass ich als meines Vaters Sohn selbst sprechen sollte. Sofern das Thema zur Sprache kommt.“
    Sextus hatte es mit dem Heiraten nicht eilig. Aber wenn es schon sein musste, brauchte er dafür keinen Senator, der für ihn wie für ein Kind sprach. Da reichte ihm schon sein alter Herr vollauf, der eben jenes mit Vereinbarung dieser Gespräche getan hatte. Sextus war zwar durchaus bereit, den jeweils leichteren Weg zu gehen, aber etwas Stolz besaß er dann doch. Er musste um seine Braut nicht von Corvinus feilschen lassen. Es genügte, wenn dieser ihm in der Politik behilflich war.
    So lehnte sich Sextus leicht lächelnd zurück, um nicht abweisend zu wirken, und nippte noch einmal an seinem Wein. Von seiner Seite aus war damit das, was er wissen wollte, besprochen. Vielleicht hatte sein Vetter noch weitere Fragen, von denen er nichts wusste. Er selbst allerdings wartete eher auf den passenden Moment, sich das Haus und die anderen Mitbewohner zeigen zu lassen, um bei allen einen positiven Eindruck zu hinterlassen.

    Als Erwiderung erntete Avianus nur ein mäßiges Lächeln. Sextus wartete, bis die Abreisenden alle umarmt hatten, ehe er leise das Gespräch zu seinem Vetter suchte. Er wollte weder drängeln noch unliebsam auffallen. Doch im Moment schien gerade ein ruhiger und passender Zeitpunkt zu sein, sein Anliegen vorzutragen.
    “Ich will dann direkt zum Thema kommen, um deine Geduld nicht auf die Probe zu stellen. Du weißt ja, dass eine Pflicht unseres Standes ist, den Göttern in den Sodalitäten zu dienen. Ich möchte auch den Saliern beitreten. Du bist der Magister. Also... musst du dafür eine Versammlung einberufen, oder kannst du mich direkt aufnehmen und in meine neuen Pflichten einweisen?“
    Nicht, dass Sextus es damit irgendwie eilig hatte. Wenn er nicht wie ein Verrückter durch die Straßen tanzen musste, weil irgendein Fest für irgendeinen Gott mal wieder war, war er sicher nicht böse. Aber es musste ja alles seine Rechtmäßigkeit haben. Also musste er zumindest fragen und den Anschein erwecken, ihm läge etwas daran.