Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Und auch in der Domus Annaea kam ein gewisser flavischer cursor vorbei, um ein kurzes Schreiben abzugeben.



    Quintus Flavius Flaccus Decimo Annaeo Varo s.


    Als Frater Arvalis wurde ich mit der Sorge um die Pferderennen anlässlich des diesjährigen Festes der Dea Dia betraut. In dieser Angelegenheit bitte ich, mir einen dir günstigen Termin zu einem Gespräch mit dir in deiner Funktion als Princeps der Factio Albata mitzuteilen. Vale.

    Ein flavischer cursor brachte ein kurzes Schreiben vom mons Quirinus vorbei.



    Quintus Flavius Flaccus Publio Matinio Agrippae s.


    Als Frater Arvalis wurde ich mit der Sorge um die Pferderennen anlässlich des diesjährigen Festes der Dea Dia betraut. In dieser Angelegenheit bitte ich, mir einen dir günstigen Termin zu einem Gespräch mit dir in deiner Funktion als Princeps der Factio Purpurea mitzuteilen. Vale.

    Ja, Flaccus hatte so etwas nötig, obwohl er in den höchsten Kreisen verkehrte und es wäre ihm weitaus angenehmer, er hätte das nicht, doch die Realität konnte nicht fortgeleugnet werden. Was Flavius Flaccus wollte, war die Wahl als candidatus principis anzutreten, mit der persönlichen Empfehlung des Kaisers also, wie es in den letzten hundert Jahren für junge Männer seines Standes durchaus üblich gewesen war. Durch die "Verhinderung" des princeps und die Unmöglichkeit, bei jenem vorstellig zu werden, hatte sich der Flavier genötigt gesehen, diesen Gang zum Praefectus Urbi anzutreten. Die Belehrung des Vesculariers, die Zeit der Bevorzugung von Patriziern in gewissen Positionen wäre vorüber, ließ er seines Zieles wegen unkommentiert. Stattdessen ging er auf den nächsten, nicht sonderlich zufriedenstellenden Vorschlag des Praefectus ein. "Nun, ich wäre auch dafür zutiefst dankbar, allein durch ein leidiges Missverständnis ist es mir nicht mehr möglich, durch Anmeldung bei den Konsuln zur Wahl zu kandidieren, da die offizielle Frist bereits abgelaufen ist. Lediglich mein Name auf den kaiserlichen Listen würde mir die Kandidatur zu dieser Wahl noch ermöglichen." Er räusperte sich. "Sieh es doch so, Praefectus: Indem du mich dem Senat als candidatus principis vorstellst, tust du im Grunde nur der Tradition genüge, vordergründig wird es also als keine sonderlich starke Unterstützung erscheinen, die du mir zuteil werden lässt. Dennoch könntest du ohne großen Aufwand für dich in unermesslicher Weise davon profitieren..."

    Hier war er nun also erneut in der Villa Tiberia und konnte nicht so recht einschätzen, was ihn wohl erwartete. - Ein Umstand, den Flaccus nicht besonders gut leiden konnte, denn er war gewohnt, stets von allen Dingen Kenntnis zu haben, um so Überraschungen, die doch zum größten Teil eher unliebsamer Natur waren, nach Möglichkeit zu verhindern. Dennoch fühlte er sich natürlich geehrt, von seinem Patron, einem Consular und Pontifex zu einem persönlichen Gespräch geladen zu werden und so war er der Einladung desselben selbstredend gefolgt und wurde nun, gemeinsam mit seinem griechischen Leibsklaven, der seinem jungen Herrn nicht von der Seite wich, durch die Gänge der tiberischen Villa zum kleineren Triclinium geführt, wo der Hausherr ihn schließlich auf einer Kline liegend erwartete. Mit einer angedeuteten Verbeugung trat der Flavier ein. "Salve patronus. Deine Einladung ehrt mich.", begrüßte er den Tiberier und trat näher.

    Wiewohl Flavius Flaccus in seiner ersten Zeit in Rom ausschließlich die Bäder der Villa Flavia aufgesucht und die öffentlichen Thermen völlig gemieden hatte, so erkannte er zusehends die vielen Vorteile, die ein regelmäßiger Besuch der Thermen einem aufstrebenden Advocatus und Politiker zu bieten hatte, sodass er nun wenigstens wöchentlich, zuweilen auch öfter, die großen öffentlichen Anlagen aufsuchte, um mit wichtigen Leuten ins Gespräch zu kommen, oder auch einfach vom Volk gesehen zu werden. Und so war auch für diesen Nachmittag ein Besuch in den Thermen des Agrippa eingeplant. Nachdem er sich im apodyterium gänzlich seiner Kleider entledigt hatte, die er natürlich nicht in eine der abschließbaren Wandnischen legte, sondern einem eigens dafür mitgebrachten Sklaven zur Aufbewahrung anvertraute, widmete er ein wenig Zeit dem Sport, um seinen jugendlichen Körper in einer für einen Römer würdigen Form zu halten, ehe er schließlich das im Süden der Anlage gelegene caldarium aufsuchte und sich in einem der in den Apsiden angelegten, mit Marmor ausgekleideten, Becken niederließ, wo ihn schließlich ein Sklave in regelmäßigen Güssen mit dem warmen Wasser überschüttete. Nachdem er einige Zeit lang das Gefühl der völligen Entspannung im warmen Wasser genossen hatte, raffte der Flavier sich schließlich auf, um seinen Badegang in den Tepedarien fortzusetzen. Im zweiten der selben angekommen, erblickte er erfreut seinen ehemaligen Tutor, den Consular Purgitius Macer und formte eine Grußgeste. "Salve clarissimus!", grüßte er den Senator förmlich, aber mit einem freundschaftlichen Lächeln, "Erlaubst du, dass ich mich zu dir lege?"

    Langsam schien die junge Sklavin richtig zum Leben zu erwachen, denn auf die Frage hin, ob Prisca sie und ihre Dienste so ohne weiteres entbehren konnte, begann sie regelrecht aufzublühen, sodass Flaccus Schwierigkeiten hatte, ihrem stimmlosen Flüstern einigermaßen zu folgen. Sie bot an, ihre Herrin sogleich um Erlaubnis zu fragen, oder aber den jungen Flavier direkt zu Prisca zu führen. Munter erzählte sie von dem Gefallen, das die Aurelia offensichtlich an den flavischen Mosaiken gefunden hatte und welches kaum verwunderlich schien, in Anbetracht der hohen Kunstfertigkeit, mit der die Bilder, die mit bunten Szenen die Gänge der Villa zierten, zusammengefügt worden waren. Flaccus schien kurz über den Vorschlag nachzudenken, ehe er lächelnd nickte: "Ja, wieso nicht ... ich habe Aurelia Prisca ohnehin noch nicht näher kennen gelernt." Natürlich kannte man sich oberflächlich von der Hochzeit und einigen cenae, die im flavischen Hause stattgefunden hatten, doch Flaccus selbst speiste oft außerhalb, um noch tiefere Kontakte in den politischen Kreisen Roms zu knüpfen, sodass er tatsächlich noch keine Möglichkeit zu einem persönlichen Gespräch mit der Gattin seines Onkels Piso gefunden hatte. Er erhob sich also von seiner Kline, was auch für Tilla Zeichen war, dass sie sich nun ebenfalls erheben und handeln konnte.

    Tierhetzen, sogenannte venationes, bildeten an jenem strahlenden Vormittag den Auftakt der Spiele und die Einstimmung zu den eigentlichen Gladiatorenkämpfen und erfüllten dabei mehrere Aufgaben. In erster Linie brachten sie natürlich die Zuseher in die richtige Stimmung, um die folgenden Kämpfe in vollen Zügen genießen zu können. So konnte sich das Auge zunächst an das Blut und die Brutalität der Kämpfe gewöhnen, ehe in den Mann gegen Mann Gefechten auch noch das Element der Spannung hinzutreten würde. Abgesehen davon dienten sie aber auch dazu, die Freigiebigkeit des Editors Aurelius Avianus zu demonstrieren, der durch die Präsentation exotischer Tiere aus fernen Provinzen des Reiches zeigen konnte, dass er keine Kosten und Mühen gescheut hatte, beträchtliche Mengen an wilden Tieren auch aus den entlegensten Regionen des Imperiums unter größtem Aufwand nach Rom zu transportieren, wo nun die wenigen, die die Strapazen der langen Reise überstanden hatten, einen spektakulären Tod in der Arena finden sollten, sei es im Kampf untereinander oder auch mit Menschen. Grausige Szenen fanden statt, die das Publikum aufheizten und regelrecht zum Johlen brachten und die erhitzten Gemüter nach noch mehr Blut verlangen ließ.


    Aus der aurelischen Loge hatte Flaccus diesen ersten Teil der Spiele verfolgt und Floras Anwesenheit, wie auch das Gespräch mit ihr und die unzähligen Annehmlichkeiten, welche die Einrichtung der Loge selbst, wie auch die Sklaven in derselben gleichermaßen zu bieten hatten, in vollen Zügen genossen. Dann schließlich trat der erste Gladiator auf, der von den Rufern theatralisch als "Lysandros, der Thraex aus Byantium" angekündigt wurde. Der Name war dem Flavier - wenig verwunderlich - gänzlich unbekannt, der selbst nur den größten und prächtigsten Spielen beizuwohnen pflegte. Dennoch schien es in den Reihen des Publikums durchaus auch Anhänger des Kämpfers aus dem Osten zu geben, denn tosender Jubel brandete auf, als der Thraex stolz erhobenen Hauptes den blutgetränkten Sand der Arena betrat. Mit emporgerichtetem Schwert präsentierte sich der Gladiator und badete im aufbrandenden Jubel der Massen, deren Gunst womöglich schon bald über sein Leben entscheiden würde. Der ölglänzende Körper des Kämpfers strahlte im Sonnenlicht und verwundert ertappte sich Flaccus dabei, wie er Floras Reaktion auf das beeindruckende Erscheinungsbild des Mannes beobachtete. Generell schien der Gladiator auf die Frauen in den umliegenden Rängen einen durchaus anziehenden Eindruck zu machen, denn besonders die weiblichen Hälse reckten und streckten sich nun hoch hinaus, um den besten Blick auf den Kämpfer zu erhaschen.


    Noch dramatischer wurde allerdings der Eintritt des nächsten Gladiators, der mit sich überschlagenden Worten der Rufer als wahrer Held der Arena angekündigt wurde. Der Jubel der Zuseher, als der Kämpfer leichtfüßig in die Arena lief, schien, so das denn überhaupt möglich war, noch tosender als bei dem Thraex zuvor, denn offensichtlich war der "beste Hoplomachus, den die Arena je gesehen hat", dem Publikum wohl bekannt. Besonders unter den Frauen schien sich die Begeisterung beim Anblick des schwerbewaffneten Hopliten gar in wahre Extase zu steigern. Unter großen, siegessicheren Gesten lief der Gladiator also in die Mitte der Arena und ließ den entflammten Jubel auf sich wirken. Er war ganz klar der Favorit des kommenden Kampfes, denn er schien sein Können bereits in zahlreichen Auseinandersetzungen unter Beweis gestellt zu haben. Sprechchöre begannen seinen Namen zu rufen und einige junge Frauen fielen gar in Ohnmacht. Der tosende Jubel im Kolosseum ließ auch Flaccus nicht kalt, sodass er den Gruß des Gladiators in Richtung der patrizischen Logen mit Applaus und einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis nahm. "Hast du diesen Velox schon einmal im Kampf erlebt?", erkundigte er sich bei Flora, wobei er ziemlich laut sprechen musste, da der Lärm im Amphitheater alles zu übertönen schien.

    Seine Frage schien die Sklavin zu überraschen, denn sie blickte spontan auf und gab Flaccus so die Gelegenheit, wenigstens für den Bruchteil eines Moments einen Blick auf ihr hübsches Antlitz zu erhaschen, denn kaum fanden ihre dunklen Augen zu seinen, wandte sie den Kopf rasch ab und schien das Ausmaß der Katastrophe zu beurteilen, die sie verursacht hatte. Nach kurzer Überlegung stand sie auf und begann die langen Bahnen der Toga zusammenzulegen. Nun hatte der Flavier erstmals die Gelegenheit das Mädchen in Ruhe zu mustern, und was er sah, gefiel ihm überaus gut. Nachdem sie mit dem Zusammenfalten fertig war, begann sie etwas sonderbar anmutende Bewegungen in die Luft zu malen, die für Flaccus erst nach einigen Momenten und genauerem Hinsehen Sinn ergaben. Während Tilla also seine Toga in der Luft ordentlich durchwusch, bemerkte der junge Flavier erst, dass er ihre Schreibtafel noch immer in Händen hielt und damit diese spontane pantomimische Darbietung lediglich durch seine Unachtsamkeit evoziert hatte. Diese Erkenntnis ließ ihn grinsen, und als die Sklavin schließlich eine imaginäre Obstschale bis zum Rand füllte und Flaccus anbot, konnte er das Lachen nicht mehr zurückhalten. Fröhlich lächelnd konzentrierte er sich nun also auf Tillas Lippen, als jene zu flüstern begann. Sie wollte ihm Obst und Nüsse kaufen, dieser Vorschlag ließ Flaccus bis über beide Ohren grinsen und heftig seinen zerstrubbelten Kopf schütteln. Nein, Obst und Nüsse brauchte sie ihm wahrlich nicht zu kaufen, ein kleines Fingerschnippen des Flaviers ließ schließlich ganz von selbst eine frisch gefüllte Obstschale auftauchen, wenn er Lust darauf hatte. "Danke, aber du brauchst mir kein Obst zu kaufen ... die Toga zu waschen ist aber eine ganz ausgezeichnete Idee!" Ihr zweiter Vorschlag stieß da schon auf mehr Gefallen bei Flaccus. Ja, begleiten könnte sie ihn tatsächlich ein wenig. Zwar nicht in die Basilica Ulpia, denn die Verhandlung dort war gewiss schon voll im Gang, doch ein kleiner Spaziergang mit dem hübschen Mädchen schien dem Flavier eine überaus willkommene Aussicht. "Kann dich denn deine Herrin für einige Stunden entbehren?", erkundigte er sich also freundlich lächelnd, schließlich wollte er keinesfalls Priscas Sklaven in Beschlag nehmen, zumal er sie ja noch gar nicht näher kennen gelernt hatte. Nun allerdings reichte Flaccus der Sklavin die Tafel, wenngleich ihm das kleine Schauspiel durchaus Amüsement bereitet hatte.

    Verwunderung machte sich im Antlitz des Flaviers breit, als der Legat ihn bat, oder, angesichts seiner sozialen wie politischen und militärischen Stellung vielmehr dazu aufforderte, auf Floras Besuch in Paestum zu verzichten. Er biss kräftig auf das Stück Brot, das er gerade im Mund hatte, ehe er es hinunterwürgte und den Aurelier ansah. "Ich verstehe.", meinte Flaccus schließlich nüchtern, und fügte, schon etwas freundlicher hinzu, "Der gute Ruf und die Tugend Floras stehen natürlich über allem. Wenn du also der Meinung bist, dieser Ausflug könnte das strahlende Beispiel ihrer rechtschaffenen Unschuld in irgendeiner Weise trüben, so gilt mir diese Sorge als ehernes Gesetz." Damit war das Thema für ihn beendet. Gewiss würde sich auch in Rom die Möglichkeit zu einem für den Ruf der jungen Frau "ungefährlicheren" Treffen als jenem in Campanien bieten. Freundlich lächelnd griff Flaccus also nach seinem Becher und nahm einen Schluck, welcher ihm wiederum Anlass bot, das Gespräch durch ein neues Thema möglichst schnell von dem alten fortzuführen. "Der Wein ist übrigens ausgezeichnet, sag nicht, er kommt hier aus der Umgebung ...?", verband er schließlich ein Kompliment an den hervorragenden Geschmack des Gastgebers mit einer unverfänglichen Frage über die Situation des lokalen Weinbaus, so denn ein solcher bestünde.

    Lächelnd nickte Flaccus, denn er hatte nicht im Geringsten vermutet, dass der Praefectus Urbi sich dieses herrliche Geschenk würde entgehen lassen, selbst wenn er unter Umständen nicht sonderlich viel von Kunst hielt. "Das freut mich überaus, du wirst gewiss gefallen an ihr finden.", versicherte er dem Vescularier und gab seinem griechischen Leibsklaven einen Wink, die Statue hereinschaffen zu lassen. Der Praefectus schien durchaus zu einem Gespräch bereit, denn er erkundigte sich nun, fast schon naiv, was er als Stellvertreter des Kaisers von einem kleinen Viginitvir haben würde. Flaccus begann, da er das bloße Herumstehen vor dem Stuhl des Vesculariers als unangenehm empfand, ein wenig auf und abzugehen während er sprach und in seiner ureigenen Art und Weise dabei gestikulierte. "Nun, Praefectus, es wäre ja nicht irgendein kleiner Vigintivir, den du durch deine Gefälligkeit im Namen des Kaisers unterstützen würdest.", er fühlte, dass er seine rhetorische Ader im Gespräch mit dem Vescularier zugunsten eines klaren Pragmatismus etwas zurückschrauben musste, um dem Ziel näher zu kommen. "Genau genommen, hättest du sogar mehr davon, mich auf diese Art und Weise zu unterstützen, als etwa einen deiner zahlreichen Klienten. Ich wäre dir nämlich für diesen Gefallen im Amt in gleicher Weise verpflichtet wie ein solcher, doch darüber hinaus trägt mein Namen unvergleichliches Gewicht und ich verkehre in den höchsten Kreisen Roms, wo sich meine Verbundenheit dir gegenüber gewiss durch Dienste zum Ausdruck bringen lässt. Ganz abgesehen davon strebe ich ja, wie bereits gesagt, das Amt eines tresvir monetalis an, welches seit dem vergöttlichten Vespasianus dem usus nach nur Patrizier bekleiden. Nun mag dir der direkte Vorteil, einen candidatus principis, der dir persönlich verpflichtet ist, in diesem scheinbar niedrigen Amt zu wissen, nicht vordergründig bewusst sein, doch ich will ihn dir aufzeigen. Den Münzmeistern obliegt die Gestaltung der neugeprägten Münzen und du kannst dir gewiss vorstellen, dass der Einfluss auf das Volk durch jene Bilder, die ihnen tagtäglich vor Augen gehalten werden, ein gewaltiger ist. Wieso sollte schließlich nicht auch einmal eine Großtat des amtierenden Praefectus Urbi auf Münzen geprägt werden?" Berechnend blickte Flaccus den Vescularier an, und versuchte zu ergründen, ob jener sich des tatsächlichen Ausmaßes an Einfluss in jener Position bewusst war.

    Anscheinend hatte der Flavier mit seiner Antwort die Erwartungen des seines Tutors getroffen, denn jener pflichtete ihm bei, schloss jedoch im direkten Anschluss bereits die nächste überaus schwierige Frage an, die Flaccus einige Momente schweigend mit nachdenklich gerunzelter Stirn neben dem Purgitier hergehen ließ. Dann allerdings glaubte er in der Philosophie den Schlüssel zur Lösung des Problems gefunden zu haben, und begann leidenschaftlich über eines seiner wichtigsten Interessensgebiete zu sprechen. "Ich würde Annaeus Seneca zitieren und Tullius Cicero. Ich würde ihm erzählen, dass der Staat und die Gemeinschaft der Menschen Abbild der göttlichen Weltordnung ist, der Mensch gleichsam, um mit griechischen Worten zu sprechen, ein zoon politikon, gedacht um mit seinen Mitmenschen Gemeinschaft zu bilden und aktiv an dieser teilzuhaben. Ich würde ihn schließlich davon überzeugen, dass glückliches Leben durch virtus erworben wird. Durch die Tatkraft also, die allein in der tatsächlichen Mitgestaltung des Staates existiert. Ich würde ihm schließlich auch den Marcus Cato, jenen Mann ohne früheren Ruhm und Ahnen als Vorbild für die Richtung seiner Tätigkeit und würdiger Gesinnung vorstellen, dem es doch gewiss freistand, in Tusculum in Muße ein behagliches Leben zu führen. Aber dieser unsinnige Mensch - denn für einen solchen müssen ihn wohl all jene Senatoren, von denen wir sprachen halten - wollte lieber, obgleich ihn nichts dazu nötigte, sich von diesen Wogen und Stürmen bis in das höchste Alter herumtreiben lassen, als in jener stillen Zurückgezogenheit und Muße aufs angenehmste leben. Und so auch unendlich viele andere glänzende Männer der Vergangenheit, von denen jeder zum Wohl unseres Staates beigetragen hat, deren strahlendes Beispiel Marcus Tullius zur entschiedenen Erklärung veranlasste, dass in der menschlichen Natur eine solche innere Nötigung zur Tugend und ein solcher Drang, das Gemeinwohl zu verteidigen, liegt, dass dieser Trieb über alle Reize der Sinnenlust und behaglichen Muße die Oberhand gewinnen muss. Und zweifellos ist es auch so."

    Scheu nahm das Mädchen die Tafel entgegen, sofort blickte sie wieder zu Boden, als sie sie erhalten hatte und Flaccus Reaktion abwartete. Diese fiel fiel für sie wohl unerwartet freundlich aus, hatte sie doch gewiss bereits die harte Behandlung der Sklaven in der flavischen Villa, wenn schon als Aurelia Priscas Sklavin vermutlich nicht am eigenen Leib erfahren, so doch zumindest mitbekommen. Und so wartete der junge Flavier ab, bis Tilla die Tafel, stets konsequent zu Boden blickend, abgewischt, und die Antwort auf seine nächste Frage darauf gebannt hatte, ehe er jene an sich nahm und überflog. Dass sie von Geburt an Sklavin war, hatte er bereits geahnt, denn ihre Körpersprache und ihr Verhalten waren Ausdruck einer tiefen Demut, wie sie bei frei geborenen aber durch Krieg oder Unglück in den Sklavenstand geratenen kaum anzutreffen war. Auch dass ihr die Möglichkeit zu sprechen durch Bestrafung genommen worden war, schien ihm, wenngleich eine überaus grausame, so doch weit verbreitete Art, Sklaven zu bestrafen und deshalb völlig plausibel. Nochmals bat Tilla in ihrer Antwort auf etwas naive Weise um Entschuldigung für den Zwischenfall, für den wohl jeder andere Sklave unmittelbar die Peitsche zu spüren bekommen hätte. Nachdenklich wanderte Flaccus' linke Augenbraue etwas nach oben, als er fertig gelesen hatte und Tilla musterte, die noch immer auf ihre Zehen starrte. "Wie willst du denn dieses Mischgeschick wieder gut machen?", erkundigte er sich schließlich bei der jungen Sklavin.

    Zwar war sich der Flavier nicht des tatsächlichen Ausmaßes der wohltuenden Wirkung seines Kompliments bewusst, doch spürte er, dass Charme im Moment durchaus angebracht war. Dennoch beobachtete er zunächst das Opferschauspiel, dessen spektakuläre Inszenierung offenbar wie am Schnürchen klappte aus Ehrfurcht vor den Göttern schweigend und ließ seiner Faszination für kultische Rituale wieder einmal freien Lauf. Die Unterhaltung mit Flora musste deshalb noch wenige Augenblicke warten, bis der Haruspex schließlich die quasi obligate Annahme des Opfers durch Apollo bestätigte und Aurelius Avianus in seiner Funktion als Editor den Beginn der Spiele verkündete. Nun erst machte Flaccus es sich richtig bequem und wandte sich Flora zu, während die Gladiatoren in der Arena in prächtig glänzenden Rüstungen aufmarschierten und sich präsentierten. "Es ist schon bemerkenswert ...", begann er schließlich belustigt lächelnd, "... dass wir beide immer zu blutigen Schauspielen zusammentreffen, niemals aber bei den Rennen, im Theater oder bei einer privaten Rezitation. Dabei ziehe ich normalerweise das griechische Theater den Kämpfen vor ..." Mittlerweile hatten die Gladiatoren Aufstellung genommen und gaben ein durchaus beeindruckendes Bild ab. "Besitzt dein Verwandter eigentlich einen eigenen ludus oder hat er die Kämpfer nur für dieses Spektakel gekauft?", erkundigte sich der Flavier bei Flora, während er die Gladiatoren betrachtete und nach einer der kandierten Früchte griff. Viele Senatoren unterhielten schließlich kleinere oder größere ludi, in denen sie ihren persönlichen Bedarf an Gladiatoren ausbilden ließen. Die von Öl glänzenden Männer, die an jenem Tag in der Arena standen, machten, im Gegensatz zu den großen claudischen Spielen, die Flaccus noch in guter Erinnerung waren, einen überaus professionellen Eindruck, die wohlgeformten, muskulösen Körper waren nicht nur die reinste Augenweide, sondern ließen auch auf einige Kampfkraft schließen, welche wiederum überaus spannende Spiele verpsrach.

    Flaccus runzelte die Stirn, denn offenbar war der Vescularier seinen Worten nicht zur Gänze gefolgt. "Nichts liegt mir ferner!", erhob er also geduldig Einspruch und versuchte es einfach nochmal. "Für diesen Gefallen stünde ich in deinen Diensten, du selbst wirst wohl gewiss die eine oder andere Gelegenheit finden, and der ich meine Dankbarkeit zu deinen Gunsten unter Beweis stellen kann. Die Statue hingegen betrachte lediglich als kleines Geschenk für dieses Gespräch und unmittelbarste Manifestation meiner Dankbarkeit. Setztest du dich für meine Sache ein, so wäre ich dir in Zukunft verpflichtet." Und dass er dem Vescularier von Nutzen sein konnte, davon war Flaccus überzeugt.

    Anstatt einfach zu antworten, kramte die Sklavin, die sich am Boden niedergelassen hatte, eine Schreibtafel hervor und kritzelte drauflos. Stirnrunzelnd beobachtete der junge Flavier sie dabei und ergriff, als sie es ihm zum Lesen entgegenstreckte, mit fragendem Gesichtsausdruck das Täfelchen. Aha, hier war also die Erklärung für sein sonderbares Befinden, und anhand der wenigen Zeilen vermochte nun auch Flaccus die Vorgänge der letzten Minuten einigermaßen zu rekonstruieren. Die Schrift der jungen Sklavin war außerordentlich schön und da Flaccus schöne Dinge gerne mochte, besänftigten ihn die demütigen Worte und das hübsche Aussehen des Mädchens, das mit gesenktem Kopf auf ihre nackten Zehen blickte und die Reaktion des Flaviers abwartete soweit, dass er gar nicht zornig werden konnte, über das schmerzhafte Missgeschick, das sie durch ihre Unachtsamkeit verschuldet hatte. Er kratzte sich also ein wenig am Kopf und reichte Tilla die Tafel zurück. An die Basilica Ulpia war nun ohnehin nicht mehr zu denken, also konnte er genauso gut auch einfach hier sitzen bleiben, zumal sein äußeres Erscheinungsbild durch den kleinen Flug beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Bahnen seiner Toga hatten sich in Wellen über den Boden ausgebreitet, seine Haare waren völlig zerstrubbelt und auch die Tunika saß gewiss nicht mehr so, wie er sie am Morgen angelegt hatte. Mit einem Wort, die Lage war fatal. So fatal, dass sich ein kleines Grinsen auf dem Antlitz des Flaviers ausbreitete, während jener es sich bequem machte und die Sklavin noch einmal eingehend musterte. "Tilla.", wiederholte er ihren Namen. Sie war also Priscas Leibsklavin, der Gattin von Onkel Piso, die er zu seiner eigenen Schande in der Zeit, die sie mittlerweile schon in der flavischen Villa wohnte, noch nicht näher kennen gelernt hatte. "Du kannst nicht sprechen, oder?", fragte er dann noch mal nach, denn das war die einzige Erklärung, die sein etwas angeschlagenes Gehirn parat hielt, um den Umstand ihrer schriftlichen Antwort zu erklären, voraussetzend, dass sie selbst bei klarem Verstand war.

    Ganz wie erwartet, musste Flaccus nicht vor der aurelischen Loge warten, sondern wurde prompt durchgelassen, kaum dass sein griechischer Leibsklave ihn angekündigt hatte. Flora hatte sich erhoben, und begrüßte den jungen Flavier mit einem ehrlichen Lächeln. Jetzt erst hatte dieser die Gelegenheit, die Aurelia aus der Nähe zu betrachten, und musste sich eingestehen, dass sie, in ihrem roten Seidenkleid mit funkelndem Goldschmuck und den zarten Kohlestrichen, die ihre smaragdgrün glitzernden Augen betonten, zweifellos eine der schönsten jungen Frauen Roms war. Ihre lockigen Haare, die sie, wie dem feinsinnigen Flavier schon vor geraumer Zeit aufgefallen war, kürzer zu tragen pflegte, waren mit kleinen goldenen Spangen zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt, und ein anregender Duft rundete das Bild anmutiger Schönheit ab, das die kleinen Anzeichen der Blässe und dunkler Schatten im Antlitz der Aurelia spielerisch übertünchte. "Flora." Eine kleine Verbeugung andeutend begrüßte Flaccus die junge Frau mit einem strahlenden Lächeln. "Du bist wunderschön. Danke für die Einladung." Der einladenden Geste folgend trat er näher, und grinste bei ihren nächsten Worten. "Heute wird aber nicht gewettet!" Dann ließ er seinen Blick erneut auf das Geschehen inmitten der Arena schweifen, wo das Opfer mittlerweile zügig voranschritt. "Avianus macht eine großartige Figur, das Volk wird ihn für diese Spiele lieben." Zumindest wenn die durch den prachtvollen Einzug und das feierliche Opfer geweckten Erwartungen der Zuschauer auch durch blutige Kämpfe gestillt würden.

    So sehr er sich auch bemühte, seit er Flora in der aurelischen Loge erblickt hatte, vermochte Flaccus den fortschreitenden Opferhandlungen im Rund der Arena nicht mehr die beabsichtigte Aufmerksamkeit zu schenken, denn immer wieder pendelte sein Blick wie von selbst zu der wunderschönen jungen Frau in ihrem tiefroten Kleid, die sich mit ihrer Leibsklavin zu unterhalten schien. Plötzlich wandte sie sich jedoch in seine Richtung und hob ihre Hand. Lächelnd erwiderte Flaccus den Gruß und beobachtete neugierig, wie Flora erneut einige Worte mit der Sklavin wechselte, ehe jene hastig aus der aurelischen Loge eilte. Der junge Flavier richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Opfer, welches zügig voran schritt, denn schon war der Aurelier dabei, dem Ochsen mit dem Opfermesser über Stirn, Hals und Rücken bis zum Schwanz zu streichen. Während der Aedil das Messer wieder abgab und sich auf das Gebet vorbereitete, entstand ein wenig Unruhe am Eingang zur flavischen Loge, sodass Flaccus sich etwas genervt umblickte, um die Sklaven, die zu einem so unpassenden Moment sprachen, zurechtzuweisen. Als er jedoch zum Eingang blickte, erkannte er hinter dem stämmigen nubischen Sklaven, der als Türsteher zur Loge fungierte, die Leibsklavin der Aurelia, die offenbar eine Botschaft zu überbringen hatte. Geistesgegenwärtig, wie der alte Grieche nun mal war, war auch Myson sofort zur Stelle, um die Nachricht bis an das Ohr seines Herrn weiterzutragen. "Sie soll der Aurelia sagen, dass ich mich überaus geehrt fühle, über die freundliche Einladung, und mich gleich aufmache.", flüsterte Flaccus dem Griechen ins Ohr, der nun seinerseits die Antwort an die aurelische Sklavin weitergab.


    Und wirklich, nach dem Gebet und der Tötung des Opfertiers erhob sich der Flavier von seiner Kline, strich seine dunkelblaue Toga zurecht und machte sich auf den Weg zur aurelischen Loge. Dort angekommen, ließ er sich von Myson ankündigen. "Dominus Quintus Flavius ist hier auf Einladung der Aurelia Flora, um den Spielen aus dieser Loge beizuwohnen."

    Die Aufforderung, zu sprechen, quittierte der Flavier mit einem leichten Nicken und einem ernsten "Ich danke dir.", ehe er noch einmal tief Luft holte und dann loslegte. "Ich weiß nun, Praefectus, dass ich mit meinem Anliegen alleine an dich heranzutreten habe, da es nur in der Macht des Stellvertreters unseres geliebten Imperator Caesar Augustus liegt, es zu erfüllen." Prolog geschafft, eine allgemeine Überleitung zum speziellen Thema wäre nun angebracht. "Seit principes nämlich die Last auf sich gebürdet haben, das römische Reich zu lenken und zu leiten, bestand die ehrenvolle Tradition, dass junge Männer aus vornehmen Häusern und um das Reich und die Stadt verdienten Familien als candidati principis mit besonderer Empfehlung des Kaisers die Wahlen zum Cursus Honorum bestritten." Ein Faktum. "Die Zeiten haben sich geändert und wo einst Herkunft und Abstammung Nobilität und Exzellenz sicherstellten, so wird die Gunst des Kaisers - und seiner rechten Hand - heute allein durch sichtbare Dienste und Verpflichtungen erworben. Gewiss die weitsichtigere Einrichtung der Dinge, tragen doch tätige Verpflichtungen in weit größerem Ausmaße dazu bei, den Ruhm des Reiches und seines princeps zu mehren, als bloße Abstammung und Herkunft das je zu tun vermochten." Eine letzte Pause vor der finalen Entscheidung. "Deshalb ersuche ich dich, Praefectus, in deiner Funktion als Stellvertreter unseres geliebten Kaisers, mich als candidatus principis für das Amt eines tresvir aere argento auro flando feriundo zur kommenden Wahl zuzulassen und meinen Namen auf die Liste der vom Kaiser empfohlenen Kandidaten setzen zu lassen. Ich bin mir des Ausmaßes dieser Bitte wohl bewusst und stünde, entschiedest du dich, dieses Ansuchen zu erfüllen, tief in deiner wie des Kaisers Schuld und täte mein Bestes, mich der mir erwiesenen Gunst würdig zu erweisen. Als gegenwärtiges Unterpfand meiner Dankbarkeit und Versicherung weit größerer Dienste in kommenden Zeiten, möchte ich dir eine erlesene Statue aus Attika zum Geschenk machen, ein Meisterwerk griechischer Handwerkskunst, an dem dein Auge gewiss Gefallen finden wird."