Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    "...auf dass der Imperator wieder genesen möge." In der flavischen Loge, welche im Amphitheatrum Flavium naturgemäß besonders geräumig und prächtig ausgefallen war, neigte sich Flavius Flaccus, Sproß eben jener Gens, welche auch die Erbauer dieses unfassbar gewaltigen Bauwerks hervorgebracht hatte, nachdenklich und mit gerunzelter Stirn zu Myson, seinem greisen griechischen Leibsklaven, der sich, wie üblich, direkt hinter der Liege seines Herren niedergelassen hatte, und flüsterte jenem zu: "Das geben die Götter! Aber die Hoffnung schwindet mit jedem Tag der seltsamen Abwesenheit des princeps. An eine Krankheit glaubt doch schon lange niemand mehr...." Die Augen immernoch gebannt auf das Geschehen in der Arena gerichtet, tastete Flaccus mit den Fingern nach einer Weintraube, welche er, als er sie erfolgreich aufgespürt hatte, langsam in den Mund schob, seine volle Konzentration den Rufern widmend, welche die Worte des Aureliers zeitversetzt weitergaben, um jenen so gut wie möglich zu folgen. Erst nachdem der Aedil das Opfer für Apollon angekündigt hatte, und sich anschickte das Opfertier, wenigstens pro forma, zu begutachten, ließ der junge Flavier seinen Blick über die Ränge der Arena schweifen, wo sich eine schier unzählbare Masse an Zuschauern eingefunden hatte, um den kommenden Spektakeln beizuwohnen. "Weißt du ...", richtete er seine Worte wieder an den Griechen, während er seinen Blick weiter über das bunte Menschenmeer wandern ließ, " ... es ist schon unglaublich, wie leicht man sich das Volk, wenigstens für den Augenblick, zum Freund machen kann. Aber schon nach wenigen Tagen, spätestens einigen Wochen, sind selbst die großartigsten Spiele wieder" Plötzlich stockte Flaccus, als er in der Gegend der senatorischen und patrizischen Logen, obwohl etwas im Schatten verborgen, ein bekanntes Gesicht erblickte. In einem roten Seidenkleid mit funkelnden goldenen Spangen erkannte er Flora, und konnte sich nur mit Mühe zwingen, den angefangen Satz zu beenden, so erfreut war er über den unerwarteten Anblick und die Aussicht auf ein, wenigstens kurzes, Treffen, hatte er doch in letzter Zeit nur wenig von ihr gehört. "...vergessen."

    Schweigend hatte sich Flaccus in die gewaltige Schlange eingereiht, die das Haus des Praefectus Urbi gleichsam belagerte und rückte nun nur langsam und zäh vor. Einziger Trost an der langen Wartezeit schien dem Flavier, dass er offenbar in jene Gruppe der Bittsteller eingegliedert worden war, die zu dem Praefectus Urbi persönlich vorgelassen werden sollte, wo doch eine nicht geringe Zahl an Clienten lediglich mit sportulae abgespeist wurde. Nach einiger Zeit schließlich kam er bis zum Stuhl, nein eigentlich wäre Thron der weitaus passendere Name, in welchem der Salinator, umringt von Scribae und Nomenklatoren, einem persischen König gleich, trohnte und gleichsam Audienz hielt. Etwas zögernd trat der junge Flavier schließlich den finalen Schritt vor den Vescularier hin, welcher ihn nun klar von der hinteren Schlange trennte, anzeigend, dass er nun an der Reihe war, seine Bitten vorzutragen.


    "Salve Praefectus.", grüßte er den Hausherrn und schloss seinen Worten eine knappe Verbeugung an, um seinem Respekt Ausdruck zu verleihen - sein gesamtes Verhalten an jenem Tag hätte keinen stärkeren Kontrast zu dem letzten Besuch in der Casa Vescularia darstellen können. "Ich danke dir für deine kostbare Zeit und deine Bereitschaft, meine Worte anzuhören.", begann er, in mäßigem Tempo zu sprechen, weder langsam noch schnell, wohl aber so zügig, dass Salinator gewiss nicht den Eindruck bekam, der junge Mann würde seine Zeit verschwenden. "Wenn du es erlaubst, will ich nun mein Anliegen vortragen, dessen Erfüllung oder Ablehnung allein in deinen Händen liegen." Nochmals demonstrierte der Flavier klar den Sinneswandel, der sich offenbar bei ihm vollzogen hatte, als er die Erlaubnis des Vesculariers erbat, seine Bitte vorzutragen.

    Wenngleich in einer nicht wirklich unterwürfigen, wohl aber im Vergleich zum letzten Mal doch sehr nachdenklichen Haltung suchte Flavius Flaccus die Casa Vescularia sehr früh an jenem Morgen auf. In eine schlichte, helle Toga gekleidet, machte er an der Seite seines alten griechischen Leibsklaven einen fast erschöpften Eindruck, als er sich in die Reihe der Klienten und Bittsteller eilte, in der Hoffnung, zu Salinator vorgelassen zu werden. Langes Grüblen hatte ihn zu diesem unwürdigen Schritt genötigt, den er nun zu setzen als die letzte Möglichkeit ansah. Der princeps schien seine gesellschaftlichen wie moralischen Verpflichtungen völlig abgetreten zu haben, sodass der Vescularier, wie Flaccus erschütternd erkennen musste, nun tatsächlich der mächtigste Mann des Reiches war und somit der einzige, der sein Vorhaben ermöglichen konnte. Etwas nervös strich er die Falten seiner Toga entlang und ging in Gedanken nochmals seinen Plan durch. Die vier Nubier mit der Statue hatte er vor der Haustür positioniert, woher sie Myson leicht herbeiholen konnte, sollte sich überhaupt eine Möglichkeit dazu bieten.

    Allmählich kam Flaccus wieder gänzlich zu Sinnen und begriff nun erst, da das Mädchen sich einige Schritte entfernt an einer Kline zu schaffen machte, dass er sich irgendwie in eine gänzlich unstandesgemäße Situation gebracht hatte, wenngleich die genauen Umstände, die zu seiner misslichen Lage geführt hatten, sich seinem Geist noch nicht zur Gänze erschlossen. Was sich seinem Geist allerdings sehr wohl zur Gänze erschloss, waren die schließlich mit Erfolg gekrönten Bemühungen der jungen Frau, eine der unzähligen herumstehenden Klinen heranzuschleppen. Als sie sich dann jedoch neben dem immer noch am Boden liegenden Flavier niederließ und eine Hand unter seine Wange schob, irritierte das den jungen Aristokraten doch ein wenig. Mittlerweile war er nämlich wieder bei klarstem Bewusstsein, und dass die junge Frau ihn nur wenige Momente zuvor in derselben Weise berührt hatte, war ihm schlichtweg entfallen. Und so drehte er seinen Kopf etwas zur Seite, wo nunmehr einige nackte Zehen in sein Blickfeld kamen, die munter herumwackelten. Mit einem seufzenden Keuchen regten sich schließlich sämtliche Glieder des jungen Flaviers, als jener sich langsam aufrappelte und dabei einige unverkennbare Laute der Schmerzensäußerung von sich gab, ehe er es schließlich auf die Liege geschafft hatte, von wo er nun einen Überblick über das strahlend weiße Stoffmeer zu seinen Füßen hatte und das Geschehene langsam zu rekonstruieren vermochte. Fragend musterte er die junge Frau und deutete auf die Stelle, wo er noch vor wenigen Augenblicken gelegen war: "Hast du ...", nur zögernd und etwas misstrauisch kamen ihm die Worte über die Lippen, "Ich meine, bin ich deinetwegen ...?" Nochmals blickte er auf den kalten Boden, als ob sich seine Sätze dadurch von alleine vervollständigen würden. Dann jedoch blickte er erneut in das Antlitz der Sklavin, denn um eine solche musste es sich zweifelsohne handeln, stellte er schließlich fest, und erwartete eine Antwort auf seine fragmentarischen Fragen.

    Langsam schien ein gewisses Maß an Kontrolle über Geist und Körper gleichermaßen zurückzukehren, wenngleich die Lebensgeister noch in durchaus chaotischer Weise durcheinander tummelten, sodass klare Gedanken nur langsam die Oberhand im Kopf des jungen Flaviers gewannen. Und doch nahm er wahr, dass die schlanke Hand, bisher einladend ausgestreckt langsam nieder sank und er wollte aufschreien, die Hand ergreifen, sie zurückhalten, nicht alleine bleiben in dieser seltsamen Zwischenwelt zwischen Elysium und Delirium, doch sein Mund blieb stumm und lediglich sein Blick folgte flehentlich der sinkenden Hand. Nicht aber um sich endgültig zu entfernen und den bewussten Sphären flavischer Wahrnehmung gänzlich zu entziehen, war die Hand gesunken, sondern um sich dadurch in viel wunderbarer Weise erneut zu nähern, doch es vergingen einige Augenblicke, ehe Flaccus das zu begreifen vermochte. Dann allerdings fühlte er die zarte Berührung an seiner Wange und ließ sich leiten von einem sachten Druck, der seinen Blick erneut zu jenem hübschen jugendlichen Antlitz führte, in dessen braunen Augen er seine eigenen zu erkennen glaubte. Sollte es also doch lediglich ein anmutiges Traumbild sein, trügerisches Produkt seines angeschlagenen Geistes, entflohen der elfenbeinernen Pforte? Doch er konnte es ja fühlen, ein sanftes Streicheln an seiner Wange, das aufmunternde Lächeln, die flüsternden Lippen, deren Botschaft zu entschlüsseln den jungen Mann einige Momente kostete. Dann allerdings glaubte er Worte zu erkennen, aneinandergefügt zu Sätzen, die Sinn machten! Schließlich begriff er, dass jenes anmutige Wesen mit ihm sprach, ohne allerdings einen einzigen Laut über die Lippen zu bringen. Und so wuchs die Verwirrung des Flaviers, ob jener flüsternden, Frau mit kurzen Haaren, in gleichem Maße jedoch auch die Freude, Gesellschaft in dieser seltsamen Situation gewonnen zu haben. Und diese Freude über die Nähe der jungen Frau, so sonderbar die Umstände auch sein mochten, manifestierte sich zunächst in einem leichten Lächeln, das die zarten Lippen des jungen Mannes bildeten, während sein Blick gebannt den dunklen Augen verhaftet blieb. Und da sein Geist noch immer verweigerte, passende Worte zu erfinden und ihn somit ziemlich im Stich ließ, tat er das Einzige, wodurch er sich in der Lage sah, seine Zuneigung auszudrücken. Er erwiderte die Berührung. Langsam hob er seine Hand, bis er schließlich an der Wange der jungen Frau angelangt war, wo nun auch er sachte mit dem Daumen über die zarte Haut streichelte. Als Spiegelbild ihrer selbst.

    Und wieder einmal oblag es Macer in seiner Aufgabe als Tutor, den jungen Flavier für das politische Leben gleichsam zu formen und zu bilden, dessen übersprühende Leidenschaft für republikanische Ideale jedoch etwas zu dämpfen. Dennoch schien er im Grunde derselben Meinung zu sein und interessiert folgte Flaccus den Erklärungen des Consuls, während er mit ihm Schritt hielt. Dann jedoch stellte jener eine überaus sonderbare Frage, die den Flavier einen kurzen Moment lang etwas verdutzt machte. Selbst der rein hypothetische Auftrag, er solle herausfinden, wo sich ein bestimmter Senator im Moment aufhalte, war doch in seiner Art so ungewöhnlich, dass der Purgitier einige Augenblicke auf die Antwort warten musste. "Also, ich würde einige Sklaven losschicken ...", begann er dann zögernd, " ... die sich auf den Straßen umhören sollten oder im Haushalt des Senators. Es würde höchstens einige Stunden dauern, um den Aufenthaltsort mit Sicherheit bestimmen zu können ...", mutmaßte er schließlich, denn tatsächlich hatte er natürlich keinerlei Erfahrungen im systematischen Aufspüren von Menschen, solche Aufgaben übernahmen für gewöhnlich Sklaven oder die Klientel.

    gratus et optatus.


    Trist waren die letzten Tage des Quintus Flavius Flaccus dahingekrochen, hatten sich, einer zischelnden Natter gleich, den gewaltigen Berg der Zeit herabgeschlängelt, kreuchend und fleuchend ihren Weg suchend, stets geprägt von einer gewissen Melancholie, die selbst die mit zarter Gewalt sich anbahnenden Boten des Frühlings in ihre tiefschwarze See aus hoffnungsloser Schwermut hinabgezogen hatte. Obgleich den ganzen Tag von Hundertschaften an Menschen umgeben, fühlte er sich mehr umzingelt denn umsorgt, und inmitten der Geschäftigkeit am Forum verspürte er lediglich eine schier endlose Einsamkeit, Ausdruck einer unendlichen, pechschwarzen Leere, den düstersten Tiefen des Arvernersees gleich, die sein Innerstes erfüllte. Bedrückt ließ er sich vom unaufhaltsam zermalmenden Strom der Tage dahintreiben, aufreiben durch unzählige Pflichten als Spielball der grauen Mächte des Alltags. Sinnierend lag er auch an diesem Abend hingebreitet über den rauen, feingliedrigen Mosaikboden seines Cubiculums, welchen er dem weitaus bequemeren Bett vorzog, vermochte doch die Kälte des Bodens, die langsam in seine Glieder kroch, seine Stimmung in unvergleichlichem Maße zu intensivieren, und die kleinen bunten Steinchen, die sich, lediglich durch eine zarte Tunika von der nackten Haut getrennt, stechend in seinen Rücken drängten, durch den, bei längerem Verweilen unweigerlich sich einstellenden, Schmerz, den Flavier wenigstens davon abzuhalten Somnus' Reich anheim zu fallen, und seine grübelnden Gedanken auf diese Weise vorschnell zu einem süßen Ende zu bringen. Denn in den trügerischen Mantel der Süße hüllte sich die Bitterkeit des Schlafes, doch nur Tore unterlagen den widersinnigen Verlockungen und falschen Versprechen nach Erlösung durch des Todes Bruder. Hingeben konnte er sich ja immer noch, den Verlockungen unterliegen - nichts leichter als das! Doch ein kleiner lebendiger Keim sproßte noch in der Düsternis der Trostlosigkeit der flavischen Seele, eine winzige Regung leistete der allverschlingenden Schwärze zarten Widerstand, ein Licht erglomm in der Finsternis. Das flackernde Licht des Durstes nach Erkenntnis war es, das tief drinnen den Kampf noch nicht gänzlich aufgegeben hatte, und den Urgrund der Betrübnis zu ergründen trachtete. Und doch vermochtete der Geist die Nebel der Verblendung nicht zu lichten, durch die Schatten der Verwirrung vorzudringen in die Gefilde des Lichts und der Erkenntnis und irrend huschte er über die Abgründe der Täuschung, wiewohl doch die Antwort so klar und strahlend leuchtete, dort am Berg der Weisheit, zwischen den Strömen des Verstands und der Begierde. Tatsächlich musste der Grund allen Unmuts in der bedrückenden Einsamkeit zu finden sein, denn tot, oder durch Meere und Gebirge getrennt waren jene Menschen, denen er sich verbunden fühlte, der einsame Wanderer in den Schatten der Verwirrung, in der Finsternis der Isolation. Tot war der Mentor, tot der Vater - fort war der Freund, fort die Liebe. Was zurückblieb, war der verzweifelt Irrende, der Suchende in den Nebeln der Verblendung. Nicht immer jedoch war die Düsternis so dicht, die Abgründe so unüberwindbar erschienen, denn mitunter hatte strahlender Sonnenschein die Nebelfetzen durchdrungen und zarte Klänge einer besseren Welt waren über die Tiefen geweht, aus der Ferne hatte der Wanderer wunderschöne Wesen erblickt, Nymphen gleich in grünem Kleid, Blumen in bunter Pracht. In Trance war er zugeschritten auf diese wundersamen Erscheinungen die so verlockend erschienen, voll Güte und Freude, Boten einer freundlichen Welt, doch mit einem Schlag - und wie Donner toste es im Himmel und hallte wider an den Hängen der uralten Berge - in grausige Fratzen verwandelten sich die Nymphen und unüberwindbar war plötzlich der Abgrund, der eben noch von zartem Tau umspannt schien. Und wie er sichs versah, hatte die Einsamkeit den armen Wanderer erneut gepackt mit aller Kraft, mit grausamer Gewalt. Und so irrte er wieder alleine in der Finsternis umher, und erkannte doch nicht, woran es ihm mangelte: einem Freund.


    "Aber Herr, du wirst doch nicht den ganzen Abend so zubringen wollen?", erscholl eine wohlbekannte Stimme in den Räumlichkeiten des Quintus Flavius Flaccus und durchbrach die bereits gespenstisch anmutende Stille mit warmen, griechischen Worten. Patroklos, einer der jüngeren Sklaven, er mochte wohl ungefähr im selben Alter wie sein Herr sein, durschritt das Cubiculum mit großen Schritten und blickte dann vergnügt auf den am Boden Liegenden herab. "Heute ist doch das Fest des Bacchus - es wäre ja unverantwortlich, den Gott zu beschämen...", ein schelmisches Grinsen lag über seinen Zügen, als er sprach. Langsam öffnete Flaccus die Augen und wähnte sich wie aus einem langen Traum erwacht. "Bacchus sagst du?" Eifrig nickte der junge Grieche, der in seinem ganzen Leben jedoch keinen anderen Ort als Rom gesehen hatte. Schwerfällig zog sich der junge Flavier auf eine Liege, wo er erschöpft liegen blieb und mit einer Hand seinen schmerzenden Kopf massierte. "Dann hol' Wein!", wies er dann den Sklaven an, "Und bring ein paar Gaditanae." Die Tänzerinnen würden ihn hoffentlich auf andere Gedanken bringen. "Nein, halt. Bring nur Aglaia mit.", wies er Patroklos an, ehe jener dienstbeflissen aus dem Zimmer eilte, um die gewünschten Dinge herbeizuschaffen. Was sich Flaccus davon erwartete, wusste er selbst noch nicht so genau, doch eines stand fest - der Wein würde die Trübsal fortblasen und Aglaia ... ihm auf andere Weise Erleichterung verschaffen.

    Flaccus bemerkte nichts von dem für einen Moment überaus amüsierten Gesichtsausdruck der jungen Sklavin, er bemerkte nicht, dass sie kurz entschlossen ihre Sandalen auszog und nackten Fußes über die wallenden Stoffbahnen hinweg eilte, ja er bemerkte nicht einmal, dass sie ihm ihre schlanke Hand entgegenstreckte, wohl um ihm wieder auf die Beine zu helfen. Mit weit ausgebreiteten Armen lag er da, und versuchte vergeblich, Herr seiner Sinne zu werden, denn immernoch tanzten funkelnde Himmelskörper und strahlende Gestirne vor seinen Augen in bunter, ekstatischer Weise. Ob der düsteren Schwärze die seinen Geist benebelte und alle Sinneseindrücke in sich aufsog, bemerkte er auch nichts vom stummen Geflüster der Sklavin und wurde auch ihrer entschuldigenden Miene nicht gewahr, selbst ihre Vorstellung nahm er nicht wahr. Ganz langsam öffnete er schließlich doch die Augen, in der Furcht bereits an den Strömen des Elysiums sich wiederzufinden, von wohltönender Musik umschmeichelt, doch lediglich ein grelles Licht, ein Meer aus Reizen, und doch gleich einem einzigen gewaltiger stimulus schien direkt durch die dunklen Pupillen in seinen Kopf zu drängen und ließ ihn die ohnehin nur halb geöffneten Lider sofort wieder senken. Einige Momente atmete er nur langsam keuchend, ehe Flaccus in einem zweiten Versuch seine Augen vorsichtig öffnete und diesmal nicht sofort vom grellen Reiz des Tageslichts übermannt wurde. Behutsam versuchte er also seine Umgebung wahrzunehmen und bemerkte zunächst eine schlanke Hand, die sich ihm in nächster Nähe entgegenreckte. Es war eine durchaus hübsche Hand, die Lust auf mehr machte, denn Hände pflegten schließlich nicht ganz alleine aufzutauchen. Langsam, um seine eben erst wiedergewonnenen Sinne nicht durch übermäßige Geschwindigkeit zu beleidigen, folgte er mit seinem Blick dem Handrücken empor bis zum Handgelenk und ließ ihn daraufhin langsam den sich daran anschließenden Unterarm entlang wandern. Schlussendlich gelangte er an das Ziel seiner Betrachtung in Gestalt eines jungendlichen Antlitzes, das sich ihm als ein völlig unbekanntes darbot. Wiewohl er nun versuchte die Züge der jungen Frau, denn um eine solche handelte es sich zweifelsohne, selbst wenn ihr Haar zur vollkommenen Verwirrung des jungen Flaviers seltsam kurz geschnitten war, in sinnvollen Bezug zu seiner eigenen Person zu bringen, gestaltete sich diese Unternehmung als eine überaus anstrengende und schlussendlich obendrein vergebliche. Langsam kamen ihm doch Zweifel, ob er sich nicht doch bereits jenseits der Ströme der Unterwelt befand, wo sich gewiss unzählige Menschen und Schatten tummeln mussten, sodass es vermutlich nicht verwunderlich war, wenn er ein über ihn gebeugtes Antlitz nicht einzuordnen vermochte. In solchen Überlegungen gefangen, ließ Flaccus seinen Kopf langsam zur Seite fallen, um nun endlich in ernüchternder Weise festzustellen, dass er offenbar durchaus noch in den Gefilden der Lebenden weilte, vorausgesetzt, die Unterwelt war nicht nach Art der flavischen Villa eingerichtet, denn in jener befand er sich zweifelsohne, es sei denn seine verwirrten Sinne gaukelten ihm lediglich ein Trugbild vertrauter Umgebung vor. Grübelnd versuchte Flaccus einen Ausweg aus dieser seltsamen Situation zu finden und nach einigem Drehen und Wenden kam er schließlich zu dem unvermeidlichen Schluss, dass Gewissheit über sein Befinden wie auch über alle anderen Dinge wohl untrennbar mit jener unbekannten jungen Frau verknüpft waren, die wohl noch immer neben ihm weilte, jedenfalls konnte er aus den Augenwinkeln seines zur Seite gefallen Kopfes ein Paar nackter Füße erspähen, die selbst sein angeschlagener Geist mit der schlanken Hand und dem unbekannten Antlitz in Verbindung zu bringen vermochte. Wiewohl nun feststand, welcher Ausweg aus dieser Situation genommen werden musste, vermochte Flaccus doch nicht die Initiative zu ergreifen, denn immernoch konnte er kaum einen klaren Gedanken fassen und so wollte ihm einfach kein passendes Wort in den Sinn kommen, um jene seltsame junge Frau anzusprechen.

    Tapsend hallten die schnellen Schritte von Flaccus durch die Flure der flavischen Villa als jener, angetan in die Tunika mit breitem Purpurstreifen und lange Toga mit kompliziertestem Faltenwurf, seine übliche dignitas und gravitas aufgegeben hatte und reichlich ungravitätisch durch die Gänge eilte. Grund für diese Hast war ein Gerichtstermin in der Basilica Ulpia, der überaus interessant werden würde, und den der junge Flavier sich deshalb um keinen Preis entgehen lassen wollte. Das kleine Problem an der Sache war, dass die Verhandlung wohl jeden Moment beginnen würde, und gerade der Vertreter der Klage ein überaus gelehrter Mann zu sein schien, dessen Rede Flaccus unbedingt hören hatte wollen, zumal der Fall auch von gewissem öffentlichen Interesse war und schon seit geraumer Zeit fieberhaft erwartet worden war. Gerade als die purpurfarbenen, mit elfenbeinernen Halbmond-Spangen bestückten calcei also den jungen Aristokraten um die Ecke trugen, ja geradezu in atemberaubendem Tempo stürmen ließen erkannte jener, natürlich viel zu spät, um noch ernsthafte Gegenmaßnahmen zu unternehmen, dass ein gebeugtes Etwas den Weg versperrte, sodass der junge Aristokrat mit vor Schrecken geweiteten Augen und einem lauten "AAAAAAAaaaaaaah!" nicht nur über die in die Knie gegangene Sklavin stolperte, sondern vielmehr über sie hinwegsegelte (betrüblicherweise in einer außerordentlich unästhetischen Weise) und schließlich mit einem dumpfen und äußerst schmerzhaft klingenden Aufprall auf der Schnauze landete. Die meterlangen Bahnen der Toga hatten sich bei dem kurzen Flug und dem unvermeidlichen Absturz nicht nur gelöst sondern in überaus dramatischer Weise abgewickelt, sodass nun ein breites weißes Stoffband die Flugbahn des Flaviers nachvollziehbar machte und in einem Knäuel, aus dem noch ein paar purpurfarbene Farbtüpfelchen der Tunika hervorblitzten, rund um den Gefallenen, endete. Einige Momente blieb Flaccus einfach regungslos am Bauch liegen und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Das dumpfe Dröhnen in seinem Kopf und die glitzernden und blinkenden Sternchen, die er in der pechschwarzen Finsternis seiner geschlossenen Augen zu erkennen glaubte, gestalteten dieses Vorhaben jedoch als ausgesprochen schwierig. Mit undefinierbaren Lauten der Schmerzes rollte sich der junge Mann sodann in einer einzigen, langsamen Bewegung auf den Rücken und blieb mit ausgebreiteten Armen am kalten Steinboden liegen.

    Mit gerunzelter Stirn versuchte Flaccus, nachdem er aufgeschlossen und sein Wissen über die Organisation der Senatssitzungen zum Besten gegeben hatte, seine Aufmerksamkeit auf die Worte des Consuls wie auf die Wegränder und besonders Straßenecken gleichermaßen zu richten. Offenbar schienen die idealistischen Vorstellungen, die der republikanische Geist des jungen Aristokraten pflegte, nicht ganz der bitteren Realität senatorischen Pflichtbewusstseins zu entsprechen, jedenfalls skizzierte der Purgitier ein gänzlich konträres Bild der aktuellen Lage. Allerdings schien der Consul selbst jedoch mit den momentanen Verhältnissen nicht gänzlich einverstanden zu sein, jedenfalls schwang in seiner Stimme deutliche Missbilligung des gegenwärtigen Zustands mit. Als Macer also abbrach, ohne eine direkte Frage an Flaccus zu stellen, fasste jener das durchaus als Einladung, seine persönliche Meinung zu dieser Thematik kundzutun, auf. "Also für mich stellt es die größte nur erdenkliche Ehre dar, die Möglichkeit, ja vielmehr die Aufgabe und Pflicht zu haben, das Schicksal Roms im Senat zu lenken. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass jemand irgendwelche anderen Dinge dieser höchsten und ehrenvollsten Tätigkeit vorzuziehen auch nur in Erwägung ziehen kann. Wer solch banale Dinge - und verglichen mit dem Beiwohnen der Senatssitzungen sind wohl nahezu alle Dinge banal - dieser höchst gewichtigen und überaus glänzenden Tätigkeit voranstellt, spricht sich selbst den breiten Purpurstreifen ab, reißt sich selbst den goldenen Ring vom Finger und verdient nicht den Namen "Senator" zu tragen.", so tat Flaccus in etwas leidenschaftlicher Weise seine eigene Auffassung römischen Pflichtbewusstseins, entsprungen den strahlenden Idealen vergangener Tage, kund.

    Die Götter. Zweifellos übten die kultischen Mysterien in ihrer Komplexität, in ihrer Feierlichkeit und nicht zuletzt in ihrem oft überschwänglichen Pathos eine gewaltige Faszination auf den jungen Flavier aus, und doch schien ihm die Frage des Legaten oder genauer noch die dahinterstehende Überlegung, jemand könnte lediglich den kultischen oder nur den politischen Weg beschreiten, geradezu absurd. "Aber man kann sie doch gar nicht voneinander trennen.", erwiderte er also bestimmt, denn sowohl die Priester als auch die Politiker handelten zum Wohle der res publica und so war das Staatsleben wohl auf das engste mit dem Staatskult verknüpft, sodass es eigentlich Pflicht der Senatoren war, den Göttern genügend Aufmerksamkeit teilwerden zu lassen, wiewohl die höchsten Priesterämter ohnehin nur den verdientesten Männern des Staates, die auch den ehrwürdigen Konsulat wenigstens einmal bekleidet hatten, zuteil wurde. "Natürlich gilt es, sich zunächst einen Namen in der Politik zu machen...", fuhr Flaccus also fort, wenngleich die Wortwahl etwas missverständlich war, denn einen Namen hatte er ja schon, und was für einen! Eigentlich galt es lediglich politische Reputation zu erwerben, denn sein Name sollte ihm eigentlich ohnehin den Weg durch den Cursus ebnen. - Sollte, denn in politisch derart vertrackten Zeiten wie diesen, in denen die ursprüngliche Ordnung und Struktur in geradezu absurder Weise verkehrt und auf den Kopf gestellt worden war, sodass edle Herkunft und Exzellenz der derben plebs zu weichen hatte, schien wenigstens die politische Strahlkraft der patrizischen Namen deutlich verblasst. "... die Aufnahme in eines der quattuor amplissima collegia wird sich dann, nach dem Willen der Götter, zu gegebenem Zeitpunkt einstellen.", erklärte der junge Mann selbstsicher und schlicht gleichermaßen. Denn tatsächlich hatte er keinerlei Zweifel, dass sein Weg ihn dereinst nicht nur an die Spitze des Cursus Honorum sondern in logischer Konsequenz auch in die höchsten Gefilde des Cultus führen würde. Bis dahin sollte es allerdings noch ein langer Weg sein, sodass es zunächst galt, sich den näher liegenden Dingen zuzuwenden, wie etwa dem geplanten Ausflug nach Kampanien. Etwas verwirrt nahm Flaccus das Stirnrunzeln des Legaten zur Kenntnis und fühlte sich dadurch fast vor den Kopf gestoßen, wie auch durch die folgenden Worte des Aureliers. Es lag schließlich rein gar nichts Verwerfliches an einer derart freundlichen Einladung und welche Absichten auch immer Ursus dem jungen Flavier, wenigstens in Gedanken, unterstellen mochte, sie hätten bei Flaccus wohl ein beträchtlich Maß an Entrüstung hervorrufen, allein, jener ahnte natürlich nichts davon und schrieb es der Umsicht und Liebe, die der Aurelier als Tutor für Flora hegen mochte, zu, dass er auf angemessene Begleitung für die junge Frau pochte.

    An der Seite des Purgitiers hatte Flaccus das Haus des Consuls verlassen und den Weg durch die Stadt begonnen. Zügigen Schrittes begleitete er Macer durch die ob der unzähligen Verkaufsstände und Schulklassen an den Straßenränden reichlich schmalen, verwinkelten und unübersichtlichen Gassen Roms, in denen in gewohnter Geschäftmäßigkeit das öffentliche Leben der Stadt pulsierte, gleich einem aufgewühlten Blutstrom, der die dünnen Adern eines feingliedrigen und überaus lebendigen Körpers kraftvoll durchstößt. Trotz des Lärms und des allgemeinen Trubels am Morgen gedachte der Consul offenbar, auch die Zeit des Gehens nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, sondern den "Unterricht", jedenfalls die politische Unterweisung seines Schützlings auch hier fortzusetzen. Einen Moment lang musterte der junge Flavier Macer schräg von der Seite, als jener ihn nach seiner Kenntnis einiger organisatorischer Komponenten von Senatssitzungen fragte. Ein Moment, der lange genug war, um die Aufmerksamkeit des jungen Mannes in verheerendem Maße von den Geschehnissen vor seinen Füßen abzulenken, denn just in diesem Moment schossen einige kleine Kinder um die Ecke, offenbar in eines der beliebten Fangspiele verwickelt, die Flaccus um ein Haar - lediglich ein beherzter Sprung zur Seite vermochte das nahezu Unvermeidliche zu verhindern - über den Haufen gelaufen hätte. Unbeirrt stürmten die Kinder weiter und auch der junge Aristokrat konnte mit einigen großen Schritten wieder aufschließen. Dennoch hatte der Zwischenfall seine Konzentration auf die Senatsthematik ein wenig beeinträchtig, sodass die Antwort nun etwas unbeholfener ausfiel, als geplant: "Also ... die Sitzungen werden grundsätzlich regelmäßig einberufen, der Senat kann aber auch ... ähm, quasi außerordentlich zusammenkommen, etwa aus konkreten Anlässen, oder wenn er als Gerichtshof tagt ...", Flaccus musste ein paar Atemholpausen einschieben, "Was die Anwesenheit der Senatoren anbelangt ... also die müssen sich - außer in der sitzungsfreien Zeit im Sommer - in Rom aufhalten, und an den Senatssitzungen teilnehmen .... außer natürlich sie sind vom princeps oder dem Senat als Legaten entsandt, oder müssen andere Aufgaben wahrnehmen, die ihre Abwesenheit in Rom erfordern...", versuchte er sein, ob des langen Griechenlandaufenthalts etwas eingerostetes, Wissen um die politischen Strukturen Roms zu verbalisieren.

    Ein juristisch geprägter Vormittag sollte es also werden und das kam Flaccus durchaus gelegen, denn gerade in diesem Bereich fühlte er für sich persönlich noch den größten Lernbedarf vor seinem tatsächlichen Eintritt in den Cursus Honorum. Als der Consul den Namen des Anwalts der Klage nannte, nickte der junge Flavier, denn Annaeus Repentinus war auch ihm als hervorragender Prozessredner durchaus bekannt. Zwar hatte er selbst den Annaeer erst einmal gehört und sich mit dessen offensichtlichem Hang zum Attizismus in der Rhetorik nicht gänzlich anfreunden können, doch zweifellos hatten seine Worte durch ihre Kraft und Klarheit einen bleibenden Eindruck auf den jungen Aristokraten hinterlassen. Die Aussicht auf den anschließenden Besuch der Thermen war Flaccus eine ebenso erfreuliche, konnte man doch gerade dort am besten beobachten, wie sich ein mächtiger Politiker in der Öffentlichkeit abseits der rostra zu verhalten hatte. "Das klingt ja wunderbar!", meinte er also, zögerte allerdings noch sich zu erheben, falls Macer noch etwas zur Sprache bringen oder seinem tiro ein kleines officium übertragen wollte.

    Nickend unterstrich Flaccus Floras Vermutung, dass der Grund der fehlenden Rafinesse des letzten Kampfes wohl im persönlichen Verhältnis der Gladiatoren zueinander zu suchen war. Natürlich würden zwei Menschen, die sich mehr oder minder gut kannten, ja vielleicht sogar eine Art von Freundschaft entwickelt hatten, kaum ernsthaft auf Leben und Tod miteinander kämpfen. Doch dieser etwas seichte Abschluss der Spiele konnte die überaus angenehme und erfreuliche Erinnerung an jenen Nachmittag mit Flora kaum trüben. Und schon ließ jene auch, beinahe beiläufig, ein Stichwort fallen, fast so, als ob sie Flaccus' Gedächtnis einen kleinen Stups verpassen wollte. Jene sonderbare Wette, die die Beiden ob des seltsamen Ausgangs der Spiele schlussendlich auch beide gewonnen hatten - ein Patrizier verlor nun mal nicht! - war ihm tatsächlich fast schon entfallen, nun jedoch mit aller Vorfreude wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. "Ja genau.", stimmte Flaccus Flora also zu, um sich dann an Ursus zu wenden: "Eine Wette, deren Einlösung deiner Zustimmung bedarf.", erklärte er, etwas weiter ausholend, "Ich werde nämlich in der nächsten Zeit meine Güter bei Paestum in Campania besuchen, und es wäre mir eine überaus große Freude, wenn ich Flora dort als meinen Gast willkommen heißen dürfte." Seine eigenen Wettschulden ließ er unerwähnt, denn die taten hier ja auch gar nichts zur Sache. Und ob der Integrität seiner Person, sowie der bloßen Würde seines Namens war der junge Aristokrat sich eigentlich auch relativ sicher, dass der aurelische Legat diesem Vorhaben gewiss den albus calculus hinzuwerfen würde.


    Urus' scherzhafter Kommentar zu des Flaviers Bekanntschaft in den weiblichen Kreisen Roms ließ jener seinerseits unkommentiert, wenngleich auch bei ihm ein etwas schelmisches Grinsen sich für den Bruchteil eines Augenblicks seiner Züge bemächtigte. Dann allerdings begann Serrana glücklicherweise ein Gespräch, welches von flavischer Seite einen etwas unglücklichen Anfang nahm, den die Iunia selbst jedoch elegant und souverän und zu Gunsten des jungen Flaviers überging. Glücklicherweise ergriff dann auch noch Flora das Wort und erkundigte sich nach dem Grund der iunisch-flavischen Bekanntschaft, sodass der etwas tollpatschige Beginn schon bald vergessen war.


    Betrübt nahm Flaccus zur Kenntnis, dass Tiberia Septima, die Gattin des Legaten, wohl nicht mehr erscheinen würde, hatte er sich doch bereits über die Möglichkeit gefreut, auch in tiberischen Kreisen unter den Verwandten seines Patrons weitere Bekanntschaften zu schließen, als Ursus nun erneut auf die Rennen zum Fest der Dea Dia zu sprechen kam, und somit die Konzentration des Flaviers auf diese kultische Thematik erzwang. "Mein Onkel, Piso, der bei der letzten Contio als Nachfolger von Furianus zum diesjährigen Magister der Arvalbrüder gewählt wurde, hat verkündet, dass die Festlichkeiten zu Ehren der Dea Dia heuer besonders groß und prächtig ausfallen sollen, sodass ich denke, dass durchaus zwei Gespanne je Factio an den Start gehen sollten. Es freut mich, dass die Aurata teilnehmen wird und ich werde dir die genauen Bedingungen so bald als möglich zukommen lassen.", versicherte der junge Flavier noch und langte nach einem gefüllten Weinblatt und ein wenig Brot.

    Zitat

    Original von Flavia Nigrina


    Die kultischen Geschehnisse coram publico hatten die Aufmerksamkeit des jungen Flaviers offensichtlich doch nicht unbeträchtlich in Beschlag genommen, denn erst einige Momente, nachdem Nigrina gesprochen hatte, wurde er, der nur mit halbem Ohr dem Gespräch gefolgt war, gewahr, dass seine Verwandte auch an ihn eine Frage gestellt hatte. Schnell blickte er die junge Frau an und versuchte in Sekundenbruchteilen zu repetieren, wonach sie eigentlich gefragt hatte. Ah ja. Rom. "Ja natürlich. Ich leiste im Moment ein Tirocinium Fori bei Purgitius Macer.", erklärte er knapp, und nahm einen Schluck Wein. Worüber sollte er schon großartig sprechen, er kannte Nigrina ja im Grunde kaum und der Aurelier, an dessen Seite sie wohl, sollte er sich nicht als völliger politischer Versager erweisen, eine geraume Zeit verbringen würde, hatte auf Flaccus einen eher ... simplen, um nicht zu sagen banalen, oder gar ordinären, gewöhnlichen Eindruck gemacht. Er war eben kein Flavier und es gab in der Tat wohl nur eine Handvoll Personen, deren Persönlichkeit in ihrer Größe und Einzigartigkeit an die der Mitglieder des flavischen Geschlechts heranreichen konnte. Oh, ja. Große Männer waren sie alle gewesen: Vespasian, Titus und auch (gerade) Domitian, der völlig unverdient und lediglich ob einer niederträchtigen Senatsintrige der damnatio memoriae zum Opfer gefallen war. Konnten sich seine Taten und Verdienste, man bedenke lediglich die militärische Festigung der Rheingrenze, nicht wenigstens mit denen seiner ruhmreichen Vorgänger messen, ja diese nicht gar überflügeln? Wie dem auch sei. Eins stand jedenfalls fest, solcher Ahnen konnte sich der Aurelier nicht rühmen. Und so bemerkte Flaccus auch wohlwollend die offensichtliche Nähe der beiden Geschwister. Ja, so sollte es sein - eine mächtige Gens musste zusammenhalten.

    "Daran besteht gar kein Zweifel!", warf der junge Flavier überzeugt ein, als Macer Rom ewigen Bestand voraussagte. Die Stadt am Tiber würde den Orbis Terrarum bis in alle Ewigkeiten beherrschen und dominieren, dessen war sich Flaccus völlig sicher. Nichtsdestotrotz würde ein besonders eifriger Senat diesem, vom Fatum bereits vor Urzeiten festgesetzten Lauf der Dinge, an dem selbst die unsterblichen Götter nicht zu rütteln vermochten, gewiss nicht hinderlich sein. Dann allerdings fuhr der Purgitier schon fort und ließ dabei, ob bewusst oder nicht mochte fraglich bleiben, ein Stichwort fallen. "Die begrenzte Zeit ... du sagst es.", meinte der Flavier, denn auch die Zeit des einzelnen Tages war schließlich begrenzt, und die nächsten Verpflichtungen, nach der morgendlichen Salutatio bahnten sich für den Consul zweifellos bereits an. "Wohin darf ich dich heute begleiten?", fragte Flaccus also höflich nach, voll Vorfreude auf einen weiteren Vormittag im Gefolge des Purgitiers, von dem er in der Zeit seines Tirociniums bereits in mannigfacher Hinsicht gelernt und profitiert hatte.

    Sim-Off:

    Ich hab kein Problem mit Warten. ;)


    Erfreut bemerkte Flaccus mit welcher Begeisterung Domitilla auf die Erwähnung von Poseidonia als seiner Heimatstadt reagierte. "Ja, ganz genau!", bekräftigte er sie noch, "Es ist wunderschön dort! Viel schöner als zwischen Misenum und Stabiae, wenn du mich fragst...", fügte er noch hinzu, denn er hatte nie verstehen können, warum lediglich der Golf von Neapel so einen ausgezeichneten Ruf genoss. Die Spuren der gewaltigen Katastrophe, die gerade einmal dreißig Jahre zurücklag waren dort immernoch allgegenwärtig. "Und die Tempel erst ...", er geriet ins Schwärmen, "Einer prächtiger als der andere! Auch das Theater und das Comitium sind wundervoll ...", fuhr er fort, nur um dann einzuwenden, "Natürlich nicht so prächtig wie das flavische hier in Rom, aber ganz überschaubar und behaglich!" Er grinste breit - es waren durchwegs positive Erinnerungen, die er mit seiner Heimatstadt verband. Dann allerdings konfrontierte ihn die junge Dame neben ihm auf der Steinbank mit einer Frage, die Flaccus durchaus nicht erwartet hätte. Welche Pläne er verfolgte, wollte Domitilla wissen, und klang dabei sehr erwachsen. Einige Momente blickte der junge Mann in die Weiten des flavischen Gartens, ehe er sich wieder zu seiner Verwandten wandte. "Also, ich werde wohl in den Cursus Honorum eintreten, und Politik machen, Reden halten und so." Wie langweilig das eigentlich klang! "Und irgendwann bin ich dann Consul.", fügte er noch mit breitem Grinsen hinzu. Dann deutete Domitilla auf die Schriftrolle, die Flaccus noch immer in der Hand hielt und fragte danach. "Das?", Flaccus rollte sie ein wenig auf, "Das ist die Odyssee ... hast du die schon gelesen?", freundlich blickte er Domitilla an.