Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Ursus ging mit einem lockeren Lächeln auf die Erwähnung der Gladiatorenspiele ein und glücklicherweise nahm Flora es auf sich, davon zu berichten, sodass Flaccus sich lediglich auf zustimmendes Nicken beschränken und in intensiverer Weise den köstlichen kleinen Häppchen widmen konnte, wurde er sich doch eigentlich erst jetzt, angestachelt durch die Appetitanreger, bewusst, wie hungrig ihn die Reise gemacht hatte. Und so konnte er durch einige Oliven sein Magenknurren etwas besänftigen, ehe Ursus nach einem durchaus bunten und interessanten Abriss über die Gepflogenheiten der Germanen den Rat an ihn richtete, er solle die Gelegenheit, so sich ihm denn eine böte, im hohen Norden tätig zu sein, keinesfalls ausschlagen, um dann auf Macer und dessen Auftrag zu sprechen zu kommen.


    Aufmerksam folgte der junge Flavier der knappen Aufzählung von Ursus' Aufgabenbereichen und nahm einmal öfter verwundert zur Kenntnis, dass offenbar nur sehr wenige der Senatoren intensivere Beziehungen zu Munizipal- oder Provinzstädten hegten, was Flaccus sich nur dadurch zu erklären vermochte, dass die Mehrzahl der befragten Männer offenbar direkt aus Rom stammte, oder aber die Verbindungen zu ihrer Heimat bereits relativ früh gekappt hatte. Mehr Gedanken vermochte er darauf jedoch nicht zu verschwenden, denn schon wartete der Aurelier mit einigen weiteren durchwegs ehrenvollen Positionen und Aufgaben auf, die er zu erfüllen hatte, und zeichnete so das Bild eines durchaus engagierten Senators, soweit das jedenfalls im Rahmen seiner momentanen Stellung als Legatus legionis der Prima möglich war. Ein kleines Steinchen aus dem bunten Mosaik schillernder Aufgaben griff Flaccus auf, wurde er sich doch just in diesem Moment gewahr, dass er sich auch noch um eine Sache völlig anderer, jedoch nicht minder wichtiger Natur kümmern musste. "Du sagst, du wärst Princeps der Factio Aurata?", lenkte er auf jenes Thema ein, welches nun gleichsam als Bindeglied den Konnex der beiden Aufträge zu bilden vermochte, "Als Frater Arvalis obliegt es mir, mich um die Pferderennen zum diesjährigen Fest der Dea Dia zu kümmern.", begann er, um dann sogleich die höfliche Anfrage anzuschließen, "Könntest du dir vorstellen, dass die Factio Aurata bei den Rennen an den Start geht?"


    Plötzlich wurde der junge Flavier jedoch gleichermaßen abgelenkt und unterbrochen, als er aus den Augenwinkeln wahrnahm, dass noch jemand den Raum betrat. Wiewohl sich gewisse Proportionen der Iunia seit ihrem letzten Treffen in sehr intersiver Weise verändert hatten, erkannte er seine mittlerweile hochschwangere Lehrerin natürlich sofort und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. "Salve! Vielen Dank, es geht mir wunderbar.", versicherte er, und, "Ich hoffe auch dir geht es,", ein fragender, fast schon besorgter Blick auf Serranas gewaltigen Bauch, "- den Umständen entsprechend - gut?", ehe er sich bewusst wurde, dass es vermutlich etwas unhöflich war, das am deutlichsten sichtbare Zeichen der Schwangerschaft so anzustarren, und mit einem - für den sonst so eloquenten Flavier durchaus ungewöhnlichen - verlegenen Lächeln hinzufügte: "Ich meine, du siehst prächtig aus, aber ..." Ohje, da hatte er sich vermutlich in ein ziemliches Schlamassel manövriert, doch soviele Erfahrungen im Umgang mit hochschwangeren Frauen hatte er noch nicht gemacht. Und dabei hatte er sich doch nur erkundigen wollen, ob es Serrana auch gut ging!

    Konfrontiert mit der plumpen Herablassung des Vesculariers, wanderte ob dessen Vermessenheit eine der flavischen Augenbrauen, durch die Ernsthaftigkeit im Ausdruck bereits zu einem sehr zarten Strich zusammengepresst, ein klein wenig nach oben, ehe Flaccus ein tonloses "Vale." hervorzupressen vermochte und ohne einen weiteres Wort wegtrat, um das plebejische Loch mit langen Schritten zu verlassen.

    Und erneut hüpfte Pheidippides bei den Iuniern vorbei, nachdem er ein ziemlich knappes Schreiben erhalten hatte.



    Q. Flavius Iuniae suae s.


    Es tut mir überaus leid, doch ich muss, denke ich, einige Dinge nochmals überdenken, und werde an den Feiern zu Ehren des Lupercus wohl doch nicht teilnehmen. Das soll aber für dich kein Hindernis sein, dem Fest beizuwohnen, ich habe gehört, es soll ein ziemlich vergnügliches Spektakel sein. Die Unsterblichen mögen dich schützen. Vale.

    Als Macer schmunzelnd einwarf, dass eine Gruppe von dreihundert Männern derselben Meinung ebenso nutzlos wäre, musste der junge Flavier sich mit Mühe eine Entgegnung verkneifen. Die nobelsten Männer Roms in völligem Einmut stellten seinen Überlegungen nach einen überaus beträchtlichen politischen Faktor dar, den selbst ein Kaiser nicht einfach ignorieren konnte. Dann allerdings erklärte der Purgitier seine differenzierte Sichtweise und konnte seinen Schützling durch seine klugen Gedanken überzeugen. Einig im Engagement, streitbar in der Sache.: Das klang gut - so etwa musste es wohl in den goldenen Zeiten der Republik ausgesehen haben. Doch diese seine wohl etwas verklärende Sicht der alten Ordnung öffentlich kundzutun, hütete Flaccus sich wohlweislich, war er sich doch nur zu deutlich bewusst, dass der soziale Aufstieg gerade seiner eigenen gens untrennbar mit dem Prinzipat als staatlicher Ordnung verknüpft gewesen war. Und die nächsten Worte Macers vermochten der ohnehin bereits auf ein außergewöhnliches Maß gewachsenen Bewunderung seitens des jungen Aristokraten noch einmal beträchtlichen Aufwind zu geben. Über allgemeine Sentenzen gelang es dem Consul, stets in den schillernden Farben der Moral und reichlich pathetischem Beiwerk, den ästhetischen wiewohl gleichsam auch den intellektuellen rhetorischen Sinn des jungen Mannes anzusprechen, und die Botschaft seiner Worte Flaccus auf diese Weise noch deutlicher vor Augen zu stellen. Begeistert nickte jener also, als Macer an das Ende seiner Erläuterungen gelangt war. "Ja, genauso muss es sein. Letztendlich liegt gerade in der Meinungsvielfalt das stärkste remedium gegen Willkür! Der leidenschaftliche Einsatz tritt also nahezu auf dieselbe Stufe wie die formalen Inhalte der Streitfragen!"

    Interessiert und aufmerksam folgte der junge Aristokrat den Erklärungen des Legaten über die Positionierung der ersten Legion. Die Prima war offenbar eine Art Schnelleingreiftruppe, für den Fall, dass es irgendwo brenzlig wurde, selbst wenn Flaccus sich bei den Ausmaßen des Lagers und der erahnbaren Truppenstärke eine so unkomplizierte Mobilität, wie Ursus sie dargestellt hatte, kaum vorstellen konnte. - Doch dass das römische Heer zu logistischen Meisterleistungen imstande war, hatte es in der Geschichte bereits oft genug unter Beweis gestellt. "Ich verstehe.", nickte er also auf die Ausführungen des Aureliers hin, und dann, "Nein, das Gebirge habe ich noch nie überquert, und wenn man den Geschichten auch nur ein wenig Glauben schenken darf, so sollte ich den Unsterblichen dafür wohl auch danken... Die Barbaren jenseits der ordnenden Macht Roms sollen tief in ihren germanischen Wäldern die ungeheuerlichsten Bräuche pflegen, hört man jedenfalls." Nicht, dass Flaccus viel auf das Gerede der Leute gab, aber die gebildeten Griechen waren ihm doch um einiges sympathischer, als die wilden Stämme im Norden.


    Plötzlich wurden kleine Häppchen und Obst gereicht, alles sehr geschmackvoll angeordnet und durchaus köstlich anzusehen. Wie durch ein Wunder wanderten auch immer gerade jene Leckerbissen in die Reichweite des jungen Flaviers auf die jener seinen Blick geworfen hatte. Dann kam Ursus jedoch auch schon auf die Politik und damit ein nicht minder interessantes Thema zu sprechen.


    "Ganz genau. Ich verdiene mir als Tiro des Purgitiers im Moment meine ersten politischen Sporen. Natürlich ist das erst die erste Stufe jener Laufbahn, die ich, ganz der väterlichen Sitte folgend, einzuschlagen gedenke. Auf dieses politische Lehrjahr des Tirociniums folgt dann, so die Unsterblichen meinen Vorhaben geneigt sind, zur nächsten Wahl die Kandidatur zum Vigintivirat und damit der eigentliche Eintritt in den cursus honorum.", erklärte Flaccus seine momentane Situation, sowie die nächsten Schritte in der Politik, um dann anzufügen: "Und wenn wir schon über den Consul sprechen: Er hat mich damit beauftragt, ein Bild über das öffentliche Engagement der Männer des Senats zu gewinnen. Gewiss nimmt dich deine Position als Legat hier in Mantua zur Gänze in Anspruch, doch gibt es, davon abgesehen, noch andere Dinge, die dich beim Volk in Erscheinung treten lassen, vertrittst du vielleicht die Interessen gewisser Städte als Patron?" War dieser knappe formale Punkt der Reise des jungen Flaviers erst geklärt, würde wohl auch jener den restlichen Abend in größerer Entspannung genießen können.


    Als Titus dann Flora aufforderte, sich doch auch am Gespräch zu beteiligen, musste Flaccus lächeln. Die militärischen und politischen Themen mussten für die aufgeweckte junge Aurelia vermutlich furchtbar langweilig sein. Als sie allerdings von ihren gemeinsamen Aktivitäten in Rom erzählte, und die Frage, ob sie sich nicht eigentlich angefreundet hätten, anschloss, nickte der junge Aristokrat. "Aber natürlich, wer könnte die Freundschaft einer so anmutigen jungen Frau auch ausschlagen?", wandte er sich mit einer rhetorischen Frage wieder an Ursus.

    Etwas angewidert verzog sich der Gesichtsausdruck des jungen Flaviers, als der Vescularier in schallendes Gelächter ausbrach. - Als einsame Insel würde er Attica nicht gerade bezeichnen ... Dann allerdings waren seine Züge wieder völlig ernst, als er einwandte: "Ich glaube du verstehst mich falsch. Ich habe bereits einen Termin zu einem Gespräch mit dem princeps, der mit dessen scribae vor Ort vereinbart wurde. Ich benötige lediglich noch ein Schreiben des Stadtpräfekten, um von den Praetorianern in Misenum auch vorgelassen zu werden.", versuchte er sein Anliegen nochmals zu erklären - wie hatte es so ein begriffststutziger Plebejer eigentlich nur in eine dermaßen hohe Position bringen können?

    Der Gesichtsausdruck des jungen Flaviers veränderte sich nicht im Geringsten, als Salinator eine heuchlerisch betrübte Miene aufsetzte, und auf die valetudo des Kaisers zu sprechen kam. Nüchtern erwiderte er also: "Ich bin mir dessen völlig bewusst, und doch ist er immer noch der princeps, bei den Göttern.", und erhob leicht die Stimme, erstmals einen marginalen Anflug von Emotion über die in seinen Augen fatale momentane Situation des Imperiums zeigend. "Natürlich hoffen wir alle auf eine möglichst balde Gesundung des Imperators, wir opfern den Unsterblichen und beten darum, und gewiss würde ich mich, ginge es um eine Frage, die die administrativen Strukturen hier in Rom betrifft, auch an den Stadtpräfekten, den Stellvertreter des Kaisers in Rom bei dessen Abwesenheit wenden. Doch mein Anliegen betrifft die Verwaltung Italias, und deshalb muss ich auch mit dem Imperator Caesar Augustus persönlich in dieser Angelegenheit sprechen."

    Mittlerweile reckten sich aus der Gruppe der Opferhelfer und Musikanten schon zahlreiche neugierige Hälse empor, um die Ursache des plötzlichen Stillstands der Prozession zu erkunden. Der wortführende Sklave blickte immer noch freundlich, wenngleich bereits etwas ungeduldiger zwischen den Soldaten hin und her. "Wo liegt das Problem, der vergöttlichte Augustus hat doch dem unsterblichen Apoll einen wunderbaren Tempel errichtet, auf dass das römische Volk ihm opfere ..." Die beiden Kerle konnten doch nicht ernsthaft dem Gotte ein Opfer streitig machen wollen - in Zeiten wie diesen!

    Flaccus' Miene nahm einen durchaus zufriedenen Ausdruck an, als Macer seine Ansichten lobte, wenngleich er bei den Worten "umständlich" und "weitschweifig" etwas die Stirn runzelte. Umfassend und detailreich wären Adjektive mit deutlich positiverer Konnotation, die er selbst seinen Worten zuschreiben würde. Doch sein Ausdruck konnte, obwohl in lateinische Worte gekleidet, den griechischen Einfluss im rhetorischen Stil wohl nur spärlich verbergen. Und doch war eine ausführliche Antwort, jedenfalls dem Empfinden des Flaviers nach, nichts verwerfliches. Nach diesem kurzen Gedankenspiel richtete Flaccus seine Aufmerksamkeit wieder völlig auf die Worte des Purgitiers, der seine Ansichten offenbar weitgehend teilte, ja selbst die offensichtliche Machtverschiebung, weniger zu Gunsten des Praefectus Urbi an sich, sondern vielmehr der konkreten Person von Vescularius Salinator, erkannte. Ja vielmehr als das, denn noch im gleichen Atemzug wartete der Consul auch mit einer in ihrer Simplizität genialen Gegenstrategie auf. Der Senat durfte dem Vescularier einfach keine Angriffsfläche bieten. Jeder einzelne Senator würde seinen Einfluss zur Gänze ausnutzen müssen. "Ich verstehe.", nickte Flaccus, "Aber dazu müsste der Senat als geschlossene Einheit auftreten - doch der Praefectus Urbi hat gewiss nicht wenige Freunde im Senat, die dessen Engagement bei Freiräumen von Plätzen keineswegs verurteilen, sondern vielleicht sogar begrüßen? Aber gerade eine solche Einheit wäre, so denke ich, in politischer Hinsicht notwendig, um einen gewichtigen Gegenpol zum Kaiser und seinem Stellvertreter in Rom zu bilden. Kann der Senat nicht klar Position beziehen, läuft er doch Gefahr, seine politische Berechtigung zu verlieren, oder sehe ich das falsch? Eine Gruppe, zusammengesetzt aus den dreihundert nobelsten Männern Roms, die lediglich die Dekrete des Kaisers formal bestätigt wäre doch im Grunde völlig nutzlos...", spann der Flavier ein hypothetisches Gedankenkonstrukt.

    Th. Mommsen, Staatsrecht Band III, 1. Teil. S. 463f.


    "Der Kreis der Nobilität umfasst die drei Kategorien der Patricier, der aus dem Patriciat unter Wahrung des Bürgerrechts ausgeschiedenen und der zu curulischen Aemtern gelangten Plebejer nebst ihrer Descendenz.


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    [*]Der Patricier kann unter keinen Umständen homo novus sein. Genau genommen kommt die Nobilität, namentlich insoweit sie mit dem Bilderrecht identificirt wird, (vgl. Sallust. Iug. 85, 25: quia imagines non habeo et quia mihi nova nobilitas est; Seneca ep. 44, 5: non facit nobilem atrium plenum fumosis imaginibus und de benef. 3, 28, 2; Juvenal 8, 19: tota licet veteres exornent undique cerae atria, nobilitas sola est atque unica virtus. Liv. 1, 34, 6; Cicero de l. agr. 2, 36, 100.) dem Patricier als solchem nicht zu (die Bezeichnung nobilis wird bei dem Patricier vermieden; er ist adlich und also nicht geadelt.), da er nicht nothwendig curulische Magistrate unter seinen Ahnen hat. Es zeigt sich hier der Grundgedanke der Institution: dem durch die Geburt Adlichen werden die durch Aemterrecht Geadelten gleichgestellt, den Bedingungen aber, welche der letzteren Kategorie den Adel gewähren, unterliegt der von Geburt Adliche nicht.
    [*]Der durch Emancipation aus der väterlichen Gewalt ausscheidende Patricier, nicht minder wer aus dem Patriciat zur Plebität übertritt, verliert damit wohl das Adelsrecht, aber es bleiben ihm seine Ahnen und er wie seine agnatischen Nachkommen gehören zur Nobilität. Die bereits in den Zwölftafeln sanctionirte und wohl noch weiter zurück reichende Emancipation ist ohne Zweifel der Ausgangspunkt der Nobilität gewesen: recht eigentlich ist sie der Quasi-Patriciat derjenigen plebejischen Häuser, welche sich mit Recht oder Unrecht betrachteten als aus den patricischen hervorgegangen. Auch von diesen Häusern gilt es, dass sie das Ahnenbilderrecht nicht nothwendig besitzen.
    [*] Seit die in dem patricisch-plebejischen Gemeinwesen zunächst den Patriciern vorbehaltenen ordentlichen curulischen Gemeindeämter bis hinab zur curulischen Aedilität den Plebejern zugänglich wurden, was zuerst im J. 387 d. St. bei dem Consulat eintrat, erlangte der Beamte mit dem Amt für sich und seine agnatischen Nachkommen die sogleich zu erörternden unter dem Namen der Nobilität zusammengefassten Rechte und begründet der "neue Mann" in seiner Descendenz ein neues Geschlecht römischen Erbadels."
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    Eher konträr verlief das Mienenspiel welches die zarten Züge des jungen Flaviers beim Verlesen der Zeilen vollführten. War er zu Beginn ein durchaus zufriedener, erklärte sich Axilla schließlich zu einem Treffen am Lupercal bereit, so verfinsterte sich sein Ausdruck schon wenige Augenblicke später schlagartig und blieb auch bis zum Ende des kurzen Schreibens ein überaus düsterer. Langsam trat er an die bemalte Wand neben der prächtigen Liege und ließ sich daran kraftlos zu Boden sinken. ... nachdem ich deinen Vetter Bekanntschaft mit meiner Faust habe schließen lassen. Die Worte waren eindeutig und doch offenbarte sich ihr Sinn dem zusammengesunkenen jungen Mann nur nach und nach. Wie konnte sie nur? Und wie konnte Piso - denn wen sollte sie sonst schon meinen - so etwas zulassen? Völlig aufgelöst blickte er den auf so seltsame Weise lächelnden Griechen an. Bei den Göttern, was auch immer Piso getan hatte, er war ein Flavier! Und einen Flavier schlug man nicht einfach so - niemand schlug einen Flavier! Einen Nachfahren von drei principes von zwei Göttern, wie konnte sie nur? Und dabei hatte er gedacht, sie wäre außergewöhnlich, besonders ...



    AAAAARGH. Mit einem wütenden Schrei verlieh Flaccus seinen Emotionen Ausdruck, Wut und Verzweiflung lagen darin und vermochte dadurch sogar das Lächeln auf Mysons Antlitz ersterben zu lassen. Er wirkte erschöpft, als er seinen Arm ausstreckte, um Wachstafel und Griffel zu erhalten. Verbissen starrte er die leere Fläche an, bis er mit einem Seufzen den stilus ansetzte.


    Einige Augenblicke später richtete er sich wieder auf, reichte Myson die Notizen: "Bring das zu Papier und lass es von Pheidippides zu den Iuniern bringen.", wies er den Griechen an. Nachdem jener den Raum verlassen hatte, ließ er sich mit einem tonlosen Seufzen auf die Cline fallen. Götter!

    Ernst blickte Piso drein, als er eine kurze Ansprache hielt - und das gefiel Flaccus. Ernsthaftigkeit passte sehr gut zur Würde, die das Amt des Magisters der Arvalen mit sich brachte. Die lausbubenhaften Gedanken hinter der ernsten Fassade konnte er zum Glück nicht erahnen. Auch der Inhalt der Worte war dem Anlass durchaus angemessen. Das Fest der Dea Dia sollte also so prachtvoll wie möglich ausfallen - dass Piso einen gewissen Hang zur Prächtigkeit hatte, war dem jüngeren Flavier bereits aufgefallen. Auch der Umstand dass er gedachte mit den Vorbereitungen in gewisser Weise bereits jetzt zu beginnen, empfand Flaccus als durchaus richtig, denn Gewissenhaftigkeit in den Vorbereitungen war schließlich Garant für ein erfolgreiches Gelingen der Feierlichkeiten. Einen kurzen Moment hielt er sich nach der Aufforderung seines Verwandten zurück, um nicht etwaigen Mitbrüdern, welche die Aufgabe möglicherweise mit etwas mehr Enthusiasmus verfolgt hätten, zuvorzukommen, ehe er sich schließlich meldete: "Ja, ich würde mich gerne darum kümmern.", erklärte er freimütig, und hoffte, durch seinen Einsatz einen positiven ersten Eindruck auf die Bruderschaft zu erwirken.

    Der wortführende Sklave mit dem strahlenden Gesichtsausdruck, dessen Stirn überdies bekränzt und dessen Haar mit wohlduftenden Ölen gesalbt war, ließ sich seine Fröhlichkeit nicht durch den Missmut des genervten Praetorianers rauben, schließlich war heute Festtag Apolls und an einem solchen Tag würde man wohl nicht in irgendeinem Tempel, sondern in dem Apollotempel am Palatin dem Gotte opfern. Während nun auch hinter ihm die Prozession zum Stehen kam, da der Weg nicht freigemacht wurde, die Flötenspieler jedoch munter weiter pfiffen, versuchte er der Wache nochmals sein Vorhaben zu erklären: "Wir sind das Gefolge von Quintus Flaccus aus der Gens der Flavier.", mit einer Hand wies er auf den jungen Aristokraten, der sich, ebenfalls prächtigst herausgeputzt inmitten des illustren Grüppchens befand, würde er doch in den kommenden Geschehnissen als Opferherr fungieren. "Und wir sind hier um an diesem glänzenden Tag Apollon Musagetes, dem Gott des Lichts, der Wahrheit und der Heilung in seinem Heiligtum am Palatin zu opfern.", fuhr er fort und strahlte den missmutigen Soldaten regelrecht an.

    Unübersehbar, da ziemlich protzig war der Zug des jungen Flaviers auf den Palatin hinauf. Etliche Sklaven mit verschiedenen Opfergaben, Musikanten und nicht zuletzt das munter herumspringende Zicklein inmitten des illustren Grüppchens gaben ein durchaus prächtiges Bild ab. Mit viel Pomp und Musik gelangte die muntere Runde schließlich auch am Eingang des Palatium Augusti an, wo einer der Sklaven vortrat, und seine Stimme über den allgemeinen Lärm hinweg zu erheben suchte. "Salve, wir sind hier um Apollo zu opfern!" - war irgendwie auch kaum zu übersehen.

    Voll gravitas und mit einem durchaus ernsten Ausdruck, schritt der junge Aristokrat an den Stuhl Vesculariers heran. Seine purpurfarbenen calcei waren unter dem Ende seiner hellen Toga prächtig sichtbar und in seinem ganzen Gebaren lag nicht der Hauch eines Anzeichens, dass der junge Mann in der Position eines Bittstellers sich befand. Auf Salinators Gruß hin, blickte Flaccus direkt in dessen braune Augen. "Salve, Vescularius, salve." Eine kleine Pause folgte, ehe der junge Mann in einem nüchternen, ja pragmatischen Ton fortfuhr. "Betrüblicherweise habe ich ein Schreiben deiner Kanzlei erhalten, das meine Anfrage nach einem Termin mit dem Praefectus Urbi in knapper Weise abgelehnt hat. Ich kann das verstehen, du bist natürlich ein vielbeschäftigter Mann ...", er sprach kalt, völlig ohne ironischen Unterton. "Und dennoch lässt sich diese Unterredung nicht vermeiden, denn du wirst gleich sehen, in meiner Angelegenheit bedarf es ausdrücklich der Autorität des Praefectus Urbi, doch alles nacheinander. In den nächsten Tagen werde ich nach Süden aufbrechen, um mein Landgut bei Paestum zu besuchen und dort nach dem Rechten zu sehen. Nun liegt Misenum, jene bezaubernde Hafenstadt, die unser vielgeliebter princeps als Residenz erkoren hat, glücklicherweise genau am Weg dorthin. Bereits vor einigen Tagen habe ich einen meiner vertrauenswürdigsten Sklaven dorthin gesandt, um für mich einen Termin zu einer kurzen Unterredung mit dem Imperator Caesar Augustus zu vereinbaren. Vorgestern hat mich die Nachricht erreicht, dass in Misenum zwar alles problemos verlaufen wäre, der Termin bewilligt etc. - es aber eines Schreibens des Praefectus Urbi bedarf, um, selbst bei vereinbartem Termin, zum princeps vorgelassen zu werden. Zwar offenbarte man mir nicht den Sinn einer solchen Anordnung, doch habe ich unverzüglich ein Schreiben an dich aufsetzen lassen, um einen Termin zu einer Unterredung in dieser Angelegenheit zu vereinbaren. Wie gesagt wurde diese Terminanfrage von deiner Kanzlei abgelehnt, mit dem Verweis, ich möge dich doch zur Salutatio sprechen. Nun, hier bin ich also, und ersuche, mir ein Schreiben, welches mir gestattet, zum Imperator Caesar Augustus vorgelassen zu werden, auszustellen."

    "Hmmm, ich verstehe.", machte Flaccus auf den Einwurf Macers und dessen Erklärung seiner eigentlichen Intention hin, nickend. Der Consul wollte offensichtlich das, seiner Meinung nach etwas verblasste, Ansehen des Standes in der Öffentlichkeit wieder zurechtrücken, ihm gleichsam den alten Glanz wiederverleihen. "Diese Fragestellung, mit welchem Engagement die einzelnen Senatoren tatsächlich ihren Verpflichtungen nachgehen, lässt sich wahrlich nur schwer beantworten.", begann der junge Flavier also zögernd, "Und würde wohl auch weit intensiverer Nachforschungen bedürfen ... diese wiederum könnten den Senatoren allerdings in einem gänzlich falschen Licht erscheinen, und einigen Unmut im Senat verursachen.", fuhr er vorsichtig fort. "Versteh' mich nicht falsch, ich teile deine Ansichten natürlich voll und ganz, doch ich habe in den zahlreichen Gesprächen mit Senatoren in den letzten Tagen einen durchaus ehrenvollen und rechtschaffenen Eindruck von den Männern des Senats gewonnen, und sehe auch keinen Grund, an ihrem Wort, oder gar ihrem Willen, sich mit ganzer Kraft für das Wohl der res publica einzusetzen, zu zweifeln.", versuchte er einen neutralen Standpunkt zu wahren, "Natürlich mag es einige Männer geben, die ihre persönlichen Interessen denen des Staates vorziehen, und dementsprechend auch wenig Zeit für diverse Vereinigungen, oder die Sorgen ihrer Klienten, aufbringen, doch handelt es sich dabei, meiner Meinung nach, um einen verschwindend geringen Anteil der Senatoren. Die Mehrzahl der Männer des Standes ist sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst, und versucht ihr auch nach allen Kräften gerecht zu werden. Ja, kann durchaus als Beispiel altrömischer pietas angesehen werden.", führte er seine Betrachtungen zu einem apologetischen Abschluss, um dann nach einer kurzen Pause erneut das Wort zu erheben. "Bedrohung für den Glanz des Senatorenstandes sehe ich vielmehr aus einer gänzlich anderen Richtung als vom Gerede des einfachen Volkes her, aufziehen.", begann er, denn er fühlte sich verpflichtet, dem Consul seine ehrliche Sicht der Dinge kundzutun. "Ich fürchte nämlich, in der kurzen Zeit der Beschäftigung mit der Tagespolitik in der Stadt durchaus beunruhigende Tendenzen wahrgenommen zu haben, die, obwohl der princeps nie dem öffentlichen Empfinden ferner gewesen war, die Befugnisse des Senats zugunsten jener des Kaisers, oder vielmehr des Stadtpräfekten, zu beschneiden trachten. Sollten diese Bestrebungen Früchte tragen, liefe der Senat - die Götter mögen es verhüten! - in Gefahr, tatsächlich lediglich zu einer Vereinigung von reichen Männern, ohne tatsächlichen Anteil am politischen Geschehen Roms, zu verkommen." Der junge Flavier schluckte tief. "Ich bitte abermals, versteh' mich nicht falsch, doch ich fürchte die Präferenzen müssten anders gesetzt werden. Zweifellos steht das Wohl der res publica im Vordergrund, doch diese bedarf eines glänzenden Senates - der sich zweifellos nur aus den fähigsten Männern zusammensetzen sollte - in erster Linie jedoch auch greifbaren Einfluss auf das öffentliche Leben der Bürger und die politischen Geschehnisse im gesamten Reich besitzen muss. Diese Sorge müssten die ehrwürdigen Senatoren in erster Linie tragen, und - sei versichert! - das Ansehen des Standes in der Öffentlichkeit würde sich zweifellos wieder zu jener alten, strahlenden und ehrenvollen Form hin verbessern."

    Verdammt. Verdammt. Verdammt. Sonst funktionierte das doch immer so wunderbar... Im Schneidersitz saß Flaccus, in eine dunkelrote Tunica mit Goldsaum gekleidet, auf seinem lectus, an die bunt bemalte Wand gelehnt und kaute sichtlich missmutig am Ende eines stilus herum. Vor ihm lag ein Täfelchen mit einigen Buchstaben, die wie lustlos in das Wachs geritzt wirkten. Auch rund um die Liege am Boden verstreut lagen einige Tafeln herum, alle mit chaotisch anmutenden, reichlich planlosen Skizzen, an denen wild herumgestrichen und umgebessert worden war. "Es klappt nicht ...", murmelte er mehr zu sich selbst, als etwa zu dem dümmlich dreinblickenden Sklaven, der einer Statue gleich, neben der Tür stand und zu Boden blickte. Ach, was für ein einfaches Leben hatte so ein Sklave! Keinerlei Verantwortung tragend, war er nicht gezwungen in irgendeiner Weise sich geistig anzustrengen, ja konnte sein Dasein auf die bloße biologische Existenz minimieren ... erbärmlich.


    Zack. In einer einzigen, gewaltigen, flüssigen Bewegung schwang die Tür unvermittelt auf, traf den daneben herumlungernden Sklaven reichlich unsanft auf die Nase, und öffnete einem breit grinsenden Griechen den Weg ins Cubiculum. Wider Willen musste Flaccus ob der Komik der Situation etwas lächeln, als er sich von dem Schreck, den das unvorhersehbare Aufstoßen der Tür hervorgerufen hatte, gefasst hatte. Der von der Türe getroffene Sklave ging zu Boden, wo einige Tropfen Blut aus seiner Nase auf das dort befindliche Mosaik tropften. Sofort nahm der Gesichtsausdruck des Flaviers wieder ernste Züge an: "Hey du! Sklave!", rief er ihm zu, denn das Blut am Boden war eine Sauerei, und Sauereien konnte er bei den Göttern nicht ausstehen, "Hör' sofort auf, den Boden mit deinem widerlichen Blut zu besudeln und bring das in Ordnung!" Buckelnd verzog sich der Sklave rückwärts aus dem Raum, wohl um Tücher zu holen, oder seine Nase verarzten zu lassen und Flaccus konnte seine Aufmerksamkeit wieder dem Griechen zuwenden, wenngleich er nicht davon ablassen konnte hin und wieder einen angewiderten Blick auf die unschönen Blutstropfen zu werfen.


    "Myson, bei den Göttern, kannst du nicht anklopfen?", richtete er sodann etwas entnervt das Wort an den Griechen. "Und wo ist überhaupt Aglaia? Ich habe dich doch losgeschickt, damit du mir das Mädchen bringst ... wie soll man denn auch dichten ohne Muse, kannst du mir das mal verraten?" Mit einem Seufzen blickte er durch das milchige Fenster nach draußen. "Ständig nur die hässliche Fratze dieses ... dieses Dings da vor Augen ...", mit gespielter Verzweiflung wies er auf den Platz neben der Tür, wo bis vor einigen Augenblicken noch der bemitleidenswerte Sklave gestanden hatte. "Wie auch immer ...", langsam rutschte Flaccus an die Kante des Bettes und erhob sich dann, mit verschränkten Armen ans Fenster tretend. "Ein Schreiben? Von wem denn? Ach, lies einfach vor ...", wies er den Griechen an.

    Im Grunde schien Macer mit dem Ergebnis der Nachforschungen durchaus zufrieden sein, und doch wollte er jenes auch kritisch hinterfragen. Flavius Flaccus runzelte die Stirn. "Wie engagiert die einzelnen Senatoren tatsächlich darin sind, ihre Mitgliedschaft in den betreffenden Vereinigungen auszuleben, ist natürlich eine schwierige Frage. Zwar hatte ich grundsätzlich den Eindruck gewonnen, dass ihnen doch gerade an den Factiones etwas liegt und sie auch über die momentanen Entwicklungen derselben gut bescheid wissen - dass kaum engagierte Miglieder die Gefahr darstellen solche Vereinigungen eher zu lähmen als zu fördern ist allerdings einleuchtend. Dennoch muss natürlich bedacht werden, dass die Pflichten eines Senators - und das wirst du wohl am besten wissen -", schob der Flavier mit einem Lächeln an den Consul ein, "überaus vielfältig sind, gerade bei den Männern, die auch Ämter bekleiden. Es stellt sich tatsächlich die Frage, wie viel Einsatz einem solchen Mann auch in Bezug auf die Factiones zusätzlich noch abverlangt werden kann und darf ... im Grunde sollte es doch dort ausreichend andere Männer geben, die Dinge am laufen halten, und die prominenten Mitglieder schon alleine durch ihren Namen und ihr Vermögen den Vereinigungen gewisse Vorteile bringen ... oder sehe ich das falsch?", fügte Flaccus noch vorsichtig hinzu und blickte Macer an.