Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Zitat

    Original von Aurelia Flora


    Der Kampf wogte hin und her, sowohl der flinke Nubier als auch der stämmige Germane mit seiner barbarischen Barttracht brachten einige Treffer an, doch darunter keine überaus gefährlichen. Übehaupt schienen beide auf seltsame Weise gerade in Situationen wo es leicht schien, den Gegner zu überwältigen, zu zögern. Das entging dem Volk natürlich nicht und so waren schon bald laute Rufe des Unmuts von den Rängen zu hören. Flaccus selbst hatte ebenfalls bereits kurz nach Beginn des Kampfes den Verdacht gehabt, dass dieses letzte Aufeinandertreffen der beiden Gladiatoren im Grunde ein abgekartetes Spiel war - warum sollten sie sonst gerade in den kritischen Situationen zögern, den entscheidenden Treffer anzubringen? Der Claudier wollte offensichtlich diese beiden Sklaven, die schon durch ihre äußerlich sichtbaren Vorzüge gewiss einen hohen Wert besaßen, nicht in der Arena verlieren, zumindest schien es, als hätten beide den Auftrag erhalten, den Gegner nicht kritisch zu treffen. Und so war es für den Flavier auch kaum verwunderlich, dass Menecrates den Kampf schließlich abbrach und unentschieden ließ. Hier war also das Wunder, um das Lysandra gebeten hatte.


    Während die beiden Gladiatoren mit goldenen Plaketten und Palmzweigen ausgezeichnet wurden, wandte Flaccus sich an Flora. "Unentschieden, wer hätte das gedacht?" Jongleure und Feuerspucker betraten die Arena. Was sollte jetzt nur aus ihrer Wette werden? "Also so wie es aussieht haben wir beide gewonnen, oder verloren, wie man's nimmt ...", fuhr er fort und ein breites Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus, denn ihm war gerade eine famose Idee gekommen. "Also sollten wir auch beide unseren Wetteinsatz einlösen ..." Ja, so musste es eigentlich sein. Einen besseren Ausgang hätte der Kampf gar nicht haben können. Was für ein wundervoller Tag! Nun war der Flavier allerdings gespannt, ob Flora gegen diesen Vorschlag protestieren, oder ob sie sich seiner im Grunde zwingenden Logik ergeben würde.

    Okay, ich habe mich noch ein wenig auf die Suche gemacht ... :D
    und nicht weniger als sechs weitere interessante Publikationen zu diesem Thema gefunden.


    Zunächst abermals Gerhard RADKE (der sich offensichtlich über Jahrzehnte mit der Thematik befasst, und überall seine Spuren hinterlassen hat.)


    Vesta und die Vestalen (aus: "Zur Entwicklung der Gottesvorstellung und der Gottesverehrung in Rom, Darmstadt 1987)


    "Obwohl die Gelehrten darin übereinstimmen, dass die Römer keine ihnen eigene Mythologie entwickelt haben, und einmütig der Meinung sind, dass fast alle Geschichten dieser Art, die Roms Dichter vortrugen, von griechischen Vorbildern abhängen, erlaube ich mir dennoch - bei völliger Übereinstimmung mit der vorgenannten Auffassung -, an den Anfang dieser Untersuchung eine Gestalt der pseudo-historischen römischen Vergangenheit zu setzen, weil ich an ihr die unmittelbare Beziehung einer Reihe nur in der griechischen Mythologie erhaltener Bräuche mit dem Schicksal der römischen Vestalen darstellen kann: Ich spreche von Rhea Silvia bzw. Ilia, die bei Naevius und Ennius als Tochter des Aeneas gilt; Silvia vestalis - quid enim vetat inde moveri? (Ovid. fast. 3, 11.)


    In der landläufigen Fassung der Geschichte machte Amulius, König von Alba Longa, die Tochter seines Bruders, dem er das Königtum geraubt hatte, zur Vestalin, d. h. einer zur Bewahrung ihrer Jungfräulichkeit durch Kultgesetz verprlichteten Priesterin der Vesta, um zu verhindern, dass sie Nachkommenschaft bekäme, derenthalben man ihm die Herrschaft streitig machen und ihn selbst vom Throne stürzen könnte. Die Götter wollten es anders: Mars verband sich mit Ilia und zeugte mit ihr die Zwillinge Romulus und Remus, deren Erstgenannter zum Gründer der Stadt Rom wurde. Als Amulius von der Niederkunft erfuhr, ließ er die junge Mutter von der Höhe eines Felsens in den Tiber stürzen und die Kinder aussetzen. Der diesem Mythos innewohnende Gedanke ist folgender: Ein junges Mädchen, von seiner Familie im Stande der Jungfräulichkeit gehalten, wird dennoch von einem Gotte geschwängert. Sie bringt Söhne zur Welt und wird in Folge ihres Ungehorsams vom Berge hinabgestürzt. Unter den einzelnen Zügen dieses Vorgangs wird die Tötung der jungen Mutter in der Literatur sehr leicht und daher auch sehr häufig mit dem Opfer einer Jungfrau vermischt und verwechselt, obwohl das zwei völlig unterschiedliche Dinge betrifft. Der Grund für diesen Irrtum findet sich allein in der Überlieferung, die auf den Zusammenfassungen und Auszügen der Grammatiker beruht, deren Interesse mehr den Umständen des Todes als dessen Motivation galt. Um das "Opfer" der Ilia, der ersten - vorrömischen - Vestale, verstehen zu können, muss weiter in der Schilderung dieses Zusammenhanges ausgeholt werden.


    Ein Teil der Opfer junger Frauen - genauer: junger Mädchen - muss zu der Gruppe der Ersatzopfer gerechnet werden, durch die man einen Gewinn oder Nutzen zu erreichen sucht oder einen Schutz gegen irgendeine Gefahr zu finden hofft, indem man auf etwas Wertvolles im eigenen Besitz verzichtet: Der Ring des Polykrates ist Gegenstand des bekanntesten Beispiels. Phylarchos, der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. geschrieben hat, behauptet, alle Griechen haben Menschen getötet, bevor sie in einen Krieg zogen; ob das zutrifft, soll hier nicht gefragt werden. Pausanias von Damaskos, ein Schriftsteller christlicher Zeit, berichtet von Jungfrauenopfern bei Gelegenheit der Stadtgründungen von Antiochia und Laodicea unter der Herrschaft Seleukos' I. Nikanor etwa um 300 v. Chr. und zitiert sogar die Namen der geopferten Mädchen. Porphyrios bezeugt das, kennt aber auch schon den Ersatz der zu opfernden Jungfrau durch eine Hindin; man wird sich dabei des Opfers der Iphigeneia in Aulis entsonnen haben. Ebenso sprach man vom Opfer einer Jungfrau, das vor der Schlacht bei Leuktra beabsichtigt war, dann jedoch nicht zur Ausführung kam, weil ein Fohlen erschien, das an für das von den Göttern gewählte Opfertier hielt. In der erwähnten Darstellung unterstreicht Porphyrios die vorausgesetzte Analogie dieser Opfer mit dem der Töchter des Erechtheus, Königs von Athen.


    Davon ist ein anderes Motiv zu unterscheiden, nach dem ein Vater sich gezwungen sieht, auf einen sexuellen "Fehltritt" seiner Tochter zu reagieren. Es findet sich häufig in griechischen Mythen. Das bekannteste und auch in hohem Maße charakteristische Beispiel findet sich in der Geschichte der Danae und ihres Söhnchens Perseus, deren Bedeutung deshalb so wichtig ist, weil dieser Mythos eine Gruppe von Motiven in sich vereinigt, deren jedes in Analogie auch in anderem Rahmen festzustellen und wiederzufinden ist: Akrisios, König von Argos, hatte nur eine Tochter, eben jene Danae, und ging deshalb zum Orakel, um sich zu erkundigen, ob er noch mit männlicher Nachkommenschaft rechnen könne. Als er zur Antwort erhielt, ein Sohn seiner Tochter würde ihn töten, sperrte er sie in ein unterirdisches Gemach - auch Kerkyon schloss seine Tochter Alope, die von Poseidon schwanger wurde, in ein solches Gefängnis -, um ihr jede Möglichkeit zu nehmen, in Kontakt zu einem Manne zu treten. Aber er erreichte damit sein Ziel nicht: Unter den zwei Versionen der Sage kennt die in höherem Maße realistische den Proitos, feindlichen Bruder des Akrisios, als Liebhaber der Danae, während die mehr mythische Form der Geschichte Zeus für die Schwangerschaft verantwortlich macht; der Gott sei in einen Goldregen verwandelt in den unterirdischen Raum eingedrungen und habe mit Danae den Perseus gezeugt.


    Als diese das Kind zur Welt brachte, glaubte Akrisios ihren Beteuerungen nicht, dass Zeus selbst der Vater des Kindes sei. Er verschloss beide, Danae und Perseus, in einen Kasten und ließ diesen ins Meer werfen. Bis zu diesem Punkte vereinigt der Mythos folgende Themen in seinem Rahmen: Orakel, Absonderung des jungen Mädchens in einem unterirdischen Gemach wie bei Alope und auch Antigone - die Einsetzung der Ilia als Vestale erfüllt die gleiche Funktion der Isolierung und ist demnach vergleichbar - , geschlechtliche Verbindung gegen den Willen des Vaters und schließlich das "Kind der Jungfrau", der Kasten und ihr gemeinsamer Sturz ins Meer. Die griechische Mythologie ist reich an solchen Geschichten.


    Der bekannteste und berühmteste Fall jedoch wurde durch die Vergewaltigung der Kassandra, Priesterin der Athena von Ilion, ausgelöst, die diese von Aias, dem Sohne des Oileus, zu erdulden hatte. Nach der historischen Überlieferung, die durch eine Inschrift über den Hergang bestätigt wird, wurde die lokrische Heimat des Aias durch Missernten und Krankheiten heimgesucht. Das Orakel sah den Grund in dem Verbrechen des Aias und ordnete an, jährlich zwei Jungfrauen zum Tempel der Athena in Ilion zu senden für die Dauer von tausend Jahren. Die Trojaner lauerten den Mädchen auf, um sie durch Steinigung zu töten. Wer entfliehen konnte, rettete sich in den Tempel, wo die Mädchen unbehelligt blieben; die Toten aber wurden verbrannt und ihre Asche von der Höhe des traronischen Felsens ins Meer geschüttet. Diese Art von Opfer wurde eingehalten bis zum Phokischen Kriege in der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. Für den Rahmen dieser Untersuchung ist von Bedeutung, dass die Einrichtung immer ein Reservoir von potentiellen Opfern bereitzuhalten gestattete, deren man sich bedienen konnte, wenn die Lage ein solches Opfer erforderte. Die Flucht der jungen Tempeldienerinnen gab immer einen passenden Vorwand, sie umzubringen und sie oder ihre Reste vom Felsen zu stürzen. Auffällig ist lediglich, dass in diesem Falle nicht das schuldig gewordene Mädchen, sondern die unschuldigen Nachfahren des ehedem Schuldigen geopfert wurden. Trotz aller Willkür der Mythologie blieb aber der kultische Kern sichtbar erhalten.


    Beim Sprung vom Felsen berichten viele Erzählungen von der Verwandlung des oder der Gestürzten in einen Vogel. Das berühmteste Biespiel ist die Verwandlung der Prokne und der Philomela, zu der ebenfalls eine athemitomixía, die Vergewaltigung Philomelas durch Tereus, geführt hatte. Eine solche Verwandlung gestaltete man in geschichtlicher Zeit tatsächlich zu einer Art Vorführung aus: An den Körper des Opfers, das vom leukadischen Felsen gestürzt werden sollte, heftete man Vogelfedern und Vogelflügel, ja ganze Vögel, um bei den Zuschauern den Eindruck zu erwecken, als vollziehe sich die Verwandlung in einen Vogel vor ihren Augen beim Sturz vom Felsen.


    Obwohl die Formen des Mythos unter dem Einfluss der Dichtung miteinander und untereinander vermischt wurden, kann man dennoch zwei verschiedene Vorgänge innerhalb der Geschichten dieser Art deutlich unterscheiden. Einmal gab es das vom Orakel vorgeschriebene Opfer zur Abwendung einer drohenden Gefahr oder bei Gründung einer Stadt. Innerhalb dieses Opfers gibt es zwei Kategorien: In der ersten bietet sich das Opfer freiwillig an, wohingegen es in der anderen zur Opferung gezwungen werden muss wie Iphigeneia in Aulis. Auch die Formen, unter denen das Opfer vollzogen wird oder vollzogen werden soll, unterscheiden sich. Bietet sich das Mädchen aus eigenen Stücken zum Opfer an, stürzt sich die Jungfrau von der Höhe der Burg oder eines Felsens ins Meer; es gibt aber auch Beispiele der Steinigung.


    Von dieser Art des Opfers - eines wirklichen Opfers also - mit seinen verschiedenen Formen unterscheidet sich grundlegend die Tötung eines jungen Mädchens, das sich gegen den Willen seiner Eltern oder gegen die Sitte der Gesellschaft, in der es lebte, mit einem Manne eingelassen hatte. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wird die junge Sünderin von der Höhe eines Felsens ins Meer oder in einen Fluss gestürzt. Diese Tötungsart entspricht der Steinigung oder dem Lebendigbegraben. Man hat dabei die Absicht, dass die zum Tode bestimmte Person nicht von einem einzelnen berührt oder verwundet wird, dessen Individualität festgehalten werden könnte. Folglich ist es die namenlose Masse, die das Mädchen in den Abgrund stößt oder in das Grab drängt, die es mit Steinwürfen eindeckt und so aus der Entfernung umbringt. So verursacht die namenlose Masse den Tod; kein einzelner wird belastet. Das Ziel solcher Art von Tötung ist in diesem Falle auch nicht die Bestrafung, sondern man hält die junge Sünderin für einen Gefahrenträger, durch den der Frieden der Gemeinde gestört wird, und will sie daher aussondern und aus dem Bereiche des eigenen Landes entfernen, beseitigen, um nicht selbst von der Verunreinigung betroffen zu werden, die von ihr ausgeht.


    Wie man glaubte, einen Zusammenhang zwischen dieser moralischen Unreinheit und den Krankheiten, Missernten und Gefahren jeder Art herstellen zu dürfen, so erkannte man darin eine Rechtfertigung für das, was man anrichtete: Aus der Entfernung der Trägerin des Unreinen wurde ein Opfer. So konnte man auch zu der Vorstellung kommen, man könne junge Mädchen im Dienste einer Gottheit aufbewahren, um sie opfern zu können, wenn eine unerwartete Gefahr drohte, obwohl damit die ursprüngliche Voraussetzung weder der Tötung einer Übertreterin heimischer Gebote noch des guten Willens des freiwilligen Opfers gegeben war. Lediglich der Aufenthalt als Priesterinnen im Dienste einer Gottheit konnte als freiwillige Zustimmung bewertet werden.


    Man darf voraussetzen, dass sich diese Geschichten folgendermaßen entwickelten: Ihr Ursprung muss in den Sitten und Gewohnheiten einer Gesellschaft zu finden sein, in der junge Mädchen nicht das Recht besaßen, sich ihren Partner nach eigenem Gefallen auszusuchen, weil die Familien bzw. die Familienoberhäupter nach ihrem Ermessen die Verbindung der jungen Leute unter dem Gesichtspunkt jeweils verschiedener Interessen - nicht immer gegen den Nutzen der Betroffenen - oder einfach aus persönlicher Willkür bestimmten. Wenn ein junges Mädchen trotzdem gegen diese Regeln verstieß, weil es einen jungen Mann liebte, den die Eltern nicht als Schwiegersohn haben wollten, und wenn diese Verbindung Folgen hatte, war das ein Ereignis, das eigentlich niemals hätte eintreten dürfen. Die Gesellschaftsordnung war gestört; eine Nichtbeachtung konnte Wiederholungen Vorschub leisten.


    Natürlich hätte man duldsam die Verbindung hinnehmen und unter priesterlicher Hilfe legalisieren können, aber niemand hatte das Recht, die Eltern zu zwingen, ihr Einverständnis zu geben. Andererseits war auch das Mädchen nicht zu veranlassen, seinen Liebhaber preiszugeben. Blieb auf diese Weise der Partner und Vater des Kindes unbekannt, suchte und fand man dennoch einen Ausweg, die peinliche Schwangerschaft zu erklären, indem man den Fremden und Unbekannten, der das Mädchen geschwängert hatte, für einen Gott ausgab. Erst die Mythologie bemühte Zeus, Apollon und Herakles; im menschlichen Leben wird man weniger bedeutende "Götter" genannt haben. Diesem konnte man dann mit dem Ziel der Beseitigung der bedrohlichen Person das ungehorsame Mädchen durch seinen Tod gleichsam überantworten; wenigstens in der Phantasie der Betroffenen war damit das Problem gelöst, ohne dass sie durch den Bruch des Sittengesetzes der Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen worden wären.


    Keine dieser Formen des Opfers oder der Tötung einer Jungfrau darf mit der religiösen Prostitution gleichgesetzt werden, die bei Völkern semitischer Sprache ausgeübt wird. Dieser Brauch fordert den Aufenthalt eines jungen Mädchens im Tempel vor der Eheschließung und den Dienst dort als Hierodule, d. h., sie muss sich Fremden prostituieren, die in den Tempel kommen, um ihn zu besichtigen oder die Gottheit zu verehren. Dieser Akt der Hingabe ist keine Art von Opfer, sondern er entstammt der Angst vor der Brechung des Tabus des Anfangs beim Geschlechtsverkehr mit einer Jungfrau. Die Entjungferung stellt nach den heute gängigen Vorstellungen einen schweren Eingriff in das Leben der Frau dar, wohingegen sie in den Augen der Völker, die die religiöse Prostitution eingeführt haben, lediglich Gefahren für den Mann mit sich bringt, der sie vollzieht. Deshalb wird das junge Mädchen vor der Hochzeit einem Fremden ausgeliefert, der nach den in diesem Rahmen geltenden Vorstellungen ein Vertreter der Gottheit ist.


    Religiöse Prostitution gab es - vermutlich unter phönizischem Einfluss - auch in Korinth und in Lokroi. In einer anderen Form, die sich keines menschlichen Täters bedient, hat sich in Rom eine offenbar sehr altertümliche Gewohnheit erhalten: Man überließ die Defloration einem Gotte namens Mutunus Tutunus, genauer gesagt: einem ithyphallischen Bilde, auf das sich das Mädchen setzen musste. Sein sacellum stand in Veliis (Fest. 142, 20f. L.). Die Beschreibungen der Kirchenväter, wie das bedauernswerte Mädchen dem Gotte als erstem ihre Schamhaftigkeit habe opfern müssen, sind von erbarmungsloser Deutlichkeit. Ob sie ihre Kenntnis nur aus Varros >Antiquitates< oder noch aus zeitgenössischer Beobachtung schöpften, ist unbekannt. Geht man von der Existenz eines solchen Gottesbildes aus, bleibt man in einer verhältnismäßig späten Zeit, in der man sich die Entstehung eines derartigen Brauches nicht mehr vorstellen möchte; erinnert man sich aber des fascinus gerade im Tempel der Vesta, der ja auch am Hange der Velia liegt, stellt sich der Gedanke an priesterliche Manipulation ein, durch die das Tabu gebrochen wurde.


    Obwohl bei diesen Vorgängen ebenso ein Gott gleichsam an die Stelle des menschlichen Partners tritt oder gesetzt wird, ist der Unterschied in der grundlegenden Auffassung doch tiefgreifend. Im Falle der reigiösen Prostitution wird der Dienst des jungfräulichen Mädchens durch die Angst des Mannes vor dem Tabu verursacht, während der Sturz vom Felsen die Trägerin immaterieller Verunreinigung beseitigen soll, die durch ihr vorausgegangenes Verhalten eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten könnte. Die einzige zwischen beiden Vorgängen zu beobachtende Übereinstimmung wird durch den Tod des Kindes geschaffen: Man wirft es mit der Mutter ins Meer oder man tötet den Erstgeborenen in Form eines Opfers; das ist ein Akt, der dadurch verständlich wird, dass es sich nicht um das Kind des Ehemannes, sondern um den Bastard eines Fremden, um die Frucht der Prostitution handelt. Folgerichtig konnten die Hebräer das Kinderopfer abschaffen - im Alten Testament Gen. 22, 1ff. geschieht das anlässlich der geplanten, aber nicht vollzogenen Opferung Isaaks -, weil ihnen eine religiöse Prostitution unbekannt war.


    Der Ausdruck "Kind der Jungfrau" will veranschaulichen, dass man den Fehltritt - mit diesem Worte ist schon die grundsätzliche Einstellung der Gesellschaft umschrieben -, dass man also die unstatthafte Hingabe des jungen Mädchens durch das Wunder seiner Verbindung mit einem Gotte zu erklären suchte, die nicht wie bei einer "heiligen Hochzeit" bewusst herbeigeführt wird, sondern die man als Ausrede braucht. Diese Vorstellung verhüllt nicht nur die Beseitigung der jungen "Sünderin" unter dem Schleier eines Kultaktes, sondern birgt auch die Möglichkeit, diesem Gotteskinde in der Mythologie eine besondere Rolle zuzuschreiben. Perseus, Sohn der Danae, Telephos, Sohn der Auge, Anios, Sohn der Rhoio, wurden bedeutende Gestakten der Sage und Geschichte; aber auch Herakles, die Dioskuren und Dionysos waren Söhne von Göttern mit sterblichen Frauen. Daran kann man die Macht der Mythologie erkennen, der es gelang, einer durchaus menschlichen Begebenheit den Charakter einer heiligen Geschichte zu geben. Gottessohnschaft und Jungfrauengeburt sind Glaubensinhalte, die man in ihrer Tragweite beobachten kann, in ihrer Ernsthaftigkeit aber anerkennen muss.


    Die vorangehenden Erörterungen waren notwendig, um den vollen Umfang der Vorstellungen zu beschreiben, die sich aus den Maßnahmen erklären lassen, die ergriffen wurden, wenn ein Mädchen außerhalb der Gesetze und Gewohnheiten der Gemeinschaft und gegen den Willen der Eltern eine Bindung mit einem Fremden einging. Die Gefahrenträgerin wurde beseitigt. Da eine drohende Gefahr aber auch durch ein Jungfrauenopfer abgewehrt werden konnte, flossen beide Vorstellungen ineinander: So konnte man auf den Gedanken kommen, Mädchen abzusondern, die im Augenblicke einer Gefahr geopfert werden konnten. Um das der Gemeinde verständlich zu machen, motivierte man die Tötung durch eine tatsächlichen oder auch nur angenommenen Akt der Unkeuschheit, des Inzests. Die Tötung selbst fand in Form der Beseitigung statt.


    Die charakteristischen Züge dieser Vorgänge, deren einstige Realität innerhalb der Gesellschaftsordnung durch die dichterische Schilderung der griechischen Mythologie weiterlebt und bekannt geblieben ist, finden sich in der Einrichtung des Dienstes der römischen Vestalen wieder. Die zusammengehörigen Fakten sind der incestus d. h. die Übertretung der ihnen als lex divinitus lata vorgeschriebenen hagneía triakontaétis, und ihre daraufhin erfolgende Beseitigung durch Sturz vom Tarpeischen Felsen oder durch Lebendigbegraben auf dem sceleratus campus an der porta Collina, zwei Arten der Tötung, bei denen niemand Hand anzulegen brauchte. Es kommt hinzu, dass auch in Rom die Vestalen wie in Ilion die lokrischen Mädchen sozusagen für diese Maßnahme im Tempeldienst zur Verfügung gehalten wurden, falls eine solche sich als notwendig erwies. Das trat immer dann ein, wenn man fürchtete, der Staat sei von irgendeinem Unglück bedroht; diese Gefahr wurde durch Prodigien angezeigt, die entweder mit dem Vestaleninzest zusammenhingen wie das Verlöschen des von ihnen gehüteten Feuers oder sich auf andere unerklärliche Ereignisse bezogen und die Befragung der libri Sibyllini notwendig machten: Responsum infamiam virginibus ... portendi war eine der möglichen Antworten. Damit war das ursprüngliche Motiv, die Ursache der Ordnungswidrigkeit aus dem Wege zu räumen, überholt: Beseitigung einer Schuldigen und ehrenvolles freiwilliges Opfer für das Vaterland hatten sich in der Organisation der Maßnahmen vermischt.


    Mag in machen Fällen auch eine Vestale den "Opfergang" angetreten haben, die das Keuschheitsgebot verletzt hatte, so traf dieses Los sicherlich oft auch Unschuldige, nur weil der Glaube an die Wirksamkeit des Rituals es erforderte. Als im Jahre 114 v. Chr. drei Vestalen de incesto angeklagt waren, zwei von ihnen aber vom pontifex maximus und dem collegium pontificum freigesprochen und nur eine verurteilt wurde, nahm das Volk sein originäres Recht in Anspruch, hob dieses Urteil als irrig auf und wählte den wegen seiner Strenge berüchtigten L. Cassius, qui de eis virginibus quaereret; wie erwartet kam es zum Schuldspruch für alle Betroffenen. Der Fall der drei Vestalen Aemilia, Marcia und Licinia zeigt nicht als einziges Beispiel die Zuständigkeit des populus Romanus und seiner Magistrate als letzter Instanz: Während über sie ein negatives Urteil erging, kamen Tuccia, eine andere Aemilia und Claudia Quinta mit dem Leben davon, ohne dass man von einer provocatio ad populum sprechen dürfte. Sie hatten das Volk durch Wunder zu ihren Gunsten überzeugen können: Tuccia brachte unter der Begeisterung der Menge in einem Siebe Wasser vom Tiber auf das Forum und schüttete es da dem pontifex maximus - doch wohl dem, der sie für schuldig befunden hatte - vor die Füße; Aemilia rief durch ihr Gebet an Vesta neues Feuer auf den Altar und erwies so ihre Unschuld; beim Einzug der Mater magna in Rom löste Claudia Quinta das festgefahrene Schiff: Claudia praecedit laeto celeberrima vultu credita vix tandem teste pudica dea. (Ovid. fast. 4, 343f.) Auch die sortitio der Vestalen fand in der Öffentlichkeit des Volks vor einer contio statt.


    Kaiser Domitian hatte den Wunsch, die Vestalis maxima Cornelia lebendig zu begraben, weil er glaubte, seine Regierungszeit könne durch ein Beispiel solcher Art an Ruhm gewinnen. [ein wahrer Flavier! vgl. Plin. epist. 4, 11, 9. und Suet. Domit. 8, 4.] Als der Kaiser, wie es sich nach dem ritus für ihn als pontifex maximus gehörte, die Hand reichen wollte, um ihr beim Hinabsteigen in die Grube zu helfen, stieß sie ihn empört zurück: foedum contagium quasi plane a casto puroque corpore novissima sanctitate reiecit. Das sind zwei Einzelfälle, die aber die Zusammenhänge beleuchten.


    Am auffälligsten sind die besonderen Merkmale im Leben der Vestalen: Aus einer vom pontifex maximus unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen ausgewählten Gruppe von zwanzig Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren wurde eine ausgelost und dann - ebenfalls vom pontifex maximus - "gegriffen". Die Schwester einer Vestale, die Töchter verschiedener Priester - außer der eines pontifex - und die sponsa pontificis waren davon befreit. Mit der captio schied die Vestale sine emancipatione ac sine capitis minutione e patria potestate aus. Das ist außergewöhnlich und bedarf sonst eines umständlichen Verfahrens; damit ist verbunden, dass sie neque heres est cuiquam intestato neque intestatae quisquam, sed bona eius in publicum redigi aiunt. Für die letztgenannte Regelung kennt die römische Überlieferung als Beispiele die Hinterlassenschaft der Vestalen Gaia Taracia und Fufetia, aber auch der meretrices Flora und Acca Larentia, die beide göttlichen Rang erhielten. Auch die Vorstellung einer adoptio oder einer coemptio entfällt bei diesem Verfahren, da sie stets mit einer deminutio capitis verbunden wären. Auf der Straße geht der Vestale ein lictor voraus; zu kultischen Verrichtungen darf sie ein plostrum benutzen. Nicht erzwungen werden darf eine Eidesleistung der Vestale. Die Begegnungen mit einer Vestale rettet einem zur Hinrichtung geführten Verbrecher das Leben. Sie nimmt im Leben Roms eine besondere Stellung ein.


    Die feierlichen Worte, die der pontifex maximus zu sagen hat, wenn er eine Jungfrau "greift", lauten: Sacerdotem Vestalem, quae sacra faciat, quae ius sciet sacerdotem Vestalem facere pro populo Romano Quiritibus, uti quae optima lege fuit, ita te, amata capio. Unter diesen sacra sind das Totenopfer am 13. Februar, das Verbrennen der Kalbsföten an den Fordicidia, das Schneiden der Speltähren zur Bereitung der mola salsa, das Werfen der Argeerpuppen, das mit dem flamen Quirinalis gemeinsame Opfer bei dem unterirdischen Altare des Consus, das mit dem pontifex maximus gemeinsame Opfer an Ops Consiva in der regia, die Feier des Festes der Bona dea, die Anrufung des Apollo medicus, die Verteilung von "Heilmitteln" an den Parilia und die Verehrung des fascinus. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Vestale in dieser Formel als sacerdos Vestalis und nicht als virgo Vestalis bezeichnet wird; dass der pontifex maximus sie als amata ansprach, ist unterschiedlich gedeutet worden. Auffällig ist, dass von der Bewachung des heiligen Feuers keine Rede ist; auch in der Überlieferung wird sie nur als böses Vorzeichen und als Grund für die Bestrafung einer unachtsamen Vestale erwähnt.


    Wegen dieser Funktionen hatte Th. Mommsen in den Vestalen "gleichsam die Haustöchter des römischen Volkes" sehen wollen. Da die Tracht der Vestale als die der römischen Braut gedeutet wurde, hielt man sie für die Nachfolgerin der Königin oder die fiktive Ehefrau des pontifex maximus als Nachfolger des Königs in sakralen Dingen. Dem wurde entgegnet, "eine Deutung, die in den einzig sicheren Anhaltspunkt, die Bezeichnung virgines, in ihr Gegenteil umdreht", sei nicht annehmbar. Damit wurde die Möglichkeit wiedereröffnet, die Verurteilung der Vestale entspreche dem Verfahren wegen Vergehens der Blutschande und werde vom pontifex maximus nur wegen der kultischen Kompetenz durchgeführt. F. Hampl erörterte die Möglichkeit, in der Tötung der Vestale eine Überantwortung der "Gottesbraut" an ihren göttlichen Partner zu sehen, versuchte aber nachzuweisen, dass dieser göttliche Partner durch den irdischen pontifex maximus zu einer Art heiliger Hochzeit" vertreten werde. Er stützt sich dabei auf das Zeugnis bei Plut. Num. 10, 7, wonach bei anderen Verfehlungen die Frevlerin in einem dunklen Raume nackt, hinter einem ausgespannten Leinentuch, vom pontifex maximus selbst mit Schlägen gezüchtigt wurde. Dieser Ritus könne Bezug auf einen Vorgang haben, "den man als die Fortsetzung der von Gellius erzählten Besitzergreifung der angehenden Vestalin durch den stellvertretend für den Gott agierenden Pontifex Maximus bezeichnen kann". Selbst den Rutenschlägen müsse dann kathartische oder apotropäische Bedeutung beigemessen werden. Dabei wird freilich übersehen, dass die Ursache dieser Züchtigung nichts mit der im Falle des Inzests zu erfolgenden Tötung zu tun hat, allein aber an dieser die Rolle der Vestale verstanden werden muss. Die besonderen Vorkehrungen bei der vorgenannten Maßnahme sollen m.E. jeden Verdacht geschlechtlichen Kontaktes trotz der körperlichen Nähe fernhalten. An eine "heilige Hochzeit" zu denken ist schon wegen der Schläge seitens des "Partners" ausgeschlossen.


    Unter die der Vestale zu Lebzeiten erwiesenen Ehren gehört es auch, dass die lictores aller Beamten vor ihr die fasces senken, was sie sonst nur tun, wenn ihr magistratus zum populus Romanus spricht, wenn er einem Beamten mit höherem imperium begegnet und wenn er an einem funus teilnimmt. Da die Vestale weder als höherer magistratus noch als Repräsentant des populus angesprochen werden kann, bleibt zur Deutung dieser Ausnahmen nur übrig, sie als eine - noch lebende - Tote zu verstehen. So erklären sich auch die sonst ungerechtfertigten juristischen Folgen ihrer captio. Wie sie als kultisch "Tote" noch in der Stadt "lebt", kann sie auch innerhalb ihrer Mauern nach ihrem wirklichen Tode - sei es nun beim natürlichen Hinscheiden oder sei es nach der grausamen Beseitigung einer incesta - bestattet werden; dieses Sonderrecht haben allein die Vestalen - später auch die römischen Kaiser -, weil sie außerhalb der Gesetze stehen: imperatores et virgines Vestales, quia legibus non tenentur, in civitate habent sepulcra. (Serv. Aen. 11, 206.) Einem Grabe entspricht in ihrer Rundform auch die aedes Vestae, die innerhalb einer alten Nekropole liegt. [nach F. von Duhn, Ital. Gräberkunde 1, 414, liegt der Vesta-Tempel am Rande einer alten Nekropole] Bei dieser Auffassung ist die hohe Ehrenbezeigung zu beachten, die die zum Tode auf dem sceleratus campus geführte Vestale erfährt; sie trägt ihre stola, und der pontifex maximus geleitet sie bis zu der Leiter hinab ins Grab. Die Erinnerung an ihren Namen wird nicht unterdrückt, sondern in offenbar ehrenvoll dankbarer Erinnerung in den Annalen aufbewahrt.


    Die Stellung der Vestale darf weder als Königstochter oder Hausfrau am Königsherd noch als die einer Vergehens halber Verurteilten verstanden werden, wie das meistens geschieht. Die runde aedes, in der sie Dienst tut, erinnert an die alte Grabform; ihre rechtliche Stellung außerhalb der Bindung der Gesetze (s.o.), ihr Ausscheiden aus der patria potestas bei Antritt ihres Priesteramtes, die ihr dargebrachten Ehrerweisungen seitens der Magistrate, ihre "Beseitigung" durch Sturz vom Tarpeischen Felsen oder durch Lebendigbegraben, beides unter größter Ehrerbietung seitens des pontifex maximus sowie bei Beachtung völligen Schweigens sowie das Fehlen eines Totenopfers, das offenbar bei ihrem Eintritt in den Dienst der Vesta an ihr vollzogen wurde, haben die Auffassung begründet, es handle sich beide der Vestale um eine "lebendige Tote", der allein der Zugang zu dem Grabe offenstand, an das die Form des Vesta-Tempels erinnert.


    Dann sind die Vestalen also Mädchen, die wie die lokrischen Jungfrauen in Ilion unter Innehaltung mannigfacher Tabus für ein aus gegebenem Anlass notwendiges Opfer pro salute populi Romani aufbewahrt werden: in der alten mittelmeerischen Gesellschaft wurde das Mädchen, das sich außerhalb der Ordnung ihrer Familie und der Gemeinde mit einem Außenstehenden, Fremden eingelassen hatte, unter der fingierten Voraussetzung, dieser Fremde sei ein Gott gewesen, diesem angeblichen Gotte durch eine "indirekte Tötung", d. h. durch Steinigung, Lebendigbegraben oder Felsensturz überantwortet, um die Übertretung der althergebrachten Lebensordnung nicht zum Schaden für die Gemeinschaft werden zu lassen. Der soziale Aspekt scheint die Vermutung zu rechtfertigen, dass die Einrichtung, die Frevlerin an der Ordnung zu beseitigen, mittelmeerischer Herkunft ist. Diese Maßnahme wird gleichsam stellvertretend auf einen kleinen Kreis junger Frauen beschränkt, die während ihres Gottesdienstes höchste Ehren erfuhren, im Fall des Bedarfes eines solchen Opfers jedoch als "Gottesbraut" - wie man im Mittelalter den als Hexen verdächtigten Frauen Umgang mit dem Teufel vorwarf - aus dem Wege geräumt werden; der ihnen jeweils vorgeworfene Inzest - unabhängig von seinem wirklichen Vollzug - bot demnach nur eine gleichsam "historische" Begründung. Der Gebrauch des Wortes "Gottesbraut" soll in diesem Zusammenhang lediglich an die soziale Vorgeschichte der Vorgänge erinnern und hat nichts mit einer "heiligen Hochzeit" zu tun, wie das gelegentlich angenommen wurde.


    Das Musterbeispiel einer Vestale, die sich durch ihre Verbindung mit einem "Gotte" außerhalb der Gesellschaftsordnung gestellt hatte, ist Rhea Silvia oder Ilia, deren Sturz in den Fluss mit den zahlreichen Beispielen aus griechischer Mythologie übereinstimmt; in ihnen dient die "heilige Legende", die dem Roman vorausgeht, lediglich der Erklärung eines Kultaktes. Es geht dabei ursprünglich nicht einmal um die Verletzung der Keuschheit - auch wenn die spätere Auslegung der Umstände diese in den Vordergrund rückt: Silvia fit mater; Vestae simulacra feruntur virgineas oculis opposuisse manus (Ovid. fast. 3, 45f.) -, sondern in erster Linie um den Verstoß gegen die Sippenordnung; andernfalls hätte das römische Volk die Erbschaften der berühmten meretrices Acca Larentia und Flora nicht so dankbar annehmen dürfen. Wie eine solche sich als Opfer darstellende Maßnahme als Bereinigung des Bruchs der Gesellschaftsordnung entstand, führte sie sekundär auch zur Abwendung einer drohenden oder schon bestehenden Gefahr: Freiwillige Mädchenopfer schützten - sicherlich nicht nur in den vorstehend gesammelten mythologischen Beispielen - in Feindes- und Krankheitsnot.


    Was man aus Angst vor einem Unglück als vermutete Folge des Fehltritts getan hatte, das musste auch als hilfreich angesehen werden können, wenn das Unheil eintrat, auch ohne dass es durch eine athemitomixía veranlasst worden war. Bei der Vestale verbindet sich beides, wenn auch scheinbar in umgekehrter Reihenfolge.


    Eine Bedrohung des römischen Volkes wird durch ein prodigium angezeigt, das die Einsichtnahme in die libri Sibyllini als notwendig erscheinen lässt; da es nicht deren Aufgabe ist, einen unklaren Sachverhalt zu deuten, oder Zukünftiges vorauszusagen, kann die im Jahre 114 v. Chr. gegebene Antwort infamiam virginibus et equestri ordini portendi nicht der Deutung des Vorzeichens gedient haben, sondern enthält den von den libri erwarteten Rat zur Wiederherstellung der pax deum. So heißt es in dem Bericht auch weiter als Folge des sibyllinischen responsum: Tres uno tempore virgines Vestales nobilissimiae cum aliquot equitibus Romanis incesti poenas subierunt; nicht ihre Entdeckung, sondern der Vollzug der "Beseitigung" der Mädchen und der Bestrafung der incestantes wird berichtet. Durch diese Maßnahme ist die drohende Gefahr abgewendet.


    Die Verehrung - auf eine Verehrung weist die Formulierung colitur ausdrücklich hin - des fascinus im Vestalendienst, die für die Zeit der Vestalia geltende sexuelle Enthaltsamkeit, die Verbindung mit den verschiedenen in Latium erzählten Zeugungssagen und das Epitheton, mit dem die Göttin selbst mater genannt wird, sind längst gewürdigt worden. Zwei Gesichtspunkte dürfen noch ergänzt werden: Romulus wird deshalb nicht für den Gründer des Vestadienstes in Rom gehalten, weil das Schicksal seiner Mutter ihn die Bedrohung habe erkennen lassen, in der eine Vestale ständig schwebt. Die zweite Beobachtung betrifft das Lebensalter des Priesterinnen, die ihren Dienst mit zehn Jahren aufnehmen und nach dreißig Amtsjahren ausscheiden können; mit einem Alter von vierzig Jahren darf man aber für die fragliche Zeit das Ende der Empfängnisfähigkeit annehmen. Das ihnen auferlegte Keuschheitsgebot war also eine Art Herausforderung, da es gerade die Jahre betraf, in denen sie ihre Rolle als Frau zu erfüllen vermochten. Es wird sich demnach nicht um ein Reinheitstabu gegenüber dem Dienst am ewig brennenden Feuer handeln, sondern um die Bewahrung der Reinheit für die potentielle "Gottesbraut": Sollte die Notwendigkeit eintreten, eine Vestale dem Gott - er bleibt namenlos wie der menschliche Partner; dass Rhea Silvia mit Mars verbunden wird, ist historisierende Legendenbildung - zu überantworten, darf sie von niemand anderem als eben nur dem Gott berührt worden sein oder berührt werden. Diesem Gesichtspunkt dienen auch die Reinheitsvorschriften, die bei der Auswahl eines Mädchens zum Dienst als Vestale gelten, und die Vorsichtsmaßnahmen bei ihrer Züchtigung durch den Pontifex maximus. Da in der aedes Vestae kein Kultbild steht, erfolgt ihr Dienst nicht unter den Augen der Göttin und ist auch in diesem Punkte dem der lokrischen Mädchen in Ilion vergleichbar: Diese nahten sich nicht der Göttin, säuberten und fegten das Heiligtum, gingen nicht aus dem Tempelbereich hinaus, wurden geschoren, trugen nur ein Gewand und liefen barfuß.


    Antike wie moderne Erklärungsversuche zum Namen der Göttin vermögen nicht, eine Reihe von Widersprüchen aufzulösen. Nach den vorstehenden Betrachtungen scheint es ratsam, die Deutung vom Namen der virgo Vestalis aus zu unternehmen. Da in ihrer Gestalt der Akt der im Widerspruch zu der Gesellschaftsordnung stehenden Zeugung, der athemitomixía, in unmittelbarer Form zum Ausdruck kommt, wird man in diesem Bereich nach einem Etymon suchen dürfen. Dem trägt mein Versuch Rechnung, auf einen Stamm *uers- zurückzugreifen, dem die Bedeutung "benetzen, befruchten, zeugen" zukommt, wie er in dem Worte verres und in griech. hérse "Tau" vorliegt. Auch umbrisch vestikatu "libato", vesticia "libamentum" lassen sich aus *uers- "benetzen, befeuchten" erklären. Die dem Verständnis dienlichsten Beispiele sind jedoch die Wörter investis ( < *in - uers - tis) und vesticeps, mit denen junge Männer vor Erreichen der Pubertät und in deren Besitz benannt werden.


    Darf man voraussetzen, dass der Name der Vesta von einem Stamme *uers- herleitbar ist, so wird die genauerre Bedeutung durch das Suffix -ta bestimmt. Sieht man darin das Nomina actionis bildende, tontragende Suffix -tá wie in Morta, Horta, Prorsa, hätte das unter Reduktion der Stammsilbe zu *urs-tá > *Vosta führen müssen; wenn ich die Göttin gelegentlich als "Zeugung" beschrieben habe, so ist das zurückzunehmen: in -ta darf nur das zur Bildung des Part. Perf. Pass. verwendete unbetonte Suffix verstanden werden, so dass Vesta < *uérs-ta "die Befruchtete" heißt. Man kann demnach in der Göttin das Ebenbild ihrer Dienerinnen, der Vestalen sehen, oder man kann Vesta, die "Befruchtete", für ein Attribut der Erde, der terra, halten; auch hierfür lassen sich in den antiken Deutungen der Göttin Beispiele finden: Varro frg. 281 Cardauns bei August. civ. 7, 16. Geht man von der Vorstellung der athemitomixía aus, so lässt sich diese sehr gut mit allen Beobachtungen vereinen, die es ausschließen, dass die Römer an eheliche und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den von ihnen verehrten Gottheiten geglaubt haben sollen. Ihre Bedeutung käme dann nicht aus dem negativen Aspekt der Beseitigung, sondern gründete sich auf die Hilfe und Rettung, die, positiv gesehen, die Hingabe eines Mädchens an den unbekannten Fremden durch ihren Tod für die Gemeinschaft zu bringen vermochte. Der Tod der Gottheit zum Heile der Menschen ist ein vertretbarer Glaube.


    Dass der Vesta an niedrigen Altären geopfert wird, ist ein Zeichen ihrer Nähe aber auch zu Gottheiten der Erde, zu denen die Vestale zurückkehrt, wenn sie den letzten Sinn ihres Dienstes durch ihren tod auf dem sceleratus campus erfüllt. Die Rundform deraedes Vestae entspräche dem. Das Opfer der Vestale in der regia an Ops und im Kult der Bona dea sind ein deutlicher Hinweis auf die Beziehungen zum Bereich irdischer Fruchtbarkeit. Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass die aedes Vestae kein templum besitzt und nicht inauguriert ist. Dazu passt die Bildlosigkeit ihres Kultes. Die aedes Vestae ist ein Grab.


    Das besagt jedoch auf keinen Fall, dass es sich um einen Totenkult handele; es ist der Platz, an dem die eigentlich schon dem Tode überantworteten, aber noch lebenden Vestalen ihren Dienst versehen. Vesta, die Befruchtete, ist die Erde, sie ist aber auch die erste Jungfrau, die sich gegen das Gebot der Sippe aufgelehnt hat. Wie der Tod dieser Mädchen für die Gemeinde Sicherheit vor Gefahr und Errettung aus dem Unglück bringt, so gehören die Unterpfänder der Größe Roms zum penus Vestae, ihrem Vorrat, den keiner außer den Vestalen sehen darf."


    So. Damit wäre Radkes Sicht der Dinge wohl äußerst klar festgelegt. In nächster Zeit folgen, so erwünscht, noch andere interessante Kommentare zu der Thematik. :)

    Eine bekannte Stimme drang an sein Ohr und veranlasste den jungen Mann, sich der Quelle der Worte zuzuwenden, welche, so sollte sich herausstellen, niemand anderes als Flora selbst darstellte, die an den Flavier herangetreten war. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. "Flora! Bei den Göttern, bald ist deine Schönheit nicht mehr zu ertragen!", sprach er mit einem fröhlichen Blitzen in seinen dunklen Augen ein durch seine Übertreibung sogleich eine fröhliche, lockere Atmosphäre schaffendes Kompliment aus, während er galant nach ihrer Hand griff und einen Kuss über den zarten Rücken derselben hauchte, wobei ihn eine etwas herbe Duftnote gleichsam in der Nase kitzelte, die er nicht sofort einordnen konnte. Wenngleich seine Worte natürlich nicht völlig ernst gemeint waren, so besaßen sie doch einen wahren Kern, denn Flora schien ihm tatsächlich jedes Mal aufs Neue eine überaus bezaubernde junge Frau zu sein. Zu schade auch, dass seine Heiratspläne in eine gänzlich andere Richtung sich konzentrierten. Aber ein bisschen flirten musste doch erlaubt sein. Schon allein, um sich danach nicht wieder die lästernden Worte des alten Griechen gefallen lassen zu müssen ...


    Die Reise. "Eigentlich war sie etwas langweilig. Das Wetter ist nicht unbedingt optimal dafür ... aber Livius hat mir die Zeit wenigstens erträglich gemacht.", beziehungsweise einige Bücher "ab urbe condita" desselben. "Wie dem auch sei ...", wandte Flaccus aber selbst ein, während er vergeblich versuchte, die außergewöhnlich herbe Duftnote, welche er über Floras Hand empfunden hatte, einzuordnen. " ... ich hoffe auch deine Zeit hier im Lager gestaltet sich als eine angenehme?", erkundigte er sich also mit einer höflichen Gegenfrage - belangloser Smalltalk hatte schließlich noch nie geschadet. Angestrengt zerbrach sich der Flavier währenddessen seinen Kopf nach diesem mysteriösen Hauch eines Duftes, bewahrte nach außen hin jedoch gänzlich einen ruhigen, ja gleichsam stoischen Ausdruck. Urplötzlich glaubte er sich allerdings ganz nah an der Auflösung des Rätsels, hatte er doch die untrügerische Vermutung, diesen Duft aus einer früheren Zeit zu kennen - seiner Kindheit. Scharf kombinierend grenzte Flaccus den Bereich also auf die unmittelbare Umgebung des heimatlichen Landgutes ein, als ihn plötzlich und mit einem Schlag die Erkenntnis wie ein Blitz traf: es war Stallgeruch.

    Stirnrunzelnd nickte Flaccus. "Ich verstehe.", wenngleich er im Grunde gar nichts verstand. Was konnte den Helvetier nur von seiner ehrenvollen Pflicht und Aufgabe, Rom als Senator zu dienen, abhalten? Die pietas des Flaviers mochte in durchaus hohen Sphären angesiedelt sein, doch hatte er sich nie so weit weg von der Realität geglaubt. Offenbar schien es für Geminus wichtigere oder jedenfalls angenehmere, erfreulichere, willkommenere Dinge zu geben, als seine Stimme im Senat zu erheben, um die Geschichte Roms zu schreiben.


    Flaccus blickte den alten Mann aus seine dunklen Augen an, eine Spur von Ungläubigkeit lag in seinem Blick. "Aber gibt es auch keine anderen Dinge, die dich ... wenngleich du dein officium als Senator zurückgelegt hast ... in die Öffentlichkeit führen? Unterstützt du junge Menschen auf ihrem Weg in den Senat?", stellte er dem Helvetier gleich zwei Fragen, nicht begreifen könnend, wie man sich nur gänzlich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen konnte, vergessend, dass sein eigener Vater ja nichts anderes hatte getan.

    Die Verwunderung über die Frage des jungen Mannes nach der Frau des Senators war jenem durchaus deutlich anzusehen, wodurch Flaccus sich genötigt sah, die Umstände seiner Bekanntschaft mit der Iunia schleunigst aufzuklären.


    "Ganz genau. Sie hatte mich einige Monate unterrichtet, kam ich doch fast unmittelbar aus Achaia nach Rom und war daher eher die griechische denn die römische Kultpraxis gewöhnt. Es freut mich, zu hören, dass sie wohlauf ist, und die Geburt wohl bald bevorsteht. Sie ist eine unvergleichlich ehrwürdige und fromme Frau, gewiss werden die Götter Serrana auch diese letzte Zeit noch schützend beschirmen.", meinte Flaccus, und brachte seine ehrliche Bewunderung der Iunia zum Ausdruck, die ja kaum älter als er selbst sein konnte. "Ein Sohn? Ist es etwa dein erstes Kind?", erkundigte sich der Flavier daraufhin höflich, denn um die genaue Konstellation der Familie des Senators wusste er nicht bescheid.

    Der junge Mann nickte verständnisvoll, als der Octavier von seiner Abstammung aus dem Landesinneren aber der Verbundenheit zur Küstenstadt sprach. Flaccus selbst kannte die Vorzüge durchaus, die das Leben am Meer zu bieten hatte, lag doch sein Heimatgut bei Poseidonia ebenfalls in direkter Küstennähe. Die kühle, frische Brise hatte er nur allzu bald zu vermissen gelernt, in der großen Stadt.


    Was die Albata anging, so waren die Auskünfte des Senators in dieser Hinsicht weniger erfreulich. Sein Einsatz für einen Rennstall, der, zumindest im Moment, nicht um den Sieg mitfahren konnte, würde seine Beliebtheit und die allgemeine Wahrnehmung seiner Person in der Öffentlichkeit wohl kaum in positiver Weise beeinflussen. Dennoch glaubte Flaccus zumindest ein Fünkchen Zukunftsoptimismus aus den Worten des Octaviers herauszuhören, und der würde schließlich wohl nicht grundlos grundsätzlicher guter Dinge sein.


    Im Geiste fasste der junge Flavier nun also nochmals alle Auskünfte zusammen, die er von Macer erhalten hatte, um festzustellen, dass die Einsatzbereiche des Octaviers durchaus vielfältig und bunt waren. Seine grundsätzliche Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sollte also eine deutlich positive sein - denn dass die auctoritas eines Senators schon lange kein Garant mehr für Ansehen im Volk war, hatte der Flavier betrüblicherweise bereits feststellen müssen. "Das klingt alles sehr interessant und spannend ....", stellte er also fest, " ... ich denke, nun kann ich mir ein durchaus kontrastreiches Bild deiner Aufgaben formen. Ich danke dir jedenfalls für den kleinen Augenblick deier kostbaren Zeit."

    Acarus, der fröhliche Knabe, hatte dem angekommenen Flavier samt griechischem Anhang den Weg geleitet, hin zu jenem Raum des Praetoriums, in welchem die abendliche cena stattfinden würde. Als Quintus den Raum betrat, der für das Essen in schlichter, aber durchaus gefälliger Weise geschmückt worden war, erkannte er in dem Sklaven, welcher den Vorbereitungen eben den letzten Schliff zu verpassen schien, jenen dunklen Nubier, den er zuvor offenbar fälschlicherweise für den Ianitor gehalten hatte. Mit durchaus anerkennendem Gesichtsausdruck musterte der junge Flavier das Ergebnis der Vorbereitungen und glaubte hierin, wie auch in der geschmackvollen Einrichtung und Dekoration aller anderer Räumlichkeiten des Praetoriums, welche er mittlerweile gesehen hatte, die überaus stilsichere Handschrift der Gattin des Legaten, Tiberia Septima zu erkennen. Betrüblicherweise hatte sich noch keine Möglichkeit geboten, die junge Frau persönlich kennen zu lernen, wiewohl Quintus selbst ihren Ehemann, Aurelius Ursus, nur aus düsteren Kindheitseindrücken ins Gedächtnis rufen konnte. Zu spärlich waren in seiner Jugend schon die Gelegenheiten des Aufeinandertreffens mit Verwandten ausgefallen, schließlich hatte sein Vater, Flaccus maior, sich nicht grundlos gänzlich auf sein Poseidonium zurückgezogen, sondern um dem Trubel, vor allem aber den Pflichten und Verantwortungen, die das Leben in der Stadt nun eben mit sich zu bringen pflegt, zu entfliehen, doch hatten jene immerhin ab und an sich nicht vermeiden lassen. Der Kontakt mit anderen patrizischen Kreisen war jedoch auf ein verschwindend geringes Minimum reduziert worden. Und dennoch waren es sogar Blutsbande, welche den jungen Flavier mit Ursus verbanden. Die Aussicht auf den kommenden Abend erfüllte Quintus also durchaus mit freudiger Erwartung, hoffte er doch neben dem Legaten und seiner Gattin auch Aurelia Flora, die ja kurz vor den Spielen an den Carmentalia von ihrer Reise nach Mantua gesprochen hatte, hier wiederzusehen.


    Noch war der Raum allerdings leer, abgesehen natürlich von einigen Sklaven, welche allerdings eher der dekorativen Einrichtung denn tatsächlicher menschlicher Gesellschaft zuzuordnen waren, sodass Quintus zunächst an Myson sich wandte, etwas nervös an seiner Tunika herumzupfend: "Bist du dir sicher, dass es so gut sitzt?" Schließlich war es der Grieche gewesen, welcher hier, in Ermangelung der in diesen Dingen etwas kundigeren Mädchen der Villa, seinen Herren eingekleidet hatte. Hatte die prächtige golddurchwirkte Tunika mit ihren verästelten Motiven dem Alten zwar keine Probleme bereitet, so war es vor allem die tiefrote Stoffbahn, am Rand mit goldenen Borten verziert, welche nicht so recht um den schlanken Körper des Flaviers sich hatte schlingen lassen wollen. Irgendwie war es dann doch bewerkstelligt worden, das Ganze einigermaßen repräsentativ hinzukriegen, doch war Quintus absolut kein Mann, der sich mit "irgendwelchen" oder "einigermaßen" guten Dingen zufrieden gab. Also hatte es noch eine ganze Menge Anläufe gebraucht, ehe der blutrote Überwurf in ansehnlicher Position sich befand. Mittlerweile jedoch hatten den Flavier erneut Zweifel befallen, ob denn die komplizierte Faltenlage des Stoffes auch noch immer in korrekter Weise saß, sodass er sich gezwungen sah, das ästethische Urteil des greisen Griechen zu erbitten.

    Flaccus nickte, während der Octavier seine weiteren Aufgabenbereiche aufzählte. Er schien ein sehr umtriebiger Mann zu sein.


    "Das heißt, du bist also besonders mit Ostia verbunden...", eigentlich mehr eine Feststellung des jungen Flaviers, denn eine Frage, welche er jedoch sofort nachschob: "Stammst du von dort?" Schließlich war es doch überaus häufig, dass junge Männer aus kleineren Städten Italiens nach Rom kamen, um ihre politische Laufbahn zu verfolgen, mit ihren Heimatstädten jedoch stark verbunden blieben, und deren Interessen später auch in der Stadt vertraten.


    "Die Albata. Wie stehen die Weißen eigentlich gerade da?", erkundigte sich der Flavier daraufhin höflich, und wurde an die Unterredung erinnert, die er erst vor kurzer Zeit mit dem Senator Germanicus Sedulus geführt hatte. Die Interessensgebiete der beiden Männer schienen sich in großen Bereichen zu überschneiden: Wagenrennen und Schreine der Laren an Wegkreuzungen. Beides zweifellos Dinge, die sehr nah, ja fast unmittelbar im Alltag der plebs verankert waren. Dass er in Octavius Macer gar einem Cliens des Germanicers gegenüberstand, konnte Flaccus natürlich nicht wissen.

    Also zunächst mal möchte ich klar differenzieren, dass ich hier lediglich und völlig objektiv einen wissenschaftlichen Artikel zitiert hab, einfach um mitzuteilen, dass gerade diese Aspekte der Vestalen an sich, sicherlich nicht die geläufigsten, jedoch zweifellos bis zu einem gewissen Grad plausibel sind. Ich würde es also deutlich präferieren, wenn wir hier von Radkes Ansicht zu dem Thema sprechen. Ich selbst fühle mich nämlich nicht in der Lage, seriös darüber zu sprechen, dafür habe ich mich bisher eindeutig zu wenig mit der Thematik beschäftigt. Trotzdem liegt es jetzt wohl an mir, Radke zu verteidigen... :D


    Also gut.


    Was Rhea Silvia betrifft, so wurde die (als Amulius davon erfahren hatte) lebendig vergraben. Einer zweite Variante der Geschichte nach wurde sie, an einen Stein gebunden, in den Tiber geworfen ... (Der Tiber hat sich dann allerdings erbarmt, und sie zur Frau genommen)


    Zitat

    Original von Quintus Flavius Flaccus
    In Rom bringt man bei der Reinigung des Tempels das stercus in den angiportus unter der rupes Tarpeia (Varro 1. 1. 6, 32. Fest. 310, 23. 466, 32ff. L.) und wirft schließlich die purgamina in den Tiber, der früher unter dem Felsen vorbeifloß. Das ist der Platz, an dem auch inzeste Vestalen hinabgestürzt werden (RADKE, Die Götter Altitaliens, 1965, 325f.).


    Also, nach einer Variante lebendig vergraben, nach einer anderen in den Tiber gestürzt - beides typische Varianten, um eben das Mädchen in die Welt des Gottes zu überführen. Gerade durch die Verflechtung in den Mythos kann man allerdings darauf schließen, dass man es hier mit wirklich, wirklich alten Gepflogenheiten zu tun hat.


    Was die anderen Aufgaben der Vestalen betrifft, sowie die Tatsache, dass einer, der mit einer Vestalin geschlafen hat, und nicht schlau war, schnell genug unterzutauchen, um als Inkarnation eines Gottes durchzugehen, nicht sehr göttlich behandelt wurde, so muss man da einfach damit rechnen, dass diese ursprüngliche Institution einfach im Laufe der Zeit weitere Aspekte dazugewonnen hat. In ihrer ursprünglichsten Bedeutung diente diese Gruppe von Jungfrauen (wie eben auch belegte ähnliche Gruppen in anderen Gemeinden) aber eben offensichtlich dazu, um aus ihren Reihen stellvertretende Opfer für die Gemeinde zu stellen.


    Zitat

    Original von Claudia Romana
    Wobei ich mir stets gedacht habe, dass es so gelagert gewesen ist, dass eine Katastrophe geschieht, die Römer sich denken, das muss so gekommen sein, weil eine Vestalin Unzucht getrieben hat, und als Strafe daraufhin logischerweise der Tod kommt.


    Aber genau das sagt Radke doch! Eben dieser Tod stellt doch das "Opfer" pro populo Romano Quiritibus dar.


    Zitat

    Original von Claudia Romana
    ... Und warum gerade für Vesta?


    Ich zitiere nochmals Radke ebenda: (schön langsam gefällt mir dieser Artikel immer mehr... :D)


    "Zur sprachlichen Deutung des Namens Vesta gibt es viele Versuche, die mich keineswegs befriedigen; trifft meine Herleitung von einem Stamme *uers- [Anm.: kann ich hier leider nicht richtig wiedergeben, unter dem u sollte eingentlich noch so ein kleiner Halbbogen sein, doch ich versuch gar nicht mal den hier hinzubekommen, denn als ich zuvor die hestía koiné in Matinea hier griechisch hinkriegen wollte, kam eine mittlere Katastrophe raus ... s.u.] "benetzen, befruchten zu - der Regen, aus dem Danae den Perseus empfing, drückt das in einem leicht fasslichen Bilde aus -, so dass Vesta "Benetzung, Befruchtung" hieße, wäre damit nicht nur die Verbindung zu umbrisch vestikatu "libato" oder vesticia "libamentum" hergestellt, sondern sowohl der Rolle der Vesta an letzter Stelle des Gebets (vgl. Cic. nat. deor. 2, 67. dom. 144. Verg. georg. 1, 498. Vell. 2, 131, 1. Aug. civ. Dei 7, 2. Serv. Aen. 1, 292.) wie auch der potentiellen Aufgabe ihrer Priesterinnen entsprochen, die Folgen einer im Einzelfall fingierten Befruchtung zu tragen. Auch der fascinus in der Obhut der Vestalen (Plin. h. n. 28, 39.) enthielte dann seine Erklärung, die zu der Rolle des Phallos im Herde der Tanaquil und des membrum virile passt, nach dem die Nonae Caprotinae ihren Namen haben. [wie Radke den Namen der Iuno Caprotina bzw. der Nonae Caprotinae von *kaprto- (zu altind. kaprt "membrum virile") herleitet nachzulesen in RADKE, Die Götter Altitaliens, 1965, 80f. 304.)] Das für die Vestalen geltende Keuschheitsgebot gewinnt einen neuen und verständlichen Sinn: Die Reinheit des Opfers.


    Spannend, oder? Je tiefer man eintaucht, desto düsterer wird die Sache... ;)

    Erfreut darüber, dass Octavius Macer kaum auf sich hatte warten lassen, erwiderte Flaccus den Gruß des Herantretenden: "Salve, Senator. Ich bin Quintus Flavius Flaccus und gewissermaßen im Auftrag des Consuls Purgitius Macer hier, der mir aufgetragen hat, ein Bild über den öffentlichen Einsatz der ehrwürdigen Männer des Senats zu gewinnen. Diese Aufgabe hat mich nun auch zu dir geführt. Gibt es also außerhalb deiner Pflichten als Senator und Curator Aquarum Dinge, die dich in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten lassen, etwa der Einsatz für bestimmte Städte, oder Engagement in gewissen Societates ...?", erkundigte er sich beim Octavier.

    Dem Ianitor ins Atrium gefolgt, stand Flaccus nun da, Nestor an seiner Seite und blickte sich aufmerksam um, in der Hoffnung es würde nicht allzu lange dauern, bis der Senator Zeit für das kurze Gespräch finden würde.

    Erfreut erwiderte Flaccus Pisos Nicken mit einem breiten, etwas ungravitätsvollen Grinsen. Flaccus war nun ein Arvalbruder. Das hatte schon was, schließlich wurde nicht jeder zu dieser durchaus exklusiven Gemeinschaft zugelassen. Noch erfreuter war der junge Mann allerdings, als Tiberius Durus Piso als Magister der Sodalität vorschlug, mit Verweis auf dessen langen Dienst an der Dea Dia sowie seiner Erfahrung als Septemvir. Gerade letzteres ließ dem jungen Flavier die merkwürdigen Dinge, welche Flaccus bei jenem schicksalsträchtigen Gespräch, das in zahlreicher Hinsicht wohl als Wegweiser für seine weitere Zukunft sich erweisen würde, über dieses Collegium erfahren hatte, wieder ins Gedächtnis schießen, konnte seine Freude über die Ehre, welche Piso nun jedoch zuteil werden sollte, nicht trüben. Gespannt blickte er in die Runde, um zu sehen, ob tatsächlich einer es wagen würde, gegen den fähigen Flavier zu kandidieren. Natürlich würde niemand so wahnsinnig sein ...

    Der ergebene Respekt sowie die ausgesuchte Höflichkeit im Verhalten des barbarischen Sklaven machten einen durchaus faszinierenden Eindruck auf den jungen Mann, obwohl jener im Grunde nichts Anderes erwarten dürfte. Dennoch war es die Ehrlichkeit im Verhalten des Nubiers, welche den Flavier besonders berührte, gewann er schließlich den Eindruck, dass das höfliche Verhalten keineswegs auf eingepeitschter Demut sondern vielmehr tiefer Ehrerbietung und ehrlichem Respekt beruhte. Als der Nubier einen Schritt zur Seite ging, trat Flaccus näher. Erfreut nahm er die ausgesuchte Wortwahl des Sklaven sowie sein völlig fehlerfreies Latein zur Kenntnis. "Ich würde mich gerne eine kleine Weile zurückziehen, um mich etwas zu erholen. Setzt den Legaten aber von meiner Ankunft in Kenntnis, und erkundigt, ob er mich zur cena empfangen will.", wies Flaccus den Nubier in durchaus freundlichem Ton an, um sich dann den beiden Sklaven, welche mit Wasserschalen herantraten, sich zuzuwenden. "Außerdem sollten meine Sklaven verpflegt werden, also die Germanen ...", mit einem leichten Nicken wies er auf die beiden Hünen. "Der Grieche bleibt bei mir." Nachdem er seine Hände und Füße flüchtig mit dem warmen Wasser waschen hatte lassen, blickte er erneut den Nubier an. "Wenn ich mich jetzt also etwas zurückziehen könnte ..."

    Also, erstmals freut es mich, dass jemand Notiz davon genommen hat, und die Informationen nicht nur mir selbst interessant erschienen sind.


    Zitat

    Original von Claudia Romana
    Radke sagt also, weil die Liktoren ihre Fasces außer vor Vestalinnen vor höherrangigen Beamten, Repräsentanten des römischen Volkes und vor Begräbnissen gesenkt wurden. Deshalb muss eine Vestalin wie eine lebendige Tote sein. Logischerweise müsste also Geschlechtsverkehr mit einer Vestalin dann, juristisch betrachtet, so sein wie Leichenschändung... 8o


    nicht ganz, es ist ja allen klar, dass sie nicht tot sind, sie sind nur, sozusagen für den Fall der Fälle, dem Tode geweiht ... s.u.


    Zitat

    Original von Claudia Romana
    Was hat es dann mit dem Begräbnis der Vestalin auf sich? Vestalinnen, die unkeusch waren, wurden ja (zumindest in der Republik) lebend begraben, auch wenn der Auszug das verschweigt und stattdessen die tarpeischen Felsen erwähnt (wobei ich nur von einer Vestalin weiß, die von den tarpeischen Felsen gestürzt wurde, und die war keusch, aber eine Verräterin – Tarpeia. Hat Radke da was durcheinander gebracht?). Unkeusche Vestalinnen wurden begraben. Soweit ich es bisher versanden hatte, war das so, weil die Römer Scheu davor hatten, das Abbild einer Göttin auf Erden auf direktem Wege zu Tode zu bringen – nur wäre das unlogisch, wenn die Vestalin ja schon „Dead Woman Walking“ gewesen wäre.


    Zitat

    Original von Quintus Flavius Flaccus
    Das ehrenvolle Geleit des obersten Kultbeamten jedoch bis zu dem Platze auf dem campus sceleratus, wo sie lebendig begraben - zur Bedeutungsgleichheit dieser Tötungsart mit dem Felsensturz s. o. -, oder auch zum Kapitol (Horat. c. 3, 30, 8f.), von dessen rupes Tarpeia sie hinabgestürzt werden soll, lassen erkennen, dass keine Bestrafung für wirklich begangenes Unrecht - der Nachweis des Inzests erfolgt jeweils nur formal -, sondern der Vollzug einer rituellen Handlung vorliegt, der ein für diesen Zweck bereitgehaltenes Mädchen unter fiktiver Motivation ausgesetzt wird.


    Ich will versuchen, den, jedenfalls für mich, völlig plausiblen Gedankengang Radkes noch eine Spur klarer zu machen: Erstmals muss man, und das ist wohl die bei weitem schwierigste Sache dabei, alle modernen Denkmuster beiseite lassen, und in jene dunkle Urzeit der römischen wie auch aller anderen Kulturen im Mittelmeerraum einzutauchen versuchen. Nun ist es so, dass - in ältester Zeit wohlgemerkt - die Ehegesetze in einzelnen Stämmen klar geregelt sein mussten, um funktionierendes Zusammenleben und das Überleben des Stammes zu sichern. Kam es nun vor, dass ein Mädchen des Stammes gegen diese strengen Gesetze verstieß, etwa durch die Vereinigung mit einem "Fremden" (also Nicht-Stammesangehörigen, der womöglich eine völlig andere Sprache sprach etc. und nach dem Kontakt mit dem Mädchen auch bald auf "mysteriöse" Weise wieder verschwunden war), hätte diese unwürdige Verbindung Schande über die Familie gebracht sowie Unheil über den gesamten Stammesverband, die Gemeinde eben, heraufbeschworen. Um das zu umgehen, wurde der Fremde kurzerhand zu einem Gott erklärt (eben Zeus, Mars oder so) und das betreffende Mädchen eben auf kultische Weise - ohne gewaltsame Tötung! - sozusagen von der sterblichen in die unsterbliche Welt befördert. (Felssturz, Lebendigvergraben etc.) Nun kam es (sekundär) jedoch quasi zu einer Institutionalisierung des Mädchenopfers zur Abwehr bevorstehenden oder zur Vertreibung bereits vorhanden Unheils. Es entstand also die Einrichtung, Mädchen bereit zu halten, die im Fall der Fälle für das Wohlergehen der Gemeinde (vgl. pro populo Romano Quiritibus!) geopfert werden konnten, auch wenn sie nicht mehr wie im ursprünglichen Falle (vielleicht) tatsächliche Schuld, sondern lediglich stellvertretende Schuld besaßen. Durch ihr Opfer also wurde gleichsam die Schuld der Gemeinde getilgt, die Götter besänftigt und Unheil abgewehrt. Als eine solche Gruppe sieht Radke eben auch die Vestalen in Rom.


    Nun haben sie zweifellos einen besonderen Status der sich durch viele Dinge, wie eben auch das Senken der fasces, äußert. Dass Radke sie auch, für mich etwa auch durch die unwiderlegbaren Parallelen ihrer Tracht mit jener der römischen Braut, durchaus plausibel, gleichsam auf die ursprünglichste Form dieses Phänomens zurückverweisend, als "Gottesbräute" bezeichnet, ist eben für mich auch weitaus sinnvoller, als die (vergeblichen) Versuche, ihre Stellung als Haustochter des römischen Volkes, Partnerin des Pontifex Maximus oder gar Abbild einer Göttin auf Erden zu erklären. Somit, um zum Conclusium der Sache zu kommen, war eben ihre "Tötung" (eher Überführung in die Welt der Unsterblichen) durchaus nicht an tatsächlich begangenes Unrecht geknüpft. Formal war der Nachweis des Inzests natürlich nötig (um den Konnex zur ursprünglichen Form dieser Sache herzustellen), es ging jedoch nicht darum, jemdanden zu bestrafen, sondern durch das stellvertretende Opfer des Mädchens Unheil von der Gemeinde abzuwenden. Ob die Fälle der Unkeuschheit dann tatsächlich lediglich fingiert, oder aber auch von den Vestalen im Bewusstsein, dadurch ihren eigenen Tod aber Wohl für ihre Gemeinschaft zu erreichen, freiwillig und bewusst herbeigeführt wurden (eine kleine Überlegung meinerseits), tut im Grunde nichts zur Sache (und kann wohl wegen der engen Verwebung von Mythos mit tatsächlicher historischer Realität auch keineswegs mit Sicherheit gesagt werden). Fakt ist schließlich, dass Mädchenopfer in archaischen Gemeinden durchgeführt wurden, um Unheil abzuwenden, wobei die ursprüngliche Verknüpfung mit Unkeuschheit oder Bruch der Ehegesetze später nur noch formal vonnöten war. Ebenso fest steht, dass zu diesem Zweck, Mädchen in den einzelnen Gemeinden bereitgehalten wurden, um im schlimmsten Falle gleichsam stellvertretend die Schuld auf sich zu nehmen und als Opfer zu dienen. Ebenso sicher ist schlussendlich, dass dieser Dienst der Mädchen an der Gemeinde ein durchaus rühmlicher war, somit gerade jene Vestalen, welche als solches Opfer pro populo Romano Quiritibus dienen durften, eine besonders glänzende Erwähnung in der Überlieferung (sowie Eingang in den Mythos) zuteil wurde.


    So hab' ich die Sache jedenfalls verstanden.

    Zitat

    Original von Aurelia Flora


    Tatsächlich schien die flinke Behändigkeit des Nubiers in denkbar großem Kontrast zu der wohl kraftstrotzenden aber lediglich doch nur plumpen, einfallslosen Kampfweise des gedrungenen Germanen zu stehen. Jedenfalls war sich der junge Mann bald schon sicher, dass er in der Wette wohl den Kürzeren ziehen würde. Während Flaccus also immer noch dem Geschehen in der Arena folgte, zerbrach er sich bereits den Kopf darüber, welchen Wunsch Flora wohl äußern würde, gewänne sie die kleine Wette. Den kleinen Moment, welchen er seine Aufmerksamkeit von der Arena fortriss, um einem der Sklaven, welche um die beiden Patrizier sich gruppiert hatten, um für deren Wohl zu sorgen, seinen Becher hinzuhalten, auf dass jener ihn erneut fülle, nutzte der junge Mann, um die Aurelia eindringlich zu mustern. Einige Strähnen ihres honigfarbenen Locken umrahmten ihr zartes Antlitz, auf ihren Lippen lag ein anregender Hauch von Purpur, ein silberner Tropfen zierte ihr Ohr. Sie war unvergleichlich schön. Als er seinen Blick wieder abwenden, und auf den Kampf richten wollte, traf den junge Mann erneut ein mahnender Blick von Floras Sklavin. Er erwiderte den Blick aufrichtig, ein belustigtes Funkeln blitzte in seinen braunen Augen auf und seine Lippen formten ein Lächeln. Lysandra, deren Namen Flaccus natürlich nicht kannte, schien zu glauben, die Gedanken des Flaviers gingen ihn eine Richtung, in welche sie vermutlich einige Augenblicke tatsächlich gegangen waren. Eigentlich gefiel es dem jungen Mann sogar die Sklavin gewissermaßen zappeln zu lassen, sodass er seinen Blick wieder auf die Arena richtete, während in seinem Kopf zwei Stimmen versuchten die Oberhand zu gewinnen, was denn nun tatsächlich zu wünschen sein würde, sollte Flaccus die Wette - wider Erwarten - doch noch gewinnen.

    Flaccus lächelte erfreut, als Sedulus erklärte, dass es den Blauen im Moment jedenfalls nicht gänzlich miserabel ging, womit dieses Thema wohl auch schon beendet war, denn mehr wollte der Germanicer darüber sichtlich nicht preisgeben. Während der Senator daraufhin die Aufgaben der Germanitas Quadrivii näher erläuterte nickte Flaccus, sich in seiner eigenen Beurteilung der Societas als einer durchaus wichtigen bestärkt sehend. Er ritzte also auch noch eine betreffende Notiz in seine Wachstafel, und fasste die einzelnen Punkte im Geiste zufrieden zusammen. Zweifelsohne war der Germanicer ein durchaus gewichtiger Mann im öffentlichen Leben Roms, da er sich über seine Aufgaben als Senator sowie Curator operum publicorum, eben auch in anderer Weise engagierte, von seinen Pflichten als Pater familias gar nicht zu reden. Freundlich blickte der junge Flavier Sedulus an. "Im Grunde sind das schon alle Informationen, die ich benötige ... ich danke dir." Das war ja mal schnell gegangen. "Wenn du mir noch eine persönliche Frage erlaubst ... wie geht es deiner Gattin, Serrana?" Erst in der nunmehr entstehenden kleinen Pause fiel Flaccus ein, dass er diese Frage womöglich rechtfertigen musste, schließlich wusste Sedulus möglicherweise gar nicht um die Bekanntschaft zwischen dem jungen Mann und seiner Gattin. "Du musst wissen, sie hat mich schon kurz nach meiner Ankunft in Rom im Dienst an den Göttern unterwiesen...", erklärte er also ihre Beziehung zueinander genauer. Eigentlich musste die Schwangerschaft der Iunia doch mittlerweile weit fortgeschritten sein, schließlich hatten sich schon zu Beginn des Unterrichts erste Anzeichen derselben gezeigt.

    Erfreut nahm Flaccus die Aufmerksamkeit des alten Senators zur Kenntnis, mit welcher jene seinen Worten folgte, nur um wenige Augenblicke später durch die leichten Anzeichen von Amüsement, welche im Antlitz des ansonsten so gravitätsvollen Mannes sich manifestierten, etwas irritiert zu werden. Zu kurz war tatsächlich seine Zeit gewesen, um über das Durchsehen des album senatorium hinaus, einen Überblick über die Männer des Senats sich zu verschaffen. So hatte er auch nicht die geringste Ahnung, dass jener Helvetier, dem er sich nun gegenüber sah, schon seit Jahren keine honores bekleidet, ja nicht einmal an den Sitzungen des Senats partizipiert hatte, worüber ihn Geminus jedoch schon nach einigen Augenblicken aufklärte. Zunächst jedoch sprach er seine Achtung vor Purgitius Macer aus, was der Flavier zum Anlass nahm, durch die Bekräftigung der Worte des Alten, seine eigene Meinung von diesem seinem politischen Tutor kundzutun. "Zurecht. Purgitius Macer ist ein überaus fähiger Mann von höchster Rechtschaffenheit, wahrhaft römisch ...", griff er die Möglichkeit zum quasi mikropanegyrischen Consul-Lob auf. Als der Senator sich daraufhin abwandte und einige Schritte ging, folgte Flaccus ihm mit seinem Blick, während sich seine Stirn in Falten legte, welche sich bei den nächsten Worten noch vertieften. "Senator im Ruhestand?", vergewisserte er sich, Geminus richtig verstanden zu haben. Senator im Ruhestand - davon hatte er ja noch nie gehört. Er musterte den Helvetier intensiv, nur um zum Ergebnis zu kommen, dass jener, wiewohl Anzeichen fortgerückten Alters zeigend, nicht sonderlich gebrechlich erschien - sein Rückzug aus der Politik und dem öffentlichen Leben, musste also gänzlich andere Ursachen haben.

    In einem Artikel von Gerhard Radke in "Aufstieg und Niedergang der römischen Welt" I, 2, 1972, bin ich auf, meiner Meinung nach, durchaus interessante Aspekte des Vestalendaseins gestoßen, die ich gerne vor allem den Vestalinnen simmenden Spielern des Forums nicht vorenthalten möchte:


    " ... Die zahlreichen Felsenstürze innerhalb der griechischen Mythologie gehen auf eine entsprechende rituelle Maßnahme zurück. Diese hat soziologische und kultische Motive: Ein Mädchen, das den strengen Ehegesetzen des Stammes zuwiderhandelt, beschwört dadurch Unglück über die Gemeinde herauf; um das zu vermeiden, setzt man voraus, daß der Fremde mit dem das Mädchen verkehrte, ein Gott - Zeus naht Danae, Mars der Ilia - war, dem man die Geliebte überantwortet, indem man sie ohne gewaltsame Tötung aus der Welt der Menschen in die der Götter überführt. Das konnte durch Steinigung, durch Lebendigvergraben oder durch Felsensturz erreicht werden; der Felsensturz hatte den Vorteil, sich die Verwandlung der Ausgestoßenen in einen Vogel leichter vorstellen zu können. (vgl. den Sturz vom leukadischen Felsen mit der künstlichen Andeutung einer Vogelverwandlung bei Strab. 10, 452.) Sekundär konnte ein derartiges Mädchenopfer auch bevorstehendes Unheil fernhalten oder vorhandenes vertreiben; so entstand die Einrichtung, Mädchen bereitzuhalten, die gegebenenfalls für das Wohlergehen der Gemeinde geopfert werden konnten, auch wenn sie nur eine quasi stellvertretende Schuld besaßen: Die lokrischen Mädchen und ihr Opferdienst in Troia (Plut. ser. num. vind. 12; F. SCHWENN, Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern, Gießen 1915, 47ff.) sind dafür das bekannteste Beispiel. In Rom ist so die Sonderstellung der Vestalen zu erklären (RADKE, Die Götter Altitaliens, 1965, 320ff.).


    In der Captionsformel der Vestalin steht nichts vom Bewachen des Feuers, wohl aber heißt es, sacra faciat, quae ius siet sacerdotem Vestalem facere pro populo Romano Quiritibus (Gell. 1, 12, 14.); und deshalb sind sex Vestae sacerdotes institutae . . ., ut populus pro sua quaque parte haberet ministram sacrorum (Fest. 468, 5 L.). Die Vestalin wird optima lege bzw. uti quae optima lege fuit eingesetzt; das ist die Formel, die sonst beim magister populi, d.h. dem dictator, Anwendung findet (Fest. 216, 11ff. L.: optima lex . . . in magistro populi faciundo, qui vulgo dictator appellatur usw.): Wie dieser eine besondere Stellung gegenüber einer Reihe von iura - beispielsweise verliert vor ihm das ius provocationis ad populum seine Gültigkeit - einnimmt, tritt auch die Vestalin aus dem üblichen Rahmen heraus. Sie verlässt durch die capio die patria potestas sine emancipatione ac sine capitis minutione (Gell. 1, 12, 9. Paul. Fest. 61, 25ff. L. Gai. inst. 1, 130.); diese Sonderstellung besitzt sonst allein der flamen Dialis (Gai. inst. 1, 130. 3, 114.). Es kommt hinzu, dass die Liktoren aller Beamten vor den Vestalen ihre fasces senken (Sen. contr. 6,8), was sie sonst nur dann tun, wenn ihr magistratus zum populus Romanus spricht (Liv. 2, 7, 7. Val. Max. 8, 44.), wenn er einem magistratus mit höherem imperium begegnet (Plin. h. n. 7, 112. Cic. Brut. 22. Dion. Hal. ant. 8, 44.) und wenn er an einem funus teilnimmt (Tac. ann. 3, 2, 2.). Da die Vestalin weder als höherer magistratus noch als Repräsentantin des polpulus Romanus angesprochen werden kann, bleibt nur übrig, sie als eine - noch lebende - Tote zu verstehen. Wie sie als kultisch "Tote" noch in der Stadt "lebt", kann sie auch innerhalb ihrer Mauern nach ihrem natürlichen Tode bestattet werden; dieses Sonderrecht haben, weil sie außerhalb der Gesetze stehen, die römischen Kaiser und die Vestalen: imperatores et virgines Vestae, quia legibus non tenentur, in civitate habent sepulcra (Serv. (auct.) Aen. 11, 106.).


    Wenn die Vestalin sine kapitis deminutione exierit de potestate parentis veluti morte eius (Gai. inst. 3, 114) (bz. morte sua), erfüllt sie die Bedingung, da der Tod allein in allen anderen Fällen die patria potestas sine emancipatione ac sine capitis minutione (s.o.) aufzulösen vermag. Die sacra, quae ius siet sacerdotem Vestalem facere pro populo Romano Quiritibus, werden gegebenenfalls durch ihren rituellen Tod an ihr selbst vollzogen.


    Betrachten wir ferner die aedes Vestae: Sie ist nicht inauguriert (Gell 14, 7, 7. Serv. Aen. 7, 153.), ihr Rundbau hat nur eine relativ sehr geringe Größe, die Funde unter den Fundamenten lassen einen mundus vermuten. Auf Grund dieser Fakten hielte man - wäre man völlig unvoreingenommen - das Bauwerk für ein Grab wie die runde ἑÃÄί± º¿¹½ή in Mantinea, die als Grab der Stadtgründerin Antinoe galt (Paus. 8, 9, 5.). Dass niemand außer der Vestalin die aedes Vestae - eben dieses "Grab" - betreten durfte (Lucan. 1, 598. 9, 993f. Ov. fast. 6, 154. 450. Lact. inst. 3, 20, 4.), wird nur dann sinnvoll, wenn sie selbst eine Tote, die aedes der ihr zukommende Platz ist. Die Tage der Vestalia, an denen sich das "Grab" öffnet (CIL I² p. 266. 309. Fest. 296, 13f. L. Serv. auct. Aen. 3, 12.), fallen mit denen der attischen Plynteria, des "Untertauchfestes", zusammen (DEUBNER, Attische Feste, 1956, 22.); in beiden Fällen bleiben die anderen Tempel geschlossen. Die Übereinstimmung ist wahrscheinlich ursächlich begründet. In Rom bringt man bei der Reinigung des Tempels das stercus in den angiportus unter der rupes Tarpeia (Varro 1. 1. 6, 32. Fest. 310, 23. 466, 32ff. L.) und wirft schließlich die purgamina in den Tiber, der früher unter dem Felsen vorbeifloß. Das ist der Platz, an dem auch inzeste Vestalen hinabgestürzt werden (RADKE, Die Götter Altitaliens, 1965, 325f.). Man hat nicht widerlegen können, dass die Tracht der Vestalin - bis auf ihr suffibulum - die der römischen Braut sei (H. DRAGENDORFF, Die Amtstracht der Vestalinnen, Rhein. Mus. 51, 1896, 281ff.) - sie ist gewissermaßen auch eine "Gottesbraut" -, und hat sich vergeblich bemüht (WISSOWA, Religion und Kultus der Römer, ²1912, 158, 7. 509, 5. L. DEUBNER, Religion der Römer, b. CHANTEPIE DE LA SAUSAYE, A. BERTHOLET, E. LEHMANN, Lehrbuch der Religionsgeschichte II, Thübingen 1925, 450. TH. MOMMSEN, Römische Forschungen I, Berlin 1864, 80.), sie als Nachfolgerin der römischen Königin oder der Königstöchter oder als Haustochter des römischen Volkes oder als Partnerin des pontifex maximus zu erweisen; letzterem widerspricht allein schon die Regel, nach der die sponsa pontificis nicht Vestalin werden darf (Gell. 1, 12, 7.). Das ehrenvolle Geleit des obersten Kultbeamten jedoch bis zu dem Platze auf dem campus sceleratus, wo sie lebendig begraben - zur Bedeutungsgleichheit dieser Tötungsart mit dem Felsensturz s. o. -, oder auch zum Kapitol (Horat. c. 3, 30, 8f.), von dessen rupes Tarpeia sie hinabgestürzt werden soll, lassen erkennen, dass keine Bestrafung für wirklich begangenes Unrecht - der Nachweis des Inzests erfolgt jeweils nur formal -, sondern der Vollzug einer rituellen Handlung vorliegt, der ein für diesen Zweck bereitgehaltenes Mädchen unter fiktiver Motivation ausgesetzt wird.


    Seit es im Dienst der Vesta Vestalen gibt, finden gerade diejenigen unter ihnen, die wegen Inzests "bestraft" werden mussten, von der sagenhaften Ilia an eine rühmliche Erwähnung in der Überlieferung. Immer aber wurde dann das Opfer - pro populo Romano Quiritibus - an ihnen vollzogen, wenn die res publica in Not war: Das gilt für die Tötung der Opimia i. J. 483 v. Chr., der Minucia i. J. 337 v. Chr., der Sextilia i. J. 273 v. Chr. und der Opimia i. J. 216 v. Chr. ..."

    Zitat

    Original von Aurelia Flora


    Zufrieden nahm der junge Mann zur Kenntnis, dass sein Vorschlag der durchaus gewagten Wettbedingungen einen Ausdruck der Überraschung auf den bildhübschen Zügen der Aurelia zeichnete. Doch auch das Stirnrunzeln, gepaart mit eindringlichen Blicken, von Floras Sklavin, welche jene, die offensichtlich als moralischer Wachhund fungieren sollte, ihrer Herrin zuwarf, entgingen dem aufmerksamen Blick des Flaviers nicht. Dennoch machte die Art und Weise, in der sich die Stirn der Alten kräuselte einen durchaus amüsanten Eindruck auf Flaccus, sodass ein belustigtes Lächeln sich auf seine Lippen schlich. Dann jedoch richtete er seinen Blick wieder gänzlich auf Flora, die offenbar konzentriert die beiden Männer in der Arena musterte, um eine Entscheidung zu treffen. Schließlich schien sie jene gefunden zu haben, denn sie verkündete (reichlich selbstsicher), dass der Nubier ihr Favorit sein sollte. Lächelnd nickte Flaccus, "Dann bleibt mir also der Germane...", stellte er nüchtern fest, und aus seiner Stimme war nicht zu erkennen, ob auch er selbst, hätte die Wahl an ihm gelegen, sich für jenen entschieden hätte. Dann jedoch blickte er auch er gebannt in die Arena, als der Claudier den Kampf eröffnete.