Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Mit dankbarem Gesichtsausdruck folgte Flaccus also dem Columnus ins Innere der Domus, durch das Atrium hindurch, vorbei an den hübschen Officia der Angestellten, durch den immer noch ansehnlichen Hinterhof mit den Stallungen, durch die Stallungen hindurch, wobei dem Flavier, als er mit seinen halbondbestückten calcei durch den Dreck und die Pferdeexkre... lassen wir das. Jedenfalls kamen ihm beim Durchstapfen der Stallungen erstmals ernsthafte Bedenken, ob Caius Columnus tatsächlich der richtige Mann für diese Sache war. Mit gerunzelter Stirn folgte er ihm jedoch weiter durch den Hinterfhof der Stallungen, durch den Hinterhof des Hinterhofs der Stallungen, bis sie schließlich bei einer kleinen Baracke im tiefsten Hinterhof aller Hinterhöfe der Domus der Acta Diurna ankamen. Die Baracke selbst war lediglich eine bessere Hundehütte und, während sich die Bedenken des Flaviers beim Durchqueren der unzähligen Hinterhöfe stets verstärkt hatten, so stand nun endgültig fest: Caius Columnus war nicht der richtige Mann für die Sache. Doch jetzt war es vermutlich schon zu spät, denn alleine würde Flaccus den Weg durch die verwinkelten und schier endlosen Hinterhöfe zurück kaum mehr finden.


    Lustlos ließ er sich auf den Schemel sinken und nahm den angebotenen Becher mit Wein entgegen. In einem kurzen Moment, als Caius Columnus gerade wegsah, schnupperte er kurz daran, bevor er einen Schluck des Weines zu Boden schüttete. Die Erklärung für die, nun ja, mehr als sonderbaren Umstände, die Caius Columnus in Zusammenhang mit der Wahrung seiner persönlichen Sicherheit brachte, quittierte Flaccus mit einem nickenden: "Ich verstehe.", bevor er, vom Subauctor gefragt, erstmals sein eigenes Begehr vorbrachte: "Ich bin im Auftrag einer nicht unbedeutenden Persönlichkeit der Stadt hier.", machte er geheimnistuerisch, in der Hoffnung, eben jene Geheimniskrämerei würde den Columnus anbeißen lassen. „Es geht um unseren Senat.“, erklärte er sodann, „Ich soll mir ein Bild der verschiedenen Senatoren machen, in Bezug auf ihr öffentliches Engagement, wenn du verstehst, was ich meine?“ Natürlich würde er das, denn im Klartext ging es einfach darum, herauszufinden, welche Senatoren lediglich auf ihren Ämtern hockten und das Leben genossen und welche tatsächlich Einsatz in der Öffentlichkeit zeigten und zum Beispiel die Patronage für ganze Städte übernahmen.

    Als Flaccus, der erneut vor diesem elenden Plebejer hatte kapitulieren müssen, mitbekam, dass Sena den Decimer anfluchte wie eine fauchende Katze, konnte er sich eines kleinen Lächelns nicht erwehren. Als dann auch noch eine andere, offenbar zufällig anwesende Sklavin, die der Auktion beigewohnt hatte, deutlich vernehmbar ein abwertendes Kommentar über den Plebejer fallen ließ, weitete sich das flavische Lächeln sogar zu einem breiten Grinsen aus. Lediglich die Tatsache, dass ihre Worte nicht direkt gegen den Decimer sondern eigentlich gegen das gesamte römische Volk (und somit auch wieder gegen Flaccus selbst) gerichtet waren, vermochte seine aufkeimende gute Laune etwas zu trüben. Dann allerdings traf ihn plötzlich und völlig unerwartet das Lächeln einer hübschen jungen Frau, das ihn gänzlich auf andere Gedanken brachte. Ein Blick zu ihren Schuhen bestätigte den Eindruck, den ihr erlesenes Auftreten ohnehin auf den Flavier gewirkt hatte. Sie war eine Patrizierin, was auch sonst? Auf ihr aufmunterndes Kommentar hin, zog er lächelnd lediglich leicht die Schultern hoch. "Fortuna nimmt und teilt zu, wie es ihr gefällt ... ", meinte er schlicht und blickte dann in den grauen Himmel. Im Grunde wollte er sich natürlich nicht aufdrängen, doch ein bisschen Gesellschaft brächte ihn sicherlich auf andere Gedanken, war doch bislang das Bewusstsein, dass der Plebejer zumindest einen völlig überhöhten Preis für die Sklavin bezahlt hatte, der einzige und ziemlich schwache Trost, der den Ärger des Flaviers etwas verrauchen ließ.

    Gemessenen Schrittes war Flaccus dem Jungen gefolgt und fand sich nunmehr im matinischen Garten wieder, wo auch der Consular und ehemalige Proconsul von Hispania, Publius Matinius Agrippa, bereits auf ihn zu warten schien.


    "Salve, Senator.", erwiderte er den Gruß des Alten, "Du sagst es, ich bin Quintus Flavius Flaccus. Und wenn du es gestattest und ein wenig Zeit aufbringen kannst, so würde ich gerne ein kleines Gespräch mit dir führen." Allerdings sicher nicht im Stehen, also wartete der Flavier erstmal auf die Einladung, sich hinzusetzen.

    Nicht falsch hatte er gedacht, denn tatsächlich schien die bloße Nennung seines Namens auszureichen, um zu einem kleinen Gespräch mit dem Senator vorgelassen zu werden. "Danke.", meinte Flaccus also knapp auf die Einladung des Ianitors hin und an seinen Sklaven gewandt: "Du kannst dir inzwischen die Zeit vertreiben, allzu lange wird es aber nicht dauern." Sodann trat er ein und folgte Rucola.

    Dumpf drangen Worte durch die Tür, denen der junge Flavier davor jedoch nur in begrenztem Maße Sinn abgewinnen konnte. Plötzlich, unvermutet und mit einem jähen Ruck wurde allerdings die Tür aufgerissen und heraus stürmte ein scheinbar ziemlich aufgebrachter Mann, der den vor der Türe sich befindlichen Flavier, nun ja, schlichtweg über den Haufen rannte. "Uff!", blieb Flaccus für einen Moment die Luft weg, als der Kerl mit ungebremster Geschwindigkeit den Oberkörper des schlacksigen jungen Mannes rammte. Zu Boden gehend, folgte nun ein Moment höchst chaotischer Hektik, indem man versuchte irgendeine Ordnung in die komplexe Verwurschtelung an Gliedmaßen zu bringen, die der Zusammenstoß mit nachfolgendem Fall der beiden zur Folge gehabt hatte. Die, sich dabei gänzlich um die beiden Männer verstrickende weite Toga des Flaviers machte die hektischen Versuche, Ordnung zu schaffen, nicht unbedingt einfacher. Schließlich hatte der stürmische Kerl es scheinbar irgendwie geschafft, sich von Flaccus zu trennen, doch anstatt dem völlig verdattert - die Stoffbahnen der Toga wirr um sich ausgebreitet, beziehungsweise noch teilweise, lediglich von der Schulterspange gehalten, am Oberkörper herabhängend - am Boden Sitzenden hochzuhelfen und sich für den Zusammenstoß zu entschuldigen, begann der Kerl doch tatsächlich loszubrüllen. Lediglich eine einzige Falte des Zornes zog sich über die flavische Stirn, als Quintus Flavius Flaccus sich, reichlich unelegant erhob, die lose herabhängenden Bahnen der Toga notdürftig sich über die Schulter warf und Caius mit einem stechenden Blick musterte. Sein Antlitz blieb völlig ruhig.


    "Salve.", machte er nüchtern, und versuchte mit aller Gewalt die Contenance zu wahren, um diesem Kerl nicht sofort in heiligem flavischen Zorn ins Gesicht zu brüllen, was ihm denn überhaupt einfalle, ihn, einen Flavier, einfach so nieder zu rennen und danach sich noch nicht einmal demütigst zu entschuldigen, sondern, ganz im Gegenteil, ihn auch noch anzubrüllen. Anstatt also dieses oder ähnliches dem großen Caius Columnus an den Kopf zu werfen, versuchte Flaccus mit aller Kraft sich zu beherrschen, schließlich wollte er ja was von den Acta-Leuten. "Ah, der GROSSE Caius Columnus...", machte er also in einer Tonlage von wegen, wieso konnte ich den nur nicht gleich erkannt haben. "Wie sind mir die Götter heute wieder gewogen!", rief er in fast schon komisch anmutender theatralischer Weise, "Ausgerechnet den GROSSEN Caius Columnus zu treffen! Das ist ein Wink des Schicksals! Fortuna ist mir hold!", lediglich jemandem, der Flaccus gut kannte wäre wohl das schelmische Blitzen in seinen dunklen Augen aufgefallen, "Bist du es wirklich?", vergewisserte er sich in übertrieben fragender Tonlage, "Ich komme nämlich in wichtigem Auftrag, und möchte mit niemand geringerem als dem GROSSEN Caius Columnus darüber sprechen."


    "Es geht nämlich um politische Angelegenheiten...", flüsterte er ihm vertraut zu.

    Das war nun tatsächlich ein Themenwechsel. Sicherlich unbewusst hatte Axilla auch so ungefähr das einzige Thema gewählt, mit dem sie den Geist des jungen Mannes wieder gänzlich auf sich zu ziehen vermochte. Sie begann die Ilias zu singen. Diese Verse vermochten Flaccus im tiefsten Inneren zu berühren wie keine anderen. Homers Sprache war die erste, die er tatsächlich gelernt hatte, vom ersten Augenblick seines jungen Lebens an hatte er sie gehört. Immer und immer wieder waren ihm die Verse vorgetragen worden, schon lange, bevor er ihren Sinn tatsächlich zu erfassen vermochte. Lange bevor er mit Vergilius und der lateinischen Sprache in Berührung gekommen war, lange bevor er selbst der Sprache mächtig sein sollte. Im Grunde war das die eigentliche Muttersprache des Jungen gewesen, denn allein im Umgang mit diesen Versen vermochte er die Liebe und Zuneigung zu finden, die er von seinen Eltern so sehr vermisst hatte. Stundenlang hatte er Nikodemos gelauscht, der dem Jungen in schier unermüdlicher Geduld die Verse des großen Blinden wieder und wieder vorgesungen hatte, aus seinem eigenen Gedächtnis sprudelten sie, aus der Quelle seiner eigenen Kindheit. So hatte die emotionale Seele des Flaviers lange vor dem Geist die Worte erfasst, hatte er in seinen Gefühlen längst begriffen, worauf er seinen Intellekt erst richtete. Gebannt und tief berührt, einen seltsam verklärten Ausdruck gleich einem Schleier über seinen dunklen Augen, lauschte Flaccus dem leisen Gesang, der etwas schüchtern zuerst, doch langsam immer präsenter den Raum auf unglaublich zarte und diffizile Weise erfüllte. Vom Tod und dem grausamen Schicksal des Priamossohnes sang sie, Hektor, und so tief ließ Flaccus sich ein auf ihren Gesang, so schmerzlich erfüllte ihn das Leid der Andromache, dass eine einzelne kleine Träne, gleich einer glitzernden Perle, dem dem dunklen Kranz seiner Wimpern entfloh und sich sachte ihren Weg über die Wange des jungen Mannes suchte. Wie tief berührte ihn der Tod des edlen Helden, das schier grenzenlose Leid seiner Gattin, die der grausamen Schändung seines leblosen Körpers nichts entgegenzusetzen vermochte.


    Axilla endete und drehte sich mit einem schüchternen Lächeln halb zu Flaccus zurück. Jener blickte sie an, eine Mischung aus tiefer Wehmut, Sehnsucht und einem Hauch von Verzweiflung lag in seinem Blick. Er blickte sie an. Sie schien zu sprechen, zumindest bewegten sich ihre Lippen. Hieß das nicht, dass sie wohl sprach? Nur ihre Lippen drangen in das Bewusstsein des Flaviers ein um sich dort langsam doch beständig und hartnäckig gegen die übermächtigen Eindrücke der Vergangenheit zu wehren. Nikodemos, seine eigene Mutter. Axilla hatte schöne Lippen. Sie bewegte sie auch auf eine schöne Weise. Wie komplex die Bewegung der Lippen beim Sprechen eigentlich war, schoss es Flaccus durch den Kopf. Komplex und auf bestimmte Weise anmutig. Nach und nach schafften es immer mehr Komponenten des komplexen Reizgefüges in die bewussten Sphären des flavischen Empfindens einzudringen. Langsam gesellte sich zu der bloßen Bewegung der Lippen eine einfache Melodie hinzu. Die Sprachmelodie war es und sie vermochte die homerischen Bilder gepaart mit der flavischen Vergangenheit noch weiter aus dem Bewusstsein des jungen Mannes zu verdrängen. Latein, schoss es ihm durch den Kopf. Sie sprach Latein, nicht mehr die Sprache der Alten. Dennoch, es war eine schöne Melodie, klar und rein nahm er sie war, und gleich dem eiskalten Wasser eines Gebirgsbaches, der im Frühjahr das Wasser des geschmolzenen Schnees von den hohen Gipfeln der Alpen ins Tal schießen lässt, durchdrang die kristallklare Struktur der Sprache auch den Geist des Flaviers. Erfrischend spülte sie auch noch die letzten Bilder von Tod und Verzweiflung fort aus seinem Kopf, und schuf somit Platz für den Sinn der Worte Axillas, der nunmehr endlich in das Empfinden des jungen Mannes eindringen konnte. Ein Scherz, schoss es ihm durch den Kopf, noch bevor er die Worte der Iunia gänzlich erfasst hatte, sodass seine Lippen wie von selbst ein Lächeln formten, ehe sein bewusster Wille überhaupt in dieses instinktive Gefüge kleinster Denkprozesse und damit verknüpfter Regungen, das nunmehr wieder präzise und genau, gleich feinen, exakt aufeinander abgestimmten Zahnrädern arbeitete, eingreifen konnte.


    "Kaum ein Lehrer kann es ertragen, wenn seine Schüler beginnen, flügge zu werden und gleich jungen Vögeln, die sich das erste Mal alleine aus dem Nest wagen, die Flügel ausbreiten und gen Himmel fliegen, die Unterstützung ihres Mentors nicht mehr benötigen, sondern diesen langsam aber stetig überflügeln.", meinte er, das feinsinnige Lächeln immer noch auf den Lippen. Dann allerdings wurde er der seltsamen Dinge eingedenk, die gerade erst sich ereignet hatten und ein nachdenklicher Schatten senkte sich auf sein Antlitz: "Wieso hast du genau diese Verse gesungen?", fragte er Axilla und ein fragender Ausdruck lag im Dunkel seiner Augen.

    Da war er doch tatsächlich wieder. Jener unverschämte, widerliche Plebejer, der es doch tatsächlich gewagt hatte, ihm, Quintus Flavius Flaccus, ihm, dem Sohn des Cnaeus Flavius Flaccus, Spross der bedeutendsten Familie, die Rom jemals gesehen hatte, den vielversprechenden griechischen Sklaven wegzuschnappen, dessen Erwerb für Flaccus schon so gut wie sicher gewesen schien. Innerlich vor Wut kochend, bewahrte Flavius Flaccus nach außen hin den ihm eigenen Anschein kühler Abgeklärtheit. Wenn es etwas gab, das er wirklich hasste, so war das zu verlieren.


    "2000 Sesterzen.", brachte er völlig ruhig sein Angebot vor und verschränkte die Arme vor der Toga. Lediglich ein leichtes Stirnrunzeln ließ auf seinen inneren Gemütszustand schließen.

    Was fast so klang, als wollte Flaccus mit der jungen Frau, die ihm da in einer, ein paar Nummern zu großen Tunica, und mit langen braunen Haaren, die gewellt bis in ihren Rücken hinabfielen, gegenübersaß, und den jungen Flavier aus etwas naiv dreinblickenden smaragdgrünen Augen grübelnd musterte, flirten, mochte wohl ein Kompliment sein, war von Flaccus jedoch nicht mit auch nur irgendeinem so oder so gearteten Hintergedanken ausgesprochen worden, sondern stellte einfach eine, nun von Seiten des Flaviers etwas naive, Feststellung dar, dass er die Begegnung mit Axilla als eine bereichernde und sie selbst als eine bezaubernde junge Frau empfand. Nicht mehr und nicht weniger, wenn das nicht ohnehin schon genug war. Ihre Bemerkung, die auf seine eigene einging, die Flaccus Mutter ins Spiel gebracht hatte, ließ Flaccus lächeln. Gerade dann, wenn sie es falsch verstünde, würde sie ihrem Sohn wohl kaum die Ohren lang ziehen, sondern ihn vielmehr darin bestärken und ihm verkünden, dass er nun endlich zu einem richtigen Mann geworden war, und in Zukunft doch gefälligst seine langweiligen Bücher beiseite lassen sollte. Und doch ließ diese Überlegung das zuvor fast automatisch gformte Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes erstarren. Glücklicherweise wandte sich Axilla in diesem Moment ab, um die Bücher anzusehen. Denn ihm war der ungeheuerliche Gedanken gekommen, dass seine Mutter es womöglich gar nicht falsch verstehen würde, sondern genau richtig... Konnte das sein? Flaccus musterte nachdenklich die Iunia, die sich mittlerweile erhoben hatte und an den Regalen vorbeischlendernd, ihre schlanken Finger über die Schriftrollenkapseln gleiten ließ. Natürlich war sie attraktiv und selbst von hinten, wo ihr Po sich deutlich unter dem Stoff der Tunica abzeichnete und die glatten Waden durchaus Lust auf mehr machten, sah sie umwerfend und in höchstem Maße begehrenswert aus. Doch sollte das wirklich der Grund gewesen sein, weswegen die junge Frau ihm nach der Sponsalia, bei der er sie das erste Mal getroffen hatte, nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte? Sollte das der Grund sein, der ihn dazu getrieben hatte, sie erneut einzuladen, um sie besser kennen zu lernen? Sollte das der einzige Grund sein, wieso er ihr gemeinsames Gespräch im Garten so anregend und erfrischend gefunden hatte?


    Nur nach und nach drangen ihre Worte an die bewussten Sphären seiner Wahrnehmung. Werke ... Tarraco ... Alexandria ... Qual der Wahl. Es kostete Flaccus ein enormes Maß an Gewalt und Willensstärke, seine Aufmerksamkeit hierher in die flavische Bibliothek und auf Axillas Worte zu lenken. "Ähm, nur die wichtigsten eben...", meinte er, noch immer etwas geistesabwesend, "Einige Werke von Xenophanes, einem meiner Freunde in Athen... Die Ilias und die Odyssee ...", es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren und seinen ansonsten so wachen und kristallklaren Geist auf das Gespräch zu fokussieren. "Das waren die ersten Bücher, die ich von Nikodemos bekommen habe, weißt du?" Nikodemos. Würde der ihm Antwort geben können? Würde er erklären können, was genau seine Empfindungen in Zusammenhang mit der jungen Frau zu bedeuten hatten? Resigniert blickte der junge Flavier in die Leere. Vermutlich nicht, der hatte ja genauso wie er selbst sein ganzes Leben den Büchern gewidmet. Außerdem war er tot. Mit seltsamer, beängstigender und bedrohlicher Gewalt drängte eine düstere Ahnung sich in das Bewusstsein des Flaviers. Sollte es der falsche Weg sein, den sein Mentor ihn gelehrt hatte? Sollte das Studium der Schriften ganz im Gegenteil zu der Verheißung, es würde ihm die Augen öffnen, und schließlich zur Erkenntnis der höchsten Dinge selbst führen, den Blick für das Wesentliche verschließen? Flaccus hatte studiert, was ihm in die Finger gekommen war und jetzt sollte ihn seine eigene Empfindung vor ein unlösbares Rätsel stellen?

    Die Acta Diurna? Das schien dem Flavier eine ganz hervorragende Idee zu sein, dort ein bisschen nachzufragen. Aber auch die Senatoren persönlich zu besuchen, fand er eine gute Sache. So würde er, zumindest oberflächlich, schon einmal eine große Zahl der Männer im Senat kennenlernen, sodass bei seiner ersten Kandidatur dann hoffentlich bereits der Wiedererkennungseffekt zum tragen kam. Außerdem konnte er so auch einen nicht unwesentlichen Einblick in Roms Machtgefüge bekommen und die politische Landschaft der Stadt ein wenig detaillierter kennen lernen.


    Mittlerweile war jedoch bereits eine ganz schöne Zeit vergangen und Flaccus hatte inzwischen das unangenehme Gefühl bekommen, den Consul womöglich von wichtiger, da staatstragender, Arbeit abzuhalten. "Dann werde ich mich also an diese Aufgabe machen, und morgen wieder im Laufe der Salutatio hierher kommen.", meinte er und fügte noch hinzu, "Ich danke dir nochmals für die Möglichkeit, bei dir das Tirocinium Fori zu machen, doch ich fürchte jetzt habe ich deine kostbare Zeit schon viel zu lange in Anspruch genommen." In den nächsten Wochen und Monaten würden sich dann im Rahmen der Ausbildung des jungen Flaviers sicherlich ohnehin noch unzählige Möglichkeiten zu persönlichen Gesprächen mit dem Consul ergeben.

    Tatsächlich sah der junge Flavier sich zuerst mit einem Scriba konfrontiert, der ihn, wenig verwunderlich, nach seinem Begehr fragte. "Salve.", erwiderte Flaccus den Gruss um sich und sein Anliegen anschließend zu erklären, "Ich bin Quintus Flavius Flaccus und ich möchte ein kurzes Gespräch mit dem Curator Viarum führen. Kann er einen Augenblick seiner kostbaren Zeit erübrigen?" Flaccus hielt den genauen Inhalt des Gesprächs bewusst vage, wollte er doch nicht schon dem Scriba alles vorplappern nur um es beim Curator Viarum selbst dann erneut vorzutragen. Außerdem vertraute er ohnehin darauf, dass die bloße Nennung seines Namens genügen würde, um ihn vorzulassen. Er war schließlich ein Flavier, und was für einer!

    Wo sollst, wenn nicht bei der Acta Diurna, sollten die Informationen um das tatsächliche öffentliche Engagement gewisser Senatoren sprudeln? Wo sonst kochte die Gerüchteküche auf derart schamlose Weise, wo sonst wusste man (wenn der Preis stimmte) über fast alles Bescheid? In eine anständige Toga gekleidet, eine mittelgroße Wachstafel im Sinus verborgen, trat der schlanke Flavier erfüllt von großen Hoffnungen an die Porta der Domus der Acta Diurna. In seinem Antlitz spieglete sich Stolz, Bestimmtheit und ein unbeschreibliches Maß an Selbstsicherheit wider, handelte er doch sozusagen im Auftrage des Consuls. Er ballte seine schlanken Finger zur Faust und schlug kräftig gegen die Porta.

    Frisch, dynamisch und in eine strahlende Toga, wennglich nicht ganz so strahlend wie eine toga candida, gekleidet, war Flaccus an diesem frühen Nachmittag durch die Basilica Iulia geschritten, stolz, gewissermaßen im Auftrag des Consuls unterwegs zu sein. Bald schon war er an sein Ziel gelangt: das Officium des Curator Viarum. Dieses Amt war nämlich zur Zeit von Gaius Octavius Victor besetzt, einem vorbildhaften Mann, einem Senator Roms. Lediglich eine kleine Wachstafel für etwaige Notizen mit sich führend, trat Flavius Flaccus an die Tür des Officiums und pochte kräftig dagegen. Womöglich würde er gar nicht zum Curator Ciarum selbst vorgelassen werden, sondern müsste sich mit einem Scriba desselben begnügen, um einen Termin auszumachen - aber grundsätzlich hoffe der Flavier schon, eher mit dem Octavier selbst sprechen zu können, so viel schien hier momentan ohnehin nicht los zu sein.

    Die scheinbare Teilnahmslosigkeit der Bürger, vermutlich lag es am immer kälter werdenden Wetter, dass keine richtige Kauflaune aufkommen wollte, brachte Titus Tranquillus doch tatsächlich dazu, mit den Preis zu senken und tatsächlich schien Flaccus auch der einzige zu sein, der sich für das Schmuckstück aus dem Osten zu interessieren schien. Dann jedoch tauchte plötzlich noch jemand auf und ging auf das, nunmehr verringerte Angebot ein.


    "600 Sesterzen.", machte Flaccus postwendend seinen Anspruch auf Sena klar. Schließlich war er zuerst hier gewesen!

    Lediglich von einem einzigen Sklaven begleitet, war Flavius Flaccus an diesem Morgen, nachdem er sich bei Purgitius Macer für den kommenden Tag freigestellt hatte, gekleidet in eine schmucke, helle Toga, zur Casa Matinia aufgebrochen, um ein Gespräch mit dem ehrenwerten Publius Matinius Agrippa, einem Consular und gar ehemaligem Proconsul der Provinz Hispanien zu führen. Dort angekommen trat der Sklave auch brav vor um an die Türe zu klopfen und seinen Herrn anzukündigen: "Mein Dominus, Quintus Flavius Flaccus, bittet um ein Gespräch mit Senator Publius Matinius Agrippa." Flaccus selbst stand neben ihm und hoffte dass die bloße Nennung seines Namens und dadurch der Rückschluss auf seine Abstammung aus einer ehrenvollen Familie Grund genug sein würde, um ihn einzulassen.

    Dass mit Flaccus alles andere als ein Faupelz in die flavische Villa eingezogen war, das würde Flavius Piso mit der Zeit schon bemerken, denn das Streben des jungen Mannes sich sowohl im Cultus als auch in der Politik hervorzutun, was nicht zuletzt für ihn bedeutete alle Ämter des Cursus Honorum suo anno, einschließlich der gesenkten Altersgrenzen bei patrizischen Kandidaten, zu erreichen, war ihm ein sehr ernstes. Und wenn tatsächlich momentan eine Stelle im Collegium Septemvirorum frei sein sollte, so würde er natürlich alles daran zu setzen, diese Stelle zu bekommen, besser als nichts war es schließlich allemal. "Eine Frau? Tatsächlich?", erkundigte Flaccus sich mit leicht empörtem Unterton, als Piso erwähnte dass eine eben solche für die Besetzung des freien Platzes vorgeschlagen worden war, schließlich war er in solchen Belangen wohl eher vom alten, konservativen Schlag, "Das ist ja ungeheuerlich..." Eine Frau in den Reihen der Siebenmänner - eine paradoxe Vorstellung. Kein Wunder, dass die Pontifices diesen Vorschlag abgeblockt hatten!
    Das Studium. "Natürlich, doch ich denke, das Ende meiner Ausbildung zeichnet sich bereits ab, schließlich kam ich ja nicht gänzlich ungebildet nach Rom ...", eine leichte Untertreibung, hatte er doch sicherlich genauer als die meisten anderen Römer etwa die Theogonie des Hesiod bereits während seines Aufenthalts in Athen studiert. "Außerdem sind die ehrwürdigen Aedituae Iunia Serrana und Pedania Iunor durchaus zufrieden mit meinen Fortschritten." Vor allem die ältere Pedania hatte, so glaubte Flaccus trotz ihres grundsätzlich eher etwas schroffen, knappen Umgangs durchaus Gefallen an dem jungen, interessierten Discipulus gefunden.

    Die gespielte Empörung Axillas auf Flaccus' scherzhaften Kommentar zu ihrer Frisur quittierte jener nur mit einem breiteren Lächeln. Tatsächlich hatte er relativ wenig Ahnung von der aktuellen Mode in Rom. Bei genauerem Überlegung hatte er noch nicht einmal Ahnung von der aktuellen Mode in Athen und da hatte er immerhin die letzten drei Jahre verbracht. Es war wohl nicht die Sache, der Flaccus die meiste Aufmerksamkeit zuteil werden ließ. Bei seinem eigenen Erscheinungsbild achtete er lediglich darauf, einen angemessenen und würdigen Eindruck zu erzeugen, sodass er in modischen Belangen, sich selbst betreffend, wohl durchaus als konservativ zu bezeichnen war. In schrägen Outfits, dem letzten Schrei der Mode folgend, würde man einen Flavius Flaccus wohl kaum antreffen.


    "Die Bücher mitgenommen?", natürlich hatte er einige Werke, die wichtigsten, aus Paestum nach Rom gerettet, denn unter der Obhut seiner Mutter in Campanien würden sie wohl früher oder später verkommen. Aber die wenigen, die er mit sich genommen hatte, waren ja nur ein Bruchteil aus seiner großen Bibliothek, die bereits Nikodemos aufgebaut, und die er selbst durch kostbare Werke aus Griechenland ergänzt und erweitert hatte. Aber der Transport aller Bücher nach Rom hätte sich als gewaltige logistische Herausforderung dargestellt, außerdem war bei seinem Aufbruch in die Stadt ja noch gar nicht klar gewesen, ob er in Rom und bei der Familie würde bleiben können, schließlich hatte er es vorgezogen, gleich selbst vorzusprechen, anstatt einen Boten vorauszusenden. "Eigentlich nur die wichtigsten....", meinte er also und fügte noch hinzu: "Aber ich könnte die restlichen bei Gelegenheit holen, es sind ein paar ganz außergewöhnliche Werke darunter..." In der Tat waren es vor allem die philosophischen Schriften der Gegenwart, die er in Athen erworben hatte, und die in Italien zweifellos noch weitgehend unbekannt waren, die er als die möglicherweise exquisitesten Schätze seiner Bibliothek ansah. "Eigentlich wäre es ohnehin längst fällig, wieder einmal nach Hause zu reisen, schließlich sollte ich meiner Mutter ja auch persönlich erzählen, was für bezaubernde Bekanntschaften ich in Rom schon machen durfte ...", lächelnd blickte er in das dunkle Grün der Augen Axillas.

    Bei der Einschränkung der Aufgabe entspannte sich der Gesichtsausdruck des Flaviers wieder merklich, hatte er sich doch schon ausgemalt die nächsten Wochen ununterbrochen durch Rom, wenn nicht ganz Italien, schließlich hielten sich die Senatoren keineswegs ununterbrochen in der Urbs auf, sondern mussten ganz im Gegenteil auch auf ihren Gütern nach dem Rechten sehen, streifen zu müssen, um alle Senatoren zu ihrem Engagement für öffentliche Belange ausfragen zu können. "Ich verstehe.", meinte Flaccus also beruhigt, "Ich denke dieser Aufgabe bin ich gewachsen." Und somit hatte der Consul den Flavier in diesem Gespräch nicht nur als seinen politischen Schützling akzeptiert, sondern ihm sogar bereits die erste Aufgabe zugewiesen, an deren Erfüllung jener sich zweifelsohne so bald als möglich machen würde.

    Mit gerunzelter Stirn war auch Flavius Flaccus dem kurzen Gespräch gefolgt, das sich zwischen Tiberius Durus und dem Claudier entsponnen hatte, war aber ehrlich erfreut, dass Piso sich nun anmachte, die bisher scheinbar lose Zusammenkunft der Brüder in ihrem Zweck etwas zu präzisieren. "Danke, Onkel.", erwiderte Flaccus Pisos freundliches Nicken, und erhob sich um die von ihm jetzt wohl erwartete Kandidaturrede zu halten, den im sitzen konnte man schwerlich überzeugend sprechen. Der junge Flavier hatte nicht viel Zeit gehabt, sich hierauf vorzubereiten, sodass nur die gröbsten Punkte seiner kleinen Rede feststanden, die Verbindung derselben sowie die rhetorische Ausschmückung des Ganzen würde wohl in Improvisation geschehen müssen, ein Umstand der dem jungen Mann keineswegs fremd war, war schließlich die Stehgreifrede ein gewichtiger Teil seiner rhetorischen Ausbildung in Athen gewesen.


    "Ehrwürdige Fratres, Diener der Dea Dia, Träger des heiligen Ährenkranzes, ich bin Quintus Flavius Flaccus, Sohn des Cnaeus Flavius Flaccus und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich heute, selbst in Anbetracht meiner Jugend, dennoch um die Aufnahme in diese alte und ehrenvolle Bruderschaft vor euch sprechen darf. Keine lange politische Karriere, keine Auszeichnungen für besondere Verdienste um Rom kann ich noch vorweisen, als deutliche Zeichen der nötigen Ehre und Würde für die Aufnahme in die Bruderschaft und doch möchte ich einige Gründe anführen, weshalb meine Absicht fas ist und es verdient, wohlwollend von euch überdacht zu werden. Als erster und gewichtigster Punkt mag meine Abstammung gelten. Ich bin ein Flavius, und selbst, wenn mein Vater kein Senator Roms war, so haben sich doch viele meiner Vorfahren im Dienst um Rom Ruhm und Ehre bereitet und gleichermaßen auch das Ansehen der flavischen Gens als solche in strahlende Spären gehoben. Nicht die bloße Abstammung aus erlauchten, einer so ehrenvollen Bruderschaft würdigen, Kreisen allein soll es jedoch sein, die heute gleich einer gewaltigen Fürsprecherin für mich eintritt, nein, auch meine eigene Person verdient es, genau von euch betrachtet zu werden. Ich wurde in bei Paestum geboren, in Campanien, fern ab von dem politischen Trubel der letzten Jahre und konnte mich früh bereits ganz auf die Studia konzentrieren, jene Studia, die mich auch meinen weiteren Lebensweg stets begleiten sollten. Die letzten drei Jahre kam ich in den Genuss einer erstklassigen Ausbildung in Athen und habe mich seit meiner Rückkehr nach Rom, die noch gar nicht allzu lange zurückliegt, mit aller Kraft und nach bestem Gewissen nicht nur in den Dienst am Staat, so vollende ich momentan meine politische Ausbildung bei dem ehrenwerten Consul Purgitius Macer, nein auch - und das erachte ich in diesen Zeiten als das weitaus bedeutendere - in den Dienst an den Göttern gestellt, wo die ehrwürdigen Aedituae Pedania Iunor und Iunia Serrana zweifelsohne von meinem großen Einsatz berichten können. Ich selbst kann also weder Ruhm noch Bekanntheit in diese Bruderschaft einbringen und doch will ich alles geben, was ich habe: mich selbst, mit all meinem Wissen und Fertigkeiten, um so die alten Riten zu Ehren der Dea Dia nicht nur einfach zu pflegen, sondern ihnen vielmehr zu neuem Glanz zu verhelfen und das Bewusstsein um die unverzichtliche Tätigkeit der Bruderschaft in der Bevölkerung Roms wachzurütteln, auf dass die Arvales Fratres einst die alte Würde und das Ansehen beim Populus Romanus zurückerlangen."


    "Nicht durch mich allein soll das natürlich geschehen.", stellte Flaccus klar, damit niemand auf die Idee käme, seinen hehren Absichten ein allzu großes Maß an Unbescheidenheit zu unterstellen. "Aber ich will mein Bestes geben und mich ganz in den Dienst der Bruderschaft stellen." Hiermit war das Conclusium und gleichsam auch die Quintessenz seiner kleinen Rede erreicht und Flaccus legte den Ausgang der wohl nun folgenden Abstimmung allein in die Hände der Götter, wenn nicht vielmehr ohnehin bereits vom selbst für die Götter unantastbaren Fatum der Weg des Flaviers vorbestimmt war. Insgesamt glaubte er jedoch, durch seine Worte einen positiven Eindruck auf die meisten Brüder gemacht zu haben, sodass er durchaus, trotz seiner Jugend, zu hoffen wagte.

    Pisos Bestätigung von Flaccus Wahl des Tiberius als möglichen zukünftigen Patronus bekräftigte eben jenen noch in seiner Einstellung und auch insgesamt schien es ihm so das Beste. Dann allerdings kam der Onkel auf einen Punkt zu sprechen, der Flaccus selbst schon beschäftigt hatte. Zweifelsohne käme für ihn nur die Aufnahme in eines der quattuor amplissima collegia in Frage, vornehmlich träumte er natürlich davon, einst in die ehrwürdigen Reihen der Augures oder Pontifices aufgenommen zu werden, wenngleich hier bereits der Haken an der Sache war. Die Methode zur Vervollständigung der Collegia lag in der Cooptatio, und Flaccus selbst erachtete sich, zweifellos zurecht, mittlerweile noch als politisch und gesellschaftlich zu unwichtig, um eine baldige Aufnahme in eines der Collegia auch nur in Erwägung zu ziehen. Mit Piso als gewichtigen Fürsprecher in den Reihen der Septemviri käme dieses Collegium natürlich auch in Frage.


    "Ist denn bei den Septemviri momentan ein Platz im Collegium vakant?", erkundigte er sich ehrlich interessiert. Wenngleich das Göttermahl wohl nicht das höchste der Gefühle in Flaccus lebendiger Imagination auszulösen vermochte, so war ein Platz in diesem Collegium doch auch mit hohem gesellschaftlichem Ansehen verbunden.