Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Flaccus atmete auf, als Piso ihm eröffnete, dass der Ordo Senatorius zumindest kein gänzlich unüberwindbares Hindernis auf seinem politischen Weg sein würde. Auch wenn es wohl bedeuten würde, dass der junge Flavier sich einem Patron unterordnen würde müssen, was dem Freigeist so gar nicht behagte. Dann aber lieber Durus, der war immerhin Patrizier, denn so mächtig der momentane Consul auch sein mochte, er blieb immernoch ein Plebejer, und wenn seine Eltern ihm auch sonst nicht besonders viel beigebracht haben mochte, so doch das eine, niemals einem Mitglied der Plebs sich unterzuordnen. Und diesen Rat würde Flaccus auch befolgen, zumindest solange es möglich sein würde. Dass er sich im Rahmen des angestrebten Tirociniums Fori wohl auch dem Purgitier unterordnen würde müssen, sah Flaccus gänzlich anders: jenes Jahr war schließlich Teil seiner politischen Ausbildung, und das Verhältnis eher jenem zwischen Mentor und Schüler gleich, wogegen das Klientendasein mit einer tatsächlichen Unterordnung zu tun hatte. Und als Patron wünschte der Flavier sich dann doch lieber einen patrizischen Pontifex und Consular, denn einen, zweifellos begabten und erfolgreichen, Plebejer.


    "Dann lieber bei Tiberius auf der Contio....", erwiderte Flaccus also und sah den Onkel an, um zu sehen, was jener davon hielt.

    So sehr würde der Wunsch des Flaviers Macer wohl nicht verwundert haben, war er schließlich momentan Consul und darob wohl der interessanteste Anwärter, um bei ihm ein Tirocinium Fori zu absolvieren, zumindest aus Flaccus' Sicht der Dinge.


    "Den ersten, intensiven Unterricht erhielt ich bereits früh von einem griechischen Sklaven der Familie, der mich in den freien Künsten unterwies. Die letzten drei Jahre verbrachte ich in Athen um meine Studien, vor allem auch im Bereich der Rhetorik, mit Erfolg voranzutreiben. Es steht also, und es ist kein Unrecht, das zu sagen, ein durchaus gebildeter junger Mann vor dir, bereit sein Können in den Dienst der Republik zu stellen.", antwortete der Flavier dem Consul mit einer groben Skizze seiner bisherigen Ausbildung.

    Natürlich spielten die ersten Verse auf vergangenen Schmerz und Unglück an, hatte ja erst dieses die Verwandlung der unglücklichen Niobe in einen klagenden Felsen und der Prokne in eine flinke Schwalbe bewirkt. Und doch bildeten jene Verse lediglich den Auftakt, gleichsam das Intro für die Fülle an Bildern, die das restliche Gedicht ausmachten und in bunter Weise die schier unbeschreibliche Liebe eines Mannes zu einer Frau zu beschreiben suchte. Einige Momente lastete Stille im flavischen Garten, lediglich durchbrochen vom munteren Zwitschern eines einzelnen Vogels, während Axilla den Himmel betrachtete und Flaccus das Band der Kithara von seinem Handgelenk losmachte und das ihm so kostbare Instrument behutsam neben sich auf die Kline bettete. Dann wandte die junge Frau sich aber auch schon zu ihm um und Flaccus war einmal mehr verzaubert von ihren, in der Herbstsonne strahlenden, grünen Augen und den blitzenden silbernen Sternchen in ihrem Haar.


    "Du hättest Triandafilos, den Sohn des Polykarpos aus Athen einmal singen hören sollen ... bei Herkules, er singt schöner als Orpheus!", war der bescheidene Einwand des Flaviers auf das Kompliment Axillas sein eigenes musisches Talent betreffend. Dann allerdings kam jene auf den Inhalt des kurzen Gedichts Anakreons zu sprechen, wenngleich eher auf den emotionalen Gehalt denn die tatsächliche Aussage. "Mag sein, ich empfinde es aber mehr als überwältigendes Bild einer unbeschreiblichen Liebe..." Interessiert blickte er Axilla an, um zu erfahren warum sie so dachte.

    Junger, dynamischer, aufstrebender, patrizischer Philhellene sucht persönlichen Sklaven zum gemeinsamen diskutieren, philosophieren, denken, dichten, studieren, musizieren – nicht zuletzt auch als vertrauten Privatsekretär, der den jungen Mann in seiner sich langsam anbahnenden politischen Karriere unterstützt.


    Meine Erwartungen:


    - ein interessanter Charakter


    - die Fähigkeit, sich in irgendeiner Weise mit dem Perfektionswahn des Flaviers zu arrangieren (oder eben auch nicht!)


    - spannendes Rollenspiel, keine Einzeiler etc. etc. (das Übliche halt.)


    - ausgezeichnete Bildung, Kenntnis der hellenistischen, klassischen und archaischen griechischen Literatur (Lyrik+Prosa) der gegenwärtigen und vergangenen philosophischen Schulen/Meinungen/Richtungen, interessante Denkansätze + Impulse für das Spiel, Beherrschung eines Instruments, …


    PN bei Interesse. :)


    Achja, fast vergessen: theoretisch kann es natürlich auch eine Sklavin sein (man müsste dann nur eine plausible Erklärung für ihre umfassende Bildung finden!)

    "Oh ja, dieser Matsch ...", auch dem so nach Ordnung, Vollkommenheit und Perfektion strebenden Gemüt des jüngeren Flaviers war dieser unästhetische Begleitumstand der gegenwärtigen Jahreszeit äußerst zuwider. „Also zu Mittag…“, er konnte es kaum erwarten, würde wohl mit dem Treffen der Grundstein einer hoffentlich langen und glorreichen (einer perfekten) Karriere gelegt werden. Dann allerdings vermochte Piso durch eine Klarstellung die bereits allzu strahlenden Zukunftsaussichten seines Neffen etwas zu trüben. „Den Ordo Senatorius?“ Der sollte also schon für die Bewerbung um eines der Ämter der Magistratus Minores essentiell sein? Sollte das Phänomen der homines novi lediglich eines der Republik gewesen sein? Wie auch immer, etwas betrübt blickte Flaccus den Onkel an: „Nein, mein Vater war alles andere, als ein Senator Roms … was soll ich jetzt machen?“ Sollte dieser Umstand, tatsächlich ein Hindernis im Emporkommen des ehrgeizigen Flaviers darstellen? Die Bekräftigung des Zusammenhalts in der Gens beruhigte Flaccus etwas, hätte seine Aufnahme in Rom doch auch ganz anders verlaufen können. (immerhin hatte seine eigene Familie, seit der alte Flaccus nach Paestum sich endgültig zurückgezogen hatte, nichtmehr in Rom blicken lassen.) In das suggestive Nicken Pisos stimmte Flaccus lächelnd überein, waren es doch außerordentlich großartige Aussichten, bereits in absehbarer Zeit Mitglied einer so ehrenwürdigen Sodalitas zu sein.

    Ob man Musik nicht mögen konnte? „Wohl kaum…“, erwiderte Flaccus, der unscheinbaren Sklavin ein ebenso unscheinbares Zeichen gebend, das jene jedoch augenblicklich dazu veranlasste, aus ihrer gleichsam reglosen Versteinerung zu erwachen und in schnellen Schritten gen der flavischen Villa zu eilen, um das Instrument des Dominus herbeizuschaffen. „… und schon gar nicht als Nymphe – wenngleich meine Musik wohl deutlich von der der Satyrn sich unterscheidet. Wohl eher von den Musen denn dem gewaltigen Sohn der Semele inspiriert mag meine Kunst angesehen werden, vom Phoebus selbst, der am göttlichen Parnass die neun an der Kastalischen Quelle lehrt – möge dir mein Spiel aber willkommener sein, als jener unglücklichen Nymphe die Werbung des Gottes...“ Hatte jene Nymphe sich doch einst auf der Flucht vor Apoll in die Quelle gestürzt. Schon war die Sklavin, schnell wie der frische Wind, wenn er im Herbst durch die Gassen Roms pfeift und die drückende Hitze des Sommers verjagt, wieder zur Stelle, die Kithara wie einen kostbaren Schatz, was sie schlussendlich ja auch war, vor sich her tragend trat sie an den jungen Flavier heran. Flaccus ergriff das Instrument, und wand das Band in gewohnter Weise über sein Handgelenk. Kurz prüfte er die Stimmung der sieben Saiten, indem er leicht an ihnen zupfte. Bedauerlicherweise hatte die Sklavin das kleine elfenbeinerne Plektron, ein Geschenk seines Freundes Polykarpos, nicht mitgebracht, im Grunde war das aber kein Problem, es ging ja auch ohne.


    Ein Lächeln auf seine zarten Lippen zaubernd, wandte er sich an Axilla. „Urteile selbst, ob jenes alte Urteil der Musen im verhängnisvollen Streit zwischen Apollon und dem allzu stolzen Satyrn Marsyas gerecht gefällt war…“, bevor er kurz die Augen schloss und Luft einsog. Nach jenem Augenblick der Konzentration begann er zart die Saiten zu zupfen, eine liebliche Melodie, zaghaft, fast schon schüchtern mochte sie anmuten, dem Instrument zu entlocken. Angenehm und süß flossen die Töne dahin, ein leicht herber Beigeschmack, provoziert durch die griechische Stimmung, sorgte dafür, dass die liebliche Melodie nicht in den kitschigen Bereich abzudriften drohte. In Gedanken schien sich unweigerlich das Bild der schattigen Quelle am Fuße des Parnass aufzutun, zumal auch im flavischen Garten angenehm das Wasser plätscherte, der Gott selbst schien dem Zuhörer sich durch die Musik zu offenbaren. Eine geraume Weile ließ Flaccus die Töne lediglich dahin strömen, improvisierend suchte er nach einem schönen Gedicht, bis ihm schließlich ein kleines Werk in den Sinn kam, das, inspiriert vom alten Anakreon, in dessen Namen bis heute überliefert war und er musste unwillkürlich lächeln, bevor er noch einmal seine Konzentration sammelte und zu singen begann.

    Einst stand die Tantalidin
    als Fels auf Phrygiens Bergen,
    und Pandions Tochter flog
    als Vogel einst, war Schwalbe.
    Ich möchte ein Spiegel sein,
    damit du stets mich ansiehst;
    ich möcht zum Kleide werden,
    damit du stets mich trägst.
    Zum Wasser will ich werden,
    um dich zu salben, Herrin.
    Und Band um deine Brüste,
    und an dem Hals die Perle
    und Sohle möcht ich werden:
    Nur mich tritt mit den Füßen!


    Selbst die Sklavin hatte während des Gesangs scheinbar sich verwandelt, blickte sie ihren Dominus doch nun lediglich mit großen Augen an, ob der wunderbaren Schönheit der Musik, die sich ihren Ohren bot und vergaß einige Momente völlig darauf, ihren Blick demütig zu Boden zu richten. Eine ganze Weile spielte der junge Mann noch weiter, nachdem er die griechischen Verse gefühlvoll in musikalisches Gewand gekleidet hatte, bis er endlich schloss und die Kithara sinken ließ. Lächelnd blickte er Axilla an.

    "Salve , Consul!", erwiderte der jüngere Flavier den Gruß des Purgitiers. "Die Ehre ist ganz meinerseits.", leicht senkte er sein patrizisches Haupt und blickte, als er es wieder anhob verstohlen und etwas fragend zu seinem Onkel Piso hinüber, war Purgitius Macer schließlich dessen Patron und lag es daher wohl an ihm, die Bitte des jüngeren Verwandten vorzutragen.

    Eigentlich wusste Flaccus selbst nicht so genau, warum er sich ausgerechnet an diesem verregneten Herbsttag durch die Stadt tragen ließ. Vermutlich hatte sein überanstrengter Geist einfach ein wenig Luft und Abwechslung zwischen den intensiven Studien verlangt, ein Umstand, der zwar äußerst unangenehm sein mochte, (was für eine Vergeudung der kostbaren Zeit eines jungen Patriziers, sich einfach ziellos durch die Stadt tragen zu lassen!) aber warum nicht das Angenehme mit dem Notwendigen verbinden? So ließ sich der Flavier nicht einfach herumtragen, um sich dem Anblick des, ob des Wetters ohnehin mageren, städtischen Treibens hinzugeben, sondern das zweite Buch der Argonautika des Apollonios von Rhodos sollte ihm die notwendige Bewegung an der tatsächlich herbstlich-frischen Luft versüßen. So war er angestrengt in die Lektüre desselben vertieft, als das penetrante Gezeter eines Händlers ihn gewaltsam aus dem epischen Kontext riss. Nicht genug damit, die Sänfte schien in einer Menschenmenge regelrecht festzustecken, sodass auch das Fortkommen von dieser unangenehmen Stelle momentan offensichtlich nicht möglich war. "Was ist da eigentlich los?", fragte Flaccus etwas genervt, sich aus der Sänfte beugend. "Wir sind am Sklavenmarkt, Dominus, hier kommen wir nur langsam voran.", erwiderte einer der kräftigen Sklaven, die die flavische Sänfte samt patrizischem Inhalt trugen.


    Gezwungenermaßen musterte Flaccus die Szenerie, die sich seinen Augen bot und musterte das "exquisite" Stück, das der Händler so enthusiastisch anpries. Ein gebildeter Sklave also, aus Alexandria. Aus Alexandria? Unweigerlich kam dem jungen Flavier das so angenehme Gespräch in den Sinn, das er mit einer ebenso angenehmen jungen Frau vor einigen Tagen über eben jene faszinierende Stadt geführt hatte, und obgleich gar nicht beabsichtigt, fokussierte er seine Wahrnehmung etwas mehr auf das Geschehen, hatte der Sklave doch allein durch seine Herkunft zumindest die Neugier des Flaviers geweckt. Er folgte den fast schon panegyrische Züge annehmenden Worten des Sklavenhändlers bevor ihn dessen letzte Bemerkung stutzen ließ.


    "Wenn er seinen Herrn tatsächlich so "tadellos" gedient hat... ", begann der junge Mann, mit leicht erhobener Stimme aus der Sänfte sich bemerkbar zu machen und über die herumlungernde Plebs sich hinwegzusetzen, "... warum steht er dann hier zur Versteigerung und befindet sich nicht mehr im Besitz jener?" Eine Frage, die den so enthusiastischenEigentlich wusste Flaccus selbst nicht so genau, warum er sich ausgerechnet an diesem verregneten Herbsttag durch die Stadt tragen ließ. Vermutlich hatte sein überanstrengter Geist einfach ein wenig Luft und Abwechslung zwischen den intensiven Studien verlangt, ein Umstand, der zwar äußerst unangenehm sein mochte, (was für eine Vergeudung der kostbaren Zeit eines jungen Patriziers, sich einfach ziellos durch die Stadt tragen zu lassen!) aber warum nicht das Angenehme mit dem Notwendigen verbinden? So ließ sich der Flavier nicht einfach herumtragen, um sich dem Anblick des, ob des Wetters ohnehin mageren, städtischen Treibens hinzugeben, sondern das zweite Buch der Argonautika des Apollonios von Rhodos sollte ihm die notwendige Bewegung an der tatsächlich herbstlich-frischen Luft versüßen. So war er angestrengt in die Lektüre desselben vertieft, als das penetrante Gezeter eines Händlers in gewaltsam aus dem epischen Kontext riss. Nicht genug damit, die Sänfte schien in einer Menschenmenge regelrecht festzustecken, sodass auch das Fortkommen von dieser unangenehmen Stelle momentan nicht möglich schien. "Was ist da eigentlich los?", fragte Flaccus etwas genervt, sich aus der Sänfte beugend. "Wir sind am Sklavenmarkt, Dominus, hier kommen wir nur langsam voran.", erwiderte einer der kräftigen Sklaven, die die flavische Sänfte samt patrizischem Inhalt trugen.


    Gezwungenermaßen musterte Flaccus die Szenerie, die sich seinen Augen bot und musterte das "exquisite" Stück, das der Händler so enthusiastisch anpries. Ein gebildeter Sklave also, aus Alexandria. Aus Alexandria? Unweigerlich kam dem jungen Flavier das so angenehme Gespräch in den Sinn, das er mit einer ebenso angenehmen jungen Frau vor einigen Tagen über eben jene faszinierende Stadt geführt hatte, und obgleich gar nicht beabsichtigt, fokussierte er seine Wahrnehmung etwas mehr auf das Geschehen, hatte der Sklave doch allein durch seine Herkunft zumindest die Neugier des Flaviers geweckt. Er folgte den fast schon panegyrisch anmutende Züge annehmenden Worten des Sklavenhändlers bevor ihn dessen letzte Bemerkung stutzen ließ.


    "Wenn er seinen Herrn tatsächlich so "tadellos" gedient hat... ", begann der junge Mann, mit leicht erhobener Stimme aus der Sänfte sich bemerkbar zu machen und über die herumlungernde Plebs sich hinwegzusetzen, "... warum steht er dann hier zur Versteigerung und befindet sich nicht mehr im Besitz eben jener früherer Herren?" Eine Frage, die den so enthusiastischen Händler wohl etwas in Verlegenheit versetzen, die Menge jedoch zu Gelächter animieren würde.

    Langsam wanderte Flaccus' linke Augenbraue einige Millimeter nach oben, als Piso durch Blicke zum Boden, hinter dem Rücken verschränkte Arme und konfuses Herumstochern seines Fußes eine gewisse Unsicherheit erkennen ließ, die der jüngere Flavier noch nicht als Charakterzug des älteren kennengelernt hatte. Leid tat es ihm? Nun was denn? Kaum merkbar wanderte seine Augenbraue noch etwas weiter, als Flaccus versuchte den Worten des Onkels irgendeinen greifbaren Sinn abzugewinnen. Da kam Piso endlich auf den Punkt und der mittlerweile ziemlich angespannte Gesichtsausdruck des Jüngeren entspannte sich sofort, ja ein breites Lächeln, man könnte es fast ein Grinsen nennen, breitete sich auf seinen fein geschwungenen flavischen Lippen aus. Noch ehe er allerdings auch nur irgendetwas erwidern konnte, wechselte Piso so rapide das Thema, dass selbst der ansonsten ganz und gar nicht begriffsstutzige Flaccus einen marginalen Moment lang perplex war. „Oh … ja, gerne!“, mehr konnte er gar nicht einwerfen, als Piso schon mit dem nächsten Vorschlag aufwartete, der den vorigen fast in den Schatten stellte. „Natürlich, ich möchte so schnell als möglich für das Amt eines tresvir monetalis kandidieren, am besten schon zur nächsten Wahlperiode. Ein Tirocinium Fori zuvor wäre sicher nicht von Nachteil …“ Doch nicht genug damit, beim designierten Consul selbst wollte der Onkel dem Neffen eben jenes Tirocinium Fori verschaffen. „Das … das wäre großartig!“, brachte nun Flaccus selbst lediglich minimale Äußerungen des großartigen Gefühls zu Gehör, das seinen jugendlichen Körper in diesem Moment durchflutete. „Würdest du das wirklich für mich machen?“, fragte er noch einmal zur Sicherheit nach, die beiden großartigen Angebote kaum fassen könnend.

    Axilla musste lachen und endlich begann sich die gesamte Atmosphäre auf angenehme Weise zu lockern. Schon im nächsten Augenblick jedoch schien die junge Frau zu stocken und erneut ließ ihr Antlitz jenes faszinierende Farbenspiel erkennen, als ihre Wangen von zarter Röte angehaucht, scheinbar zu glühen begannen. Ihren beschwichtigenden Blick quittierte der Flavier freundlich lächelnd mit einem diplomatischen „Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen…“, und schon schien Axilla auch gar nicht länger über eben jenen Verwandten des Flaccus sprechen zu wollen, wandte sie doch nun das Gespräch wieder gen Osten, nach Alexandria und kam auf den dortigen musischen Wettstreit zu sprechen. Penelope Bantotakis… Im Geiste wiederholte Flaccus den griechischen Namen, nur um festzustellen, dass er ihn nicht wirklich einordnen konnte. Schon wartete Axilla jedoch mit einer Erklärung auf und entpuppte die ebengenannte Griechin als Gewinnerin des musischen Wettstreits in Alexandria.


    „Mein Mentor, Nikodemos, lehrte mich das Spiel mit der Kithara und in Athen konnte ich mein Können verfeinern … magst du Musik?“, erklärte der Flavier seine eigenen musischen Fertigkeiten und versuchte durch eine flüchtige Frage erneut Axillas Interessen zu erkunden. Wenngleich die zuvor gleichsam spielerisch eingeworfenen nymphenhaften Beschäftigungen tatsächlich nahe an der Wahrheit liegen mochten, so hoffte Flaccus, wenigstens in diesem Punkt auf gemeinsame Interessen, wenn die Begeisterung für die griechische Kultur den beiden nicht genug Gemeinsamkeit war, zu stoßen. Im Grunde war das auch seine größte Sehnsucht, endlich einen Gleichgesinnten, einen Freund in Rom zu finden, mit dem er seine Interessen teilen konnte.

    Keineswegs gezwungenermaßen oder gar widerwillig, sondern vielmehr aus freien Stücken und mit der ihm eigenen Neugier war Flaccus mit Piso zur Contio in die Villa Tiberia gekommen und so stand er nun auch an der Seite seines Onkels vor jenen beiden Männern, die eben dieser im nächsten Augenblick als den ehrwürdigen Pontifex pro Magistro und einen gewesenen Vigintivir vorstellte.


    "Salve Pontifex.", ein ehrfürchtige Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören, "Claudius.", auch der zweite der Männer bekam ein freundliches Nicken, wenngleich die Stimmlage nun eher nüchtern, denn ehrfürchtig zu nennen war.

    Amüsiert wanderte eine Augenbraue des jungen Flaviers nach oben, als Axilla fortsetzte, ihren Unterarm zu bearbeiten. Ihre diplomatische Antwort sowie den Verweis auf ihre Seekrankheit nahm Flaccus zur Kenntnis, letzter vermochte sein Lächeln sogar noch zu verbreitern. Dann allerdings schien Axilla auf seine Frage, was sie denn so richtig gerne mache, einen Moment wie versteinert und vergaß sogar einen Augenblick völlig ihren gebräunten Unterarm, der mittlerweile schon eine leicht rötliche Färbung angenommen hatte. Nicht nur jener allerdings hatte seine Farbe gewechselt, auch das Antlitz der jungen Frau ließ unvermutet ein interessantes Farbenspiel erkennen, wie der Himmel über offenem Meer, wenn abends Helios seinen flammenden Wagen samt Rossen in Poseidons Reich versenkt und den Äther in feurige Farben taucht. Noch einmal wiederholte Axilla die Frage des jungen Flaviers, jener nickte nur kaum merklich, um sie zu bekräftigen. Wieder schien die Iunia jedoch scheinbar nicht gewillt, eine ehrliche Antwort zu geben, sondern flüchtete einmal mehr in den Mythos, jenen Tummelplatz für märchenhafte Gestalten, den schon der alte Platon instrumentalisiert hatte, um ganz konkrete Themen zu transportieren. Konnte Flaccus also auch aus der scheinbar ausweichenden Antwort der jungen Frau Rückschlüsse auf die Tatsachen ziehen? Jedenfalls erwiderte der Flavier das, mittlerweile sich über beide Ohren erstreckende Lächeln Axillas, um in scheinbarer Imitatio nun seinerseits einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf sein Antlitz zu zaubern.


    "Was ich so wirklich, wirklich, wirklich gerne mache?", wiederholte auch er die Frage, jedes "wirklich" in seiner Intensität steigernd. "Nun, als Sterblicher kann ich wohl nur mit sterblichen Dingen aufwarten ... und doch mögen meine Taten in gewisser Weise auch als göttlich erachtet werden.", begann er seine Antwort auf geheimnisvolle Weise einzuleiten. "Ich singe gerne von den Geschehnissen über und unter der Erde, den Abenteuern der Heroen, von mächtigen Kriegs- und wohl noch mächtigeren Friedenstaten. Die Geschichten der Götter und Menschen erzähle ich, vom Anbeginn der Welt, bis in unsere Zeit." während er sprach, hatten seine Augen zu strahlen begonnen, gleich zwei funkelnden Bernsteinen, in denen sich, glatt geschliffen, die glänzenden Strahlen der Sonne brechen.

    In seinem Cubiculum saß der junge Flavier vertieft - wie sollte es auch anders sein - in seine Studien. Diese bildeten für den, im Moment noch mit keinem Amt versehenen, jungen Mann in diesen Tagen, abgesehen von den nötigsten Pausen zur Nahrungsaufnahme, etc., die Hauptbeschäftigung. In diesem Punkt glich er also (wenngleich ihm selbst dieser Vergleich wohl sehr zuwider wäre) zweifellos dem Onkel des C. Plinius Caecilius Secundus, dessen Briefsammlung er, sozusagen frisch vom Schreiber, in Form einiger Papyrusrollen feinsäuberlich geordnet am Schreibtisch vor sich liegen hatte, um anhand der Episteln den Stil des Literaten zu studieren. Just in diesem kontemplativen Moment klopfte es an der Tür und noch ehe Flaccus sich umgewendet, oder gar ein Wort gesagt hatte, wurde jene schon aufgestupst. Zum Glück für alle Beteiligten konnte der junge Flavier gerade noch rechtzeitig erkennen, dass es nicht etwa ein tölpelhafter Sklave gewesen war, der seine heilige Konzentration auf so barbarische Weise gestört hatte, sondern ein Verwandter, und somit entging Flavius Piso der zornigen Zurechtweisung, die dem jüngeren der beiden Flavier bereits auf der Zunge gelegen hatte. Stattdessen erhob jener sich nun vom Schreibtisch und trat auf den Verwandten zu. "Piso, schön dich zu sehen!", ein Lächeln huschte auf seine Lippen und vertrieb die zornigen Falten, die eben noch die glatte Stirn umwölkt hatten, seine dunklen Augen hingegen blickten den Besucher mit fragendem Ausdruck an. "Was führt dich zu mir?"

    Entspannend plätscherte das klare Wasser aus der zierlichen Quelle in das kleine, von kunstfertiger Menschenhand geschaffene Becken. Im Grunde fehlte nur noch die musikalische Untermalung durch meditative Lyramusik, um das idyllische Bild paradiesischen Friedens zu vervollkommnen und beim Betrachter den trügerischen Eindruck zu erwecken, nicht länger auf Erden, denn vielmehr bereits jenseits der Lethe im blühenden Elysium sich zu befinden. Auch der von den Musen stets umneckte junge Flavier konnte sich dieses Empfindens nicht erwehren, allein, keiner der hauseigenen Sklaven schien seinen hohen musikalischen Ansprüchen gerecht zu werden. Freilich hätte er selbst zur Phorminx, jenem altertümlichen Instrument, das schon längst von der Lyra abgelöst worden, doch dem archaischen Geschmack des Flaviers und seiner Liebe zum epischen Vortrag allein gerecht wurde, greifen lönnen, wusste er doch durchaus, mit jenem göttlichen Instrument umzugehen und den zarten Saiten jene teils durchaus herben Klänge zu entlocken, die den griechischen Modi innewohnten. Allerdings kannte er Axilla schlichtweg noch nicht gut genug, um zu wissen, ob sie den Musenkünsten in ähnlicher Weise verfallen war, wie der junge Mann selbst.


    Im Grunde schienen Flaccus' Überlegungen momentan auch gar nicht von Relevanz, begann Axilla doch just in diesem Augenblicke ganz ungeheuerliche Dinge zu erzählen. "Oh...", war, gepaart mit einem betroffenen Gesichtsausdruck die erste verbale Manifestation der flavischen Bestürzung. "Das tut mir leid ..." und ein aufrichtig bedauernder Blick folgten prompt. Das war nun sicherlich ganz und gar nicht die Art von Begründungen für Axillas Abreise aus Alexandria, die er erwartet hatte. Andererseits schienen sie in ihrer Dramatik ganz gut zu jenem Bild der jungen Frau zu passen, das, bisher vage, langsam konkrete Konturen anzunehmen schien und, gleichsam einer flüchtig entworfenen Skizze, vor dem geistigen Auge des Flaviers entstand. Da er nicht wusste, wie unangenehm das Thema für die junge Frau war, und weil es ihm ohnehin für ein erstes Gespräch unpassend erschien, jenes traurige Kapitel aus Axillas Vergangenheit zu vertiefen, beließ Flaccus die Antwort schließlich bei den Worten: "Vermutlich eher nicht. Welche Beweggründe auch immer jenen Mörder zu seiner frevelhaften Tat getrieben haben mochten, eine Rückkehr nach Alexandria hieße vermutlich, dein Leben freiwillig einer beträchtlichen Gefahr auszusetzen."


    Für Flaccus schien das Gespräch nun an einem schwierigen Punkt angelangt. Je weiter er in die Vergangenheit der Iunia vorzudringen schien, umso mehr düstere Ereignisse musste die junge Frau aus der Dunkelheit des Vergessens zurück ans strahlende Tageslicht zu holen. Er konnte nicht einschätzen, wie belastend oder unangenehm es ihr war, darüber zu sprechen, also versuchte er nicht mit Gewalt das Gespräch fest an dieses eine Thema zu haften. Er ließ seinen Blick über die Pflanzen um sich wandern, bevor er erneut zu sprechen anhob: „Was machst du gerne?“, eine Frage die, einfach so dahingestellt wohl ein reichliches Maß an Perplexität bei der jungen Frau auslösen würde, „Ich meine, was machst du wirklich gerne? Welche Dinge am Leben sind es, die du am meisten schätzt?“, erklärte er seine Frage, und ließ seinen Blick erneut abschweifen in die üppige Pflanzenpracht des flavischen Gartens, um der Iunia einige Augenblicke des Nachdenkens und eine ungezwungene Antwort zu ermöglichen.

    Ein düsterer Schatten schien für die Dauer einiger Augenblicke des Gesprächs den ansonsten so strahlenden Herbsttag zu trüben. So gänzlich verschiedene Charaktere ihren Väter auch zueigen gewesen sein mochten - der tüchtige Tribun auf der einen Seite, der immer verwirrtere Misanthrop auf der anderen - so war ihnen nun doch etwas Grundlegendes gemeinsam: beider Männer Lebensfäden hatten die Parzen zu Ende gesponnen, nun weilten sie unter den körperlosen Schatten. Viele Stunden hatte der junge Flavier bereits über jenen Übergang von der einen Welt in die andere, den Zustand nachdem der sterbliche Körper, weil er seinen Zweck erfüllt hatte, dem Feuer übergeben worden war, nachgesonnen, ohne so recht eine befriedigende Erkenntnis aus seinen Überlegungen extrahieren zu können. Dass jene märchenhafte Vorstellung, die Vergil etwa in seiner Aeneis vermittelte, als er Aeneas mit der Sibylle aus Cumae in das Avernertal und die Unterwelt hinabsteigen lässt, nicht völlig der Wahrheit entsprechen konnte, war ihm irgendwie bewusst, sollte es aber nun so sein, dass zwar der Körper sterblich und vergänglich, die Seele aber, wie Platon meint, unsterblich sei, oder konnte sogar an dem Glauben jener Christianer, die behaupteten eines Tages würden alle Toten gleichzeitig auferstehen und erneut – mitsamt ihrem Leib – zum Leben erweckt werden, ein Fünkchen Wahrheit sein? Vielfältig waren die Meinungen über jenes Thema zweifellos und selbst der so verehrte Nikodemos hatte dem jungen Knaben Flaccus, kurz vor seinem eigenen Tod, keine gänzlich zufriedenstellende Antwort auf diese eine brennende Frage geben können.


    Nur wenige Augenblicke später jedoch wandelte sich, zumindest dem Empfinden des jungen Mannes nach, die Atmosphäre des Gesprächs auf wunderbare Weise, hellte die Düsternis sich auf, gleichsam wie Aurora, wenn sie den Ozean verlässt am Himmel emporsteigt und Sol, der Titan am Morgen das erste Licht in die Dunkelheit der Nacht schickt und mit seinen Strahlen den Erdkreis erhellt. Axilla begann über das Museion zu sprechen, nein vielmehr zu schwärmen. In seiner Vorstellung erwachten die gesprochenen Worte der Iunia zum Leben. Flaccus konnte den Tempel der neun Musen, jener Gottheiten die sich unter Apolls Führung in allen erdenklichen Künsten übten gänzlich vor sich sehen. Doch damit nicht genug, den Gott selbst glaubte er zu schauen, Apollon, wie er das winterliche Lykien verlässt und die Wasser des Xanthus, Delus, die Insel der Mutter aufsucht, die Reigen wiederaufleben lässt und dabei dann Kreter zusammen mit Dryopern und die bemalten Apathyren um den Altar lärmen, wie der Gott, wenn er von den Höhen des Cynthus schreitet, das fließende Haar mit einem Kranz aus zartem Laub, Zeichen der früheren Liebe, ordnend zusammenhält und ein Band aus Gold darumlegt, wenn die Waffen auf seinen Schultern klirren und vor reinem Glanz strahlt sein edles Antlitz. Bunte Bilder schwirrten in den Gedanken des jungen Mannes umher, nun zeigte sich wieder die gewaltige Bibliothek, das Observatorium, die Gärten und Werkstätten des Museums, Heimat aller erdenklichen Künste und des gesamten Wissens der Sterblichen. Alexandrias Hafen erstand in der Vorstellung des Flaviers, der hochberühmte Turm, die glücklich, da von Poseidon begünstigten, einlaufenden Schiffe der Händler, an Bord unvorstellbare Schätze, Stoffe, Farben, Gewürze, die im Wind flatternden Segel und bunten Fahnen, der fidele Gesang der endlich am Ziel angelangten Seemänner. Nun jedoch schwankte der Geist direkt in die weiten, unüberblickbaren Gärten des Museions, zahlreiche Lauben und Pavillons verstreut inmitten exotischer Pflanzen und Tiere, von hier abermals durch die Bibliothek, unfassbar in ihren Ausmaßen, hinauf in den Turm der Astrologen und Sterndeuter. Mit komplizierten Geräten berechneten sie die Bahnen der Gestirne, deuteten die Zeichen am nächtlichen Himmel, Sterne und Kometen, Fingerzeige der unsterblichen Götter. Hier, in der unendlichen Weite des pechschwarzen Nachthimmels, den Gefilden des Uranos, auf grausame Weise getrennt von Gaia, durch sein Blut Ahnherr des gigantischen Geschlechts, nun Wohnsitz des großen Blitzeschleuderers und seiner Kinder. Hier, in der für den menschlichen Geist wohl unfassbaren Ewigkeit des Alls verlor sich die Vorstellungskraft des jungen Mannes, zerlief seine phantastische Vorstellung gleichsam in Schall und Rauch. Nun erst konnte das Bewusstsein seines Geistes wieder zurückrufen in jenen Garten, an jenen Herbsttag, zu jener jungen Frau. Diese hatte offenbar schon eine ganze Weile zu sprechen aufgehört, ein Umstand der nicht bis in die bewussten Sphären der Wahrnehmung des jungen Mannes gedrungen war, solange er seinen Geist so weit entfernt in fremden und faszinierenden Gefilden schweifen ließ. Nun war es wohl erstmals an ihm, ein etwas verlegenes Lächeln zu formen.


    „Entschuldige, doch deine spannende Erzählung über das Museion war meiner Phantasie wohl allzu fruchtbare Nahrung und hat meine Aufmerksamkeit etwas weggelockt …“, eine völlige Untertreibung, es war wunderbar gewesen! Einen Moment hing er noch in faszinierter Entzückung seinem eigenen Gedankenspiel nach, bis er sich wieder völlig auf das Gespräch konzentrieren konnte. „Wieso, um alles in der Welt, hast du Alexandria überhaupt verlassen?“, führte er das Gespräch in logisch konsequenter Weise fort, „Hätte ich erst die Möglichkeit, alle diese Wunder mit eigenen Augen zu sehen, selbst durch die Straßen jener Stadt und die Gänge des gewaltigen Museions zu schreiten … alle Götter zusammen brächten mich nicht mehr weg von dort!“ Die Möglichkeit, dass er all die Dinge, von denen Axilla wenige Augenblicke zuvor gesprochen hatte, in seiner Vorstellung etwas phantastischer ausfallen hatte lassen, als sie realiter waren, zog er nicht einmal in Erwägung.

    Hatte er sich etwa geirrt? Zumindest klang die fast schon beiläufige Antwort, Axilla hätte eben viel Zeit und wenig zu tun,nicht gerade so euphorisch wie Flaccus vielleicht erwartet hätte. Eher aus der Not hinaus schien sie die Bücher studiert zu haben, wohl um wenigstens irgendetwas zu tun, eine Haltung, die dem bildungshungrigen jungen Flavier, wenn schon nicht völlig fremd, so doch ungewohnt schien. Die meiste Ignoranz in Bezug auf seine Interessen hatte er wohl noch zu Hause in Paestum von seinen eigenen Eltern erfahren, war er aber erst nach Athen gekommen, hatte sich die so faszinierende schier grenzenlose Neugier und Offenheit der Griechen gänzlich auf ihn übertragen, und er selbst hatte die für das kulturelle Leben so fruchtbare Situation - wohl etwas naiv - als Norm betrachtet. Spätestens seit seiner Rückkehr nach Italien und der Reise nach Rom, hatte der junge Mann, wenn schon nicht sonderlich oft, waren es doch eher elitäre Kreise, in denen er sich bewegte, so doch manchmal erzwungenem Kontakt mit der blinden Ignoranz mancher Römer den freien Künste gegenüber, nicht aus dem Weg zu gehen vermocht. Dennoch ließ die nun folgende Antwort der jungen Frau nicht gerade darauf schließen, dass sie zu eben jener bemitleidenswerten Gruppe von Menschen gehörte, denen falscher Blindheit wegen, auf ewig der strahlende Schatz der Bildung verborgen bleibt - wartete sie, nach ihren literarischen Vorlieben gefragt, doch mit den absoluten Highlights der lateinischen und griechischen Literatur auf, wenngleich sie, zumindest im griechischen Bereich, eher den absolut archaischen Formen verhaftet schien, erwähnte sie zwar den gewaltigen Homer, nicht jedoch die kostbaren Kleinode der hellenistischen Dichtung, die wohl, ob ihres Aufenthaltes in Alexandria, also in unmittelbarer Nähe zum Museion und damit der Quelle eben dieser kunstvollen Lyrik, viel eher zu erwarten gewesen wären. So erwähnte sie die großen Elegiker Ovidius, Propertius, Tibullus, nicht aber den gerade von Flaccus selbst so verehrten Horatius, mit dem ihn mehr als die gemeinsamen Prae- und Cognomina verbanden. Pflegte er doch gerade mit diesem Gespräch hier im Garten das Ideal horazischen respektive epikureischen Lebensgenusses. Als Axilla jedoch erwähnte, dass sie auch philosophische Werke gelesen hatte, lauschte der junge Flavier erstmals völlig gespannt. Nicht nur, dass es allgemein wohl eher als selten anzusehen war, dass Frauen sich mit philosophischen Schriften auseinander setzten, so schien gerade diese junge Frau - diesen Schluss wagte Flaccus aus der kurzen Bekanntschaft bereits zu ziehen - eher den lebenspraktischen Dingen zugewandt, denn der Beschäftigung mit trockenen philosophischen Problemstellungen. Anscheinend hatte er sich geirrt, vielleicht war Axilla auch einfach für Überraschungen gut, jedenfalls ließ ihn die Erwähnung der beiden griechischen Philosophiegiganten schmunzeln, war es ihm doch neu, dass Sokrates auch nur ein einziges Wort schriftlich festgehalten hätte, das bis heute überliefert ist. Hier hakte der Flavier jedoch nicht nach, vielleicht war die Iunia ja in Alexandria auf ihm unbekannte Schriften aus Sokrates eigener Hand gestoßen, vor allem jedoch ließ ihn die Erwähnung des Museions, jener mehr sagenhaft, legendären, denn in der Vorstellung des Flaviers real existierenden Bibliothek konzentriert lauschen, konnte jenes Institut doch als Keimzelle jener wissenschaftlichen Beschäftigung mit alten Texten angesehen werden, die Jahrtausende später als Philologie bezeichnet werden würde.


    "Na klar, ich würde mich freuen, wenn du etwas findest, das dir gefällt ... ", waren doch alle bisher erwähnten Gattungen der Literatur, die (Liebes)Lyrik, die Epik aber auch das philosophische Schrifttum in der flavischen Bibliothek bestens repräsentiert. Aber auch neuere hellenistische Literatur, oder Komödien eines Plautus oder Terentius, nicht zu vergessen die zahlreichen alten griechischen Tragödien, deren Lektüre wohl schwierig, aber jedesmal ein unbeschreibliches Erlebnis für den so graecophilen Flavier darstellte, waren in Hülle und Fülle vorhanden. "Das Museion...", lenkte Flaccus nun auf jenes Thema ein, das, von Axilla selbst angesprochen, seine Aufmerksamkeit so sehr gefesselt hatte, "... erzähl doch etwas davon, ich habe Atemberaubendes darüber gelesen..." Zweifellos, irgendwann würde Flaccus nach Ägypten reisen müssen, am besten so bald, als möglich, war er schließlich erst senatorischen Ranges, würde sich die Angelegenheit als erheblich schwieriger herausstellen. Nun schien Axilla jedoch richtig aufzutauen, die anfängliche Schüchternheit wie weggeblasen, als sie loslegte und über Ägypten und ihre Betriebe zu erzählen begann. Gespannt folgte Flaccus ihrer Erzählung und schob dann und wann eine der köstlichen Trauben in den Mund. Als sie plötzlich, anscheinend durch ihren eigenen Redeschwall erschreckt, dem Exkurs nach Ägypten ein vorläufig abruptes Ende setzte, versuchte der junge Flavier durch ein freundliches Lächeln zu signalisieren, dass ihre Worte ihn keinesfalls nicht interessiert oder gar gelangweilt hätte, sondern dass er durchaus Interesse an ihrer Vergangenheit und gegenwärtigen Situation hegte. Und so begann nun Flaccus eine Weile zu sprechen und während das Gespräch sich in Richtung seines nunmehr unter den Schatten weilenden Vaters entwickelte, war der junge Mann schlichtweg zu konzentriert, um den innerlichen Konflikt, der offensichtlich gerade hinter der schönen Stirn der Iunia tobte, wie das Dilemma der, vom süßen Marillenmark klebrigen Hand am angemessensten zu lösen sei, nachzuvollziehen. Die ohnehin bereits etwas ernstere Stimmung begann nun endgültig in offene Wehmut umzuschwanken, da Axilla, anders als Flaccus selbst, schon vor einigen Jahren beide Eltern verloren hatte und der Verlust, scheinbar besonders des Vaters, sie noch heute zu berühren schien. Völlig nachvollziehbar war das in den Augen des Flaviers, verstörte es ihn doch stets selbst, zu sehen, wie vergleichsweise wenig ihn der Verlust seines Vaters berührt hatte, so dass er manchmal ernsthaft bezweifelte, ob er zu tiefen Liebesgefühlen überhaupt fähig war. Dann jedoch erinnerte er sich an Nikodemos, jenen Mann, der dem Knaben Flaccus mehr Freund denn nur Mentor gewesen war, und mit dem ihn noch heute kaum beschreibbare Gefühle tiefster Zuneigung und Liebe verbanden. Auf diese Weise also versichert, dass er nicht gänzlich unfähig schien, Liebe und Zuneigung zu empfinden, konnte Flaccus schon getroster in die Zukunft blicken, im konkreten Fall auf die Antwort, die die von Axilla soeben gestellte Frage zweifellos erwartete. "Nicht direkt. Sein Wunsch war, dass ich mich in den Dienst des Staates und der Gens stelle, und beiden gleichermaßen zu Ruhm und Ehre verhelfe - wie auch immer das konkret aussehen mag..." Ein Vogel zwitscherte und der junge Mann wandte sich zum Baum um, um das zierliche Tier zu betrachten. In diesem Moment trat auch die hübsche Sklavin erneut an den Tisch heran, die wohl, im Gegensatz zu Flaccus, das Marillen-Dilemma, in dem die Iunia sich befand, durchaus wahrgenommen hatte, und reichte Axilla, den Blick stets demütig gesenkt, ein blütenweißes Stofftuch, auf dass jene sich damit ihre Hände in angemessener Weise säubern konnte.

    Ein Bücherwurm also. Das Lächeln verharrte auf den Lippen des jungen Flaviers als nun er seinerseits den Worten der Iunia über ihre eigene – wohl in ähnlichem Maße intensive Liebe zum geschriebenen Wort – lauschte. „Du liest also gerne?“, mehr eine Feststellung denn eine tatsächliche Frage, „Wenn du möchtest, können wir später unsere Bibliothek ein wenig durchstöbern … vielleicht findet sich das eine oder andere Werk, das dich interessiert.“ Völlig ohne negative Hintergedanken sprach er, keinesfalls wäre ihm in den Sinn gekommen, die Bibliothek der Iunier der flavischen nachzustellen, er wollte einfach durch ein freundliches Angebot eine noch lockerere Atmosphäre schaffen. „Was liest du denn besonders gern?“, eine möglicherweise beiläufig anmutende Frage, für den jungen Flavier jedoch von eminenter Bedeutung, hatte er doch ehrliches Interesse am literarischen Geschmack Axillas. Aus den Augenwinkeln nahm Flaccus die flüchtige Bewegung des aufflatternden Vogels wahr, und richtete seine Aufmerksamkeit einen kleinen Moment auf das zierliche Tier, das anmutig durch die Lüfte entwich, dem in der Herbstsonne strahlenden Äther entgegen. Ein eher beiläufiger Zusatz über die wirtschaftliche Situation der jungen Frau hieß die Aufmerksamkeit des jungen Mannes wieder auf das Gespräch zu richten, wobei das wirtschaftliche Geständnis, als das es der Iunia womöglich anmutete, bei Flaccus keineswegs die vielleicht zu erwartende Reserviertheit auslöste - viel zu lange hatte er selbst die Mühen harter Arbeit, wenn schon nicht am eigenen Leib, so doch zumindest in seinem näheren Umfeld erfahren, um nicht die Tüchtigkeit mancher Menschen, selbst mehrere Betriebe anständig zu führen, zu bewundern. „In Ägypten?“, hakte der junge Mann interessiert nach, malte er sich doch zumindest rein logistisch als eine gewaltige Herausforderung aus, so weit entfernt vom Ort des Geschehens die Fäden zu ziehen.


    Für einen kurzen Moment war die unscheinbare Sklavin, nachdem sie die Getränke serviert hatte verschwunden, nun kehrte sie mit einem kostbaren Tablett von der Villa zurück, das sie schließlich, bei den beiden jungen Menschen angekommen, auf dem abgeflachten, als Tisch dienenden Stein inmitten der Sitzgruppe abstellte. In kunstvoller Weise angeordnet befanden sich darauf pralle Trauben, golden schimmernde Quitten inmitten köstlicher Datteln und Feigen, sowie knackige Äpfel und zarte Marillen, allein die bunte Vielfalt der Früchte bot ein prächtiges Bild. Nachdem sie das silberne Tablett heil auf den Tisch manövriert hatte, zog die junge Sklavin, bei näherem Betrachten war ihre jugendliche Schönheit kaum zu leugnen, sich wieder zu dem Baum zurück, um dort bereitzustehen, falls der Dominus weitere Wünsche erkennen ließe.


    „Oh ja, ich stehe kurz vor dem großen Abschlussopfer meiner Ausbildung. Den theoretischen Unterricht hat übrigens deine Cousine in dankenswerter Weise übernommen – eine ganz fabelhafte Aeditua.“, fügte er noch mit einem ehrlichen Lächeln hinzu, denn die junge Priesterin war ihm die gesamte Ausbildung hindurch als eine durchaus kompetente und angenehme Frau erschienen – zu schade, dass sie ob ihrer Schwangerschaft nicht auch die praktische Unterweisung hatte gewähren können! Der Cursus Honorum. Tatsächlich richtete sich das Augenmerk des Flaviers im Moment besonders auf die baldige Bekleidung des Vigintivirats, strebte er doch nichts Geringeres an, als alle Ämter suo anno, also zum frühestmöglichen Zeitpunkt, (der für Patrizier ja deutlich niedriger angesetzt war, als etwa für Plebejer) zu erreichen. „Ja, das war der Wunsch meines Vaters. Sein sich abzeichnendes Ende war es ja, das mich gleichsam mit Gewalt aus Griechenland zurück nach Italien rief. Du kannst dir vielleicht vorstellen, dass es nicht gerade einfach ist, den Rat eines Sterbenden nicht zu befolgen, den letzten, gemeinsam mit der Seele ausgehauchten Wunsch nicht zu erfüllen, bei den Göttern!“, womöglich kein sonderlich erfrischendes Gesprächsthema für eine erste Begegnung, und doch drängte eine undefinierbare Kraft (das Wirken eines Gottes?), den Flavier dazu, endlich einmal über das ihm bestimmte Fatum, über die Umstände des Todes seines Vaters zu sprechen. „Vor einigen Monaten bin ich schließlich hierher gekommen, um mich dem Schicksal zu beugen und meinen Weg im Dienst der Götter, Roms, und der Familie aufzunehmen.“ Ein Schluck des süßen Apfelnektars spülte den bitteren Geschmack fort, der sich bei seinen Worten ausgebreitet hatte. „Aber genug von mir: Nach unserer letzten Begegnung waren mir doch erhebliche Zweifel an deiner göttlichen Abstammung gekommen…“, so nymphenhaft ihr Aussehen auch gewirkt haben mochte, „ erzähl, woher du stammst, und sag jetzt nicht, dein Vater wäre kein Sterblicher gewesen!“ Grinsend schob er sich eine der weichen Datteln in den Mund.

    Das leichte Lächeln des Flaviers verbreitete sich bei den folgenden Worten Axillas zu einem Grinsen über das ganze Gesicht. „Das liegt wohl ganz in deinem Ermessen …“, warf er eine eher nebulöse denn konkret greifbare Erwiderung auf ihre belustigenden Worte in die Luft. Es war in der Tat betrüblich, dass Axilla ihre Gedanken bezüglich der lokalen Präferenzen der blumigen Baumbewohner nicht verbalisierte sondern für sich behielt, denn in der Tat hätte das wohl zu einer interessanten Diskussion geführt, war Flaccus selbst doch gänzlich gegenteiliger Meinung, dass gerade die geordnete, durch Menschenhand geformte Natur den Göttinnen ein willkommener Aufenthaltsort sei, so wie er überhaupt in der Ordnung an sich die deutlichste Manifestation göttlichen Wirkens sah. Wie dem auch sei, Axilla sagte nichts dergleichen, sondern lächelte den schlanken Flavier lediglich an, um gleich darauf seiner Einladung nachzukommen und sich auf der angebotenen Sitzgruppe niederzulassen. Die etwas verklemmt wirkende Haltung, die sie dabei einnahm, registrierte Flaccus mit einem belustigten Lächeln. Offenbar war die junge Frau etwas nervös, was nun gar nicht in der Absicht des Flaviers lag, wollte er doch einfach eine schöne Zeit mit ihr verbringen. Er selbst legte sich also bequem gegenüber Axilla hin und stütze den Kopf auf einem Arm ab. „Ich kann dir Apfelsaft anbieten, er kommt aus dem Landgut auf dem ich geboren wurde…“, tatsächlich war es nunmehr lediglich der Ort seiner Geburt, waren es doch allein die Erinnerungen an Nikodemos, die bei dem jungen Flavier überhaupt noch Gefühle für jenen Ort erregten. Sein Zuhause war nun hier, in Rom, und das war auch gut so. Auf einen kleinen Wink hin erwachte die bisher in annährender Regungslosigkeit verharrte Sklavin zum Leben und brachte, aus einem kleinen, mit bunten mosaikartigen Steinchen ausgekleideten Becken, das ein zierlicher Springbrunnen, der durch das Wasser derselben Quelle, die sich auch in den Teich ergoss, gespeist wurde, befüllte, einen Tonkrug, der offenbar durch das plätschernde Wasser auf eine angenehme Temperatur gekühlt worden war, zum Vorschein und füllte daraus die Becher der beiden.


    Die offensichtliche Nervosität Axillas blieb dem aufmerksamen Blick des jungen Flaviers keineswegs verborgen, und so suchte er durch ein offenes Lächeln eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, schließlich gab es keinen Grund nervös zu sein. Alles, was Flaccus für diese Begegnung geplant, und sich gleichsam erhofft hatte, waren ein paar schöne Stunden mit einer interessanten jungen Frau. „Meine Pflichten sind im Moment noch ziemlich rar gesät…“, begann er Axillas höfliche Nachfrage nach seiner Freizeit zu erwidern. „… ich bekleide noch kein Amt, und das Engagement im Cultus Deorum nimmt mich nicht allzu sehr in Anspruch. Du siehst, ich habe genug Freizeit, um mich der Studia und so angenehmen Begegnungen, wie dieser hier, zu widmen.“ Denn in der Tat schien sich der Tagesablauf des jungen Mannes momentan allein um diese beiden Dinge zu drehen. Wenn er nicht in die Lektüre vertieft war, schrieb er an seiner Korrespondenz mit seinen Freunden in Athen, allen voran Polykarpos oder versüßte sich die Zeit mit ein wenig eigener Dichtung. Würde er erst das angestrebte Amt eines Tresvir auro argento aere flando feriundo bekleiden, sollte sich dieser Umstand ohnehin noch früh genug ändern. „Ich hoffe, meine Einladung hat auch dich nicht in die missliche Lage gebracht, etwaige Pflichten zu vernachlässigen?“ Nicht bloß eine höfliche Gegenfrage, sondern tatsächlich eine ehrliche Befürchtung des so pflichtbewussten jungen Flaviers.