Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Dass die Gärten der flavischen Villa einen derart überwältigenden Eindruck auf die Iunia machten, konnte Flaccus nicht ahnen, zumal er selbst die junge Frau ohnehin ob ihrer Weltgewandtheit und Erfahrung beneidete. Nicht älter als er selbst mochte sie sein und hatte doch bereits Ägypten bereist und die sagenhafte Stadt Alexanders besucht. Was könnte einen Sterblichen wohl noch beeindrucken, wenn er die Wunder des Ostens mit eigenen Augen gesehen hatte? Auf ihn selbst hatte der Garten bei seiner Ankunft wohl eine ebensolche Faszination ausgeübt, weniger allerdings ob des Umstands seiner Größe, hatte das väterliche Landgut bei Paestum doch noch weitaus größere Ländereien und Gartenanlagen besessen, sondern vielmehr ob der kunstfertigen Perfektion die er in der Gestaltung des Gartens verwirklicht sah. Kein noch so kleines Detail schien dem Zufall überlassen, die Anordnung der verschiedenen Pflanzen zueinander, die Anlage der Wege und Grünflächen, der verspielte Einsatz kleiner Quellen und Brunnen, alles das schien, einem wohldurchdachten, ordnenden Prinzip folgend, gleichsam einen kleinen, von Menschenhand geschaffenen Kosmos zu bilden. Wenngleich der Hauch der Vollkommenheit auch allgegenwärtig schien, so vermochte die scheinbar verspielte Art der Anlage dennoch eine freundliche, eine angenehm lockere Atmosphäre zu schaffen, die die offenkundige Perfektion und durchdachte Planung zugunsten des Eindrucks eines, scheinbar alles dem Zufall überlassenden, Wunderwirkens der Natur, in den Hintergrund treten ließ. Diesem Geniestreich des Gestalters war es wohl zu verdanken, dass die Gärten zwar einen repräsentativ-beeindruckenden ersten Eindruck erweckten, bei längerem Verweilen jedoch nach und nach ihr freundlich-lockeres Gesicht zum Vorschein kehrten.


    Während Axilla, scheinbar um die prächtige Atmosphäre der Anlage gänzlich zu erfassen, sich einmal um die eigene Achse drehte, entließ Flaccus den jungen Sklaven Phoebus mit einer kaum merklichen Bewegung wieder in Richtung der Villa. Der Knabe würde wohl im Haus gebraucht werden, und für das Wohl des Dominus und seines Gastes würde ohenehin jene Sklavin sorgen, die noch immer, den Kopf gesenkt, unter dem Baum am Teich stand, mehr einer der, an passenden Stellen im Garten platzierten Statuen, denn einem lebendigen Menschen gleichend.


    „Oh, das hat es schon! Die Nymphen sind nur etwas schüchtern und zeigen sich Fremden nicht sofort, es braucht schon einige Zeit und Zuwendung, bis sie ihre grünen Verstecke verlassen und uns Sterbliche mit ihrer bezaubernden Anwesenheit erfreuen…“, erwiderte er ihre Begrüßung lächelnd und nahm erfreut zur Kenntnis, dass Axilla den Topos ihrer letzten Begegnung erneut aufgriff, eine angenehm verspielte Atmosphäre schaffend. „Aber komm doch näher …“, mit einer einladenden Geste wies er auf die auserwählte Sitzgruppe, „… vielleicht haben wir ja Glück, und die ein oder andere Naturgottheit lässt sich blicken.“, ein vergnügtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sprach. „Darf ich dir etwas zu Trinken anbieten, oder vielleicht etwas Obst?“ Eines war klar, an Köstlichkeiten würde es im flavischen Haushalt wohl nie mangeln.

    Ein Tempelverwalter. Das klang in erster Linie nach einem ganzen Haufen Arbeit. Nicht dass eben jene den so engagierten und durchaus auch belastbaren Flavier abschrecken würde, lediglich in einer Richtung regten sich Bedenken. "Wird sich die Tätigkeit als Aedituus mit der politischen Karriere vereinbaren lassen?" Schließlich würde Flaccus schon in der nächsten Wahlperiode sich um ein Amt als Vigintivir bemühen müssen, um sein erklärtes Ziel, sämtliche Ämter des Cursus Honorum suo anno zu erreichen, in realistische Sphären zu rücken. Sosehr sein Interesse momentan auch dem Cultus gelten mochte, er durfte das eigentliche Ziel dabei nicht aus den Augen lassen.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg]Acanthus


    In Gedanken versunken – wie konnte es auch anders sein – wälzte Acanthus im Moment nicht etwa naturphilosophischen Problemstellungen hinter seiner angestrengt gerunzelten Stirn herum, sondern ethische Überlegungen über den Wert von Lebewesen. Gerade als er sich einer entscheidenden Erkenntnis im Bereich des Wertunterschiedes zwischen freigeborenen Tieren und Sklaven zum Greifen nahe glaubte, riss ein Klopfen an der Tür ihn jäh aus seinem kontemplativen Zustand.


    Mürrisch blickte er in das Gesicht eines mickrigen Sklaven, die Stirn in nahezu ebenso undurchdringlicher Weise gerunzelt wie noch kurz zuvor. Iunia Axilla? In der Tat, da war doch etwas gewesen. Der Schatten über der Stirn des grimmigen Ianitors lichtete sich etwas, die Miene blieb jedoch weiterhin undurchdringlich. In den Garten sollte die Iunia verfrachtet werden – so lautete der Auftrag den Acanthus von Flavius Flaccus erhalten hatte. Er nickte also und trat beiseite. „Phoebus wird deine Domina in den Garten führen.“ Und siehe da schon erschien der Junge scheinbar aus dem Nichts und tat wie geheißen.

    Der Garten war im Moment wohl ein durchaus als angenehm zu bezeichnender Aufenthaltsort. Die herbstliche Frische hatte die drückende Hitze des Sommers, die jedes Jahr aufs neue die Bürger der ewigen Stadt quälte, vertrieben, ein leichter Windhauch, nicht zu kalt, um unangenehm zu wirken und doch frisch genug, um den in der bedrückenden Enge der Räume träge werdenden Geist zu erquicken, spielte mit den Blättern an den Bäumen. Dank der in letzter Zeit ergiebigen Regengüsse bot die allgemeine pflanzliche Gestaltung des flavischen Gartens noch einen durchaus erfrischend grünen Anblick, wobei sich, dem aufmerksamen Auge nicht entgehend, an allen Ecken und Enden schon die ersten Anzeichen des aufziehenden Herbstes zeigten. Eine verspielt gestaltete kleine Sitzgruppe, umgeben von Hecken, an einer munter plätschernden Quelle, die ihr erfrischendes Nass in ein sorgsam angelegtes kleines Becken ergoss, hatte Flaccus als einladenden Ort für die Begegnung mit der an der Sponsalia so faszinierenden jungen Frau auserwählt. Ein paar Schritte abwärts, unter einem noch üppig belaubten Bäumchen stand eine Sklavin, um die Wünsche des Dominus nach Getränken und kleinen Erfrischungen zu erfüllen.


    Hierher also führte Phoebus die Iunia und Flaccus selbst erhob sich, als er die beiden von der Villa aus Garten kommen sah. Sich an den bei der Sponsalia etwas in die Hose gegangenen Versuch, galante Umgangsformen zu pflegen erinnernd, trat der junge Flavier lediglich einen Schritt auf die stetig näher Kommenden zu. Bei weitem weniger offenkundige Extravaganz lag im heutigen Auftreten der Iunia, wenngleich ein Hauch derselben und die Liebe zu verspielten Details dennoch nicht gänzlich verborgen blieb. „Axilla!“, begann Flaccus also, sobald er sie in Hörweite wägte, „Ich freue mich, dich hier begrüßen zu dürfen!“ Mit einer einladenden Geste wies er um sich, tat jedoch nichts weiter, um die Form der Begrüßung diesmal völlig in den Händen der jungen Frau zu belassen.

    Die erneut entfachte Kampfbegeisterung, sich in einer kaum wahrnehmbaren Nuance des nunmehr etwas feindseligeren Blickes Manius Minors manifestierend, blieb Flaccus selbst nicht verborgen, suchte er darin doch bereits die ersten zarten Früchte seiner aufmunternden Worte. Der Wurf des Sklaven, der darauf folgte, mochte wohl nicht als über alle Maßen hinterlistig bezeichnet werden, überstieg jedoch anscheinend dennoch die rein körperlichen Grenzen des Neunjährigen, ein Umstand, den er allerdings - der geneigte Beobachter mochte die Flinkheit in seiner Reaktion wohlwollend zur Kenntnis genommen haben – durch einen unmittelbar anschließenden Hechtsprung in Richtung der verfehlten Pila wettmachte.


    So sehr er das nun scheinbar erwachte Engagement des jüngeren Flavius auch schätzte, schrieb er es doch zum Teil seinen eigenen Worten zu, zu einer übergroßen Nachgiebigkeit, mit der die Sklaven möglicherweise das Spiel mit dem jungen Dominus zu praktizieren pflegten, ließ sich Flaccus selbst nicht herab. Zum einen mochte das wohl daran liegen, dass er selbst als Knabe eine ähnliche Schule durchlaufen hatte müssen – war es ihm doch auch nie gelungen, die gleich der Pila forteilende Aufmerksamkeit der Eltern zu erhaschen – zum anderen wohl auch daran, dass in der Brust des jungen Mannes stets das Verlangen pochte, sich durch außerordentliche Taten seiner Umgebung zu beweisen. Zwar mochte es dem objektiven Beobachter nicht als außerordentlich bewundernswerte Tat erscheinen, einem um annähernd ein Jahrzehnt jüngeren Knaben die Pila vor der Nase wegzuschnappen, für Flaccus selbst jedoch, war es schlicht und einfach ein Spiel – und Spiele waren da, um sie zu gewinnen.


    Als er also die Pila vom Boden aufgesammelt hatte wandte er sich erneut zu Manius Minor und dem für ihn immer noch namenlos gebliebenen Sklaven der Familie um. Lächelnd holte er aus und sandte den Ball in einer Weise, die die rein körperlichen Möglichkeiten des Jungen nicht übersteigen würde, auf seine anmutige Reise durch die herbstlichen Lüfte.


    Q. FLAVIUS FLACCUS AXILLAE SUAE S.


    Es liegt wohl an mir, mich für die betrüblichen Umstände, die die so angenehme Begegnung bei der Sponsalia unserer Nigrina trübten, zu entschuldigen. Gerne würde ich das begonnene - und leider auf so barbarische Weise unterbrochene - Gespräch über die Wunder des Ostens, so die Götter diesem Vorhaben wohlwollend zustimmen, an einem günstigeren Zeitpunkt fortführen. Welcher Ort wäre diesem Treffen wohl angemessener als der, selbst zu dieser Jahreszeit noch grünende, Garten der Villa? (einer Nymphe sicherlich angenehmer Zufluchtsort!) Lass mich wissen, ob auch du so denkst, auf dass nicht einseitiges Empfinden das eben geknüpfte Band zarter Freundschaft allzu heftig belaste. Vale.

    Sorgfalt und Gründlichkeit. Besonders die Hervorhebung dieser beiden Komponeten des Wesens des jungen Flaviers durch die ehrwürdige Aeditua erfreuten jenen zutiefst. Das Streben nach Perfektion in allen Dingen, das, in den Augen des Flaccus einem Streben nach Vollkommenheit gleichzusetzen war - denn schließlich war es die Ordnung, die das wirre Chaos in ästhetische Formen lenkte - schien auch ihm der bedeutendste Charakterzug seiner Person.


    "Ich danke dir, für deine wohlwollenden Worte.", erwiderte der Flavier und deutete eine leichte Verbeugung an. Nun, nachdem das krönende Opfer seiner Ausbildung erfolgreich vollbracht worden war, schien es dem Flavier jedoch nur angemessen, auch über seine weitere Zukunft im Cultus zu sprechen. "Welche Aufgaben, Pedania, könnte ich nun im Dienst an den Göttern erfüllen?" Dass er durch die exzellente theoretische und praktische Ausbildung der letzten Zeit für den einfachen Dienst eines minister, der dem Ausbildungsstand eines discipulus angemessen sein mochte, sich inzwischen deutlich überqualifiziert und durchaus fähig fühlte, bedeutendere Aufgaben wahrzunehmen, spornte den Ehrgeiz des Flaviers an.

    Über alle Maßen sorgfältig und mit der, dem jungen Flavier in so außergewöhnlichem Maße eigenen akribischen Genauigkeit, prüfte Flaccus jedes einzelne Organ, drehte und wandte es in seinen nunmehr bluttriefenden Händen - die strahlende Toga war schon längst von den rostfarbenen Malen des Opfers übersät – auf dass ihm auch nicht die kleinste Unförmigkeit, der unscheinbarste Defekt entging. Dennoch schien Iuppiter dem jungen Mann gewogen zu sein, denn die Eingeweide widerstanden in ihrer Makellosigkeit dem prüfenden Blick des Flaviers, sodass dieser, nachdem das letzte Stück begutachtet worden war, sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, mit fester Stimme verkündend: „Litatio“


    Nun übergab er auch das letzte Stück der Innereien des Widders dem assistierenden popa, der nun die wichtigsten Organe, unter ihnen Leber, Lunge und Herz, auf dem Altar verbrennen würde, während der größte Teil des genießbaren Fleisches hingegen in den Küchen des Tempels zubereitet und entweder in den cenacula auf dem Tempelareal verzehrt, oder aber in anderer Form unter das Volk gebracht werden würde. Konzentriert harrte er also noch am Altar aus, bis auch das letzte Stück der Eingeweide durch die Flammen in göttliche Sphären erhoben worden war, um schließlich zurückzutreten und erstmal erleichtert aufzuatmen. Es war ein großes, komplexes Opfer gewesen und er hatte es, völlig auf sich selbst gestellt, gut gemeistert. Mit einem Lächeln auf den Lippen blickte er gen Himmel, und siehe, in luftiger Höhe zog ein gewaltiger Adler in majestätischem Flug immer größer werdende Kreise, bis er sich schließlich dem Blick des jungen Mannes entzog und jenen dadurch zwang, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Erde und in konkreter Weise auf die Schüssel mit klarem Wasser zu lenken, die ein Sklave ihm anscheinend schon seit geraumer Zeit demütig entgegenstreckte, auf dass der Opferherr nach vollbrachter Tat seine blutigen Hände wieder säubere. Dies tat der Flavier, dem Umstand gewahr geworden, auch unverzüglich, bevor er anschließend und im sicheren Gewissen, das Opfer nun endgültig abgeschlossen zu haben, seinen suchenden Blick über die anwesende Menschenmenge schweifen ließ.


    Schon nach einigen Augenblicken, fanden seine Augen das Ziel ihrer Suche in Gestalt der Aeditua Pedania Iunor, die, in einiger Entfernung stehend, das Opfer ihres Schützlings mit wachen Augen verfolgt zu haben schien. Ein erleichtertes Lächeln auf den Lippen, kämpfte Flaccus sich durch das rege Treiben, das schon wenige Augenblicke nach Abschluss des Opfers erwacht war - galt es doch nun, die besten Stücke des Opfertieres zu ergattern – zu seiner Magistra hin durch, um auch ihre Meinung (und vor allem ihr Lob) zu seinem erfolgreichen Opfer zu hören.

    Die offensichtliche Verärgerung des jungen Verwandten, derer er sich durch Wort und Gestus erleichterte, traf bei Flaccus selbst auf Verständnislosigkeit. Der Kämpfergeist schien dem jungen Manius in eben solchem Maße zu fehlen, wie er Flaccus selbst glücklicherweise zueigen war. Einerseits die harte Schule seines Vaters aber auch die Konfrontation mit der harten Tatsache, lediglich auf sich selbst gestellt zu sein, hatten bei dem jungen Flavier schon früh zu einer außerordentlichen Prägung eben dieser Fähigkeit beigetragen. "Lass dich nicht unterkriegen!", rief er also dem jungen Verwandten aufmunternd zu, als jener sich mit hängenden Schultern in die Mitte begab. Zweifellos hatte Flaccus Gefallen an Manius Minor gefunden, und wenn er ihm hier im Spiel gute Ratschläge für sein Leben geben konnte, schien ihm das ganze umso besser. Unweigerlich musste er an Nikodemos, seinen eigenen Mentor denken, dessen Rat ihm stets der wichtigste und dessen Meinung ihm stets die teuerste gewesen war. Den jungen Manius mit einem freundlichen Blick streifend, blickte er sodann Antigonus an, um ihn aufzufordern, den Ball erneut ins Spiel zu geben.

    Dass die ehrwürdige Aeditua Pedania Iunor ihm ins Innere des Heiligtumes gefolgt war hatte der junge Flavier zwar wahrgenommen, jedoch keine weitere Aufmerksamkeit darauf gerichtet. Sie würde ihn bei diesem Opfer nicht unterstützen, wiewohl hoffentlich rettend eingreifen, sollte sich der Discipulus einen allzu großen Fehler erlauben - eine Überlegung die wohl nahezu gänzlich dem Bereich des Unwahrscheinlichen zuzuordnen war, eingedenk der Sorfalt und Perfektion, die der junge Mann aus Überzeugung in alle seine Taten und Worte - mochten sie anderen auch noch so nichtig erscheinen - zu legen pflegte. Und so war das Voropfer (und damit der für Flaccus auch interessantere Teil des großen Opfers - fand er doch im intimen Rahmen des Tempels statt, gleichsam einem persönlichen Dialog mit der Gottheit) auch bald glücklich vollbracht und als der hagere Flavier bedächtig die Stufen des Tempels wieder hinab stieg und derweilen seinen wachen Blick über die Ansammlung an Menschen im großen Vorhof des Tempels streifen ließ, wurde er der Iunia Serrana gewahr, der er ein flüchtiges Lächeln schickte. Wiewohl sicherlich auch sie keinerlei Zweifel am Können des ihr anvertrauten Discipulus gehegt hatte, mochte dieses erleichterte Zeichen doch die Botschaft vermitteln, dass, zumindest Flaccus' eigenem Ermessen nach, bisher alles perfekt abgelaufen war.


    Wieder am Fuße des Tempels und gleichsam am Boden der Tatsachen angekommen, trat Flaccus auf den Widder zu. Obwohl sich die bisher regen Gespräche am Tempelhof bereits auf ein deutlich leiseres Maß reduziert hatten, tönte es von irgendwo her: "Favete linguis!", womit auch die letzten geflüsterten Gespräche endgültig verstummten. Lediglich die meditativen Klänge der tibicines und fidicines erfüllten nun den Hof, sowie die sanften Geräusche des aufkeimenden Windes, die die Musik weit über die Grenzen des Tempels hinauszutragen schien. Die gespannten Blicke aller Augen ruhten auf dem jungen Flavier, der ruhig an den Altar und den davor fixierten Widder trat und zunächst die mola salsa entgegennahm und damit, wie es Sitte war, nicht nur das Opfertier bestreute, sondern auch den culter sowie die anderen für die Opferhandlung benötigten Gerätschaften. Anschließend nahm er auch noch ein Kännchen Wein zur Hand, trat erneut an den Widder heran, der ihn aus trägen Augen ansah - nicht umsonst hatte man ihn im Vorfeld der Opferhandlungen mit geeigneten Kräutern seiner übersprudelnden Vitalität beraubt, und ließ den blutroten Inhalt langsam zwischen die Hörner des Tieres rinnen. Ein tiefroter Fleck bildete sich am strahlendweißen Haupt des großen Tieres, vom Blut, das schon in wenigen Augenblicken fließen würde, kündend. Das nunmehr leere Kännchen wieder einem der ministri reichend und stattdessen das Opfermesser zur Hand nehmend, beugte sich der schlanke junge Mann, nachdem flinke Hände rasch den Opferschmuck entfernt hatten, nun über das Haupt des Tieres um einen Strich von der Stirn bis zum Schwanz zu ziehen.


    Nun breitete der hagere Flavier beide Arme aus und richtete Hände und Haupt gen Himmel, eine, trotz seiner Jugend durchaus ehrwürdige Erscheinung bietend. "Oh Iuppiter! Optimus! Maximus!", mit starker Stimme sprach er und seine Worte hallten durch den Tempelhof, "Hier steht vor dir Quintus Flavius Flaccus, Sohn des Cnaeus Flaccus um deine Kraft und Macht zu preisen. Du Herr über Himmel und Erde, Vollzieher des Schicksals, Mehrer von Reichtum und Wohlstand! Sieh diesen Widder an: ein gewaltiges Tier, einem so großen Gotte würdig! Er soll dir geopfert werden zu deinen Ehren und zum Preis deiner Macht!" Eine kurze Pause legte der Flavier hier ein, eingedenk seiner rhetorischen Ausbildung, dass Schweigen in einer Rede ebenso Platz finden musste, wie die kunstvoll aneinander gefügten Wörter. "Nicht um Schutz und Friede für mich oder meine Familie zu erbitten bin ich gekommen." Sein durchdringender Blick streifte die gaffenden Augen der anwesenden Menschenmasse, die wohl nur auf Teile des Opferfleisches hoffte. "Nein, die brennende Sorge um diese Stadt und ihre Bürger ist es, die mich hierher treibt! Viele Dinge mögen geschehen sein, die deine Gunst für sie gemindert hat. Sieh dieses Opfer als kleinen Teil und bescheidene Bitte an, um deinen rauchenden Zorn zu besänftigen, auf dass du den frommen Dienst der Stadt anerkennst und ihr eines Tages Ruhm, Ehre und Reichtum in alter Fülle zuteil werden!" Eine Wendung nach rechts schloss auch dieses Gebet ab und schon trat ein popa an das mächtige Tier heran. "Agone?", fragte er mit brüchiger Stimme. "Age!", forderte ihn Flaccus bestimmt auf und schon sauste der Hammer mit einem gewaltigen Schlag auf das Haupt des Widders nieder. Dieser schwankte benommen, doch schon ergriff ihn der junge Flavier mit festem Griff zwischen den Hörnern und durchtrennte mit einem tiefen Schnitt des culter die Halsschlagader des Tieres selbst. Als schlechtes Omen konnte der Blutfluss wahrlich nicht gewertet werden, denn jenes floss in Strömen. Eilig herbeigehuschte ministri fingen Teile der dunklen Flüssigkeit in Schalen auf, während der mächtige Leib des Widders noch einige Male zuckte, bevor er endgültig erschlaffte. Nachdem der cultrarius den schweren Körper zu Boden sinken gelassen hatte, reichte Flaccus ihm das Messer, damit dieser damit mehr oder minder fachkundig den Bauch des Tieres öffne und die Eingeweide nacheinander daraus entferne.


    Stück für Stück brachte jener die noch warmen Innereien zum Vorschein und reichte sie dem jungen Mann. Dieser ließ sich nichts von dem Ekel, der ihn beim Anblick des geöffneten Bauchraums und dem nunmehrigen Begutachten der Eingeweide befallen hatte, anmerken, mit steinerner Miene prüfte er akribisch genau jedes Organ um nach Defekten wie Rissen, Verhärtungen, Deformationen, Geschwüren oder auffälligen Flecken Ausschau zu halten.

    Nun war es also soweit. Ein großes Opfer für Iuppiter sollte den Abschluss und zugleich Höhepunkt der vorangegangenen praktischen und theoretischen Ausbildung des Flavius Flaccus durch die Aedituae Iunia Serrana und Pedania Iunor bilden. Mit einigen Sklaven und einem prächtigen weißen Widder im Schlepptau war der hagere Flavier auf den höchsten Hügel der ewigen Stadt, das Capitolium, zum großen Tempel der Trias gepilgert. Einige neugierige Blicke hatte die Prozession wohl auf sich gezogen, vor allem der prächtig mit roten und weißen Bändern und Gold und Silberstaub herausgeputzte Widder zog die Augen des gewöhnlichen Volkes förmlich auf sich, im Grunde jedoch erregte der kleine Zug nicht außerordentlich viel Aufsehen, handelte es sich doch um etwas Alltägliches und Gewöhnliches, dass ein junger Mann den Göttern opferte. Manch einem war vielleicht sogar der Gedanke gekommen, dass das Opfer in Zusammenhang mit den kürzlich stattgefundenen Wahlen stehen mochte, eine Erwägung, die den Überlegenden jedoch auf eine völlig falsche Fährte setzen würde. Nicht der Wunsch nach politischem Erfolg war es, der den Flavier im strahlenden Sonnenschein, doch dennoch herbstlich frischen Wind, auf das Capitolium trieb.


    Vor dem gewaltigen, von Marmor und prächtigen Farben strahlenden und durch Blumen und blühende Girlanden geschmückten Tempel Iuppiters angekommen, erklomm Flaccus die letzten Stufen zum Tempeleingang und den Kollonaden hinauf in gemessener Ruhe. Auf dem Podest des Tempels angelangt, trat er zwischen den mächtigen Säulen hindurch und blickte sich um. Die mit den Gaben für das Voropfer bestückten Sklaven waren ihm in angemessenem Abstand mit demütig gesenktem Kopf gefolgt, während der Rest mit dem gewaltigen Widder am Vorplatz des Tempels wartete. Tief holte der schlanke Flavier Luft, bevor er sich umwandte und bestimmt zwischen den Pfosten des Eingangs hindurch trat.


    Sofort umfing Flaccus die beruhigende und mächtige Aura des Tempels, der Geruch verbrannter Harze, das dämmrige Licht unzähliger Öllampen. Einen Moment lang schloss der junge Mann die Augen und ließ die nahezu greifbare Atmosphäre göttlicher Macht ehrfürchtig auf sich wirken. Sodann trat er auf das Becken mit frischem Wasser herantrat, um sich zu reinigen. Zunächst nur seine Hände in Berührung mit dem kühlen Naß bringende, benetzte er sodann auch sein Antlitz, um tatsächlich völlig rein und würdig das folgende Opfer vollbringen zu können. Nun zog er in einer langsamen Bewegung einen eine Falte seiner Toga, die er zu diesem wichtigen Anlass natürlich angelegt hatte, über sein Haupt und trat näher, zum gewaltigen Bild des Gottes und seinem Altar. Einen Moment blieb der Flavier reglos stehen, bevor er zunächst den Weihrauch aus den Händen eines Sklaven entgegennahm. Aus seiner flachen Hand ließ die Körnern auf die glühenden Kohlen der Feuerschalen zu Seiten des Altars rieseln, während er mit seinem Blick die aufsteigenden Schwaden des wohlriechenden Rauchs beobachtete und seine Handflächen gen Himmel richtete.


    "Iuppiter Optimus Maximus! Du Herrscher über Himmel und Erde, Wahrer des Rechts unter Menschen und Göttern, du, der du Wachstum und Reichtum bescherst, aus deinem himmlischen Wohnsitz begib dich hinab, das Gebet eines Sterblichen erhöre! Quintus Flavius Flaccus steht vor dir, Sohn des Cnaeus Flaccus, ein Spross jener gens, die dir immer treu gedient hat. Um dir zu danken für die glückliche Reise und um Segen für Rom und meine Familie zu erbitten, stehe ich vor dir und flehe: Nimm mein Gebet an!"


    Wieder wandte der junge Mann sich um und nahm nun die patera mit Wein entgegen. Einige Tropfen ließ er zunächst auf den Boden des Tempels fallen, bevor er den Rest in die, am Altar bereitstehenden Schalen goß. Sodann gab er die nun leere patera wieder dem Sklaven zurück und nahm Früchte und kleine Kuchen von einer hübschen Sklavin entgegen. Auch sie (die Gaben, nicht die Sklavin) platzierte er am Altar, bevor er erneut zum mächtigen Bild des Gottes aufblickte.


    "Iuppiter, du Bester, du Größter! Nimm diese Gaben an: den Wein, die Früchte und den Kuchen, die ich dir darreiche zur Ehre deines Namens und neige meinen Bitten dein Ohr gnädig zu! Bewahre dieser, deiner Stadt Wohlstand und Reichtum! Sichere Frieden und Macht und lass die Bürger in Eintracht leben! Wende alle Not ab von den Frommen und beschere ihnen ein glückliches Leben!"


    Eine Drehung nach rechts bildete den Abschluss des Gebets und gleichermaßen den Auftakt für den zweiten Teil des Opfers. Nicht sogleich, aber schon bald nachdem er geendet hatte, wandte Flaccus sich endgültig um und trat aus der göttlichen Atmosphäre des Tempels hinaus an die frische Herbstluft. Noch immer standen die restlichen Sklaven mit dem stolzen Widder an der befohlenen Stelle und harrten des Fortgangs des Opfers. Flaccus selbst ließ den kühlen Wind einen Augenblick lang durch sein Haar streifen, bevor er sich anschickte, die Stufen des Tempels hinab zu steigen, um das Opfer zu vollenden.

    Dass Manius Minor die Bescheidenheit, die aus den Worten des älteren Flavius sprach, durchaus akzeptierte, nahm Flaccus zur Kenntnis wenngleich jene Bescheidenheit wohl zum größeren Teil als Folge der strengen Erziehung anzusehen sein mochte, von der die Kindheit des jungen Mannes geprägt gewesen war, als mittlerweile auch - allerdings in kleinerem Maße - einen Zug seiner Persönlichkeit bildete. Ein gewisses Maß an höflicher Bescheidenheit stand einem jungen Mann im gesellschaftlichen Geplänkel patrizischer Kreise sicherlich ohnehin nicht schlecht zu Gesicht. Nachdem Flaccus also den vormaligen Platz des Sklaven eingenommen hatte, wurde er von Manius Minor auch schon aufgefordert, doch endlich einen Fortgang des Spieles zu initiieren. Er konzentrierte sich also einen kurzen Augenblick lang, bevor er mit einem kraftvollen Stoß die pila in möglichst unvorhersehbarer Weise losschleuderte, eine komplexe Wurfbahn beschreibend, in Richtung des Jüngeren.

    Dass das Opfertier für Apoll männlich sein musste war nun wirklich eine solche Selbstverständlichkeit, dass Flaccus sie schlichtweg nicht erwähnt hatte. Als die Aeditua nun also den Kopf schief legte und ihn fragend ansah, kam er nicht umhin, sich den Kopf zu zermatern, nach möglichen Fehlerquellen in seiner Antwort. Der Gedanke jedoch, dass es das Geschlecht des Opfertiers sein konnte, das die Iunia noch genannt wissen wollte, kam ihm allerdings nicht - wie denn auch, war es doch ein solch grundlegendes Merkmal, dass die Kenntnis desselben zweifellos bei jedermann vorauszusetzen war.

    Es war seltsam, wie schnell wunderbare Dinge verloren gehen konnten. Oder noch viel schlimmer, wenn sich herauszustellen schien, dass, was eben noch fremdartig und faszinierend, im nächsten Augenblick als trübe und gewöhnlich sich offenbaren musste. Eine Bestätigung seiner Frage vermochte die bittere Atmosphäre gleichsam zu verdichten und dennoch fand ein trauriges Lächeln seinen Weg auf die Lippen der jungen Frau. Flaccus versuchte es zu erwidern, wandte sich jedoch mit einem etwas verzweifelt anmutenden Ausdruck ab. Axilla fuhr fort. Natürlich hatte auch der Flavier von jenem schrecklichen Ereignis gehört; als er nun jedoch jene Frau, die die Götter in wohl unbegreiflichem Zorn so bitter gestraft hatten, vor sich stehen sah, konnte er nicht umhin, seinen traurigen Blick aufzurichten und ihren Augen zu begegnen, um ihr so wenigstens das Gefühl zu geben, dass das Fatum auch ihm unverschuldeter Weise teure Menschen so grausam entrissen hatte. Oh ja, er wusste, was es hieß, einen Verlust zu erleiden!


    Ein Lächeln traf ihn nun jedoch aus dem Antlitz der Iunia, das auf sonderbare Weise zu versuchen schien, das eben Geschehene als nichtig zu erklären. Sie lenkte das Gespräch zurück auf Alexandria, jene Stadt, die er noch vor wenigen Augenblicken - nun jedoch erschien es ihm eine kleine Ewigkeit her zu sein - in seiner Phantasie so zauberhaft ausgemalt hatte. "Ich hoffe tatsächlich darauf. Obwohl ich schon viel von der Stadt gelesen habe, waren es doch deine lebendigen Erzählungen, die einen köstlichen Vorgeschmack jener Wunder mir bereitet haben. Ich danke dir dafür.", mit einer angedeuteten Verbeugung unterstrich er seine Worte und traf nun doch noch einmal ihre tiefgrünen Augen. Ein Hauch von Wehmut lag in seinem Blick und traf sich mit dem aufrechten Bedauern, das aus Axillas Antlitz zu sprechen schien. Wären die Zeiten andere, die Umstände günstiger, die Götter gewogen ...


    "Tu das, die beiden haben eine schöne Feier verdient.", erwiderte er ihre, zwar mehr oder minder kunstvoll verstrickte, aber doch klar verständliche Ansage, dieses so außergewöhnliche Gespräch zu beenden. "Mögen die Götter dir wohlgesonnen sein..." Wer weiß, vielleicht würden sie die Lebensfäden der beiden Sterblichen ja erneut in verbindung bringen, ein erster zarter Knoten war zweifellos von den Moiren geknüpft worden. Unergründlich waren die Wege der Götter und was Flaccus in dieser Stadt, in seinem neuen Leben am meisten brauchen konnte, waren Menschen, die ihm freundlich gesinnt und wohlwollend zugetan waren. Und es stand wohl in Sternen, ob nicht eben solch eine Freundschaft eines Tages zwischen den beiden jungen Menschen heranreifen würde, so seltsam und verkorkst die Umstände ihrer ersten Begegnung auch gewesen sein mochten.


    Ein letzter, schon nicht mehr ganz so wehmütiger Blick traf Axilla von den dunklen Augen des Flaviers her, begleitet von einem Lächeln, das, wenn auch nicht mehr voll von kindlicher Faszination, wie beim ersten Anblick der jungen Frau, so doch von einer freundlichen Verbundenheit kündete, die sich in der Brust des Flaviers regte.


    Vergessen würde er Axilla nicht.

    Fast konnte Flaccus den Wind spüren, der ihm durch das Haar fuhr, als er, von den einladenden Worten der Iunia fortgeführt, dem König der Welt gleich sich fühlend vom Paneion aus nicht nur ganz Alexandria sondern auch weit hinaus aufs Meer und den satten grünen Streifen entlang, den der mächtige Nil durch das unwirtliche Land schlang bis zu den in der Ferne flimmernden Bergen, sein gewaltiges Reich überblickte. Die farbenprächtigen Pflanzen des Parks blühten in seiner Phantasie auf, fremdartige Gewächse von unbeschreiblicher Schönheit. Wundersame Tiere verbargen sich im Gestrüpp, von furchterregender Größe und Gewaltigkeit. Im Geiste huschte er durch die Gärten, nur um hinter jeder Biegung bereits ein neues Wunder zu entdecken. Doch schon brach die Nacht herein über das wundersame Paradies und Flaccus glaubte die Hitze der Flammenfontänen, die die Schausteller gegen den pechschwarzen Nachthimmel jagten, förmlich spüren zu können.


    Jäh wurde der junge Mann jedoch gewaltsam fortgerissen aus jenem phantastischen Reich, in das die sprudelnden Worte der Iunia ihm Eintritt gewährt hatten, als Flavius Piso aufkreuzte, allem Anschein nach reichlich angetrunken und Flaccus selbst zunächst lediglich zunickte. Dann allerdings warf er der jungen Frau ein paar Worte an den Kopf die ihn wohl selbst (in nüchternem Zustand wohlgemerkt!), ob ihrer groben Verletzung der Ästhetik zweifellos angewidert hätten. In seiner momentanen Verfassung schien er sich allerdings nicht an ihnen zu stören, führte sein Kommentar jedoch auch nicht weiter aus, sondern verschwand fast eben so unvermutet, wie er aufgetaucht war, wieder in der Menge. Verschwand und ließ Flaccus und die Iunia in einer äußerst unangenehmen Atmosphäre zurück. In Gedanken versuchte der Flavier den Worten seines Verwandten Sinn abzugewinnen … Hatte er tatsächlich Witwe gesagt? Die junge Frau mochte wohl gerade so viel Jahre wie er selbst zählen und sollte tatsächlich bereits verwitwet sein? Plötzlich sah er die zuvor noch ob ihres exotischen Auftretens und der zauberhaften Worte faszinierende Frau in einem gänzlich anderen Licht. Zumindest glaubte er das, wenngleich er an dem tatsächlichen Erscheinungsbild der Iunia keine sichtbaren Veränderungen wahrnehmen konnte. Und doch schienen die filigranen Goldblätter in ihrem Haar etwas matter, die die grünen Augen blasser, das zuvor noch atemberaubende Kleid fast schon gewöhnlich … war es eine Täuschung oder löste tatsächlich ein Schleier sich von seinen Augen und ließ ihn nun die … nüchterne Wirklichkeit sehen? War er etwa einem Zauber der Götter unterlegen, einer Täuschung mit der sie nur allzu oft die Sterblichen in die Irre führten und ihre Schritte im Nichts verlaufen ließen? Hatte er es gar dem verstörenden Intermezzo Pisos zu verdanken, dass er nun wieder, scheinbar klar und im unbarmherzigen Lichte der Erkenntnis die Welt sah?


    Ein nahezu endlos langer, quälender Moment folgte der gemurmelten Entschuldigung Axillas, in der der Flavier sie nur ansah; nachdenklich oder fassungslos, jedenfalls auf seltsame Weise ernüchtert schien sein Blick, der die noch vor wenigen Augenblicken glänzende Faszination scheinbar gänzlich verloren hatte. „Du bist Witwe?“ Diese Frage stellte er nach jenem schier endlosen Moment der Ernüchterung in den Raum, trocken und belegt klang seine Stimme. So also fühlte sich die wahre Welt an, die Wirklichkeit hinter dem Schein … eine schäbige Atmosphäre blieb zurück wenn die glänzende Pracht der Phantasie, die zauberhafte Schönheit – von den Göttern gegeben – sich aufzulösen schienen … in Schall und Rauch. Es war kein gutes Gefühl.

    Der Überraschung, die das plötzliche galante Verhalten des Flaviers bei jener jungen Frau ausgelöst hatte, wurde Flaccus zwar gewahr, konnte sie jedoch nicht so recht einordnen. Was hatte sie bloß erwartet? Sie warf sich hier in einem, wohl mehr als extravagant zu bezeichnenden Aufzug ins Getümmel, ohne mit solchem Verhalten zu rechen? Oder war ihre scheinbare Verblüffung ob der freundlichen Geste des jungen Falviers vielleicht gar Teil jenes seltsamen Spieles, das sie, einerseits durch ihr außergewöhnliches Auftreten, aber nicht minder auch durch ihre mysteriösen Worte inszeniert hatte? Fast schien es so, denn zunächst schien sie tatsächlich erneut das Gespräch in jene spielerisch mythologischen Sphären zurück erheben zu wollen, woher Flaccus selbst es soeben etwas wehmütig – hätte er selbst doch auch noch viel länger jenen Zustand des faszinierenden Maskenspiels aufrecht erhalten wollen – doch im Glauben, dass sie durch ihre Worte eben das, eine Vorstellung seinerseits, zu bezwecken gedachte, hinab in die gewöhnlichen Umgangsformen gesellschaftlicher Begegnungen gezogen hatte.


    „Glaub mir, als Faun oder Satyr hättest du als Nymphe nur wenig mit mir zu lachen ….“, meinte er sodann mit einem doppeldeutigen Lächeln, waren jene Geschichten, die von den Angehörigen jener beiden Gruppen und ihren „Abenteuer“ mit den filigranen Naturgöttinnen erzählten doch in ihrer Gesamtheit eher einschlägiger Natur. „Du solltest also beruhigt, sein, dass du nur einen gewöhnlichen Sterblichen vor dir hast, den du durch deinen Anblick verzaubern kannst…“, fuhr er fort, ein Lächeln auf den Lippen. „Eigentlich hast du recht …“, meinte er sodann, während er in gespielter Anstrengung die Stirn runzelte, „..und wenn ich mich recht erinnere, hast du den Pflanzen am Eingang zuvor einen sehr sonderbaren Blick zugeworfen…“, fuhr er in gespieltem Ernst fort, bevor sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen verformten und damit seine Worte nun endgültig eher im Bereich des Albernen denn in jenem des geistreichen Wortspiels angesiedelt waren.


    Auch die junge Frau schloss sich nun seiner eigenen Vorstellung an – und sagte ihm zunächst nichts Neues. Ihren Namen und die dadurch sich ergebende Verbindung zu jener Aeditua, die so bereitwillig seine Ausbildung übernommen hatte, hatte der Flavier ohnehin bereits von einem Sklaven erfahren, die nächsten Worte allerdings ließen ihn hellhörig werden. Sie war also eine Bekannte Nigrinas, einer Verwandten, die Flaccus in seiner kurzen Anwesenheit in Rom leider noch nicht einmal richtig kennenlernen hatte können. Lediglich in den letzten Tagen vor der Sponsalia war ihre Präsenz in der Villa unüberseh- und hörbar gewesen, eine Tatsache, die wohl zum Großteil aus der Unfähigkeit der Sklaven ihren – völlig legitim – hohen Ansprüchen gerecht zu werden, resultiert hatte. Zu einer längeren Begegnung war es jedoch, sehr zum Bedauern des jungen Flaviers, noch nicht gekommen, aber vielleicht würde sich das ja schon zu diesem Anlass ändern ….


    Mit einem Lächeln wandte Axilla sich sodann wieder etwas näher dem jungen Mann zu und ließ eine Bemerkung fallen, die nun tatsächlich das Interesse des Flaviers erweckte: „Nein, leider …“, erwiderte er ihre Frage nach seiner Abstammung, wenngleich er im Herzen wohl tatsächlich mit jener Stadt am meisten verbunden war, „… meine Eltern hatten sich in Paestum niedergelassen, wo ich auch meine Kindheit verbrachte. Lediglich die letzten Jahre bin ich bei einem Freund in Athen, Polykarpos, untergekommen.“ Das sollte wohl reichen ... über die Umstände seines Aufenthalts und vor allem seiner Rückkehr nach Italien musste Axilla ja nicht sofort bescheid wissen. Nun jedoch zu jener Frage, die ihn tatsächlich interessierte: „Du warst in Alexandria?“ Seine Augen begannen in einer Weise zu glänzen, die wohl allein Nikodemos richtig zu deuten gewusst hätte, war es doch das selbe Strahlen, das auch die Augen des jungen Flaccus stets erfüllt hatten, wenn der alte Mentor von fernen Ländern und Städten, von Göttern und grauenvollen Ungetümen zu erzählen begann… „Erzähl mir doch von Alexandria!“, forderte er die Iunia also mit einem fast schon flehentlichen Unterton auf, während die Faszination, die seine Augen strahlen ließ, sich noch zu intensivieren schien.

    Die nächste Frage der Aeditua war bereits viel konkreter und spezifischer als die vorigen, sodass Flaccus einen Moment überlegte, bevor er zur Antwort ansetzte.


    "Als Opfertier würde ich eine junge weiße Ziege oder ein Lamm wählen, die äußerlich makellos erscheinen und sich somit als Opfergabe eignen. Außerdem sollten natürlich auch Wein und Kuchen für die Voropfer vorbereitet werden. Dann wird das Tier mit Blumen und Bändern geschmückt und in einer feierlichen Prozession zum Opferplatz, dem Tempel des Apoll, geführt. Zunächst bringe ich die Voropfer, also Kuchen, Obst und Wein im Tempelinneren dar, darauf folgt, am Vorplatz des Tempels das blutige Opfer. Am Beginn steht die Reinigung aller am Opfer beteiligten Personen durch Wasser aus einem fließenden Gewässer im Vordergrund, anschließend wird das Opfertier durch das Übergießen mit Wein und mola salsa geweiht. Nachdem der Schmuck entfernt ist, streiche ich mit dem Messer von der Stirn bis zum Schwanz des Tieres. Dann wird das Tier durch einen Schlag mit dem Opferhammer betäubt und die Halsschlagader durchtrennt. Sollte an den Eingeweiden des Tieres kein Fehler erkennbar sein, kann die litatio verkündet werden. Im Anschluss werden die Innereien am Altar verbrannt und das für die Sterblichen bestimmte Fleisch zubereitet und verzehrt."


    Noch einmal runzelte der Flavier die Stirn, offenbar um nachzudenken, ob er etwas Bedeutendes vergessen hatte, bevor er noch hinzufügte: "Das sind die grundlegenden Dinge, die ich bei einem Opfer für Apollo beachten würde."

    Langsam rappelte sich der hagere Flavier hoch, klopfte den Staub vonn sich ab und strich sorgfältig die Falten seiner Tunica zurecht. Immer noch zierte ein, durchaus triumphierender Ausdruck seine Züge, als er die ehemalige Position des Sklaven einnahm, während dieser seinerseits in der Mitte des Spielfelds Aufstellung nahm. Auch der durchaus bewundernde Gesichtsausdruck seines jungen Verwandten entging Flaccus nicht, seine Worte erwiderte er bescheiden: "Glaub mir, es ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich das letzte Mal sowas gespielt habe!"


    Natürlich hatte Flaccus in seiner Kindheit auch oft mit den Sklaven der Familie herumgetollt, wenngleich es ihm schon damals stets spannender erschien, den abenteuerlichen Geschichten zu lauschen, die Nikodemos, der alte griechische Sklave zu erzählen wusste, als sich mit den anderen Burschen durchs Gestrüpp zu schlagen. Nichtsdestotrotz mochte er durch seinen dynamischen Einsatz den Eindruck erweckt haben, gewisse Fähigkeiten in diesem Spiel aufzuweisen - eine Illusion, die Flaccus selbst nicht unbedingt zerstören wollte. Tatsächlich war die Tatsache, dass sein tatkräftige Einsatz auch mit Erfolg gekrönt worden war, wohl eher Fortuna, als der Geschicklichkeit des jungen Mannes im Umgang mit der pila zuzuschreiben.

    Sie war schön. Als die junge Frau mit einem Lächeln sich abwandte, konnte der Flavier für einen Augenblick ihr Antlitz ungestört mustern. Wieder fand sein Blick unwillkürlich den Weg zu ihren tiefgrünen Augen, von wo er sich jedoch schnell wieder entfernte, als Axilla ihre Aufmerksamkeit nach einem kleinen Seitenblick erneut ihm zuwandte und als Erwiderung auf seine Feststellung lediglich eine weitere kokette Frage in den Raum warf. Dem, ihre Worte begleitenden, Strahlen jedoch versuchte der Flavier schon gar nicht mehr sich zu erwehren sondern unterlag ihm kampflos, indem er es mit einem ebensolchen quittierte. Noch bevor er allerdings auf ihre Worte eingehen konnte, schien ihr Geist plötzlich, sich an einem fernen Ort aufhaltend, auf ein Geschehen weit weg von dieser Begebenheit, ja selbst weit weg aus dieser Zeit sich zu richten. Während der Blick der jungen Frau eine melancholische Trübung erfuhr und in weite Ferne sich richtete, versuchte der Flavier den lokalen und temporären Sphären, die wohl in ihrer Erinnerung aufzogen, nachzuspüren – vergebens. Doch obwohl er im Moment zwar keine Vermutung sich anzustellen getraute, wo ihr Geist weilte und welche Bilder in ihrer Erinnerung aufzogen, war die wehmütige Erinnerung, von der die eben noch strahlenden Züge der jungen Frau plötzlich überschattet zu werden schienen, dem jungen Mann selbst nur allzu gut bekannt. Auch Flaccus gab sich in einsamen Stunden oft völlig dem Gedenken an Nikodemos hin, jener Mensch, dessen Bande die Moiren wohl am stärksten mit den seinen verwoben hatten, zumindest erschien es dem jungen Mann so. Auch durch Athens Gassen ließ er seinen Geist schweifen, in wehmütiger Erinnerung der zahlreichen Diskussionen mit seinem Freund Polykarpos, die seinen Horizont sosehr erweitert hatten. Auch jetzt musste er einmal mehr an die beiden Männer denken, deren Verlust ihn so viel tiefer getroffen hatte, als der seines eigenen Vaters. Ein Umstand der ihn oft nachsinnen ließ über die Relativität familiärer Bindung, jedoch nie Schuldgefühle im Empfinden des Flaviers provozierte.


    Ein unschuldiges Lächeln der jungen Frau ließ auch Flaccus seine Aufmerksamkeit wieder aus der Vergangenheit auf das gegenwärtige Geschehen richten, während er, ebenso vergeblich wie zuvor, den Sinn der mysteriösen Worte der Iunia zu entschlüsseln suchte. Ein weiteres Lächeln Axillas führte das Gespräch jedoch schon fort und hieß ihn, die rationale Ergründung ihrer Worte auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Die nächsten Frage allerdings holte das Gespräch nun endgültig, aus mythologisch poetischen Sphären zurück auf den – nicht allzu harten – Boden gewöhnlicher zwischenmenschlicher Begegnungen. „Entschuldige, wo habe ich nur meine Manieren gelassen?“, schloss er mit einem freundlichen Lächeln an ihre Worte an, während er nach Axillas Hand griff und sie zu seinen Lippen führte, um einen Kuss über ihre Fingerspitzen zu hauchen. Kurz sog er den angenehmen Duft ihrer Haut ein, bevor er die Hand wieder sinken ließ. „Ich bin Flavius Flaccus und erst vor wenigen Wochen von Athen aus über Paestum hierher …“, mit einer Geste wies er um sich, „… nach Rom und in den Schoß der Familie gekommen.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen als er sprach, schließlich waren seine Worte keinesfalls fehl am Platz, angesichts des Wohlwollens und der Bereitwilligkeit, mit der man ihn hier empfangen hatte. "Und welches bezaubernde Wesen - wenn schon keine Dryade - habe ich das Vergnügen kennenzulernen?"