Dass die Gärten der flavischen Villa einen derart überwältigenden Eindruck auf die Iunia machten, konnte Flaccus nicht ahnen, zumal er selbst die junge Frau ohnehin ob ihrer Weltgewandtheit und Erfahrung beneidete. Nicht älter als er selbst mochte sie sein und hatte doch bereits Ägypten bereist und die sagenhafte Stadt Alexanders besucht. Was könnte einen Sterblichen wohl noch beeindrucken, wenn er die Wunder des Ostens mit eigenen Augen gesehen hatte? Auf ihn selbst hatte der Garten bei seiner Ankunft wohl eine ebensolche Faszination ausgeübt, weniger allerdings ob des Umstands seiner Größe, hatte das väterliche Landgut bei Paestum doch noch weitaus größere Ländereien und Gartenanlagen besessen, sondern vielmehr ob der kunstfertigen Perfektion die er in der Gestaltung des Gartens verwirklicht sah. Kein noch so kleines Detail schien dem Zufall überlassen, die Anordnung der verschiedenen Pflanzen zueinander, die Anlage der Wege und Grünflächen, der verspielte Einsatz kleiner Quellen und Brunnen, alles das schien, einem wohldurchdachten, ordnenden Prinzip folgend, gleichsam einen kleinen, von Menschenhand geschaffenen Kosmos zu bilden. Wenngleich der Hauch der Vollkommenheit auch allgegenwärtig schien, so vermochte die scheinbar verspielte Art der Anlage dennoch eine freundliche, eine angenehm lockere Atmosphäre zu schaffen, die die offenkundige Perfektion und durchdachte Planung zugunsten des Eindrucks eines, scheinbar alles dem Zufall überlassenden, Wunderwirkens der Natur, in den Hintergrund treten ließ. Diesem Geniestreich des Gestalters war es wohl zu verdanken, dass die Gärten zwar einen repräsentativ-beeindruckenden ersten Eindruck erweckten, bei längerem Verweilen jedoch nach und nach ihr freundlich-lockeres Gesicht zum Vorschein kehrten.
Während Axilla, scheinbar um die prächtige Atmosphäre der Anlage gänzlich zu erfassen, sich einmal um die eigene Achse drehte, entließ Flaccus den jungen Sklaven Phoebus mit einer kaum merklichen Bewegung wieder in Richtung der Villa. Der Knabe würde wohl im Haus gebraucht werden, und für das Wohl des Dominus und seines Gastes würde ohenehin jene Sklavin sorgen, die noch immer, den Kopf gesenkt, unter dem Baum am Teich stand, mehr einer der, an passenden Stellen im Garten platzierten Statuen, denn einem lebendigen Menschen gleichend.
„Oh, das hat es schon! Die Nymphen sind nur etwas schüchtern und zeigen sich Fremden nicht sofort, es braucht schon einige Zeit und Zuwendung, bis sie ihre grünen Verstecke verlassen und uns Sterbliche mit ihrer bezaubernden Anwesenheit erfreuen…“, erwiderte er ihre Begrüßung lächelnd und nahm erfreut zur Kenntnis, dass Axilla den Topos ihrer letzten Begegnung erneut aufgriff, eine angenehm verspielte Atmosphäre schaffend. „Aber komm doch näher …“, mit einer einladenden Geste wies er auf die auserwählte Sitzgruppe, „… vielleicht haben wir ja Glück, und die ein oder andere Naturgottheit lässt sich blicken.“, ein vergnügtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sprach. „Darf ich dir etwas zu Trinken anbieten, oder vielleicht etwas Obst?“ Eines war klar, an Köstlichkeiten würde es im flavischen Haushalt wohl nie mangeln.