Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Wenngleich selbstverständlich nicht sofort, so war doch schon bald auch ein Bote in die Basilica Iulia entsandt worden, wo die centumviri tagten, um auch Flavius Flaccus von den schrecklichen Ereignissen in Kenntnis zu setzen. Jener, durch das ihm aufgebürdete Amt des Decemvirats gezwungen, den Hundertmännern in Erbschaftsprozessen vorzustehen, konnte nicht einfach ohne weiteres wehender Toga aus der Gerichtshalle eilen, sodass es einige Zeit in Anspruch nahm, bis schließlich eine Vertagung des Prozesses ob der besonderen Umstände erwirkt war. Erst nach und nach drangen die Worte des Boten nun endlich in die bewussten Felder seiner Wahrnehmung vor, als der junge Flavius raschen Schrittes durch die Gassen eilte. Wieder und wieder hallten sie nun jedoch durch seinen Kopf, dröhnend, gewaltvoll. Der Senator Flavius Piso kam bei einem Unglück ums Leben. ... einem Unglück ums Leben. .... Unglück ums Leben. Unglück. ums. Leben. ums Leben. Piso? bei einem Unglück? Pochend fühlte Flaccus sein Herz gegen die brennende Brust hämmern, sein Atem ging flach während er den Hügel hinauf eilte. Welches Unglück sollte Piso ... Es musste eine Verwechslung sein. Ja, ganz sicher. Flavius Piso, ein Pontifex Roms - von den Göttern umschirmt. - Welches Unglück sollte einen solchen Mann treffen? Flavius Piso, ein Senator Roms - wer würde es wagen, sich an der purpurnen Brust zu vergehen?


    Die Tür schlägt auf. Hinein ins Atrium eilt der Flavier. Versteinerte Mienen, elende Blicke. Weißer Stoff, rot verfärbt. Blut stört die Harmonie, das friedliche Bild, Blut eines Opfers? Flavius Piso kam bei einem Unglück ums Leben. Dahingesunken vor dem blutigen Nachtmahr eine Frauengestalt. Eine kräftige Stimme ruft den jungen Flavius zurück. Gracchus' Worte klangen bestimmt, beinahe pragmatisch, ganz so, als ob er hier als Magistrat spräche, als Pontifex, als Senator. Zu paradox schien dieses grausame Bild, als um es für real zu halten. Die ganze Szenerie, die blutverschmierten Männer, der bestimmende Senator, die kniende Frau, die erst jetzt in die Gestalt Nigrinas sich zu wandeln scheint, und inmitten aller der unschöne Nachtmahr, der Tote, der sein Onkel sein sollte. Schillerndes Trugbild, grausamer Streich der Moiren schien es dem jungen Flavius, der nun erst gänzlich ins Atrium trat, zögerlichen Schrittes sich jener unheimlichen Mitte des Geschehens näherte, die Bahnen der Toga verrutscht, der Blick seltsam verklärt. In unmittelbarer Nähe Nigrinas stockte er, kam zur Ruhe, zwang sich, den Blick entgegen eines starken Dranges nicht abzuwenden, sondern fest zu richten auf das schreckliche Bild, das ihm einem Schwertstoß gleich in die Eingeweide fuhr, sodass er sich, ob des unvermuteten Schmerzes intuitiv zusammengekrümmt, an der Kline abstützen musste, um nicht zu fallen, schwer atmend, während sein Blick gebannt auf das Antlitz des Toten gerichtet blieb.

    Wiewohl der kühle Herbstwind selbst die Hauptstadt des römischen Reiches etwas unwirtlicher werden ließ, hatte Flaccus sich doch entschlossen, den Weg vom Hügel hinab ins Tal zu den Foren und schließlich zur Basilica Ulpia gemeinsam mit seinem treuen cliens Caetronius Crassipes und Luca, der bald selbst zur durchaus honorablen Reihe flavischer Klienten sich zählen würde, zu Fuß zu bestreiten. Die klare Luft, die der frische Wind mit sich brachte, weckte die etwas eingeschlafenen Lebensgeister des jungen Mannes, dessen musisches Gemüt in letzter Zeit immer mehr in iuristischen Verschlingungen zu versinken drohte, und tat sichtlich auch seinen beiden Begleitern gut, denn schon nach kurzer Zeit und einem angenehmen Gespräch gelangten die drei Männer, durch den Marsch leicht erwärmt, zu den Stufen der eindrucksvollen Halle. Ob des ihm zugeschanzten Amtes, welches er, wenngleich durchaus noch verärgert auf die falschsinnigen Gemüter in den Reihen des Senats, doch mit dem ihm eigenen durchtriebenen Hang zur Perfektion ausführte, sah Flaccus sich ohnehin gezwungen, des Öfteren in der Basilica Ulpia präsent zu sein, selbst wenn er gerade keiner Verhandlung der Centumviri zu praesidieren vom praetor hastarius bestellt worden war. Nach eben jenem Mann hielt er zunächst auch Ausschau, als die finalen Stufen schließlich erklommen waren und ein erster Blick in das muntere Treiben sich darbot. Da der Hastarpraetor allerdings selbst für den ohnehin relativ groß gewachsenen jungen Flavius in der Menge nicht auszumachen war, schlug er kurzerhand den Weg in eine der beiden Apsiden an, wo er mit großer Gewissheit auf einen anderen Magistraten mit Imperium treffen würde, welcher ihm in seiner Sache dienlich sein konnte. Es war die sella curulis des praetor urbanus zu der er schließlich gelangte, und um die sich bereits eine stattliche Traube gesammelt hatte, in die der junge Magistrat sich auf eine kurze Wartezeit hoffend einreihte, während Caetronius Crassipes es durch seine ausgefeilte Ellbogentechnik selbst in die Hand nahm, die Wartezeit kurz zu halten.

    Nickend folgte Flaccus den Worten seines Patrons, als jener für die anscheinend bereits erfolgte Einweihung des Corneliers argumentierte. Seine Überlegungen waren schlüssig und folgten zwingend logischer Vorgehensweise - der junge Flavius fand keinen ernsthaften Grund, die Entscheidung des Tiberiers in Frage zu stellen. Aus diesem Grunde verlegte er sich schlichtweg darauf, ihr zuzustimmen: "Zweifellos. - Aber wenn du schon von den Löwen sprichst...", lenkte er in gekünstelter Weise das Gespräch auf einen anderen offenen Punkt des Plans, "Wurde bereits geklärt, wie genau es gelingen soll, Salinator festzusetzen? Die Prätorianer verweigern nun selbst mehrfachen Consuln und Censoriern den Einlass zu ihm, wie man hört...", spielte er in beinahe beiläufiger Weise auf ein nicht unerhebliches Moment der Verschwörung an, welches wenigstens für ihn durchaus noch unter dem Schleier der Ungewissheit sich verborgen hielt.

    Ein junger Sklave blickte aus der prompt geöffneten Türe und Flaccus trat ihm einige Schritte entgegen, ehe er die Fragen selbst beantwortete.


    "Salve. Ich bin Flavius Flaccus, gewählter Decemvir litibus iudicandis und würde gerne mit der ehrbaren Germancia Laevina sprechen, so sie im Hause weilt."

    Genauer musterte nun auch Flaccus, der bisher, umringt von seinen Freunden, die genaue Ursache des plötzlichen Stillstands der Gruppe noch nicht zu eruieren imstande gewesen war, den jungen Mann in dem seltsamen blauen Mantel und blieb einen Moment lang an den auffallend weichen Zügen hängen, die ihm so ungewöhnlich für einen römischen Mann erschienen. Noch interessierter betrachtete er die seltsame Erscheinung allerdings, als sie auch noch zu sprechen begann, da die Worte ungewöhnlich hoch klangen und einen seltsam fremdländischen Akzent trugen. Zweifellos schien dieser Mann nicht aus Rom zu stammen, und doch war es in dem düsteren Zwielicht des späten Abends beinahe unmöglich, die Herkunft etwa an seiner Gestalt auszumachen. „Mamilius?“, wiederholte jener junge Mann, der das Gespräch begonnen hatte brummend, „Kenn ich nicht. Aber wenn Mamilius dein Freund ist, dann ist er auch unser Freund!“, tat er, lautstark bekräftigt vom Rest der wackeren Truppe, seine vertrauensselige Einstellung kund, nur um nach einem kurzen Moment der Überlegung beinahe ertappt anzuschließen, „Er ist doch dein Freund, oder?“


    Doch schon hatte der Rest der Gruppe Gefallen an dem Vorschlag des jungen Fremdlings gefunden, und forderte ihn zwar durchaus kräftig, aber nichtsdestotrotz fröhlich und freundlich auf, sich doch ihrer munteren Gesellschaft anzuschließen. „Klar, führ uns hin, sonst landen wir noch im Tiber!“, prustete einer vergnügt, ehe ein erstauntes Raunen durch die Runde ging, als der Fremde seinen Namen nannte. Dieser klang für römische Ohren nämlich durchaus ungewöhnlich. Dennoch fragte keiner weiter nach, waren doch in ihrem Kreis ohnehin sämtliche gesellschaftlichen Hierarchien seltsam aufgeweicht und kraus ins Gegenteil verkehrt. Der großgewachsene Jüngling, der es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, hatte, die edlen Gefährten zu führen, übernahm es nun auch, sie dem Neuen im Bunde kurz vorzustellen. „Also, ähm, das hier ist Sulca, der hier Urbicus, Ruso, Nerva und Florus hier, der dort heißt Fulvus, das hier ist Flaccus und ich bin Pollio.“ Seiner knappen Vorstellungsrunde schloss er eine etwas lächerlich anmutende künstlich-vertrackte Verbeugung an, ehe er seinen Arm vertraulich um Lamy legte. „Also, wo geht’s nun hin?“

    Die Zahl der Passanten, die der junge Mann mit den auffallend fein geschnittenen Gesichtszügen aufmerksam musterte, hielt sich zu der mitternächtlichen Stunde durchaus in Grenzen, und doch sollte er schon kurz darauf Gelegenheit bekommen, eine dem geneigten Leser bereits bekannte Gruppe junger Männer genauer zu betrachten. Nach einer Weile kamen besagte Jünger des Bacchus nämlich aus einer gänzlich anderen als jener Richtung, wohin sie zuvor verschwunden waren, zum Vorschein, einen nicht gänzlich orientierten Eindruck abgebend. Tatsächlich waren sie bereits dermaßen den Freuden des jugendlichen Gottes erlegen, dass sie sich in der dichten Dunkelheit, die lediglich die nächtliche Diana mit fahlem Licht erhellte, schlichtweg verirrt hatten. "Beim Iupiter, ich hätte schwören können, es wäre die richtige Gasse gewesen..." - "Ihr hättet auf mich hören sollen - das hier ist ja nicht mal die richtige Richtung - dort liegt der Esquilin." - "Na wunderbar, hier gibts nichtmal ne verdammte caupona!", drang das Stimmengewirr teils aufgeregt, teils etwas eingeschnappt, teils erheitert durch die finstere Stille. "Schaut mal da drüben!", einer der jungen Abenteurer hatte offensichtlich den bisher unbeteiligten Betrachter im blauen Mantel bemerkt. "Hey du! - Weißt du wo's hier zum alten Glaukus geht?", trat er auf den vermeintlichen jungen Mann zu und sprach ihn in jovialem Ton an.

    In heller Tunika und sandsteinfarbener Toga gekleidet, die ob des gemächlich einziehenden Herbstes aus etwas dickerem Stoff gefertigt worden waren, näherte sich Quintus von den Flaviern, geleitet von zwei offiziellen apparitores und einigen persönlichen Sklaven und Klienten an einem klaren Tag durch den geschmackvollen Garten der Casa Germanica. Als die Männer die Porta erreicht hatten, übernahm der viator es, dreimal kräftig gegen das Tor zu pochen.

    Flaccus warf ein interessiertes "Tatsächlich?" ein, als sein Patron die Mutmaßung äußerte, dass jener Aelius sich unter Umständen ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte. Eine durchaus plausible Erklärung, wie der junge Flavius fand, traten doch gerade jene besonders schweren Erkrankungen des Körpers durchaus häufig mehrmals in den betroffenden familiae und gentes auf. Dann allerdings beugte er sich sichtlich interessiert etwas nach vorn, als nun der Tiberius seinerseits mit Neuigkeiten aufwarten konnte, um jedoch bereits nach den ersten Worten leicht die Stirn zu runzeln. Zwar war er nun schon eine geraume Zeit in Rom, doch konnte es dennoch gut möglich sein, dass er sich irrte. "Sagtest du Appius Cornelius Palma?", erkundigte er sich also, um sicherzugehen, dass er richtig gehört hatte, und kratzte sich kurz nachdenklich an der durchfurchten Stirn, um dann lächelnd anzuschließen, "Seltsam, ich hätte schwören können, der ehrenwerte Cornelius Palma hätte ein anderes Praenomen getragen. Aulus vielleicht?" Mit einem lockeren Schulterzucken und einem leichten Lachen fuhr er fort. "Wie dem auch sei, du siehst, die Götter strafen mitunter auch schon in jungen Jahren mit Vergesslichkeit. Palma ist jedenfalls zweifellos eine ausgezeichnete Wahl - Als zweifacher Konsul mehr als würdig, mit der Unterstützung seiner alten Truppen gewiss auch fähig, den Platz als princeps einzunehmen. Unter seiner Führung wird Rom ein neues goldenes Zeitalter erleben, strahlend vom edlen Glanz der mores maiorum.", steigerte sich der Flavius in exaltiert pathetische Vorfreude, "Aber ist er selbst in den Hergang der Dinge eingeweiht, oder soll er nicht in unseren Kreis aufgenommen werden?" Zweifellos gab es für beide Möglichkeiten gute Argumente, womöglich war die Entscheidung ja auch noch gar nicht getroffen worden.

    "Istud vinum bonum vinum vinum generosum - reddit virum curialem probum animosum." Lautstark dröhnte der raue Chorus durch die schmalen Gassen, brach sich an heruntergekommenen Gemäuern und wurde bekräftigend zurückgeworfen, als müssten die von der Abendsonne noch warmen Steine den Sinn durch ihre Autorität bekräftigen. "Bache bene venies gratus et optatus. Per quam noster animus fit laetificatus.", durchdrang nun eine einzelne etwas näselnde Männerstimme die nächtliche Stille, ehe der gesamte Chor erneut erscholl, kräftiger und übermütiger als zuvor. "Istud vinum bonum vinum vinum generosum ..." Nun erst kamen die Urheber des akustischen Spektakels ins Blickfeld, als eine Gruppe von einigen jungen Männern aus einer schmalen Gasse hervorbrach. Voran stolzierte eine etwas dickliche Gestalt, die nun ihren schmetternden Tenor in dem neu gewonnenen offenen Raum erklingen ließ. "Iste cyphus concavus, de bono mero profluus, siquis bibit saepius satur fit et ebrius." Kehliges Gelächter erscholl unter den anderen wagemutigen Nachtschwärmern, ehe sie abermals gemeinsam zu singen anhoben, während sie, sich gegenseitig stützend und vorwärts stoßend, das schiefe Pflaster der etwas breiteren Straße entlangstolperten. "Istud vinum bonum vinum vinum generosum ..." So bewegte sich das muntere Grüppchen aus jungen Männern, die allesamt in durchaus edle Stoffe gewandet waren, ihren Bacchushymnus laut vor sich her schmetternd weiter durch jene etwas abschüssige Straße, die offenbar gen Tiber führte.


    "Diomedes' Feste sind wahrlich stets einen Besuch wert!", stellte eine tiefe, etwas erheiterte Stimme fest, der jedoch sofort eine etwas höhere energisch entgegnete: "Aber viel zu schnell vorüber! - Die Nacht ist noch jung, Bacchus ist uns hold, auf, wir wollen uns seiner Gunst als würdig erweisen!" - "Was schlägst du vor?" - "Bei Umidius Myrtilus ist gewiss noch ein Gelage im Gange ..." - "Mag sein, aber die Frauen dort sind so hässlich wie er selbst ...", brummelte eine Stimme aus dem Hintergrund. "Was ist mit Considius Pera?" - "Nein, der beginnt doch immer aus seinen eigenen Werken zu rezitieren, wenn er betrunken ist. - Und seine Prosa ist beinahe so grauenhaft wie Plinius' Secundus' Lyrik!" - "He, pass auf was du sagst. Plinius ist ein guter Mann." - Ein hämisches Grinsen. "Das mag ja sein, aber der Höhepunkt seiner Feste ist meistens irgendein blasses Griechlein, das schlechte Elegien vor sich her stammelt. Der Mann sollte mal ne Nacht mit ner anständigen lupa verbringen. Diese Tomyris aus dem Lupanar am Aventin würde einen echten Mann aus ihm machen." - Anerkennendes Raunen durch die Runde. - "Für diese Frau könnte man morden. Sie ist eine verdammte Venus.", murmelte eine etwas kratzige Stimme, ehe sich die dazugehörige Gestalt an die ebenfalls nur schemenhaft erkennbare Person neben sich wandte, um sie in vertrauter Weise an der Schulter zu fassen. "Was ist mit dir Schlappohr, welche Schönheit hält dein Herz denn gerade gefangen?" Und als keine Antwort folgte, sondern der Angesprochene lediglich in Gedanken versunken zu Boden starrte, verbunden mit einem unsanften Rütteln, "He du, welche würdest du jetzt gerne nehmen, wenn du die Wahl hättest?" Die Augen der anderen Männer gespannt auf den nunmehr aus seinen Gedanken Hochgeschreckten gerichtet, kratzt sich der kurz an der Sirn, um dann etwas durcheinander zu brummen. "ähm ... Iotape ist ganz nett." - Mit der Antwort sichtlich zufrieden klopft der Mann dem durch die Frage unweigerlich in den Mittelpunkt gerückten Freund anerkennend auf die Schulter. "Ah ... das ist doch eines von Glaukus' Mädchen! Dann da lang, das ist ganz in der Nähe." Und gekonnt dirigiert er seine torkelnden Freunde in eine der angrenzenden Gassen, wo sie im Dunkel verschwinden.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Der alte Tiberius willigte ein, seinem flavischen Klienten bei der Hauptverhandlung - so sie denn stattfinden sollte - zur Seite zu stehen, und ein amüsiertes Lächeln schlich sich auf die Lippen des jungen Mannes, als er unweigerlich daran denken musste, dass der Prozess wohl ein prächtiges Bild abgeben würde: integrer Spross einer Kaiserdynastie und edler Consular und Pontifex auf der einen Seite gegen einen homo novus aus den tiefen der germanischen Wälder auf der anderen. Dem Duccius lag offensichtlich nicht sonderlich viel an seinem eigenen politischen Fortkommen, doch man konnte bei einem Barbaren wohl nicht die nötigen kognitiven Fähigkeiten voraussetzen, um in die komplexen Prozesse der römischen Gesellschaft Einsicht zu haben. Auf das Kompliment zu seiner eigenen Verteidigung, von der der Tiberius gewiss durch einen von Flaccus' Mitklienten Kunde erhalten hatte, reagierte er nur mit einem Schulterzucken. Er hatte sich im Vorfeld der Anhörung zwar einige Gedanken über seine Rede gemacht, sich dann aber seinem eigenen Ermessen nach etwas zu sehr auf die wüsten Anschuldigungen des Duccius eingelassen, worunter auch das rhetorische Niveau des Wortgefechts zweifellos gelitten hatte.


    Ein wenig plauderte der junge Flavius noch über andere aktuelle politische Themen, wie etwa die jüngste Gesetzesinitiative des Stadtpräfekten, die abermals besagten Duccius in wenig vorteilhafter Weise ins Licht gerückt hatte, ehe schließlich nach dem Hauptgang, den ein raffiniert zubereitetes lucanisches Lamm gebildet hatte, die zahlreichen Sklaven auf einen Wink hin den Raum verließen. Der Tiberier schien nämlich, so höflich er auch an dem politischen Diskurs teilgenommen hatte, doch vor allem am Ausgang der Germanienreise seines Klienten Interesse zu tragen, was in Anbetracht seiner ursächlichen Verworrenheit in die Angelegenheit auch kaum verwundern mochte. So kam Flaccus schließlich auch von selbst darauf zu sprechen, ehe Durus noch die Initiative ergreifen musste.


    "Was die Reise nach Germanien, und das Gespräch mit dem Legatus Augusti angeht, so lag das Interesse des Annaeers in erster Linie auf der Nachfolgefrage. Ich denke er hat seinen persönlichen Vorschlag bereits in früheren Gesprächen mit dir zum Ausdruck gebracht, er erklärte sich allerdings durchaus bereit, auch auf seine Forderungen zu verzichten. Wie du bereits angedeutet hast, liegt es ihm vor allem daran, dass die Interessen seiner Familie und seiner eigenen Person bei dem neuen K..andidaten auf wohlwollende Ohren stoßen." Eine wegwerfende Geste deutete an, wie banal der Flavius die Einstellung des Annaeers empfand, der auf persönlichen Gewinn pochte, wo doch das Wohl des gesamten Imperiums im Vordergrund stand. "Nun, ich habe ihm mein Wort gegeben, dass seine persönliche Unterstützung unserer Sache in angemessener Weise anerkennende Belohnung finden wird ... ich denke, mit diesem Vorgehen wirst auch du dich durchaus arrangieren können? - Außerdem möchte er Vinicius Lucianus vorschlagen und darauf hinweisen, dass andere Kandidaten mit mehr oder minder rechtmäßigen Ansprüchen im Auge behalten werden sollte. Besonders Aelius Quarto schien ihm wichtig zu sein. Er sprach noch davon, in naher Zukunft selbst einen Boten nach Rom schicken zu wollen, möglicherweise wird uns dieser bereits in nächster Zeit erreichen." Ein ausgiebiger Schluck von dem perlenden Wein schloss die kurze Darstellung der essentiellen Teile des Gespräches vorläufig ab.

    Er fühlte ihren Körper. Obwohl sie sich nur leicht gegen ihn presste, spürte er ihre Weiblichkeit dicht an sich, und die neugierig wandernden Fingern verleiteten ihn immer mehr, dem süßen Rausch einfach nachzugeben, der sich scheinbar unaufhaltsam seines Gemüts bemächtigte. Schon glaubte er keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können, sah nur noch die funkelnden grünen Augen und die köstlichen Lippen vor sich und der unaufhaltsame Drang, dieses Wesen zu nehmen, es zu besitzen, selbst wenn es das Leben kosten würde, wurde stärker und stärker. Unsterblich - nur für einen Moment. Leidenschaftlich ließ er sich durch das forsche Zungenspiel fordern, schmeckte den würzigen Wein, die Nelken, das Leben selbst in seiner wahrhaftigsten Form. Nach einem übermütigen Spiel ließ er ab von den perlenden Lippen, wanderte tiefer und begann mit seinen Lippen den Hals zu erkunden, den Geruch der Aurelia zu kosten, verweilte einige Augenblicke an der Grenze, wo die weiche Haut ihres Halses unter kostbarem Stoff verschwand, der dem forschen Vordringen des Flaviers Einhalt gebat - wenigstens für einen Moment. Denn schon strichen schlanke Finger zartes Haar beiseite, um auch andere, bisher verborgene Orte aufzusuchen und leidenschaftlich in Besitz zu nehmen. Dichter presste nun auch er seinen Körper an den ihren und fühlte ihre Wärme und den Schlag ihres Herzens, das sich immer ungestümer gegen seine Brust warf, einem gefangenen Vogel gleich, der der Freiheit zustrebte.

    Der junge Flavius konnte sich eines verächtlichen Schnaubens nicht erwehren, als der tiberische Consular sich nach seiner Befindlichkeit erkundigte. "Nun, der Empfang in Rom war kein allzu warmer.", stellte er kryptisch fest, und ein verärgerter Unterton schwang in seinen Worten mit, "Zweifellos hast du bereits von der Anklage dieses germanischen homo novus gegen mich gehört, und auch die Wahl zum Vigintivirat nahm überraschend eine unangenehme Wendung." Wobei letzteres dem Flavier noch ärgerlicher erschien, empfand er schließlich diesen unverständlichen Schritt des Senats als herben Schlag gegen seine eigene Person. Doch in der Gegenwart seines durchaus verehrten Patrons hatte sich der junge Mann genügend unter Kontrolle, um eine freundliche Stimmung zu bewahren, zumal er darauf baute, dass der Tiberius alles in seiner Macht stehende getan hatte, um den Wunsch seines Klienten nach einer Berufung als monetalis zu unterstützen - auch, wenn er letztlich offenbar gescheitert war. "Dieser unerhörte Streitfall ist auch eine der Angelegenheiten, in denen ich dich dringend sprechen wollte. Bei der ersten Anhörung habe ich selbst für mich gesprochen, wie du vielleicht mitbekommen hast; - sollte es allerdings zur Ansetzung eines Hauptverfahrens kommen, so möchte ich dich bereits jetzt um deinen Beistand bitten, wie es Recht und Sitte ist." Somit war relativ rasch bereits einer der wichtigeren Punkte des Gesprächs zur Sprache gekommen, und das war Flaccus nicht unangenehm. Nun nahm er einen Schluck des Weines, der bereits kredenzt worden war, und ließ auch die Vorspeisen herbeibringen.

    "Nur zu...", nickte der Flavius zustimmend, als der Decimus Massa den pragmatischen Vorschlag machte, sogleich zur Sache zu kommen, denn er kam dem, von den Bergen an Arbeit, mit denen er sich in der ersten Zeit seines Amtes konfrontiert sah, durchaus geschlauchten jungen Mann nur recht. Nachdenklich runzelte er jedoch die Stirn, als der Soldat fortfuhr und strich sich bedachtsam die Oberlippe entlang. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. "Es tut mir außerordentlich leid, Decimus, doch ich fürchte, dass ich dir in dieser Angelegenheitnicht behilflich sein kann.", meinte er schließlich, "Ich bin in den Erbschaftsprozess des Decimus Verus leider nicht involviert. Wenn du sagst, du wärst bereits mit einem meiner Vorgänger in Verbindung getreten, so kann ich dir nur raten, dich nochmals an ihn zu wenden. Möglicherweise hat er auch einen meiner neun collegae mit dieser Angelegenheit betraut..." Ein entschuldigendes Lächeln schloss sich an.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg| Acanthus


    "Soso? Kein officium in der Basilica?", grummelte Acanthus in grimmigem Ton. War die Basilica Ulpia etwa in größerem Umfange umgestaltet worden? Er hatte noch nie davon gehört, dass die große Halle mit kleinen Büros für die magistratus minores angefüllt werden sollte. Wo würden denn dann die Gerichtsverhandlungen stattfinden? - Nein. Dieses Bürschchen da mit seinem blitzenden Reifen und dem blank polierten Orden redete mit Sicherheit einfach gewaltigen Humbug.


    "Ich werde sehen, ob er dich empfängt." Und schon war die Tür reichlich unsanft geschlossen, und es dauerte eine geraume Weile, bis sie erneut aufgetan wurde, diesmal allerdings zur Gänze. "Tritt bitte ein, der Herr empfängt dich im Atrium. Folge dem Jungen. - Rechter Fuß zuerst."


    Phoebus nahm den jungen Soldaten in gewohnt devoter Weise in Empfang und huschte ihm voran ins Atrium.

    Mit langen Schritten kam der gesuchte Flavier dem in das Atrium geleiteten Decimer entgegen. Er war in eine schlichte Tunika gewandet und machte den etwas erschöpften Eindruck eines hart arbeitenden Mannes. Seine Rasur war flüchtig ausgefallen und darob alles andere als perfekt und ein leichter Schatten lag über seinen Augen. Dennoch war er patricius genug, um selbst in diesem etwas müden Zustand noch das würdige Erscheinungsbild eines aufrechten Römers und wahren Flaviers abzugeben, seinen Ahnen gerecht.


    "Salve Decimus.", rief ihm Flaccus schon durchs Atrium entgegen, als er noch mit langen Schritten auf ihn zuging. Mit einer großen Geste wies er, als er schließlich bei ihm angekommen war, auf eine kleine Sitzgruppe aus zwei Klinen etwas abseits. "Bitte nimm' doch Platz." Interessiert musterte er die militärischen Auszeichnungen des jungen Mannes, Phalera und Torques. "Was kann ich für dich tun?"