Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Es war eines der kleineren triclinia, welches Flaccus für die private cena mit seinem Patron hatte vorbereiten lassen, doch durchaus geschmackvoll in seiner Ausstattung. Die Wände zierten durchgängige Fresken, die in glänzenden Farben eine weitläufige Landschaft abbildeten, und auch die Klinen waren kunstvoll gearbeitet und mit prächtigen Stoffen bedeckt. Der junge Flavius hatte sich in eine schlichte nachtblaue synthesis gekleidet, die an den Rändern mit Gold durchwirkt war und einstweilen auf dem lectus immus Platz genommen, um die Ankunft des tiberischen Consulars zu erwarten. Ein prüfender Blick wanderte über die perfekte Anordnung der Sklaven im Raum, die sich ausreichend im Hintergrund hielten, um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen, dennoch nahe genug waren, um etwaigen Gesten ihres Herren nachzukommen.
    Als der Tiberius endlich durch das Atrium zu dem kleinen Triclinium geführt wurde, erhob Flaccus sich rasch, um den ehrenvollen Gast angemessen zu begrüßen.
    "Salve, patronus. Ich freue mich, dich als meinen Gast hier in der Villa Flavia begrüßen zu dürfen." Mit einer einladenden Geste wies er auf den lectus medius. "Bitte, nimm' doch Platz." Erst, als der Tiberier sich niedergelassen hatte, machte auch Flaccus es sich schräg gegenüber seines Patrons bequem.

    [Blockierte Grafik: http://img232.imageshack.us/img232/9697/acanthusmj4.jpg] | Acanthus


    Käse! schoss es einem gewissen flavischen Ianitor unvermittelt durch den Kopf. Ja, ganz gewiss sogar. Es musste Käse sein. Dieses gelbliche und mitunter durchaus eigenwillig riechende Produkt aus der Milch von Schafen und Ziegen war zweifelsfrei der Stoff, aus dem der Mond gemacht war. Denn dass die Geschichte mit Luna, der Schwester von Sol und Aurora, nur symbolischen Charakter hatte, das war ja schon den kleinen Kindern klar. Und aus dem messerscharfen Blickwinkel der Naturwissenschaft (dass sie dereinst einen solchen Namen tragen würde, konnte besagter Ianitor natürlich nicht ahnen) konnte es nur eine Antwort geben: Es musste Käse sein.


    Ein unvermutetes Klopfen an der gewaltigen Porta unterbrach diese hochgeistigen Überlegungen und zwang den nicht minder gewalitgen Ianitor seiner Pflicht nachzukommen. Wenn es allerdings schon sein musste, so wenigstens mit einer ordentlichen Portion Grimmigkeit.


    "Wer bist du und was willst du?", fragte er also missmutig, nachdem er die Tür einen Spalt geöffnet hatte.

    "Ausgezeichnet. Wenn es dir angenehm ist, würde ich dann gleich morgen Abend vorschlagen, schließlich gibt es viel zu bereden.", meinte Flaccus in beiläufigem Ton, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, ob aus seiner Sicht etwas gegen den kurzfristigen Termin sprach, jedoch in dieser Hinsicht zu einem positiven Ergebnis gekommen war. Noch waren seine abendlichen Einladungen durchaus überschaubar, sodass dem Vorhaben nichts im Wege zu stehen schien.

    Luca strahlte übers ganze Gesicht, als Flaccus ihn bat, seine Erfahrung im Kampf mit ihm zu teilen. Und auch die Aussicht auf ein wenig gemeinsamen Sport in Zukunft schien ihm durchaus zu gefallen. Flaccus selbst grinste, denn auch er war vergnügt, zu sehen, wie sehr die Aussicht auf ein Leben in Freiheit Luca zum Strahlen brachte. "Ich werde dir Bescheid geben, wenn ich dafür Zeit habe.", meinte er freundlich, als ihm einfiel, dass es vermutlich schon reichlich spät sein musste, und ein unbewusstes Kratzen Lucas an seinem verwundeten Arm, ihm auch dessen Zustand wieder in Erinnerung rief. "Aber ich denke, wir werden ein anderes Mal weitersprechen. Du solltest dir noch ein wenig Ruhe gönnen, damit du bald wieder ganz bei Kräften bist.", meinte der junge Flavius mit einem freundschaftlichen Zwinkern und beendete damit das Gespräch, über dem die Nacht über die ewige Stadt hereingebrochen war und Phoibe das schwarze Firmament in Besitz genommen hatte.

    Irgendwo in den kleinen Smaragden ihrer Augen verlor sich sein Blick, als Floras Hand den Weg zu seiner Wange fand. Sanft berührten ihre Finger seine Haut, und ließen sich bei dieser zaghaften Erkundung nicht durch die ersten, stoppeligen Anzeichen des Barts aufhalten, der bereits damit begonnen hatte, die Wangen des Flavius erneut in Besitz zu nehmen. Nur leicht neigte er seinen Kopf, als Flora sich ihm zuwandte und kostete zum ersten Mal ihre Lippen. Für den kurzen Moment des Kusses füllte sich die Brust des jungen Flaviers bis zum Bersten mit Lebensmut und das köstliche Gefühl der Unsterblichkeit brachte sein Empfinden zum Glühen. Als er seine Lippen sanft zurückzog, suchte er im funkelnden Grün von Floras Augen nach einem Zeichen, nicht ihres Einverständnisses, sondern ihres eigenen Verlangens, ihres Begehrens, welches in seinem eigenen dunklen Blick aufflammte. "Du bist wunderschön.", raunte er ihr sanft zu, während er nun auch selbst damit begann, mit seiner Hand ihr vollkommenes Antlitz in Besitz zu nehmen, und abermals ihre Lippen suchte, leidenschaftlicher, fordernder als zuvor. Sein Kopf war frei, sein Empfinden klar und rein, und für diesen einen Abend im Schattenreich zwischen Traum und Wirklichkeit, an der Grenze von Märchen und Realität, für diesen einen, wahren und unsterblichen Moment in der Ewigkeit des Zeitstroms, war er nur ein junger Mann, der tat, was wahrhaft richtig war. Sein Empfinden war so rein, sein Verlangen so klar, seine Leidenschaft so wahr, dass nichts Falsches daran liegen konnte, nichts Unehrenhaftes und nichts Schlechtes.

    Gebannt hing der jüngere Flavius an den Lippen seines Verwandten, als Gracchus begann, seine etwas konträre Sicht der Dinge bedachtsam kundzutun. Nickend folgte er den Worten in stillem Einverständnis, waren doch seine eigenen Hoffnungen vor der Ankunft in der Stadt durchaus ähnlicher Natur gewesen. Doch je weiter Gracchus fortfuhr, umso höher türmten sich seine Worte gleich dem spannungsvollen Bogen in der griechischen Tragödie auf, um sichtlich einem unvermeidlichen Fall, einer zerschmetternden Wandlung zuzustreben. In einer kurzen Pause suchte Flaccus die Augen seines Onkels zu treffen, ehe jener, nach diesem gleichsam retardierenden Moment seiner Ausführungen, jenes zuvor spannungsvoll und wortreich aufgetürmte Konstrukt an Überlegungen mit einem Schlage zu Boden stürzen ließ. Mit ernster Miene und hartem Blick hörte der junge Flavius weiter zu und versuchte, langsam in eine etwas lockerere Grundhaltung zurückzukehren, hatten sich doch die Muskeln seines Körpers durch die Spannung der vorangegangenen Worte selbst unmerklich verkrampft, um sich nun, vorsichtig und langsam nur, wieder zu entspannen. Schließlich fand Gracchus aber ein beinahe tröstliches, wenigstens jedoch ermunterndes conclusium seiner doch von beträchtlicher Ernsthaftigkeit gezeichneten Ausführungen und ließ Flaccus in einem grübelnden Zustand zurück, wollte jener die pessimistischen Worte seines Onkels doch schon aus Prinzip nicht einfach so hinnehmen, wenngleich ihm im Moment auch nichts in den Sinn kommen wollte, um der Erfahrung und auctoritas des Älteren ernsthaft etwas entgegenzusetzen. So blickte er Gracchus schlicht einige Momente versonnen an, ehe auch er einen Schluck des Weines nahm, welcher ihm zwar nicht die Erleuchtung in der vorangegangenen Problematik, wohl aber einen zweifellos interessanten Einwand schenkte.
    „Aber haben nicht auch die größten Dichter und Philosophen von einem unaufhörlichen Niedergang der Sitten gesprochen? Beschreibt nicht schon Hesíodos ein chrýseon génos in seinen Érga kaì hemérai, dem stets minderwertigere Geschlechter folgen? Und hat nicht auch Empedoklês steten Verfall beschrieben, der bis zu einem Zustand vollkommener Zwietracht führen muss? Und Platon, Aristoteles, die Kyniker, Aratos von Soloi in seinen phainómena und dann Vergilius Maro, Albius Tibullus, Horatius Flaccus und Ovidius Naso … sie haben doch alle diese Idee aufgegriffen und als bewahrheitet angesehen…“, glaubte Flaccus nun doch einiges an literarischer Autorität hinter seine persönliche Meinung zum allgemeinen Verfall der Sitten gestellt zu haben. Zweifellos hatte der junge Flavius einen unbeirrbaren Hang dazu, die Vergangenheit zu verklären, wobei er gerade die römische Republik in ihrer Glanzzeit als den idealen Zustand eines Staates ansah, in dem der mos maiorum fest verwurzelt war, und die Errungenschaften der Zivilisation sich mit hehren Tugenden glücklich vereinten.

    Mit versteinerter Miene hatte auch Quintus von den Flaviern sich am Forum eingefunden, förmlich und korrekt gekleidet, wie es sich für einen vom Senat elektierten Magistraten gehörte, und seinen Zorn, der bisweilen sanfter, bisweilen in durchaus heftigen Wallungen sein jugendliches Gemüt heimsuchte, unter einer unerschütterlichen Maske stoischer Ruhe verbergend. Diesen Moment, da er das erste Mal hier auf ein Amt vereidigt werden sollte, hatte er sich in seiner höchst imaginativen Phantasie stets in den schillernden Farben des Triumphs ausgemalt, nun jedoch erschien er dem Flavius getrübt durch den Umstand seiner konkreten Amtszuteilung, welchen er als herbe Niederlage und persönlichen Schlag verstand. Hatte er sich dem Senat nicht als Abkömmling einer der edelsten gentes des Imperiums präsentiert, mehr als würdig, in das edelste collegium der Zwanzigmänner gewählt zu werden? Hatte er es nicht vielmehr noch als seinen persönlichen Wunsch geäußert, ein Monetalis zu werden? - Niemand hatte hinterfragt, kritisiert, verweigert - und doch sollte er ab dem heutigen Tage ein decemvir sein, was nichts anderes hieß, als in der zweiten Reihe zu stehen. Waren die Triumvirn das strahlendste und elitärste Kollegium innerhalb der Vigintiviri, so bildeten die Zehnmänner gleichsam einen bloßen Abklatsch dieser Nobilität, gezwungen den Centumviri vorzustehen und mit leidigen Prozessen in marginaler Bedeutungslosigkeit sich herumzuschlagen.


    Mit einem schweren Schlucken fand die bittere Enttäuschung des jungen Mannes vom Hals weg einen unbequemen Weg in tiefere Regionen seines Körpers, als er schweren Schrittes auf die rostra trat, und dabei ein wenig den Eindruck eines jungen Lammes machte, welches zur Schlachtbank geführt werden sollte.


    "Ego ..." Ein unangenehmes Kratzen im Hals unterbrach seine Worte, ehe er sich zur Menge wandte, den Blick gen Himmel wandern ließ, ohne dort jedoch etwa ein sichtbares Zeichen auguraler Qualität ausmachen zu können. " hrmrhm ... Ego, QVINTVS ... FLAVIVS ... CNAEI ... FILIVS APPII NEPOS ... COLLINA TRIBV ... FLACCVS ... hac re ipsa decvs IMPERII ROMANI me defensvrvm et semper pro POPVLO SENATVqve ... imperatoreqve imperii Romani actvrvm esse sollemniter ivro.


    Ego Qvintvs Flavivs Flaccvs officio .... DECEMVIRI STLITIBVS IVDICANDIS imperii Romani accepto deos deasqve imperatoremqve Romae in omnibvs meae vitae temporibvs me cvltvrvm et virtvtes Romanas pvblica privataqve vita me persecvtvrvm esse ivro.


    Ego Qvintvs Flavivs Flaccvs religioni Romanae me favtvrvm et eam defensvrvm et nvmqvam contra eivs statvm pvblicvm me actvrvm esse ne qvid detrimenti capiat ivro.


    Ego Qvintvs Flavivs Flaccvs officiis mvneris decemviri stlitibvs ivdicandis me qvam optime fvnctvrvm esse praeterea ivro.


    Meo civis imperii Romani honore coram ... DIS DEABVSQVE popvli Romani et volvntate favoreqve eorvm ego mvnvs decemviri stlitibvs ivdicandis vna cvm ... IVRIBVS ...et PRIVILIEGIIS ... et MVNERIBVS ... et OFFICIIS comitantibvs accipio.

    Das Lächeln des alten Tiberiers aufrichtig erwidernd, nahm Flaccus auch dessen Kompliment zu seiner Rede vor dem Senat beglückt entgegen. Wenngleich er harte Maßstäbe an sich selbst und seine Leistungen zu legen pflegte, so tat es doch gut, die eigenen Bemühungen ab und an durch freundliche Worte bestätigt zu sehen, umso mehr, wenn sie aus dem Munde eines Consularen und Pontifex kamen.


    "Die Reise verlief ... im Grunde erfolgreich.", erwiderte der junge Flavius dann auf die Frage seines Patrons, fuhr jedoch sogleich fort, "Ich denke, es wäre jedoch angemessen, im Rahmen einer kleinen cena ausgiebiger darüber zu sprechen. - Du musst mir erlauben, mich auf diese Weise auch noch für deine Unterstützung im Senat zu bedanken, wenngleich sich das Gewicht deiner Worte mit einem bescheidenen Mahl wohl kaum aufwiegen lässt. Es wäre mir jedenfalls eine Ehre, dich als Gast in der Villa begrüßen zu dürfen."


    Bei dieser Gelegenheit, im entspannteren Rahmen eines kleinen symposions, böte sich gewiss auch eine guter Augenblick, jene andere Sache an den Tiberier heranzutragen, in der der junge Mann auf die Unterstützung des Consulars baute.

    Quintus hörte aufmerksam zu, denn Luca hatte viel zu sagen. Den Großteil davon glaubte der junge Flavius nachvollziehen zu können, wenngleich er bisweilen auch ein wenig die Stirn runzelte, konzentriert und nachdenklich zugleich. Nachdem der Sklave geendet hatte, beließ er es bei einem ernsten Nicken, um zu zeigen, dass er den Worten gefolgt war, und die Einstellung des Kämpfers gut hieß. Und abermals hoben sie die Becher und tranken gemeinsam an einem Tisch, nicht wie Herr und Sklave, sondern vielmehr wie zwei Freunde. Und dann stellte Luca noch eine Frage und erkundigte sich, wie es mit der Kampfeskunst des jungen Flaviers bestellt war. Diese Frage, die offensichtlich ernst gemeint war, und auch so klang, als wäre sie dem Krieger wirklich wichtig, entlockte Flaccus nur ein müdes Lächeln. Er blickte in die tiefroten Schatten des Weines in seinem Becher, während er ihn langsam in seinen Händen kreisen ließ. Unendlich viel hatte Nikodemos, als greiser Mentor des Jungen, Flaccus in zartem Knabenalter gelehrt, ihn in allen Formen der Wissenschaften und der Künste unterwiesen, doch ein Schwert war dem eher schmächtigen Jungen nie in die Hand gedrückt worden. Und wenngleich er es auch später nie für ernsthaft notwendig gehalten hatte, dieses Defizit zu einem wahrhaft römischen Wesen - der Porcier Cato Censorius hatte die fortitudo, die Stärke im Kampf, schließlich als Bestandteil des mos maiorum verstanden – durch Übung auszumerzen, so war es ihm nun doch etwas unangenehm, seine Unerfahrenheit einem bewährten, wenngleich letztendlich doch im Kampf unterlegenen Krieger einzugestehen.


    „Luca, ich wurde nie im Umgang mit dem Schwert unterwiesen, auch nach anderen Waffen hat diese Hand noch nie gegriffen …“, erklärte er also langsam und blickte die schlanken Finger seiner rechten Hand nachdenklich an. „Doch nach all dem, was passiert ist…“, fuhr er fort, und sprach natürlich von dem Überfall auf der Heimreise aus Germanien, „wäre es wohl nicht schlecht, könnte man diesen Umstand ändern… Wärst du bereit, dein Wissen mit mir zu teilen?“, blickte er den Krieger dann aufrichtig und forschend an. „Allfällig wäre es auch von Vorteil, würden wir die palaístra und den drómos aufsuchen und uns dort in allen sportlichen Disziplinen üben …“, spann der Flavius das gedankliche Gebilde konsequent fort. Dann blickte er den Sklaven an, um zu sehen, was jener von der Sache hielt.

    Es war ein magischer Ort, an den das Schicksal die beiden jungen Menschen in dieser Nacht geführt hatte, ein Platz von so stiller Schönheit und Perfektion, dass man schon den Eindruck bekommen konnte, hier stünde die Zeit still, vielmehr noch, hier existiere gar nichts der Zeit vergleichbares. Die leisen Stimmen weiterer Gäste, die sich in anderen Teilen der nächtlichen Gärten herumtrieben, waren schon bisher nur leise und gedämpft an diese stille Szenerie heran geschwebt, entfernten sich jedoch nunmehr immer weiter von dem geheimen Ort und ebbten schließlich gänzlich ab in den sanften Geräuschen der Umgebung, dem Rascheln des Windes in den Blättern, dem leisen Plätschern des Wassers. Dieser traumgleiche Ort schien nun einen eigenen kleinen Kosmos zu bilden, das Fest in der morgenländischen domus und die Spiele des vergangenen Tages rückten in unendliche Ferne, die ganze Stadt, die sie doch noch umgeben musste, schien mit einem Mal kaum mehr real. Dieser Ort und der zauberhafte, von unfassbarer Schönheit geprägte Moment, hatten gleichsam eine neue Wirklichkeit geboren, welche zwar noch klein, doch von unschuldiger, reiner Vollkommenheit nicht weniger als die Wahrheit an sich darzustellen schien. Musste nicht nun alles andere als Traum gelten, als Erfindung von zweifelhafter Wirklichkeit, die Stadt, das Leben, wenn dieser Ort im Moment die einzige Wahrheit darstellen konnte. Gleichsam Inbegriff der platonischen Idee des Guten, Wahren und Schönen musste sich verwirklichen in diesem Augenblick, der von solcher Vollkommenheit gezeichnet schien.


    Flora folgte der einladenden Geste und dem geheimnisvollen Lächeln des jungen Flavius und ließ sich eng an dessen Seite nieder. Durch den zarten Stoff des seidenen Kleides und das dagegen so grobe Leinen seiner eigenen Tunika, fühlte er ihren Körper dicht an seinem. Noch nie zuvor waren sich die beiden jungen Menschen so nah gewesen, wie in diesem sonderbaren Moment, da Flora ihren Kopf vertraut an seine Schulter lehnte. Flaccus ließ es geschehen, während seine schlanken Finger sanft die Saiten des Instrumentes entlang strichen, das immer noch in seinem Schoß ruhte. Auch er ließ seinen Kopf ein klein wenig in ihre Richtung herabsinken, und kostete den köstlichen Duft ihres honigfarbenen Haares. Dann schließlich begann er, die Saiten der Lyra zum Klingen zu bringen, und sanft schälten sich erste leise Töne aus der Stille, die langsam wuchsen, sich zusammenfügten in ein wohlklingendes Geflecht, eine Melodie sich erheben ließen, gleich dem morgenländischen Phönix aus der Asche. Angenehm umschmeichelten die Töne das Ohr des Zuhörers, nahmen zuweilen lustige, zuweilen auch ernstere Natur an, gaben sich mitunter gar den Anschein der Melancholie, nur um schon bald wieder in einer kunstvollen Wendung in zarte Freude sich aufzulösen, sanken aber nie ab in die Belanglosigkeit bloßer Floskeln, sondern blieben stets fesselnd und berührend. Nach einer Weile wurden die Töne wieder leiser, bis sie schließlich zart sich auflösten und in der Stille erstarben, aus der sie zuvor sanft herausgetreten waren. Nun waren es wieder die Stimmen und Klänge der Natur in diesem kleinen Kosmos der Vollkommenheit, die sich erhoben und den Moment in ihrer sanften Weise untermalten. Einige Augenblicke nachdem der letzte Ton verklungen war, hatte Flaccus die Lyra an seiner Seite ins Gras sinken lassen. Der Zauber der Musik schwebte noch über dem Geschehen, als er seinen rechten Arm, der nunmehr frei war von der zarten Bürde des Instruments, langsam hinter Floras Kopf vorbeiführte, um seine Hand schließlich auf ihrer rechten Schulter ruhen zu lassen, und sie so sanft zu umfangen. Noch dichter spürte er nun ihre Seite an der seinen, den Gang ihres Atems und ihren Kopf an seiner Schulter. „Ich hoffe, die Musik hat dir gefallen…“, flüsterte er ihr ins Ohr, schien doch jedes laute Wort den heiligen Nachklang der Stille in barbarischer Weise zu verletzen.

    Gekonnt lenkte Prisca ein, als sie spürte, dass das Thema der politischen und gesellschaftlichen Verpflichtungen ihres Standes, welche den Willen und das Wohl der gens über alles stellten, den entspannt heiteren Verlauf des Gesprächs ein wenig dämpfte. Mit einer scherzhaften Anspielung auf die Geburt der Venus brachte sie auch Flaccus zum schmunzeln. "Ja, die Göttin von Knidos und Paphos...", meinte er lächelnd auf Priscas Scherz hin. Offenbar schien diese Art der humorvoll geistreichen Unterhaltung der Aurelia mehr zuzusagen, denn mit einem verschmitzten Lächeln stellte sie das gedankliche Konstrukt einer phantastischen Begebenheit auf. Flaccus ging mit Vergnügen darauf ein.


    Er ergriff seinen Becher und spielte damit zwischen seinen schlanken Fingern herum. "Also ich weiß nicht so recht ...", meinte er lächelnd, "Piso und Gracchus wären wohl schon alleine ihres Amtes wegen etwas verstört, wenn ihnen diese körperliche Erscheinung einer Göttin in ihrem Haus präsentiert würde. - Und die Damen...", vergnügt zwinkerte er Prisca zu, "... wären wohl auch nicht gerade begeistert davon..." Schließlich würde eine solche Göttin sie wohl in vielerlei Hinsicht gehörig in den Schatten stellen. "Aber ich glaube eigentlich kaum,", stellte Flaccus dann immer noch scherzend fest, ganz so, als ob er ein Resümee ziehen müsste, "dass ich den Ansprüchen einer Göttin gerecht werden könnte..." Und lachend nahm der junge Flavius noch einen Schluck des gekühlten Weines. Zu amüsant war auch die Vorstellung einer meergebornen Aphrodite in den Hallen der Villa Flavia vor den völlig entgeisterten Augen seiner Verwandten.

    Fröhlich nickte der junge Mann, um sich daraufhin zu empfehlen. "Hab nochmals Dank und vale!", meinte er, um daraufhin schon den nächsten Klienten des purgitischen Consulars hervortreten zu lassen. Flaccus selbst machte sich vergnügt über den guten Fortgang der Dinge, auf den Weg zur Villa Tiberia und der salutatio seines Patrons Tiberius Durus, den er nun zum ersten Mal nach seiner Rückkehr aus Germanien sprechen würde.