Beiträge von Quintus Flavius Flaccus

    Flaccus lächelte, als Purgitius Macer in der ihm eigenen scharfsinnigen und durchaus nüchternen Weise eines wahrhaft römischen Geistes feststellte, dass der Dank seines ehemaligen Tiros nach der (hoffentlich) erfolgreichen Wahl wohl noch besser am Platz wäre, als zu diesem frühen Zeitpunkt. Sofort meißelte der junge Flavius da diesen Umstand in die marmornen Tafeln seiner Memoiren, um den klugen Worten seines Tutors dann, nach geschlagener Wahl, in angemessener Weise gerecht zu werden. Als Macer auch, wenigstens im Moment, keinen Gefallen nennen konnte, den Flaccus ihm sofort würde erweisen können, sondern lediglich die eindringliche Forderung stellte, dass er sich seiner Unterstützung als würdig erweisen sollte, so wich der bisher entspannte Ausdruck auf den Zügen des Flaviers unmittelbar einem ernsteren. „Keine Sorge, ich werde stets wohlüberlegt und dem mos maiorum treu handeln.“, meinte er ohne zu zögern und in einem so bestimmten Ton, dass gewiss kein Zweifel daran aufkeimen konnte, dass die Worte im vollen Einklang mit der ehrlichen Überzeugung des jungen Mannes standen. Dann blickte er den Consular offen an, um zu sehen, ob jener noch eine bestimmte Sache zur Sprache bringen wollte, oder in der salutatio fortzuschreiten und andere clientes zu sich zu bitten im Sinn hatte.

    Fröhlich lauschte Flaccus dem Dalmaten, als auch jener seinen Becher hob und einen Trinkspruch kundtat, auf das Wohl seines Herrn. Dann tranken die beiden Männer und der junge Flavius grinste Luca vergnügt an, als jener meinte, dass er es wohl nicht immer leicht mit ihm haben würde. Obwohl seine Miene den entspannten und glücklichen Ausdruck beibehielt, so wurden die folgenden Worte des Flaviers doch von einem ernsteren Ton getragen. "Gerade in den Zeiten, da ich womöglich keinen Wert auf deine Meinung zu legen scheine, bitte ich dich nun, sie mir dennoch mit aller Kraft vor Augen zu halten.", er überlegte kurz, wie er seine Gedanken am besten in Worte fassen konnte, um sie dem Krieger verständlich zu machen, "Es mag sein, dass ich dennoch anders handle, als du es vielleicht für richtig halten wirst, doch stehe stets zu deinen Ansichten und verteidige sie auch dann, wenn ich dir widersprechen sollte." Jetzt blieb zu hoffen, dass Luca das richtig verstehen würde, denn wiewohl Flaccus ihn nicht zu Ungehorsam auffordern wollte, so lag ihm doch viel daran, dass er in seiner persönlichen Meinung stets frei und ehrlich sein würde. Und er begegnete dem offenen und festen Blick seines Sklaven mit einem ebenso eindringlichen. Es war der Rat eines Freundes, den Flaccus sich in schwierigen Situationen von Luca erhoffte, einem Mann, den das Unglück mit aller Gewalt geschlagen hatte, und der doch nicht daran untergegangen war. Im Grunde bewunderte der junge Flavius den Dalmaten, der an dem widrigen Schicksal, das die Unsterblichen ihm in ihrer Grausamkeit bestimmt hatten, dennoch nicht zu verzweifeln schien, sondern eher noch daran zu wuchs, an Reife und innerer Kraft. Jedenfalls hatte Flaccus diesen Eindruck bekommen, der möglicherweise auch ein gänzlich falscher war, doch Luca wollte einfach nicht in das Bild des vom fatum gebrochenen Mannes passen, der mit seinem Leben bereits vollkommen abgeschlossen hatte. Zu ehrlich war da die Freude über seine Freilassung, zu offensichtlich der glückliche Ausdruck in seine dunklen Augen und während der junge Flavius also solcherlei Gedanken nachhing, nahm er noch den einen oder anderen Schluck des perlenden Weines.

    Hier war er nun also. Jener Tag, der in den persönlichen Annalen eines gewissen jungen Flavius lange noch als von herausragender Bedeutung hervor strahlend betrachtet werden würde. Nach außen den Schein stoischer Ruhe und Geduld wahrend, war er in seinem Inneren doch positiv aufgeregt und voll freudiger Erwartung. Im Grunde fühlte er sich sehr gut gewappnet für diesen Moment, da er der versammelten Nobilität der Stadt seinen Eintritt in den Cursus Honorum würde erklären dürfen, konnte er doch auf das solide Handwerkszeug seiner rhetorischen Ausbildung ebenso bauen, wie auf die zahlreichen Bekanntschaften, die er unter den ehrenvollen Männern des Senats seit seinem tirocinium bei dem Consular Purgitius Macer schließen hatte dürfen. So war keinerlei Angst oder Furcht in ihm, als er darauf wartete, dass schließlich sein Name ausgerufen werden würde, sondern lediglich jenes angenehme Gefühl der Vorfreude, wie es etwa auch den Stunden vor dem glücklichen Zusammentreffen mit geliebten Menschen anzuhaften pflegt. Schließlich kam auch der große Moment, da einer der Consuln in beinahe gelangweiltem Ton den Namen des Flaviers kundtat, und jener, gehüllt in die strahlend weißen Bahnen der toga candida, in die Mitte der Senatoren trat um seine Kandidatur zu erklären. Von schlankem Wuchs und edlem Aussehen, gab er tatsächlich das Bild eines vir vere Romanus ab, als wäre er geradewegs, von Götterhand zum Leben erweckt, von den Reliefen der Ara Pacis Augustae herabgesprungen. Nun ruhten die Augen zahlreicher Senatoren auf ihm und es wurde einigermaßen ruhig in der Curia, wenngleich natürlich keineswegs alle Gespräche gänzlich verstummten, zumal es bisher lediglich um die Besetzung der magistratus minores ging.


    „Patres conscripti.“, begann der junge Mann also laut und klar, um sich einigermaßen Gehör zu verschaffen. Seine Rede hatte er sich in Grundzügen zurechtgelegt und musste nun lediglich noch das Kunststück vollbringen, so knapp wie möglich zu sprechen, um die Aufmerksamkeit der Senatoren bei sich zu behalten, gleichzeitig jedoch auch die profunde rhetorische Ausbildung, die er in Athen genossen hatte, wenigstens erahnen zu lassen. „Es ist mir eine große Ehre und Freude, heute hier in der toga candida stehen zu dürfen, um mein Wort an euch zu richten.“ Sein Blink huschte flink über die Reihen der purpurverbrämten Togen, um kurz an jenen Gesichtern hängen zu bleiben, die er zu kennen glaubte.


    „Ich bin Quintus Flavius Flaccus, der Sohn des Cnaeus Flavius Flaccus, ein Enkel des Appius Flavius Bellienus, eingeschrieben in die tribus Collina und damit ein Abkömmling jener Gens, die wie kaum eine andere ihr Wirken in den Dienst Roms gestellt hat. Die Divi Flavii Vespasiani zählen zu meinen Ahnen, und möglicherweise werdet ihr deren Tempel erblicken, wenn ihr die Curia verlasst, möglicherweise wird euer Weg auch durch den Bogen des vergöttlichten Titus Vespasianus führen oder vorbei am Amphitheatrum Flavium. Ruft euch die Leistungen dieses Geschlechts für die Stadt und den Staat vor Augen, lasst euch davon jedoch nicht blenden!" Ein kühner Schritt, den der junge Flavius jedoch wohlüberlegt gesetzt hatte. Zunächst galt es auf die beeindruckende Ahnenreihe zu verweisen, um im Anschluss daran, seine eigenen Qualitäten klar zum Ausdruck bringen zu können.


    „Denn vor euch steht ein junger Mann, in dessen Adern wohl das Blut seiner Ahnen fließen mag, der sich jedoch auch durch sein eigenes Wesen und nicht nur durch Herkunft oder Abstammung für den Eintritt in den Cursus Honorum empfiehlt. Kaum jemand hier wird wohl den Namen meines Vaters kennen, und das ist kein Wunder. - Er beschritt nicht die Ämterlaufbahn, zeichnete sich nicht durch große Siege oder andere hervorragende Leistungen aus. Umso stärker brennt jedoch in mir das Feuer, den mores maiorum treu mich einzusetzen für die Stadt und das römische Volk, dessen Überlegenheit bis an die Grenzen der Welt sich erstreckt, und dem sich kein anderes Volk an Tapferkeit, Eifer, Rechtschaffenheit und edlem Wesen vergleichen kann. Die praefatio war knapp vorüber gebracht, nun galt es, zum Kern der Rede voranzuschreiten, welcher die Person des Flaviers den Senatoren vorstellen und bekannt machen sollte.


    Ich widmete mich also meinem Eifer für die Wissenschaften zunächst in Athen, wo der Gelehrte Xenophanes zu meinen Lehrern zählte, der mittlerweile die überaus angesehene Position eines philologos am Museion in Alexandria bekleidet, und dessen Exzellenz in wissenschaftlichen Fragen den Gebildeten im ganzen Reich wohlbekannt sein dürfte. Als mein Vater starb, kehrte ich jedoch aus Achaia zurück nach Italia und wandte mich schon wenig später gen Rom. Mein allzu junges Alter verbat es mir, zu diesem frühen Zeitpunkt bereits ein Vigintivirat anzustreben, sodass ich die Zeit nützte, um zunächst mein kultisches Wissen als discipulus im cultus deorum zu vertiefen, wo ich von der ehrbaren Iunia Serrana, der Gattin des verdienten Senators Germanicus Sedulus, in umfassender Weise ausgebildet wurde. Sodann wurde mir durch die cooptatio in die überaus honorable Bruderschaft der Arvalen die einzigartige Möglichkeit gegeben, mein Wissen auch in den verschiedenen komplexen Zeremonien und Ritualen der alten Feste weiter zu vertiefen.


    Um auch politische Erfahrung zu sammeln, durfte ich ein tirocinium fori bei dem höchst ehrenvollen Senator Purgitius Macer leisten, welches glücklicherweise gerade in die Zeit seines Konsulats fiel und mir demnach vielfältige Möglichkeiten gab, mich mit der Politik in Rom vertraut zu machen. Natürlich ließ ich meine Studien deshalb nicht ruhen und wurde für meine Arbeiten an der Schola Atheniensis bereits mit diplomae ausgezeichnet, während ich mich auch an der Academia Militaris Ulpia Divina mit Grundfragen des Militärwesens befasste. Überdies wurde mir die unaussprechliche Ehre zuteil, den glanzvollen Consular und Pontifex pro Magistro Tiberius Durus als Patron zu gewinnen, der mir in politischen wie auch kultischen Fragen stets weise Ratschläge zuteil werden lässt.“ In gemessenem Tempo sprach der junge Mann, laut und klar, und würzte seine kurze Rede an den richtigen Stellen durch kleine Pausen, um dem Gesagten dadurch noch mehr Gewicht zu verleihen. Nun war im Grunde lediglich ein Punkt noch zu klären, welchen der Flavius auch sofort ansprach.


    „Sollte ich schließlich für würdig befunden werden, Rom als vigintivir zu dienen, so würde ich das Amt eines tresvir aere argento auro flando feriundo anstreben - jenes allzeit rühmliche Amt für junge Männer aus vornehmen Familien - und meinen Eifer fortan darauf richten, nach Recht und Gesetz Kupfer zu schlagen nach Beschluss des Senats, Silber und Gold aber nach Weisung des Kaisers.“ Gewiss eine ehrenvolle Aufgabe und darüber hinaus bildeten die monetales zweifelsfrei auch die angesehenste Gruppe innerhalb der Zwanzigmänner, sodass diese Positionen für gewöhnlich ohnehin lediglich an Patrizier vergeben wurden.

    „So habt Dank für eure Aufmerksamkeit und die Ehre, hier meine Worte an euch richten zu dürfen, ehrenvolle Senatoren.“, schloss er die Rede ab und war nun bereit, sich den Worten der Senatoren zu stellen.

    In stoischer Ruhe und Gelassenheit nahm der Flavius das Benehmen des Ducciers hin, sich stets vor Augen haltend, dass jener im Grunde, dem trügerischen Eindruck der Toga zum Trotze, nur ein einfacher Barbar war und an sein Verhalten darob wohl nicht dieselben Ansprüche gestellt werden konnten, wie das bei einem vir vere Romanus, oder gar einem patricius der Fall sein mochte. Grundlos warf er mit Anschuldigungen um sich, die wohl den verzweifelten Versuch darstellen mussten, von seiner eigenen Unfähigkeit abzulenken. Auch wenn die schier unermessliche Selbstbeherrschung des jungen Flaviers mit jedem Worte aus des Ducciers Mund härter auf die Probe gestellt wurde, blieb er bis zur saloppen Aufforderung, seine Produktionskosten offenzulegen, völlig ruhig.


    "Ehrenwerter Iudex.", richtete er sich daraufhin allerdings direkt an den Purgitier, ohne weiter auf die Worte des Germanen einzugehen. "Zuallererst möchte ich es festgehalten wissen, dass Duccius Vala öffentlich kundgetan hat, dass es nicht meine Absicht war, etwaige Mitbewerber zu benachteiligen." Dieses war der erste Streich. "Dann jedoch muss ich an die Vernunft deiner Person und aller hier versammelten Bürger plädieren. Auch an deine, Duccius.", dabei richtete er seinen Blick auf den Kontrahenten, für den er ob dessen niederträchtigen Art mittlerweile lediglich noch Ekel empfinden konnte. "In Roms Schänken erhält man für nur zwei Asse eine ausreichend satt machende Mahlzeit. Hier befinden wir uns allerdings noch deutlich unter dem Wert eines Sesterzen, geschweige denn jenem von 1.35 Sesterzen. Durch die günstigen Bedingungen, die auf meinem Landgut bei Poseidonia gegeben sind, durch den überaus fruchtbare Boden, das für die Landwirtschaft so günstige Wetter, die weitreichenden Ländereien, die bewirtschaftet werden können und die genügsamen Sklaven, welche den Boden bestellen und deren Verpflegung sich gänzlich aus den Erträgen des Landguts speist, ist es mir möglich auch mit einem vergleichsweise geringen Preis noch gute Gewinne zu erzielen. Es mag sein, dass in kleineren Gütern in der Nähe Roms ungünstigere Bedingungen herrschen, wodurch die Preise der Waren selbstverständlich höher angesetzt werden müssen. Es muss jedoch allen hier klar sein, dass die Produktion an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Gegebenheiten niemals im selben Kostenrahmen sich bewegen kann, sondern vielmehr von den verschiedensten Faktoren abhängig ist und durchaus auch in kurzen Zeiträumen sich aufgrund von Missernten oder anderen unvorhersehbaren Ereignissen verändern kann. Dennoch meint der Duccius, die Produktion auf meinem Landgut verlange einen genau um 0.01 Sesterzen höher angesetzten Preis. Ich bitte ihn, zu erklären, woraus er diesen Schluss zieht und wie er ihn begründen kann. Ich denke es ist hier die Aufgabe des Klägers, seine Anschuldigungen zu beweisen, als die des Beklagten, sich gegen frei ersonnene Belastung zur Wehr zu setzen."

    Nur ein Hauch von Ärgernis überschattete das ebenmäßige Antlitz des jungen Flavius für den Bruchteil eines Augenblicks, als der Duccius, welcher in seinem kopflosen Wahn wüste Anschuldigungen um sich warf und in seinen verbalen Attacken in Flaccus durchaus den Eindruck eines übergeschnappten Berserkers erweckte, nicht gewillt schien, dem Beispiel seines Kontrahenten folgend, eine nüchterne Antwort auf die Frage des Purgitiers zu geben, sondern sich vielmehr in bizarre Ausflüchte stürzte, als ob er dem Theater so ein wenig der Lächerlichkeit würde rauben können. Vergebens. Seine Worte, denen es an Enthusiasmus nicht zu mangeln schien, erwirkten doch den Eindruck, als wären sie unüberlegt hingeworfen, jeder Form des Scharfsinns entbehrend. Deshalb mochte es auch nicht weiter verwundern, dass sie ihr Ziel weit verfehlten. Denn ebenso freimütig wie er dem Flavius zuvor den Vorsatz, seine Mitbewerber benachteiligen zu wollen, abgesprochen hatte, so entriss Vala dem wenig kunstvoll inszenierten Schauspiel nun bereits zum zweiten Male jedweden Anspruch auf Legitimität.


    Ruhig wartete Flaccus also ab, bis der Narr seine Tirade zu Ende geführt hatte, ehe er seine Stimme erneut erhob, ohne das Starren des Germanen weiter zu beachten, in dem jener wohl einen Ausdruck des eindringlichen Ernstes wähnte, welcher den Flavier allerdings bei längerer Betrachtung ob seiner Absurdität wohl nur zum Schmunzeln gebracht hätte. "Du behauptest also tatsächlich, Duccius...", begann er und bemühte sich den herablassenden Unterton in seiner Stimme auf ein Minimum zu reduzieren, um den Anschein der Höflichkeit aufrecht zu erhalten und gerade darin ein starkes Gegenbild zu dem Germanen zu entwerfen, dessen Worte seine barbarische Starrsinnigkeit nur allzu deutlich ans Tageslicht treten ließen. "Du behauptest tatsächlich, keinerlei Einsicht in die Verwaltungsakten meiner Betriebe und Markttätigkeiten zu haben, willst aber die Herstellungskosten meiner Waren kennen? Nenn' mich einen Tölpel, doch meiner Meinung nach schließt das Eine das Andere aus..." Nun verschwendete er keine Mühen mehr daran, den ironischen Unterton seiner Stimme zu verbergen. Es war ihm die ganze Zeit über rätselhaft erschienen, wie der Duccius auch nur die leiseste Ahnung von der Situation auf dem flavischen Landgut in Lucanien haben konnte. Nun also offenbarte er in seiner Einfalt freimütig, dass er ohnehin nicht die geringste Kenntnis davon hatte. Ein herber Schlag in das wüst ersponnene Anklagegeflecht, in dessen Wunde der Flavius nun nur noch gnadenlos vordringen musste. "Womit, ehrenwerter Duccius, begründest du dann deine Anklage?", mit erhobener Stimme warf er dem Germanen diese Frage an den Kopf, den er damit ernstlich in Erklärungsnotstand gebracht zu haben glaubte. Offensichtlich war Vala verrückt genug, um eine Anklage in Unkenntnis der Fakten gleichsam auf gut Glück auf die Beine zu stellen. Dann allerdings durfte er sich bei den Göttern nicht wundern, wenn es ihn mit großer Wahrscheinlichkeit sein Gesicht kosten würde. "Du hast vor wenigen Augenblicken selbst zugegeben", fuhr Flaccus also flink fort, ohne Vala Gelegenheit zu geben, auf die vorige Frage zu reagieren, "dass es niemals in meinem Sinn lag, Mitbewerber zu benachteiligen und bereits dadurch verliert die Anklage ihre Berechtigung. Jetzt aber erklärst du auch noch, keine Ahnung von den Produktionsbedingungen in meinem Landgut zu haben, wodurch du unmöglich einschätzen kannst, ob jenes Angebot, welches du als in meinem Namen auf Roms Märkten gemacht entdeckt haben willst, tatsächlich unter den Herstellungskosten gelegen hätte." Das verborgene Funkeln des Triumphes lag in den dunklen Augen des Flaviers als er sprach, in der Hoffnung, den Irrsinn Anklage nun endgültig deutlich genug aufgezeigt zu haben.

    Vergnügt beobachtete der junge Flavier das Mienenspiel seines Sklaven, der bereits in naher Zukunft kein solcher mehr sein würde, und versuchte seine Gedankengänge nachzuvollziehen. Natürlich gelang ihm das nur bis zu einem gewissen Grad und doch glaubte er das grundlegende Gefühl des Glücks und der Freude zu erfassen, das Luca in diesen gewiss denkwürdigen Momenten erfüllen musste. Sicherlich konnte Flaccus nicht gänzlich das volle Ausmaß dieses unermesslichen Gefühls nachvollziehen, teilte er doch nicht die mannigfachen Erfahrungen des vielgeplagten Mannes, der zum Verlust seiner Familie auch den der Heimat und der Freiheit hatte hinnehmen müssen, um nun wenigstens die Hoffnung, nein vielmehr die unverbrüchliche Gewissheit zu erhalten, dass wenigstens die Letzte ihm wiedergeschenkt werden würde. Er mochte es für eine glückliche Fügung des Schicksals halten, der Moiren gar, die in geheimnisvoller Weise und keineswegs geradlinig die Fäden des Lebens sponnen und deren oftmals grausames Spiel die Sterblichen nicht selten in tiefe Verzweiflung stürzte, oder aber er schrieb es einfach dem gütigen und edlen Wesen seines Herren zu, der die Treue des Kämpfers zu entlohnen als seine ehrenvolle Pflicht ansah. Schwerlich aber würde er auch den tieferen Grund in Erwägung ziehen, der den jungen Mann kaum daran zweifeln ließ, dass er das richtige tat, indem er Luca in die Freiheit entließ. Die Hoffnung auf ehrliche und aufrichtige Freundschaft war es, die der Flavius in seinem Inneren hegte, gleichsam wachsen und gedeihen ließ, um eines Tages die reifen und köstlichen Früchte zu pflücken, wie Horaz den Tag zu pflücken als hohe Tugend ansah.


    "Treue...", begann er schließlich freundlich, als Luca innehielt in seinem Redeschwall, der doch ohne rechte Richtung sich stets hin und her wand, gleichsam von dem vollkommenen Glück allein gelenkt, welches seinen Körper musste im Augenblick durchströmen, "... mag nur ein Wort sein. Doch dein edles Wesen und deine tugendhafte Tapferkeit lassen für mich keinen Zweifel daran, dass du die Treue, die du mir einst geschworen hast, auch in Zukunft genauso strahlend hochhalten wirst, wie auch ich die meine. Stets will ich dir zur Seite stehen wenn du meiner Unterstützung bedarfst, denn auch du bist nicht von meiner Seite gewichen, als ich deinen Beistand nötig hatte.", erklärte er und seine Stimme wurde von einem feierlichen Ton getragen. Dann allerdings brachte Luca eine Angelegenheit zur Sprache, die Flaccus erneut aufzeigte, wie selbstlos und umsichtig sich der Kämpfer selbst in dieser Situation des vollkommenen Glücks erwies. Ein beruhigendes Lächeln legte sich bei seinen Worten auf die feingeschwungenen Lippen seines Herrn, als der seine Besorgnis beschwichtigte. "Du sagst es, sie stehen bereits lange in meinen Diensten, so wie sie zuvor auch in den Diensten meines Vaters gestanden hatten. Es mag dir seltsam, ja kaum glaubhaft erscheinen, doch diese Männer verspüren kein Bedürfnis nach Freiheit. Sie sind mit ihrer Stellung zufrieden und genießen die Vorzüge, die ihnen das Leben als meine Sklaven zu bieten vermag. Sie sind Krieger, keine Handwerker und in der Freiheit winken ihnen wohl nur die Hilfstruppen oder die Arena - beides keine sonderlich guten Aussichten, wenn du mich fragst. Aber du hast Recht, sie haben durch ihren Kampfesmut die gleiche Belohnung wie du verdient und sollen auch nicht leer ausgehen, sei beruhigt." Dann aber lehnte er sich entspannt zurück und klatschte in die Hände. "Jetzt sollten wir aber feiern! Wo ist der Wein?", rief er ausgelassen, als auch schon ein Sklave mit Bechern und Krügen herbeieilte. Flink füllte er sie mit dem köstlichen Trunk ehe er sie dem Herrn und Luca reichte. Flaccus prostete dem Dalmaten jovial zu und meinte: "Auf dich, Luca - und dein Leben in Freiheit!"

    Ein Anflug von Erleichterung huschte bei Macers Versicherung, dass er über seinen Schützling nur Gutes würde berichten können, über die ebenmäßigen Züge des Flaviers, wenngleich er die Unterstützung des consularis vir im Grunde weniger erhofft, sondern vielmehr als beinahe selbstverständlich erachtet hatte, wollte ihm doch schlichtweg kein einziger Grund einfallen, welcher eine Abneigung des Purgitiers seiner Kandidatur gegenüber würde erklären. "Natürlich.", beeilte er sich also zu versichern, als jener die sicherlich rhetorisch gemeinte Frage stellte, ob denn der Patron und seine Anverwandten die Kandidatur in gleichem Maße begrüßten. Tatsächlich mangelte es dem Flavier kaum an Selbstvertrauen, war er sich seiner zahlreichen Qualitäten doch durchaus bewusst - nun galt es lediglich, jene auch der versammelten Senatorenschaft glaubwürdig aufzuzeigen. "Ich verstehe.", nickte er also auf die weiteren Erklärungen Macers, in denen jener ihn nochmals auf die Gewichtigkeit seiner eigenen Worte hinwies, welche durch die Unterstützung der anderen lediglich an Glanz und Strahlkraft würden gewinnen. Dann jedoch breitete sich ein nachdenklicher Ausdruck auf dem Antlitz des jungen Flavius aus, als jener, den Regeln des Anstands folgend und doch mit ehrlicher Gesinnung das Wort ergriff. "Ich danke dir für deine Unterstützung, und wenngleich du diese sicherlich als selbstverständlich ansiehst,..." - es war stets von Vorteil, einem mächtigeren Mann eine edle und selbstlose Gesinnung zuzusprechen, welbst wenn es im Falle Macers wohl der Wahrheit durchaus nahe kam - "...so frage ich mich doch, ob es etwas gibt, das ich für dich tun könnte?" Zwar stand nicht außerordentlich viel in der Macht des Flaviers, aber vielleicht konnte sein Tutor dennoch einen Gefallen ersinnen, den ihm sein Schützling würde erweisen können.

    In einem Anflug von Verweiflung ob der einfältigen Starrsinnigkeit seines Kontrahenten, musste Flaccus sich an den Kopf greifen. Denn obschon das wohlkonstruierte Gebäude seiner Verteidigung durch die rhetorische Qualität seiner Rede gleichsam Glanz und Strahlkraft gewinnen musste, so war doch kein einziges überflüssiges Wort darin enthalten gewesen. Dem Iudex zu widersprechen, dass jener wohl nicht allen Ernstes im Sinn haben konnte, den Preis eines Messers auf hunderte und aberhunderte einzelne Ziegen aufzuteilen, die damit getötet werden konnten, noch weniger auf die tausenden einzelnen Stücke Fleisch, welche schließlich tatsächlich zum Verkauf bestimmt waren, hielt der junge Flavius für ungünstig, und unterließ es - wenigstens für den Moment. Denn der Duccius ließ keine Hoffnung daran aufkommen, dem aberwitzigen Treiben ein Ende zu bereiten, sondern war in seinem Wahn sichtlich gewillt, sein Gesicht in einem ausgewachsenen Prozess auf das Spiel zu setzen. Bereits in seinem ersten Satz stellte der riesige Germane seine Einfältigkeit erneut bereitwillig zur Schau. "... kann man wohl leidlich von einer absichtlichen Benachteiligung der Mitbewerber sprechen." - Ein wahres Wort aus dem Munde des Klägers, welches bereits diese Anhörung, vielmehr noch einen tatsächlichen Prozess völlig zwecklos machte. Denn wenn der Duccius selbst der Meinung war, dass Flaccus seine Mitbewerber nicht absichtlich benachteiligt hatte, so war der Gesetzestext nicht erfüllt, die Handlung somit nicht tatbestandsmäßig und folglich auch nicht als dem Gesetze zuwider handelnd anzusehen. Immernoch zwang sich der junge Flavius allerdings zu höflicher, stoischer Ruhe, erst als der Duccius es wagte, die pietas des Flaviers in Zweifel zu stellen, sah jener sich genötigt, in den wüsten Strom der Anschuldigungen ordnend einzugreifen.


    "Werter Duccius.", begann er also direkt in jene Pause, die Vala wohl als seine Worte wirksam unterstreichend erachtet hatte, ruhig und entspannt, "Offenbar warst du nicht gewillt, meinen Worten zur Gänze zu folgen, doch ich will sie dir nochmals vergegenwärtigen: Nicht zur Sühne für nicht begangenes Unrecht, sondern pro populo Romano Quiritibus, zum Wohl und Heil der Stadt und des römischen Volkes will ich ein öffentliches Opfer im Tempel des Merkur darbringen, jenes Gottes, welchen ich auch als Zeuge dafür anrufe, dass kein Unrecht in meinem Namen geschehen ist! Du magst mir, einem angesehenen Arvalbruder, der ich alle kultischen Pflichten stets mit höchster Sorgfalt vollziehe, wohl kaum vorwerfen, die pax deum läge mir nicht am Herzen!"


    Die völlig deplatzierten und allen Formen des Anstands entbehrenden Angriffe des Duccius auf Aemilia Flava, deren Lebensunterhalt sich natürlich aus den Erträgen des lucanischen Landguts speiste, und die flavische gens an sich ließ Flaccus unkommentiert, wie er auch das Beharren des Mannes auf seinem Standpunkt schweigend zur Kenntnis nahm. Heute war nicht der Tag, um mehr zu sagen, denn der Zweck der Anhörung war erfüllt - beide Parteien hatten ihre Ansichten vorgetragen - das Ziel einer gütlichen Einigung jedoch durch die Stumpfsinnigkeit des Germanen verfehlt.

    Das Schmunzeln seines Mentors entging Flaccus nicht, als jener das Thema, welches den Consular selbst anscheinend mitnichten gering beschäftigte, in seiner Antwort anklingen ließ. Als er dann allerdings von einer nach seiner Erfahrung zu erwartenden allgemein hohen Anwesenheit sprach, vermochte auch der Zusatz, dass die meisten Senatoren wohl eher an der Besetzung der höheren Ämter interessiert waren, ein vergnügtes Lächeln des jungen Flavius nicht zu trüben. Schließlich versprach er sich von seinem Namen allein genügend Aufmerksamkeit, welche nach der marginal anmutenden Zeitspanne von zwölf Jahren wohl noch genügend Klang besitzen würde, um wenigstens in polarisierender Weise aufzufallen. Als sich Macer dann allerdings bei der Erzählung seiner eigenen Erfahrungen in ein ganz und gar grausiges Szenario steigerte, legte sich doch ein nachdenklicher Ausdruck über die Züge des jungen Mannes. Zwar fühlte er sich durch seine angestrengten Studien und das rhetorische Handwerkszeug, welches er doch zufrieden sein Eigen zu nennen sich anmaßte, gut gewappnet dafür, in einer solchen verbalen Raubtierjagd zu bestehen, und doch legte er nicht viel Wert darauf, die Probe aufs Exempel zu machen - sofern es sich würde vermeiden lassen. Und die positive Meldung einiger angesehener Senatoren gleich zu Beginn seiner Vorstellung würde die verbale Bedrängnis der weniger wohlgesinnten Mitglieder des Senats wohl etwas in Schranken weisen - jedenfalls begründete Flaccus seine Hoffnung in dieser Überlegung. Ein etwas besorgter Unterton lag also in seiner Stimme, als er dem Consular entgegnete. "Ich kann doch auf deine Unterstützung zählen?" Denn des Purgitiers Unterstützung war eines der zentralen tragenden Elemente, auf denen er das Konstrukt seiner Kandidatur zu errichten trachtete, würde sich seiner gewichtigen Stimme wohl eine nicht geringe Zahl der gemäßigten Senatoren anschließen, welche gleichsam das Bindeglied zwischen den überwiegend konservativen Patriziern auf der einen und so manchen radikalen Plebejern auf der anderen Seite bildeten.

    Geheimnisvoll und märchenhaft schien der Ort, an den die ägyptische Sklavin die beiden jungen Menschen geführt hatte. Anuket war verschwunden, hatte sie sich selbst und dem seltsamen Zauber des Abends überlassen. Seine dunklen Augen folgten Flora, als sie sich vorsichtig an den Rand des Beckens kniete und verloren sich schließlich in den sanften Linien, mit denen das rote Seidenkleid die Konturen ihres jugendlichen Körpers nachzeichnete. Als sie ihre Hand in das stille Wasser tauchte rutschten die güldenen Armreifen hinab bis zu ihrem schlanken Handgelenk und tauchten ebenfalls leicht in das erquickende Nass. Kleine Kreise bildeten sich auf der zuvor so ruhigen Oberfläche und dehnten sich, stetig wachsend, bis an die Ränder des Beckens aus. Als sie sich zu Flaccus umwandte bemerkte auch Flora das Verschwinden der jungen Sklavin und ließ ein glockenhelles Lachen erklingen. Dann erzählte sie offenbar eine Geschichte aus ihrer Kindheit und der junge Flavius folgte ihren Worten aufmerksam, während er einige Schritte aus der dämmrigen Lichtung heraus auf sie und das erhellte Becken zutrat. "Ein Lar?", wiederholte er interessiert, als Flora, sichtlich in der Anstrengung, jenen fernen Tag erneut ins Gedächtnis sich zu rufen, nachdenklich die Stirn runzelte. Nach einem kleinen Moment schien sie jedoch jenen seltsamen Begriff aus den Tiefen ihrer Erinnerung ans Tageslicht gefördert zu haben, denn strahlend verkündete sie den Namen, mit welchem der Geschichtenerzähler das gefangene Zauberwesen einst bezeichnet hatte. Verwundert über das seltsame Wort lächelte Flaccus vergnügt und blickte sich nochmals um, als Flora mit etwas gesenkter Stimme fortfuhr und ein wohliger Schauer ihn bei ihren Worten erzittern ließ. Denn tatsächlich wirkte der Ort verwunschen und gewiss barg er die verborgene Wohnstatt eines Quellgeistes oder wenigstens einiger Nymphen, die die beiden jungen Eindringlinge in ihr geheimnisvolles Reich vermutlich im selben Moment scheu und wohlverborgen beobachteten.


    Als Flora sich einmal um sich selbst drehte, trat Flaccus lächelnd einen Schritt zurück, um ihren geschmeidigen Bewegungen genügend Raum zu geben. Wieder umschmiegte das seiderne Kleid sanft ihre anmutige Gestalt und er glaubte sich kaum sattsehen zu können an der Schönheit ihres Wesens. Gewiss hatte der fremdartige Trank seinen Geist gelockert und der geheimnisvolle Zauber des Ortes tat sein Übriges, den jungen Mann alle Pflichten und Zwänge, die sein Stand und seine Stellung in der Gesellschaft ihm auferlegen mochten, schlichtweg vergessen zu lassen. Nur mit Gewalt vermochte er den verzehrenden Blick seiner dunklen Augen abzuwenden und einen Schritt auf die Lyra hin zu wagen, die, einladend an die aufragende Felswand der Grotte gelehnt, nun seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Vorsichtig ging er in die Knie vor dem kostbaren Instrument, ergriff es behutsam, seine Form und Gestalt mit den schlanken Fingern erkundend, die Gesamtheit der Erscheinung mit allen Sinnen erfassend, es sorgsam in den Händen wiegend und liebevoll die zarten Rundungen des Körpers erkundend. Mit dem Rücken gegen die Felswand gelehnt, ließ er sich nieder, winkelte ein Bein an und griff zum ersten Mal sanft in die Saiten der Lyra. Keine Melodie erklang, nur einzelne Töne, scheinbar ohne direkten Bezug zueinander, als er den Klang des Instruments zu erkunden, die Stimmung zu erfassen suchte. Einige Augenblicke währte dieses Ritual des "sich-vertraut-machens" des Künstlers mit dem Instrument, ehe er Flora mit einem aufmunternden Lächeln zunickte, und sie mit einer kleinen Geste einlud, sich an seiner Seite niederzulassen.

    Vollkommen sprachlos und ungläubig reagierte Luca auf die Worte seines jungen Herren und wer konnte es ihm verübeln? Zweifellos war die Hoffnung auf ein Leben in rechtlicher Freiheit seit jenem Gespräch, da Flaccus von der möglichen Freilassung gesprochen hatte, in ihm geglommen, und doch musste der Zeitpunkt, die plötzliche und unerwartete Erfüllung seines tiefsten Wunsches ihn vollkommen überraschend treffen. Und so stotterte, stammelte der Sklave zunächst einige Augenblicke reichlich perplex herum, ehe er das Gesagte nicht nur als völlig ernst gemeinte Aussage des jungen Flaviers einzustufen, sondern darüber hinaus auch die tatsächlichen Konsequenzen desselben wenigstens zu erahnen vermochte. Dann allerdings traten Tränen in die Augen des Kriegers, die jener schnell wegwischte und doch konnte er sich ihrer nicht dauerhaft erwehren. Freudentränen mussten es sein, dessen war sich Flaccus sicher, sodass er den vom Glück überwältigten Luca einfach nur anstrahlte, bis jener sich selbst und seine Emotionen wieder einigermaßen in den Griff bekommen hatte.


    Ein breites Grinsen machte sich jedoch auf den Zügen des jungen Flaviers breit, als Luca ihn beinahe besorgt fragte, ob er auch noch als freier Mann seinem früheren Herrn würde beistehen dürfen und danach, in weniger rührigem, denn vielmehr berührenden Ton erneut seine Verbundenheit zu Flaccus bekräftigte. Ich mache mir Sorgen um Euch!, brach es schließlich ehrlich und aufrecht aus ihm heraus und einmal mehr durfte Quintus erkennen, dass jenes seltsame Band, welches er seit ihrer ersten Begegnung zwischen ihm und seinem Sklaven bestehend glaubte, sich immerfort kräftigte und spannte. "Aber natürlich, wie könnte ich nur auf dich verzichten?", stellte er eine rhetorische Frage, deren Kern doch gänzlich der Wahrheit entsprach. Doch nicht nur auf die ausgezeichneten Dienste des Dalmaten als Leibwächter wollte er verzichten, viel schmerzlicher noch würde ihn der Verlust des Vertrauten treffen, des Freundes. Da Luca ohnehin sicherlich noch ein wenig brauchen würde, um den sonderbaren Umstand völlig zu verinnerlichen, fuhr Flaccus, immernoch mit jenem breiten Lächeln auf den Lippen, in jovialem Ton fort. "Natürlich müssen wir die Freilassung erst offiziell machen, doch wir können schon morgen zum Prätor gehen, und die manumissio hinter uns bringen... aber ich habe hier noch etwas für dich.", meinte er sodann geheimnisvoll und richtete sich etwas auf, während er zu dem schmalen Kästchen langte, welches zwischen den beiden ruhte. Den Deckel sanft anhebend, brachte er zunächst eine schlicht verzierte Scheide zum Vorschein, die er behutsam aus ihrem schmalen Gefängnis barg. Im warmen Licht der Öllampen zog er sodann langsam die funkelnde Klinge eines Dolches hervor und begutachtete sie wohlwollend und mit kreisenden Bewegungen. "Ein pugio. Die Klinge ist aus gallischem Stahl, der Griff aus afrikanischem Elfenbein - ein wahres Meisterwerk." Nach einigen Augenblicken der kontemplativen Betrachtung steckte er das todbringende Kunstwerk wieder zurück in die Scheide und bettete die Waffe sanft in das Kästchen welches er dann zu Luca schob. "Ich möchte ihn dir gerne schenken - er wird dir gewiss gute Dienste leisten.", meinte er und nickte seinem Sklaven mit einem aufmunternden Lächeln zu.

    Einige Tage waren ins Land gezogen seit der Rückkunft der Männer in die Stadt und die Reise zurück nach Rom war nicht so glücklich verlaufen, wie jene nach Germanien. Überschattet von jenem grauenhaften Zwischenfall, welcher sich bereits in Italia, und wohl kaum drei Tagesritte vor Rom zugetragen hatte. Und doch waren schließlich alle vier lebend zurückgekehrt, wenngleich besonders der große Dalmate, welcher mit unvergleichlichem Mut und der Tapferkeit eines Löwen gekämpft und seinen Herrn verteidigt hatte, nicht ohne schwere Blessuren davon gekommen war. In der Obsorge eines flavischen medicus war der zähe Kämpfer jedoch rasch genesen, sodass Quintus ihn an jenem Abend in sein cubiculum gerufen hatte. In dem größeren der Räume erwartete er die Ankunft des Sklaven, welcher seine Treue in so beeindruckender Weise unter Beweis gestellt hatte. Wiewohl der Körper des Flaviers selbst von dem gewaltsamen Überfall zum größten Teil verschont geblieben war, so hatte er sich doch einige Kratzer eingefangen, deren unangenehmster sich schlank beinahe über seine gesamte rechte Wange zog, vom hinteren Kiefer bis zu den hohen Wangenknochen. Sein ansonsten ebenmäßiges, edles Antlitz bekam durch diese Verletzung einen seltsam verwegenen Ausdruck, welcher den jungen Mann älter wirken ließ, als er eigentlich war. Von dem medicus fachgerecht verarztet, würde er keine bleibenden Male davontragen, und doch rief ihm das stetige sanfte Ziehen an seiner Wange unaufhörlich in Erinnerung, dass seine Unversehrtheit, ja letztlich sein ganzes junges Leben, nur durch die geistesgegenwärtige Tapferkeit Lucas gerettet worden war, mit der jener, wiewohl selbst aufs Heftigste bedrängt, seinen Arm schützend vor das Antlitz des Herrn gerissen hatte. In eine schlichte Tunika gekleidet, welche schnörkellos in dunklem Blau gehalten war, erwartete der junge Flavius nun also den verdienten Kämpfer und strich, an einem kleinen Tischchen stehend, behutsam über ein kostbar gearbeitetes und mit kunstvollen Einlagen verziertes längliches Kästchen aus Ebenholz, als es schließlich an der Tür klopfte.


    Luca trat ein und Quintus wandte sich zur Tür um. Den Sklaven in den Blick fassend, war er mit wenigen ausgreifenden Schritten an ihn herangetreten, und packte ihn mit festem Griff an den Schultern, als ob er sich der Wahrhaftigkeit des Anblicks erst versichern müsste. Nach einem leichten Druck ließ er seine Hände sinken, und starrte den Hünen weiter an, welcher nun, mit einem etwas schiefen Lächeln auf den Lippen, eine abwinkende Handbewegung machte, und nicht nur meinte, dass es ihm gut ginge, sondern sich vielmehr aufrichtig nach dem Befinden seines Herrn erkundigte. Ein seltsames Glitzern trat in die Augen des jungen Flaviers, als jener mit einem ebenso schiefen Lächeln, wie Menschen es erleichtert an sich zu tragen pflegen, wenn eine schwierige Situation überstanden wurde, den Kämpfer anstrahlte. "Ach Luca, es ging mir niemals besser." Mehr sagte er nicht, blickte dem Sklaven lediglich noch einen Augenblick lang direkt in seine braunen Augen, ehe er sich mit einer einladenden Bewegung umwandte und zu einer Sitzecke wies, welche aus zwei großen Klinen bestand, die mit dunkelroten Polstern voll beladen waren. Dort angekommen, bat er Luca Platz zu nehmen, während er selbst an das etwas abseits stehende Tischchen trat, um jenes kunstvolle längliche Kästchen herbeizubringen, in welchem er eine besondere Überraschung für den Sklaven aufbewahrt hatte. Während er das Kästchen auf dem zierlichen Tischchen, welches sich zwischen den beiden Klinen befand, abstellte, und sich gegenüber Luca niederließ, meinte er: "Luca, als wir überfallen wurden, hast du mit der Tapferkeit eines Löwen gekämpft und ohne deinen Einsatz säße ich heute vermutlich nicht mehr hier.", er schluckte schwer ehe er fortfuhr, "Du hast selbstlos mein Leben über das deine gestellt und deine Treue bewiesen.", stellte er ernst fest, "Diesen Einsatz kann ich nur auf eine Weise angemessen belohnen: Ich will dir die Freiheit schenken." Aufrecht blickte er in die dunklen Augen des Dalmaten, um zu erkennen, wie jener auf diese Entscheidung reagieren würde.

    Erst bei der Erwähnung der Bauarbeiten, die offensichtlich bereits im Gange waren, da sonst wohl kaum die Possibilität bestünde, durch ihren Fortgang den Schlaf des Hausherren und seiner Gattin zu stören, wurde der junge Flavius auch der sichtlichen Anzeichen eben jener Arbeiten gewahr, welche sich im Seitenflügel des Atriums bereits ankündigten. Da der Consular aber offensichtlich im Gespräch nicht weiter bei eben jenen verweilen mochte, sondern vielmehr die Kandidatur seines Tiro in den Vordergrund rückte, beschäftigte auch Flaccus sich nicht ausgreifender mit dem Umstand des Umbaus, welchen er bisher ja nicht einmal bemerkt hatte. "Ich denke tatsächlich, dass ich mich gut vorbereitet habe, denn wiewohl es lediglich um ein Amt der magistratus minores geht, wird es doch die erste Möglichkeit sein, mich dem, hoffentlich einigermaßen vollzählig versammelten, Senat vorzustellen..." Jene kleine Spitze über die mangelnde Präsenz nicht unerheblicher Teile der Senatorenschaft in der Curia, welche bereits in der Vergangenheit Gesprächsthema zwischen dem Mentor und seinem Tiro gewesen war, vermochte Flaccus sich nicht zu verkneifen, wenngleich der zweite Teil des Satzes wesentlich bedeutender war, ging es doch gerade hierbei darum, sich der Unterstützung des Purgitiers zu versichern.

    Nun also stand die Wahl des Magisters und Flamen der Buderschaft für das nächste Amtsjahr an und gespannt harrte auch Flaccus der Dinge, die nun kommen würden. Dass Piso das Amt wieder aufgeben wollte, verwunderte dessen jüngeren Verwandten kaum, handelte es sich schließlich um einen solchen Posten, der, wiewohl unter Umständen einiges an Ansehen, so doch ansonsten nur lästige Pflichten mit sich bringen mochte. Dennoch dachte Flaccus bereits mit Freude an jenen Tag, da er selbst einst würdig würde befunden werden, den Arvalen als Magister vorzustehen. Als Piso also Flaccus' Patron, den ehrenwerten Consular und Pontifex pro magistro Tiberius Durus, als neuen Magister vorschlug, nickte der junge Flavius grave und zustimmend. Natürlich war der höchst ehrenwerte und integre Mann die einzig mögliche Entscheidung. Als er aber in den nächsten Worten seines Onkels plötzlich seinen eigenen Namen wiederfand, konnte er sich doch einen Moment lang nicht des verwunderten Ausdrucks erwehren, welcher sich unweigerlich seiner Züge bemächtigte. Dennoch hatte er sich so schnell wieder unter Kontrolle, um zu erkennen, das es jetzt wohl an ihm lag, etwas zu dem Vorschlag zu sagen. Sich etwas aufrichtend blickte er zunächst Piso, dann aber auch Durus an, ehe er bestimmt antwortete. "Es wäre mir eine große Ehre, würde mich das collegium als würdig empfinden, unserer Bruderschaft im nächsten Jahr als Flamen zu dienen." Erwartungsvoll blickte er in die Runde, um zu sehen, wie viele der Brüder den Vorschlag des älteren Flaviers, dem jungen Alter des Kandidaten zum Trotz, unterstützen würden.

    Ganz wie erwartet, wurde der junge Flavius nicht gezwungen, allzu lange auf sein Gespräch mit dem Hausherrn zu warten, denn sein Stand und auch die glänzend weiße Toga, welche er als Zeichen seiner Kandidatur trug, taten das Ihre. So gelangte er schon bald vor seinen Mentor, dessen Begrüßung er mit einem angedeuteten Nicken freundlich erwiderte. "Salve Consular." Der unverfänglich lockere Gesprächseinstieg ließ Flaccus leicht grinsen. Der Umstand seiner Kandidatur war schließlich im wahrsten Sinne des Wortes unübersehbar. "Dein Scharfsinn bleibt unübertroffen.", scherzte er ein wenig, ehe sein Antlitz ein wenig ernstere Züge annahm. "Es geht mir ausgezeichnet, danke. Ich hoffe auch dir und deiner Gattin geht es soweit gut?", tauschte er die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus, ehe er erneut auf den Umstand seines Besuchs zurückkam. "Ja, nun also wird es ernst.", meinte er in pseudophilosophischem Ton zu jenem Mann, welcher ihm das Handwerkszeug des Politikerdaseins in die Hände gelegt hatte. Das Vigintivirat bedeutete schließlich nun definitiv den Eintritt in den Cursus Honorum, jene Ämterlaufbahn, welche seit ältesten Zeiten Rom geprägt hatte.

    Die aufmunternde Aufforderung an Luca, alle Fragen, die ihm durch den Kopf schießen mochten, einfach frei heraus zu stellen, traf jenen offenbar etwas unerwartet, jedenfalls dauerte es einen gedehnten Moment lang, ehe der Sklave schließlich zögernd zu einer griechischen Antwort ansetzte. Als er daraufhin in ein herzhaftes Lachen ausbrach, musste Flaccus amüsiert schmunzeln. Offenbar fühlte Luca sich in seiner Gesellschaft doch in gewissem Maße frei und gelöst, denn sein Lachen klang aufrecht. Dies war ein Umstand, den der junge Flavius nur bei ganz wenigen der anderen Sklaven duldete, etwa den beiden Griechen Myson und Kleóbulos, bei dem ehemaligen Krieger jedoch geradezu forderte. Dann allerdings kam Luca doch eine Frage in den Sinn, die allerdings durch einen kleinen Versprecher abermals ein belustigtes Lächeln auf Flaccus' Lippen zauberte. "Kleóbulos wird dich in der lateinischen Sprache unterrichten, ihr könnt im Grunde schon morgen damit beginnen. Es ist wirklich wichtig, dass du all' deine Anstrengungen in nächster Zeit darauf richtest, die Sprache Roms zu erlernen. Nur so wirst du künftige Aufträge erfüllen können...", meinte der junge Mann, dem es tatsächlich wichtig war, dass Luca sein Latein schnellstmöglich perfektionierte, schließlich sollte sich sein Leibwächter durch etwaige Sprechschwierigkeiten nicht zur Lachnummer degradieren. Der nächste Vorschlag des Kriegers ließ Flaccus jedoch nachdenklich die Stirne runzeln. Einerseits gefiel ihm die Umsicht, mit der sich der Sklave seiner neuen Aufgabe widmete, andererseits mochte ihm der Gedanke an vergitterte Fenster in seinen Gemächern nicht recht behagen. Bevor er jedoch entgegnen konnte, sprach Luca bereits weiter und senkte bei seinen Worten beschämt den Kopf. Als er aber fertig gesprochen hatte und schluckte, war es nun an Flaccus, in herzhaftes Lachen auszubrechen. Nicht, weil er sich etwa über den Sklaven lustig machen wollte, sondern weil er den Umstand einfach lustig fand. Vergnügt wischte er sich eine kleine Lachträne aus seinen dunklen Augen, als er antwortete. "Aber natürlich kannst du mehr essen. Ich werde Kleóbulos Bescheid geben, dass deine Mahlzeiten in Zukunft größer portioniert werden sollen." Immer noch lag ein amüsiertes Grinsen auf seinen wohlgeformten Zügen. "Was das Fenster in deiner Kammer angeht, so verstehe ich deine Bedenken, doch ich will es dennoch nicht vergittern. Ich denke nicht, dass mir hier in der Villa tatsächlich Gefahr drohen könnte...", meinte er versöhnlich, "Aber ich weiß deine Sorgfalt sehr zu schätzen.", versicherte er noch, damit Luca nicht den Eindruck bekommen konnte, Flaccus wäre an seiner Meinung nicht interessiert. Mit einem wachen Ausdruck in seinen dunklen Augen blickte er den Dalmaten an, und nahm einen Schluck Wein. "Benötigst du noch Dinge für deine Kammer? Möbelstücke etwa?", erkundigte er sich daraufhin aufmerksam, schließlich musste die Einrichtung jenes kleinen Raumes doch im Moment noch eher spärlicher Natur sein.

    Glücklicherweise beließ Gracchus, jener exzellente Römer, welcher in den Augen seines jüngeren Verwandten in der Zeit ihrer Bekanntschaft immer mehr zu einem gleichsam strahlenden Leitbild edler Gesinnung und rechtschaffenen Verhaltens herangewachsen war, und dessen übermächtige Integrität stets ein etwas beklemmendes Gefühl der Minderwertigkeit in Flaccus aufkeimen ließ, es dabei, die Ankündigung der Apologie ohne weitere Reaktionen zur Kenntnis zu nehmen, während er es sichtlich vorzog, dieses in seinen Augen gewiss für die gesamte gens etwas beschämende Thema der Anklage nun endgültig ruhen zu lassen. Die jedoch bereits im gleichen Augenblick versicherte Unterstützung der Kandidatur, ließ im jüngeren Flavius wenigstens den Funken der Hoffnung entflammen, dass jenes hässliche Mal der Anklage, welches er dem ansonsten so vielversprechenden Wesen seines Neffen nun zweifellos eingeprägt sah, Gracchus doch nicht zu veranlassen vermochte, die starken Taue verwandschaftlicher Zuneigung gänzlich zu kappen. Und so fühlte er sich auch ermutigt, im Grunde beinahe genötigt, jenes politische Geschick, welches Gracchus ihm ob der Wahl seines Patrons und des Mentors in gütiger Weise zurechnen wollte, in aufrechter Bescheidenheit, innerlich beschämt, von sich zu weisen. "Dieser Umstand ist allein Pisos Verdienst. Er war es, der die beiden Männer vorgeschlagen, er auch, der mich ihnen bekannt gemacht hat.", erklärte der junge Mann, und beobachtete etwas befremdet jenen scheinbar gedankenverlorenen gestus des Onkels, in welchem jener seine Linke hob, um damit die Lippe zu kneten, ohne daraus jedoch so recht schlau zu werden. War es Desinteresse, gar Enttäuschung ob des Unvermögens seines jüngeren Verwandten, dem hehren eigenen Wesen nachzueifern? Doch abermals bildeten Gracchus' Worte einen schroffen Gegensatz zu jener Vorstellung, die der Jüngere insgeheim getroffen hatte, jenem strengen beinahe väterlichen Tadel, den er im Grunde erwartete. Vielmehr versprach Gracchus auch in dieser Angelegenheit seinem Neffen aufrichtige Unterstützung, erklärte sich gar bereit, dem Magister der Epulonen selbst eine betreffende Nachricht zukommen zu lassen. Dankbar senkte Flaccus kurz den Kopf, ehe er antwortete. "Ich danke dir. Es wäre mir eine angenehme Freude, vor dem collegium sprechen zu dürfen.", erklärte er dann und sah den Augenblick gekommen, einen gewissen Punkt aus den Worten seines Onkels aufzugreifen, da er ihm selbst am Herzen lag. "Der Umstand des schwindenden Interesses für die höchsten Kollegien selbst, ja auch der mangelnde Eifer, mit dem so mancher Kult, der von den Ahnen einst treu gepflegt wurde, nun schändlich vernachlässigt wird, zeugt gewiss von einem allgemeinen Verfall der rechtschaffenen Sitten, welchen ich seit meiner Ankunft in Rom täglich aufs Neue beobachte." Die Erfüllung kultischer Ämter mochte dem opportunistischen Streben der jungen Politiker zuwider laufen, doch schien der Verfall des mos maiorum von einer gewissen Person in Rom nicht nur toleriert, sondern vielmehr mit aller Kraft forciert zu werden.