Beiträge von Marcus Marius Madarus


    "Sehr wohl.", sprach Sönke, griff sich die Tabula und verschwand wieder... Diensttauglich, das war alles was er zu hören brauchte um seinen Kopf wieder schwirren zu lassen... ging gerade aus an dem Typen vorbei, der vor der Tür wartete, und erst als er einige Schritte weiter war, fiel ihm noch ein, dass er den noch reinzuschicken hatte. Als das getan war, machte er sich auf den Weg zurück in die Principia... mit beschwingterem Schritt als vorher.


    Sich gerade die Wolltunika wieder anziehend hörte Sönke dem Reden des Mannes zu, und war überrascht darüber, dass der Mann mögliche Beförderungen überhaupt als Grund anführte Lesen zu lernen.. hatte er einen so guten Eindruck gemacht? In seinen ganzen Tagträumereien die mit Heldentum und glorreichen Schlachten zu tun hatten, hatte er NIE auch nur einmal den Posten eines Offiziers inne gehabt. Das Bürgerrecht war für einen Menschen von Sönkes traditionellem stand schon Errungenschaft genug, Offizier in der römischen Armee... nein. Das wurden Söhne von einflussreichen Familien... alten Familien. Viele Offiziersposten gab es ja nicht zu vergeben, drum wurden Sönkes Denken zufolge auch nur jene solche, die auch außerhalb des Militärs höher standen.


    "Das da ist ein umgekipptes Pferd...", begann er den zweiten Sehtest zu beschreiben, "..und das ein Baum... dies ist... das ist ein Haus nach der Rhenusflut.. und das ist... ein... Vogel, ja. Ein Greif, vielleicht."


    "Nochmal?", stutzte Sönke, gehorchte aber, da der Medicus anscheinend mit seinen Gedanken woanders gewesen war, als er die Liegestütze gemacht hatte. Und natürlich, weil er schlecht darum diskutieren konnte, dass er die Liegestütze gemacht hatte.. so waren dies die ersten Erfahrungen mit der Befehlskette in der Legion. Folglich legte er sich noch einmal auf den Boden und begann damit, die nächsten dreissig Liegestützen zu machen... als der Medicus dann mittendrin auf die an der Wand hängende Tafel aufmerksam machte, hielt Sönke einen Moment inne, und wandte den Kopf so, dass er den Medicus ansehen konnte: "Das geht nicht... ich kann nicht lesen. Aber... ich kann.. beschreiben.. das erste ist ein senkrechter Strich einem Bogen nach rechts.. das zweite ein kleiner Bogen nach rechts mit einem Strich nach links, das dritte ein kurzer senkrechter Strich mit einem Zipfel nach rechts..", so fuhr er fort, was natürlich erheblich länger dauerte als seine Liegestütze, aber da er nicht aufgefordert wurde sich dafür wieder zu erheben blieb er einfach aus seinen ausgestreckten Armen gestützt und schielte zur Tafel, um die Aufgabe abzuschließen, "...dann kommt ein freier Platz... dann eine gewundene Schlange, deren Enden nach Links und Rechts zeigen.. dann ein kleiner Kreis.. dann ein senkrechter langer Strich, dann ein senkrechter langer Strich mit einem Bogen an der unteren Hälfte, der nach links zeigt..."



    "Eine ehemals offene Tür und meinen linken Arm dazwischen..", erwiderte Sönke beinahe automatisch, so viele Möglichkeiten seinen Arm einzuklemmen gab es auch auf einem Rus nicht, "Nein, habe ich nicht."


    Muskelgruppen? Was sollte das denn sein? Und Gymnasien... der Heiler begann mit Worten um sich zu werfen, die Sönkes Universum nicht nötig gehabt hatte, und ihn daher ziemlich ahnungslos zurückließen, als er sich die dicke Wolltunika über den Kopf zog.. erst wollte er fragen, ob er die wollene Hose auch ausziehen sollte, dann jedoch dachte er sich, dass der Mann das sicherlich erwähnt hätte. Während er also die dreißig Kniebeugen in Angriff nahm, die er nicht allzu eifrig bewältigte (denn bei Bauern zählte das gleiche wie für Pferde: sie 'springen' nur so hoch wie sie müssen), begann er erst nach einer Weile davon zu erzählen, was seine Verwandtschaft dahingerafft hatte: "..., Alke, Schwester, sieben Winter alt, der römische Heiler sagte an Wurmfieber.. Bruder, ohne Namen, zwei Monate, Kindstod.. Bruder, ohne Namen, vier Monate, Kindstod, Bruder, ohne Namen, vier Monate, Kindstod, Schwester, ohne Namen, Kindstod... Algar, Onkel, Blutsturz, Brinwolf, Onkel, Kneipenschlägerei, Thorgall, Großvater, Ruhr, Lanthilda, Großmutter, Ruhr..."
    Als das alles aufgelistet war, wobei er mit zunehmender Anstrengung die Namen auch mehr rausatmete als wirklich zu sprechen, stand er wieder vor dem Heiler, angestrengt atmend auf weitere Order wartend...



    Sönke nickte dem Mann zu, der ihn schließlich herannickte, und trat schließlich zu ihm, mit der Tafel in der ausgestreckten Hand, und begann seine Krankengeschichte schönzureden: "Ich bin gesund.. und habe nicht die geringste Ahnung, was eine Operation sein soll. Erkältet... lass mich... nun... die letzte ist schon eine ganze Weile her. Und schwerwiegende Krankheiten... nein.", antwortete er wahrheitsgemäß, schließlich waren diejenigen in seiner Welt, die schwerwiegende Krankheiten hatten schnell Asche und in Holz geritzte Erinnerungen. Soweit, so gut, dann aber kam die Frage nach den schmerzenden Gliedern, die er schlecht damit beantworten konnte, dass ihm gewisse Glieder immernoch weh taten weil ein schmächtiger Schreiber ihn verprügelt hatte. Die offensichtlichen Blessuren waren verschwunden.. aber als schmerzfrei konnte er sich beim besten Willen nicht bezeichnen, "Ich habe bei der Arbeit auf dem Hof den linken Arm eingeklemmt... nichts gebrochen, zieht nur ein wenig.", war somit die größtmögliche Kleinredung dessen, was gerade in ihm vorging, "Sportlich? Eh... trainiert? Ich... ich arbeite auf dem Hof, vor dem Sonnenaufgang bis danach... ich kann den Karren eigenhändig aus dem Dreck ziehen, einen sooo dicken Baumstamm alleine tragen..", untermalte er seine Körperkräfte mit rudimentärer Gestik, "..oder den Ochsen auf dem Acker davon abhalten einen Zaun zu sprengen.. ist das... fit?"

    "Natürlich.", antwortete Sönke knapp, dem das ganze jetzt wirklich etwas unheimlich wurde, "Ich kenne den Weg..."


    Immerhin glichen sich die Castella bis ins Detail, und Sönke hatte in seiner Zeit als Wunschlegionär immer wieder die Pläne eingeprägt... und seinen Vater auf Handelsgängen ins Castellum selbst begleitet.

    Nicht nachdenken... aber.. was? Jetzt wurde es wirklich kurios.. Sönke blickte dem Mann verwundert nach, als dieser erst stockte, aufstand, und dann irgendeine Tabula hervorkramte, die anscheinend SEINE Daten enthielt.. Sönke konnte nicht lesen, aber er war sich ziemlich sicher, dass er die Tabula, auf der zuletzt seine Daten festgestellt worden war, mit aus dem Castellum genommen hatte. Aus dem Castellum, als was-auch-immer ihn dazu getrieben hatte den Verstand zu verlieren und nicht weiter dem Rekrutierungsprozedere folgen zu lassen. Jetzt, wo er sie vor sich sah, und der Soldat anscheinend seine Daten korrigierte, frage Sönke sich selbst, was er damals eigentlich mit der Tabula angefangen hatte... konnte es aber nicht herausfinden, zu hoch war die weinrote Mauer, die sich seinem Erinnern entgegenstellte. Einfach in eine Ecke gepfeffert, weil sie ihn immer an sein Scheitern erinnerte?
    Ja, wahrscheinlich war es das gewesen... und ein Soldat hatte sie gefunden und wieder reingebracht. Ging ja gar nicht anders... Nein, versuche nicht nachzudenken, Sönke. Einfach den Rand halten...


    "Mogontiacum...", brummte Sönke als Antwort.

    Sönke war im Moment so gespannt auf jeden Laut, der sich um ihn herum tat, dass er irritiert an seine Haare griff. Wuselig? War das nicht in Ordnung? Musste er seine Haare schneiden?
    Bevor er sich jedoch gewahr werden konnte, dass er sich hier gerade vollkommen überflüssige und ziemlich weibische Sorgen machte, holte ihn der Rekrutierungsmensch ins hier-und-jetzt zurück und forderte seine Daten...


    "Ich bin Marcus Marius Madarus, Sohn des Hartwig, Sohn des Karl..", begann er aus lauter Gewohnheit, auch wenn sich sein römischer Name irgendwie mit dem seiner Väter biss, "..ich habe siebzehn Sommer gesehen."

    Immernoch hinter dem Soldaten stehend, bekam Sönke erst gar nicht mit, dass der Rekrutierungstyp ihn musterte. Als er sich dann dessen gewahr wurde, versuchte er sich schnell in Erinnerung zu rufen, was der Mann gerade gesagt hatte... kenne dich doch.. wie war das? Sönke blickte den Mann einen Moment lang fragend an, denn er erinnerte sich im Gegenzug kein Stück an den Mann, zu sehr war alles hinter der großen Mauer an Scham, Alkohol und Kopfschmerzen verschwunden die er im folgenden um sich herum aufgerichtet hatte. Und dass der Mann sich an ihn erinnerte.. bei wievielen Rekruten pro Jahr? Der Mann musste ein außerordentlich gutes Gedächtnis haben...


    "Öhm... ich.. war vor einem Jahr schon einmal hier, mit... Lucius Duccius Ferox. Wir wollten beide in die Legion, aber ich erst die Ernte... also.. Er ist mir... vorgeh.. also... ich wollte ihm in einem Jahr folgen. Hier bin ich.", begann Sönke seinen zweiten Anlauf prompt mit einer Lüge..

    Nicht nachdenken. Nicht nachdenken. Bloß nicht nachdenken.
    ...redete sich Sönke weiterhin fleissig ein, als er dem Soldaten durch das Lager gefolgt war, das letzte Mal, als er hiergewesen war, hatte er definitiv zuviel nachgedacht, bis ihm die Gedanken mitsamt dem Frühstück wieder hochgekommen waren. Heute sollte alles anders laufen.. anders... Frischfleisch? Wie war das?


    Irritiert blickte Sönke auf den Hinterkopf des Mannes, der ihn hergeführt hatte, dann wieder geradeaus zur Rückwand des Officiums.. nicht nachdenken, Sönke. Gar nicht so schlimm... nicht nachdenken... Heldentaten.. Kriege... große Taten... Scheitern... Held.. nicht nachdenken, Mann!

    Wie hatte er das denn geschafft? Mitten in dem wütenden Hagel aus Schlägen, der ihm selbst das Gesicht blutig geprügelt hatte, fand seine eigene Faust anscheinend eine Lücke.. so wirklich mitbekommen hatte Sönke das nicht. Nur hatte es auf einmal geklappt, und der schmächtige Schreiber war auf ihm zusammengebrochen. Jetzt lagen sie, zugegebenermaßen recht unorthodox, miteinander im kalten Straßenmatsch, und spielten Liebespaar. Seine Arme taten weh, soviel hatte der Schreiber geschafft, und so brauchte Sönke auch gleich drei Anläufe um den leblosen Körper des Jungen von sich runterzuschieben, und sich selbst erstmal sitzend aufzurichten.. sie waren wieder alleine, die Lupa hatte ihren Liebling anscheinend alleine gelassen... soviel zum trauten Paar.


    Ächzend zog Sönke sich selbst an der Wand auf die Beine, tastete sein Gesicht ab, und fand schließlich eine Stelle die nicht so weh tat. Ansonsten hatte ihm der Schreiber wohl wirklich nur ein paar halbgare Blessuren verpasst, aber die taten eben auch weh... apropos Schreiber.
    Sönke blickte nach unten, der Schreiber lag immernoch mit dem Gesicht zur Seite im Matsch, ein wenig verdreht aber so wie er den Schatteninterpretierte noch an einem Stück. Auch wenn sich der Schlag so angefühlt hatte, er hatte ihm nicht den Kopf abgerissen.
    "Unn...watt ma ich nu mit di?", fragte Sönke den immernoch ohnmächtigen Schreiber, bekam allerdings keine Antwort. Als er dem Jungen die Hand an den Hals legen wollte, um zu checken ob der Schreiber nicht doch ein wenig toter war als nur ohnmächtig verlor er das im Moment sowieso arg in Mitleidenschaft gezogene Gleichgewicht, stürzte über seinen Kontrahenten und landete mit dem Gesicht im Matsch. Eine kurze Weile des Spuckens und Prustens folgte, und den nächsten Versuch der Lebenszeichenprüfung beging Sönke einfach im Liegen, neben Silanus. Nicht wenig erleichtert darüber, dass sich in den Adern des Schreibers doch noch etwas tat, raffte er sich schließlich auf, auch wenn die Müdigkeit ihn am Boden halten wollte. Sie würden erfrieren, soviel war klar, denn auch wenn noch kein Schnee lag, würde es im weiteren Verlauf der Nacht sicherlich frieren...


    "Gottvödammd... schisse...", fluchte Sönke, als er sich mit gequältem Keuchen wieder hochzog, und noch einmal lauter, als er erkannte, dass er den Schreiber nicht einfach hier liegenlassen konnte, "Wu bi Logi... wohnschn do? I ..off.. nett to wit wech.."
    Der erste Versuch, den Schreiber am Kragen zu packen ging gehörig fehl, denn Sönke landete wieder einmal mit dem Gesicht im Straßenmatsch. Oder dem, wovon er hoffte, dass es Matsch war. Beim zweiten Mal schafften sie es ganze dreissig Schritte weit, bis die dicke Tunika des Römers sich entschloss, das ganze nicht mehr mitzumachen.
    "Oh bi de.. Norne, ik bringi och een janze Hun dar, wenne de Jung no opwaschen laasst.", betete Sönke verzweifelt gen Himmel, jedoch kam keine Antwort, und der Schreiber blieb so ohnmächtig wie zuvor, "Blöde Shiete."
    Er wollte gar nicht wissen, wieviele Blessuren er sich und dem Schreiber zusätzlich noch beifügte, als er sich den schlaffen Körper einfach über die Schulter warf.. was genau sechs Versuche brauchte, und noch einmal vier um zu checken, wie man volltrunken mit einem anderen Kerl auf den Schultern mehr als zwei Schritte schaffte. Aber er schaffte es, irgendwann... allerdings hatte er keine Ahnung wo Silanus jetzt genau wohnte, aber er hatte eine leise Ahnung, schließlich wohnten die Leute mit dem wenigsten Geld, die keine Bauern waren, in der Nähe des Flusses. Nur diejenigen mit Geld konnten es sich leisten in der Oberstadt zu wohnen.. und für die anderen Vici war Silanus definitiv zu römisch. Also Hafen, wahrscheinlich...

    "Krieg?", fragte Sönke unweigerlich, denn von einem drohenden bewaffneten Konflikt hatte er noch nicht gehört. Von den üblichen 'Stamm X wischt Stamm Z einen aus'-Spirenzien mal abgesehen. Er hatte sich gar keine Gedanken darüber gemacht.. andererseits waren bewaffnete Auseinandersetzungen in diesen Tagen nicht gerade selten. Nur komplette Kriege, die waren etwas anderes. Ob er sich jetzt davon beunruhigen lassen sollte, wusste er nicht. Das würde er wahrscheinlich später entscheiden.. müssen.


    "Ich bin..", wollte er gerade ansetzen, wurde da aber schon an einen anderen verwiesen. Legionär Helvetus. Oder so. Er würde sich die Namen später merken, wenn er den Kopf dafür frei hatte... im Moment schwirrte ihm diese von der Aufregung, es wieder zu versuchen. Und vom Krieg. Daher nickte er dem Soldaten einfach nur zu, und folgte dem Soldaten wohin er ihn auch führte.

    Mit beklommenen Gefühlen, die sich beinahe sekündlich abwechselten, stapfte Sönke durch den Schnee der Stadt. Gegrüßt hatte er niemanden, auch wenn ihm hier und da jemand mehr oder minder freundlich die Hand entgegenhob.. zu konzentriert versuchte Sönke, nicht in die gleiche Aufregung zu verfallen, die ihm schon vor fast mehr als einem Jahr die Verwirklichung seines Traums geraubt hatte. Jetzt zwang man ihn quasi zu einem zweiten Versuch, das kindische Träumen von Heldentum und großen Taten war zwar danach wie weggewischt, allerdings kam Sönke nicht umhin ein wenig der alten Bewunderung zu empfinden als er das Tor des Castellum hinter einer Häuserecke auftauchte.
    Natürlich stürzte das Gefühl augenblicklich danach wieder in grundlose Tiefen, als er die Stelle passierte, an der er sich die Aufregung vor die eigenen Füße ergeben hatte. Und dennoch... die Tatsache, dass er keine Wahl hatte, bisher seines alten Traums beraubt blieb und dies hier schlussendlich irgendwo in ihm als Chance begriff die alte Schande reinzuwaschen... dies ließ ihn wacker jeden weiteren Schritt bis in die Reihe der vor dem Tor wartenden tun.


    "Salvete...", grüßte Sönke daher die Soldaten, als er schließlich an die Reihe kam, "..ich bin Marcus Marius Madarus, und ich will Legionär werden."

    Sönke fiel nicht viel mehr ein, als belämmert stehen zu bleiben. Sollte er jetzt einfach gehen? Sicher nicht. Andererseits hatte Witjon auch nicht klar gemacht, was er jetzt eigentlich von ihm erwartete.. sein Gesicht brannte, obwohl er keine wirkliche Ohrfeige erhalten hatte. Es war wohl die Scham, noch nach dem seltsamen Gespräch mit seinem Vater auf diese Art und Weise von Witjon davon geschickt zu werden. Eine Möglichkeit, sich selbst vor sich selbst zu verstecken hatte er nun nicht mehr.


    "Wie du wünschst, Witjon.", brummte Sönke noch, als er nun tatsächlich von seinem Muntherrn davongeschickt wurde, "Werde ich ausrichten... danke."
    Zum Jubeln war ihm sicherlich nicht zumute, allerdings machte sich mit jedem Schritt, den Sönke aus dem verschneiten Atrium tat, eine Art der Erleichterung in ihm breit... Erleichterung darüber, dass ihm jemand die Entscheidung abgenommen hatte, und ihn förmlich dazu zwang sich seinen Dämonen zu stellen.

    Das hatte schon einmal nicht funktioniert.. aber es war Sönke auch ein wenig zuviel, dass Witjon tatsächlich mit ihm diskutieren wollte. Diskutieren taten jene, die die Freiheit einer ebenso freien Meinung hatten, also ein Bruchteil der zur Zeit lebenden Menschen. Die Vorwürfe und impliziten Fragen, die Witjon seinem Muntling jetzt also stellte, hagelten auf ihn ein wie Schleudergeschosse.. und er war nackt.


    "Natürlich, Witjon. Sicher, Witjon. Wie du sagst, Witjon.", haspelte Sönke, der noch weiter in sich zusammen zu sacken schien. Was sollte er auch sonst sagen? Er KONNTE seinem Muntherrn nicht sagen, dass er sich zu den Eisriesen scheren sollte. Noch irgendwas anderes in der Richtung.. ihm blieb ja nichts anderes übrig. Diskutieren musste man ebenso lernen wie Befehlen zu gehorchen. Ersteres war anscheinend Witjons Brot... zweiteres das von Sönke und seiner Sippe.


    "Das bin ich, Witjon.", antwortete er daher mit einer Überzeugung, die sich daraus gerierte, dass Sönke gar nicht anders tun konnte als überzeugt. Hier spielte es überhaupt keine Rolle was er wollte... dass er sich seit Monaten davor verdrückt hatte lag mehr in dem 'einfach tun' als in dem 'wollen'. Mit Nachdenken hatte das wenig zu tun. Genauso wenig wie mit dem, was hier von ihm erwartet wurde.

    "Eh, ja... also...", schrumpfte Sönke sichtbar in sich zusammen, "Ich kann das erklären. Ich wollte zur Legion, doch dann... dann... dann hat Vater sich einen Knöchel verstaucht, und deshalb musste ich ihm helfen.. ich kann meinen alten Herrn ja nicht einfach so im Stich lassen..."


    Das war freilich gelogen wie gedruckt, sein Vater hatte sich seiner eigenen Art nach von dem verstauchten Knöchel nicht beunruhigen lassen, und bedächtig weiter gemacht wie bisher. Sönke hatte derweil im weingetränkten Delirium gelegen und nicht einen Finger auf der Rus gerührt. Nicht. Einen. Finger.

    http://farm1.staticflickr.com/43/82692273_2075bda83f_m.jpg Schweiß rann ihm in die Augen, selbst bei diesen bitterkalten Temperaturen machte sich die Anstrengung in Sönke bemerkbar. In dicke Wolle, Kaninchen- und Schaffell eingemummt hieb der junge Germane jetzt schon seit knapp zwei Stunden auf eine nie enden wollende Reihe von Holzscheiten ein, die er passgerecht in immer kleinere Scheite hackte. Er hatte seit einer Woche nicht getrunken, was so gar nicht zu dem Lebenswandel passen wollte, den er seit einer gewissen Zeit führte, und hatte sich so auch nicht innert der Pallisade blicken lassen. Zuviele Saufkumpane die warteten, zuviel ungeklärter Ärger, den er sich im Vollrausch eingefangen hatte. Zudem schmerzte seine Wange immernoch von der schallenden Ohrfeige, die er sich heute erst von seinem Vater eingefangen hatte. Was in letzter Zeit öfter vorgekommen war, denn die Erleichterung Hartwigs über den verkorksten Eintritt hatte sich schnell in Verbitterung über die Art und Weise seines Sohns verwandelt, mit dieser Schlappe umzugehen.
    Was schließlich darin resultierte, dass die Hand des alten Mannes zunehmend lockerer saß, und Sönke sich zu den längsten Arbeiten draußen abkommandiert sah.


    So wie heute, als er zuerst die Frostlöcher im Reet suchen und ausbessern durfte, stundenlang durch den Schnee stapfen um die Fallen für Kaninchen und anderes Kleintier zu kontrollieren und schließlich um Holz zu hacken. Jeden verdammten Tag.


    Zudem schien der Druck auf seinen Vater von Seiten Witjons zu wachsen, denn die letzten paar Male, als er 'Wärst du doch zur Legion gegangen!' geschnauzt hatte, klang das gar nicht mehr allzu ironisch. Auch seine Mutter hatte ihre Freude über den doch-nicht-im-Krieg-sterbenden-Sohn unter einer dicken Schicht an Sippentreue gepackt, und erzählte in letzter Zeit zunehmend Geschichten von großen Heldentaten und Kriegen die jenseits des Rhenus stattgefunden hatten. Sönke war nicht gerade schlau, aber er konnte sich trotzdem denken, wohin all das führen sollte: seine Familie war kein Rückzugsort mehr. Auch hier konnte er sich nicht mehr vor dem verstecken, was er sich vor unendlich lang geglaubter Zeit selbst vor die Füße gekotzt hatte.


    http://www.kulueke.net/pics/ir/nscdb/z-spezielle/hartwig.jpg Hartwig: "Junge.", erklang es schließlich hinter ihm, und mit der Axt über dem Kopf, gerade zu einem weiteren Hieb ausholend, hielt Sönke inne und drehte sich mit fragendem Blick um, "Vater?". Der alte Mann stand wenige Schritte vor ihm, einen der großen Bärenhunden zu seinen Füßen, und sah ihn mit denselben Augen an, die es schafften so unglaublich gutmütig dreinzuschauen. Aber in ihnen lag nichts von der freundlichen Kraft, die ihn mit beinahe jedem Menschen wortwörtlich augenblicklich gut stellten, in den letzten Tagen hatte Sönke vor allem die Härte in ihnen erblicken können, die sich einstellte wenn man nicht das tat, was das Leben von einem erwartete. Um genauer zu sein: was er von einem erwartete.
    "Sohn..", begann Hartwig, hielt aber noch inne, als würde er nach den richtigen Worten suchen, "..es ist nicht unser, uns gegen das entscheiden was uns gedacht wurde."
    "Was meinst du damit, Vater?", fragte Sönke, dem die Glieder schon von der Wärme brannten, welche immer wieder die Kälte aus seinen Kleidern jagte.
    "Wenn die Söhne Wolfriks sich entscheiden dich auf den Feldern arbeiten zu lassen, so sähst du aus, hegst den Acker und erntest soviel sie dir geben. So sie dir auftragen das Bret des Tages zu jagen, gehst du in den Wald und erschlägst den größten Eber, der sich fangen lässt. Wollen sie dich fischen sehen, so steigst du in den Fluss und fängst den größten Karpfen.. dafür stehen sie für uns ein bei Geschicken, bei denen wir uns nicht selbst helfen können. Und das seit dem Gedenken deiner Väter...", dozierte der alte Mann mit der Stimme, von der er die ruhmreichen alten Tage zitierte. Nur hier draußen... in diesem Moment war das alles mehr als seltsam: "Was willst du mir damit sagen?"
    "Würden die Söhne Wolfriks angegriffen, würden wir den Speer zur Hand nehmen und ihnen zur Seite stehen, mit den anderen Sippen in ihrer Munt. Wenn wir angegriffen werden, stehen sie uns genauso bei..."
    "Vater?"
    "Wenn die Söhne Wolfriks wollen, dass du zur Legion der Römer gehst.. dann gehst du zur Legion, und gibst dort dein Bestes.", stellte Hartwig fest.
    "Weil wir sowieso sterben, Vater?", hakte Sönke nach, als wäre er wieder keine zehn Lenze alt.
    "Weil wir sowieso sterben, Sohn. Und so die Götter wollen, wirst du als ruhmreicher Kämpfer in Valhalla einfahren.. oder als alter Mann wie ich im warmen Bett sterben und zu Hel gehen.", dozierte sein Vater weiter.
    "Das sind Geschichten, die dir noch vor einigen Monden noch nicht so wichtig waren..", schaltete sich hier das wenige ein, das Sönke an kritischem Nachdenken zur Verfügung hatte, woraufhin Hartwig mit der Lieblingsantwort aller Befehlsempfänger konterte: "Was mir wichtig ist, ist nicht von Belang. Die Wolfrikssöhne deuten dir die Richtung, in die du gehst. Ist das klar?"
    "Natürlich, Vater.", erwiderte Sönke, der in den letzten Tagen erfahren durfte, wie der alte Mann reagierte wenn man ihm nach einer solchen Ansprache wiedersprach, "...hat Witjon mit dir gesprochen?"
    "Das braucht er nicht... ", brummte sein Vater noch, drehte sich dann um und stapfte durch den Schnee zurück ins Haus. Nachdem die mit Moos und altem Leinen abgedichtete Tür geräuschvoll zugezogen worden war, stand Sönke immernoch mit der Axt in der Hand im Schnee und glotzte seinem nicht mehr anwesenden Vater hinterher. Erst eine ganze Weile später wandte er sich schließlich um, hob die Axt über den Kopf und ließ sie mit der gleichen Routine auf den Holzklot niedergehen wie vorher. Nur versuchte er sich dieses Mal daran zu erinnern wie es gewesen war, in jedem Holzklotz den Schädel eines Feindes zu sehen.

    "Pläne?", fragte Sönke unwillkürlich, obwohl selbst ein Mensch nicht gerade prächtiger kognitiver Begabung wie er sich denken konnte worauf sein Muntherr hinauswollte, "Was für Pläne, Witjon?"


    Er wollte dieses Gespräch nicht führen, das war ihm klar. Andererseits, was wollte er dann? Witjon zwang ihn geradezu sich Gedanken über seine Zukunft zu machen, einfach weil er es ihm mit der Organisation des Bürgerrechts quasi befohlen hatte, aus dem üblichen Lebenslauf in der Muntherrschaft auszubrechen und sich anderem zuzuwenden. Für andere Menschen, aus älteren Bürgersippen und -stämmen war das vielleicht anders. Er hatte keine besseren Lebensoptionen gehalten, nur andere... dabei hatte er sich so sehr darüber gefreut. Er würde sich wohl oder übel daran erinnern müssen, warum.

    Die größte Freude war auch in antiken Zeiten immernoch die Schadenfreude, und so amüsierte Sönke sich prächtig über seinen Witz auf Kosten der beiden Ausgestoßenen, bot dies doch eine gute Möglichkeit von den Schmerzen in seiner Hand und dem beschissenen Wetter abzusehen. Je düsterer das Leben anderer, umso heller leuchtet selbst der armseligste kleine Stern, und Sönke war mehr als nur dankbar dafür, dass er der eigenen Düsternis nicht nur mit Wein und Bier mehr Farbe verleihen, sondern sie neben die Finsternis anderer Universen stellen konnte.
    Mitten in seinen Moment der selbstgewonnenen Glückseligkeit krachte jedoch der Iunius, erwischte ihn freilich auf dem vollkommen falschen Fuß und hatte daher keine Mühe Sönke von den Füßen zu reißen. Der Schlamm und Unrat der Gasse nahm sie nur allzu gerne auf, und der Alkohol in seinem Blut sowie die Überraschung führten dazu, dass Sönke sich ein paar Schläge einfing bevor er überhaupt daran dachte sich zu wehren. Was ziemlich schwierig war, immerhin lag er unten und der Iunius drosch wie ein Berserker auf ihn ein, für einen Schreiber sogar ziemlich kräftig. Bald war auch sein Gesicht nicht mehr frei von Laesionen, und je schmerzhafter der Ausbruch des Schreibers für ihn selbst wurde, so verzweifelter wurden auch seine eigenen Versuche dem Einhalt zu gebieten.
    Den einen Arm angewinkelt um zumindest einen Teil der Schläge von seinem Gesicht fernzuhalten versuchte er mit dem anderen, irgendwie einen Griff an den Kragen des Gegners zu bekommen, jedoch machte ihm das Wirbeln seines Kontrahenten da einen Strich durch die Rechnung. Aufgeben konnte er allerdings auch nicht, die Schande gegen einen Schreiber im Zweikampf verloren zu haben wäre fast noch unerträglicher als das eigene Scheitern im Angesicht der Rekrutierung.