http://farm1.staticflickr.com/43/82692273_2075bda83f_m.jpg Schweiß rann ihm in die Augen, selbst bei diesen bitterkalten Temperaturen machte sich die Anstrengung in Sönke bemerkbar. In dicke Wolle, Kaninchen- und Schaffell eingemummt hieb der junge Germane jetzt schon seit knapp zwei Stunden auf eine nie enden wollende Reihe von Holzscheiten ein, die er passgerecht in immer kleinere Scheite hackte. Er hatte seit einer Woche nicht getrunken, was so gar nicht zu dem Lebenswandel passen wollte, den er seit einer gewissen Zeit führte, und hatte sich so auch nicht innert der Pallisade blicken lassen. Zuviele Saufkumpane die warteten, zuviel ungeklärter Ärger, den er sich im Vollrausch eingefangen hatte. Zudem schmerzte seine Wange immernoch von der schallenden Ohrfeige, die er sich heute erst von seinem Vater eingefangen hatte. Was in letzter Zeit öfter vorgekommen war, denn die Erleichterung Hartwigs über den verkorksten Eintritt hatte sich schnell in Verbitterung über die Art und Weise seines Sohns verwandelt, mit dieser Schlappe umzugehen.
Was schließlich darin resultierte, dass die Hand des alten Mannes zunehmend lockerer saß, und Sönke sich zu den längsten Arbeiten draußen abkommandiert sah.
So wie heute, als er zuerst die Frostlöcher im Reet suchen und ausbessern durfte, stundenlang durch den Schnee stapfen um die Fallen für Kaninchen und anderes Kleintier zu kontrollieren und schließlich um Holz zu hacken. Jeden verdammten Tag.
Zudem schien der Druck auf seinen Vater von Seiten Witjons zu wachsen, denn die letzten paar Male, als er 'Wärst du doch zur Legion gegangen!' geschnauzt hatte, klang das gar nicht mehr allzu ironisch. Auch seine Mutter hatte ihre Freude über den doch-nicht-im-Krieg-sterbenden-Sohn unter einer dicken Schicht an Sippentreue gepackt, und erzählte in letzter Zeit zunehmend Geschichten von großen Heldentaten und Kriegen die jenseits des Rhenus stattgefunden hatten. Sönke war nicht gerade schlau, aber er konnte sich trotzdem denken, wohin all das führen sollte: seine Familie war kein Rückzugsort mehr. Auch hier konnte er sich nicht mehr vor dem verstecken, was er sich vor unendlich lang geglaubter Zeit selbst vor die Füße gekotzt hatte.
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Hartwig: "Junge.", erklang es schließlich hinter ihm, und mit der Axt über dem Kopf, gerade zu einem weiteren Hieb ausholend, hielt Sönke inne und drehte sich mit fragendem Blick um, "Vater?". Der alte Mann stand wenige Schritte vor ihm, einen der großen Bärenhunden zu seinen Füßen, und sah ihn mit denselben Augen an, die es schafften so unglaublich gutmütig dreinzuschauen. Aber in ihnen lag nichts von der freundlichen Kraft, die ihn mit beinahe jedem Menschen wortwörtlich augenblicklich gut stellten, in den letzten Tagen hatte Sönke vor allem die Härte in ihnen erblicken können, die sich einstellte wenn man nicht das tat, was das Leben von einem erwartete. Um genauer zu sein: was er von einem erwartete.
"Sohn..", begann Hartwig, hielt aber noch inne, als würde er nach den richtigen Worten suchen, "..es ist nicht unser, uns gegen das entscheiden was uns gedacht wurde."
"Was meinst du damit, Vater?", fragte Sönke, dem die Glieder schon von der Wärme brannten, welche immer wieder die Kälte aus seinen Kleidern jagte.
"Wenn die Söhne Wolfriks sich entscheiden dich auf den Feldern arbeiten zu lassen, so sähst du aus, hegst den Acker und erntest soviel sie dir geben. So sie dir auftragen das Bret des Tages zu jagen, gehst du in den Wald und erschlägst den größten Eber, der sich fangen lässt. Wollen sie dich fischen sehen, so steigst du in den Fluss und fängst den größten Karpfen.. dafür stehen sie für uns ein bei Geschicken, bei denen wir uns nicht selbst helfen können. Und das seit dem Gedenken deiner Väter...", dozierte der alte Mann mit der Stimme, von der er die ruhmreichen alten Tage zitierte. Nur hier draußen... in diesem Moment war das alles mehr als seltsam: "Was willst du mir damit sagen?"
"Würden die Söhne Wolfriks angegriffen, würden wir den Speer zur Hand nehmen und ihnen zur Seite stehen, mit den anderen Sippen in ihrer Munt. Wenn wir angegriffen werden, stehen sie uns genauso bei..."
"Vater?"
"Wenn die Söhne Wolfriks wollen, dass du zur Legion der Römer gehst.. dann gehst du zur Legion, und gibst dort dein Bestes.", stellte Hartwig fest.
"Weil wir sowieso sterben, Vater?", hakte Sönke nach, als wäre er wieder keine zehn Lenze alt.
"Weil wir sowieso sterben, Sohn. Und so die Götter wollen, wirst du als ruhmreicher Kämpfer in Valhalla einfahren.. oder als alter Mann wie ich im warmen Bett sterben und zu Hel gehen.", dozierte sein Vater weiter.
"Das sind Geschichten, die dir noch vor einigen Monden noch nicht so wichtig waren..", schaltete sich hier das wenige ein, das Sönke an kritischem Nachdenken zur Verfügung hatte, woraufhin Hartwig mit der Lieblingsantwort aller Befehlsempfänger konterte: "Was mir wichtig ist, ist nicht von Belang. Die Wolfrikssöhne deuten dir die Richtung, in die du gehst. Ist das klar?"
"Natürlich, Vater.", erwiderte Sönke, der in den letzten Tagen erfahren durfte, wie der alte Mann reagierte wenn man ihm nach einer solchen Ansprache wiedersprach, "...hat Witjon mit dir gesprochen?"
"Das braucht er nicht... ", brummte sein Vater noch, drehte sich dann um und stapfte durch den Schnee zurück ins Haus. Nachdem die mit Moos und altem Leinen abgedichtete Tür geräuschvoll zugezogen worden war, stand Sönke immernoch mit der Axt in der Hand im Schnee und glotzte seinem nicht mehr anwesenden Vater hinterher. Erst eine ganze Weile später wandte er sich schließlich um, hob die Axt über den Kopf und ließ sie mit der gleichen Routine auf den Holzklot niedergehen wie vorher. Nur versuchte er sich dieses Mal daran zu erinnern wie es gewesen war, in jedem Holzklotz den Schädel eines Feindes zu sehen.