Beiträge von Chiomara Minor

    Unsicher schlich sie durch die Villa, immer auf der Hut. Niemand durfte sie sehen, vor allem nicht, wenn sie ging. Vor der Tür zögerte sie, klopfte vorsichtig, auch wenn man ihr in der Küche versichert hatte, dass Faustina noch nicht zurück war. Nachdem niemand antwortete, öffnete sie die Tür einen Spalt. Alles leer. Sie schlüpfte hinein und schloss die Tür hinter sich. Schnell packte sie alles, was ihr wichtig war, in eine Tasche, besonders sorgsam die grüne Tunika, die sie von Aretas geschenkt bekommen hatte. Auch die blaue, dessen edleres Gegenstück Faustina trug. Bei jedem Stück, das sie einpackte, wurde ihr schwerer ums Herz. Sie wollte nicht weg, aber nun gab es kein zurück mehr. Und wenn sie sich schon nicht verabschieden konnte, eine Nachricht war das Mindeste, das sie ihr hierlassen konnte. Sie nahm ein Stück Pergament und schrieb: Bitte verzeih mir. Ich liebe dich. Viel zu wenig, um etwaszu erklären, oder ihre Gefühle auszudrücken.


    Die Zeit drängte. Schnell versteckte sie das Papier unter ihrer Zudecke auf der Liege. Faustina sollte die Nachricht erst finden, wenn sie bemerkte, dass sie nicht mehr hier war. Daneben legte sie ihren Kamm, ein besonders wertvolles und reich verziertes Stück. Er bedeutete ihr viel, Faustina sollte ihn haben, als Andenken. Noch ein letzter Blick durch den Raum, Tränen liefen ihr über die Wangen. Chio wischte sie schnell weg, bevor sie ebenso leise verschwand, wie sie gekommen war. Vor der Küche wäre ihr fast noch die Köchin über den Weg gelaufen. Chio konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter eine Ecke ducken. Dann war es geschafft. Die Tasche über der Schulter ging sie schnell, aber unauffällig.

    Natürlich würde ihre Strafe geringer ausfallen. Aber was war mit ihm? Dafür, dass er sie angefasst hatte, würde Faustina ihn sicher noch härter bestrafen als das letzte mal. Vielleicht verpasste sie ihm tatsächlich so einen Halsreif. Das wollte Chio nicht. Dann gab es aber nur eine Antwort. 12 Tage...


    "Du willst mich nicht mehr sehen? Das kann ich nicht." Sie ging auf ihn zu, beobachtete Titan. "Was wird aus ihm, wenn du gehst?" Und Aisha... Es war wirklich nicht einfach. Sie müsste ihr gesamtes Leben zurücklassen. Sie könnte nicht einmal mehr in die Villa, die wenigen Habseligkeiten holen, die ihr gehörten. Die grüne Tunika... Seufzend schob sie den Armreif wieder über ihr Handgelenk. Wenigstens der blieb ihr.


    "Ich komme mit." Drei einfache Worte und doch tat es ihr im Herzen weh. "Ich will nicht, dass sie dich bestraft. Du hast nichts Schlimmes getan. Wir beide nicht. Aber ich kenne Faustina. Sie wird uns keine Sekunde mehr aus den Augen lassen. Wahrscheinlich dürfte ich dich wirklich nicht mehr sehen. "

    Er hatte recht, das waren tatsächlich keine rosigen Aussichten für ihn. Aber konnte sie Faustina einfach so verlassen? Sie waren wie Schwestern, mehr als das. Wenn sie mit ihm ging, würde sie sie nie wiedersehen. Wenn sie blieb, würde sie Aretas nie wiedersehen. Wieso nur musste er sie vor solch eine Wahl stellen? Sie wollte nicht weg, hatte gehofft, er würde bleiben, bis er wirklich frei war. Dann hätten sie in seine Heimat gehen können, ohne Angst, entdeckt zu werden.


    Seufzend hielt sie noch immer den Armreif in den Händen, stand dann ebenfalls auf. "Jetzt sofort? Und wenn ich dich bitte, zu bleiben?" Sie erwartete keine Antwort, denn ihr war klar, dass er auch ohne sie gehen würde. Für ihn gab es nur diesen einen Weg. "Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst? Das vorhin, es war nicht alles gelogen. Ich bin mit Faustina aufgewachsen, als wären wir Schwestern. Zwischen uns ist weit mehr als das. Wenn ich mit dir gehe, darf ich sie nie wiedersehen. Ich darf mich nicht einmal von ihr verabschieden. Und wenn ich bleibe... " Egal, für was sie sich entschied, es würde ihr das Herz brechen.


    Dann blieb immer noch eine Frage. "Wie willst du überhaupt aus Rom herauskommen? Und was, wenn sie uns erwischen? " Zwei Fragen... aber berechtigt. "Faustina wird keinen von uns beiden am Leben lassen. Willst du so enden?" Wie sollte sie nur in so kurzer Zeit eine so große Entscheidung treffen? "Wie weit ist es bis Mantua?"

    Ihre Tränen versiegten, die letzten wurden von ihm weggewischt. "Ich weine nicht." Sie wußte nicht, ob sie enttäuscht oder wütend sein sollte. Wieso musste er sie so sehen? Wieso war er eigentlich schon wieder hier? Und überhaupt... "Du willst mit mir zusammenbleiben?" Ihre Stimme war ruhig, ausdruckslos. In ihrer Hand immer noch der Armreif. Den hielt sie ihm hin, ohne ihn anzusehen. "Bist du sicher? Du hast gedacht, ich hätte dir etwas vorgemacht. Vielleicht ist es ja so... "


    Natürlich war es das nicht, aber das sollte er ihr sagen. Und was redete er da von weggehen? Das konnten sie nicht, sie waren Sklaven. Was war mit Faustina? Auch, wenn sie ihre Domina war, und sie sicher war, dass die Bestrafung diesesmal noch heftiger ausfallen würde... sie hing an ihr. "Du warst also gar nicht bei den Urbanern. Und was ist mit deinem Versprechen? Du kannst nicht einfach weglaufen." Sie vermied, von ihnen beiden zu sprechen. "Wenn sie dich erwischen, bist du tot. Und einmal davon abgesehen, wie willst du das anstellen? Wovon willst du leben?" Das war doch wieder eine seiner spontanen Ideen, ohne Plan. Sie würden nicht weit kommen. Aber die Vorstellung, einfach wegzugehen, mit ihm zusammen, war ein schöner Traum. Doch es blieb eben nur das was es war, ein Traum.

    Ein leises Schluchzen war aus der Box neben der von Titan zu hören. Im Heu, an die Rückwand gelehnt, die Knie angezogen und mit den Händen umschlungen, lag ihr Kopf auf den Knien. Ein Häufchen Elend. Immer wieder spielte sie in Gedanken ihre Rückkehr in die Villa durch, das Gespräch mit Faustina. Und egal, wie sie es anfing, es endete immer auf die gleiche Weise. Die Enttäuschung in Faustinas Stimme, als sie ging, klang noch immer in ihr nach. Und Chio wußte, sie konnte es nicht ändern. Das tat weh. Jedes einzelne Wort, bevor sie gegangen war, tat weh. Und Aretas? Er hatte es tatsächlich geglaubt. Nachdenklich drehte sie den Armreif, nahm ihn dann ab. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Vorbei... alles vorbei.


    Mit dem Saum ihrer Tunika wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Sie sollte endlich nach Hause gehen, vielleicht fand sie doch eine Möglichkeit, wenigstens das Vertrauen ihrer Domina zurückzugewinnen. Die Bestrafung musste sie ertragen, aber dann könnte es vielleicht wieder werden, wie es einmal war... nur ohne Aretas. Die Augen füllten sich erneut mit Tränen. Noch immer hielt sie den Armreif in der Hand. Sie sollte ihn einfach liegen lassen. Gerade, als sie aufstehen wollte, hörte sie Aretas rufen. Leise duckte sie sich in die Ecke. Wieso war er schon wieder zurück? Sie wollte ihn jetzt nicht sehen. Am besten wäre, sie würde ihn nie wieder sehen.

    Chio war mindestens genauso schnell aufgesprungen, drückte sich ängstlich gegen die Boxenwand. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit, dass ihre Domina heute schon und vor allem, zu so früher Stunde, den Stall inspizieren würde. Kein Wort brachte Chio heraus, konnte nur erschrocken zuhören, wie Aretas sich verzweifelt versuchte, herauszureden und Faustina wutentbrannt über ihn herfiel. Sie musste ihn beschützen, irgendwie...


    "Domina, bitte, er spricht die Wahrheit." Entschlossen ging sie auf sie zu. Die Gerte in ihrer Hand machte Angst, aber davor würde sie sicher nicht verschont bleiben. Chio schluckte schwer. "Es ist nicht seine Schuld. Es gab da einen Vorfall, ich hätte es dir gleich erzählen sollen, aber die Hochzeit... Ich wollte dich nicht mit Unannehmlichkeiten vor der Feier belästigen. Aretas muß drei Tage die Woche bei den Urbanern arbeiten, ich bin hier, um sicherzugehen, dass er das auch tut. Bitte.. Domina... " Sie senkte demütig den Kopf, nahm die Hand ihrer Herrin, kniete sich zu deren Füßen. "Es ist wirklich nichts passiert, er hat mich nicht angefasst, ich.. ich... " Ein verzweifelter, kurzer Blick zu Aretas. Er würde es niemals verstehen. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während sie Faustinas Hand an ihre Wange legte und zu ihr hochsah. ".. ich liebe doch nur dich."


    Chio wagte nicht, Aretas anzusehen. Nur mit Mühe konnte sie sich davon abhalten, aufzuspringen, ihm in die Arme zu fallen und ihm zu sagen, dass es gelogen war. Natürlich gehörte ihre Liebe ihrer Domina, ein großer Teil aber mittlerweile Aretas. Darüber mit Faustina zu reden musste warten. Wenn es überhaupt noch nötig war, nach dem, was sie Aretas gerade antat. Chio senkte den Blick erneut, wollte keinen der beiden ansehen und betete, dass die Strafe für Aretas nicht ganz so heftig ausfallen würde.

    Puh, geschafft... Chio war gerade rechtzeitig wieder auf der Feier erschienen, um ihrer Domina zur Verfügung zu stehen. Die sah sich schon suchend um. Abwartend blieb Chio am Rand stehen, folgte ihr mit den Augen, um nicht zu verpassen, sollte sie es sein, nach der sie verlangte. Und dann würde Faustina es hoffentlich nicht riechen, wo sie gewesen war. Es war ein ganzes Stück weg, genug, um auf dem Rückweg ordentlich durchzulüften. Und lange war sie schließlich auch nicht dort gewesen. Egal, Faustina hatte im Moment, wie es schien, ohnehin nur Augen für ihren Macer. Ein klein wenig Eifersucht schlich sich in ihr Herz, obwohl sie sich doch freuen sollte für sie.

    Seine Hand, die eben noch unbeschreibliche Gefühle in ihr auslöste, wurde energisch gestoppt. Genervt setzte sich Chio auf, sah ihn vorwurfsvoll an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. "Du wirst dich mit niemandem mehr beschäftigen können, wenn du dort nicht hingehst. Weder mit mir, noch mit den Pferden. Dann sitzt du wieder in dieser ekligen Zelle, allein. Denkst du eigentlich nie über das nach, was du vorhast?" Unfassbar. Chio lehnte sich enttäuscht an die Rückwand der Box. Die schöne Stimmung war dahin.


    "Was meinst du, wird passieren, wenn du dort nicht auftauchst? Genau darauf wartet dieser Ofella doch nur. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hättest du niemals gehen dürfen. Dann wärst du jetzt nicht hier... bei mir." Etwas versöhnlicher rutschte sie wieder zu ihm. "Bitte, du musst dort wieder hin. Wenigstens bis Faustina wieder da ist." Das wäre jetzt der geeignete Moment gewesen, ihm von ihrer Rückkehr zu erzählen. Aber sie wollte doch die Pferde... Und mit Faustina musste sie auch unbedingt reden. Wenn sie wieder zurück in der Villa war, nahm sie sich fest vor. Hätte sie gewußt, dass ihre Domina bereits im Stall war, wäre sie wohl besser schnell verschwunden.

    Sie hielt das Zaumzeug noch in der Hand, als er sie in die leere Box zog. Schnell legte sie es noch über die Trennwand, ob es herunterfiel oder nicht war ihr gerade sowas von egal. Nur zu gern ließ sie sich mit ihm ins Heu fallen, Protest gab es erstmal keinen. Verliebt sah sie ihn an. "Ich bin nur froh, dass ich dich wiederhabe... " Schon trafen sich ihre Lippen, vereinten sich zu einem immer wilder werdenden Spiel. Das Verlangen nach ihm wurde wieder so stark, dass sie alles um sich herum vergaß. Seine Hand, die über ihren Körper wanderte, seine Nähe, seine Wärme. Ihr Atem ging schneller. Wie von selbst fand auch ihre Hand ihren Weg, strich sanft über seinen Rücken, wanderte tiefer, erkundete das Neue, Unbekannte, ihr Herz schlug wie wild. Noch war da die Angst. Irgendwann würde das Verlangen darüber siegen, nicht heute. Und da war noch etwas anderes.


    Eng an ihn geschmiegt, löste sie sich widerwillig von ihm. Atemlos, die Wangen gerötet, wollte sie ihn am liebsten an der Hand nehmen, mit ihm wieder aus der Stadt laufen, den Tag nur mit ihm alleine verbringen. Sie wußte, es ging nicht. Er musste zur Wache, sie wollte sich um die Pferde kümmern. Liebevoll strich sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht. "Wir sollten anfangen, du darfst nicht zu spät kommen." Noch ein Kuss... und noch einer... sie wollte einfach nicht aufstehen.

    Sie rannte fast, als sie auf dem Weg zum Stall war. An diesem Morgen war es gar nicht so einfach, so früh aus der Villa zu kommen. Nun musste sie Aretas unbedingt noch erwischen, sie wollte doch endlich lernen, so einen Wagen zu fahren. Auch, wenn es wohl noch eine Weile dauern würde. Faustina hatte sie immer noch nichts von den Urbanern erzählt. Das schlechte Gewissen nagte, aber sie redete sich ein, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt war. Eigentlich war es nur ihr eigener Egoismus.


    Chio ging durch den Stall, begrüßte erst einmal Aisha und schenkte ihr einen Apfel, bevor sie weiterging. Aretas wartete schon. Nicht rennen, sie wollte die Pferde ja nicht erschrecken. Endlich war sie bei ihm, begrüßte ihn mit einem Kuss. "Entschuldige, ich bin ein bisschen spät. Hast du ihm schon erklärt, dass er lieb zu mir sein soll?" Bewundernd beobachtete sie Titan, lehnte sich an seine Box. Er war wirklich faszinierend. Auch für ihn hatte sie einen Apfel in der Hand, behielt ihn aber noch für sich. Sie war heute wirklich gut gelaunt. Das lag vielleicht daran, dass Aretas ihr am Abend davor nicht ausreden wollte, die Pferde zu trainieren. Grinsend drehte sie sich wieder zu Aretas um. "Hat er dir auch gesagt, dass du lieb zu mir sein sollst?"

    Der offizielle Teil war vorbei, Faustina mit dem Brautpaar und den anderen Gästen beschäftigt. Das war vielleicht die beste Gelegenheit, für eine Weile zu verschwinden. Erst einmal ein bisschen zurückziehen, sich unter die anderen Sklaven mischen und abwarten. Feiern wollte sie schließlich auch ein bisschen, wenn sich schon einmal die Gelegenheit bot. Als sie sicher war, dass ihre Domina sich nicht nach ihr umsah, schlüpfte sie durch die Tür und war weg.... nur für eine Weile. Vielleicht, wenn sie später zurückkam, fand sich auch noch eine Gelegenheit, kurz mit der Braut zu sprechen. Es gab da noch etwas, das sie brennend interessierte.

    Chio jubilierte innerlich. Er wollte ihr das Training gar nicht ausreden. Glücklich umarmte sie ihn noch fester. Ihr war schon klar, dass die Pferde sie erst kennenlernen mussten, sich an sie gewöhnen. Genau deshalb stand sie auch hier. Natürlich auch wegen Aretas. Seine Nähe hatte sie so lange vermisst. Über seinen Bericht war sie weniger glücklich. Was konnte sie nur tun, ihn wieder aufzubauen. Aufmunternd sah sie zu ihm hoch, strich ihm liebevoll durchs Haar. "He, lass dich nicht so hängen. Dass sie dir dort eine unwürdige Arbeit geben würden, war doch klar. Du schaffst das schon, und wenn Faustina wieder da ist, dann musst du auch nicht mehr dort hin." Wenn er wüßte, dass sie mittlerweile zurück war... Chio hätte es ihm sagen sollen, vielleicht auch, dass sie sich davongeschlichen hatte, um hierherzukommen. Dann würde er ihr das Training sicher verbieten. Also schwieg sie lieber. Faustina wußte schließlich auch noch nichts von dem Vorfall und erst recht nicht von Aretas und ihr. Es war auch noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Bestimmt morgen...


    Zu schade, dass Aretas Recht hatte und es an diesem Abend schon zu spät war. Und so langsam sollte sie auch wieder zurück, bevor man ihr Fehlen bemerkte. "Ich komme morgen ganz früh, dann kannst du mir noch zeigen, was ich tun kann, um die Pferde an mich zu gewöhnen." Eng schmiegte sie sich in seine Arme. Wenn es nach ihr ginge, sie würde am liebsten bei ihm bleiben. "Ich muss jetzt leider gehen." Chio stellte sich auf die Zehenspitzen, gab ihm einen langen, zärtlichen Kuss. Dann lächelte sie verschmitzt. "Du hast übrigens mehr, als dir zusteht... du hast mich."

    Endlich... glücklich fiel sie in seine Arme, hielt ihn fest. Warum war sie wohl hier? "Ich hab auf dich gewartet, hast du das vergessen?" Sein Blick verhieß nichts gutes. Das sollte sie auch gleich erfahren. Es bleibt bei der Absprache und dem Termin? Verblüfft starrte sie ihn an. "Der Miles? Welche Absprache? Welcher Termin?" Voller Entsetzen fiel ihr wieder ein, was er von ihr wollte, um sie zu Aretas ins Gefängnis zu bringen. Aber sie hatte ihm doch nie etwas zugesagt. Angestrengt dachte sie nach. Nein, sie hatte ihm niemals auch nur andeutungsweise irgendetwas zugesagt. "Ich habe mit ihm gar nichts ausgemacht. Ehrlich. Das mußt du mir glauben. Er wollte... ich sollte ihn bezahlen, dafür, dass er mich zu dir bringt. Dann brachte er mich aber zum Centurio, ohne noch ein Wort darüber zu verlieren." Nachdenklich lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Der Kerl von der Wache dachte doch nicht wirklich, sie würde sich noch einmal freiwillig in dessen Nähe begeben. Aber Faustina, sie sollte davon erfahren, bevor sie zum Centurio ging. Zufrieden über ihren Plan, sah sie wieder zu Aretas hoch. Das Thema war zumindest für sie damit erledigt. "Wie geht es dir denn? Was mußtest du tun heute? War es sehr schlimm?"

    Am nächsten Abend kam sie wieder. Sie hielt ihre Versprechen. Auch, wenn sie wußte, was er sagen würde, es war ihr egal. Sie wollte nicht aufgeben. Sie wollte, dass er eines Tages wieder frei war. Selbst, wenn das bedeutete, dass er ging... ohne sie. Nein, daran durfte sie nicht denken, nicht jetzt. Er wollte sie nie alleine lassen. Langsam ging sie durch den Stall, zuerst zu Aisha, schenkte ihr die Streicheleinheiten, die sie selbst schon so lange vermisste. Dann seufzend weiter. Aretas war nirgends zu sehen. Vielleicht war er noch bei den Urbanern. Für einen Moment schlich sich zu ihrer Sehnsucht noch die Besorgnis, er könnte wieder irgendeinen Blödsinn machen, der ihn in Schwierigkeiten brachte.


    Dann standen sie vor ihr, die Pferde seines Gespanns. Darunter Titan, schnaubend, als wollte er sagen, du bist hier falsch. War sie nicht, das würde er schon noch erkennen. Sie blieb einfach bei ihm stehen, berührte ihn nicht, sprach nicht, beobachtete ihn nur. Er war wundervoll. Schon, als sie ihn das erste mal sah, hätte sie gerne ihn gehabt, nicht Aisha. Gemein, das zu denken. Aisha war so etwas wie eine Freundin. Aber Titan... Chio blickte sich um. Wo blieb er denn nur? Bevor es dunkel wurde, sollte sie wieder zurück in der Villa sein.

    Als Leibsklavin gehörte natürlich auch Chiomara zu dem kleinen Gefolge um Tiberia Faustina. In ähnlichem blau gekleidet, nur weniger kostbar und unauffällig frisiert, blieb sie ein paar Schritte hinter ihr, jedoch nahe genug, dass ihr nichts entging. Genauso wollte es ihre Domina. Neugierig sah Chio sich um. Wann kam man schon einmal zu einer solch wichtigen Hochzeit. Beeindruckend... aber sie sollte ihre Aufgaben nicht aus den Augen verlieren. Also blieb sie aufmerksam und beobachtete das Geschehen, suchte in der Menge nach bekannten Gesichtern. Und natürlich war sie gespannt auf Faustinas Macer. Immerhin hatten die beiden sich auch lange nicht gesehen.

    Sie gab auf. Er würde nie verstehen, was sie ihm sagen wollte, genausowenig, wie sie ihn verstand. Es tat ihr nur weh, dass er alles aufgegeben hatte. Noch mehr traf sie aber die Erkenntnis, dass es ihre Schuld war. Und je mehr er auf sie einredete, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht mehr mit ihr zusammensein wollte. Ich bin immer für dich da... der Kuss auf die Wange... waren das nicht Worte und Gesten für einen Freund? Aber nur für einen Freund wäre sie nie soweit gegangen. Enttäuscht nickte sie und drehte sich um.


    Als er schon im Gehen war, fiel ihr noch etwas ein. "Warte... die Pferde. Heute ist es zu spät, aber morgen abend bin ich wieder hier. Du zeigst mir, wie es geht und ich übernehme das Training, wenn du nicht da bist. Und bevor du irgendetwas sagst, ich habe noch was gut bei dir. Also versuch gar nicht erst, es mir auszureden." Sie sah ihn eindringlich an. Wenn er alles aufgeben wollte, sie würde das niemals tun. "Und was deine Träume angeht. Wenn du meinst, du mußt sie begraben, gut. Aber ich werde niemals aufgeben." Damit drehte sie sich um und ging.

    Chio drückte Faustina, so fest sie konnte. Sie endlich wieder umarmen, ihre Wärme spüren. Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr ihr das gefehlt hatte. Für einen Moment vergaß sie alles, erwiderte den Kuss leidenschaftlich und gab sie nur ungern wieder frei. "Natürlich, Domina." Sie nahm die Kleider, half ihr beim Umziehen, erzählte nebenbei von allem, was passiert war. Von der Kleinen, von den Geschehnissen in der Villa, von Flora, alles, was ihr einfiel, und das war eine Menge. Während sie ihre Haare kunstvoll aufsteckte, überlegte sie, ob es sinnvoll war, ihr noch vor der Hochzeit von Aretas und vor allem, von dem Vorfall auf der Wache zu erzählen. Sie entschied sich dagegen. Das würde Faustina nur die Laune und den Tag verderben. Und bis morgen würde sich schließlich nichts ändern. Vielleicht hatte sie auch auf der Hochzeit kurz die Gelegenheit, mit Flora zu sprechen. Chio hätte vorher gerne erfahren, was wirklich passiert war. Heute wollte sie noch das Wiedersehen mit ihr genießen.


    Die Haare waren fertig, perfekt. Faustina sah umwerfend aus in dem Kleid. Noch etwas Schminke und die Männer würden ihr in Scharen zu Füßen liegen. Vor allem einer.. dachte Chio und musste schmunzeln. Selbst Faustina war nicht so brav, wie man es von ihr erwarten würde. Nachdem sie ihre Herrin so festlich herausgeputzt hatte, begutachtete sie das Gesamtwerk. "Du siehst wunderschön aus."

    Chio war beschäftigt, eine Hochzeit stand an, ein neues Familienmitglied zog ein, da gab es viel zu tun und jeder musste mithelfen. Als sie jedoch hörte, dass Faustina zurück war und nach ihr verlangte, ließ sie alles stehen und liegen. Eilig hastete sie durch die Gänge, riss die Tür auf und da stand sie. "Faustina.... ich meine, Domina... du bist endlich zurück." Freudestrahlend lief sie auf sie zu, wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen, blieb aber direkt vor ihr stehen. "Ich habe dich so vermisst." Selten waren sie so lange getrennt, da war die Wiedersehensfreude groß. Und es gab soviel zu erzählen. Sie könnte sofort loslegen, auch wenn einiges für sie wohl nicht so erfreulich werden würde.

    Ein Ruck, die Tür ging auf. Schon wurde sie gepackt und gegen die Wand gedrückt. Sie wollte sich losreißen, er ließ ihr keine Chance, hielt sie fest. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, während er sie so eindringlich ansah, ihr die andere Seite der Situation klarmachte, die sie so gerne verdrängte. Dann endlich nahm er sie in den Arm, ihr war egal, ob er nass war oder nicht. Sie wollte doch nur bei ihm sein. "Ich weiß." Schluchzend lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. "Ich weiß, du hast ja recht." Erst, als sie sich langsam beruhigte, sah sie zu ihm hoch, suchte seinen Blick. "Ich will doch nur, dass du die Hoffnung, deine Träume nicht ganz aufgibst. Du kannst es schaffen, du wirst es schaffen, du wirst wieder frei sein. Irgendwann." Und vielleicht, wenn du mich dann noch willst, und genug Geld hast, kannst du mich freikaufen... dachte sie den Satz zuende. Aber ob Faustina sie gehen lassen würde? Chio verdrängte den Gedanken wieder. "Bis dahin solltest du dich damit abfinden, dass es so ist, wie es ist. Du machst es dir leichter, und... wenn du tust, was sie sagen, dann wird Faustina auch nichts dagegen haben, dass wir zusammen sind. Ich weiß ja, wie schwer dir das fällt. Du warst einmal frei, du weißt, wie das ist. Ich war noch klein, als ich zu Dolabella kam. Ich kenne es nicht anders. Aber ich weiß auch, wie andere Sklaven behandelt werden. Ich will nicht, dass es dir auch so geht." Sie flehte ihn regelrecht an mit ihrem Blick. Mehr wollte sie doch nicht, noch nicht. Einfach nur bei ihm sein, ihn lieben, ihm nahe sein. "Und wenn du doch lieber sterben willst... dann lass mich hier ja nicht alleine zurück." Chio versuchte ein Grinsen. Nein, alleine zurückbleiben, das wollte sie niemals. Mit ihm hat sich alles, ihr ganzes Leben, verändert.

    Ja, er war frei. Ihm schien das nicht zu gefallen. Chio sah ihm nach, blieb verwirrt bei Aisha zurück. Sie konnte doch jetzt nicht einfach so gehen. Sie tat es doch. Draussen vor dem Tor blieb sie stehen, drehte sich nachdenklich um. Er war wütend... das konnte sie ja verstehen. Aber so? Chio ging zu Aisha zurück, strich ihr sanft über den Hals, lehnte den Kopf an sie. "Tut mir leid, du kannst ja nichts dafür."


    Dann ging auch sie Richtung Balneum. Bevor sie gehen konnte, mußte sie erst ihren Ärger loswerden. Den Eimer vor der Tür ignorierte sie, öffnete die Tür trotzdem vorsichtig, um nachzusehen, dass wirklich Aretas dort drinnen war. Sie schloß die Tür hinter sich und baute sich vor ihm auf. "Sag mal, was glaubst du eigentlich, wer du bist? Hm? Glaubst du wirklich, die hätten dich jemals gehen lassen, wenn du auf dein Recht bestanden hättest? Du BIST nunmal Sklave und dir geht es doch wirklich gut hier. Du hast einen Raum, nur für dich alleine, du kannst tun und lassen, was du willst, wenn du deine Arbeit ordentlich machst. Du hast sogar Geld. Und die Aussicht, irgendwann einmal frei zu sein. Das ist mehr, als ich jemals haben werde. Ich war tatsächlich so dumm zu glauben, du wärst lieber hier als im Gefängnis. Da habe ich mich wohl getäuscht. Und ich hätte fast... "


    Die Wut war weg, nun kam die Traurigkeit. Sie hätte alles für ihn gegeben, und er? "Ich versteh dich wirklich nicht. Du sollst dich doch nicht völlig aufgeben. Manchmal muß man eben etwas tun, das einem schwer fällt. Ich weiß, wieviel Überwindung dich das gekostet hat. Und es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe vor den Männern." Das tat ihr erhlich leid. Sie hätte ihn nicht dermaßen bloßstellen dürfen. Aber hatte sie eine Wahl gehabt? Seufzend zuckte sie mit den Schultern, ging zur Tür. "Wenn ich gewußt hätte, dass du lieber gestorben wärst... ich hätte besser nicht nach dir suchen sollen." Schnell schloß sie die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen. Ihre Tränen sollte er nicht sehen. Wie hätte sie sich keine Gedanken um ihn machen können, wie hätte sie nicht nach ihm suchen können... Sie musste nach Hause, sie wollte hier nur noch weg.