Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    Hadamar sprang auf, als die Tür aufging, und sah Corvinus entgegen. Und dann kurz auf den Boden zu seinen Steinen. „Och“, machte er mit einem Achselzucken. „Kannst auch liegen lassen, dann sammel ich das nachher ein.“ Er unterdrückte ein Gähnen, nickte Corvinus kurz zu und verschwand dann durch die Tür nach drinnen.


    Im Büro des Legaten angekommen salutierte er ein weiteres Mal an diesem Abend vor dem Mann. „Miles Duccius Ferox meldet sich... ich konnte den anderen Teil deines Auftrags nicht ausführen. Der Tesserarius der Centuria V, Cohors II hat heute Abend Freigang und ist nach dem Wachdienst in die Stadt gegangen. Ich hab den Torwachen gesagt, ihn bei seiner Rückkehr zu informieren, dass er sich morgen Früh hier melden soll.“ Was, hoffte er, richtig gewesen war. Immerhin konnte der Kerl die Götter wussten wie spät erst wieder kommen... und irgendwann würde der Legat ja wohl sicher auch schlafen gehen.

    „Ja... zu den Mattiakern haben wir recht gute. Und die anderen Stämme... Mei, man trifft sich halt hin und wieder, hält Kontakte. Vor allem auf Things.“ Bei denen waren die Wolfrikssöhne ja auch immer dabei. Und was hatten seine Leute vom letzten berichtet? Genau, dass es Ärger gegeben hatte. Und war im Grunde auch logisch mit wem. „Die Chatten sind immer für Ärger gut... Entweder muss hier wer bleiben, oder die müssen sonst wie im Zaum gehalten werden.“ So sehr Hadamar erst hatte lernen müssen, sich in das Gefüge einer Legio einzugliedern, so selbstverständlich gab er sich nun, wo es um die germanischen Stämme ging. Obwohl er hier geboren worden war, obwohl er das Bürgerrecht von Geburt an gehabt hatte, waren es doch die Angelegenheiten der Stämme, die bei ihm Zuhause vorgeherrscht hatten. Römische Verwaltung – das war erst wirklich im Unterricht zum Thema geworden. Mit den Stämmen allerdings kannte er sich aus.


    „Götter ist der lang“, ächzte Hadamar und starrte halb in gespieltem, halb in echtem Entsetzen auf den Brief, den Corvinus ihm in die Hand drückte. „Mal ehrlich, wie kann jemand freiwillig so viel schreiben?“ Er verdrehte die Augen, drehte sich halb um, so dass er sich gegen den Tisch lehnen konnte, und warf Corvinus über die Schulter noch einen Blick zu. „Klar. Von mir erfährt da keiner der Kameraden was.“ Er grinste ihm noch schief zu und brummelte was, das verdächtig nach scheiß auf Übung klang – und vertiefte sich dann in den Brief. Und las. Und las. Und las.


    Und las noch eine ganze Weile weiter, mal mit sich dazu bewegenden Lippen, mal nicht, mal mit einem Schmunzeln auf den Lippen – vor allem anfangs –, die meiste Zeit aber mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck. Bis er schließlich wieder aufsah, zu Corvinus. „Das is... das klingt nicht gut.“

    Während Hadamar zuhörte, stellte er fast schon überrascht fest, dass ihm das ein oder andere tatsächlich bekannt vorkam. Er hatte ja nicht geglaubt, dass er sich an die Sachen aus dem drögen Unterricht würde erinnern können – und schon gar nicht, dass der sogar zu was nütze sein würde. Jedenfalls dann, wenn man das in irgendeinen praktischen Kontext setzen konnte... Hadamar nickte langsam und prägte sich ein, was Witjon erzählte, während er einen weiteren Zug aus seinem Krug nahm, der den Inhalt nun auch bei ihm zur Neige brachte.


    Witjons nächste Reaktion war dann beinahe noch fassungsloser als die davor. Und Hadamar war davon erst mal verdutzt. „Für. Eh. Jaaa...“, machte er gedehnt, um Zeit zu schinden, und versuchte sich dann selbst drüber klar zu werden, was Witjon meinte. „Aber... auf den haben wir unseren Eid geschworen. Und es geht um das Imperium. Wer das... in Zukunft beherrscht. Willst du da den an der Spitze haben, der den bisherigen Kaiser umgebracht hat?“ Er trank auch noch den letzten Schluck aus und stellte seinen Krug zu Witjons. „Also ist das Problem doch nur rauszufinden, wer's war. … Wie war das noch mal mit diesen Proskriptionslisten?“ Corvinus' Vetter hatte in seinem Brief auch irgendwas davon gefaselt. „Die da drauf stehen hat dieser Praefectus Urbi für die Mörder erklärt. Oder?“

    „Klar, kann ich machen“, nickte Hadamar. „Ich quetsch das gleich in der Früh dazwischen und guck sie mir an.“


    Auch Hadamar runzelte leicht die Stirn, während er sich mit beiden Händen durch die Haare fuhr. „Marschieren. Wohin? Gegen wen? Weiß das überhaupt schon jemand?“ Er schnaubte. „Was hat dir dein Vetter denn geschrieben? Welche Gerüchte machen sich breit?“

    Hadamar blieb stumm im Hintergrund stehen und rührte sich nicht, während Corvinus mit dem Scriba sprach. Er schwieg auch weiterhin, als er feststellte dass dieser Linos auch hier war. Dessen Reaktion überraschte ihn überhaupt nicht, so wie er den mittlerweile nun kennen gelernt hatte, hätte es ihn eher gewundert wenn der mal zur Abwechslung einfach getan hätte, was ihm jemand sagte... ohne nen blöden Spruch dazu. Erst als der Scriba was von Einpacken sagte, trat Hadamar vor. „Jawoll“, gab er sein Garum dazu, schnappte sich einen der Leinensäcke und machte sich ohne viel Federlesens daran, das Geld einzupacken. Und konnte sich dann doch einen Spruch nicht verkneifen, als er den letzten Kommentar des Sklaven hörte: „So langsam lernst du ja die richtige Ansprache“, flachste er grinsend.

    Hadamar konnte sehen, was seine Worte bei Witjon auslösten, und das holte ihn ein bisschen wieder auf den Boden zurück. Genug jedenfalls, dass er ahnte dass es besser war, den Mund zu halten über das, was er darüber dachte. „Vescularius. Das... ist...“ Er kratzte sich am Kopf. Wie sollte er selbst das alles auch nur annähernd einschätzen können, wenn er keine Ahnung hatte, wer was war und warum? „Kannst du mir erst mal in Kurzform erklären, wer da überhaupt was ist? Und wie das zusammenhängt?“ Er kratzte sich wieder am Kopf und sah Witjon zögernd an. „Das... also... Ich weiß nicht, ob ich da überhaupt was drüber sagen darf. Das bleibt unter uns, ja?“ Nachdem er sich dessen versichert hatte, fuhr er fort: „So wie ich das begriffen hab, hält der Legat den... diesen... der in Rom das Sagen hat für den Mörder. Und er glaubt, dass der Treue einfordern wird von den Truppen. Was der Legat ihm aber verweigern will. Er... will...“ Was hatte er noch gesagt? „... dass der Mörder bestraft wird. Und dann meinte er noch, dass wir den Eid auf den Kaiser geschworen haben. Valerianus. Und solange es keinen Nachfolger gibt, also keinen richtigen, regulären, gilt unser Eid nach wie vor ihm.“

    Hadamar presste die Lippen aufeinander, während er Witjon zuhörte. Er hatte gehofft, sein Onkel wüsste mehr über die ganze Sache, wenigstens ein bisschen. Er ließ sich zurückfallen, bis sein Rücken die Lehne berührte, und nahm noch einen Zug, einen tiefen diesmal. Er dachte an das, was der Legat gesagt hatte: wir folgen keinem Kaisermörder. Er neigte sich wieder nach vorn und stützte seine Unterarme auf den Oberschenkeln ab, den Krug Bier in seinen Händen. „Die Secunda wird marschieren“, antwortete er, mehr in den Krug hinein – und erst in diesem Augenblick, in dem er das aussprach, wurde es ihm wirklich bewusst. Die Secunda würde marschieren... wenn der Kaisermörder, oder der, den der Legat dafür hielt, sich selbst zum Kaiser machen würde. Anders ließen sich die Worte des Legaten beim Appell nicht erklären. „Bei dem Appell, wo wir von der ganzen Sache erfahren haben... da hat der Legat gesagt, er folgt keinem Kaisermörder.“ Nachdenklich starrte Hadamar wieder in den Krug hinein, unschlüssig, was er davon halten sollte. Es kribbelte. Natürlich war ihm irgendwie bewusst, dass er sich wohl besser wünschen sollte, die Secunda würde nicht involviert werden – schon gar nicht wo er selbst keine Ahnung hatte, was die richtige Seite war, weil er das gar nicht einschätzen konnte. Und selbst wenn er es gekonnt hätte... hatte er ja kaum eine Wahl als seinem Legaten zu folgen. Aber... es kribbelte. Die Aussicht auf einen Kampf... auf Aufregung, auf Abenteuer... er war nicht deswegen zur Legio gegangen, das waren Sönkes Träume gewesen – er hatte sich gemeldet, weil er einfach das Gegenteil von dem hatte tun wollen, was seine Familie gewollt hatte. Aber das hieß noch lange nicht, dass ihm diese Aussichten nicht gefallen würden, ganz im Gegenteil. Das Manöver war schon ein Abenteuer gewesen, was würde es erst sein, wenn sie wirklich in einen Krieg zogen?`Hadamar, der in seinem Leben in noch keinem schlimmeren Kampf als einer handfesten Prügelei gesteckt hatte, der noch nie gesehen hatte wie andere um ihn herum umgebracht wurden und der schon gar nicht selbst jemanden getötet hatte bisher, stellte fest, dass er sich... nun ja... darauf freute, dass die Secunda möglicherweise losziehen würde. „Wen hältst du für den Mörder?“

    Zitat

    Original von Herius Claudius Menecrates
    Er blickte auf, als es klopfte, aber obwohl er noch vor Augenblicken dringend den Tesserarius erwartete, der wohl inzwischen vor der Tür stand, rief er nicht 'herein'. Für das kommende Gespräch wollte er ungestört bleiben. Das Licht der Öllampe drang unter der Tür durch, sodass der wartende wissen konnte, dass das Officium besetzt, aber gleichzeitig nicht frei für ihn war.


    Er hatte geklopft. Kräftig genug, dass es drinnen zu hören gewesen sein musste. Und das Licht, das durch den Türspalt unten hindurch drang, deutete darauf hin, dass da auch noch wer drinnen war, genauso wie das Stimmengemurmel, das er hören könnte. Allerdings kam keine Reaktion auf sein Klopfen... was wiederum nur einen Schluss zuließ: der Legat wollte gerade nicht gestört werden. Jedenfalls interpretierte Hadamar die Tatsache so – vorhin hatte er auch nicht geantwortet, aber da war die Tür offen gewesen, und jetzt war sie zu. Und er wusste ja, dass gerade Corvinus da drin sein musste... Hadamar seufzte und kratzte sich am Kopf. Am liebsten wäre er gegangen und hätte sich auf seine Pritsche gehauen, um endlich schlafen zu können. War aber keine Option, nicht mit dem unerfüllten Auftrag. Nach einem kurzen Moment also, in dem er da stand und ein wenig frustriert die geschlossene Tür anstarrte, hinter der nach wie vor kein Herein erklang, ließ er sich an der Wand entlang zu Boden sinken, zog den Beutel mit seinen Spielsteinen vom Gürtel und tat das, was er häufig tat, wenn er irgendwo warten musste: er vertrieb sich die Zeit mit einem Spiel. Genauer gesagt vertrieb er sich die Zeit damit, sich mit komplexeren Aufstellungen und komplizierteren Spielzügen zu beschäftigen, sie sich auszudenken, sie zu lösen, Wege zu finden, wie er eine Falle stellen und aus kniffligen Situationen heraus kommen konnte. Er brauchte dringend einen Spielpartner, der mehr als nur die einfachen Grundzüge beherrschte.

    Hadamar grinste schief. Seine Tante Eila hatte ihm immer irgendwie Respekt eingeflößt, aber dass Witjon da genauso wenig sagen konnte, hätte er nicht gedacht – früher jedenfalls nicht, als er noch kleiner gewesen war. „Sag ihr mal nen schönen Gruß von mir.“


    Als er dann allerdings auf den eigentlichen Grund seines Besuchs zu sprechen kam, musste Hadamar feststellen, dass er enttäuscht wurde. Witjon wusste nichts. Wenn überhaupt schien er sogar noch weniger zu wissen als er selbst, der immerhin beim Appell vom Legat das ein oder andere gehört hatte. „Und... was hältst du davon? Was denkst du? Ich meine...“ Hadamar biss sich kurz auf die Unterlippe, unschlüssig, ob er weiter reden sollte. Er wusste nicht, ob er da überhaupt was sagen durfte, aber er wusste immerhin, dass das Eis dünn war, wenn er mit jemandem über etwas sprach, was die Legion anging, der nicht der Legion angehörte. Aber das war Witjon. Familie. Sippenoberhaupt. „Ich weiß nicht ob das uns nicht bald betreffen wird. Und ich wüsst gern... mehr.“

    „Mach ich“, nickte Hadamar. „Mit Maultieren? Schon, ja. Worum geht’s?“


    Auf die Bemerkung hin, dass Corvinus nichts von Witjons Position gewusst hatte, brummte Hadamar nur. So lange der Kumpel nicht fragte, hatte er nicht vor zu erklären, warum er davon bisher nichts erzählt hatte. War ihm einfach lieber so, wenn das kein großes Thema war – und erst recht nicht die Runde machte. „Ja, genau das hoff ich auch. Ich mein... was die falsche Seite angeht, haben wir wohl kaum ne andere Wahl als unserm Legat zu vertrauen...“ Was sollten sie auch sonst tun? Desertieren? Das war keine Option. „... aber mich nervt einfach diese... diese Ungewissheit. Und nichts tun zu können, außer abzuwarten.“ Und mit Witjon reden war wenigstens irgendetwas.

    Hadamar trank einen Schluck und musterte Witjon, und ein wenig verblüfft stellte er fest, dass ihn sogar interessierte, wie es lief bei ihm und der Familie. Kannte er gar nicht von sich... aber vielleicht lag das daran, dass er zum ersten Mal etwas von Witjon wissen wollte, etwas, was in direktem Zusammenhang mit seiner Arbeit, seiner Position stand. Dass er zum ersten Mal begriff, dass das nicht einfach von den Göttern gegeben war, sondern nur wenige hatten – und wirklich etwas brachte. Er räusperte sich und grinste dann. „Eila ist wieder da? Was hat sie für Pläne?“ Er trank wieder, räusperte sich erneut. „Hör mal... wegen dieser... ehm, schlechten Neuigkeiten. Der Kaisermord und so. Deswegen bin ich gekommen.“ Hadamar machte eine kurze Pause, gab sich einen Ruck und fuhr fort: „Was weißt du darüber?“

    Obwohl er unruhig war, musste Hadamar trotzdem grinsen, als er Witjons Überraschung sah. „Ja, genau das“, antwortete er, immer noch grinsend, als Witjon ihn Legionarius nannte. Er hatte seiner Familie eine Nachricht zukommen lassen, hatte es aber nicht gewagt, um Freigang zu bitten, nachdem er nach seiner Beförderung ja erst mal die Strafe aufgebrummt bekommen hatte... irgendwie wäre das da... na ja, etwas frech gewesen, danach dann gleich wieder Freigang zu wollen. Was mittlerweile auch wieder eine ganze Weile her war schon, und seitdem hatte er nicht wirklich einen Grund gefunden, seine Familie zu besuchen. Besuchen zu wollen. Irgendwie hatte er sich einfach davor gedrückt nach dem letzten Krach, den er sowohl mit Witjon als auch vor allem mit seiner Mutter gehabt hatte.


    Zumindest Witjon allerdings schien ihm nichts übel zu nehmen, gemessen an seiner Reaktion, oder vielleicht war auch einfach nur Hadamars Taktik insofern aufgefangen, dass inzwischen genug Zeit vergangen war, dass er nicht mehr sauer war. „Ganz gut, ja“, antwortete er, nachdem er die Umarmung erwidert hatte, warf seinen Militärumhang, den er vorhin schon abgenommen hatte, über die Lehne des Stuhls und setzte sich dann. „Das Lagerleben ist... anstrengend. Nicht sonderlich abwechslungsreich. Aber es gefällt mir.“ Er neigte sich vor und schenkte sich von dem Bier ein, bevor er fragend zu Witjon sah, ob der was haben wollte. „Was ist mit dir? Ist hier alles in Ordnung?“

    Nach seinem Gespräch mit Corvinus hatte Hadamar sich auf den Weg gemacht, ohne sich vorher noch mal umzuziehen. Er war unruhig nach all dem, was zu hören war, und nachdem er jetzt die Erlaubnis bekommen hatte zu gehen, wollte er lieber früher als später mit Witjon reden. Und war er in voller Rüstung in der Casa Duccia eingetrudelt und stand jetzt, den Helm unter den Arm geklemmt, vor der Tür zu Witjons Officium und klopfte lautstark an, nur um gleich darauf einzutreten, ohne auf das Herein zu warten – mal abgesehen von den Offizieren ab Centurio aufwärts hatte er sich bei der Legio angewöhnt, auf solche Sperenzchen zu verzichten, weil das einfach jeder tat...

    Nachdem er mit Corvinus gesprochen hatte, hatte Hadamar sich also wieder auf die Suche gemacht. Zuerst zur Taberna im Castellum, in der Hoffnung, der Tesserarius würde dort sein. Aber dort hatte er ihn nicht gefunden, und es hatte ihn auch keiner gesehen. Dann zu den Thermen – aber da war er auch nicht aufzufinden. Und obwohl er sämtliche Wege im Laufschritt zurück gelegt hatte, wurde er langsam nervös, weil der Legat ziemlich deutlich gesagt hatte, dass er die zwei so schnell wie möglich sehen wollte – aber was sollte er tun, wenn er den Kerl einfach nicht fand? Hadamar zögerte einen winzigen Moment, aber in Anbetracht von Corvinus' Worten entschloss er sich, erst am Tor nachzufragen, wer das Castellum verlassen hatte, bevor er zu den Unterkünften ging. Und tatsächlich: dort erzählten sie ihm, dass der Tesserarius mit ein paar anderen das Lager verlassen hatte, um den Abend irgendwo in Mogontiacum zu verbringen. Oh, und damit angegeben dass sie am nächsten Tag den Vormittag auch noch frei hatten und der Abend damit lang werden würde, das hatten sie auch noch. Hadamar fluchte lautlos – und machte sich dann wieder auf den Weg zur Principia, zu der er Corvinus vorhin schon geschickt hatte. Blieb ihm ja nicht mehr viel anderes übrig, als noch mal beim Legat Bericht zu erstatten. Und so kam er zum zweiten Mal in der Nacht jetzt zur Principia und klopfte an die Tür.

    Hadamar zögerte kurz und gab sich dann einen Ruck. „Also, wenn du stattdessen Hilfe beim Schreibkram brauchst, gib Bescheid. Ich werd langsam besser mit dem Zeug, und so lang uns der Centurio fehlt... Na ja, also, falls du was brauchst: du weißt ja wo du mich findest.“ Er grinste ein wenig schief – und gleich darauf breit, als Corvinus ihm die Erlaubnis gab. Bis zu seinem nächsten offiziellen Freigang hätte es noch gedauert, zu vermutlich für das, was er vorhatte, und es freute ihn, dass Corvinus ihn gehen ließ. Bei der dann folgenden Frage kratzte er sich kurz am Kopf und zögerte kurz, bevor er zu einer Antwort ansetzte. Nicht, weil er Corvinus nicht vertraut hätte oder ihm nichts erzählen wollte – sondern weil er nicht so recht wusste, wie er anfangen sollte. Er hatte zwar hin und wieder von seiner Familie erzählt, von seiner Mutter und anderen Verwandten, wie sie ihn früher getriezt hatten wie Erwachsene Kinder eben so triezte mit Aufgaben und Vorschriften und Wünschen, und von seinen jüngeren Geschwistern, vom ganz normalen Familienleben eben. Aber er hatte bislang noch nie erwähnt, dass seine Familie in Mogontiacum nicht irgendwer war. Dass sie hier mittlerweile eine Menge Land besaßen. Dass sie mit der Freya Mercurioque große Teile des Handels in der Stadt kontrollierten und wirtschaftliche Verbindungen über Mogontiacum hinaus besaßen. Dass sie enge Verbindungen mit den Mattiakern hatten, die im Grunde die erste Bastion gegen feindliche Germanenstämme vor den Grenzen des Imperiums bildeten. Und dass Witjon Duumvir der Stadt war – nicht dass Hadamar wirklich genau wusste, was ein Duumvir einer römischen Stadt tat, aber er wusste, dass Witjon damit so etwas wie der Fürst von Mogontiacum war. Wenn auch auf Zeit. Hadamar hatte nichts davon erwähnt, seit er hier war, nie – weil genau das alles ja einer der Hauptgründe gewesen war, warum er sich überhaupt erst zur Legio gemeldet hatte. Weil er nicht wollte, dass ihm ständig die Errungenschaften seiner Familie vorgehalten wurden, weil er die Erwartungshaltung um sich herum nicht mehr ausgehalten hatte, weil er sein eigenes Ding hatte machen wollen, alleine, aus eigener Kraft, ohne dass seine Familie und deren Errungenschaften ständig über ihm schwebte, ihm zugleich Wege ebnete wie noch größere Erwartungen an ihn stellte. Jetzt allerdings gedachte er zum ersten Mal zu nutzen, was seine Familie zu bieten hatte. „Also... ich möcht mit Witjon sprechen. Also, Marsus. Duccius Marsus, das ist mein Onkel.“ Eigentlich eher Vetter. Aber Onkel passte besser, sowohl vom Alter her als auch von dem, was er erreicht hatte. „Er ist der Duumvir von Mogontiacum, und er hat nen Patron in Rom, irgendnen Senator... na ja, er weiß vielleicht was über die ganze Sache da mit dem Kaiser und so. Was der Legat erzählt hat, was da grad abgeht, ist ja irgendwie... komisch. Ich möcht einfach mal hören was er dazu sagt.“

    Hadamar lauschte dem Abschluss der Rede des Legaten, und spätestens mit dem Kommando erhöhte Alarmbereitschaft schien klar zu sein, dass es nicht mit der Ansprache hier getan war... wobei Hadamar sich gerade nach wie vor schwer vorstellen konnte, was sie hier nun betreffen würde, er wusste nur, dass da wohl irgendwas im Busch war, und es machte ihn fast ein wenig nervös, dass er nicht ganz durchblicken konnte... Was ihn allerdings nicht daran hinderte, den Schlachtruf der II. mitzubrüllen. Und dann hieß es abtreten, und während er darauf wartete, dass die Reihe an sie kam, ließ er seine Gedanken kreisen und versuchte, so was wie Ordnung reinzubringen und die Neuigkeiten zu sortieren.

    „Na sieh mal einer an, wer da lang stolziert...“ Hadamar rollte die Augen, als er die Stimme halb neben, halb hinter sich hörte, reagierte aber nicht darauf.
    „Wenn das mal nicht unser Lieblingsküken ist“, kam allerdings gleich darauf eine zweite, unter leisem Gelächter, und eine dritte: „Heut schon ne Sonderbehandlung abgegriffen?“
    Hadamar presste die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Zähne knirschten, aber als er sich umdrehte, tat er es betont langsam. Mit gerunzelter Stirn und beginnender Wut starrte er die drei Legionäre an, die sich hinter ihm aufgebaut hatten. Es war Abend, nach Dienstschluss, und die Trottel – die nicht allzu viel älter waren als er – lümmelten offenbar einfach nur beim Brunnen herum. Hadamar fielen die Namen gerade nicht ein, nur dass es Idioten von der... zweiten oder dritten Centurie seiner Cohorte waren. Oder waren sie doch von ersten? In jedem Fall gehörten sie zu denen, mit denen er schon mal Bekanntschaft der unangenehmeren Art gemacht hatte. Die Prügel während seiner Probezeit, als er sich rausgeschlichen hatte aus dem Castellum, hatte er den Ratten hier zu verdanken. „Noch irgendwas, was ihr unbedingt los werden wollt?“ machte er genervt. „Spuckt euern Müll ruhig raus, wir wollen ja net dass ihr dran erstickt.“
    Der Größte der drei machte in aller Seelenruhe ein paar Schritte auf ihn zu, bis er nur noch einen Fuß von ihm weg war, und blickte ihn von oben herab an. „Na was denn. Meinst jetzt noch frecher werden zu können, wo dein Kumpel befördert worden ist?“
    „Was solln das bitte heißen?“
    „Du weißt genau was das heißt. Du hängst doch ständig mit Bovis rum. Aber glaub ja nicht, dass seine Beförderung nen Freibrief für dich ist.“
    „Reiß dich bloß zusammen“, zischte einer der anderen, die mittlerweile beide ebenfalls näher gekommen waren. „Hat ja schon angefangen, dass du bevorzugt wirst.“
    „Aber lang sehen wir uns das nicht mit an, darauf kannst du Gift nehmen!“
    Hadamar begann zu bereuen, dass er überhaupt stehen geblieben war und sich auf das Gespräch eingelassen hatte – aber wenn er jetzt nicht weiter fragte, würde ihm das keine Ruhe lassen, das wusste er. „Eh. Bitte was? Wasn für ne Bevorzugung?“
    „Du sahnst den besten Wachdienst ab, du kriegst nen Auftrag vom Legat persönlich, oh und nicht zu vergessen: du hechelst deinem Kumpel ständig in Paradeuniform hinterher...“
    „Ihr habt doch net mehr alle Nadeln am Baum!“ knurrte Hadamar empört. „Was solln der Scheiß, das ist doch net wahr!“ Jedenfalls nicht alles, und der Rest, der stimmte, war komplett verdreht. Er hatte ja nicht vom Legat persönlich einen Auftrag bekommen, und selbst wenn: der war ja nicht gerade toll gewesen, und erst recht keiner von der Sorte, mit dem man sich hätte profilieren können. Und ja, natürlich hatte es in letzter Zeit ein paar Anlässe gegeben, in denen ein paar von ihnen in Paradeuniform hatten auflaufen müssen, aber das war ja nun wirklich nicht seine Schuld. Oder Corvinus'. Und davon abgesehen: die Idioten waren ja noch nicht mal in derselben Centurie wie sie, die hatten gar keine Ahnung – die wollten nur Stunk machen, und aus irgendeinem Grund hatten sie es auf Hadamar abgesehen. Oder, naja, nicht aus irgendeinem Grund, eher aus einem sehr konkreten, immerhin hatte Hadamar sich mit seiner scharfen Zunge und seinem Erfolg beim Spielen nicht nur Freunde gemacht.
    „Jaja...“ Auf der Miene des Miles breitete sich ein anzügliches Grinsen aus, eines von der Sorte, das Hadamar ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen hätte. „Wir behalten dich im Auge, Kleiner. Und Bovis genauso. Der hat seine Beförderung doch sowieso nur durch irgendwelche Kungeleien gekriegt, aber glaub ja nicht, dass dir das irgendwas bringen wird.“
    „Wahrscheinlich ist er seinem Centurio so tief in den Arsch gekrochen, dass er oben schon wieder fast rausgekommen ist“, feixte der nächste, aber der Große winkte ab – immer noch mit diesem Grinsen, das noch anzüglicher zu werden schien und eine gewisse Häme dazu bekam. „Red keinen Stuss. Bovis ist seinem Centurio vielleicht in den Arsch gekrochen, aber er ist weit genug draußen geblieben, um ihm noch die Eier kraulen zu können.“
    Und das war der Moment, in dem Hadamar der Kragen platzte. Er vertrug einiges – war ja einiges gewöhnt, immerhin waren seine Kumpels früher auch nicht gerade zimperlich mit ihm umgegangen –, aber was er nicht haben konnte war, wenn jemand gegen einen seiner Freunde stänkerte. Und dann solche Unterstellungen? Oh nein, da waren die Kerle bei Hadamar definitiv an den Falschen geraten. Ohne darauf zu achten, dass er absolut in der Minderzahl war, stürzte er sich mit wütenden Zähnefletschen auf den Größten der drei, ballte seine Faust und schlug sie ihm mit Wucht mitten ins Gesicht. Im nächsten Moment lagen Hadamar und sein Gegner schon auf dem Boden und wälzten sich im Dreck, und im Nu war, unter den Anfeuerungsrufen der beiden anderen Hornochsen, die schönste Prügelei im Gange.

    Hadamar schnitt eine Grimasse. „Wie, du kommst noch net mal in der Früh dazu? Warum lassen die euch das grad jetzt alles allein stemmen?“ Ihnen fehlte nach wie vor ein Centurio – was in erster Linie mal eine Arbeitskraft weniger bedeutete in der Führung der Centurie, die wichtigste Arbeitskraft. Dazu kam, dass die meisten Unteroffiziere ja wie Corvinus neu waren und wenig Erfahrung hatten. „Naja, sag Bescheid wennst nen Partner brauchst, der dich zwischendurch mal rausreißt. Ich biet mich gern an“, grinste er dann. Nicht dass er so verrückt aufs Trainieren war wie Corvinus, aber Lauftraining musste sowieso immer sein, das war Standardprogramm – und wenn er Corvinus dafür ganz offiziell ein bisschen ärgern durfte, war es das wert. „Aber nee, ich brauch net lang. Ich wollt eigentlich nur fragen, ob ich heut Abend Freigang kriegen könnt. Nur in die Stadt rein, wie der Legat gesagt hat, und wird auch net lang dauern... zwei Stunden, vielleicht drei. Hab auch keinen Dienst mehr heute.“

    „Eh“, machte Hadamar, jetzt doch wieder etwas verwirrt. „I woaß net... naa, Muntherr isser neda... aba so wos in da Art, glaubi. I moan, d'Stodt ghert am Kaisa. Oda hoid zum Reich. Un so lang da Witjon hia Duumvir is, werd der scho a dean missan, wos da Kaisa un dem seine Leit eahm oschaffan. Sonst isser sei Oarbeit schnei los.“ Hadamar zweifelte gerade selbst daran, ob durch die Erklärung irgendwas klarer wurde, aber er beschloss, das erst mal so stehen zu lassen. Vielleicht reichte Sönke das ja. Hoffentlich. Zumal die nächste es Frage noch mehr in sich hatte, und auf die fand Hadamar nicht wirklich eine Antwort. „Eh. I hob koa Ahnung, ehrli gsogt. De... de wearn scho irgndan neien Kaisa findn...“ Hadamar kratzte sich am Kopf. „Nua wenn da Legat Rechd hod mit dem wos a von am Merda vazeit hod, un der si da zum Kaisa ausruafan lassa wui, dann... werd des net so oafach wern.“

    „Wir ham einiges, guck am besten hier drauf. Empfehlen kann ich vor allem die lukanischen Würstchen... aber der Fisch ist auch net ohne, wir ham vorhin erst nen frischen Fang reingekriegt. Dazu frisches Brot und Schafskäse...“ erwiderte Oda, auf Latein, wenn auch mit starkem germanischen Akzent.


    Hadamar unterdessen musterte erneut kurz das Mädchen am Nachbartisch, als Corvinus ihn darauf ansprach, und schüttelte leicht den Kopf. „Nee, noch nie gesehen. Du?“