Beiträge von Lucius Duccius Ferox

    Hadamar war da zwar nicht ganz einer Meinung mit Corvinus – er mochte Schlaf! –, aber grundsätzlich hatte sein Kumpel schon recht. Essen war dann doch wichtiger... und auch Hadamar freute sich, als er sah, dass die vom Achten mit der Vorbereitung begannen, während der Rest von ihnen, der seine Werkzeuge noch hatte, schuftete.


    „Siehste? Vielleicht wird’s ja was“, grinste er. Zwar hatte er nicht unbedingt an die Mulis gedacht und daran, dass sie womöglich erfolgreicher gewesen wären, sondern eher daran, sich ein bisschen prügeln zu können, aber gut... man konnte es auch so wie Corvinus sehen. Er rempelte ihn an. „Uns wär keins davon gelaufen.“

    „DU bist das Problem“, ranzte Hadamar, aber bevor er noch was sagen – oder irgendwas tun – konnte, trat Corvinus schon in Aktion. Ein wenig verwirrt sah Hadamar sich die Szene an, die sich vor ihm abspielte... bis Corvinus verschwand. Mit einer Axt. In Ordnung... dann halt nicht die einfache Variante. Hadamar war sich ziemlich sicher, dass sie hier irgendwo passende Pfosten gefunden hätten, aber wenn Corvinus unbedingt hacken wollte, bitte. Er würde ihn ganz sicher nicht davon abhalten.
    Aber ein klitzekleines bisschen schlechtes Gewissen hatte Hadamar dann doch, und so sah er sich nach etwas um, was er hier im Stall tun konnte – rausgehen und helfen ging schlecht, irgendwer musste ja auf den Kerl da aufpassen, auch wenn der kaum irgendwohin laufen würde... aber wenn Fuscus zurückkam und sah, dass keiner hier war, würde er ihnen die Ohren lang ziehen. Im übertragenen Sinn. Real würde es wahrscheinlich Schläge setzen. Und so begann er, die Reste des Frühstücks zu Rationen zusammen zu packen, die sie mitnehmen konnten. Allerdings kam er nicht weit, bevor der Kerl ihn ansprach. Hadamar sah zu ihm hinüber. „Bitte? Eh, ja...“ Befreundet waren sie, nur war ihm nicht ganz klar, warum der Ausreißer das wissen wollte. Er kratzte sich am Kopf. „Wir sind beide Römer. Wären wir's net, wären wir kaum in der Secunda...“ So viel mal dazu. „Und er ist auch von der Abstammung her Römer, so weit ich weiß.“ Jedenfalls war sein Vater auch schon Römer gewesen, und sein Großvater, da war Hadamar sich recht sicher.

    Hadamar spürte, wie er hin und her geschubst wurde, und da dieser eine verflixte Kerl immer noch seinen Arm festhielt, wurde seine Schulter einer Belastungsprobe ausgesetzt, die sogar fast die Schmerzen im Bein überlagerten. Allerdings nur fast. Jedes Zerren und Stoßen, das seinen Körper erschütterte, jagte einen neuerlichen Schmerzpfeil durch seinen Oberschenkel, und er konnte spüren, wie Blut warm und klebrig seine Haut hinunterrann. „Ja... Nein!“ knurrte er wütend auf die Kommentare hin, aber es war sowieso sinnlos. Hörte ihm ja doch keiner zu. „Ich-“, versuchte er es trotzdem, aber in dem Moment grölte noch einer dazwischen, irgendwas von Tirones und Ausgang, und im nächsten Augenblick prallte jemand gegen ihn, so heftig, dass es ihn beinahe erneut von den Füßen schleuderte und er sich die Unterlippe blutig biss. Hadamar stöhnte gequält auf, als zeitgleich in Schulter und Oberschenkel Schmerz aufblühte, wehrte sich erneut, nicht um frei zu kommen, nur um sich etwas Erleichterung zu verschaffen – und dann, plötzlich, hatte er ein wenig Luft. Zwei Soldaten blieben in seinem Rücken und hielten ihn nach wie vor, die anderen rückten wenigstens ein winziges Stückchen ab. Um jemandem Platz zu machen, wie Hadamar gleich darauf feststellte, jemandem, den er nur zu gut kannte. Und der ihn kannte. Und obwohl eigentlich schon in dem Moment, in dem die Wachsoldaten auf ihn aufmerksam geworden waren, klar gewesen war, dass es keine Möglichkeit mehr gab für ihn ungeschoren aus dieser Sache herauszukommen, wurde es Hadamar trotzdem erst in diesem Augenblick wirklich bewusst, als er sich seinem Optio gegenüber sah. Und schloss schließlich die Augen, als ihm dämmerte, wie groß der Haufen Scheiße war, in dem er jetzt saß – so groß, dass er sich am liebsten von den Soldaten hier noch ein bisschen weiter hätte verprügeln lassen, wenn im Gegenzug dafür nur einfach ungesehen in sein Contubernium hätte verschwinden können. Hadamar presste die Lippen aufeinander, das unangenehme Pochen kaum merkend, das dadurch ausgelöst wurde, schien ihm doch gerade ohnehin so ziemlich alles irgendwie weh zu tun. Und öffnete die Augen wieder, sah den Optio an und holte tief Luft. Hatte ja keinen Sinn, um den heißen Brei zu reden, oder irgendwem was vormachen zu wollen. Hadamar hatte schon einiges angestellt in seinem Leben, sei es nun aus Absicht, Übermut oder Gedankenlosigkeit, und er hatte sich ganz sicher nie freiwillig gestellt, hatte es im Gegenteil genossen und damit geprahlt, wenn er durchkam – aber er war kein Lügner, und er hielt auch nicht viel von fadenscheinigen Ausreden. Wenn er erwischt wurde, stand er dazu. Und deshalb sah er dem Optio nun auch wieder an. „Tiro Duccius Ferox meldet sich... zurück.“

    Nein, Hadamar hatte nicht vergessen, dass er ein Mann war. Genau deshalb hatte er ja seine eigene Entscheidung getroffen – und auch gehandelt! Dass Witjon das jetzt als Dummheit darstellte, war absolut unfair... und zugleich auch sonnenklar. Witjon konnte es sich doch gar nicht leisten, etwas anderes zu sagen. Er unterdrückte ein Zusammenzucken, als Witjons Faust auf den Tisch krachte, und machte den Mund auf. „JA, ich bin ein Mann, und das war MEINE Entscheidung!“ Hadamar wollte noch weiter rumranzen, aber Witjon fuhr fort, und so viel Respekt hatte Hadamar dann doch, dass er die Klappe hielt und sein Sippenoberhaupt nicht unterbrach. Erst, als er fertig gesprochen hatte, schnauzte Hadamar zurück. „Ja, ich weiß, was der Dienst heißt!“ Natürlich wusste er das nicht. Er war sechzehn. Er konnte sich gar keine Vorstellungen davon machen, was zwanzig Jahre Dienst bedeuteten, der Zeitraum war einfach zu groß für einen jungen Kerl wie ihn – und genauso wenig konnte er sich im Augenblick vorstellen, dass er in dieser Zeit Sehnsucht nach Frau und Kindern kriegen könnte. Was er sich vorstellen konnte, war, was er jetzt wollte – und jetzt war er nicht mehr als ein Sechzehnjähriger, der in erster Linie rebellieren wollte... und unabhängig sein von der schieren Übermacht seiner Familie, und den Erwartungen, die an ihn gestellt wurden, nur weil die Duccier schon so viel erreicht hatten und er eben einer von ihnen war... und daher noch mehr erreichen sollte. „Klar hätt ich auch in die Verwaltung gehen können wie ihr wolltet, aber wofür? Um mir den Arsch platt zu sitzen? Nur um irgendwann mit, wie hast du das gesagt, mit einer schäbigen Rente entlassen zu werden? Weil ich es da zu nix bringen werd, sondern auch nur zusehen darf, wie Landulf und Audaoud alles so viel besser hinkriegen?“ Er starrte Witjon an. „Einfach den Mund aufgemacht, ja? Was hätt ich denn sagen sollen? Ihr haltet mich doch eh alle für nen Nichtsnutz. Aber weißt du was, alles, was ich in der Secunda erreiche, erreich ICH, ich allein, und nicht meine Familie für mich! Und da gibt’s auch nichts und niemanden mit dem ich vergleichen lassen müsste!“

    Für Hadamars Verhältnisse war es recht normal, dass er schlampiger mit seinen Sachen umging. Er pflegte seine Sachen eigentlich nur deshalb wenigstens halbwegs gut, weil er zum einen bisher für seinen Geschmack bereits schon zu viel von seinem Sold hatte verpulvern müssen, nur um seine Ausrüstung in Ordnung zu halten, und zum anderen, weil Corvinus ihn da in der Regel immer dazu triezte. Und da es alle taten, und Corvinus immer ganz besonders sorgfältig, perfektionistisch wie er war, und da Corvinus und er befreundet waren... machte es Hadamar noch nicht mal wirklich was aus, einfach mitzumachen.


    Im Gegensatz zu Corvinus war Hadamar gleich im warmen Wasser verschwunden. Schrubben, rasieren, hatte alles Zeit bis nachher. Erst mal einweichen... Wärme genießen... sich auf den freien Tag freuen... und für den Moment nicht daran denken, wie er hier rauskommen sollte zur Bestattung. Er blinzelte träge, als Corvinus ebenfalls ins Becken kam. „Du kannst uns ja was holen“, flachste er – nur um im nächsten Moment unter Wasser gedrückt zu werden. Prustend und um sich schlagend tauchte er wieder auf. „Heee!!“ Er rieb sich Wasser aus den Augen, und sah dann das grinsende Gesicht von Mugillanus vor sich. „Wie wär's wenn du uns was holst... Tiro?“

    Und weg war. Hadamar starrte die Tür an, durch die Corvinus aus der Unterkunft verschwunden war, und wusste nicht so recht ob er einfach nur fassungslos sein – oder doch gleich mit dem Lachen anfangen sollte. Keine Zeit für Geschwätz? Zur Horrea? Ja, genau. Als ob Hadamar ihm das glauben würde. Nee, Corvinus reagierte da gerade eindeutig zu komisch... wich aus, wiegelte ab, und jetzt verschwand er einfach so. Dabei war der doch älter als er, an die zwei Jahre, so weit er wusste...
    Langsam breitete sich ein Grinsen auf Hadamars Gesicht aus. Corvinus hatte scheinbar noch weniger Erfahrung als er gedacht hatte, mit all dem Training, das sein Vater ihm aufgedrückt hatte. Kein Feiern, kein Alkohol, kein Spaß... und keine Mädchen. Hadamar ignorierte gepflegt, dass er auch noch nicht allzu lange Erfahrung im letztgenannten Punkt hatte, und dass es auch nicht er gewesen war, der da den ersten Schritt gemacht hätte, um zu Erfahrungen zu kommen... außerdem war Corvinus älter. Basta.


    Und da Hadamar entfernt davon war, Taktgefühl walten zu lassen – sofern er überhaupt welches besaß –, grinste er seinem Kameraden frech entgegen, als der wieder auftauchte. „Ja, der ist ja völlig verschlissen...“ kommentierte er süffisant, als Corvinus den Kinnriemen auswechselte. „Jetzt ma raus mit der Sprache. Hattest du schon mal was mit nem Mädchen?“

    „Bitte was?“ machte Hadamar fassungslos. Er glaubte nicht so recht, was er da zu hören bekam. Was du willst, sollst du auch haben? Das soll ja wohl nen schlechter Scherz sein!“ Mit einem Ruck sprang er auf, und obwohl er eigentlich die ganze Zeit auf Witjons Wutausbruch gewartet hatte, war es jetzt plötzlich er, der wütend wurde. Du bist ein Wolfrikssohn. Du musst was aus deinem Leben machen!, ätzte er Witjon die Leier vor, die er – zumindest so wie er sich erinnern konnte – ständig zu hören bekommen hatte. Oder jedenfalls oft genug. So ungefähr jedes Mal, wenn seine Mutter ihn dabei erwischt hatte wie irgendwas angestellt hatte... die Arbeit geschwänzt um sich rumzutreiben, um mit seinen Freunden was zu unternehmen, zu saufen, irgendsowas halt. Sie hatte ihn lange nicht immer erwischt, aber wenn, dann hatte das zu ihren Standardworten gehört. Bis sie ihn eben dazu verdonnert hatte, in der Casa Duccia in Mogontiacum zu leben und dort zu lernen... und sich auf einen Verwaltungsposten vorzubereiten. „Als ob ich da die Wahl gehabt hätte! Als ob ich zur Legio hätt gehen können wenn ich vorher was gesagt hätt, du glaubst doch selbst net was du da sagst! Und was für Sorgen soll meine Mutter sich gemacht haben, ich bin die ganze Zeit im Castellum, da wird mir wohl kaum was zustoßen.“

    Götter, das durfte ja wohl nicht wahr sein. Erst schossen die ihn ab, und jetzt machten sie ihn blöd an? Hadamar begriff nicht wirklich, was sich hier abspielte, begriff nicht, dass er tatsächlich aufgeflogen war, und dann auch noch so... und dass sie ihn für einen Fremden hielten, einen Dieb, einen Eindringling. „Mo... Moment mal, ich biaaaaah!“ Er stöhnte auf, als er grob gepackt und auf die Beine gezerrt wurde, knickte mit dem linken, verletzten Bein leicht ein und knallte gegen einen der Soldaten, die ihn hielten – der ihn wiederum grob zurückstieß. „Bleib stehen, Drecksack“, wurde er angeschnauzt, und zwangsläufig gehorchte Hadamar, versuchte sein Gleichgewicht irgendwie zu halten, indem er sein linkes Bein kaum belastete. „Leute... jetzt hört doch ma, Leute...“ versuchte er sich Gehör zu verschaffen, aber mittlerweile waren mehrere Milites aufgetaucht, und irgendwie schienen alle durcheinander zu reden. „Jetzt kommt schon...“ Er versuchte sich loszureißen, um irgendwie Aufmerksamkeit zu bekommen, aber das führte nur dazu, dass einer der Soldaten hinter ihm nur noch fester zupackte, nach einem seiner Arme griff und ihn nach hinten verdrehte, bis Hadamar vor Schmerz aufjaulte. „ICH BIN KEIN EINDRINGLING, VERDAMMT“, brüllte er los. „Ich bin einer von euch, ich bin Tiro... Cohors II, Centuria IV...“

    Hadamar... fühlte sich, als hätte irgendwo in seiner unmittelbaren Nähe ein Blitz eingeschlagen. Eine Spannung schien sich in der Luft auszubreiten, die ihn komplett ausfüllte, und Aufregung, Nervosität und Chaos stritten sich in seinem Inneren – wobei die Aufregung überwog. DAS hier war ein Abenteuer, das war das, was er wollte, was er sich vorgestellt hatte... das war... woah!
    Wie die anderen auch hatte er sich seine Rüstung wieder angelegt und mitgeholfen – und war dann auf Gefechtsposition gegangen. Mit seinem Contubernium. Und das fühlte sich... SO GUT an, das Adrenalin, die Anfeuerung des Centurio, die ganze Stimmung... Hadamar war sich zwar nicht ganz so sicher, ob er in all der Aufregung alles richtig machte, aber ohne nachzudenken orientierte er sich einfach an den Veteranen seines Contuberniums.


    Als sie hörten, dass eines der Maultiere durchgegangen war, fluchte auch Hadamar mit den anderen. „Ja...“ murrte er zu Corvinus. Und selbst wenn das nicht ihres war, würden sie wohl trotzdem alle die Auswirkungen davon spüren, wenn ihrer Centurie ein Tier samt Last fehlte. Und dann wurde alles irgendwie noch konfuser. SIE sollten die Mittelschicht zur Strafe übernehmen?
    Bevor er dazu allerdings auch sein Garum abgeben konnte, trieb Fuscus sie zur Arbeit an, und so machte auch Hadamar sich daran, weiterzuschuften. Schneller, noch schneller, es war zu merken, dass ihnen ein Contubernium bei der Arbeit fehlte, aber trotzdem kamen sie gut voran, und als sie endlich fertig waren, richtete Hadamar sich stöhnend auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Mittelschicht, ich glaubs ja net“, raunte er Corvinus zu, als sie die Werkzeuge verstauten. „Was können wir dafür, dass das blöde Vieh abgehauen is?“ Er sah kurz zu der Brücke, die mittlerweile fertig geworden war, und grinste dann plötzlich. „Aber hey, vielleicht gibt’s in der Nacht ja noch nen Angriff. Dann sind wir wenigstens vorne mit dabei, um den anderen eins auf den Deckel zu geben!“

    Da kam immer noch nichts. Kein Gebrüll. Hadamar fand es langsam unheimlich, wie ruhig Witjon blieb. Es war doch deutlich, dass ihm nicht gefiel, was er getan hatte – vorhin bei der Bestattung war es deutlich gewesen, und jetzt im Grunde auch. Dass Witjon ihn trotzdem nicht anbrüllte, das... machte die Situation für Hadamar irgendwie noch unangenehmer. Er wusste einfach nicht, woran er war. Er wusste nicht, ob das Gebrüll nicht vielleicht noch kommen würde, oder vielleicht etwas Schlimmeres... oder... er hatte einfach keine Ahnung, wie er dieses Verhalten einordnen sollte. Und darüber hinaus: es führte dazu, dass er sich plötzlich schämte – und Hadamar wusste noch nicht mal so genau, warum.


    Er presste kurz die Lippen aufeinander und sah zur Seite. „Ich hab schon länger daran gedacht“, antwortete er dann und sah Witjon wieder an. „Naja... mit dem Gedanken gespielt. Und auf dem Markt... das war einfach... die perfekte Gelegenheit.“ Weil er sich sonst vermutlich doch nicht getraut hätte, trotz allem, was er Runa und seinen Freunden gesagt hatte. Und die hätten ihn aufgezogen. Naja, Runa nicht, aber die anderen.
    „Was soll ich da noch erklären?“ Das kam nun fast schon trotzig über seine Lippen, und in einer verteidigenden Geste zog er die Schultern hoch. „Ich weiß, dass du und meine Mutter andere Pläne für mich gehabt habt. Aber dass ich nie in der Verwaltung wollte, hat ja keinen interessiert.“

    Hadamar konnte nicht sagen, wie lange er tatsächlich hatte warten müssen – vermutlich nicht lange. Ihm allerdings kam jeder Moment wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Als Witjon dann aber kam, wünschte er sich fast, er hätte noch mehr Aufschub gehabt... aber es half alles nichts. Gehorsam setzte er sich, als Witjon ihm ein Zeichen gab, musste dann allerdings feststellen, dass Sippenoberhaupt stehen blieb... was Hadamar sich noch kleiner fühlen ließ als ohnehin schon. Hätte er stehen bleiben können – oder würde Witjon sich hinsetzen –, dann müsste er wenigstens rein körperlich nicht zu ihm aufsehen, aber so...
    Er biss die Zähne zusammen bei Witjons ersten Worten. Wenn der wüsste... aber Hadamar dachte nicht daran, ihn darüber aufzuklären und sich noch mehr Ärger einzuhandeln. „Ja, mich auch“, antwortete er nur, konnte Witjons durchdringendem Blick allerdings nicht sonderlich lange standhalten, sondern sah auf seine Hände hinunter, die in seinem Schoß lagen. Zumindest in seinen Ohren dröhnte das Schweigen regelrecht, das sich für einen Moment ausbreitete, während Witjon ihn musterte, aber dann wandte er sich ab... und als Hadamar wieder aufsah, kam er mit zwei Bechern wieder, von denen er einen ihm hinstellte. Hadamar griff danach und nippte kurz daran, stellte den Becher dann aber nach einem kurzen Zögern wieder zurück. Obwohl er sich nur allzu gern in Alkohol geflüchtet hätte im Moment, war es wohl besser, nüchtern zu bleiben. Besser für das Gespräch mit Witjon, besser für das Gespräch mit seiner Mutter, und besser für seine Rückkehr ins Castellum.


    Er sah wieder hoch, als das Sippenoberhaupt erneut sprach... und eine Frage stellte, auf die Hadamar nicht wirklich eine Antwort wusste. Nichts, wäre wohl die ehrliche Antwort gewesen. Jedenfalls in dem Moment, als er dem Soldaten damals auf dem Marktplatz gefolgt war. „Ich...“ Hadamar warf einen kurzen Blick zu dem Becher mit Bier und wünschte sich erneut, sich jetzt besaufen zu können. Außerdem wünschte er sich, Witjon würde sich setzen – und einfach losbrüllen. Wäre einfacher so, dann könnte er selbst einfach da sitzen, das Donnerwetter über sich ergehen lassen und dann... naja. Sich das nächste anhören. Aber diese Frage? Er wusste einfach nicht, was er darauf sagen sollte. „Schien eine gute Idee zu sein“, murmelte er und griff dann doch noch mal nach dem Becher, nippte allerdings wieder nur daran – und starrte dann den Inhalt an, um Witjons Blick wieder ausweichen zu können. „Ich... wollt mein eigenes Ding machen.“

    Die Bestattung war vorüber, und sie waren in die Casa Duccia gegangen... und Hadamar war schnurstracks zu Witjons Arbeitszimmer verschwunden. Zum einen wurde er tatsächlich langsam unruhig, weil er nun schon so lange im Castellum fehlte... zum anderen wollte er das hier hinter sich bringen. Und dann das mit seiner Mutter. Götter war das ätzend, so was durchstehen zu müssen, aber darauf zu warten war noch schlimmer. Nervös stand er da, zu unruhig um sich zu setzen, ging ein wenig auf und ab, nur um sich dann wieder bewusst zusammenzureißen und still zu stehen, während er darauf wartete, dass Witjon sich loseisen konnte von mit wem auch immer er gerade sprach – und auftauchte, um ihn zur Sau zu machen. Oh ja, herrliche Aussichten...

    Nahas Blick verhieß schon nichts Gutes... aber Witjons verpasste Hadamar das Gefühl, innerlich um einiges zu schrumpfen. Er hatte ja geahnt, dass ihm hier was bevorstand, aber er hätte nicht gedacht, dass Witjon so... sauer sein würde. Seine Mutter, ja, auf dieses Donnerwetter hatte er sich seelisch vorbereiten können, weil das einfach klar war, wie sie reagieren würde. Aber Witjon? Irgendwie... naja, wenn Hadamar ehrlich war, dann hatte er sich nicht wirklich vorstellen können, wie Witjon nun genau reagieren würde, weswegen er den Gedanken daran einfach weggeschoben hatte. Und trotzdem hatte er nicht damit gerechnet, dass er so kalt und missbilligend sein würde... „Ja“, murmelte er nur auf die Anweisung hin, später ins Arbeitszimmer zu kommen. Das würde zwar die Zeit verlängern, die er vom Castellum fehlte... und das Risiko erhöhen, dass es jemandem auffiel. Aber Witjon war das Sippenoberhaupt, er konnte ihm kaum nein sagen, und er konnte ihm erst recht nicht sagen, dass er eigentlich gar nicht hätte hier sein dürfen, weil er keine Erlaubnis bekommen hatte das Castellum zu verlassen. Ganz abgesehen davon, dass auch Hadamar die Standpauke endlich hinter sich bringen wollte, die ihm drohte, seit er sich einfach so verpflichtet hatte, ohne jemandem Bescheid zu geben. Er konnte nicht gehen, bevor er nicht wenigstens mit seinen Leuten geredet hatte, und dass das hier, bei der Bestattung, schlecht ging, war auch ihm klar.


    Einen Moment lang blieb er noch unschlüssig bei Witjon stehen, dann wandte er sich mit einem Nicken ab und ging ein paar Schritte. Am liebsten hätte er sich wieder zurückgezogen, irgendwohin an den Rand, wo er nicht auffiel, aber das konnte er sich nun, nachdem er hier vorne bei seiner Familie aufgetaucht war, auch nicht leisten. Er war ein Duccius, er gehörte hierher, und er wollte die Liste der Vorwürfe an ihn nicht noch um den der Feigheit verlängern... oder den, dass er keinen Respekt hatte vor seiner Familie und seinen Ahnen. Also tat er das einzige, was ihm blieb: er trat seiner Mutter gegenüber, die, umringt von seinen jüngeren Geschwistern, ihn schon die ganze Zeit mit Adleraugen beobachtet hatte. „Ma...“ begann er, sich noch hilfloser fühlend, aber im Gegensatz zu Witjon machte sie sich noch nicht einmal die Mühe, überhaupt irgendetwas zu sagen. Sie schüttelte nur mit verbissener Miene den Kopf, und Hadamar begriff, dass auch dieses Donnerwetter noch schlimmer werden würde, als er gedacht hatte. Und dass es auf später verschoben war... nach der Bestattung. Aber wenigstens, wenigstens ein paar seiner Geschwister reagierten anders. Hadamar fing zwar auch einen Blick auf, der eine exakte Kopie von Wijton oder seiner Mutter hätte sein können, aber auch einen, der aufmunternd war... fast bewundernd, wenn er sich nicht irrte. Und so grinste er kurz ein wenig schief zurück, um dann gleich wieder eine angemessene Miene für die Trauerfeier aufzusetzen und mehr oder weniger geduldig darauf zu warten, dass sie zu Ende ging.

    Hadamar kratzte sich noch mal am Kopf. „Hu“, machte er. Dann halt keine Stalltür, war ihm auch recht. Wobei die vielleicht auch gezogen hätte werden können. Aber es war wohl besser, Corvinus' Variante zu nehmen, schon allein weil Fuscus ihnen vermutlich die Ohren langgezogen hätte... oder etwas ähnliches... wenn sie ihm irgendsoeine krude Idee präsentiert hätten statt einer vernünftigen Trage. Also doch die Arbeitsvariante. Und als Corvinus weiter sprach, ging ihm sogar ein Licht auf. „Aaah, du meinst-“
    In dem Moment allerdings meinte der Kerl seinen Kommentar dazu abgeben zu müssen, und Hadamar warf ihm einen schrägen Blick zu. Kurz war er am Überlegen, irgendwas zu sagen, aber Corvinus übernahm das sehr schön.


    „Ich glaub ich weiß was du meinst“, meinte er anschließend zu Corvinus – und ignorierte den Sklaven dabei schlicht. „Der Stoff muss über die Stämme geschlagen werden, war das net so?“ Ihre Mäntel. Na super. Der Heimweg würde kalt werden. „Also. Mäntel haben wir. Fehlen die Stämme. Ich find wir sollten trotzdem erst mal hier im Stall schauen, vielleicht finden wir ja geeignete Pfosten oder so.“ Nach wie vor war Hadamar der Meinung, dass sie sich so viel Arbeit wie möglich sparen sollten... so gut es eben ging.

    Es ging gut... es ging gut... es ging gut... Hadamar war zwar nach diesem Abend bei weitem nicht in der Verfassung, zu jubeln, aber wäre er es gewesen – er hätte innerlich gejubelt. Er war in Sicherheit, jedenfalls fast, die Wachen waren mit etwas anderem beschäftigt, und er, er hatte das Tor beinahe durchquert... Nur noch ein paar Schritte...


    Wie sich herausstellte: zu früh gefreut. Resultierend aus einem: ein paar Schritte zu viel. Hadamar sah tatsächlich schon nur noch die letzte Schwierigkeit vor sich, nämlich in sein Contubernium zu kommen, ohne dass ihm jemand dumme Fragen stellte – oder falls doch, Antworten zu finden, die die anderen halbwegs zufrieden stellen würden. Bevor er allerdings tatsächlich die Gefahrenzone hinter sich bringen konnte, knackte es. Unter seinem Fuß. Hadamar erstarrte und verfluchte sich lautlos, aber noch bevor er zu den Göttern darum flehen konnte, dass niemand das gehört hatte, konnte er schon die Wachen hören. Was die allerdings quatschten, ergab in seinen Ohren irgendwie keinen Sinn. Sau? Pila? Treffen? Anstatt schleunigst zu verschwinden, als klar wurde, dass die Milites nicht sofort zu ihm rannten, blieb er verwirrt stehen und lauschte – und das wurde ihm zum Verhängnis.
    Bevor er realisieren konnte, was die da vorhatten, sirrte schon das erste Pilum knapp an ihm vorbei und verschwand in der Dunkelheit, dicht gefolgt von einem leicht schrappenden Geräusch, das verriet, dass der Speer harmlos irgendwo auf dem Boden aufgekommen war. Was Hadamar allerdings gar nicht wirklich registrierte, denn gleichzeitig dazu kam das zweite Pilum angeschwirrt – und jetzt, endlich, reagierte er, wollte die Flucht antreten, einfach nur weg hier, weg von den Idioten, die anfingen ihn zu beschießen, weil sie ihn ernsthaft für... für eine... eine SAU?!? hielten?
    Tatsache. Allerdings eine, die Hadamar noch nicht so wirklich raffte, bis auf den Fakt, dass er hier weg musste, weil die Luft eindeutig zu speerhaltig wurde. Und er schaffte sogar einen Schritt. Einen Schritt, der ihn aus der Bahn des zweiten Speers brachte, der harmlos auf Holz traf – und direkt in die des dritten hinein. Beinahe zärtlich berührte die Spitze seinen linken Oberschenkel, ein wenig über dem Knie, und glitt weiter, zerriss den Stoff seiner alten Hose, die er extra für die Beerdigung herausgekramt hatte, weil er nicht in römischen Klamotten zu Elfledas Beerdigung hatte aufkreuzen wollen, zerfetzte die Haut und richtete ein blutiges Chaos an auf seinem Weg durch Muskeln. Hadamar konnte noch unglaublich von Glück reden, dass der Speer ihn nicht voll traf, sondern nur streifte. Er riss immer noch eine ordentliche Wunde, und die Wucht war so heftig, dass Hadamar allein davon schon von den Füßen gerissen wurde – aber das hätte noch deutlich schlimmer sein können.


    Die allerdings trotzdem extrem weh tat. Mit einem Geräusch, das eine Mischung aus einem unterdrücktem Aufschrei und einem Würgen ähnelte, wälzte Hadamar sich auf dem Boden und presste beide Hände auf sein Bein. Trotz der Schmerzen bemerkte er, dass sich ihm Licht näherte, Licht und Menschen, und ohne daran zu denken, in welchen Schwierigkeiten er sich damit nun befand, da Schmerz und zunehmende Empörung über den Wut vorerst die Oberhand hatten, fauchte er ihnen wütend entgegen: „Seid ihr wahnsinnig?!? Verfluchte Scheiße, ihr könnt doch net einfach so Speere durch die Gegend schleudern!“

    Hadamar war erleichtert, als der Legat sie wegtreten ließ. Und mehr noch: er gab ihnen den nächsten Tag frei! Besser konnte es gar nicht laufen, so konnte er noch mal vernünftig planen, wann und wie er sich am besten absetzen könnte... und es würde nicht so schnell auffallen wenn er fehlte. Nur der Kerl, den sie hierher geschleift hatten, tat ihm ein wenig leid. Hadamar hatte zwar keine Ahnung, was mit dem passieren würde, aber er wusste, dass Römer nicht gerade zimperlich mit einem Sklaven umgingen, der versucht hatte zu fliehen. Allerdings: das war nichts, woran er etwas ändern konnte, und es gab schon gar nichts, was er jetzt ganz konkret hätte tun können. Und er hatte auch gar keine Energie mehr dafür... also trat er weg wie befohlen, folgte seinen Kameraden und nickte mit einem halb unterdrückten Stöhnen, als Corvinus eine geradezu blendende Idee hatte. „Oooh ja... hervorragend. Ich bin dabei.“ Von zwei, drei anderen kam ebenfalls zustimmendes Gemurmel, und nachdem sie die Ausrüstung fortgebracht hatten, ging es auf zur Therme.

    Die Beerdigung war vorbei, und auch das Aufeinandertreffen mit seiner Familie – das erste, seit er sich verpflichtet hatte –, hatte er heil hinter sich gebracht. Von den Vorwürfen seiner Mutter klingelten Hadamar zwar noch die Ohren, aber auch ihr war letztlich klar gewesen, dass das Kind in den Brunnen gefallen war und es kein Zurück für ihn mehr gab. Er konnte nicht zurückkommen, weil er sich ja verpflichtet hatte – aber er wollte auch gar nicht mehr zurückkommen. Überraschenderweise hatte er im Verlauf seiner bisherigen Ausbildung nämlich festgestellt, dass ihm der Laden wirklich gefiel. Klar forderte die Ausbildung viel von ihm ab, aber trotzdem... oder gerade deshalb... machte es ihm Spaß. Ganz abgesehen von seinem Contubernium, in dem er sich wohl fühlte, und den restlichen Kameraden der Cohorte, mit denen er mehr zu tun hatte. Das war schon ein lustiger Haufen, den Hadamar nicht mehr wirklich missen wollte...


    Jetzt allerdings stand er erst mal vor dem Castellum und musste zusehen, ungesehen wieder reinzukommen, damit er nicht am Ende doch noch Ärger mit irgendjemandem bekam. Dass das reinkommen schwieriger werden würde als das rauskommen, war ihm klar gewesen... als er gegangen war, war es noch einigermaßen hell gewesen, und deutlich mehr los, da war er nicht so aufgefallen beim Wachwechsel. Aber jetzt, in der Dunkelheit, bei Anbruch der Nacht... und dann noch von draußen, worauf die Aufmerksamkeit der Wachhabenden ohnehin mehr gerichtet war... nicht so gut. Aber das hatte er vorher gewusst, und es blieb ihm ja nichts anderes übrig. Also wartete er einen günstigen Augenblick ab, wartete und wartete und stand sich in der Kälte die Beine in den Bauch, versuchte abzupassen, wann die Aufmerksamkeit der Legionäre sich woanders hinrichteten... oder noch besser: ganz nachließ. Als er eben diesen Eindruck hatte, versuchte er sein Glück, sich ungesehen hineinzuschleichen.

    „Natürlich wissen wir das“, brummte Hadamar zu dem Sklaven, nachdem Corvinus und er allein mit ihm waren. Und kratzte sich dann nachdenklich am Kopf. Entgegengesetzt zu dem, was er gerade noch behauptet hatte, wusste er das auch nicht so genau. Aber so schwer konnte es doch nicht sein, eine Trage zusammen zu zimmern... und dieser Gedanke kam ihm bekannt vor. Musste wohl das sein, was er sich gedacht hatte als sie das im Training mal hatten – kurz bevor er sich geistig verabschiedet hatte, ohne sich tatsächlich was zu merken von dem, was er dann zu tun gehabt hatte. Was Corvinus sagte, klang so weit ganz gut, aber Hadamar sah ihn trotzdem zweifeln an. „Najo, überkreuzen und zusammenbinden halt, damits fest genug ist. Aber brauchen wir net zu lang dafür, um genug dünne Baumstämme zu kriegen? Ich würd eher ein paar Planken nehmen und zusammenbinden. Oder gleich die Stalltür.“ Die Besitzer würden kaum begeistert sein, andererseits hatten die ja dann genug Zeit, um sich da was neues zu bauen.

    Hadamar bekam wenig davon mit, was sich im Gebüsch tat, oder dass Corvinus und der Optio etwas hörten. Er schwamm lieber ein paar Runden mit kräftigen Zügen, um sich warm zu halten, weil das Wasser doch ziemlich kalt war. Ziemlich ziemlich.
    Entsprechend froh war er, als der Optio sie wieder rausbeorderte, und gemeinsam mit Corvinus verließ er das Wasser, trocknete sich rasch so gut es ging ab und zog sich wieder an. Und obwohl er sich fragte, was er dann machen sollte, wenn er wieder im Castellum war, beschloss er die Klappe zu halten. Vielleicht hatte er ja Glück und konnte so ein bisschen Freizeit rausschlagen, nachdem er seine Rüstung gereinigt und verstaut hatte.

    Hadamar musterte Corvinus, und irgendwie schien dieser für den Bruchteil eines Augenblicks das Gesicht komisch zu verziehen... aber ganz sicher war er sich nicht, und auch nicht darüber, warum wohl. Aber war im Grunde auch egal – das Thema bot sich einfach an zum Flachsen, und Corvinus' Antwort erst recht. „Ja klar. Sklavinnen. Schwestern. Ich red von Mädls mit denen du im Heu landest! Was ist mit denen?“ bohrte er nach.