Beiträge von Lucius Quintilius Rufus

    Dass seine Worte so große Wirkung bei seinem Vater hatten hätte er nicht für möglich gehalten. Er hätte auch nicht im Traum daran gedacht, dass Worte überhaupt so große Wirkung haben konnten, aber hier hatte er den Beweis. Sein Vater verstummte urplötzlich was Rufus überraschte. Vorhin war er doch noch so energisch gewesen und hatte unbedingt wissen wollen was los war. Und nun schwieg er. Kurz blickte Rufus auf und suchte auch den Blickkontakt seines Vaters. Was er wohl jetzt dachte? Er schien ihm gar nicht zu glauben, aber warum sagte er das dann nicht? Sonst wusste er doch auch immer was richtig war und was nicht.
    Kurzerhand schob sein Vater ihn wieder herum, weg von den anderen, etwas abseits. Was er jetzt wohl wollte? Reden etwa? Zeit mit ihm verbringen? Sein Herz machte einen Hüpfer angesichts dieser Möglichkeit. Auch dass sein Vater sich setzte und den Helm abnahm schien ein gutes Zeichen, dass er vielleicht doch ein wenig bleiben würde und nicht zu Mama rennen würde. Kurz überlegte er sich, ob er sich vielleicht auch setzten sollte, aber ein Blick ins Gesicht seines Vaters, der immer noch ernst und nachdenklich wirkte, ließ ihn den Gedanken gleich wieder verwerfen. Papa wollte reden, das war nun klar. Und die Frage die er ihm stellte hatte es in sich. Rufus begann zu überlegen. War sein Vater wirklich ein schlechter Vater? Er war fast nie da für ihn, aber wenn er da war und mal Zeit mit ihm verbrachte, dann war diese auch immer schön gewesen. Aber sie war einfach immer viel zu knapp bemessen. Wenn er recht überlegte, dann hatte er manchmal das Gefühl, dass er seinen Vater kaum kannte.
    Er überlegte noch einige Zeit hin und her, eine kleine Ewigkeit, die er einfach da stand, schwieg und seinen Vater anschaute. Dann hatte er sich entschieden und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.“, meinte er und hatte dann doch ein wenig Mitleid mit seinem Papa. „Ich hab dich trotzdem lieb.“, fügte er dann noch schnell hinzu um seinen Papa zu trösten. Er war schließlich, egal ob er nun ein guter oder ein schlechter Vater war, sein Vater und er würde ihn immer lieb haben. Genau wie Mama. Und dann setzte er sich neben seinen Vater, so dass der wieder größer als er war und schaute zu ihm auf, wie er es immer tat. Sein Vater war nach wie vor auch sein großes Vorbild.

    Lucius, ich habe nicht viel Zeit., sagte er. Hatte er die denn je? Nein, er hatte nie viel Zeit und verschwenden tat er sie auch nie. Vor allem nicht mit ihm. Immer ging er gleich zu Mama. Auch dass er jetzt nach ihr fragte bewies doch, dass es bestimmt jetzt auch so war.
    Fast hätte Rufus dann doch den Mund aufgemacht, als sein Vater den Blickkontakt erwiederte. Er wirkte leicht böse. Nicht dass er am Ende überhaupt nichts mehr von ihm wissen wollte. Bevor er aber Antwort geben konnte kam ihm Sabina zuvor. Trotzdem schien für seinen Vater die Sache noch nicht abgeschlossen. "Du gehst doch eh gleich wieder...", meinte er endlich ein wenig traurig und schaute zu Boden. "...so wie immer.", beendete er dann leise. Im Grunde war es wirklich immer das Selbe. Sein Vater kam selten und blieb immer nur kurz. So kurz, dass Rufus nur selten einmal Zeit mit ihm verbringen konnte, wenn überhaupt.
    "Du willst immer gleich zu Mama.", warf er dann noch leicht vorwurfsvoll ein. Vielleicht würde sein Vater ja jetzt einmal verstehen, dass Rufus auch einmal Zeit mit ihm verbringen wollte. Aber das lag nicht in seiner Hand und war die Entscheidung seines Vaters. Er musste sich dessen Willen unterwerfen, ob es ihm nun gefiel oder nicht.

    Ehe er sich versah stand er schon wieder im Atrium. Wieder gegen seinen Willen und wieder schlecht gelaunt und bockig. Diesesmal war es allerdings nicht mehr Mama, die Schuld an seiner schlechten Stimmung hatte, sondern sein uneinsichtiger Papa. Warum konnte der denn nicht sehen, dass Rufus mehr als ein blödes durchs Haar wuscheln wollte? Vor allem wenn man an die lange Zeit dachte, die er von seinem Vater getrennt war. Er wollte seinen Papa auch einmal für sich haben. Oder dass er wenigstens im Ansatz versuchte wieder gut zu machen, dass er nicht da war, und wenn es nur tröstende Worte waren.
    Und wieder verlangte sein Vater von ihm Antworten. Und wieder schwieg Rufus und blickte seinem Vater stattdessen stolz und entschlossen direkt in die Augen. Mittlerweile war es für ihn eine Frage des Stolzes und der Ehre geworden. Sein Vater sollte erkennen, dass er nicht erwarten brauchte einfach seine Achtung und Zuneigung zu bekommen, wenn er denn mal ankam und sie einforderte. Er sollte sie sich verdienen. Und ihm eine Antwort zu geben war für Rufus eine Art Achtung. So einfach würde sich Rufus nicht geschlagen geben.

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    Original von Lucius Quintilius Valerian


    Spätestens jetzt musste Rufus einsehen, dass er seinen Papa nicht wirklich gut kannte, denn anders als er es erwartet hatte und auch als er es sich gewünscht hätte, versuchte sein Vater nicht ihn gnädig zu stimmen. Ganz im Gegenteil. Er stimmte einen ganz anderen Ton an, einen den er von Mama nicht wirklich kannte. Die hätte jetzt bestimmt versucht ihn wieder zum Lächeln zu bekommen. Nicht so Papa. Das fraß ihn ein wenig an. Vielleicht würde er durch weiteren Ungehorsam seinen Vater umstimmen können. Daher schwieg er weiter eisern und ließ sich auch nur widerwillig von der Stelle schieben.

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    Original von Lucius Quintilius Valerian


    Noch einmal rieb sich Rufus die Nase und wischte das bisschen Blut, das er noch erwischte an die ohnehin schon blutbefleckte und leicht feuchte Tunika. Dann verschränkte er die Arme, verfinsterte seinen Blick und beschloss böse auf seinen Papa zu sein.
    Natürlich waren wieder alle anderen wichtiger als er, was ihn schon ein wenig kränkte und dann wuschelte er ihm nur durchs Haar. Nichts weiter! Rufus erwartete dass sein Papa seine lange Abwesenheit wieder gut machte und um seine Gunst buhlte, aber nichts dergleichen! Einmal durchs Haar wuscheln und schon sollte alles gut sein? Nein! Nicht mit ihm. Was bildete sich Papa eigentlich ein wer er war? Und natürlich… Er wollte gleich wieder zu Mama, das war ja so typisch. Das war ja auch immer so wenn er nach Hause kam. Mama war für Papa immer wichtiger als er. Er durfte auf sein Zimmer gehen und Papa verbrachte Zeit mit Mama. Das war so unfair.
    Nun war Rufus richtig schlecht gelaunt. Erst wurde er verschleppt, dann verdroschen und nun auch noch übergangen. Nein, er antwortete Papa nicht, sondern drehte sich weg und zeigte seinem Vater die kalte Schulter. Sollte er Mama doch alleine suchen! Der blöde, undankbare Kerl. Sollte er doch zurück wo er hergekommen war, alleine kamen sie schließlich auch gut zurecht!

    Wer auch immer das war, der die Tür geöffnet hatte, er versperrte den Blick nach draußen und auf denjenigen, der davor stand. Ganz leise schlich er sich daher von hinten an den Mann heran und spähte ganz vorsichtig an ihm vorbei und durch die geöffnete Tür hindurch. Er entdeckte Soldaten vor der Tür und die alte Laevina, die gerade wieder von einem Soldat auf die Beine gestellt wurde. Wahrscheinlich war sie so alt, dass sie nicht mehr so weit laufen konnte. Und dann war da noch die alte Sklavin von Laevina. Und dann bemerkte er erst, wer denn diese Männer anführte. Es war sein Papa. Er sah toll aus in seiner ganzen Montur, dem Helm und dem Schwert. Wenn er groß war, dann wollte er auch einmal so toll aussehen. Papa war ja sein großes Vorbild.
    Trotzdem, so sehr er sich freute ihn zu sehen, er hatte ihn schließlich seit Wochen nicht mehr gesehen, war er ihm trotzdem ein wenig böse. Schließlich war er nie da für ihn. Daher bewegte er sich keinen Zentimeter von der Stelle und beobachtete die Situation weiter von seiner Position heraus. Vielleicht bemerkte ihn sein Papa ja noch und buhlte dann um seine Gunst und Zuneigung.

    Sabina ließ seinen Angriff nicht auf sich sitzen und spritzte zurück, was Rufus schon bemerkenswert fand. Sie war schließlich nur ein Mädchen und Mädchen machten so etwas nicht. Es kam aber noch besser, denn sie spritze nicht nur ihn voll, sondern auch Victorius. Als den ein Schwall Wasser traf war die schlechte Laune vergessen und Rufus begann zu kichern und spritzte noch einmal, allerdings in Richtung Sabina. Gegen Victorius hatte er heute schon einmal gekämpft und nicht sonderlich Lust noch einmal die Muskeln spielen zu lassen. Auch wenn es letztlich nur Sabina war, die er nass spritzte, machte es dennoch ein Heidenspaß und er hätte nur zu gerne weiter gemacht, aber es musste ja so kommen wie es kam. Laevina tauchte auch noch auf und Victorius und seine Geschwister standen vollständig vor ihm.
    Jedenfalls hatte auch Sabina ihre Schwester bemerkt und bettelte um Frieden. Rufus als gnädiger Kämpfer nahm diesen dann auch an, bevor er auch noch total durchgeweicht war. „Na gut, Frieden!“, meinte er und sank kichernd am Rand des Impluviums zu Boden und atmete erst einmal durch. Das ganze Gespritzte hatte ihn ganz schon außer Puste gebracht.
    „Salve Laevina.“, begrüßte er seine Base und hörte sich wenig begeistert an, was sie wollte. Sie war ein Mädchen und Mädchen waren doof. Was sie wollte war auch doof, so doof, dass er sogar lieber mit Victorius gespielt hätte. Hochzeit wollte sie spielen. „Ähhh nein, das geht nicht, weil ich schon mit Victorius etwas spielen wollte. Ein Spiel für Jungs, also das nur Jungs spielen.“, redete er sich heraus und hoffte, dass Laevina darauf hereinfallen würde. „Ist doch so oder Victorius?“, fragte er dann noch seinen Vetter und blickte ihn bettelnd an. Er hoffte, dass ihm das Hochzeitspielen auch zu wider war und er mitspielen würde.
    Dann machte Sabina allerdings einen Vorschlag, der das Ganze sinnlos werden ließ. Sie schlug ein gemeinsames Spiel vor, dass er nicht ganz verstand. Er sollte mit Victorius Soldat sein, während Laevina irgendwelches doofes Mädchenzeug machen sollte. Dann sollten sie aber auch Sabina fangen.
    Etwas verwirrt sprang Rufus auf. Das war ihm zu kompliziert. „Nein! Zuerst fängst du mich!“, rief er kurzerhand und machte sich so schnell er konnte aus dem Staub. Er wusste nicht wie schnell Victorius war und er wollte nicht schon wieder verlieren. Das der mitmachen würde war irgendwie klar, denn Hochzeit würde er bestimmt nicht spielen wollen.
    An der Tür angekommen stoppte er dann, denn er hörte, dass dort etwas vor sich ging. Etwas, das interessant zu sein schien.

    Irgendwann beschloss er schließlich, dass er sauber genug war und trocknete sich die Hände an seiner Tunika ab, die wieder etwas dreckiger wurde. Danach ließ er sich neben dem Impluvium auf den Boden nieder, lehnte sich an den Rand und verschränkte die Arme. Noch immer ignorierte er Victorius und versuchte es jedenfalls bei Sabina. Die Beiden konnten ihm doch gestohlen bleiben mit ihren doofen kandierten Früchten. Er war nicht freiwillig hier und wollte auch nicht ihre Gesellschaft, dennoch zwängten sie sich ihm auf. Erst beleidigte ihn Victorius und nun bemutterte ihn Sabina. Das war doch doof und sorgte bei ihm auch nicht für bessere Laune.
    Ein klein wenig war er allerdings auch neidisch auf die Beiden. Victorius hatte eine tolle Schwester, die auch mal für ihn Partei ergriff, während er ganz allein war. Er hatte nur Sontje. Irgendwie wünschte er sich auch so eine Schwester. Das Ganze ließ ihn gleich noch ein wenig schlechter gelaunt werden und seine Züge verfinsterten sich zusehens. Beleidigt linste er dann doch mal kurz zu Victorius und kreuzte kurz dessen Blick. Etwas erschrocken blickte er schnell wieder woanders hin.
    „Ich habe meinen Papa seit Wochen nicht mehr gesehen“, kam dann irgendwann eine Antwort von ihm. Vielleicht würde Sabina ihn ja in Ruhe lassen, wenn sie wusste was sie wollte. Wie vorhin auch fuhr er sie dabei ein wenig an, um sie weg zu ekeln. Er wollte jetzt einfach allein sein. „Lass mich jetzt in Ruhe!“ Wütend holte er aus und schlug mit der Hand ins Wasser des Impluviums und spritzte dabei Sabina voll. Das machte dann doch ein wenig Spaß, so dass seine finstere Miene kurz einem frechen Grinsen wich.

    Rufus wollte nur seine Ruhe haben und das Erlebte erst einmal verdauen. Er hatte beinahe gegen Victorius verloren und eine Verwundung davon getragen. Und was noch wichtiger für ihn war, war die Tatsache, dass er auch durch seinen Habitus daran Schuld hatte, dass er und Victorius sich nicht mochten. Jeder von ihnen Beiden wusste nun, dass jeder ebenso Schuld hatte. Die Ruhe rief ihm schließlich noch etwas in Erinnerung, nämlich dass er ja eigentlich bockig war. Schlagartig schlug seine Stimmung um und seine Wut über die Situation kehrte wieder. Er wollte nicht hier sein und alles war doof hier. Schuld daran war nun nicht mehr Victorius allein, sondern auch eine gehörige Portion Trotz. Seine Mutter hatte gegen seinen Willen gehandelt und das fand er doof. Folglich war die Folge daraus auch doof, oder so etwas.
    Seine Ruhe währte nicht lange, weil es schlichtweg keinen Rückzugsort für ihn gab. Sabina kam und wollte sich seine Nase ansehen. Das wollte er nicht. Zum einen aus Stolz und Eitelkeit, er war schließlich ein Junge, kannte keinen Schmerz und seine Verwundung war ja auch nicht der Rede wert, zum anderen aus seiner Bockigkeit heraus. Dementsprechend energisch wehrte er Sabina Versuch ab. "Lass mich doch in Ruhe!", fuhr er sie an und zeigte ihr die kalte Schulter. Sie sollte ja wegbleiben. Er wollte weg von hier. Und ausserdem: Hätte er etwas von ihr gewollt, dann hätte er sie darum gebeten. Jawohl!

    Rufus fing an sich zu schämen, als Victorius ihm bestätigte was er lieber nicht gehört hätte. Er war also auch ein Blödmann. Victorius schien überrascht zu sein, dass Rufus ihn gefragt hatte und schien nun auch selber nachzudenken und vielleicht würde auch er erkennen, wie doof er doch war.
    Schließlich kam auch für Rufus ein wenig überraschend die Einsicht bei Victorius, auch wenn der es wohl nicht wahr haben wollte. Und ob er auch blöd war. Kurz überlegte er, ob er es ihm noch einmal bestätigen sollte, aber er entschied sich dagegen. Am Ende würden sie sich ja doch nur wieder hauen. Kurz übte er sich im Schweigen und dachte bereits darüber nach, ob er sich vielleicht entschuldigen sollte, weil er Victorius Tunika zerrissen hatte und wollte das gerade auch tun, als Victorius große Schwester ankam und störte. Rufus wusste nicht ob er Sabina mochte oder nicht und blickte sie daher etwas misstrauisch an. Es war doof, dass sie jetzt kam und das Kräftegleichgewicht zu seinem Nachteil veränderte. Wahrscheinlich würde Victorius das zum Anlass nehmen und wieder anfangen ihn zu ärgern. Ausserdem würde sie bestimmt auch für Victorius Partei ergreifen, sollte es Ärger geben. Dann wäre er der Böse, der bestraft würde. Dennoch, er hörte sich an, was sie von sich gab.
    Er sollte sich das Blut abwaschen? Ja, das war eine gute Idee und auch ein Vorwand dieser Situation hier zu entfliehen. Langsam stand er auf und schlurfte schweigend und etwas beschämt zum Impluvium vor dessen Rand er schließlich niederkniete. Dabei kehrte er Sabina und Victorius den Rücken zu und versuchte zu vergessen, dass sie da waren. Er wollte jetzt am Liebsten allein sein. Langsam fing er dann an sich das Gesicht mit dem kalten Wasser zu waschen und das Blut weg zu spülen. Das Wasser fühlte sich gut an und sorgte auch dafür, dass die Nase aufhörte zu bluten.

    Damit hatte sichs wohl mit ihrer kleinen Schlägerei, denn Victorius sah im Moment nicht so aus, als hätte er großes Interesse daran den Kampf fort zu setzen. Auch Rufus hatte sich nun wieder etwas beruhigt und in Anbetracht seiner blutigen Nase hatte er auch nicht mehr viel Lust eventuell noch mehr einstecken zu müssen. Auf allen Vieren zog er sich daher ein Stück weit zurück und setzte sich in einiger Entfernung Victorius gegenüber. Dieser Abstand symbolisierte ziemlich gut wie nah sie sich überhaupt standen.
    Erneut wischte sich Rufus das Blut weg, das noch immer freudig aus seiner Nase lief wie das andere zeug, das an kalten Tagen gerne mal den Weg nach draußen suchte. Dabei blickte er etwas beschämt zu Victorius, der immer noch erschrocken zu sein schien, dass nun Blut floss. Rufus sah das natürlich ein wenig anders. Für ihn war es normal, dass er sich mal weh tat und verletzte und er wusste auch, dass er eigentlich selber Schuld daran war. Was war er auch so hitzköpfig gewesen. Wenigstens tat es nicht besonders weh, weshalb er auch den Kopf schüttelte, als Victorius ihn fragte. Er hätte wohl ohnehin gelogen und sich nicht noch die Blöße gegeben, wenn es anders gewesen wäre.
    Aber noch etwas beschäftigte ihn, jetzt wo er etwas Zeit hatte darüber nachzudenken. Es waren die Worte seines Vetters von vorhin, dass er ein Angeber war und immer bestimmen wollte. War das wirklich so? War er genau das, was er unter anderem an Victorius immer kritisierte und weshalb er ihn nicht mochte? Oder waren sie etwa Beide so? Es ließ ihn keine Ruhe. „Bin ich wirklich ein Angeber und will immer Bestimmer sein, Victorius?“, fragte er daher etwas kleinlaut. Ein bisschen schämte er sich ja jetzt schon, dass er nicht mehr wie vorhin aufsprechen konnte.

    Rufus grinste triumphierend als seine List aufging. Es gelang ihm noch einmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und wieder ein Kräftegleichgewicht herzustellen. Mehr noch sogar, dann Victorius landete sogar noch auf dem Rücken. Nun hatte er wiederum die Möglichkeit ihn in Bedrängnis zu bringen. Das wollte er nun auch tun und sprang mit Leichtigkeit auf, fing sich aber erst einmal ein paar Beschimpfungen ein. Darunter auch Feigling. Das war wohl neben Mädchen die größte Beleidigung für einen Jungen in seinem Alter und sie verfehlte seine Wirkung nicht. Sie traf ihn, wandelte sich aber recht bald in Wut um. Kopflose Wut. Wieder ließ er einen Kampfschrei los und ohne nachzudenken stürzte er sich auf Victorius. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, erwischte ihn Victorius ausgestreckter Arm direkt im Gesicht. Genauer direkt an der Nase, die auch gleich anfing zu bluten. „Auuuuuuu“, jaulte er, schüttelte kurz den Kopf und dem Schmerz der ihn die Tränen in die Augen trieb zum Trotz, fuhr er fort auf Victorius loszugehen. Breitbeinig über ihm kniend packte er dessen Tunika und zerrte daran. Dass er einige Schläge und Kratzer im Gesicht abbekam war ihm sowas von egal. Victorius musste dafür büßen, dass er ihn Mädchen genannt hatte. Irgendwann gab der Stoff der Tunika schließlich nach und riss am Hals. Das kam dann doch überraschend. So überraschend, dass er innehielt, Victorius losließ und ansah. „Das wollt ich nicht.“, murmelte er und wischte sich die blutende Nase am eigenen Ärmel ab.

    Am Boden hatte er ihn jedenfalls schon einmal, was er mit Freude zur Kenntnis nahm. Allerdings kam es etwas anders, als er es sich vorgestellt hatte. Unabsichtlich hatte er seinem Kontrahenten einen Vorteil gewährt und diesen nutzte der voll aus. Nun saß er auf Rufus und konnte ihn ganz einfach zu Boden drücken, naja ganz so einfach dann doch nicht, denn Rufus wehrte sich verbissen. Mehrfach versuchte er vergeblich seinen Vetter von sich herunter zu bekommen, aber der saß mit seinem ganzen Gewicht auf ihm und das ziemlich sicher. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er ihn gänzlich fest am Boden festgesetzt hätte. Es wurde also allmählich Zeit, dass Rufus sich etwas einfallen ließ. Ihm fiel allerdings nur ein etwas unfairer Trick ein. Er drehte den Kopf nach rechts und meinte laut: „Wir spielen nur, Onkel Sedulus.“ Er spekulierte drauf, dass Victorius ebenfalls schauen würde und daher abgelenkt sein würde. Noch einmal mobilisierte er alle verfügbaren Kräfte, befreite seine Hände und drehte sich ruckartig zur Seite und versuchte Victorius abzuschütteln. Unterstützen tat er diese Drehung noch mit seinen Händen, die er gegen Victorius Unterkiefer drückte. Entweder es würde gelingen oder er würde die Schmach einer Niederlage kosten müssen.

    Victorius mochte seinen verbalen Schlag als schwach einschätzen, aber Rufus traf es ungeheuer hart. War er wirklich ein Angeber und blöder als Victorius? War er es womöglich, der daran schuld war, dass sie sich nicht verstanden und mochte er Victorius deshalb nur nicht, weil er ihn nicht mochte? Nein, ganz so war es nicht, denn auch Victorius war ein selbstverliebter Angeber. Aber war er auch einer? Es beschäftigte ihn ziemlich, so sehr, dass er sich nicht mehr konsequent auf den Kampf konzentrierte, geschweige denn auf seinen Gegner. Umso härter traf ihn also der Schlag in der Magengrube und holte ihn zurück aus seinen Gedanken. Er kam so überraschend, dass er rückwärts taumelte und auf dem Hinterteil landete. Kurz blieb ihm die Luft weg, aber nur kurz. Er musste sich wieder auf den Kampf konzentrieren. Fragen konnte man ja immer noch später stellen, nämlich dann, wenn Victorius besiegt am Boden lag.
    Schnaubend sprang er wieder hoch, begleitet von einem kleinen Kampfschrei, packte Victorius an den Schultern und versuchte ihn zu Boden zu zerren. Es ging weniger darum ihm weh zu tun, sondern viel mehr Kraft zu demonstrieren. Es war eben eine Rauferei, die am Boden noch an Intensität zunehmen würde. Er strengte sich an und biss die Zähne zusammen. Irgendwie musste er ihn zu Boden befördern, daher ließ er sich wieder fallen, um ihn mit seinem Gewicht nach unten zu zerren.

    „Du bist ein riesengroßer Blödmann! Aber das weißt du ja. Das ist so wie der Apfel, der vom Baum fällt.“, konterte er energisch. Dass er gerade zu weit gegangen war wusste er, schließlich war Victorius nun auch wütend und würde es jetzt umso mehr sein, aber Schuldgefühle hatte er keine. Warum auch? Victorius war ein Blödmann und sollte das auch oft genug zu hören bekommen, damit er es nicht vergaß. Und Rufus ließ es ihn nicht vergessen.
    Missmutig sah er mit an wie sein Erzfeind sich lässig an die Säule lehnte und ballte seine Fäuste. Nach wie vor stand er starr da und rührte sich nicht, obwohl ihn dieser Anblick zur Weißglut trieb. Dieser selbstverliebte Angeber! Und wie er aufsprach, als hätte er die Weisheit gepachtet. Am Liebsten hätte er einfach ausgespuckt, aber das unterließ er tunlichst. Das gab eh nur Ärger. „Mama hat fei gar nix mitgenommen, also bleiben wir auch ned daha! Außerdem will ich gar nicht mit deinem bescheuerten Spielzeug spielen. Das ist so blöd wie du!“, antwortete er weil ihm nichts anderes mehr einfiel und man merkte ihm nun auch an, dass er wütend war. Er brüllte es fast schon heraus. Dieser Typ machte ihn einfach nur aggressiv und nun ließ er seiner Wut auch freien Lauf. „Wir sind aber trotzdem draußen gewesen, du Schlaumeier! Und wir gehen auch wieder! Hoffentlich bald! Dann bin ich dich blöden Angeber endlich los!“,meinte er lautstark und kam immer mehr in Rage. Ihm reichte es jetzt einfach mit diesem Aufsprecher und Angeber. Kurzerhand schritt er auf ihn zu, packte ihn an der Tunika und presste ihn an die Säule. „Ich mag dich nicht!“, brüllte er ihn an.

    Misstrauisch beäugte er das Näherkommen des ungeliebten Verwandten. Der zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt und ließ sich schon gar nicht auf die längst fällige Rauferei ein. Noch schlimmer, das ärgerte Rufus so richtig, war dessen hochmütige Antwort. Er musste sich schon richtig beherrschen, ihm nicht eine Lektion zu erteilen, aber auch er ließ sich letztlich nicht dazu hinreißen den Kampf zu beginnen. Nein, er spielte den Neugierigen und fragte nach: „Und was macht dich da sooo sicher?“ Er war sich nicht mehr ganz so sicher, ob diese Antwort gleichwertig zu Victorius‘ war, aber ihm fiel nichts anderes mehr ein was er noch sagen konnte. Aber Worte waren ihm eigentlich egal. Er hoffte immer noch, seine Kräfte mit denen dieses Blödmannes messen zu können. Das war schließlich das, was zählte. Diesem Doofkopf zu zeigen, wer der Stärkere war.


    Was seine Anwesenheit hier betraf, so dachte er etwas anders darüber als Victorius. Er wollte einfach nur weg und falls das nicht möglich war, wollte er so wenig Kontakt zu diesem Blödmann wie nur möglich. Spielen wollte er unter keinen Umständen mit ihm, sofern er nicht dazu gezwungen wurde. Dafür nahm er sogar Langeweile in Kauf. „Was du nicht sagst.“, meinte er nur gleichgültig. Wahrscheinlich erfreute sich dieser Blödmann noch an seinem schweren Los.

    Endlich zeigte sich der hinterhältige Feigling und kam aus seinem Versteck. Er schien ja mächtig stolz auf sich zu sein. Dafür erntete er nichts weiter als ein paar bissige Blicke von Rufus. Aber auch ein klein wenig Neid regte sich in ihm, schließlich hatte dieser Blödmann ein tolles Spielzeug, das er nicht hatte. „Ach ja? Du scheinst dir aber ganz schön sicher zu sein. Komm doch her!“, forderte er Victorius abermals heraus. Dass der behauptete ihn einfach so besiegen zu können wollte er natürlich auch nicht so auf sich sitzen lassen, er hatte schließlich auch seinen stolz. Außerdem war er der festen Überzeugung, dass er in einem Wettstreit jederzeit den Sieg davontragen würde. Der blöde Victorius jedenfalls würde ihn nicht überwinden! Er mochte ein wenig älter sein, trotzdem brauchte er den Mund nicht so weit aufzumachen.
    Seine Beleidigungen jedenfalls mochten ins Schwarze getroffen haben, aber hatten dennoch den eigentlichen Zweck verfehlt. Er wollte sich noch augenblicklich mit ihm prügeln und ihm ein für alle Mal zeigen, was er von ihm hielt. Aber er wollte sich einfach nicht darauf einlassen. „Das würde ich auch gerne wissen! Meine Mama hat mich gegen meinen Willen hier her geschleppt.“, antwortete Rufus auf die Frage seines Gegenübers und verschränkte die Arme. In einer Sache waren sie sich wohl also einig: Er wollte nicht hier sein und Victorius wollte ihn nicht hier haben.

    Hätte Rufus gewusst, dass sein Erzfeind so nah war, dann wäre er seiner Mutter längst hinterher gelaufen, nur um diesem Blödmann nicht zu begegnen. Aber leider bemerkte er ihn gar nicht, schließlich war er viel zu sehr damit beschäftigt böse zu sein und mit verschränkten Armen und schnaufend in Richtung Tür zu schauen und zu überlegen wie er hier am besten wieder ganz schnell rauskam. Er wollte nach Hause. Er hatte lieber Sontje und Dio um sich als Mama und diesen oberdoppelunddreifachen Blödmann. Er war ohnehin froh, dass er dessen blödes Gesicht noch nicht hatte erblicken müssen.
    Mit einem Mal zuckte er zusammen als ihn irgendetwas am Hinterkopf traf. Instinktiv griff er an die Stelle und begriff schließlich was das gewesen war. Oder besser wer. Lautstark begann er zu schnauben und drehte sich in Richtung des Heckenschützen. Er kochte. Das sah diesem blöden Blödmann doch ähnlich. Kein Wunder dass er ihn nicht mochte. Kurz überlegte er ob er einfach drauf zustürmen sollte und seinem Vetter mal tüchtig die Hammelbeine langziehen sollte, aber er entschied sich vorerst für eine verbale Attacke. Wahrscheinlich spekulierte der eh darauf, dass er wütend wurde. „Du bist ein blöder Barbar! Traust dich ja nicht mal mich offen anzugreifen! Aber das sieht dir ähnlich, du Mädchen!“, verspottete er ihn und zeigte ein hochmütiges Grinsen. Er war stolz auf sich, dass dieser Hieb vermutlich sehr gut gesessen hatte.