Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Der junge Petronier hatte nach der Salutatio heute auf seinen Patron gewartet und war ihm dann zum Palatin gefolgt. Ein wenig stolz war er schon, wie er so hinter dem togatragenden Quaestor herging - der Sekretär eines römischen Magistraten! Er erinnerte sich auf dem Weg, dass der Alte ihm einmal erzählt hatte, dass sein Onkel auch Quaestor gewesen war... Varus oder so ähnlich. Aber eigentlich hielt er das für ein Märchen, denn wenn das so wäre, wäre sein Onkel ja sicherlich auch ein richtiger Senator gewesen und er würde in Rom nicht in einer Mietskaserne wohnen müssen, sondern könnte eine Suite in einer Villa belegen!


    Dann endlich standen sie - mal wieder - am Palatin. Die Kontrolle ließ er über sich ergehen, stellte dabei aber wieder einmal fest, dass er es hasste, wenn Fremde ihn anfassten! Genaugenommen hasste er es grundsätzlich, wenn ihn jemand berührte - selbst Armin sollte das nicht tun. Aber immerhin war er so klug gewesen, Pythagoras zu Hause zu lassen, sodass sich auch nichts finden würde.


    Als sie dann ausreichend kontrolliert worden waren, folgte er seinem neuen Arbeitgeber durch den Audienzbereich, den er schon kannte, in den Verwaltungstrakt...

    "Jawohl, Domine."
    gab Lucius zufrieden zurück - aber auch mit einem leisen Zweifel: Vom Markt wusste er, dass viele Händler gern handelten und aus dem schnellen Eingehen auf ein solches Angebot war dann im allgemeinen abzuleiten, dass man auch höher hätte einsteigen können. Trotzdem musste sich der junge Petronier vorerst mit 100 Sesterzen bescheiden - und ganz so schlecht war das ja auch nicht...
    "Hast du für heute schon etwas für mich zu tun?"
    fragte er dann, denn wenn er es genau nahm, hatte er heute - wie so oft - noch gar nichts vor.

    Sim-Off:

    Eintrag im CP?

    Wie Lucius es nicht anders kannte, hatte Armin am Vortag seinen Auftrag hervorragend ausgeführt. Entsprechend konnte der junge Petronier, nachdem er ausgiebig ausgeschlafen hatte, völlig entspannt die Semita Horreorum suchen und sich von seinem Sklaven das Geschäft zeigen lassen, in dem der betrunkene Bäcker aus der Taverne seinem Handwerk nachging.


    Als wäre er ein einfacher Kunde schlenderte er in die Verkaufsstube und sah sich um. Auf dem Tresen vor ihm waren verschiedene Brote aufgereiht, darunter ein Stapel normales Graubrot, feine Weißbrote und Gebäck, das teils mit Honig überzogen war. Als er das alles so betrachtete, wurde ihm klar, dass er heute noch gar nichts gegessen hatte! Aber schon lugte ein Kopf durch den Durchgang zur Backstube und kurz darauf erschien tatsächlich Hispo mit blutunterlaufenen Augen und mehliger Tunica.
    "Was darf's sein?"
    fragte er - scheinbar erkannte er den Besucher nicht. Doch Lucius hatte vor, das schnell zu ändern:
    "Ich nehm' ein Teilchen von dem Honiggebäck hier vorn und dann noch... die ganze Bäckerei!"
    erklärte er in einem beiläufigen Tonfall, als hätte er noch einen Becher Wein zu seinem süßen Stückchen bestellt. Der Bäcker wollte schon nach dem gewünschten Teil greifen, als er inne hielt und ihn genauer ansah.
    "Du bist doch der Typ aus dem-"
    "Ja, genau - der Typ aus der Taverne gestern Abend! Erinnerst du dich an mich? Und an mein Angebot?"
    unterbrach ihn Lucius und grinste hämisch - es machte ihm einfach zu großen Spaß, dummen Menschen wie seinem Gegenüber Angst einzujagen! Aber damit musste er noch einen Moment warten, denn der Bäcker wurde eher ärgerlich als ängstlich:
    "Was grinst du so dämlich? Klar erinner' ich mich an dein Angebot, Mann! Aber ich hab' dir schon gesagt, dass dieser Laden unverkäuflich ist!"
    Lucius beobachtete den Mann genau - unter seinem Ärger zeigte er deutliche Anzeichen von Nervosität und der Kater vom Vortag machte es ihm nicht einfacher, diese Nervosität zu verstecken!
    "Ich verstehe ja, dass du an diesem Laden hängst."
    log Lucius ganz ruhig - natürlich verstand er es nicht, aber er hatte sich diese Art zu reden von anderen Leuten abgeschaut und sie sogar heute Morgen nochmals geübt. Und zur Ruhe hatte er allen Grund: Armin stand hinten an der Tür mit verschränkten Armen und unter seinem Mantel hatte er Pythagoras, sein Schwert versteckt. Zu schade, dass die dämlichen Gesetze es verhinderten, dass er sich einfach dieses Fettsacks entledigen konnte!
    "Aber ich will dich ja nicht vertreiben, sondern nur etwas vom Gewinn abhaben. Du kannst hier weiterarbeiten und deine Familie ernähren. Und vor allem kannst du deiner geliebten Frau im Vicus Mollinus die Wahrheit über deine Spielschulden ersparen!"
    Jetzt wurde der Bäcker erst richtig nervös, was den jungen Petronier immer höhnischer werden ließ.
    "Meine Frau? Lass meine Frau aus dem Spiel! Und woher weißt du überhaupt, wo sie - äh - ich wohne?"
    "Ich habe meine Quellen! Aber das ist für dich auch völlig belanglos, denn von Bedeutung ist nur, dass ich weiß, wo ich sie finde! Und du willst doch nicht, dass ich ihr zufällig begegne und von ihrem sturzbetrunkenen Ehemann erzähle?"
    Noch einmal versuchte Hispo es mit Zorn:
    "Willst du mich erpressen, Mann?"
    Kurz dachte Lucius nach, was er bei Eumenius über Erpressung gelernt hatte: Naja, was er tat konnte man wohl durchaus als "Drohung mit einem empfindlichen Übel" betrachten - zumindest wenn man davon ausging, dass das Opfer seine Frau so schlecht im Griff hatte, dass er Angst davor haben musste, ihr seine Spielsucht zu beichten!
    "Naja, das könnte man so sagen! Hör zu: Ich biete dir 200 Sesterzen für deine Bäckerei mit allem drum und dran. Ich stelle dich als Bäcker an und zahle dir jede Woche das übliche Gehalt. Dafür wird niemand etwas davon erfahren! Wenn dir das nicht passt, wird deine Frau noch heute von deiner Spielsucht erfahren!"
    "Das... also das ist ja..."
    Hispo schien gar nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Aber Lucius schnitt ihm sowieso das Wort ab:
    "Du hast bis heute um die neunte Stunde Zeit, mir deine Entscheidung mitzuteilen! Ich erwarte dich im Granum et Vennuncula!"
    Damit drehte er sich um und verließ die Bäckerei wieder, gefolgt von Armin.


    Als er wieder auf der Straße war und in Richtung Decumanus schlenderte, brach er in Gelächter aus.
    "Hast du gesehen, wie dumm der geguckt hat, Armin?"
    "Nie und nimmer wird der kommen, Domine!"
    gab der Sklave zurück und grinste ebenfalls ein bisschen.
    "Wie auch immer - den Spaß war's auf jeden Fall wert!"

    PISTRINA
    GAI ISTORII ALBIANI HISPONIS


    In der Regio I, allerdings etwas abseits des Decumanus liegt in der Semita Horreorum eine größere Bäckerei, die dem Gaius Istorius Albianus Hispo gehört. Die Bäckerei ist ein Familienbetrieb: Neben dem nubischen Sklaven Gaos und einem Maultier arbeitet hier nur Hispo selbst.


    Der Betrieb besteht aus einem Bäckerladen zur Semita hin, in dem den Kunden ein großer Tisch erwartet, auf dem verschiedene Brotsorten aufgereiht sind. Was er nicht sieht, ist der dahinter liegende Backraum, in dem nicht nur der Lehmbackofen steht, sondern auch eine steinerne Getreidemühle, die von dem Maultier angetrieben wird, und ein Nachtlager für Gaos. Im Hinterhof befindet sich schließlich ein kleiner Stall für das Tier.


    Sim-Off:

    Klick zur Ausgrabung der Bäckerei (in der Ausbaustufe, auf die noch hingearbeitet wird). Der Besitzer ist natürlich unbekannt, die Buchstaben G I A H finden sich aber ;)

    Als angemessen empfinden? Das war eine ziemlich komplizierte Frage - zumindest wenn man wie Lucius in seinem ganzen Leben noch nie für Geld gearbeitet hatte oder andere für sich hatte arbeiten lassen. Seine Helfershelfer als Magister Vici waren Klienten des Alten gewesen, der ihnen dafür wahrscheinlich auch etwas zugesteckt hatte - aber das war nun nicht die Kategorie von Arbeit, die Lucius für sich als angemessen betrachtete. Und was ein staatlich angestellter Scriba erhielt - keine Ahnung! Er hatte auch einmal etwas von Gehaltsklassen von Equites gehört, die irgendwo im Bereich der 500 bis 3000 Sesterzen lagen, aber ob das hier irgendwie weiter half? Im Grunde war dies wieder eine ähnliche Situation wie damals mit der Statue - aber natürlich hatte der junge Petronier noch immer keine Lust, sich als unwissend outen zu müssen. Deshalb riet er blind ins Blaue:
    "Vielleicht so - äh - hundert Sesterzen?"

    Diese Frau machte ihn total kirre - wieso lachte sie jetzt? War das Ironie? Oder sollte das so etwas wie Höflichkeit sein? Außerdem war da schon wieder diese Scheißfreundlichkeit, die ihn total verwirrte. Wieso sollte sie ihn einladen?
    "Davon gehe ich aus. Es gibt kein Gesetz dagegen!"
    antwortete er deshalb ein wenig säuerlich, aber wahrheitsgemäß, und verschränkte die Arme vor der Brust. Was er sonst dazu sagen sollte, wusste er momentan einfach auch nicht...

    Als er wieder von seinem Ring aufsah, setzte sich unvermittelt ein Mann an ihren Tisch. Er trug eine Tunica, aus der sich ableiten ließ, dass dies kein einfacher Arbeiter war - eher eine Art Geschäftsmann. Die Unordentlich seines Stils sagte aber auch aus, dass er nicht besonders erfolgreich sein konnte - er hatte nicht einmal eine Toga oder einen Mantel an! Außerdem roch er ziemlich nach Wein!


    "Oh Mann, oh Mann - die bringen mich noch um!"
    erklärte der neue Tischgenosse unvermittelt und sah Armin und Lucius abwechselnd an, die irritiert zurückblickten. Die Augen des Fremden verengten sich und er begann zu gestikulieren:
    "Könnt ihr euch das vorstellen? Die rauben einen komplett aus - und das unbarmherzig! Ich sag's euch! Die legen noch meine Familie um, wenn's so weitergeht!"
    Lucius sah zu Armin, der den Blick erwiderte. Hatten sie jetzt einen Verrückten an der Backe? Aus den Aussagen ließ sich nicht so recht ableiten, worauf er hinauswollte: War er einfach verrückt und fühlte sich verfolgt? Oder war er tatsächlich ausgeraubt worden? Aber das war auch unlogisch - dann hätten sie seine Familie wohl schon umgelegt. Oder hatten sie ihn erpresst, dass er ihnen noch mehr Geld brachte? Andererseits war es dann ziemlich irrational, diese Lage mitten in einer Taverne herauszuposaunen - da musste man sich entweder an die Vigiles wenden oder zahlen, soweit der junge Petronier wusste. Andererseits waren viele Leute ziemlich dumm...
    Der Fremde ließ sich von ihren fragenden Blicken aber nicht beeindrucken, sondern fragte in sarkastischem Unterton, den Lucius natürlich nicht verstand:
    "Oder habt ihr zufällig 300 Sesterzen?"
    "Ja."
    antwortete er deshalb knapp und genervt. Der Typ war ziemlich aufdringlich und versprach nicht gerade ein interessantes Gespräch. Tatsächlich begann er wieder wild zu gestikulieren und sich aufzuregen:
    "Na super! Toll für euch! So junge Leute sitzen hier und trinken ihren Wein - nein, Bier sogar! - und können mit Geld nur so um sich werfen! Und so'n armer Schlucker wie ich, ein ehrlicher Handwerker, muss sich von irgendwelchen Geldeintreibern die Scheiße aus dem Leib prügeln lassen! Das is' so ungerecht! Was sollen meine Frau und meine Kinder davon halten, wenn sie das rauskriegen? Hätte der verdammte Phytocles seine Pferde doch nur 'n bisschen mehr angetrieben!"
    Gegen Ende war sein Ton eher ein bisschen jammerig geworden und tatsächlich brach er nun in Tränen aus.
    "Könnt ihr euch das vorstellen? Könnt ihr euch das vorstellen?"
    Armin wirkte nun ziemlich verdutzt. Aber auch Lucius wusste nicht so recht, wie er das alles verarbeiten sollte: Aus dem Gebrabbel ließ sich aber zumindest ein bisschen etwas rekonstruieren: Er hatte sich als Handwerker und Familienvater bezeichnet. Dazu hatte er Geldeintreiber erwähnt - logischerweise hatte er dann also Schulden, die er nciht bezahlen konnte, wofür auch das Verprügeltwerden sprach. Darüber hinaus fürchtete er eine Entdeckung durch seine Familie, was wiederum mit einem gewissen Phytocles und Pferden zusammenhing. Phytocles - dieser Name kam ihm tatsächlich auch bekannt vor. Richtig, ein Auriga! Der junge Petronier war ja bei den Spielen zu Ehren von Tiberius Durus gewesen und auch wenn er nach der ersten Runde beschlossen hatte, dass Wagenrennen langweilig waren und er sich lieber etwas zu Essen organisierte, hatte er die Namen der Lenker noch mitbekommen. Aus all dem ließ sich also nur eines ableiten: Der Typ hatte Geld bei einer Wette verloren, was er seiner Familie aber nicht verraten hatte. Offensichtlich war außerdem, dass er dieses Geld - genaugenommen 300 Sesterzen - nicht aufbringen konnte und er somit ziemlich sicher vor dem sicheren Ruin stand.
    Stellte sich die Frage, ob diese Geschichte für Lucius interessant war. Generell war sie das natürlich nicht - er war nicht hier um über traurige Schicksale Unbekannter zu schwafeln! Oder ließ sich daraus irgendwie Gewinn schlagen? Vielleicht, indem er ihn erpresste, das ganze der Frau zu erzählen? Aber was hatte er davon - offensichtlich hatte dieser Handwerker ja kein Geld! Und abgesehen davon kannte er die Frau natürlich nicht - dies war nicht Mogontiacum, wo jeder jeden kannte!
    "Was für'n Handwerker biste denn?"
    fragte Armin in diesem Moment.
    "Bäcker!"
    antwortete der Mann, was aber natürlich nicht alles war:
    "Ich bin Gaius Istorius Albianus Hispo, der beste Bäcker von ganz Ostia! Mit eigenen Mühlen! Ich hatte schon Verträge mit der Cura Annonae - schon oft! Und jetz' steh' ich vor dem Nichts! Das ist so ungerecht! Verflucht sein Neptun und alle Götter, die mit Pferden zu tun haben!"
    "Was für ein dämlicher Name" dachte sich Lucius. Trotzdem waren diese Informationen weitaus interessanter als das Gejammer über seine Frau. Denn die Sache mit der Cura Annonae war dem jungen Petronier tatsächlich schon aufgefallen - diese Organisation kaufte Unmengen von Brot und Getreide und beschäftigte Massen an Bäcker, Müllern und so weiter! Im Grunde war es ein ähnliches Geschäft wie die Tunicae des Alten - die gingen ja auch an die Legion und die zahlte pünktlich und gut. In ihm reifte ein Plan...
    "Verkauf' doch deine Bäckerei!"
    schlug Lucius ganz scheinheilig vor (zumindest so scheinheilig, wie er konnte).
    "Meine Bäckerei? Die ist alles was ich hab! Wovon soll ich denn leben, wenn ich sie nicht mehr habe? Woher sollen meine Kinder ihr Brot bekommen? Etwa diese Backsteine von Pullo?"
    Lucius hob abwehrend die Hände - geradezu eine rhetorische Geste, über die Eumenius sich sicher gefreut hätte (zumindest glaubte Lucius das).
    "Naja, der neue Besitzer könnte dich einfach als Bäcker anstellen und dir einen kleinen Lohn zahlen."
    "Einen Lohn? Ich hab' diese Bäckerei aufgebaut! Mein Vater war noch ein kleiner Bäckersgeselle vom Land und ich bin ein respektabler-"
    "-Pechvogel mit einem Berg Schulden und einer Familie, die nichts davon erfahren darf!"
    beendete Lucius den Satz kühl. Er hatte Privatus immer mal über die Schulter geschaut. Und auch wenn seine ersten Schritte im Wirtschaftsleben ziemlich holprig gewesen waren, hatte er noch lange nicht aufgegeben. Diesmal würde er sich zuerst etwas genauer informieren. Außerdem war er im Vorteil, denn dieser Kerl war in einer Notlage und in solchen Fällen pflegten Menschen manchmal ziemlich irrational zu handeln! Was sich wieder bewies:
    "Du hast ja einen Vogel! Was weißt du schon vom richtigen Leben, Bürschchen? Meine Bäckerei verkaufen - dass ich nicht lache!"
    "Das wäre eine ziemich kluge Lösung, Istorius. Deine Fraue würde nichts bemerken, du hättest Lohn und der Investor Gewinne."
    versuchte der junge Petronier es nochmals im Guten. Aber der Typ war zu betrunken oder zu aufgekratzt oder zu dumm, um das jetzt einzusehen. Stattdessen erhob er sich schwankend und sagte nur:
    "Meine Bäckerei verkaufen - so ein Blödsinn! Ihr jungen Schnösel ihr, ihr glaubt wohl, man kann alles mit Geld kaufen! Nene, an sonem Geschäft, da hängt Herzblut dran! Herzblut, versteht ihr?"
    Mit einem Klopfen auf die Brust wandte er sich um und wankte aus der Tür. Lucius' Blick verfolgte ihn einen Moment, dann sah er wieder zu Armin.
    "Folge dem Typen! Finde raus, wo diese Bäckerei is'. Und wo er wohnt - beziehungsweise seine Frau!"
    Der Sklave schien sofort zu verstehen, denn er grinste. Dann sprang er auf und schob sich an der Kellnerin vorbei, um den betrunkenen Bäcker abzupassen, bevor er durch die Tür und verschwunden war...

    Im Gegensatz zum Alten hatte Lucius doch ein ganz passables Personengedächtnis und als er den spöttischen Unterton hörte, war er sich sicher, dass seine scheinbare neue Nachbarin die Oberlupa war. Erst jetzt kamen alle Erinnerungen wieder, die er so sorgfältig verdrängt hatte, weil sie irrational und unlogisch waren. Diese seltsame Mischung aus Begehren und Angst vor den schönen Frauen im Lupanar des Helvetiers. Die unglaubliche Befriedigung, diese hochmütigen Nutten zu demütigen. Und der schale Geschmack, den die Einsicht hinterlassen hatte, dass diese Frauen ihm ihre Angst und ihren Respekt nur vorspielten und ihn letzten Endes nur ausnehmen wollten. Und natürlich die Verheißung dieses komischen Raumes mit "Spielzeugen" - was immer das bedeuten mochte...


    Das alles verschlug ihm erst einmal die Sprache, zumal die Nachfrage der Nutte völlig unlogisch war - worauf bezog sie sich? Was erwartete sie als Antwort? Um ein "geschäftliches" Angebot konnte es sich ja wohl irgendwie nicht handeln, oder? Oder zog sie hier gar nicht ein, sondern eröffnete eine Filiale ihres Lupanars? Wohnten Lupae nicht in ihrem Lupanar? Aber immerhin war sie die Verwalterin... - schon wieder tausend Fragen!
    "Nein."
    sagte er schließlich, wobei er wieder ziemlich verunsichert wirkte. Diese Verunsicherung machte ihn aber zugleich auch ärgerlich, sodass er die Fäuste ballte und sich etwas straffte.
    "Das hier ist ein Mietshaus und kein Lupanar! Hier kann nicht jeder herumbrüllen, wie es ihm passt!"
    Etwas anderes fiel ihm gerade nicht ein. Außerdem wollte er nicht, dass neben seiner Wohnung ein Lupanar aufmachte! Das war bestimmt laut, vor allem nachts - und es reichte ihm schon, dass unten auf der Straße zur Schlafenszeit pausenlos Wägen ratterten! Und überhaupt, für so etwas brauchte man doch bestimmt eine Betriebserlaubnis!

    Tatsächlich ließ Apolonia sich nicht weiter beeindrucken - naja, zumindest zuckte sie ein bisschen zusammen, als er so harsch reagierte. Aber sie hielt ihn auch nicht auf, wofür der junge Petronier ein bisschen dankbar war - diese Frau irritierte ihn noch mehr, als Nicaea es damals getan hatte... Wo war nur seine Vernunft und kritische Distanz hingekommen?


    Fürs erste war er aber erlöst und er ging schnurstracks zur Tür. Dort fiel ihm ein, dass er ja eigentlich auf Helvetius Varus wartete - allerdings traute er sich auch nicht, noch einmal zu dieser unheimlichen Frau zurückzukehren. Naja, sicherlich würden sie sich irgendwann einmal wieder über den Weg laufen. Und bis dahin hatte er immerhin seine Unschuld verloren, ohne auch nur ein As dafür auszugeben! Trotz aller unbefriedigenden Aspekte konnte er also doch irgendwie zufrieden sein...


    So machte Lucius sich auf den Nachhauseweg, um Armin von seinen Erlebnissen zu berichten...

    Erdiger Wein? Lucius hatte sich immer gefragt, was das zu bedeuten hatte - er wusste sehr gut, wie Erde schmeckte (als kleiner Junge hatte Caius ihn oft genug solche fressen lassen), aber eine Verbindung zu Wein fiel ihm dabei einfach nicht ein. Mit dem Begriff "Falerner" konnte er dagegen schon etwas anfangen - immerhin war das einer der teuersten Weine der Welt und selbst der Alte hatte ihn hier und da erwähnt. Neu war dagegen wieder die Kombination mit Essen: aus der Aussage des Helvetiers war abzuleiten, dass man zu Fisch Weißwein trank.


    Die Fragen waren dagegen wieder eine etwas unlogische Kombination: Die erste legte nahe, dass es um seine Wein-Vorlieben ging. Dann stellte sich aber die Frage, wie diese erste mit der zweiten und dritten zusammenhing. Gab es eine Relation zwischen dem Herkunftsland, den klimatischen Verhältnissen und den Weinvorlieben? Und wenn ja: Waren diese allgemein bekannt und nur an dem jungen Petronier vorbeigegangen
    "Ähm..."
    war deshalb vorerst das erste, was er herausbrachte, ehe er sich entschied, kurzerhand nur auf die beiden letzten Fragen zu antworten, die gefahrlos waren, da sie ja klare Fakten abfragten:
    "Genau, ich komm' aus Germania. Und bei uns gibt es sehr wohl richtige Sommer: Es wird auch manchmal ziemlich warm und schwül, wobei das Klima am Rhenus etwas angenehmer ist als im Hinterland."
    erklärte er deshalb. Natürlich war es keinesfalls so heiß wie hier in Rom - ghier war es ja wirklich unangenehm! - aber immerhin... Um nicht allzu offensichtlich ausweichend zu wirken machte er schließlich noch eine kleine Bemerkung zum Weinbau, gegen den man sich in Mogontiacum natürlich auch nicht vollständig wehren konnte:
    "Bei uns wird auch Wein angebaut, vor allem am Rhenus und an der Mosella."

    Der junge Petronier machte ein etwas säuerliches Gesicht und fragte sich, welche Strategie er jetzt am besten fahren sollte - die Bedienung kam ihm nicht bekannt vor, also war es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie damals hier gewesen war. Folglich konnte sie sich auch nicht erinnern, dass er überhaupt keinen hispanischen Rotwein, sondern irgendsoeinen pappsüßen Würzwein getrunken hatte. Logischerweise konnte sie sein Lügengebäude also nicht zum Einstürzen bringen.


    Was war aber zu tun? Wenn seine Behauptung zuträfe, wäre es wohl am logischsten, einfach nach den hispanischen Weinen zu fragen. Damit gab es verschiedene Möglichkeiten: Entweder es gab verschiedene hispanische Weine, sodass er einfach auf gut Glück einen auswählen musste. Der eine Fall war dann, dass dieser gut schmeckte - dann würde alles gut gehen. Der andere Fall war aber, dass er scheußlich war - was Lucius zwar durchaus grob erkennen konnte, allerdings nicht in den Feinheiten. In diesem Fall würde er aber behaupten können, er hätte sich vertan - immerhin erinnerte er sich ja vorgeblich nicht an den Namen. Gab es dagegen nur einen einzigen hispanischen Wein, war die Sache komplizierter, denn wenn dieser nicht schmeckte, dann hatte er sich genauso als Banause offenbart, wie wenn er von vornherein zugegeben hätte, einen pappsüßen Würzwein getrunken zu haben. Nun war es aber ziemlich kompliziert, hier Wahrscheinlichkeiten zu berechnen - die Möglichkeiten waren also völlig kontingent.
    Entsprechend war dem jungen Petronier ein wenig mulmig zumute, als er der Bedienung sagte:
    "Welche hispanischen Weine gibt es hier?"
    Das war zumindest wohl die passende Frage, um einen überzeugenden Weinkenner darzustellen.
    "Wir haben einen Roten aus der Orospeda-Region und einen Weiße aus Italica und Tarraco."
    gab die Bedienung zurück.
    Puh - das bedeutete zumindest, dass das Risiko geringer wurde, wenn sie nicht begannen, alle hispanischen Weine nacheinander durchzuprobieren. Andererseits schuf es eine Vorbedingung, die die Wahl wieder beschränkte: Er würde ja zumindest die Farbe des Weines noch wissen und Tarraco war die Heimatstadt seines Vaters. Das bedeutete, dass im Grunde zwei Weine ausgeschlossen werden konnten - das wiederum aber nur, wenn sein Gegenüber wusste, dass der Alte von Tarraco gekommen war. Und hier war er ja nicht in dem Nest Mogontiacum, wo jeder jeden kannte und jeder wusste, dass die Petronier Tarraconeser waren! Somit gab es nur eine rationale Wahl, die die Optionen maximierte: einen der Weißen zu wählen!
    "Ich glaube, es war der Weiße aus Italica. Nehmen wir den!"
    erklärte er also seinem Begleiter, woraufhin die Bedienung nickte.
    "Welche Weine bevorzugst du?"
    wandte er sich dann noch einmal an Commodus. Diese Information würde ihm womöglich helfen, den Geschmack seines Gegenübers einzuschätzen und damit zu wissen, inwiefern er bei der Beurteilung des zu liefernden Weines aufpassen musste - ein Kenner weißer Weine wäre ja weitaus riskanter als ein Kerl, der sowieso immer Rotwein trank!

    Natürlich würde er das nicht vergessen - so viel hatte er von dem Alten gelernt und solange er so ein kleines Licht war, wäre es wohl auch höchst irrational gewesen, sich anders zu verhalten. Was später einmal kam... - wer wusste das schon?


    Die Frage war allerdings ein bisschen unangenehm: Noch immer saß Lucius jeden Tag in seiner Wohnung, ging spazieren und besichtigte Gebäude, ging in die Bibliothek und las, ging in die Taverne und trank - so langsam wurde es schon ziemlich langweilig. Aber wie sollte er auch einen Posten bekommen? War dafür nicht eigentlich genau Lepidus zuständig?
    "Äh - nein. Ich warte noch. Und hab' nichts vor."
    antwortete er deshalb lakonisch.

    Sehr widerwillig ließ Lucius sich von Apolonia in den Nachbarraum führen - er verstand nicht, was hier passierte, wie eine Person nach solcher Erniedrigung einfach zur Tagesordnung übergehen konnte und dann wieder losplapperte, als wären sie auf dem Forum an einem Stand für billige Souvenirs. Entsprechend setzte er sich auch nicht, sondern ließ sich erst den Becher in die Hand drücken. Er trank auch direkt daraus, denn er wusste wirklich nicht, was sie jetzt von ihm wollte:
    Keine Sklaven leisten können? Woher wollte sie das denn wissen?
    Vorlieben verstecken? Welche Vorlieben? Und vor wem?
    Wahres Ich? Was wusste sie denn, was sein wahres Ich war?
    Ohne sie ginge es ihm schlechter - wieso das denn? Bisher war er ja auch recht gut ohne sie ausgekommen!
    Alltagsärger abreagieren? Hatte er das etwa getan? Er hatte doch im Grunde nur diese arroganten Nutten gedemütigt!
    Oder wahrscheinlich eigentlich nicht, denn so wie es bei dieser Apolonia aussah, war das alles nur Schauspielerei gewesen - so wie die Schauspielerinnen in den billigen Straßentheatern, die sich auch oft gern auszogen! Irgendwie eine ziemlich ernüchternde und ziemlich unbefriedigende Erkenntnis - denn wenn man es rational betrachtete, hatten sie ihn damit hereingelegt und ihn auch irgendwie manipuliert! Wahrscheinlich hatte diese Nutte von Apolonia das alles feinsäuberlich eingefädelt, um ihn in diesen komischen Raum zu locken! Er hatte zwar keine Ahnung, was das für ein Raum war, der ihm scheinbar gefallen sollte, und was mit "Spielzeug" gemeint war, aber er war nun wieder höchst misstrauisch.


    Überhaupt hatte er das Gefühl, dass dieser ganze Aufenthalt seine Rationalität viel zu sehr eingeschränkt hatte! Natürlich hatte sich diese Greta absichtlich so dumm angestellt und ihn wie einen impotenten Trottel aussehen lassen! Natürlich hatte diese Apolonia ihn absichtlich provoziert und ihm das Gefühl von Überlegenheit gegeben! Aber jetzt, wo seine Lust wirklich endgültig befriedigt war (es hatte schon beim zweiten Mal ein bisschen geschmerzt), würde er nicht noch einmal auf diese Fallen hereinfallen!


    Mit einem Schlag setzte er den Becher auf dem Tisch ab.
    "Nein! Ich gehe!"
    verkündete er daher mit fester und wieder etwas feindseliger Stimme.
    "Wo is' hier der Ausgang?"

    Ein Raum, der dafür ausgerüstet ist? Der bisher unbefleckte Petronier hatte natürlich keine Ahnung, wovon die Puffmutter hier nun wieder sprach - dass es eine ganze Sparte an Lupanaren für seine Vorlieben gab, davon hatte er natürlich keine Vorstellung!


    Stattdessen irritierte es ihn ziemlich, dass diese Lupa so einfach zum Geschäft überging, nachdem er sie geohrfeigt und benutzt hatte - das entsprach nicht gerade dem, was er von anderen Leuten (und schon gar nicht von Frauen) gewohnt war. Anstatt ihn als Puffmutter wegzuscheuchen - was wohl jede Lupanar-Leiterin in Mogontiacum mit ihm gemacht hätte - bot sie ihm sogar noch eine kleine Erfrischung und ein weiteres Gespräch an. Aber was meinte sie nun wieder mit "alles weitere"? Und musste ihn diese Betonung der niedrigen Kosten nicht irgendwie misstrauisch machen?


    Normalerweise wäre er vermutlich einfach geflüchtet (bzw. weggegangen, ohne etwas zu sagen), aber dann erinnerte er sich, dass er ja ein aufstrebender Eques war und das vor ihm nur eine schäbige Nutte. Vor der brauchte er sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen!
    "Wie 'alles weitere'?"
    fragte er deshalb mit genervtem Unterton - ob es wieder um seine hypothetischen Freundinnen ging?

    Schnell hatte der junge Petronier die Stufen erklommen - dann blieb er aber doch stehen. Selbst wenn er all das hier für Humbug und Geldverschwendung hielt - der Weihrauchduft, die goldenen Weihegeschenke und so weiter ließen ihn doch irgendwie ein bisschen abbremsen. Langsam betrat er die Cella, in der die Statue des Iuppiter Optimus Maximus thronte, mit goldener Haut und Purpurgewändern. Abstrus, wenn man sich vorstellte, dass der Herrscher über Blitze und Stürme ein Bärtiger mit einem Adler als Haustier war! Wenn es überhaupt Götter gab, dann mussten sie doch wohl irgendwie unsichtbar sein und unendlich groß, damit sie all das bewirken konnten, was man ihnen zuschrieb! Man hätte sich bei diesen Tempeln dann also auch die teuren Goldstatuen sparen können! Natürlich wusste er vom Alten, dass auch er die Statuen nixht für die Götter selbst hielt - aber das machte diese Geldverschwendung ja umso fragwürdiger!
    "Von dir hätte man wahrscheinlich 'ne komplette Wasserleitung kaufen können!"
    sprach er die Statue ein bisschen spöttisch an.

    Was für ein Sinneswandel! Gerade hatte sie noch die große Schwester spielen wollen, jetzt lag sie unter ihm und wimmerte ihn an - was Lucius natürlixh weitaus besser gefiel, was man wiederum sehr gut erkennen konnte, wenn man an ihm heruntersah. Das genau tat der junge Petronier auch selbst und so kam er auf den Gedanken, dass er vielleicht doch andere Wünsche als eine Massage hatte - und die hatten wenig mit Verarzten zu tun! Stattdessen machte er es wie zuvor: Er stand auf, packte Apolonia und zerrte sie hoch.
    "Du wirst gleich sehen, wer hier wen erniedrigt!"
    Damit stieß er sie gegen die Liege, riss grob ihre Kleidung hoch und holte sich, was er wollte. Es dauerte wieder nicht sehr lange, bis er fertig war und zufrieden aufatmete.


    Dann ließ er die Lupa einfach los, drehte sich weg und ging zu seiner Tunica, um sich wieder anzuziehen.

    Ertappt! - Lucius hatte nicht einmal eine Ahnung, welchen Wein es hier gab! Und er kannte sich auch überhaupt nicht aus, denn eigentlich hatte Wein ihn nie wirklich interessiert. Er wusste ja noch nicht einmal viel über den Wein in Mogontiacum - nur dass der Alte den Hispanier besser fand als die lokalen Weine... Aber natürlich hatte er schon gehört, dass es bestimmte Hänge gab, die irgendwie qualitativ hochwertiger waren als andere...
    "Ja, genau!"
    antwortete er deshalb rasch und blickte kurz zu Boden, während er versuchte, sich etwas dazu aus den Fingern zu sagen.
    "Wir - äh - hatten einen - äh - hispanischen Wein. Ich weiß nicht mehr, was für einer..."
    versuchte er schließlich, sich aus der Zwickmühle zu retten, ohne als Banause entlarvt zu werden.