Zitat
Original von Narrator Italiae
Ansonsten ist in unserem Rom alles friedlich und beschaulich.
War es das? Wirklich? Oder war das nur die letzte Ruhe vor dem großen Sturm..?
Anax kletterte selbst auf den Platz des Redners. "Hört, hört, ihr Bürger Roms! Ihr guten Bürger! Ihr gesetzestreuen Bürger!" Der Freigelassene war nicht nur einmal in vorderster Front dabei gewesen, als sein früherer Arbeitgeber, ein Anwalt, Angriffsreden und Verteidigungsplädoyers zum Besten gegeben hatte. "Kommt und hört diese großartigen Neuigkeiten! Ein Senator, ein adliger Flavier, ein Mitglied der elitären Oberschicht hat sich verlobt!" Er lächelte. "Und ein kleiner Mann mit großer Klappe, ein einfacher Soldat, einer wie ihr und ich wurde für sein unwürdiges Verhalten bestraft und gilt jetzt als infame Person!" Ein eifriges Nicken. "Ein Hoch auf Justizia! Ein Hoch auf Rom!" Anaxander klatschte kurz Beifall.
Dann gings weiter. "Aber halt! Kommen wirklich alle Verbrecher und infamen Personen immer nur aus unseren Reihen?!?" Anax zeigt auf den Redner von eben. "Oder verschweigt uns dieser Mann vielleicht einfach die Hälfte der Wahrheit?!? Die Hälfte der Wahrheit, in der die Oberschicht, die Patrizier und Senatoren, alle diese stolzen Eliten auch mal schlecht dastehen?!" Der Freigelassene, der noch eine offene Rechnung zu begleichen hatte, warf die Hände in die Luft. "Kommt und hört, ihr guten Bürger Roms! Dieser Mann erzählte euch die eine Hälfte der Wahrheit. Ich sorge dafür, dass man euch auch die andere Hälfte nicht vorenthält!" Er winkte die Leute heran.
Jetzt musste er kurz seine Stimme sammeln. (So leicht wie das bisschen Reden bei dem fülligen Redner eben ausgesehen hatte, war es gar nicht. Das ging ganz schön auf die Stimmbänder.) "Erinnert ihr euch noch, wie dieser Redner hier noch vor kurzem vom Erben vom Senator Annaeus Modestus schwärmte?" Anax sah erwartungsvoll in die Zuschauer. "Und welche Nachrichten hat er uns heute über diesen jungen, reichen, supertollen Hecht mitgebracht? Na? Na?" Meldete sich wer freiwillig? Nein? "Richtig: Keine!" Klang das nach einer Anklage? "Scheinbar war es nicht wichtig genug, dass man in der Zwischenzeit diesen Erben des Senators, dieses Mitglied der Oberschicht beim Ädil angezeigt hat." Ein Schulterzucken. "Ist ja immerhin auch keine Strafe erlassen worden gegen den guten Mann aus hohem Hause.... Aber nicht etwa, weil irgendwer die Anzeige entkräftet hätte. Nein. Dafür hätte ja überhaupt erstmal ein Ädil die Anzeige annehmen und bearbeiten müssen." Ein Kopfschütteln. "Aber welcher Ädil will schon der Anzeige gegen einen anderen Mann seiner Oberschicht nachgehen.. nicht wahr?" Kurze Pause, dann musste der Claudianus natürlich noch den Nachsatz loswerden: "Welcher Ädil außer einem Claudius Menecrates, der voller Rechtschaffenheit damals sogar dem Kaiser Valerianus auf die Finger schaute.. und dafür dann natürlich auch gleich von den Acta-Schreibern gut eins auf den Deckel bekam." Zu unrecht. Denn Rom brauchte Bürokraten!
"Oder warum sonst hat dieser Mann uns nichts von dem Vertrauensbruch dieses Ädils erzählt? Diesem Vertrauensbruch zugunsten des Erben eines anderen Senators?" Anaxander hoch die Hände zu einer Geste. "Vielleicht um die Nachrichten von der Verlobung des guten Flavius Scato nicht zu trüben? Des guten Senators Flavius Scato, bei dem sogar die Kaiserin mal zu Besuch war?" Er schüttelte mit dem Kopf. "Aber selbst über den kriegen wir nur die halbe Wahrheit zu hören.. wenn überhaupt!" Ganz genau. "Oder wann hat uns mein Vorredner etwas gesagt davon...."
Uno. "..dass dieser Flavius Scato seit über zwei Wochen, und immernoch, dem Volk von Rom vor der Villa Flavia Obst, Oliven, Gebäck und Wein spendet und damit gegen die Lex Mercatus verstößt?!"
Dos. "..dass auch dieser Flavius Scato trotz Anzeige nicht von einem Ädil für seine Tat zur Verantwortung gezogen wurde?!"
Tres. "..dass stattdessen lieber in Windeseile, nämlich noch am selben Tag, dieser Flavius Scato noch vor den Juni-Kalenden zum Ädil vereidigt wurde, obwohl das Dekret der Konsule eine Vereidigung erst morgen vorgesehen hätte?!"
Cuatro. "..dass dieser Flavius Scato jetzt also wahrscheinlich auch um jede Strafe herumkommt, weil er ja als Ädil ne Immunität besitzt.. und ja bestimmt auch nicht gegen sich selbst irgendeine Strafe verhängen wird."
Cinco. "..dass dieser Flavius Scato sowieso an sein Amt gekommen ist.. naja." Mit dem Vorwurf von Wahlbetrug wollte Anax lieber mal etwas vorsichtiger sein. Aber: "Ich sag mal so: Ich habe Leute sagen gehört, dass zum Beispiel für den Praetor Claudius 30 Prozent * mehr Senatoren frei ihre Stimme abgeben konnten als das beim Ädil Flavius Scato der Fall gewesen sein soll." Und wenn man die "richtigen" 30 Prozent an ihrer Stimmabgabe hinderte, dann konnte man eine Wahl natürlich auch mit etwas in die 70 Prozent der Stimmen gewinnen statt sie mit etwas in die 40 Prozent knapp zu verlieren.... Was natürlich reine Theorie und Spekulation war. Aber wenn die Chance bestand und wenn sie so vereitelt worden war.... tja. Dann warf das (zusammen mit den restlichen vier Punkten) ein verdammt düsteres Bild auf diesen patrizischen Flavier.
Sim-Off:Fix nachgezählt: 23 Wahlberechtigte beim Ädil, 30 beim Prätor. Macht 30/23 = 30,4% mehr Wahlberechtigte beim Prätor als beim Ädil.
Ein letztes tiefes Luftholen vor dem Ende seiner Ansprache. "Also kommt und hört, ihr guten Bürger Roms! Kommt und hört, dass die Straßen Roms wieder etwas sicherer geworden sind.. jetzt, wo dieser unwürdige, kleine Soldat aus dem Heer geflogen und infam ist!" Das meinte Anaxander auch absolut ernst. Denn wer sich nicht an Gesetze halten konnte oder wollte, für den hatte der ehemalige Angestellte eines Anwalts nur wenig Sympathie. "Und kommt und hört, wie in den hohen Schichten der oberen Elite scheinbar immer mehr ein moralischer Verfall um sich greift, der sogar vor unseren Gesetzen" Gesetzen, die eigentlich für alle Römer gleich gelten sollten. "nicht halt macht!" Er kletterte wieder vom Platz des Redners. "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht. Bild dir deine Meinung." Anax hatte sich seine Meinung gebildet. Und er hatte sie auf dem Forum Romanum direkt an seine Mitbürger gerichtet. Denn die offiziellen Stellen verteidigten die Gesetze ja scheinbar nicht mehr, sondern stellten sich lieber schützend vor die Gesetzesbrecher.. wenn die nur genug Einfluss, Macht und Reichtum hatten.