Große Lust auf diese Res Gestae hatte er eigentlich nicht. Das Leben auf der untersten Stufe des Curus Honorum war für die meisten sicherlich so langweilig, wie Gras beim wachsen zuzuschauen. Das ganze war also letztlich weniger Vergnügen als Pflicht, obwohl der Tiberier immerhin die ihm eingeräumte Redezeit nutzen konnte, um seine Klagelieder zu singen – also doch ein klein bisschen Vergnügen.
"Geschätzte Senatoren", begann er etwas ungewöhnlicher als mit der üblichen Standardformel. "Heute lege ich Rechenschaft über mein Amtsjahr bei den Tresviri Capitalis ab. Obwohl das Wort 'Jahr' hier angemessener Weise in der Pluralform dargebracht werden sollte. Ich glaube es waren mindestens zwei, wobei ich in Anbetracht der Unregelmäßigkeit der Wahlen nicht leugnen kann, das Zeitgefühl ein wenig verloren zu haben. Vielleicht dachten unsere Vorfahren ja auch ganz pragmatisch an unseren Hang zur Gewohnheit als sie die Amtszeiten auf ein Jahr begrenzten. Aber wer weiß heute schon noch wie lange eine Amtszeit vielleicht gehen mag. Vielleicht ein Jahr, vielleicht zwei oder fünf? Man weiß es nicht und man wird sich dessen in diesen Tagen auch nicht mehr sicher sein" Klagen, Klagen, Klagen. "Schweife ich bereits ab? Nein, nicht unbedingt, denn es gehört wohl auch zu berichten, dass sich gegen Ende der Amtszeit bei mir und einigen wenigen Magistraten, mit denen ich im Kollegium zu tun hatte (wobei ich nicht ausschließen möchte, dass dies auch auf andere zutraf), ein wenig Amtsmüdigkeit eingestellt hat. Daneben das ständige Schuldgefühl, dass man doch hier eigentlich auf einem Posten sitzt, der längst jemand anderem zugute hätte kommen müssen. Keine guten Arbeitsbedingungen, aber man musste es wohl irgendwie überstehen. Eine Lehre aus der vergangenen Amtszeit sollte es vielleicht in der Tat sein, ein Aussetzen der Wahlen nicht mehr in Betracht zu ziehen" Eine kurze Kunstpause und dann konnte es auch übergehen zu den etwas gewöhnlicheren Schilderungen der Tätigkeiten.
"Selbstverständlich gab es auch unter den erschwerten Bedingungen viel zu tun. Mir oblagen während meiner Zeit bei den Tresviri im Schwerpunkt die Beaufsichtigung der Cacer Roms, die ich in Form von mehreren Inspektionsgängen wahrnahm sowie die Leitung von Hinrichtungen von Verurteilten niederen Standes. Zu den Inspektionen: Ich informierte mich ausführlich über den Zustand der Zellen, den Status der Gefangenen und der Auslastung der Gefängnisse. Dabei stand ich in engem Kontakt mit den Stadtwachen, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Der Status der Gefangenen, insbesondere ihrer Versorgungslage, ist vollständig gewährleistet. Das ist natürlich wichtig, damit dem Urteil der Gerichte auf Folge geleistet werden kann und Gefangene nicht frühzeitig vor ihrer Hinrichtung sterben oder eine Freiheitsstrafe durch Verhungern in ein faktisches Todesurteil umgewandelt wird. Es ist auch womöglich erfreulich mitzuteilen, dass die Auslastung der Zellen in einem normalen Bereich liegt, wie aus Erfahrungen der Stadtwachen hervorgeht. Die Zellen sind durchgehend etwa zur Hälfte belegt und die Konstanz weist darauf hin, dass wir es mit keiner ansteigenden Kriminalitätsrate zu tun haben, trotz der großen politischen Umbrüche, mit denen wir es zu tun hatten. Eine weitere Hauptaufgabe bestand in der Organisation und Leitung von Hinrichtungen, welche ich gemäß den von den Gerichten verhängten Strafen ausgeführt habe. Darunter waren mehrere Hinrichtungen, die durch das Schwert erfolgten sowie Hinrichtungen durch angeordneten Verbrennungstod. Das Volk wurde traditionell zu den Ereignissen herbeigerufen und die Strafen wurden vollzogen."
"Der Rest der Amtszeit war Papierkram, bei dem ich zugeben muss, nicht immer allzu schnell und gut bei der Sache gewesen zu sein* sowie kleinere Anfragen und Informationsgesuche von Bürgern. Vielen Dank für euer Gehör und scheut euch nicht, eure Nachfragen zu stellen, wenn ihr sie denn habt."
*Bezieht sich hier auf die zusätzlichen Aufgaben der Decemviri stlitibus iudicandis, für die ich in Anbetracht von RL-Belastung keine Zeit hatte.