Beiträge von Aulus Iunius Avianus

    Durchaus amüsiert darüber, seinen Gegenüber mit wenigen Worten derart verunsichert zu haben, nahm Avianus die nächste mit sinnlosen Inhalten gefüllte Tabula in die Hand. Schlecht brauchte er sich dabei auch nicht zu fühlen, die guten Berichte hatte Antias waren schließlich zum Teil ihm zu verdanken und in kürze würde er ihn ohnehin aufklären. Nur dessen Rechtfertigungen irritierten ihn ein wenig.
    "Wovon redest du da überhaupt?", fragte er erst in fast schon beläufigem Ton und ließ sich Zeit dabei, die eingeritzten Worte zu löschen. Es schien, als wäre er vollkommen unbeabsichtigt auf etwas gestoßen, das ihn den Augen des Germanicus als ein Verstoß gegen die Vorschriften gesehen werden könnte. Oder Antias reimte sich einfach nur irgendetwas zusammen. Auf jeden Fall hatte er damit das Interesse seines Optios geweckt, der natürlich wissen wollte, ob es Probleme gab, erst recht wenn es um einen Soldaten, der in der Regel vor allem positiv auffiel. Aber erst war alles andere dran.
    "Ganz recht… Berichte. Gute Berichte. Gut genug, dass der Tribun eine vorzeitige Beförderung für dich bewirkt hat, Miles."
    Nun sah er wieder auf und musterte Antias, gespannt auf dessen Reaktion.
    "Was hältst du davon?" Eigentlich konnte sich der Soldat sowieso nicht dagegen wehren, die Sache bereits gelaufen und mit dem neuen Tag würde für Antias der gewöhnliche Dienstalltag beginnen. Aber wieso sollte er auch? Bestimmt hatte er nichts dagegen, als vielversprechender Soldat gesehen zu werden.

    Vor seinen Augen schloss sich eine Wand von Schilden, langsam zwar, aber damit war zu rechnen gewesen. Schnelligkeit und Routine würden erst nach vielen Wiederholungen kommen, aber für den ersten Versuch sah der Wall schonmal nicht schlecht aus. Fragte sich nur, ob die Soldaten dahinter auch dem standhalten konnten, was für gewöhnlich im Anschluss auf sie zustürmte, denn ob das der Fall war, sah man den Schilden, hinter denen sich die Leute verbargen, schlecht an.
    "Denkt ihr das Ding hält auch nur ein Pferd aus?! Oder eine Horde wild gewordener Aufständischer?", rief Avianus als er wiederum die Reihe abging und mit aller Kraft gegen die Schilde stieß, schlug und trat. Vermutlich nicht, aber er würde sie schon noch dazu bringen.
    "Legt die Hastae vorerst weg, die Hälfte von euch... ab hier", mit dem Hastile deutete er auf einen Soldaten, der seiner Meinung nach in der Mitte der Reihe stand, "Ich will, dass ihr euch mit aller Kraft dagegenwerft."

    Na endlich, der frisch gebackene Miles trat ein, und Avianus sah es ihm direkt an: Antias hatte keine Ahnung. Das wurde ja immer besser.
    "Ah... salve, steh' bequem", grüßte er und sah auf. "Weißt du weswegen du hier bist?"
    Lange war er nicht mehr so gut gelaunt gewesen, wahrscheinlich nicht unbedingt zur Freude des Germanicus. Denn gute Laune brachte ihn dazu, sich den einen oder anderen Scherz zu erlauben, und der Germanicus war ihm hilflos ausgeliefert.
    "Es gab da einige Berichte über dich in letzter Zeit", bemerkte der Iunius sachlich und vollkommen wahrheitsgemäß, warf noch einmal einen Blick auf das geglättete Wachs, schloss die Tabula, als er seine "Arbeit" für zufriedenstellend befand, und legte sie beiseite.

    Germanicus hier, Germanicus da... der kleine Tiro kam ganz schön rum, dachte sich Maso. Jetzt aber erstmal zum Optio, mit dem Germanicus. Ob der doch noch mal was ausgefressen hatte? Er würde es erst erfahren, wenn er Antias später in der Latrine beim Putzen begegnen würde. Im Grunde interessierte ihn davon sowieso nichts, er hatte eigentlich Pause und wollte die wohlverdienten Minuten genießen, die ihm noch blieben.
    Nicht sonderlich motiviert ging er auf die Tür zu, hinter welcher sich die Stube unter anderem des Germanicus befand und hämmerte mit der Faust gegen das daraufhin ächzende Holz.
    "Tiro Germanicus Antias!!! Zum Optio mit dir!!!", rief Maso durch die Tür hindurch und machte sich auch schon wieder auf den Weg. Warum konnte der Optio auch nicht einfach irgendeinen Zettel aufhängen... oder selbst die Beine bewegen.



    Avianus saß in seine Stube, die sich ja nicht wirklich von jenen der restlichen Soldaten unterschied, außer, dass er sie auch mal ein paar Minuten für sich alleine haben konnte, wenn es nötig war, und ein leichtes Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab, während er das Wachs einer Tabula glättete, welche er vor Wochen unnötigerweise damit vollgeschrieben hatte, an welchen Stellen der der Baracken das Ziegeldach ausgebessert werden musste, und bei welchen Stuben die Türen knarrten oder klemmten. Mindestens so überflüssig wie das übrige Dutzend Tabulae, mit denen er sich damals notgedrungen beschäftigt gehalten hatte, und die er anschließend genauso löschen würde.
    Dass man den Germanicus zum Miles befördert hatte, ließ ihn hoffen, dass auch aus dem Rest der Tirones noch etwas werden könnte. Und er selbst war auch nicht vollkommen leer ausgegangen, es gab also durchaus Grund zur Freude. Ob der Tiro - oder besser Miles - vielleicht schon auf Umwegen davon erfahren hatte? Wenn Maso nicht seine Pause über den Befehl des Optios gestellt hatte, würde sich das recht schnell klären.

    Sie erwiderte nichts mehr sondern nahm seine Gründe einfach hin, ob sie ihr genügten oder sie einfach nicht wollte, dass sich die Situation weiter zuspitzte, konnte er nur schwer beurteilen.
    Avianus spürte, wie sich die Stimmung zwischen ihnen wieder ein wenig beruhigte. Er nutzte den Augenblick, als sie neben ihm sitzend zu ihm sprach, um sich einen tiefen Atemzug zu gönnen. Was sie tun könnte? Nicht mehr, als er sich auch sonst immer von ihr gewünscht hatte, so dachte er. Und die Sache mit dem Tribunus würde zweifellos er ausbaden müssen, vorerst aber konnte er auch da nur abwarten. Wollte er jedoch wirklich gehen, hätte er es längst getan. Monatelang hatte er ohne sie durchgestanden, und er wollte nicht dasselbe schon wieder erleben müssen. Bei allem, was er tat, würde sie wieder seine Gedanken heimsuchen, und sie würde nie aus seinen Erinnerungen verschwinden. Weiterhin saß er nur herum, auch jetzte als sie sich neben ihn gesetzt hatte, hatte sich noch immer nicht wieder angezogen und zerbrach sich den Kopf darüber, wie es von nun an weitergehen würde, wenn er blieb. Falten gruben sich in seine Stirn, als er zu einer Antwort ansetzte.
    "Ich glaube nicht, dass du etwas tun kannst… aber eigentlich will ich gar nicht gehen", entgegnete er, und gab sich dabei wieder ruhig. "Dir ist bewusst, dass es mit uns wahrscheinlich nie einfacher sein wird? Es wird immer so sein, oder noch komplizierter. Und dass es für uns immer schwieriger werden wird, es zu beenden? Das hast du selbst einmal gesagt. Denkst du, wir kommen damit klar? Ich bin mir nicht sicher."
    Heute war er es, der zweifelte. Für ihre Probleme gab es keine Lösung, denn deren Ursprung lag gar nicht bei ihm oder Sibel. Die Wurzel dieser Probleme lag doch bei allen anderen: Bei denen, die Sibel und ihn nicht verstanden und nie verstehen würden, bei denen, die seine Geliebte verachteten, und bei denen die erwarteten, dass er sie hinter sich ließ. Und sie waren im Grunde alleine. Alleine gegen den Rest.

    Nur langsam wurde Avianus sich dessen bewusst, dass er im Begriff war, alles zu zerstören, was ihnen blieb. Ein flüchtiger Blick über die Schulter reichte aus, um zu sehen, dass auch Sibel sich entfernt hatte, auf die andere Seite des Bettes, den Rücken ihm zugewandt. Nicht nur er würde gehen, sie würde es auch tun. Und wahrscheinlich würde sie nicht zurückkommen, wenn es dazu kam. Sie hatte ihm eine Fragen gestellt, dieselbe, die er sich schon so oft gestellt hatte und für deren Antwort er sich jedes einzelne Mal am liebsten selbst verprügelt hätte.
    "Ich habe genauso gewartet, auf Hilfe, die nie kam. Ich habe befürchtet, ich könnte in Schwierigkeiten geraten, wenn ich im Carcer alleine nach dir suche. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte, falls ich dich finden würde. Ich hätte dich dort zurücklassen müssen", erklärte er tonlos. "Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, … aber was du auch davon hältst, du wirst mir deswegen nie auch nur annähernd so viele Vorwürfe machen können, wie ich sie mir gemacht habe, als ich glaubte, sie hätten dich getötet, und wie sie mir auch jetzt noch mache."
    Und er hatte sich geschworen, nie wieder dasselbe zu tun, so wie er ihr gefolgt war, nachdem sie aus der Taberna gerannt war, trotz seiner Soldaten, trotz seiner Aufgabe. Dabei war er nicht einmal daran schuld, dass sie im Carcer gelandet war. Es war nicht seine Naivität und Unvorsichtigkeit gewesen, die sie dorthin gebracht hatten, und dennoch wäre es seine Aufgabe gewesen Sibel zu retten. Er ahnte, wenn er es aussprach, wäre es endgültig vorbei, und natürlich wollte er ihr helfen, aber genauso sollte sie sich doch von Schwierigkeiten fern halten, erst recht wenn er irgendwo in Germania war. Also schwieg er, selbst wenn es bedeutete, dass sie ihm nun die Schuld für das gab, was passiert war, und betrachtete die Tunika in seiner Hand, die er sich zu Beginn des Abends vom Leib gezerrt hatte, in dem Glauben, es könnte wieder wie früher sein. Konnte es das nicht? Was wäre wohl dafür nötig, den Schaden wieder gut zu machen, der zwischen ihnen entstanden war? Und gleichzeitig fragte er sich, ob es überhaupt möglich war, alles wieder gut zu machen.
    "Vielleicht sollten wir alles noch einmal überdenken… ob wir das, was hier gerade passiert, wirklich wollen."
    Er sah von dem Kleidungsstück auf und blickte sie wieder über die Schulter hinweg an. Was auch immer er wollte, das hier war es nicht. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, weil er Angst vor jedem einzelnen Wort hatte, das er sagte und noch sagen würde, und sie am Ende verschwinden würde, weil er es vielleicht wie so oft nicht schaffte, das zu sagen was er meinte, so dass sie verstand.
    "Dass dir etwas passiert, ist das letzte, was ich will. Hätte ich die Wahl gehabt, dazwischen, ob du mich verrätst, oder ob du stirbst… ich hätte gesagt, du sollst mich verraten. Ich wünschte einfach, du hättest einen dritten Weg gefunden. Und es sollte für dich doch selbstverständlich sein, dass ich dich nicht vergessen habe. Ich glaube nicht, dass ich dich jemals vergessen werde."

    Erneut beantwortete sie ihm bereitwillig alle Fragen, die er ihr stellte. Er war ihr Geliebter gewesen. Sie hatte ihn wohl damals bereits abgeschrieben, ihre Beziehung zur Vergangenheit gezählt, ganz im Gegensatz zu ihm.
    Vielleicht sollte er einfach verschwinden und sie hinter sich lassen, ein für alle Mal, anstatt ständig nur alles hinzunehmen, was sie tat. Bisher hatte er immer gehofft, es würde sich irgendwann etwas ändern. Avianus hatte gehofft, sie würde ihm eines Tages vertrauen, wenn er sagte, dass er sie nicht einfach fallen lassen würde, oder sie lernen würde, ihre Angst, die sie ständig beherrschte, zu kontrollieren. Aber nichts davon war je geschehen. Sie würde es versuchen, hatte Sibel einmal gesagt. Damals in dem kleinen Zimmer der Taberna in Trans Tiberim hatte ihm das gereicht.
    Schließlich löste er sich von ihr, setzte sich an den Rand des Bettes. Ihre Tränen fanden kein Ende, und würde er sie noch länger ansehen, wie sie verheult vor ihm saß, würde er vermutlich weich werden. Er fuhr sich durch die Haare, wie er es immer tat, wenn er keinen Rat mehr wusste. Dass sein Tribun von seiner Liebschaft erfahren hatte, ließ sich nicht mehr ändern, ihm blieb gar nichts anderes übrig, als schlichtweg abzuwarten, was passierte. Doch mit Sibel und ihm war es womöglich anders. Gedankenverloren starrte der Iunius einen Augenblick lang den Boden zu seinen Füßen an.
    "Sibel, seit ich das mit uns zugelassen habe, habe ich über alles Mögliche hinweggesehen… darüber was du bist, über Dinge, die du getan hast… oder nicht getan hast. Und versteh' mich nicht falsch, das war in Ordnung so. Aber was erwartest du von mir? Was willst du hören? Das ich dieses Mal dasselbe tun werde? Das kann ich… ich liebe dich, mit sowas hört man nicht einfach auf, und ich weiß es tut dir leid… es tut dir immer leid", begann er dann abwesend zu erklären, was er dachte und hob seine Tunica auf, blieb jedoch sitzen. "Aber bevor ich noch über irgendetwas anderes nachdenke, will ich wissen, ob es in Zukunft anders sein wird. Würdest du es also wieder tun? Oder viel eher: Kann ich deiner Antwort Glauben schenken?"

    Diese Frau vertraute ihm wirklich, sie fing an zu erzählen, plauderte fast schon mit ihm… und der Iunius würde dafür sorgen, dass sie und alle ihre Christianer-Freunde im Carcer landeten. Sie glaubte daran, dass er ihr helfen wollte. Stattdessen würde er ihr Weltbild zerstören und ihr Leben gleich mit. Doch er ermahnte sich, sich vom äußeren Schein nicht trügen zu lassen. Sie mochte als hilflose und naive junge Frau vor ihm sitzen, doch sie gehörte immer noch zu jenen Leuten, die alle Götter verachteten, an die er glaubte, römische Sitten und Bräuche ablehnten, bei Versammlungen in Kellern angeblich unvorstellbares anstellten und seit Jahrzehnten unaufhörlich Zwietracht im Volk säten.
    Aus freien Stücken schlossen sich die Leute ihnen also an. Natürlich, weil sie durch leere Versprechungen angelockt, manipuliert und dazu gebracht wurden, den Lehren der Sekte Glauben zu schenken. Genau so, wie er es jetzt mit ihr tat. Sie erzählte ihm alles vollkommen freiwillig. Bei so viel Leichtgläubigkeit war es kein Wunder, dass sie Christainerin war.
    "Gut... ich verstehe. Wir haben Zeit, vielleicht kann sie uns später noch ein paar Fragen beantworten...", meinte Avianus zum Zustand der Wirtin und ließ sich noch einmal den Rest des Gesagten durch den Kopf gehen.
    "Kannst du mir noch von diesen Versammlungen erzählen?", fragte er dann weiter und ließ ihr absichtlich eine Wahl. Schließlich hatte er sie genau da, wo er sie haben wollte. Und wenn er Glück hatte, würde seine kleine Vorstellung als nette Urbanertruppe dazu führen, dass auch der Rest der Sekte sich wieder etwas beruhigte. Und je ahnungsloser die Christianer waren, desto besser waren ihre Chancen, wenn sie versuchen würden, dem wuchernden Geschwür von einem Christianernest ein Ende zu machen.
    "Dann darfst du von mir aus gehen, und dein Freund hier ...", er deutete mit einer flüchtigen Geste zu dem Perser hinüber, "... kann dich begleiten."



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    Narseh


    Kein Stück traute er dem Kerl. Er lullte Sarah vollkommen ein, sie ahnte es nicht einmal und er musste hilflos zusehen, denn der Soldat, der neben ihm stand, ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, fast so, wie er den Optio unverwandt anstarrte. Und jeden Satz, den er aussprach, sezierte er, um einen Beweis für seine Theorie herauszulesen, nämlich, dass diese Männer ihnen nichts Gutes wollten. Er würde sie gehen lassen, hieß es dann plötzlich und Narseh machte ein noch skeptischeres Gesicht als zuvor.
    "Was?", rutschte es ihm ungläubig heraus. Der Soldat neben ihm musterte ihn aus schmalen Augen, was Narseh wieder schweigen ließ. Er ließ sie einfach gehen? Seit wann ließen einen die Urbaner einfach gehen? Der Kerl führte was im Schilde, es konnte gar nicht anders sein.
    "Du hast richtig gehört", bekam er jedenfalls als Antwort.
    Der Perser warf Sarah warnende Blicke zu, selbst wenn er nicht daran glaubte, dass sie ihnen Beachtung schenken würde.

    "Mein Tribun weiß von uns?", hakte er erneut nach und erwartete natürlich keine Antwort. Änderte das etwas? Er wusste es nicht. Er hatte nicht einmal eine Ahnung, was der Iulius mit solchen Informationen wollte, und ob es ihn überhaupt interessierte. Bisher hatte Iulius Dives nicht den Anschein gemacht als wäre etwas nicht in Ordnung. Dennoch machte es die Situation mit Sicherheit nicht einfacher.
    Tränen. Erneut tropften sie von ihrem Kinn auf das Bett hinab. Und er wusste noch weniger als sonst, was er daraufhin tun sollte. Er nahm sie doch immer in den Arm, küsste sie und sagte etwas, das sie beruhigen würde. Resigniert ließ er stattdessen die Hände sinken, die bisher ihre Schultern gehalten hatten, hinunter zu ihren Händen, und umschloss sie. Stumm nachdenkend blickte er auf sie hinab.
    Es ging doch gar nicht so sehr um den Tribunus alle anderen, sondern vor allem um sie – um Sibel und das was sie getan hatte. Sie hatte dem Mann gesagt, was er für sie war. Noch im selben Augenblick fragte er sich, was er denn für sie gewesen war, nach Wochen im Carcer, am Ende ihrer Kräfte und in der Angst, wohl sterben zu müssen, wenn sie schwieg.
    "Was hast du ihm gesagt?"
    Er sah wieder auf. Da gab es noch eine weitere Frage, die er sich stellte.
    "Hast du deshalb nicht nach mir gesucht? Du warst frei, und du wusstest, wo ich war… und bist du deshalb in der Taberna weggelaufen?" Weil sie nicht mehr an das geglaubt hatte, was sie verband, weil sie ihn verraten hatte, … weil sie ihn vergessen wollte, reimte er sich zusammen. Während er gedacht hatte, sie wäre tot, war sie eigentlich frei in Rom herumgelaufen und sie hatte nicht versucht ihn zu finden. Denn hätte sie es getan, sie hätte ihn sicherlich gefunden.


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    Weiter hörte er ihr zu und schwieg, doch dieses Mal brachte er selbst als sie geendet hatte zunächst kein Wort über die Lippen. Langsam ließ er ihre Hand los, um sich langsam aufzusetzen. Was sie sagte, machte keinen Sinn. Nichts davon machte Sinn. Ihre letzten Sätze waren lediglich Gestammel, und das einzige, was er sich daraus zusammenreimen konnte, war vollkommen absurd. Sie hatte was gesagt…? Aulus? Er blickte Sibel ungläubig an. Völliger Blödsinn… warum sollte sie... ihn verraten.
    Betont vorsichtig nahm Avianus sie bei den Schultern und musterte sie eindringlich.
    "Sibel… was?", fragte er stockend, weil er spürte, wie sehr sie unter seinen Händen zitterte. Und je länger er sie ansah, desto mehr dämmerte es ihm, dass der Blödsinn vielleicht gar nicht so absurd war. Ihr Verhalten und ihr Blick sprachen Bände. Es ging um das einzige ihrer Versprechen, das bisher immer Bestand gehabt hatte. Das einzige, bei dem er nie daran gezweifelt hatte, dass sie es nicht nur versuchen sondern es auch wirklich halten würde. Denn selbst in Silanus' Fängen wäre sie eher gestorben als ihn zu verraten.
    "Du hast ihm von uns erzählt?", fragte er sie fester, doch noch immer stirnrunzelnd, als würde er nicht wirklich glauben, was er sagte. "Wem, Sibel… ? Ich will wissen, wer dieser Tribunus war. War er ein Iulius? Iulius Dives? Wie... ?" Erneut befiel ihn Sprachlosigkeit.
    Unterdessen war er nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Noch überwogen Fassungslosigkeit und Verwirrung, darunter schwelte beträchtliche Enttäuschung, die wiederum aufkeimenden Ärger übertraf, und nebenbei unternahm er den Versuch sich einzureden, alles wäre halb so wild. Was wollte irgendein Tribunus mit seinem Namen? Und dann? Hatte er eben was mit einer Lupa. Wen kratzte das schon? Oder… ?

    Einen sonderlich glücklichen Eindruck machte sein Tribun nicht, als Avianus ihn weiter über den Stand der Dinge aufklärte. Aus durchaus verständlichen Gründen. Er musste zustimmen, es war möglich, dass weitere Ermittlungen, sollten sie welche anstellen, gar nichts änderten, aber sie versanken nicht gerade in alternativen Optionen, erst recht nicht in besseren. Auf die bissige Bemerkung hin blickte er den Tribunus deshalb zunächst ein wenig betreten an. Er machte hier nur seine Arbeit, natürlich konnte er nichts dafür. Und ausgerechnet heute, wo sich seine Vorgesetzten von ihrer scheinbar besten Seite zeigten, hatte er den Tiro mitgeschleppt. Genervte Tribuni und ratlos dreinschauende Optiones, das war es vermutlich, was dem Germanicus vom Ausflug in die Principia wohl in Erinnerung bleiben würde. Ihm wäre es an Antias' Stelle jedenfalls so ergangen.
    Ein wenig erleichtert stellte er dann fest, dass der Tribunus nicht weiter darauf einging und sich stattdessen wieder auf die Spur konzentrierte, die sie verfolgten. Auf diese Frage fiel ihm zumindest wieder eine Antwort ein.
    "Wir wissen, dass ein Mann den Leichnam des Mörders bestohlen hat. Der Täter trug eine Tabula bei sich, und mit ihr ist dieser Mann geflohen. Dank des Tiros sind wir vielleicht in der Lage, ihn ausfindig zu machen", begann er bereitwillig zu erklären und deutete mit einem kurzen Nicken zu seinem Begleiter, "Der Dieb hat jegliches Geld vollkommen ignoriert und lediglich diese Tabula mitgenommen, und da die Tabula selbst nicht besonders wertvoll ist, würde ich meinen, dass es ihm lediglich um das ging, was darin geschrieben steht." Nach besonders viel hörte es sich vermutlich nicht an: Eine Wachstafel, auf welcher eventuell etwas Interessantes stehen könnte, die sie möglicherweise finden würden, und wenn sie Pech hatten, war die Nachricht, die dann in das Wachs eingeritzt war, nicht einmal mehr die, die der Mörder in der Tasche gehabt hatte. Dennoch hatte der Iunier versucht, so optimistisch wie möglich zu klingen… etwas anderes blieb ihm kaum übrig.

    Sie erwiderte seine Zärtlichkeit, indem sie seine Hand küsste. Dennoch, etwas war nicht in Ordnung, sodass ihr sanfter Kuss nicht ausreichte, um ihn beruhigt zurück in die Kissen sinken zu lassen.
    Bisher hatte sie lediglich erwähnt, dass man sie entlassen hatte, und Avianus hatte es nicht für nötig gehalten, weiter nachzuhaken. Dass sie jenes Thema ausgerechnet jetzt noch einmal ausgrub, ließ ihn aufhorchen und während sie erzählte, unterbrach er sie nicht, obwohl sich immer mehr ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube ausbreiten wollte, je länger sie von ihrer Gefangenschaft erzählte und die Geschichte ihrer Entlassung hinauszögerte.
    "Es tut mir leid", sagte er, als sie eine Pause machte und nahm erneut ihre Hand. Natürlich wusste er, dass Sibel ihm für nichts die Schuld gab, das tat sie nie, doch zu erfahren, was sie im Carcer durchgemacht hatte, ließ auch ihn nicht kalt. Wochen. Wochen hatte sie gewartet. Sie, bei der die Angst selbst dann nicht nachließ, wenn sie in Sicherheit war, im Carcer musste sie sie zerfressen haben. Und er wusste, wie es im Carcer aussah, er kannte den Dreck, der zwischen den Fugen klebte, das feuchte Stroh, die kalten Wände, das dämmrige Licht. Es schmerzte ihn, dass Sibel alles noch sehr viel besser kennen musste.
    "Das ist aber nicht alles?", fragte er besorgt und runzelte nachdenklich die Stirn. Ihm war nicht entgangen, dass sie von ihrer Freilassung noch nicht einmal angefangen hatte.

    "Tiro Peducaeus, zieh den Kopf ein!", bellte er dem Kerl zu, der für das Standard-Scutum ein Stück zu groß schien, und ging die Reihe ab, fand aber ansonsten nichts zu meckern. Keine Lücken und die Wand trotzte Tritten und Schlägen mit dem Hastile, sowas konnte sich sehen lassen. Die Tirones hatten in den letzten Tagen und Wochen ordentlich dazugelernt. Überrascht war er davon jedoch nicht, inzwischen wusste er ungefähr, was seiner Truppe zuzutrauen war.
    "Gut, wir werden uns jetzt die Reiterabwehr vornehmen! Duos ordines formate! Jeder zweite tritt zurück!" Avianus gab den Tirones einen Augenblick Zeit, bis sie sich in zwei Reihen aufgestellt hatten.
    "AD FULCUM!", rief er ihnen dann lautstark zu. "Die vordere Reihe geht in die Knie, stellt eure Schilde dicht beieinander auf, die hinteren stellen ihre Schilde schräg auf die vorderen! Die Hastae steckt ihr durch die Zwischenräume!", bot er den Rekruten im Anschluss eine Erklärung an und beobachtete, wie sie sich nun anstellten.

    Die Wirtin war stumm geblieben, während er sich an die andere Frau gerichtet hatte und als diese ihm antwortete, ob aus demselben Schock heraus, der sie auch dazu gebracht hatte, ihn anzuschreien, weil sich dieser wieder legte oder aus purer Verwirrung über seine Reaktion, erschloss sich ihm nicht. Besonders redselig war die andere, die sich als Sarah vorstellte, allerdings nicht und erzählte ihm lediglich das nötigste.
    "Gut… ihr gehört also zu den Christianern?", fragte Avianus erneut beide. Daran hatte er inzwischen kaum noch Zweifel, denn anders konnte er die Aussage der Wirtin, Sibel hätte sie verraten, kaum interpretieren, wenngleich er nicht wusste, welche Rolle die Lykierin bei der Razzia konkret gespielt hatte, und weshalb sonst hätten die beiden versuchen sollen zu fliehen. Mirjam beobachtete er unterdessen genau, obwohl er inzwischen mit allem rechnete und sie ihn deshalb wohl kaum erneut überrumpeln würde. Dennoch konnte er eine gewisse Nervosität nicht leugnen und zweifellos wäre es ihm mehr als unangenehm, würde sie erneut die Beziehung zwischen ihm und Sibel erwähnen, oder besser, laut genug durch die Taberna schreien, dass es auch noch die Nachbarn hören würden.
    "Ich verstehe, dass Christianer sich selbst, ihre Treffen und was sie tun geheim halten wollen, aber je mehr ihr geheim haltet, desto hartnäckiger werden die Cohortes Urbanae versuchen wollen herauszufinden, was in eurer Sekte vor sich geht, und desto mehr Misstrauen werden sie euch auch entgegenbringen. Den Christianern anzugehören ist grundsätzlich kein Verbrechen, doch man wird nach Gründen suchen euch zu schaden und man wird sie finden, selbst wenn ihr nichts Falsches getan habt, aus eben diesem Misstrauen heraus. Denn wer vor den Cohortes etwas verheimlichen will, tut dies oft aus dem Grund, weil er damit gegen Gesetze verstößt", setzte er ernst fort und etwas nachdrücklicher als zuvor. "Ich frage also erneut: Was war bei der Razzia? Wie viele gibt es von euch seitdem noch? Wie ist eure Situation? Beweist, dass ihr auf unserer Seite steht und ihr braucht keine Angst zu haben." Würden die beiden Frauen es hingegen vorziehen zu schweigen, musste er ja fast annehmen, dass etwas nicht stimmte, so wie er es ihnen zuvor erklärt hatte.

    Was stellte er sich auch blöd an. Völlig egal was er jetzt sagen würde, er stünde doch immer verdammt blöd da. Dabei waren es doch die Gerüchte, die sagten, der Tribunus stecke hinter dem Mord, was er allerdings nicht erwähnt hatte… selbst schuld. Vielleicht sagte er besten gar nichts mehr – peinliches Schweigen folgte also vorerst von Seiten des Iuniers, der sich fragte, was sein Gegenüber nun wohl von ihm dachte. Glaubte der, er hielt ihn für einen dieser korrupten Kerle, die nur mit den Fingern schnippten, wenn ihnen jemand im Weg stand? Sicherlich war das nämlich nicht der Fall, tatsächlich hatte sich Avianus gar keine richtige Meinung von dem Iulier gebildet, er kannte den Mann ja kaum, und für gewöhlich war seine Meinung ohnehin völlig unbedeutend.
    Glücklicherweise ergriff der Tribunus wieder das Wort, ansonsten wäre er wohl oder übel dazu gezwungen gewesen sich erneut dazu zu äußern, wozu sein Vorgesetzter seiner Meinung nach fähig war, sodass er nun zumindest Zeit hatte, sich passende Worte zurechtzulegen. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit hätte er ansonsten, wie er sich kannte, nur einen kleinlauten Kommentar, welcher alles noch schlimmer machte, hervorgebracht.
    "Nun, es gibt Leute, die dich für den Tod dieses Mannes verantwortlich machen, denn selbst wenn ich dem Gerede irgendwelcher Waschweiber keinen Glauben schenke, andere tun es anscheinend", bemerkte er schließlich nüchtern, als der Tribunus geendet hatte, "Gegen diese Unwahrheiten lässt sich jedoch nicht viel unternehmen, es sei den wir finden den tatsächlichen Verantwortlichen. Genauso wenig vertraue ich blind auf die Wahrheit der Gerüchte über deine Tochter, eben weil ich bisher keinen Grund dafür sehe. Praktisch jeder könnte derartige Gerüchte in die Welt setzen, und alleine die Sensationslust der Leute würde vermutlich ausreichend für deren Verbreitung sorgen." Wäre es anders, sollte er sich vermutliche eine andere Arbeit suchen. Jedes Märchen, welches einem die Leute auftischen wollten, kommentarlos als wahr abzustempeln, wäre völliger Irrsinn, ignorieren konnte er sie allerdings ebenfalls nicht, weil sie hin und wieder doch Teil des Puzzles waren, welches zusammenzusetzen seine Aufgabe war. Ob das auch dieses Mal der Fall war, würde er erst noch herausfinden müssen.
    "Es könnte durchaus sein, dass der Mord mit den von dir erwähnten Kritzeleien zusammenhängt, doch solange wir noch eine Spur haben – und die haben wir – würde ich diese gerne weiter verfolgen." Sollten sie in jener Richtung auf nichts brauchbares Stoßen, konnten sie noch immer die Leute, die hinter den Graffitis steckten, für die Tat verantwortlich machen, zuvor wollte er allerdings die anderen Möglichkeiten ausschließen, oder er hatte das Glück, dass seine Spur zu denselben Leuten führte und die Sache wäre glasklar.
    "Wie wir weiter vorgehen liegt aber selbstverständlich bei dir, Tribunus." Wenn der Tribunus verlangte, dass sie diese syrischen Freiheitskämpfer für den Mord an dem Händler verantwortlich machten, blieb ihm ohnehin nichts anderes übrig. Wie es dann mit der Wahrheit über Torquata weiterging, blieb dann wohl abzuwarten, wobei der Tribunus ja gar nicht ahnte, dass auch er sein Interesse daran hatte, die Sache aufzuklären.

    Lange Tage und schlaflose Nächte wollten ihren Tribut fordern, doch noch einmal unterbrach Sibel die Stille und ihre Stimme drang leise zu ihm durch, als er schon beinahe eingeschlafen war.
    "Hm?", machte Avianus erst, während er spürte wie sie sanft seinen Arm berührte. Ich liebe dich auch, wollte er daraufhin einfach nur sagen. Doch ihre Stimme hatte etwas Ernstes besessen, einen Unterton, der ihn dazu zwang, die Augen wieder zu öffnen. Als er sie dann erblickte, spürte er, dass sich auch an dem Ausdruck in ihrem Gesicht etwas verändert hatte. Gerade eben hatte es noch so gewirkt als wäre praktisch zum ersten Mal alles in Ordnung, sodass er sich nun leicht irritiert fragte, was es noch zu besprechen gab. Was konnte so wichtig sein dass es nicht bis morgen warten konnte… oder bis zu ihrem nächsten Treffen. Denn er würde wiederkommen, sagte er sich selbst, ganz bestimmt.
    "Was ist los?", fragte er dennoch ruhig und strich ihr zärtlich über die Wange, fast so als wäre es nun an ihm, ihr zu sagen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, denn es schien so, als wäre sie aus irgendeinem Grund noch immer beunruhigt.

    Die verbitterte Bemerkung des Wirts ließ er an sich abprallen, Avianus beschloss, den alten Mann einfach zu ignorieren, denn ohnehin war dieser gerade dabei, den Raum zu verlassen. Die Wirtin allerdings überrumpelte ihn mit ihrem plötzlichen Ausruf vollkommen, und selbst wenn er sich einen Augenblick später bereits zusammenriss, um sich möglichst wenig anmerken zu lassen: Er hatte gerade keine Ahnung was er sagen sollte. Und das obwohl außer den beiden Frauen, den zwei Christianern und seinen eigenen Soldaten niemand im Raum war, und vor deren Meinung brauchte er mit Sicherheit keine Angst zu haben. Überspielen, sagte es dennoch aus Gewohnheit in seinem Kopf, so wie immer. Selbst wenn der Ausruf der Wirtin für alle anderen nur aus wirren Worten bestehen musste.
    Er blieb sitzen und seinen Blick wandte er nicht von der Wirtin ab, denn den fragenden Ausdruck, den er wohl in den Gesichtern seiner Soldaten vorfinden würde, wollte er gar nicht erst sehen. Er wusste natürlich ganz genau was sie meinte. Sie hatte ihn erkannt, trotz allen Wahnsinns, der sie damals befallen hatte. Sein Gesicht hatte sie nicht vergessen.
    "Du willst uns also nicht helfen… ?", fragte er stirnrunzelnd zurück und wagte damit einen Versuch ihr wirres Gerede schlicht zu übergehen.
    Für den Notfall hätten sie immer noch die andere Frau, den Kerl, der noch immer mehr oder weniger bei Sinnen von Maso gehalten in seinem Stuhl hing und den zweiten, der auf der anderen Seite des Raumes von Pennus in Schach gehalten wurde, ihn mit starren Blicken durchbohrend, obwohl es ihm lieber wäre auch zu erfahren, was Mirjam wusste.
    "Was ist mit dir? Wer bist du? Was machst du hier?", fragte er die andere, jüngere Frau, um der Wirtin Zeit zu geben, ihre nächste Reaktion zu überdenken.

    Seine Bedenken waren vollkommen unnötig gewesen, stellte Avianus beruhigt fest.
    "Nein … ich mache mir keine Sorgen", brummte er leise zurück und lächelte leicht, "Jetzt nicht mehr. Ich bin froh, dass es dir hier gut geht."
    Ein wohliger Schauer wanderte durch seinen Körper und ließ ihn für einige Augenblicke die Augen schließen, als sie über seine Haut streichelte. Langsam öffnete er sie wieder und betrachtete Sibel einmal mehr. Sie wirkte ruhig, gelöst und keine Träne glänzte mehr auf ihren Wangen. Wie seiner ging auch ihr Atem ruhig. Was hätte er gegeben, damit es für immer so blieb, denn alles war beinahe zu schön um wahr zu sein. Sie war bei ihm, gesund und sicher, in einem warmen Raum, einem Zimmer, das ihr gehörte, was zu klären gewesen war, war geklärt, und er musste nicht gehen. Sie schenkte ihm Ruhe und besaß die Fähigkeit seine Sorgen fortzuwischen, so wie sie es jetzt tat, mit ihrer bloßen Nähe oder ein paar sanften Worten. Das hatte sie schon immer gekonnt, schon damals in den Gärten, gleichzeitig nahm sie seine Launen hin, störte sich nicht daran, und für alles war er ihr unendlich dankbar, selbst wenn er sich nicht daran erinnern konnte, es ihr jemals direkt gesagt zu haben. Vielleicht sollte er damit beginnen das versäumte nachzuholen, dachte er noch, während sich seine Lider wieder senkten und er wieder ihren Atemzügen lauschte, die ihn langsam forttragen wollten.


    Ad Tiberia Lucia
    Casa Accia
    Roma


    A. Iunius Avianus Tiberiae Luciae s.p.d


    Oh Lucia, du sehnst dich nach weiteren Briefen? Wie könnte ich widerstehen, dir diesen Wunsch zu erfüllen. Allerdings will ich dich daran erinnern, dass ich diese horrende Menge an Papyrus von meinem eigenen Sold bezahle. Ich hoffe also, du weißt jede Faser dieses Blattes und jeden Tropfen Tinte darauf zu schätzen.


    Du hast also geheiratet? Dann ist es wohl auch an mir, dir zu gratulieren, trotz meiner Enttäuschung darüber, dass ich nicht zur Feier geladen war, bei der tiefen Freundschaft, welche uns verbindet. Dieser ist es auch zu verdanken, dass ich dir dennoch verzeihe.
    Wer auch immer der glückliche Gemahl sein mag, weiß doch hoffentlich die liebreizende Dame zu schätzen, die nun an seiner Seite steht?


    Doch ich kann dich beruhigen, dass zumindest Cato, Proculus und Canus es mit Sicherheit nicht wagen würden, dich mit einer professionellen Durchsuchung zu langweilen. Bei Gelegenheit werde ich für dich ihre Dienstzeiten in Erfahrung bringen.
    Und was die Kette betrifft: Es gibt Dinge die du über den guten Cato nicht weißt. Etwa, dass er ein Arschkriecher ist. Ich wünschte ich könnte in einem Brief an dich auf eine solche Wortwahl verzichten, aber auf andere Weise lässt sich mein ehemaliger Kamerad nur schwerlich beschreiben.
    Aber ich hoffe doch, diese Pflicht, die das Schmuckstück erfüllt hat, beschränkte sich lediglich auf die Kette? Mir würde es das Herz zerreißen, zu erfahren, dass du den Brief nicht um meinetwillen geschrieben hast.


    Eine Tiberia sollte sich Beschäftigung und Glück allerdings nicht in einem Freudenhaus suchen müssen, selbst wenn du dir den Genuss, der mir bei meinem letzten Besuch zuteil wurde, kaum vorstellen kannst. Ganz im Gegenteil, die Männer sollten bei jemandem wie dir Schlange stehen! Allerdings bleibt dir als verheiratete Frau von edler Abstammung sowohl das Lupanar als auch letzteres verwehrt. Wobei die Schlange stehenden Herren bis vor kurzem zweifellos noch der Fall waren. Erfreut stelle ich nun aber fest, dass dir wenigstens noch der Friseur bleibt – und wo wir schon dabei sind: Vielleicht solltest du dir einen neuen suchen.


    An dieser Stelle möchte ich dir allerdings etwas beichten. Ich erinnere mich noch gut an deine Enttäuschung, als Cato dir von dem Brief des Aurius an mich erzählt hat, da du hofftest, du könntest meine einzige Briefschreiberin werden. Und ohne Zweifel hätte eine Frau wie du diese einmalige und ehrenvolle Position verdient. Doch du bist nicht mehr alleine, und du warst auch nicht die erste. Mein Gewissen lässt es nicht zu, dir dies zu verschweigen, doch ich hoffe, du verstehst: Deine Briefe sind dennoch etwas ganz Besonderes.


    Ich hoffe natürlich weiterhin dir geht es gut, und so wie dein Brief mich unvorstellbar erheitert hat, ist meine Antwort hoffentlich auch dir eine Freude.


    Vale bene.
    Avianus


    PS: Füge deinem nächsten Brief, so du mir einen zukommen lassen willst, doch meine Einheit hinzu: Cohors XII Centuria III. Der arme Kerl, der den Brief an mich weitergegeben hat, musste sich durch die halbe Castra fragen.

    Ein wenig überrascht zog er die Augenbrauen hoch, als der Tiro ihm erst gar nichts sagte und ihm dann plötzlich die Antwort laut genug entgegenbrüllte, dass man sie vermutlich noch drüben bei den Unterkünften hören konnte. Wie immer stellte sich der Raecius ein wenig seltsam an, doch was er sagte, war vollkommen richtig.
    "Korrekt, Tiro Raecius Fimbria!!!", bellte Avianus zurück und erlaubte sich dabei mit dem hin und wieder etwas eigenartigen Fimbria einen kleinen Scherz.
    "Und genau damit werden wir uns heute befassen. An die Übungsausrüstung, na los!"
    Gleichzeitig bot sich das Training mit der Hasta auch noch an, um schon mal einige Formationen mit den Tirones durchzunehmen. Vorher wollte er aber erst einmal sehen, ob sich das regelmäßige Üben mit Scutum und Gladius in letzter Zeit gelohnt hatte, und ob die Tirones inzwischen eine ordentliche und geschlossene Reihe an Schilden zustande brachten.
    "Scuta premite!!!", rief er also der Reihe entgegen, als jeder wieder an seinem Platz stand.