Beiträge von Titus Pompeius Atticus

    Atticus kniete sich neben Albina und den Korb und half ihr beim herausheben des Welpen. Für ihn wog das Hundchen zwar nichts, aber für ein kleines Mädchen musste er wohl noch etwas schwer sein, und vor allem, wenn er so aufgeregt herumzappelte und mit dem Schwanz wedelte, etwas unhandlich.
    “Bitte sehr“ sagte er ihr dabei und grinste seinen Patron schief an, als dieser die offenkundigen Liebesbezeugungen seiner Tochter mit einem 'kommt gut an' sehr untertreibend kommentierte.
    Da Atticus ja verwandtschaftsbedingt viel Erfahrung mit kleinen Kindern aufweisen konnte, hatte er auch kein Problem damit, noch eben mit Albina als Beschenkter ein paar Worte zu wechseln. “Du musst aber gut auf ihn aufpassen, Albina. Am Anfang sollte er am besten gekochtes Hühnchen und gekochte Möhren bekommen, vielleicht ab und zu ein wenig in Milch aufgeweichtes Brot. Das musst du in der Küche sagen. Und natürlich musst entweder du oder ein Sklave jeden Tag mit ihm draußen spazieren gehen, damit er Pipi machen kann. Und das allerwichtigste“ und hier machte Atticus eine dramaturgische Pause und hob mahnend seinen Zeigefinger: “Du musst ihm einen Namen geben!“ Und dann grinste Atticus wieder jungenhaft von Ohr zu Ohr. “Immerhin muss der kleine Kerl doch wissen, wie er heißt, damit er kommt, wenn du ihn rufst.“

    Atticus drehte sich gerade noch rechtzeitig wieder zurück zum Geschehen, um mit anzusehen, wie nun die zweite Amazone übernahm und bei voller Fahrt auf den Rücken eines der Pferde sprang, sich losschnitt und davongaloppierte. “Hast du das gesehen?!“ entfuhr es ihm begeistert, ohne dabei jemanden bestimmten mit seiner Frage zu meinen. Aber DAS war wirklich sehenswert gewesen und jeder, der es verpasst hatte, in seinen Augen ein armer Tropf.
    Erst nach diesem Ausruf der Begeisterung konnte er sich wieder um den Rempler kümmern, wie es sich eigentlich gehörte. “Oh, ähm, genau. Nichts zu danken.“ Kurz runzelte er die Stirn, weil der junge Mann ihm so bekannt vorkam. Einen kleinen, dicken Römer vergaß man ja nicht so einfach. Trotzdem dauerte es einen Augenblick, bis Atticus genug in seiner Erinnerung gekramt hatte, um die einzelnen Informationen korrekt zusammen zu setzen. “Ah, Quaestor Flavius, richtig?“ fragte er dann aber doch noch einmal nach, um sich zu vergewissern, hier niemanden zu verwechseln.

    Zustimmend leckte Pontus die Hand des Purgitiers, ehe er sich wieder dem jungen Hund widmete. Und auch Atticus war bemüht, das kleine Bündel möglichst vorsichtig zu halten. Was gar nicht so einfach war, wollte der Welpe doch am liebsten durchs Tablinum toben und seinem Spieltrieb nachgehen.
    “Ähm, ja, es müsste...“ Atticus hob mit einer Hand noch einmal den Schwanz des Hundes an und sah sicherheitshalber noch einmal nach. Nicht, dass er den Welpen verwechselt hatte und etwas falsches sagte. “Jap, ist ein Rüde. Jetzt zwölf Wochen alt, sehr verspielt... joar...“ Was sollte man sonst noch sagen? Es war ein junger Hund. Vielleicht einer, der mal etwas größer werden würde als die meisten, was man jetzt schon an sehr großen Tatzen sehen konnte, aber den Rest würde die Erziehung wohl machen. Da war Atticus aber zuversichtlich, dass dieser Kerl ein genauso treuer Begleiter wie Pontus werden würde.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    Noch ehe der Sklave vermochte zu intervenieren stürzte der Flavius sich neuerlich ins Getümmel, stolperte jedoch sogleich über eine leicht erhabene Marmorkante und stieß gegen einen anderen Gast der Spiele, der augenscheinlich bereits seine Appetenz auf die Arena hatte gerichtet, wo ein Amazonenwagen die Jagd hatte eröffnet.

    Sim-Off:

    Wer immer sich mag angesprochen fühlen ;)


    Eine kleine Rede, fliegende Tauben, und dann ging es auch schon los. Die Amazonen waren wirklich eine Augenweide, wie sie da standen mit ihrer dunklen, glänzenden Haut und dem knappen Fell. Und schon war auch der erste Pfeil auf der Sehne und so schnell verschossen, dass Atticus es verpasst hätte, hätte er auch nur in diesem Moment geblinzelt! Bislang hatte er einem Bogen ja nur wenig Beachtung geschenkt – um nicht zu sagen, dass er noch nie einen in der Hand gehalten hatte – und auch in sämtlichen Schriften, die sich der Kriegskunst widmeten, hatte Atticus den Eindruck erhalten, der Bogen sei bestenfalls eine minderwertige Waffe, um die Reihen einer Armee zu stören. Plänkler eben, einfache Hilfstruppen, die der wahren stärke der Armee, den Legionären, nur den Weg bereitete. Aber hier und jetzt verschoss diese schöne Frau Pfeile mit einer solch tödlichen Präzision, dass Atticus seine Meinung über den Bogen als solches wohl revidieren musste.


    Da, sie legte einen weiteren Pfeil auf die Sehne, und... “Hoppla!“, fing Atticus gerade noch so reflexartig einen vielleicht ein paar Jahre älteren jungen Mann auf, der wohl eine Treppenstufe übersehen hatte. “Noch alles heil?“, fragte er höflichkeitshalber nach.
    Das anerkennende Raunen in der Zuschauermenge sagte ihm, dass er wohl einen besonders spektakulären Schuss jetzt verpasst hatte. Mist verdammter!

    Hah! Atticus war sich sicher, dass der Hieb ins Schwarze getroffen hatte. Trotzdem blieb irgendwie das Gefühl des Triumphes über die ganze Sache aus, nach wie vor schmeckte die ganze Angelegenheit reichlich bitter. Atticus wollte seine Mutter doch nicht verletzen, es war nur... Warum musste sie ausgerechnet sofort wieder heiraten?!


    Reichlich frustriert blieb Atticus also kurz stehen, während seine Mutter ihren Entschluss verkündete und sich dann wieder ihrem Angebeteten widmete. Trotzig beschloss Atticus, jenes von ihr anberaumte Gespräch samt und sonders zu umgehen und wirklich erst einmal in der Casa Pompeia zu bleiben. Während sie sich also in Richtung Tablinum begab, stapfte er zur Treppe davon, ohne noch irgendwas zu sagen. Oben auf der Galerie stapfte er möglichst geräuschvoll weiter – sie sollten ruhig wissen, dass er noch da war – und ging in sein Zimmer. Dort angekommen packte er erst einmal alles, was er an Kleidung finden konnte, in einen großen Sack – natürlich wild hineingestopft. Ein letzter Blick durch das Zimmer, das jetzt schon so viele Jahre sein Zuhause war... ein tiefer Atemzug zum Abschied, und dann ging er. Wieder laut stapfend.


    Es war ein sehr seltsames Gefühl.

    Spießig? Der Blick von Atticus wurde noch ein ganzes Stück finsterer. Er war nicht spießig! Aber das hier war ekelig! Ganz einfach! Und dass ein guter Teil dieses Ekels von seiner Mutter geradezu heraufbeschworen wurde, machte das Ganze nur noch immer schlimmer!
    Allein die Blicke, die die beiden sich zuwarfen! Selbst, wenn seine Mutter nicht schon im Vorfeld Hinweise gegeben hätte, indem sie die halbe Einwohnerschaft des Hauses ausquartierte, hätte Atticus spätestens nach diesen Blicken gewusst, was hier wohl heute noch passieren sollte. Mit seiner Mutter. Ein paar Türen von seinem Cubiculum entfernt. Zumindest, sofern die beiden wenigstens so viel Anstand hatten, es nur dort zu treiben und nicht schon hier im Atrium. Und ob Atticus das miterleben wollte? “Nein, danke.“ Ihm reichten die Bilder im Kopf, die er jetzt schon hatte, er brauchte dazu keine Vertonung.
    Aber ganz so einfach wollte er weder den Fabier, noch seine Mutter mit der Sache davonkommen lassen. Vielleicht konnte er nicht wirklich verhindern, dass siene Mutter sich in ein verrücktes Abenteuer stürzte, bei welchem sie zu Schaden kommen könnte. Er konnte nur da sein, falls es so kommen würde – und DANN dem Fabier die Hand doch brechen. Da hätte auch sein Patron für Verständnis. Aber bis da blieb ihm wohl nur, seinen Unmut anders deutlich zu machen. Und er kannte das ideale Mittel dafür. “Ich bin dann in der Casa Pompeia und richte mich dort endlich einmal ein.“

    Auch Atticus hatte sich ins Theatrum Flavianum eingefunden, um mal wieder einer Tierhatz beizuwohnen. Es war zwar freilich nicht mit Wagenrennen zu vergleichen, hatte aber einen ganz eigenen Charme. Es war zwar blutig, aber meistens nicht so blutig, es war zwar gewaltsam, aber auch wiederum nicht so gewaltsam. Es war mehr, als würde man einer Dokumentation zusehen, wie bestimmte Tiere lebten, wie sie gejagt wurden, und welches Tier von mehreren verschiedenen denn das stärkere wäre. Atticus war sich sicher, dass solcherlei Programm noch in Jahrhunderten zu sehen sein würde, während er da bei Gladiatorenkämpfen nicht unbedingt so sicher war.


    Sei es drum. Heute also war er hier und und freute sich auf das Spektakel. Interessiert sah er schon einmal zu, wie die Jäger ihren Einzug in der Arena hielten und ihre Runden drehten. Die Männer waren ja schon beeindruckend, aber die beiden Frauen mit ihrer dunklen Haut und dem bisschen Fell, dass diese dunkle Haut nur gerade so eben verdeckte... denen musste doch kalt sein! Atticus hingegen war bei dem Anblick umso heißer. Er setzte sich auf einen freien Platz und begrüßte freudig die Nachbarn. Er saß nicht da, wo er üblicherweise gesessen hätte, und auch um ihn herum waren nicht die üblichen Verdächtigen, die man sonst zu diesen Gelegenheiten halt so traf. Aber vielleicht fanden sich so ja noch ein paar neue Freunde, oder man traf alte wieder, die ebenso nicht an 'ihrem' Platz saßen?

    Atticus nahm also den Korb noch einmal auf – drückte dabei Pontus Hundenase beiseite, und ging auf seinen Patron zu. Beim tragen wackelte der Korb wieder leicht, und Pontus lief ganz aufgeregt um ihn herum, begrüßte kurz den Hausherrn, und klebte dann wieder förmlich an Atticus' Seite.
    Schließlich war Atticus nahe genug heran, um das Geheimnis zu lüften. Er stellte den Korb quasi direkt zu Füßen seines Patrone- schob eine Hundenase weg – und öffnete ganz langsam, während er erzählte. “Also, unsere Nachbarin hat eine schöne, schlanke Hündin. Kein Molosser wie Pontus, ein bisschen kleiner. Und naja, im Sommer war sie läufig, und Pontus ist auch mal ausgebüchst...“


    Der Deckel war auf und heraus schaute eine kleine, schwarze Hundenase mit großen, schwarzen Hundeaugen knapp darüber und Schlappohren, die groß genug wären, beides zu verdecken. Der Welpe gab ein freudiges, kleines Fiepen von sich und sah die umstehenden Menschen mit heraushängenden Zunge erwartungsvoll an.
    “Er ist noch nicht ganz stubenrein. Wenn du willst, könnte ich ihn solange auch noch bei mir behalten, bis er das kann, aber naja, die Saturnalien sind jetzt und... also, wenn du es erlaubst, dann würde ich ihn gerne Albina schenken.“

    Zu den Saturnalien war es ja nicht nur Brauch, kleinen Kindern und guten Freunden etwas zu schenken, sondern hier und da durchaus auch mal dem Patron. Zumindest aber sah man bei ihm vorbei an einem der Tage. Und so war Atticus heute auch hier, Pontus wie immer an seiner Seite. Nur heute war eine Kleinigkeit noch dabei: Ein geflochtener, nicht ganz kleiner Korb, der hin und wieder ein wenig wackelte und in den Pontus alle Nase lang die seinige hineinsteckte und wie wild mit dem Schwanz wedelte.
    Auch, wenn zu den Saturnalien alles lockerer und leichtherziger war, wartete auch hier natürlich Atticus, bis er an der Reihe war, und trat dann schließlich mit Korb und Pontus vor seinen Patron. “Io Saturnalia, Purgitius! Ich wollte dir schöne Festtage wünschen. Und... naja, ich hab für Albina ein Geschenk dabei. Also, wenn du es erlaubst, heißt das. Du... ähm, du solltest es vorher ansehen, bevor du ja sagst, denke ich.“

    Was lange währte, wurde wohl endlich gut. Callistus war bei den Blauen und heute gab es dann endlich das lange ersehnte Trainingsrennen! Atticus hatte hier, wie in seiner Factio ja angekündigt, auch wieder alles allein in die Hand genommen und den Transport der Wagen und Pferde begleitet. Und nachdem sein Mit-Sodalis so sehr darauf bestanden hatte, noch einen neuen Fahrer zu suchen, hatte Atticus auch den bislang factio-losen Fahrer Hermippus dazu gebeten. Er hoffte, Callistus hatte nichts dagegen.
    Mit Pontus natürlich an seiner Seite wartete er also auf Callistus, der ihn auch schneller entdeckte als umgekehrt. “He, Callistus!“ grüßte Atticus zurück und erwiderte den Händedruck, während Pontus freudig mit dem Schwanz wedelnd die beiden umkreiste. “Und naja, vielleicht verliert Hamiris ja ein Hufeisen. Und das eine, braune Pferd sah aus, als könne es Rheuma haben“, scherzte er weiter. Wirklich große Chancen auf einen Sieg erhoffte sich Atticus realistischer Weise nicht. Die Veneta war wohl ebenso unschlagbar wie die Russata momentan. Aber man konnte ja nur besser werden, wenn man mit denen trainierte, die besser waren. Wie sollte man sonst etwas lernen?
    “Ah, bevor ich es vergesse. Ich habe Hermippus auch eingeladen, an dem Rennen teilzunehmen. Eines unserer Mitglieder will unbedingt noch einen vierten Fahrer im Kader haben, warum auch immer. Und naja, ich soll bei der Suche wohl helfen.“ Atticus zuckte die Schultern. Er hielt es nach wie vor für eine völlig verfrühte Fehlentscheidung. Vier Fahrer im Kader brauchte kein Mensch, wo doch eh an Rennen nur mit Glück überhaupt 3 teilnehmen konnten. Aber gut, vielleicht konnte er sich ja nächstes Jahr um den Vorsitz bemühen, dann konnte er sowas entscheiden.

    Ich kotz gleich im Kreis...
    Es war wohl für meisten Kinder schon am Rand der Ekelgrenze, die eigenen Eltern beim Turteln und Knutschen zu sehen. Wenn da nun aber ein fremder Mann im Atrium die eigene Mutter anschmachtete, abschleckte und wohl am liebsten gleich die Klamotten vom Leib reißen wollte, war das noch ein ganzes Stück schlimmer. Atticus wollte sowas einfach nicht sehen, von sowas nichts wissen und überhaupt gar nicht weiter darüber nachdenken. Er wollte einfach nur, dass alles wieder so war wie vor fünf Tagen.


    Irgendwelche bedrohlichen Blicke hinterließen in dieser Situation bei dem Jugendlichen auch nicht die geringste Spur. Wer seine Mutter nicht mit einem komischen Kerl flirten sehen wollte, sah eben auch keine Blicke. “Könnt ihr... einfach...“ Atticus konnte es noch nicht einmal aussprechen und verzog nur angeekelt das Gesicht. Wenigstens warten, bis sie unter sich waren, war doch wirklich nicht zuviel verlangt! Wer war hier denn der Ältere und wer der pubertierende Jugendliche?

    Der Kerl machte es Atticus wirklich schwer, seinen Zorn aufrecht zu erhalten. Eine Chance... hatte ein Mann, der die Mutter eines anderen heiratete, eine faire Chance verdient? Das war eine interessante Frage. Der kindliche Trotz wollte laut nein antworten, aber als Erwachsener sollte er die Sache logisch betrachten. Nur was genau war die Logik hierbei? War es wirklich gerecht, jemanden abzulehnen, nur, weil man ihn noch nicht kannte? Und weil er sich protzig anzog. Und seine Mutter heiraten wollte.
    Atticus wollte sehr gerne eigentlich das richtige tun und keine voreiligen Schlüsse treffen. Doch was war das richtige? Was wäre voreilig? Das war nicht so einfach. Aber sein Trotz bröckelte weiterhin.
    “Und... wann wollt ihr heiraten?“ stellte Atticus also schließlich eine weitere Frage, die seine Mutter noch nicht beantworten hatte können. Vielleicht war es ja gar nicht so schlimm, wie es sich im ersten Moment angehört hatte? Und vielleicht musste Atticus den Mann ja auch nicht mögen, und er war trotzdem die richtige Wahl?
    Hoffentlich kam seine Mutter bald...

    Noch immer war Atticus ein bisschen zurückhaltend bezüglich des gemeinsamen Patrons. Purgitius Macer hatte ihm gegenüber nie etwas von einem Fabius Torquatus erwähnt. Allerdings hatte der Consular Dutzende von Klienten und ganz sicher noch keinen Grund gehabt, den Fabier gegenüber Atticus anzusprechen. Das würde sich in Zukunft wohl aber definitiv ändern.


    Dass seine Mutter und der Fabier sich gut kannten, glaubte Atticus hingegen keine Sekunde. Er kannte fast alle Bekanntschaften seiner Mutter, insbesondere ihre Freunde, und der Kerl hier wäre ihm definitiv aufgefallen. Noch weiter zweifelte er an einer näheren Bekanntschaft, als der Fabier ausführte, er wäre erst kürzlich wieder zurück nach Rom gekehrt und davor in Alexandria gewesen. Zwar war seine Mutter auch in ihrer Jugend in Alexandria gewesen – wie sie gern und häufig erzählte – aber der Fabier würde wohl nicht die letzten zwanzig Jahre dort Tribun gewesen sein, so dass sie sich dort hätten kennenlernen können. Nein, an der Geschichte war etwas faul, und zwar ganz gewaltig. Und diesen Gedankengang würde wohl selbst ein Blinder seinem jugendlichen Gesicht ansehen können.
    Der kleine Seitenhieb gegen seinen Vater wiederum störte Atticus gar nicht. Pompeius Imperiosus hatte sich sämtliche Seitenhiebe redlich verdient und Atticus hatte nicht vor, auch nur einen davon abzumildern. Das hieß aber nicht, dass er einen neuen Mann mögen musste. “Mein Vater ist lange weg und wird wohl auch nie wieder kommen, aber meine Mutter kam bislang sehr gut ohne einen neuen Mann klar“, stellte Atticus daher erst einmal klar. Eigentlich wollte er noch sagen, dass sie ja ihn an ihrer Seite hatte, aber das klang ihm doch zu sehr nach Ödipus, als dass er es laut aussprechen wollte.
    Er schnaufte einmal tief durch. Das war doch alles Kacke! Gerne hätte Atticus einen gewählteren Ausdruck dafür, aber es gab wohl keinen passenderen. “Ich würde meiner Mutter wirklich wünschen, dass sie glücklich ist und einen Mann an ihrer Seite hat, der sich ihrer würdig erweist“, versuchte er es also trotz seines Frustes einmal diplomatisch. “Aber ich möchte nicht, dass sie etwas macht, was sie später bereut.“ Oder in weniger diplomatischen Worten: Dass sie nochmal an einen zweiten Imperiosus geriet, der sie ausnutzte und sobald sich Ärger am Horizont abzeichnete, sie allein zurück und in Gefahr ließ.

    Da kam er! Den wollte seine Mutter heiraten? Atticus fand, dass er lächerlich aussah. Seine Kleidung war irgendwie komisch, und er trug protzig viel Schmuck! Ringe, Goldkette, goldene Stickereien... Es ging hier um ein Abendessen mit seiner Mutter, nicht um den Staatsempfang der Königin von Saba! Und überhaupt war er Atticus ja schon aus Prinzip unsympathisch. Wie er guckte! Als gehöre die Domus ihm!
    Atticus beschloss, sollte dieser Pfau ihm die Hand geben, dann würde er so fest zudrücken, bis es knirschte. Die Ringe würden ihm sicherlich dabei noch helfen, wenn... Moment, was?!?!
    “Äh... Purgitius Macer ist auch dein Patron?“ Atticus sah kurz aus, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Diese Information kam 'etwas' unerwartet. Kurz sah er nochmal an dem Mann auf und ab. Was hatte seinen Patron da bloß geritten? Besonders sympathisch war der Fabier jetzt immer noch nicht, aber ein mögliches Hände-Brechen fiel jetzt doch weg. Da könnte Purgitius Macer doch etwas ungehalten reagieren, wenn seine Klienten sich untereinander verletzten. “Das... wusste ich nicht“, schloss Atticus etwas lahm und versuchte, sich wieder ein wenig zu sammeln.


    “Überhaupt weiß ich von dir noch nichts“, kam es schließlich mit etwas Verzögerung dann doch aus ihm heraus. “Bis meine Mutter gestern beim Frühstück verkündete, dich heiraten zu wollen, wusste ich noch nicht einmal, dass es dich gibt. Also verzeih mir, wenn ich da jetzt etwas vorsichtig bin, aber ich wüsste wirklich gern, wie das alles so schnell sein kann und wer du bist?“ Das waren aus Atticus' Sicht durchaus berechtigte Fragen, auf die er bislang von seiner Mutter keine wirklich befriedigenden Antworten erhalten hatte.

    Atticus käme mit ein paar herumhuschenden Sklaven prima zurecht. Solange er jemanden hatte, der wusste, wie man kocht, und vielleicht noch jemanden, der seine Wäsche wusch, kam er schon zurecht. Na gut, irgendwer sollte auch noch die Böden schrubben und einkaufen oder so. Aber ansonsten? Mit der Einsamkeit hätte Atticus wohl kein Problem.
    “Wenn du so weiter machst, lade ich dich als Strafe zu uns für ein paar Tage ein. Dann wirst du schon sehen, was du davon hast“, stichelte Atticus grinsend zurück. Die Domus war groß genug für Gäste, und wenn Callistus Gesellschaft haben wollte, konnte er gerne an Atticus' alltäglichem Wahnsinn teilhaben, wenn er wollte. Also war das nur halb Drohung, aber zur Hälfte durchaus ein Angebot.
    Dann kam aber das Gespräch so plötzlich auf seinen Vater zu sprechen, dass Atticus im Gehen kurz strauchelte. “Mein Vater ist vielleicht ein Thema für einen längeren Abend mit viel Wein. Aber die Kurzversion: Er ist schon seit Jahren nicht mehr in Rom gesehen worden, und ich glaube nicht, dass sich das ändert.“ Wenn Atticus von seinem Vater anfangen würde, ginge das nicht ohne eine gehörige Portion Verbitterung. Und er wollte seinen neugewonnenen Freund nicht gleich durch exzessives Jammern vertreiben. Ihm selber wär es ja auch suspekt, wenn jemand, mit dem er sich eben erst anfreundete, ihm gleich seine ganze Lebensgeschichte offenbarte und jeden Herzschmerz teilte. Sowas machte man nicht. Vor allen Dingen machte sowas Mann nicht.


    Zum Glück gab es da auch noch die andere Frage. Auch wenn die ziemlich schwierig zu beantworten war und Atticus sich da noch nie so ernsthaft drüber Gedanken gemacht hatte. Vermutlich würde er zwar auch irgendwann heiraten müssen, aber bislang hatte er noch kein Mädchen getroffen, dass er hätte heiraten wollen. Oder sie ihn. Oder überhaupt. “Öhm, also akzeptabel... sagen wir, rechtsgültig ist es ab 14, aber das macht eigentlich keiner. Nur, wenn's um so Sachen wie Erbschaften und Allianzen und sowas geht, wegen der Lex Iulia et Papia und so... öh. Aber so allgemein ist es so, dass keiner etwas sagt, wenn ein Vigintivir noch nicht verheiratet ist. Aber ein unverheirateter Senator geht nicht, das ist gegen die Tradition. Also... irgendwann dazwischen sollte man heiraten. Also so... 25 oder so?“ Atticus zuckte die Schultern. Als Ritter, der wohl eine militärische Karriere machen würde, hatte er da etwas länger eine Ausrede. Aber spätestens, wenn er die zweite Stufe dort genommen hätte, würde das Thema wohl immanent werden. “Wieso, hast du schon wen im Auge?“

    Das Ganze kam Atticus wie eine ziemliche Schnapsidee vor. Seine Mutter hatte sich also von seinem Vater scheiden lassen. Soweit, so gut. Das hatte Atticus vollste Unterstützung. Er fragte sich sowieso, warum sie überhaupt noch mit ihm verheiratet war, wo sie doch schon seit Jahren nicht mehr in seinem Haus lebte und ihn überhaupt nicht gesehen hatte. Könnte Atticus sich ebenso einfach von seinem Vater befreien, er würde es sofort tun! Ehrlich! Wer war dieser Mann, der seine Familie und seine Kinder in höchster Not im Stich ließ und sich irgendwo verkroch, um seine eigene Haut zu retten, anstatt seinen eigenen Kindern zu helfen? Cossus und er hätten im Bürgerkrieg sterben können! Oder in der Zeit danach! Sie hätten von einem wütenden Mob für den Namen ihres Vaters gelyncht werden können! Und wo war Pompeius Imperiosus? Irgendwo in Achaia in einem Lupanar, wo er weinsaufend auf das Ende wartete? Zumindest SO stellte Atticus sich seinen Vater vor: Feige, lüstern, betrunken, unfähig. Oh ja, Atticus würde sich auch gerne von ihm scheiden lassen.


    Aber dass seine Mutter am gleichen Tag verkündete, einen anderen heiraten zu wollen, von dem Atticus noch nie etwas gehört hatte, also das ging ja wohl auch nicht! Man konnte doch nicht einfach in die Stadt gehen und mit einem neuen Ehemann heimkommen? Selbst wenn man eine Frau war und damit strengere Maßstäbe einhalten musste, was das verheiratet-sein anging. So schnell ging das ja nun doch nicht!
    Und dass seine Mutter ihn da heute auch noch am liebsten loshaben wollte, das ging noch viel weniger. Nein, nicht mit ihm! Wenn seine Mutter sich schon selbst nicht beschützte, dann würde er das eben übernehmen! Und daher würde er diesen komischen Mann jetzt erst einmal selber unter die sprichwörtliche Lupe nehmen. Wenn seine Mutter nachher noch mit dem Kerl in Ruhe ins Bett wollte, dann.. nein, Atticus konnte so nicht von seiner Mutter denken. Das war widernatürlich. Auf jeden Fall konnte er dann ja gehen, damit er das nicht mit anhören musste. Nach so viel Zeit sei ihr das ebenfalls vergönnt. Aber vorher! Vorher hatte Atticus vor, ihn sich anzusehen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln, insofern das von jungem Sohn zu älterem Mann eben möglich war.


    Und damit er ihn nicht verpasste, wartete Atticus in eine einfache, dunkelblaue Tunika gekleidet im Atrium.

    Atticus hätte tanzen mögen vor Freude. Auch der mahnende Zeigefinger seiner Mutter schaffte es nicht, den aufkeimenden Jubel gänzlich zu unterdrücken, so dass er wie ein Lar aufgeregt von einem Bein aufs andere hüpfte und ihr abschließend einen dicken Kuss auf die Wange gab. “Danke, Mama. Ich verspreche dir, du wirst es mögen. Es... es wird gar keine Arbeit für dich sein, versprochen!“

    Hah, das war doch schon ein Fortschritt! “Du, du musst dich auch um gar nichts kümmern!“ sagte Atticus schon aufgeregt. “Wenn dich irgendwer kontaktieren sollte wegen Rennen oder so, dann kann ich dir helfen. Und, und... ich könnte auch alles wichtige Aias erklären! Dann kann er das im Notfall machen, falls ich nicht da bin! Und wenn die Factio wieder genug Mitglieder hat und es voran geht, dann kannst du dein Engagement ja auch ganz niederlegen! Es wäre also nur für jetzt, für den Anfang, um die Factio wieder bekannt zu machen und ihr eine Finanzspritze zu geben. Biiiiitteeeee!“

    Atticus verspürte gleichzeitig Erleichterung und Scham. Eigentlich sollte es ihm ja nichts ausmachen, wenn er nichts mehr bekäme, und eigentlich sollte es ihn beschämen, dass seine Mutter ihn noch immer behandelte wie ein kleines Kind! Er war fast sechzehn, bei den Göttern! Ein erwachsener Mann, fähig, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, in den Krieg zu ziehen und überhaupt! Aber er wollte trotzdem ebenso wie sein Bruder ein Saturnaliengeschenk bekommen!
    “Ich will aber keinen Armreif.“ Und erst recht keine neue Tunika. Weiche Geschenke, brrrr. Tuniken wurden nur noch von Socci übertroffen. “Ich möchte sehen, dass der Rennsport wieder auflebt und alle Factiones sich miteinander messen. Dafür müssen aber alle Factiones auch zahlungsfähige Mitglieder haben.“

    Das erwischte Atticus jetzt doch ein wenig kalt. Zu alt für ein Saturnalien-Geschenk? Das hieß, es war ja klar, dass eigentlich nur kleine Kinder wirklich Geschenke bekamen, und die Sklaven. Man hängte sogar extra bestimmte Krämze an die Tür, um anzuzeigen, wieviele Kinder im Haus waren, falls Nachbarn Gastgeschenke mitbringen wollten. Aber irgendwie hatte Atticus nicht damit gerechnet, jetzt schon als so erwachsen zu zählen, dass er keines mehr bekam. “Ich krieg kein Geschenk mehr? Nur Cossus?“ fragte Atticus da ein wenig kläglich nach. Für den Moment war da auch der ganze Rennsport vergessen.