Die weiterführende Bildung war tatsächlich keine sonderliche Erlösung für Audaod gewesen. Statt eines Magisters unterrichtete ihn nun ein Grammaticus, der ihm noch geschliffenere Redekünste beibringen sollte. Abgesehen davon ließ Audaods Vater zweimal die Woche auch einen anderen Lehrer kommen, der ihm Grundlagen der Geometrie näher bringen sollte und auch einen kurzen Einblick in die Astronomie gewährte - wofür Audaod allerdings so gar kein Interesse zeigte, wenn nicht gar nur völlige Langeweile dafür übrig hatte.
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"Du wirst jedenfalls verstehen, junger Duccius, dass eine gewisse Redegewandtheit und ein selbstbewusstes Auftreten deine Erscheinung weitaus eindrucksvoller und überzeugender wirken lässt, als hängende Schultern, eine leise Stimme und ein unkontrolliertes Geplapper, das keines Menschen Verstandes zugänglich ist, nicht wahr?"
Der Grammaticus Cinadon, ein Freigelassener, der ursprünglich nach eigener Aussage aus dem hochwohlberühmten Thebae in Achaia kam, pflegte stets seine Lehrsätze in derartige Fragen zu verpacken, die Audaod langsam zu langweilen begannen. Der junge Duccius hatte keine Ahnung, wo Thebae lag. Er konnte aber genau sagen, wo Achaia zu lokalisieren war, denn die Geographie lag ihm sehr und Landkarten begeisterten ihn schon seit er auf den eigenen Füßen stehen konnte.
"Ja, Grammaticus", sagte er monoton und unterdrückte ein Gähnen. "Sehr gut", sagte der so zufrieden Gestellte und machte weiter im Text. Bla, bla, blablabla - ausgefeilter Sprachgebrauch - laber blabel blub - effektives Durchsetzen in der Politik - lubbel wubbel blabel wabel... Audaod war heute definitiv zu müde, um die Worte seines Grammaticus nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen und sich zu merken. Er blinzelte angestrengt und versuchte sich wieder auf seinen Lehrer zu konzentrieren, was ihm auch für einige Minuten gelang.
Audaods Vater hielt viel von Cinadon. Und er erwartete auch, dass sein Sohn viel und gut bei dem Grammaticus lernte. Und das war verdammt viel, was er da von seinem Sohn erwartete, denn dieser war mit fortschreitendem Alter bald eher der körperlichen Ertüchtigung, also besonders dem Schwertkampf und dem Ringen, zugetan. Schule fand er lästig und ermüdend, Sport dafür umso erquickender und darum umso sinnvoller. Den logischen Argumenten seines Vaters, dass eine rhetorische Ausbildung noch um einiges wichtiger war, wenn Audaod später einmal erfolgreich sein wollte - egal ob als Politiker, Kaufmann, Gelehrter - konnte der junge Bursche natürlich argumentativ nichts entgegen setzen. Vielmehr war da ein grundlegender Unwille gegenüber dem weiteren Auswendiglernen von Lektionen und Übungen, gegen das wiederholte Wiederholen der Wiederholung, gegen die ständige Schelte, wenn eine Wiederholung mal nicht so klang wie die Wiederholung klingen sollte und gegen alles andere, was dieser lästige Grammaticus noch so verkörperte. Audaod wollte nicht mehr nur lernen. Er wollte endlich etwas tun! Aber Audaod war auch erst dreizehn Jahre alt. Zu jung also, für die Toga Virilis, die ihn zum Erwachsenen machte. Und auch das folgende Jahr ließen ihm keine Ruhe, denn der Grammaticus löste sich nicht wie gehofft in Luft auf und Audaods Unlust verschwand auch nicht. Und immerzu dachte er an den Sport, die Kraftübungen, das Laufen, das Ringen, das Schwitzen und das leiden, wenn die Muskeln schmerzten und schwer wie Blei wurden.
Und eines Tages war es so weit, als Audaod endlich vierzehn Sommer alt war, dass sein Vater ihn aus der (meist ja nur verbalen) Gewalt des Grammaticus entließ ... und ihn zu einem Rhetor schickte! Vom Regen in die Traufe, dachte Audaod sich missgelaunt und machte sich daran den Mann aufzusuchen, der nach Aussage seines Vaters noch ein weiteres Jahr lang Audaods Redekünste auf ein (momentan zumindest zu erreichendes) Maximum bringen sollte: Den Rhetor Eumenius.