Beiträge von Aulus Tiberius Verus

    In tiefen Gedanken wankte Verus, halbwegs genesen, durch die Menschenmengen. Es war egal, wirklich vollkommen bedeutungslos, wie er sich fühlte, denn in diesen Augenblick galt sein Weg dem letzten Eid, dem ewigen Versprechen, welches sich die Speculatores gaben, dass niemand ihnen entkam und Verrat stets mit dem Tod bestraft wurde. Verus war ein furchtbarer Mensch geworden, wie ein Geist, war jede Handlung, die er tat, nur noch Erinnerung an einen Menschen, denn alles, was ihn auszeichnete, war kalter Zorn, der sich als böswillige Vernunft tarnte. Er dachte an die schönen Dinge, die er einst gekannt hatte und glaubte nicht einmal mehr daran, diese erneut zu sehen. Verus war längst verloren, so verloren, wie jeder der unter ihm gedient hatte. Die Mission war gescheitert und mit dem Scheitern war die Pflicht in seine Welt gekommen; eine beunruhigende und bösartige Pflicht. Mit einem Ruck riss er den Vorhang zur Seite, die den Innenraum vor Staub schützte. Tücher und Stoffe stapelten sich auf verschiedenen Regalen und Tischen. Ein Tuchhändler. Verus war gezielt an diesen Ort gekommen. Mit seinen toten Augen durchsuchte Verus den Raum. Aus dem Hinterzimmer trat ein hagerer Mann, der erschreckt schien, als Verus vor ihm stand. "Demetrios," grüßte Verus die Person und lächelte dabei kalt-zynisch. Der Tuchhändler trat vorsichtig auf Verus zu. "Herr," sagte dieser und wies in das Hinterzimmer. "Wir können hinten sprechen." Verus nickte und folgte dem Händler, der sich offensichtlich beunruhigt durch Verus Erscheinung war. "Marcus," sagte Verus und gab damit zu verstehen, dass die Tarnung des Tuchhändlers nicht mehr notwendig war. "Aulus, es tut mir leid. Ich konnte nichts für euch tun," offenbarte sich der Händler. "Sie sind alle tot, Marcus. Alle sind sie tot...," spuckte Verus jedes Wort wütend aus, wobei seine Lippen, die noch immer trocken und rissig war, einriss. Er schmeckte sein eigenes Blut. "Wir sind verraten worden," sprach Marcus, der wohl auch zur geheimen Operation der Speculatores gehört hatte. "Das sind wir wohl und ich frage mich von wem wir verraten wurden. Dir scheint es ja sehr gut ergangen zu sein?" Verus packte Marcus mit beiden Händen und würgte diesen überraschten Mann, der sich nicht einmal wehrte. "Warst du es?" Verus konnte sich kaum beherrschen und doch ließ er vom Mann ab. Dieser torkelte einen Schritt zurück, rang nach Luft und musste mit sich kämpfen, um wieder sprechen zu können. "Ich kann die Truppe zusammenrufen. Wir werden den Verräter finden, Aulus." Verus schwieg, denn Worte waren ihm in diesem Augenblick gleichgültig. Es war so vieles gleichgültig geworden. War es nicht einfach egal, wer der Verräter war? War es nicht egal, was aus ihnen - den berühmten Speculatores - wurde? Wie viele Tote hatte er hinter sich gelassen? Diese Dunkelheit lag hinter ihm und ebnete den Weg vor ihm, doch alles war kalt und herzlos geworden. Verus wollte mehr Mensch sein und doch war er nur ein selbstsüchtiges Monster, welches vorgab, selbstlos zu sein. Er war ein Monster geworden - oder schon immer gewesen. Es war nur ein perfides Spiel, welches die Welt und Verus spielten. Erst wenn die Asche vor seinen Füßen lag, konnte er sich einen Sieg eingestehen oder wenn er selbst zu jener Asche verbrannte. Doch das Schicksal gab ihm nie jene Erleichterung, nie einen endgültigen Sieg oder ein Ende seines Dienstes. Das Monster musste schließlich dienen, immer wieder dienen, um nicht an sich selbst und den den eigenen Taten zu erkranken. "Ich werde warten," antwortete Verus mit brüchiger Stimme, da sich die Luft in seinen Lungen wehrte. "Ich werde mich beeilen," entgegnete der ängstliche Untergebene, während dieser seine Kapuze über sein Haupt zog, um die letzten Überlebenden der Mission, die sich in Caesarea versteckten, aufzufinden. Marcus kannte sie alle und auch Verus kannte sie alle, doch war es ihm in seinem Zustand zu mühselig und es würde seine Tarnung gefährden. Er war ja nur ein Sklave, der für seine Herrin Tücher kaufen sollte. Es war immer eine andere Maske, die er trug und er hatte inzwischen viele Namen. Manche Gefangene in seinen Kerkern nannten ihn Herr der Fliegen, den namenlosen Schrecken, Unmensch oder Gesichtsloser. Doch keiner dieser Namen traf den Kern seines Wesens, das einfach nur verloren war. Verus war verloren und konnte nicht entkommen.


    Es dauerte eine Weile bis sich jene Personen der Mission im Laden versammelten. "Hier sind sie," sagte der Speculator, der sich als Tuchhändler ausgegeben hatte, während die Männer in unterschiedlichen lokalen Aufmachungen eintraten. "Wo ist Primus?" - Verus schreckte von seinem Stuhl auf, da er Primus fest zu den Überlebenden gerechnet hatte, da dieser in Parthien aufgebrochen war, um Hilfe zu holen. Seine Reise war nicht ungefährlich aber auch nicht übermäßig lang gewesen, so dass Verus annehmen musste, dass dieser Speculator überlebt hatte. "Primus betreibt eine kleine Taberna am Hafen und kehrte als einziger von der Reise zurück. Er berichtete uns, dass du gefallen bist," erklärte der falsche Tuchhändler. Verus hustete, da ihm noch immer das Sprechen schwer fiel aber sein Verstand war klar. Er konnte Dinge zusammen zählen aber diese Sache war zu einfach. "Er ist nicht gekommen, nachdem ich das Zeichen gegeben habe," erklärte der Marcus, der sich als Tuchhändler ein gutes Auskommen erwirtschaftet hatte. "Wie viele Monate warst du fort? War es nicht fast ein Jahr," fragte einer der Anwesenden. "Das ist unwichtig. Ich bin jetzt wieder hier und wir alle kennen unseren Eid. Ich muss annehmen, dass Primus ein Verräter ist. Gibt es Hinweise?" Marcus nickte. Er preschte sogar ein wenig hervor, was Verus suspekt war aber er ließ den falschen Händler machen. "Er heiratete eine Partherin, mit der er wohl drei Kinder hat. Zudem scheint er zu einem gewissen Wohlstand gekommen zu sein," erklärte Marcus und Verus lauschte aufmerksam. Die Dinge fielen viel zu passend zusammen, so dass Verus aus einer natürlichen Paranoia und einem erlernten Misstrauen zweifelte. Marcus konnte lügen, um sich selbst zu retten oder es gab eine Verschwörung gegen ihn und die Mission. Verrat konnte überall lauern. Doch Verus hatte jetzt keine Gewissheit. Er musste mit Primus sprechen und die Aussagen vergleichen. Verrat musste stets bestraft werden, denn auf die unumstößliche Loyalität zueinander baute der gesamte Machtapparat der Speculatores und letztlich der Prätorianer. Wer Schrecken über andere brachte, musste sich selbst festigen und dürfte nicht durch Verrat oder Missgunst zerfallen. "Dann sollten wir uns zum Hafen begeben." Marcus schüttelte seinen Kopf. "Wir alle haben uns hier Leben aufbauen müssen. Wir sind loyal aber diesen Weg können wir nicht mehr gehen, Aulus." Verus ballte beide Hände zu Fäusten. "Die Wahl liegt bei euch aber ich kann nicht hier bleiben." Die anderen Anwesenden schwiegen tonlos. Sie warteten ab, wie sich die Lage entwickeln würden. Doch auch sie hatten hier Frauen und somit ein Zuhause gefunden. Auch sie wollten vielleicht diesem dunklen Leben als Speculator entkommen, nach all den Jahren der Entbehrungen und der unsäglichen Schrecken, die sie durchleiden mussten. "Ich werde euch gehen lassen können, wenn wir diese Sache aufgeklärt haben. Es sind Brüder dort gestorben. Es waren unsere Brüder und Pluto verlangt Rache für deren Tode," erklärte Verus und schlug auf einen Tuchballen, wobei ihm eine verkümmerte Träne aus dem linken Auge fiel und sich auf seiner Wange auflöste. "Du hast Recht. Diese eine Sache noch...," antwortete Marcus, der falsche Tuchhändler, und die anderen Anwesenden stimmten ein. "Für unsere Brüder," sagten alle gleichzeitig und verließen gemeinsam mit Verus den Tuchladen, um sich in Richtung des etwas entfernten Hafens zu begeben. Sie würden Primus aufsuchen. Es gab genügend Fragen für alle.

    Was ihn wirklich antrieb? Nichts. Es gab keinen echten Motor für sein Leben, sondern er war einfach da. Brauchte das notwendige Böse eine echte Begründung für seine Existenz? Brauchte er selbst etwas, um sein Leben als wertvoll zu erachten? Was brauchte er wirklich? Er machte einfach weiter. Wie eine Wüstenblume, erblühte er und verschwand dann wieder, um niemandem sein wahres Angesicht zu zeigen. Staub zu Staub. Und Asche zu Asche. Ein Traum von Liebe und Feuer durchbrannte seinen Verstand, als ihm klar wurde, dass er hier nichts hatte. Seine Familie war fern, der Verrat allgegenwärtig und das geheime Versprechen, dass wie Gift gleich hungerte, war der Speichel in seinem Mund. Er wollte antworten, ihr alles beichten und verraten, doch tat er es nicht. Er tat es nie. Jede gute Seele, die ihm vor die Augen getreten war, war am Ende durch ihn verdorben und ins Schlechte gewandelt. Es war einfach egal, was er wollte und tat, denn am Ende war er nur das notwendige Böse eines System, welches sich in sich selbst verloren hatte. Macht war leer, so unendlich leer, dass es Verus nicht mehr erfüllen konnte. Einsam blickte er zurück, um die schöne Proxima anzublicken. Er erkannte, dass sie eine Ähnlichkeit mit seiner Luna besaß; jenem Wunsch des Guten und der reinen Absicht. Die reine Absicht hatte er selbst verloren. "Gewalt ist der Nabel der Welt. Gewalt hat mehr in dieser Welt entschieden, als jeder fromme Wunsch. Blanke und grausame Gewalt hat mehr Streitigkeiten beseitigt, als Worte je beschwichtigen konnten. Du solltest lernen, Gewalt zu üben, Iunia," erklärte er sein Gift und spuckte es ohne Speichel entgegen. "... oder üben zu lassen. Sieh' dich um. Sieh' dich ehrlich um. Gewalt hält die Gesellschaft zusammen, ob nun ausgesprochen oder durch Handlung bezeugt, wir alle üben jeden Tag Gewalt gegen andere aus, sei es durch grausame Worte, Niedertracht oder durch unsere Faust, die wir erheben. Soldaten morden mit ihren Schwertern, Kaiser lassen verfolgen, und eine Herrin lässt ihren Sklaven auspeitschen. Blanke Gewalt ist die erste Authorität aus der sich alle anderen Authoritäten ergeben. Wie Romulus seinen Bruden Remus ermordete, um Rom das Gesetz und seinen ersten König zu geben, so üben wir alle tagtäglich Gewalt aus, um diese Gesellschaft zu erhalten," teilte er sich mit und gab damit eine böse und kalte Weltsicht preis.


    "Der Staat hat das Imperium inne, die oberste Gewalt, und deshalb ergießen sich alle Authoritäten aus dieser Macht und doch sind wir alle Teilhaber der Macht und der Gewalt. Du sagst mir, dass dir Gewalt nicht liegt? Du hast einen Menschen erworben, du hast mich gepflegt, um mich deinem Willen zu unterwerfen? Du bist eine Römerin in einer fernen und dir fremden Provinz und erwirbst einen Mann, der gepeinigt und misshandelt wurde, und hoffst, dass er dir dient? Ist nicht das auch Gewalt?" Er trat einen Schritt auf die Iunia zu.


    "Das Geheimnis ist, dass wir uns alle belügen. Wir lügen jeden Tag, immer wieder und wollen nicht sehen, wer wir sind," erklärte der einstige Trecenarius, der Meuchelmeister und Terrorherrscher der Stadt Rom. "Ich bin kräftig genug," stellte er fest. "Ich brauche kein Geld," ergänzte er, denn er wusste, wo er welches fand und im Notfall würde er schlicht einen Händler ausrauben. Skrupel kannte Verus keine. Alles, was die Mission brauchte, tat er. "Eine Botschaft? Praefectus Vehiculorum?" Verus überlegte schnell. Dieser Mann unterstand den Prätorianern und damit auch seiner vergangenen Zuständigkeit. Mit etwas Glück konnte er über diesen Mann, eine Botschaft an den Kaiser senden oder seine Getreuen. Doch dies hatte noch Zeit. Die Iunia hatte sich unwissend ins Spiel gebracht und war nun ein Spielstein im Komplott der Gewalt und Rache eines gestürzten Dämons, der seine Höllenfeuer erneut entfachen wollte. "Wenn du magst, kannst du mich in die Stadt begleiten und danach können wir gerne deinen Bruder aufsuchen," schlug er vor. Vielleicht war eine Frau als Alibi brauchbar, vielleicht sogar als Tarnung. Wenn er es nur zum Versteck des Speculators Marcus schaffte, der sich als Tuchhändler abgetarnt hatte. Er musste nur in die Stadt und der Rest würde sich ergeben. "... vielleicht überlege ich es mir, dich nicht zu verlassen," log er, um ihr eine falsche Hoffnung und Sicherheit zu geben.

    Doch Verus wollte sprechen. Er wollte und musste etwas sagen, doch waren seine Worte stets nur Lügen gewesen. Sprache konnte verwirren, seltsam bedeutungslos sein und im Angesicht der Magie eines Augenblicks unpassend sein. Verus beherrschte seine Sprachen, konnte Worte und Sätze verdrehen, damit Sinn ergaben, obwohl alles Unsinn und Wahnsinn war. Dieser Mann war ein Unhold gegen jede Wahrheit, denn für ihn zählte nur der Nutzen. Die Iunia konnte nicht wissen, was sie mit ihren Worten beschworen hatte und doch hatte der Dämon Mitgefühl mit ihr, denn sie teilte sein Höllenfeuer nicht. "Ich spreche gerne mit dir. Doch musst du verstehen, dass diese Welt nicht einer Ordnung des Wunsches folgt, sondern viel mehr der Abfolge von Entwicklungen," erklärte er sich und versuchte die Emotionen der Iunia zu deuten, was ihm zwar gelang aber nur mäßig. Denn in Wahrheit interessierte er sich nur oberflächlich für Proxima und plante ihren Nutzen in den größeren Plan ein. Sie sollte ihre Nutzen haben und nicht mehr als das. Umso wichtiger war es, sich emotional von ihr zu trennen und nicht in ein mitfühlige Dankbarkeit zu fallen. Dankbarkeit war stets falsch für einen Heimtückischen. Doch auch Verus war nicht frei von seiner Menschlichkeit, trotz seines Verrats an sich selbst und auch ein Mensch, der Dämon geworden war, konnte sich noch an etwas Menschliches erinnern. Die Reaktion der Iunia sprach für sich. Jeder bezahlte einen Preis für ein Leben; einige mehr und andere weniger aber sie alle bezahlten für ihre Entscheidungen. Niemand entkam. "Du hast mich zusammen mit deinen Dienern gerettet und ich bin dir dankbar, doch möchte ich dir sagen, dass ich nicht dein Sklave bin. Ich werde dieses Haus verlassen und meiner Wege ziehen," sagte Verus. "Vergib mir aber es gibt Dinge, die du nicht verstehst und niemals verstehen wirst. Ich möchte nicht, dass du in Gefahr bist aber mit mir wirst du stets in Gefahr sein. Ich werde gehen und du wirst mich nicht aufhalten. Doch du wirst meinen Dank bald erhalten, wenn der Tag gekommen ist, an dem sich die Dinge hier auflösen. Du hast einen Freund gewonnen." Verus stand langsam auf, griff sich noch eine Tunika und blickte die Iunia mit seinen kalten Augen an. "Vielen Dank!" Er nickte und trat dann entspannten Schrittes in Richtung Ausgang. Egal, was sie tun würde, wen sie rufen würde, Verus würde dieses Haus vorerst verlassen wollen; notfalls würde er Gewalt anwenden. Er hatte ein klares Ziel, den Verräter finden und bestrafen. Rache war ein Motor und bis dahin hatte er keine Zeit für Entspannung oder das Leben eines Haussklaven.

    Es fiel Verus schwer, seinen Blick gerade zu halten, denn seine Sehkraft schwankte. Doch mit Willenskraft gelang es ihm, den Fokus zu halten. Es war vielleicht auch eine Gnade, dass er mit seinen Augen beschäftigt war, als mit den heimtückischen Schmerzen, die nicht ganz gewichen waren. Doch Verus hatte schon weitaus größere Höllen durchgestanden, so dass er mit Willenskraft vieles durchbrach. Verus war nicht der Typ Mensch, der aufgab, sondern alles überlebte, auch wenn es garkeinen Sinn im Überleben gab. Er erduldete Schmerzen, Pein und Ungemach einfach und machte immer weiter, denn eines konnte er sich nicht eingestehen, dass er bereits verloren hatte. In seiner Rolle als Damocles griff er nach der Schale und stellte nach dem ersten Löffel fest, dass es Flusskrebseintopf war. Er hasste Krebsfleisch. Doch Hunger und auch seine eiserne Disziplin zwangen den Eintopf in großen Löffeln hinunter, bevor auch er in das schwerfällige Gespräch einstieg. Er stellte den Topf zurück, griff nach einem Stück Brot und begann sich ein paar Bissen davon abzureißen, fast schon raubtierhaft zerpflückte er das Brot, um sich kleine Happen in den Mund zu legen. "Eine Zukunft? Einzig und allein die Gegenwart ist relevant. Die Gegenwart formt die Zukunft und was wir jetzt tun, bildet das, was du Zukunft nennst," erklärte er missmutig und gab damit seine kalte Dogmatik preis. Er tat eben das, was notwendig war, und handelte dementsprechend nicht auf eine besondere Zukunft ausgerichtet, sondern richtete sein Handeln nach gegenwärtigen Notwendigkeiten; jedoch nicht ohne langfristige Planung, doch diese Planung war nicht auf eine gute und gerechte Zukunft ausgerichtet, sondern viel mehr auf Machterhalt der Speculatores. "Meine Familie ist ohne Bedeutung," log er. Es schmerzte ihn auf eine andere Weise aber er wollte nicht über seine Familie sprechen, denn dies war sein Geheimnis und sein geheimer Schatz, den er verwahrte. Auch konnte eine echte Emotion ihn verraten und es war einfach mit seiner geliebten Luna gewisse Geheimnisse zu seiner wahren Herkunft zu lüften. Es war immer besser, nicht zu viel von sich preiszugeben, mehr zu lügen und alles zu verschleiern, was man wirklich dachte und tat. Lügen war bessere Konstrukte als eine behäbige und emotionale Wahrheit. Und Lügen konnte Verus inzwischen mit einer kaltblütigen Zielsicherheit, so dass er seine Familie verleugnen konnte, ohne echte Regung im Gesicht zu zeigen. Mühsam raffte sich Verus auf und setzte sich auf die Bettkante. "Iunia Proxima?" - fragte er und seine kalten Augen fielen auf sie. Endlich gewann er seine gute Sehkraft zurück.

    Es gab im Leben einer Person so manche Tore, durch die sie schreiten konnte oder auch nicht aber letztlich musste jede Person ein Tor wählen, durch das sie gehen konnte. Jeder andere Weg war Betrug und führte nur im Kreise, denn eine Weigerung jene Portale zu sehen, war das Gefängnis. Die ständige Wiederholung der Weigerung war der Abschied, dem sich Verus auslieferte. Verus war stets durch die falsche Portale geschritten und hatte stets falsch gewählt, manchmal aus Absicht und manchmal auch aus Folgsamkeit. Sein Leben fand seine Bedeutung nur in anderen und einer Aufgabe aber nicht durch sich selbst, so dass auch sein Kampf mit dem Abgrund seltsam leer war. Zu oft war er an diesem Ort gewesen, hatte es erlebt und gesehen, war hindurch gegangen und war nicht ins Leben als Lebendiger zurückkehrt, sondern als etwas anderes. Ihm folgten Soldaten, ihm folgten Monster und Unheilige, fast so als ob er selbst aus einer anderen Welt gekommen war, um noch etwas mehr Licht in dieser Welt erlöschen zu lassen, doch dabei fürchtete er das Licht nur. Denn Licht enthüllte stets seinen Schmerz und Verlust. Der Schmerz gab ihm eine Erinnerung an ein Leben, wollte ihm Geleit sein, während sein Verstand erneut jede Weigerung aussprach, die gegen alles in dieser Welt gerichtet war. Einzig seine Liebe zu seiner Luna, der ewigen Erinnerung, verblieb gleichgültig und stur in seinem Herzen.


    Verus aß die Suppen, die Mahlzeiten mit kalten und leeren Augen, denn sein Verstand wollte nicht hier sein, nicht mehr anwesend sein, während er seine eigene Hölle fernab fand. Das Fieber kehrte nicht zurück. Verus ließ sich wortlos helfen, immer wieder; bei jedem Gang und jeder Behandlung. Das Fieber war endgültig entschwunden. Es verschwand mit den Wunden, die über Tage hinweg, wenn nicht sogar Wochen, verheilten. Nur Narben blieben. Die Narben verließen ihn ebenso wenig, wie seine seelischen Wunden, die für immer bluten würden und mit ihrem Blut alle ertränken würden, die sich gegen seine Pflicht stellten. Er war der böse Geist des Kaisers, beschworen und angekettet durch diese eine Pflicht, die nicht Erlösung war, sondern mit jedem Befehl das Unausweichliche nur verschob. Auch der Geist des Unheiligen kehrte aus der Tiefe zurück. "Mir geht es wieder besser," sagte er und nickte Demetrios zu, der ihm erneut half. Dieser Grieche hatte sich bewährt und fast glaubte Verus, dass seine Verbrechen vergeben waren.


    Sim-Off:

    Ich habe es mal abgekürzt, damit wir ein wenig voran kommen, da wir sicherlich nicht jetzt nicht drei Wochen Krankheit ausspielen wollen. xD

    Verus konnte geistig abwesend, etwas Suppe zu sich nehmen. Dies war mehr Reflex, denn willensbestimmte Handlung. Gepeinigt von seinen eigenen Dämonen, kämpfte er gegen unsichtbare Geister und Feinde, die er selbst geschaffen hatte. Das Urteil sprach kein Richter, sondern sein Herz selbst. Doch dieses Urteil blieb voller Schuld zurück, denn kein Urteil konnte sein schweres Herz aufwiegen, das ihn in diesem Augenblick tiefer in den sehnsüchtigen Albtraum stieß. Ein Ort ohne Licht, fern von allem, was Leben schätzte und besser machte. Augen und Ohren brauchte er hier nicht, und doch sah und hörte er alles. Die Wände bewegten sich, während der Körper fast regungslos dargebracht war. Einem unheiligen Opfer gleich, wartete Verus auf Pluto selbst, der nicht kam und ihm wieder jede Anwesendheit verwehrte. Unsterblichkeit schien seine Strafe und er musste jede Pein, jeden Schmerz und auch jedes Leid ertragen, denn Verus war stets zu feige gewesen, Pluto durch seine eigene Klinge mit seinem Fleisch als Opfer zu beschwören, denn er liebte seine Kinder und die Erinnerung an seine Luna, die Mutter seiner Kinder. Andere im Namen des Pluto zu opfern, war ihm nicht leicht gefallen aber doch er hatte er es getan, um Rom und seinem Imperator zu dienen. Doch sich selbst konnte er nicht durch eigene Hand opfern, sondern wartete auf die Erlösung durch fremde Hand. Dieses Fieber war ihm nicht gnädig und erlöste ihn nicht, sondern ließ ihn weiter leben, immer weiter leben, weil das Schicksal noch Bedarf hatte. Bedarf an ihm, jenem Unhold, jenem Teufel, wie ihn die Christen nennen würden, der Rom mit kalter Hingabe und blankem Eifer diente, ohne je wirklich angekommen zu sein, in diesem Rom. Doch sein Leid hatte einen Zweck, folgte einer eigenen Logik, war einer Offenbarung gleich und zeigte Verus, dass es mehr gab, immer mehr gegeben hatte, als diese eine Pflicht und so fand er im Fieber eine Erlösung fern eines Opfers. Der Grund lag dort, direkt vor ihm, tief verborgen im schwarzen Ozean der wandernden Gedanken, dort sah er es, dass auch seinem Leben, gegen jedes Urteill, auch Lebenskraft und Wunder beiwohnte. Auch er lebte, so leidlich und falsch es war, doch auch dieser Römer lebte und konnte lieben, atmen und sich erfreuen, denn er hatte etwas hinterlassen: Liebe. Er liebte seine Luna, seine Kinder und seine Freunde. Doch die Bereitschaft sich dem Urteil zu stellen, lebte ebenso. Es gab kein Entkommen und doch konnte sich Verus jetzt leichter dem Urteil stellen, es akzeptieren, und für nicht für sich aber für andere weiter leben. Der Schweiß rann seinen Wangen, während seine Augen klarer wurden, immer weiter an Verstand und Sicht gewannen. Hier lag er, entblößt als bloßer Mensch und frei von jeder Verantwortung als Trecenarius, frei von jenem Befehl des Augustus und seiner eidgebundenen Pflicht als Prätorianer; alles, was er nun war, reichte aus und mit einem kräftigen Atemzug kämpfte sich der willenstarke und ungebrochene Verus zurück, in den Tag, durch die Nacht, und einen weiteren Tag, bis er seinen Kopf zur Seite wandte. Er sprach mit kräftiger Stimme, in der Hoffnung, dass ihn jemand hören würde: "Ich bin hier!" Und in der Tat war er wieder hier, zum Unglück oder Glück, mochte sich noch entscheiden aber Verus lebte und wollte seine Zeit nicht mehr verschwenden. Denn Pluto würde eines Tages sein Herz fordern.

    Verus hatte einen Traum. Einen furchtbaren Traum. Es war eine Welt, in der er allein war, und sich die Welt nicht um ihn scherte. Er war ein Geist, der zwar unendlich und mächtig war, aber er war allein und nichts konnte ihn verletzen. Seine Unsterblichkeit machte alle Dinge bedeutungslos und alles, was er wollte, wurde zu Staub in seinen Händen. Es war ein schrecklicher Nachtmahr, der sich herabbewegte und seine dunklen Schwingen um ihn legte. Die Dunkelheit umschlang ihn, nahm ihn ein und verdrängte das Licht in seinen Augen. Verus hatte Angst, eine fürchterliche Angst, dass alles, was er war, bedeutungslos war. Diese dunkle Leere war nicht zu füllen, nicht einmal mit Hoffnung, denn die Dunkelheit machte alles gleichgültig. Dort war seine Familie. Seine geliebten Kinder standen dort. Doch konnten sie ihn nicht sehen, lebten ihre Leben, als ob es ihn nie gegeben hätte. Dort war ein anderer Verus, eine Person, die lächelte und ein Leben besaß, welches er nicht mehr besaß. Dieser Verus war alles, was er immer sein wollte, und doch war er nicht dieser Mann. Solange er hier war, konnte ihn nichts verletzen und doch traf ihn dieser Schlag an seinem verbliebenen Verstand, der sich stets geweigert hatte. Er versuchte zu schreien aber sein Kopf war unter Wasser; nun ertrank er und schluckte Wasser, immer mehr. Eine Macht zog ihn in die dunkle Tiefe hinab, an ihm schwammen Leichen mit Gesichtern vorbei, die er kannte. Darunter waren auch Menschen, die er getötet hatte. Diese Gestalten trieben im schwarzen Ozean vorbei und bildeten einen Strudel hinab, durch den Verus hinabstieg, in jenes Nichts. Nun verschwand auch die dunkle Farbe und das Nichts kehrte ein. Verus sah nichts mehr, wirklich nichts mehr und war gefangen in dieser endlosen Stille. In sich selbst gefangen, wollte Verus sich befreien, doch Freiheit stand ihm nicht mehr zu.


    Das Fieber war gekommen, brannte, einem Höllenfeuer gleich und schmolz jenes unmenschliches Eis ein, welches seine Aura immer umgeben hatte. Hier war er sterblich und ein Mensch. Seine Finger begannen zu zucken, packten willenlos ins Laken und seine Arme begannen zu krampfen, während er seine Nase zu bluten begann. Blut lief über sein Gesicht, verteilte sich unter seinen Augen und gaben ihm jenes Gesicht, welches er eigentlich war: ein Ungeheuer. Seine Lippen begannen zu zittern und zogen sich ein Stück hinauf, so dass seine gesunden aber auch spitzen Eckzähne sichtbar wurden, dahinter lag ein strahlenden Backenzahn aus Gold, welcher recht zerbissen wirkte. Die Atmung flachte ab, während sein Herz immer heftiger schlug. Verus begann zu husten und riss die Augen. Delirium. "Luna...," rief er lautstark und spuckte dabei schleimigen Speichel aus. Sie war hier. Irgendwie war sie an diesen Ort gelangt. Aus dem Totenreich. Der Schatten in ihrer Gestalt näherte sich dem Bett für alle, außer Verus, unsichtbar. Der Geist legte seine Hand auf die Schulter des Unheiligen, wollte ihn trösten und leistete ihm in seiner Agonie Gesellschaft. Die Augen des Verus verdrehten sich und er sprach mit brechenden Worten: "Es tut mir leid... so leid.... Ich wollte das Leben führen, welches uns alle bewahren würde.... und ich führte das Leben eines ... das Leben eines ..." Er brach ab, da Luna keine Worte verlangte, sondern schlicht seine Liebe. Und er liebte sie über den Tod hinaus; so sehr, dass es alles egal und unbedeutend war, denn auch in diesem Augenblick seiner schieren Qual war sie bei ihm, kam aus den Tiefen jener Vergangenheit, um ihn zu trösten. Das Blut aus seiner Nase versiegte und begann an seinem Gesicht zu trocknen. Sein Herz beruhigte sich und der Krampf löste sich. Der Moment verflog und der klebend-verschwitzte Verus blickte sich verstört um, da Luna mit einem milden Atemzug verschwunden war.

    Verus nahm die Behandlung nicht wahr, denn er war längst an einem anderen Ort, und doch lebte er noch. Dieser Mann besaß eine unbeugsame Willenskraft und eine Standfestigkeit, die ihm verbot, ohne Sinn aus der Welt zu scheiden. Verus konnte noch nicht sterben, denn seine Familie war nicht in Sicherheit und seine Rache am Verräter war noch nicht verwirklicht. Es war dieser kalte Zorn, der sein Herz schlagen ließ, und eine stille Liebe begleitete es. Der Prätorianer schlief einen ungerechten Schlaf. Er wurde heimgesucht von den Gesichtern, die er getötet hatte. Der Fluch eines Mannes, welcher Gewalt als seinen Weg gewählt hatte, suchte ihn heim. Die Gesichter riefen ihn auf, seinen Platz in der Unterwelt einzunehmen. Sie riefen deutlich seinen Namen und doch konnte sich Verus schwitzig und fiebernd der Schatten erwehren, während die Gedanken endlos durch diese farblose Welt glitten, die sein verborgenes Gewissen geschaffen hatte. Eines Tages würde er auch diesen Schatten entkommen; eines Tages, würde auch er frei sein von diesen Ketten, doch waren diese Ketten alles, was ihn im Leben hielt. Der Albtraum war für viele Stunden sein Zuhause, reihte sich in eine Hoffnungslosigkeit, die am Ende im Verlust endete. Doch Verus würde aufwachen. Bald.

    Verus wollte ehrlich sein, diesem augenscheinlich Guten ehrlich gegenüber treten und doch konnte er es nicht. Verrat war eine Konstante für einen Prätorianer. Lügen und Manipulationen waren sein Leben, und nicht jene Wahrheit, die so viele suchten. Für Verus war es einfach nicht möglich, soweit ehrlich zu sein, denn ohne seine sprachlichen Tricks und jener dunklen Magie seiner Worte, würde er seine Macht verlieren. Ohne Macht wäre alles umsonst gewesen, was er jemals im Leben getan hatte. Sie gab ihm das Recht zu allem, schuf eine unsaubere Begründung und half sogar beim Selbstbetrug. Verus war hier nicht als Mensch, sondern schlicht als Funktionsträger. Es interessierte ihn selbst nicht mehr und es war auch nicht mehr wichtig, denn nun galt es eine Mission zu erledigen. Er musste den Verräter finden und unschädlich machen. Etwas anderes gab es derzeit nicht. Es war immer einfacher, wenn man sein Leben an kurzfristigen Zielen ausrichtete. Verus glaubte auch nicht an ein gutes Leben für sich und war sich nicht einmal sicher, ob er ein friedliches Nachleben verdient hatte. Es war nicht mal eine Wahl, die er zu treffen hatte, sondern eine schlichte Abfolge von Handlungen. Tiberios stellte seine Fragen, bewerkstelligte seine Offenheit und doch änderte es nichts. Verus war verloren, und dennoch war dort etwas in den Augen des abseitigen Römers. "Ich war... vieles," antwortete Verus also, um seine Tarnung nicht zu gefährden und log damit nicht einmal. Er fand eine Lösung. "Meine Heimat ist bei meiner Familie," gab er zu. Sie war das einzige, was ihm als Flucht geblieben war. Eine echte Flucht für sein geschundenes Herz. "Wenn man seinen Platz kennt...," suchte Verus Worte aber es wurde inzwischen schwerer für ihn zu sprechen. Es war egal, denn er brauchte seinen Verstand, um weiter zu gehen. Schritt um Schritt, denn der Schmerz und die Wunden waren inzwischen übermächtiger geworden. Ein kaltes Gefühl wechselte sich mit einem warmen Schauer ab. Sein Blick verschwamm. Zum Glück erreichten beide alsbald ihr Ziel, jene Taberna, wo Verus unterkommen konnte.

    Verus, als Damocles, übernahm tatsächlich erst einmal Bett, in jenes legte er sich bäuchlings, wie es gewünscht war. Denn es war ihm auch insbesondere recht, sich nun zu schonen und seinen Rücken zu entlasten. Ein Problem ergab sich jedoch, wenn man nun seine Tunika entfernte. Man konnte die Kriegswunden erkennen, die nicht durch eine Peitsche verursacht worden waren, sondern durch Schnitte und Feuer. Auch konnte man an seiner linken Schulter das Zeichen der Legionen erkennnen, welches zwar etwas verblasst war aber noch gut genug sichtbar war. Die Tätowierung war gut gearbeitet worden und die Buchstaben der Inschrift waren sauber getrennt. Dort stand in einfachen Lettern: SPQR. Dies wies ihn als Legionär oder ehemaligen Legionär aus, da es Usus in der Legion war, Legionäre bei Eintritt und bestandener Probatio mit einem Zeichen zu versehen. Dieses Zeichen entsprang der alten Zeit, als die Legionen tatsächlich dem Senat und dem Volke von Rom gedient hatten. Dieses Zeichen war inzwischen zu einem Ausdruck von Zugehörigkeit verkommen und wurde viel mehr aus reiner Absicht vergeben, um Personen als zugehörig zu kennzeichnen. Es hatte sogar Ähnlichkeit mit einer Sklavenmarkierung, nur war es nicht durch Zwang oder ein Brandeisen aufgebracht worden, sondern sauber mit hochwertiger Tinte gestochen worden. Verus konnte sich aber nicht vollens verbergen, da er sich das Fleisch nicht vom Arm kratzen wollte und gestand sich das Risiko zu, eine Erklärung für die Tätowierung zu finden. Deserteure gab es ja auch gelegentlich oder er war ein versklavter Kriegsgefangener.


    In der Regel töteten die Parther jedoch römische Legionäre, so dass die Geschichte nicht durchgehend glaubhaft war. Er würde beim Deserteur bleiben müssen, der in Pontus versklavt worden war und so Schutz vor der Strafverfolgung gefunden hatte. Sofern sich Iunia als übereifrige Römerin zeigte, würde sie ihn an den Statthalter melden müssen, und Verus würde von statores abgeholt werden, um ihn als Deserteur entsprechend zu bestrafen. Doch Verus war genau jener Fall sogar recht, da er hier in Caesarea auch Männer stationiert hatte, die ihn im Notfall helfen konnten. Seine parthische Mission war ein Fiasko gewesen aber dennoch rettete ihn die gute Planung. Er hatte vor seiner Mission einige seiner Besten mitgenommen, sie in der Region auf Posten verteilt, um ein Netzwerk zu errichten. Dieses Netzwerk würde noch funktionieren. Einige waren im Dienste des Statthalters aber auch einige wenige als Tuch- und fahrende Händler angesiedelt worden. Die Mission sollte ohnehin mehrere Monate dauern, insofern hatte sich der Aufwand gelohnt. Irgendwie musste er mit seinem Netzwerk Kontakt aufnehmen. Er wusste von Lucius. Dieser hatte sich als Tuchhändler in Caesarea niedergelassen. Und er wusste von Marcus, der im Dienste eines beneficarius beim Statthalter residierte. Zu beiden Männern konnte er sicherlich irgendwie Kontakt aufnehmen. Doch etwas ließ ihn zögern. Es musste einen Verräter geben. Verus und seine Getreuen waren in Parthien bereits erwartet worden. Jemand aus dem Netzwerk hatte sie verraten. Doch Marcus und Lucius waren loyal, das wusste Verus. Doch der Verräter musste noch aktiv sein. Erst einmal musste er herausfinden, welcher von beiden Männern für ihn erreichbar war und danach musste sie den Verräter ausfindig machen, bevor das gesamte Netzwerk gegen die Interessen des römischen Imperiums gerichtet werden konnte.


    Doch in diesem Augenblick waren diese Sorgen gering, denn Verus verspürte einfach nur einen ziehenden Schmerz. Verus stöhnte unter der Pein und versuchte sich lang auszustrecken, damit etwas Eiter und Wundwasser aus den Wunden brechen konnte. Der Waschzuber wurde bereitet, doch Verus konnte dies nicht peripher wahrnehmen, da er bereits in seinem eigenen Albtraum war. Jetzt bemächtigten sich jene Schmerzdämonen seines Körpers, die er bisher durch Willenskraft fernhalten konnte. Die Ruhe erlaubte es ihnen, ihre böse Magie vollens gegen ihn zu richten. "Ich kann nicht...," stammelte Verus, der sich nicht mehr aufraffen konnte, um zum Waschzuber zu gehen. Die noch am Leibe klebende Tunika verband sich mit den Wunden und jenem Sekret. Jede Bewegung wurde unmöglich. Die römische Frau, wohl Iunia Proxima, bemerkte Verus nicht wirklich, da er bereits in eine Art Delirium abdriftete. Auch ihre Worte hörte er inzwischen in einem diesigen und dumpfen Rauschen. Seine Augen drehten sich ins Weiße und er sackte bewusstlos zusammen. Sein Verstand gab auf, auch seine Willenskraft hatte Grenzen. Sie würden ihn in den Waschzuber tragen müssen. Die kontaminierte Tunika musste heruntergeschnitten werden, um die Wunden zu begutachten, die sich zum Teil entzündet hatten. Seine Überlebenswahrscheinlichkeit war gering und nur die Götter würden entscheiden - oder vielleicht ein herausragendes medizinisches Talent.

    Sehr gut. Das Haus Iunius kannte Verus sehr gut. Zwar kannte er nicht jedwede Nebenlinie und Verästelung des Stammbaumes aber das große Haus Iunius war ihm im groben bekannt. "Gut," sagte Verus in einem merkwürdigen Tonfall, der zwischen kalter Freude und Erkenntnis schwankte. Verus hatte bei dieser besonderen Betonung etwas Diabolisches an sich, denn Pläne formten sich, um dieser Lage einen erheblichen Vorteil abzugewinnen. Der Altgediente stützte sich auf Tiberios, versuchte einen Schritt zu gehen, da ihn doch dezent die Kräfte verlassen hatten. Es gelang mit Willenskraft und Wunsch, endlich aus dieser misslichen Lage zu entkommen. Verus konnte mit der Unterstütung und freimütigen Hilfe des Tiberios gehen. "Ich bin versklavt worden. Ich bin eigentlich ein freier Mann ...," gab er unachtsam zu. "... gewesen. Das ist vorbei," ergänzte er schnell, um den Fokus von seiner Versklavung abzulenken. Denn noch brauchte er die Tarnung eines Sklaven. "Ich nehme an, dass du ein geborener Sklave bist? Das macht es leichter für dich," meinte der Tiberius, der davon ausgehen musste, dass ein Schicksal, was man von Geburt teilte, leichter zu ertragen war, als ein Schicksal, welches einem unmittelbar auferlegt wurde. Beide erreichten die Taberna und Verus ließ sich mit Mühe hinauf ins Obergeschoss führen.

    Verus, sich wahrlich manchmal als Damocles fühlend, nickte bei den Worten des Tiberios. Er verstand sehr wohl, um welche Geschichte es sich handelte und ließ Tiberios seinen Moment, indem er sein Wissen darstellen konnte. Unter gewissen Umständen war Verus in ständiger Gefahr und hatte keine wirklichen Freuden mehr im Leben. Und unter anderen Umständen war er jenes Schwert, welches andere ihre Festmähler verdarb. "Ein sehr passender Satz," sagte Verus in Latein, der sich mit einer gewissen Eingewöhnung in seiner Rolle als Damocles wiederfand. Er wollte nicht weiter mit Tiberios fachsimpeln oder sich als besonders kultur-interessierter Mensch darstellen. Jegliche persönliche Darstellung, was er mochte und was er nicht mochte, konnte ihn identifzieren. Es war immer besser, nicht zu viel von sich selbst preis zu geben. Immer vage bleiben, was die eigene Person anging. Dies hatte Verus gut gelernt und sehr tief verinnerlicht. Er konnte vieles sagen aber verschwieg das Wesentliche zu seiner Person. In diesem Fall hatte er sich aber entschieden, Tiberios nicht zu sehr zu unterhalten.


    Verus als Kellner? Eine interessanter Vorstellung für den altgedienten Veteranen vieler Schlachten. Es war immerhin kein blutiges Handwerk und sicherlich auch eine Fähigkeit, die man gebrauchen konnte aber Verus sah sich selbst einfach nicht als Kellner oder Wirt. Zu sehr war er doch unterkühlt, nicht unbedingt eine unterhaltende Persönlichkeit und wirkte wohl die meisten Gäste wohl mehr mürrisch und ausladend grimmig. "Proxima?" Er fragte nach. Denn dies war wichtiges Wissen. Handelte es sich um eine Römerin? Welches Haus war hier in dieser verlassenen Region mit einer Römerin präsent? Gab es noch weitere Angehörige? Was suchten sie hier? Dies waren alles Fragen, die Verus umso wichtiger waren. Beiläufig nahm er den Sklaven des Maiordomus wahr. Auch wichtig aber nicht so wichtig, wie das Wissen um die Gens der Proxima. Denn nur über den Zugang zu weiteren Römern und eventuell weiteren Möglichkeiten, konnte er seine Kameraden aufspüren, die hier in Caesarea und Themiskyra versteckt waren. "Handelt es sich um eine Römerin? Welchem Haus gehört sie an?" Verus fragte direkt, denn er ging nicht davon aus, dass Tiberios den tieferen Sinn dieser Fragen sah. Auch hatte Tiberios freundlich bestätigt, dass er nicht sein Feind war. Vorerst glaubte Verus, nicht den Anschein gemacht zu haben, auf Fragen keine Antwort erhalten zu können.


    Jetzt stellte dieser Tiberios wohl aus emotionaler Beteiligung unangenehme Fragen, die Verus nicht ehrlich beantworten konnte. Seine parthische Gefangenschaft und die Kampfwunden konnte er nicht offen zugeben. Zwar hatten Martouf und seine Handlanger ihr Übriges getan, damit sich die Wunden nicht schlossen und auch ihre Schläge waren nicht förderlich gewesen aber letztlich waren es die Peitschen- und Stockhiebe der Parther, die Kampfwunden auf der Flucht und der Sand der Wüste. Martouf hatte kein Interesse an einem sterbenden Sklaven und hatte seine Wunden sogar notdürftig versorgen lassen. Doch Verus musste nun lügen. "Es waren Martouf und seine Leute, weil ich ihnen nicht gebrochen genug war." Immerhin war diese Lüge leicht, denn mit ihrem Schauspiel auf der Bühne hatten sie seine Aussage bereits vorab glaubhaft erscheinen lassen. "Es schmerzt beim Gehen und jeder Bewegung. Im Stehen geht es," meinte Verus diesmal nicht gelogen. Dabei verzog er das Gesicht zu einem fratzhaften Grinsen, da der Schmerz durch seinen Körper fuhr. Verus war dankbar für das Angebot und stützte sich auf Tiberios, um etwas Kräfte zu schonen. Immerhin würde er sie noch brauchen und jetzt im Stand merkte er, dass er garnicht weit kommen würde. Der Wille mochte ihn weiter bewegen aber sein Körper würde bald versagen. Er hatte selbst Menschen auspeitschen lassen und wusste, dass der Schmerz später deutlich zunehmen würde, wenn sich die Wunden schlossen und das Nervengewebe mit Wundflüssigkeit unter Druck gesetzt wurde. Ein römischer oder parthischer Peitschenhieb schmerzte beim Auftreffen und noch Tage später. Die Stockschläge waren dagegen dumpfer, schmerzhaft auf ihre Weise aber vergingen schneller, da sie nur Schwellungen hervorbrachten. "Machen wir es so," stöhnte Verus unter jenen Schmerzen, die langsam seine Sprache behinderten. Er hatte auch kein Interesse in ein öffentliches Bad mit diesen Wunden zu gehen. Es würde nur Fragen geben, die er nicht beantworten konnte. Es war ein echter Glücksgriff des Schicksals, dass Verus Hilfe gefunden hatte. Ohne diese Hilfe wäre er wahrscheinlich elendig in einem Steinbruch verreckt. Ohne es direkt zu wissen, hatte Tiberios den vollständigen Namen seiner Herrin preisgegeben. "Iunia Proxima," sagte Verus leise, um sich diesen Namen einzuprägen. Er dürfte ihn nicht vergessen, denn er könnte noch sehr nützlich sein.

    Die Spiele hatten erneut begonnen. Keine Kette hatte ihn bisher aufgehalten, denn die wirkliche Kette trug er in seinem Herzen. Machte er diesen Sklaven etwa nervös? Er machte viele Menschen nervös, auch wenn er dies nicht immer beabsichtigte. Doch in diesem Fall war es seine klare Absicht. Wie ein römischer Kriegshund legte er seinen Kopf leicht zur Seite, um Tiberios ausgiebig zu betrachten. Mit einer gezielten Bewegung griff er die Feldflasche, um diese gleichsam zu öffnen. Verus trank einen kräftigen Schluck daraus, da er nicht annahm, dass ihn dieser Sklave vergiften wollte. Immerhin schmeckte die Flüssigkeit nicht so ranzig, wie das Wasser, welches er die letzten Tage zu sich genommen hatte. Er gab, nachdem er weitere Schlucke genommen hatte, jenes Gefäß an Tiberios zurück. Griechisch; dieser Sklave sprach griechisch und zwar mit einem gebildeten Akzent, nicht jenes Gossengriechisch der einfachen Bauern im Osten. Die Betonung saß und die Worte waren sauber getrennt. Verus hatte den Wechsel bemerkt und lächelte teuflisch, wobei seine weißen und gepflegten Zähne zum Vorschein kamen. Ein hinterer Backenzahn war sogar durch Gold ersetzt worden. Es war ohnehin erstaunlich, dass dieses Gold ihm nicht geraubt worden war. Doch die Parther hatten nicht in seinen Mund geschaut. Für Verus war dieser Goldbeschlag ein Notgeld, welches er im Zweifel eigenhändig herausbrechen würde, um aus einer misslichen Lage zu entkommen. Verus hatten diesen Backenzahn in einem Kampf in Rom verloren, als er einen nicht überzeugbaren Eques endgültig daran erinnern musste, warum man die Prätorianer im Allgemeinen fürchtete.


    Dieser Eques hatte sich sogar erdreistet, sich auf seine Funktion zurückzuziehen und sich mit einem Stuhlbein zu wehren. Das Stuhlbein hatte ihm einem Hieb unsanft jenen Zahn entfernt, während Verus den uneinsichtigen Eques packte und seinen Kopf mehrfach gegen die Marmorwand seines Anwesens geschlagen hatte. Der Eques hatte zwar überlebt aber war danach deutlich zugänglicher für die Interessen der Speculatores. Denn eines hatte Verus früh in Rom gelernt: ein Prätorianer wird gefürchtet oder stirbt. Sie waren keine Elite, die allein mit ihren Waffen siegte, sondern sie waren der Horror der Stadt, der bei Nacht oder auch bei Tage kam, um diejenigen zu bestrafen oder zu richten, die sich gegen sie oder den Kaiser gestellt hatten. Sie hatten nichts Glorreiches, nichts Rühmliches, denn ihre Gewalt und Grausamkeit suchte in der ganzen römischen Welt ihresgleichen. Ihre Brutalität war ihre Waffe, um die Banden, Staatsfeinde und jene Abweichler auf Kurs zu bringen. Ihr Ruf war dieser Zauber, so dass sie oft garnicht brutal sein mussten, da die meisten Gegner, sobald sie erschienen, freiwillig kooperierten. Doch taten sie es nicht, mussten sofort jene Maßnahmen eingeleitet werden, die notwendig waren, um jeglichen Widerstand bereits im Keim zu ersticken. Der Senat fürchtete die Prätorianer, insbesondere die speculatores, und ganz Rom verachtete sie für all die Taten in der Vergangenheit. Diese Verachtung war der Motor ihrer Isolation aber auch gleichzeitig ihre Stärke, da sie nur sich selbst hatten und ihre Gemeinschaft überaus geschlossen und brüderlich war. Sie waren das Gegengewicht zur alten Traditon und den großen Häusern in Rom selbst. Verus hatte dies lernen müssen und als Trecenarius war er insbesondere in Handlungen verstrickt, die selten rühmlich waren. Er war der Henker des Kaisers gewesen und hatte persönlich von diesem Aufträge erhalten, um Interessen des Kaisers durchzusetzen. Gleichzeitg war er als Trecenarius eigenen Interessen unterworfen, da die Macht eines Trecenarius auch in der Intrige, Heimtücke und Korruption lag. Ein Trecenarius unterhielt stets ein weites Netzwerk, um seine oft heimtückischen Ziele zu verfolgen. Eine historische Anekdote hatte Verus sogar bewiesen, dass speculatores Kaisermacher oder Kaisermörder waren. Nachdem sie Kaiser Caligula hatten ermorden lassen, durchsuchten sie den Palast, um Beweise zu vernichten oder auch Schätze zu erhalten, dort fanden sie Claudius, sich hinter einem Vorhang aus Panik versteckend, und setzten diesen als Kaisernachfolger ein, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Ohne Kaiser gab es keine Prätorianer. Sie erpressten ihn und nutzten ihre Brutalität, um dessen Herrschaft im Senat durchzusetzen. Der damalige Trecenarius setzte dies gezielt durch Beeinflussung und auch Mord durch, während die Präfekten ihr politisches Gewicht nutzten. Claudius wurde vom Senat bestätigt und umgab sich seit diesem Tag, bis zu seinem Tode durch Gift, mit speculatores, um auch von der einschüchternden Macht des Horrors der Prätorianer zu profitieren. Seit diesem Tag machten die Prätorianer Kaiser, und es gab keine Herrschaft in Rom ohne sie und aus diesem Fakt heraus, konnten sie auch eigene Ziele verfolgen, sei es ihre Macht auszuweiten, zu schützen oder schlicht persönlich davon zu profitieren, indem sie regelmäßige Donativa verlangten oder eine Art Schutzgeld von unliebsamen Aristokraten erpressten. Verus war ein Meuchelmörder, ein Intrigant und Meistermanipulator, der nicht mehr dem römischen Ideal diente, sondern allein dem Befehl. Er tat, was notwendig war, um seine Macht, die Macht der Prätorianer zu erhalten und dem jeweilig amtierenden Kaiser zu dienen, sofern er ihm und seinen speculatores sowie den restlichen Prätorianern nicht überdrüssig wurde. Inzwischen hatte Verus auch keinerlei Skrupel mehr, einen schwachen Kaiser zu ersetzen, wenn die Zeit gekommen war. Wenn Rom instabil würde, das Reich bedroht schien, würde er ohne zu zögern, den Kaiser vergiften oder erdolchen. Doch diese Zeit war noch nicht gekommen, denn Rom war bis auf einige unangenehme Ausnahmen stabil, die Reichsgrenzen nicht erheblicher als sonst gefährdet und die Geldleistungen an die Prätorianer wurden geleistet, so dass Verus sein Interesse nicht gegen den Kaiser richtete, sondern seinem Befehl uneingeschränkt folgte. Er war dem Befehl sogar bis ins parthische Gefängnis gefolgt. Es gab keinen Zweifel an seiner Loyalität, denn trotz aller Skrupelosigkeit, war sich Verus sehr wohl bewusst, dass auch er für seine Handlungen zahlen musste und agierte nicht willkürlich. Er wog sehr wohl ab, was es wert war, dafür zu handeln und was es eben nicht wert war. Auch hatte er einen gewissen Mut und besaß eine widernatürliche Tapferkeit, die schon Todesverachtung war, denn im Gegensatz zu anderen Machtmenschen folgte Verus auch seinen eigenen Entscheidungen und ertrug deren Konsequenzen. Er war sogar bereit zu sterben, wenn es erforderlich war. Der Mann, der so geworden war, war davon überzeugt, dass erst durch Konsequenz jene Position zu sichern war. Ein Mann, der sich ständig Konsequenzen entzog, sich nie bereit erklärte, auch für seine Entscheidungen gerade zu stehen, würde am Ende verlieren. Verus war nicht der Gute, in keiner Geschichte der Welt und doch hatten seine Augen neben der Kälte auch etwas Trauriges, etwas Suchendes. Er lebte nicht für sich, dies hatte er nie. Vielleicht war dies das Geheimnis, warum ihn Pluto nicht zu sich holte.


    Verus antwortete in perfektem Koine: "Ich bin Damocles und ich bin nicht dein Feind." In der Tat war er nicht Tiberios Feind. Feinde hatte Verus viele aber Tiberios zählte noch nicht dazu. Der Name Damocles erschien ihm sogar passend, so dass er diesen Namen benutzte, um seine wahre Identität, die er ohnehin nicht beweisen konnte, zu verschleiern. Zudem war der Mythos von Damocles überraschend zutreffend für Verus. Er wechselte wieder ins Lateinische. "Ich bin aber keine gute Bedienung. Eine Taberna als Zuhause. Irgendwie merkwürdig aber dies könnte noch spannend werden," orakelte Verus mit einem salzigen Grinsen. "Ich sollte aber vorher meine Wunden reinigen und mich waschen, Tiberios," stellte er fest, und deutete dann auf seine eigene Schulter, so dass Tiberios hoffentlich sah, dass sich Blut auf der Tunika abzeichnete und große Flecken bildete. Verus ignorierte den Schmerz, denn er war inzwischen soweit abgeklungen, doch er würde bald zurückkehren, sobald man den Stoff von den Wunden entfernte. Der Prätorianer Tiberius hatte mit Sicherheit eine andere Schmerztoleranz als durchschnittliche Menschen. All die Kämpfe hatten nicht nur Spuren hinterlassen, sondern auch Fähigkeiten und Veränderungen.

    "Verkauft," sagte Martouf mit leidlich entspannter Stimme. Er war froh, diesen Sklaven noch zu einem halbwegs guten Preis losgeworden zu sein. Immerhin war er nun nicht mehr sein Problem. Verus hingegen betrachtete die Käuferin mit seinen kalten und teuflisch-wissenden Augen. Pläne wurden verändert und alte Ideen verworfen. Tiberius Verus war ein Mann, der alles für seine notwendigen Ziele tat, ob diese nun von außen eingegeben wurden oder durch sich selbst geschaffen waren. Außer seinen Kindern sah er keinen guten Grund für seine eigene Existenz. Die Dienstbarkeit gegen über dem Kaiser war nur vorgeschoben, um die eigene seelische Unfähigkeit zu verbergen, ein Leben mit Liebe und Glück zu ertragen. Wie einst Achilles war auch Verus ein Verfolgter, ein Mann, der von seinen Taten heimgesucht wurde und der martialische Ruhm konnte nicht die seelischen Wunden heilen, die mit jedem Akt der Grausamkeit geschnitten wurden. Ähnlich Achilles war er auf dem Schlachtfeld nahezu unbesiegt, war sogar den gefürchteten Parthern entkommen, hatte Unmenschliches getan und auch selbst ertragen und doch war er einsam, aufgebraucht und litt in den stillen Momenten an sich selbst. Die Taten hallten im Echo der Ewigkeit nieder. Dieses Echo fürchtete Verus. Denn mit jedem Akt der Grausamkeit formte auch er die Zukunft für seine Kinder. War diese Zukunft gut? Würden seine Kinder unter dem Fluch leiden, den er ohne Wissen und Wollen, beschworen hatte? Doch Verus war der Caesar seiner eigenen Macht. Es stand in seinen Augen, in seiner Aura und jeder Bewegung. Verus war skrupellos, zielgerichtet und bereit alles zu tun, was notwendig war. Egal, wie sehr er selbst auch darunter leiden würde, so sehr war er der Gefangene seines Lebens, das nun einmal aus Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung bestand. Er würde nie der klassische Gute in einer Geschichte sein, denn dieses Gute hatte für ihn selbst keine Bedeutung mehr, denn es zählte einzig und allein, Ziele zu erreichen und die kalte Leere mit Aktion sowie Handlung zu füllen. Ohne Luna, ohne seine Kinder, war er nur die furchtbare Waffe, die berechnend und zielgerichtet, auf Wunsch des Kaisers agierte. Doch hier gab es keinen Kaiser, der ihm mit Befehl vorstand, hier gab es kein Rom mit seinen Problemen und hier gab es auch keine großen Motive und ideologischen Verstecke für die eigenen Handlungen. Hier war er allein, vollkommen auf sich gestellt und hatte nichts außer seine Vergangenheit, die ihn mit Gaben und Fähigkeiten belastet hatte, die ihm jederzeit nützlich sein konnten. Martouf nickte eifrig und scheuchte die beiden Wächter mit Verus die Treppe zur Ausgabe herunter. "Natürlich habe ich hier alles hier. Dort am Tisch erhälst du alles. Du kannst gleich bezahlen," huschte der Sklavenhändler durch seine Worte. Nun musste der günstig erworbene und nicht gebrochene Sklave zu mehr Geld gemacht werden. Das musste schnell gehen, denn auch an diesem Ort war Zeit nun einmal Geld. Je mehr er verkaufen konnte, bis seine gemietete Marktzeit abgelaufen war, umso mehr Gewinn machte er. Verus leistete keinen Widerstand und ließ sich von beiden Wächtern neben den Ausgabeschalter stellen.


    Verus erkannte Schauspieler. Immerhin war er ein berufsmäßiger Lügner und die Lüge hatte auch stets etwas Gutes für sich. Sie war stets zu konstruieren, nach Bedarf und Lage. Diese Frau, womöglich Römerin, verbarg etwas. Es war ihre insgeheime Körpersprache und auch ihre überzogene Wortwahl, etwas passte nicht zusammen. Verus suchte bereits nach Schwachpunkten an dieser Frau. Die kalten, fast dämonischen Augen, lagen auf der Frau, ohne sie wirklich als Frau zu sehen, sondern eher als mögliches Ziel für eine Manipulation. Verus objektivierte die meisten Menschen, dies machte es leichter, wenn man sie belog oder ihnen im Namen Roms Grausamkeiten antun musste. Es gab eine Grundregel für seinen Dienst, dass man niemals emotional an seine Ziele gebunden werden dürfte. Sachliche Fragen konnten ferngehalten werden, emotionale Fragen selten. Da Verus um sein eigentlich weiches Herz wusste, musste er zwangsläufig fast alle Menschen, die in seinen Leben traten, bewerten, einordnen und als Objekt betrachten, welches er sorgsam bearbeitete. Auch diese Frau war nur ein Objekt auf seinem Weg, welches mitunter nun ein Spielstein im großen Spiel war. Es war zwecklos Widerstand gegenüber der Kälte zu zeigen, die Verus antrainiert worden war. Über die Jahre als Soldat in Germanien, dann in als statorum, und viele Jahre als Trecenarius, der Meuchel- und Spionagemeister, war nur Platz für Härte und Kälte geblieben. "Hier," sagte der Angestellte von Martouf, als dieser die Papiere ausstellte und die Bezahlung verlangte, indem er auf den Tisch deutete. "200," sagte dieser und deutete erneut auf den Tisch. Sie hatten es wirklich eilig. Ein Sklave, wohl ein Untergebener dieser mutmaßlichen Römerin, trat vor und forderte Verus auf zu folgen. Er tat es auf eine Weise, die Verus bösartig belustigte. Denn er drohte ihm mit Worten, auch wenn seine Erscheinung alles andere als einschüchternd war. Die Fußkette wurde gelöst und Verus ein Stück vorgeschubst, um noch ein Stück auf den unbekannten Sklaven der neuen Herrin zu zugehen.


    Verus tat dies widerwillig und stand in seiner gesamten Erscheinung vor dem Sklaven. Mit einer kräftigen Handbewegung wischte er sich den Schweiß von der Stirn, dann spuckte er ein wenig salzig-blutigen Speichel vor den Sklaven auf den Boden. Der Tiberius bewegte seinen Kopf hin und her, so dass ein lautes Knacken entstand, als sich die Gelenke aus der gebeugten Haltung befreiten. "Ich denke, dass ich vorerst mit euch kommen werde," antwortete er im perfekten Latein mit einem starken Akzent der römischen Oberschicht. Er sprach mit aller Absicht kein Gossenlatein oder benutzte nicht jenen vulgären Akzent der Provinzen oder der Subura. Seine Augenlider zuckten dabei, als er den Sklaven mit jenem teuflischen Blick anstarrte, der Folter, Leid und Tod gesehen hatte. Es war diese tödliche Gleichgültigkeit in diesen Augen, die so furchtbar entrückt war. Vielleicht konnte er einfach auf dem Weg entkommen. Wenn der Sklave Widerstand leisten sollte, würde er mit ihm schnell fertig werden. Verus suchte bereits nach Schwachpunkten und machte einen spärlichen Nacken aus. Er würde mit einem geübten Griff, diesen Sklaven erwürgen können. Dies wäre lautlos und würde nur wenige Momente dauern, wenn er genug Kraft einsetzte. Doch er würde ungerne töten müssen. Vielleicht war dieser Sklave auch ein Feigling und würde fliehen, was die Flucht erleichtern würde. Alternativ wäre es auch eine Idee die Römerin zu begleiten, sich nähren und waschen zu lassen, bevor man sich weiter in Richtung Rom aufmachte. Seine mit kleinen Schnittwunden vernarbten Hände hob er an, um seine Finger knacken zu lassen. In der Nähe wurde ersichtlich, dass dieser Mann sehr viele Kämpfe durchtlebt haben musste und viele Wunden waren offensichtlich Kriegswunden, dann jene tiefen Schnitte hinterließen immer Spuren. Verus hielt sich alle Optionen offen aber würde vorerst folgen.

    Einst nannte er die Römer seine Brüder und nun wurden sie zu Gegenspielern. Diese Frau bot gegen ihn oder für ihn, und dies war vollkommen egal, dann es folterte ihn auf eine andere Art. Diese Sturheit, wie sie nicht sahen, was er in Wahrheit war. - Und doch war Verus sehr wohl klar, dass dies die übliche Realität war. So grausam banal war die Wirklichkeit. Die Menschen sahen, was sie sehen wollten und wenn die Bühne so bereitet war, dann sahen sie eben einen Sklaven und nicht den Römer Tiberius. Nun war er die Ware. Er hatte es zu oft gesehen. Es war sogar eine gewisse Gerechtigkeit. Er erinnerte sich daran, wie er seine Luna, damals noch Seherin in Germanien, versklaven musste und er sich zum Feind auf Geheiß machen musste. Luna hatte ihm verziehen aber er hatte sich selbst niemals dafür verziehen. Damals hatte seine Karriere als Unterdrücker begonnen, da die römische Elite Gefallen an seiner Arbeit gefunden hatte. Er war die gewünschte Plage, die Rom auf Menschen fallen ließ. Der Kaiser sah nur seinen Nutzen, glaubte vielleicht sogar, dass Verus stets aus Überzeugung handelte, doch dabei war es kalte Gleichgültigkeit. Er führte auf Geheiß jedwede Grausamkeit aus, die Rom entfesseln wollte aber glaubte nicht einmal daran. Mit einem Atemzug entfloch ihm sogar ein wenig Gelassenheit. Das Leben eines Sklavens konnte möglicherweise besser sein als der imperiale Horror auf Abruf zu sein. In gewisser Hinsicht war er schon immer Sklave gewesen. Nur jetzt sah man es ihm an. Keine Masken mehr. Martouf lächelte und trat einen Schritt vor. Der Sklavenhändler witterte ein mögliches Geschäft.


    "Du!" Er deutete auf Tiberius Verus. "Heb diesen Mann hinter dir hoch." Verus wandte sich um und entdeckte einen dünnen Mann, der ihm nicht mal bis zur Schulter ragte. Martouf fuchelte mit seinem Stock herum. Der Tiberius trat mit schweren Ketten vor den Mann und hob diesen mit etwas Kraftaufwand mehrere Hände breit über den Boden, bis er ihn wieder absetzte. Der Mann wirkte panisch und die Angst stand ihm im Gesicht. Der Schmerz seiner eigenen Wunden kümmerte Verus nicht mehr, denn in diesem Augenblick machte sich jene Kälte in ihm breit, die ihm stets half, wenn er Krisen und Gefahren überstehen musste. Es war jene schiere Willenskraft, die ihn sicherlich von anderen unterschied. Er tat, was getan werden musste und zögerte nicht. Verus trat zurück in die Mitte und brummte grimmig. "Sieht du, erlauchte Dame! Er kann einen Mann heben! Ich gebe aber zu, dass dieser Mann sicherlich nicht schwer war. Es reicht aber sicherlich für einen Dienst im Hause oder im Keller," erklärte Martouf. "Sag doch etwas!" - forderte der Sklavenhändler Verus auf, denn inzwischen ahnte er, dass die Kundin einen Sklaven, der sprach, sicherlich bevorzugen würde. Dumme und ungebildete Sklaven waren auch hier Ramschware. Immerhin hatte er beim Wüstenstamm für diesen Sklaven ganze 25 Sesterzen gezahlt. Da musste doch mehr drin sein. Verus weigerte sich weiterhin zu sprechen, so dass Martouf seinen Stock anhob, um Verus kräftig zu schlagen.


    "Du dummes Stück Vieh," schimpfte Martouf und war dabei den Stock herabregnen zu lassen. Doch Verus wandte sich mit einem Schritt zur Seite, fuhr seinen Ellenbogen aus und führte mit diesem einen heftigen Stoß in den Brustbereich des Sklavenhändlers aus. Dieser keuchte und ließ den Stock fallen. Doch bevor Verus weiter agieren konnte, sprangen zwei Wächter herbei und prügelten ihn mit mehreren Hieben ihrer Schlagstöcke zu Boden. Das dumpfe Schlaggeräusch scheuchte ein paar Sklaven zurück, die es aber nicht wagen, von der Bühne zu fliehen. Sie konnten es ja dank der Fußketten auch nicht. Verus stürzte zu Boden und versuchte sich zusammenzurollen, um den Schlägen einigermaßen zu entgehen. Sie schlugen so heftig zu, dass sich Blut auf seinem Rücken abzeichnete, da die Narben der Peitsche aufgerissen waren. Martouf rappelte sich wieder auf. "Genug," sagte er mit wenig Luft. Er wollte nicht, dass seine gute Ware weiter beschädigt wurde. Die beiden Wächter rissen Verus vom Boden hoch und versuchten seinen Stand zu festigen. "Er kann gut...," meinte Martouf und lächelte halbherzig in Richtung der Kundin. Er würde einen aussässigen Sklaven nie für 250 verkaufen können. Dieser musste ja erst gebrochen werden. "Ich gebe dir einen Rabatt. 200 und er gehört dir...," sprach er und wollte diesen Unbeugsamen schnell loswerden. Der geschlagene Sklave Tiberius hielt sich inzwischen ohne Hilfe der Wächter aufrecht, auch wenn sein Stand gebeugt war.


    Verus hingegen spürte das Pochen der Schläge und wie das Blut langsam über seinen Rücken floss. Doch dieser Schmerz war bewusst erkauft, denn er würde sich niemals ohne Grund schlagen lassen. Er war ein Soldat und ein Soldat kämpfte. Das hatte er gelernt und vieles war inzwischen auch Instinkt geworden. Erlösung fand Verus vielleicht sogar in jenem Schmerz, da dieser Schmerz anders war, als dieser Schmerz in seinem Herzen. Diese gierig-giftige Reue.

    "Seht her!" Die Stimme des alten Sklavenhändlers Martouf bellte fast, als er seine neuen Waren anpries. Er hatte einige Sklaven von den Wüstenstämmen erworben. Er hatte sich angewöhnt, nicht nachzufragen, woher sie ihre Ware bezogen und wo die Quelle für allerhand unterschiedliche Sklaven war. Verus selbst nahm das Geschehen aus einem Käfig unterhalb der Holzbühne war, während er seine Mitgefangenen betrachtete. Darunter waren Frauen und Männer unterschiedlichen Alters. Die Fußkette brannte an seinem geschundenen Fleisch und war viel zu eng. Er schwitzte und bekam kaum Luft, da an diesem Ort zu viele Menschen zusammengepfercht waren.


    "Alles wird gut," versuchte er seine Mitgefangenen zu beruhigen, die wenigstens, wie er selbst, gewaschen und eingekleidet worden waren. Die Sklaven sollten einen guten Eindruck machen, so hatte Martouf auch für ausreichend Posca gesorgt, der in einem Eimer mit einem Trinklöffel herumgegeben wurde. Auf den letzten Metern wollte er seine Ware nicht noch an den Durst verlieren. Auch Verus nahm sich eine Kelle vom alten Posca, der nicht unangenehm schmeckte aber auch keine geschmackliche Offenbarung war. "Deserteur," murmelte eine alte Frau, die neben Verus saß und deutete mit einem gekrümmten Finger auf seine Tätowierung. In der Haut auf seinem linken Oberarm stand in einem inzwischen verblassten Schwarz geschrieben: SPQR. Er trug das Zeichen der Legionen. Auch das wusste die Frau. "Ich bin kein Deserteur," meinte er und kümmerte sich nicht weiter darum. Die ältere Frau schmunzelte. "Warum bist du dann hier?" Verus blickte leicht erbost zur Frau und zog die Tunika ein wenig herab, damit die Tätowierung nicht mehr allzu sichtbar war. "Es hat seine Gründe," antwortete er und wischte sich ein wenig Schweiß von der Stirn. Er war nervös. "Du könntest uns helfen. Du kannst kämpfen," erklärte die alte Frau und deutete in die Runde der Anwesenden. "Du weißt, dass wir keine Sklaven sind." Verus nickte langsam und schob seinen Fuß mit der Fußkette in eine bessere Position, in der er das Gewicht nicht mehr so sehr spürte. "Eine Flucht an diesem Ort würde mit dem Tod vieler enden," sagte der erfahrene Soldat, der Verus nun einmal war. "Ich werde sie nicht alle retten können und zu dieser Zeit ist es besser als Sklave verkauft zu werden, als unter der Peitsche oder am Kreuz zu enden," meinte er und offenbarte damit insgeheim eigene Taten. Denn er hatte Hunderte versklavt, ebenso viele ans Kreuz gebracht und war nicht minder schuldig an dem ganzen System, welches nun auch ihn gefangen hatte. Vielleicht mochte es Verus sogar, dass er an diesem Ort gefangen gehalten wurde. Es veränderte die Perspektive und es machte das Falsche richtig und das Richtige falsch. "Du bist kein Römer mehr. Eure Macht hat dich verlassen," sagte die alte Frau und deutete erneut auf die nun verdeckte Tätowierung, jenem Zeichen der Legionen. "Du bist entweder geflohen oder aus Feigheit davon gerannt. Niemand verlässt die Legionen und gerät an diesen Ort." Verus schmunzelte bitterböse. Er sah eine gewisse Wahrheit darin. In der Tat war er aus Rom geflohen aber nicht nur aus eigenem Wunsch. Der Kaiser hatte ihn geschickt aber diese Mission kam ihm gerade gerecht, da er sich mit einem der beiden korrupten Gardepräfekten überworfen hatte. Es war gut gewesen, Abstand zwischen verschiedene Probleme zu bringen und gleichsam dem Kaiser zu dienen, der seine Kinder beschützen würde. Rom war grausam. Und auch in dieser fernen Provinz hatte es nicht an Grausamkeit verloren. Nur war er jetzt am anderen Ende der Hierachie. Er hatte keinen Beweis seiner Position oder seines Namens, sondern war nur einer von einem Haufen Sklaven, die nie jemand groß überprüfen würde. Bei einer Flucht, die ihm mit Mühe gelingen konnte, würden alle anderen hier an diesem Ort leiden oder sterben. Rom würde entsprechend antworten, denn flüchtige Sklaven untergruben das gesamte System und gefährdeten den sogenannten Frieden. Es war das unglückliche Los des Lebens, wer nun Sklave war und wer nun Herr war. Manches war durch Geburt bestimmt, und wiederum andere Schicksale durch das Leben selbst. Verus amüsierte sich verstohlen darüber, dass er nun ganz unten war. Ein gewisser Wahnsinn lag dabei für einen Moment in seinen Augen.


    Doch war er nicht wütend oder erbost darüber, sondern akzeptierte es, da er es so schnell ohnehin nicht ändern konnte. Er kannte die römischen Gesetze und er kannte die Legionen. Es gab keine Chance für die Anwesenden, vorerst. Er überlegte, wie er ihnen helfen konnte. Doch ihm fiel keine angebrachte Lösung ein. Und so egoistisch war er nun auch nicht, dass er alle Anwesenden opfern würde, um sich eine Chance zu erkaufen, die auch bei einer anderen Gelegenheit kommen würde. Sie konnten nichts für ihre Position. "Wir alle laufen vor etwas davon," antwortete Verus und nahm sich noch eine Kelle Posca, die er fast bestienhaft herunterschlang, da der Durst ihn aus der Wüste bis an diesen Ort begleitet hatte. Die alte Frau gab ihre Versuche auf. "Denk an deine Götter," meinte sie nur und blickte dann leer auf den Boden. Verus schwieg nun ebenso. Er konnte die Welt nicht verändern und hatte sie sogar mitgeschaffen; genau dieses Rom hatte er verteidigt. Der Gitterverschlag wurde geöffnet und die ersten Reihen traten uns fadenhafte Licht des Sklavenmarktes. Stockhiebe sicherten den Weg ab und trafen gelegentlich einen Sklaven, der abweichen wollte. Auch Verus stand auf und versuchte sich vor dem Licht, welches stark in seine Augen fiel, zu schützen. Auch ihn traf ein Stockhieb auf seinen Oberarm. Er zuckte zusammen, da der Rohrstock genau jene Wunde traf, die er einst in Germanien im Krieg empfangen hatte. Sein Rücken schmerzte, da die Narben der Peitschenhiebe noch frisch waren. Es war seine Katharsis, denn was er so vielen angetan hatte, fiel nun in aller Härte auf ihn zurück. Verus ertrug es duldsam, wie er vieles im Leben ertragen hatte. Es würde der Moment kommen. Geduld war eine Stärke der Prätorianer. Ihre Pläne konnten Jahre dauern. Das auffordernde Gebrüll der Wächter verstummte als er die Treppe hinauf zur Bühne erreichte.


    "Die beste Ware an Arbeits- und Haussklaven," donnerte Martouf über den Markt. Es hatten sich viele Römer und auch lokale Persönlichkeiten versammelt. Für viele hier ansässige Römer war der Sklavenkauf eine gute Abwechselung, da man mit etwas Glück einen perfekten Diener erwerben konnte oder auch einen Gladiator für die privaten Spiele, die in den Grenzlanden verbreitet waren und nicht nach den römischen Leitlinien abgehalten wurden. Eigentlich waren sie verboten, denn die Römer wollten faire und gerechte Spiele, die nach einem Regelkatalog abliefen aber wo kein Kläger, da kein Richter. Auch viele Römer beteiligten sich an diesen wilden Spielen, indem sie eigene Gladiatoren bereit stellten. Doch es war nicht die Zeit für private Kämpfe. Verus trat mit den anderen Gepeinigten auf die Bühne. Die Stufen waren grob aus Holz gearbeitet und schwierig zu besteigen, da er immer noch keine Schuhe trug und seine Füße durch den langen Marsch aufgeben wollten. Die Fußkette gab bei jedem Schritt ein dumpfes Geräusch von sich. Die ersten Sklaven, darunter einige junge Frauen, waren schnell als Haussklaven verkauft und wurden mit hektischen Stockhieben zum Ausgabeschalter getrieben. Einige von diesen Unglücklichen, aber nicht alle, wurden sofort mit einem Brandzeichen versehen, sofern es der neue Besitzer forderte. Eine Prozedur, die Verus als Henker und Vollstrecker, bei einigen Sklaven selbst angewandt hatte. Der Geruch brannte in seiner Nase. Erlöst wurde Verus nicht, denn nun war er in die Mitte geführt und von Martouf, der seine landestypische Tracht trug, vorgestellt. Mit einem Stock hob er das Kinn von Verus an, um ihm so wenig, wie möglich, zu berühren. "Ein echter Kerl für die grobe Arbeiten! Er ist zwar schon älter aber ich garantiere für ein langes Leben, da er gesund ist! Dieser Sklave spricht nicht oder zumindest hat er mit uns nicht gesprochen. Es ist also ein Geheimnis, ob er klug oder dumm ist." Natürlich sprach Verus nicht mit seinen Gefängniswächtern oder jenen Personen, die ihn gefangen hielten, doch Martouf machte daraus ein Verkaufsargument. "Er ist groß und eignet sich sicherlich auch für die Minen oder harte körperliche Arbeit." Verus blickte nun von der Bühne herab und erkannte zwei Legionäre in den hinteren Reihen. Sollte er um Hilfe rufen? Sie würden ihm nicht helfen, da er keinen Beweis hatte und viele Sklaven dies versucht hatten. Er hatte nicht mehr den Schutz seines Standes und er sah auch nicht mehr so aus. Es würde nicht funktionieren, da war er sich sicher. Dafür kannte er die Römer und alle Menschen zu gut, denn sein Lebenswerk war die Manipulation von Menschen. "250 Sesterzen!" - rief Martouf und deutete dann mit dem Stock auf Verus Brust. "Sein Herz schlägt kräftig!"


    Sim-Off:

    Gladiatoranleihen sind selbstredend rein zufällig! :D

    Am Rande seines eigenen Lebens, irrte Verus durch das Nichts der weiten Nichtwege, welche im steinigen Staub ihrer eigenen Wüsten lagen. Die Tunika, die er trug war zerschlissen, und auch die Wunden an seinen Armen waren längst vertrocknet und gaben sich nur noch farblich zu erkennen. Sein Rücken war durchnässt von salzigen Narben, die ihm Stockhiebe zugefügt hatten. Der Schweiß brannte auf den Narben, während das Leine bei jeder Bewegung merklich scheuerte. Mit jedem Schritt ließ er etwas Vergangenheit allein zurück. Dies war möglicherweise sein Ende, sein letzter Schritt, da bereits seine Augen schwächelten. Das Licht war entschwunden und hüllte die Welt in ein melancholisches Grau, während sich seine Füße in den steinigen Sand gruben. Er trug keine Schuhe, so dass seine Füße ihn kaum noch tragen konnten und jeder Schritt schmerzte, da sich kleine Steinchen in seine Sohle gruben. Hier war er allein. So allein, dass er bereits Dinge in der Ferne sah. Waren dort Städte oder Dörfer? Gesichter huschten vorbei. Personen, die er kannte, zogen vorbei und lachten höhnisch im Nichts des Windes. Hier am Rand seines eigenes Lebens war er sich seiner eigenen Schuld bewusst. Er wusste, was er getan hatte. Das Buch mit den Lügen und Wahrheiten seines Lebens lag unsichtbar vor ihm ausgebreitet.


    Die Wüste brachte ihm etwas näher, was er im Leben stets gesucht hatte. Die Magie lag darin, dass dieser Pfad ihn dazu zwang, sich seinen Entscheidungen zu stellen. Hier konnte er nicht flüchten, obwohl er auf der Flucht war. Das Blut an seinen Händen gehörte nicht ihm. Die Blutspritzer auf dem hellbraunen Leinen zeichneten sich deutlich ab. Verus war entkommen, um nicht in der Ferne, weit ab von dem Licht zu sterben, welchem er glaubte, zu dienen. Doch Verus war auch bereit allein zu sterben. Denn er wusste, dass jeder Mensch für sich starb und es möglicherweise nichts gab, was daran etwas ändern konnte. Es gab nur die stetige Gewissheit, dass jene, die einen liebten, einen vermissen würden. Er vermisste seine Kinder. Seine Luna. Und doch waren sie hier bei ihm. Denn jeden Kampf, jeder Krieg, den er führte, sollte eine bessere Welt hinterlassen. Doch die Welt, die er gebaut hatte, war brutal, seltsam fremd und auch voller Irrungen. Sein Dienst hatte ihn hart gemacht, herzlos wirken lassen, und doch war er immer noch ein Mann von Herz und Liebe. Diese Liebe lebte in ihm, trug ihn weiter und ließ ihn leben, obwohl seine Taten und Handlungen nach schicksalhafter und ironischer Gerechtigkeit verlangten. Vielleicht war genau dieses Schicksal hier, in dieser Wüste, geschunden und gefoltert, jene Ironie, die er verdiente. Wenn dies sein letztes Kapitel sein sollte, dann war es möglicherweise auch gut so. Verus hatte seinen Frieden damit gemacht, wenn er beim Versuch in die Heimat zu gelangen, sterben würde.


    Der Tod war nichts, was er wirklich fürchtete. Denn durch seine Hand waren viele Leben verloren gegangen und in jedem Augenblick des Todes, hatte er die Menschen gehen sehen. Ihr Kampf, die Angst und dann diese furchtbare leere Ruhe. In gewisser Hinsicht glaubte Verus sogar daran, einen grausamen Tod zu verdienen. Sein Herz schlug in tiefer Reue und doch konnte es nicht entkommen, denn er war jener Meuchelmeister des Kaisers, der nicht nur Rom und seiner Macht diente, sondern auch dem ewigen Kreislauf der Gewalt. Leider hatten Männer, wie er selbst, mehr verändert und bewahrt, als jede friedliche Absicht. Männer, wie er, waren dafür verantwortlich, dass es vielen Menschen gut erging und ebenso vielen schrecklich schlecht. Das Böse lag nicht in der Absicht, sondern in der Wirkung, die sein Leben bisher erzielt hatte. Die Gedanken wagten sich in jene Gefilde, die Verus vor sich selbst verbarg. Wie ein tiefes Gewässer, in seiner dunklen Tiefe, lagen dort die Namen und Taten. Jene Morde, auf Geheiß des Kaisers, jene Handlungen gegen Menschen, die er als Feinde zählte und jene Lügen und falschen Anschuldigen, die er benutzt hatte, um seinem Rom einen weiteren Tag Sicherheit zu schenken. Lügen waren sein Geschäft und vorallem hatte er sich selbst belogen. Rom war nicht hier. Diese Stadt, dieses ewige Imperium, war fern von ihm. Er war allein und keine Rechtfertigung konnte diesen Weg erleichtern. Der Schmerz wurde zu einem Gefühl im Gleichklang mit seiner Erscheinung. Dies war seine Wahrheit. Eine Epiphanie des Augenblicks. Es tat ihm so schrecklich leid, was er vollbracht hat und was er aus Rom gemacht hatte. Er hatte nicht mit Hoffnung gedient, das Leben vieler Menschen nicht verbessert, sondern Menschen und Ideen unterworfen. Verus war ein Eroberer, ein Unterdrücker und ein Mann der Machtausübung aber dabei wollte er eigentlich nur Vater, Liebender und Hoffnungsträger sein. Doch das Blut an seinen Händen wog schwer und zog jene dunkle Seite an, die allen Dingen anhaftete, die auf Missgunst und Gewalt erwuchsen. Sein Irrglauben hatte ihn geformt, längst verloren aber dennoch treu dienend. Es gab nichts mehr und doch ging Verus weiter. Immer weiter, denn eines wusste er: Hier sollte es nicht geschehen. Diese Wüste, so passend sie erschien, war nicht der Ort, an dem er Pluto willkommen hieß.


    Verus sank auf seine Knie, suchte nach Luft und Atem, um dieser Schwäche zu entkommen, die seinen ausgemergelten Körper befallen hatte. Mit aller Mühe stand der Mann, der einst Kriege und Kämpfe gefochten hatte, auf und suchte seinen wankenden Schritt zu festigen. Irgendwo in dieser Richtung lag das Imperium. Er musste weitergehen. Die Parther würden wissen, dass er geflohen war. Sie wussten es ohnehin, da er seine Bewacher getötet hatte. Er sah es noch vor seinen Augen. Die Kette, die er dem parthischen Krieger um den Hals gelegt hatte, um ihn zu erwürgen. Jener Wache, die seinem Kameraden zur Hilfe kam, erstach er mit dem Dolch und löste die Ketten mittels eines Schlüssel, um sich dann einen Kampf mit einem Reiter zu liefern. Es gelang ihm, auch diesen zu töten, um dann mit dessen Pferd zu entkommen, mit mutmaßlich weiteren Parthern im Rücken. Doch er musste entkommen, da ein weiteres Jahr Folter schlimmer als ein möglicher Tod auf der Flucht war. Das Pferd war auf der Flucht verendet. Doch Verus konnte sich an den Sternen orientieren. Er fand seinen Weg und ging weiter. Bis zu diesem Punkt. Diese Wüste drohte ihm den Rest zu geben. Doch er fand ein kleines Dorf aus einfachen Zelten, welches an einer Oase lag. Er schleppte sich zur Oase, warf sich zwischen zwei Palmen nieder und kroch zum Wasser, welches er mit beiden Händen in seinen Mund schaufelte. Es schmeckte frisch und schien aus einer unterirdischen Quelle zu kommen. Verus hatte keine Zeit es zu prüfen. Zwei Frauen in ortsüblicher Tracht traten heran und beäugten den nahtoten Verus. Sie riefen etwas in einer für ihn unbekannten Sprache und es traten mehrere Männer heran, die ihn umringten. Verus blickte auf, konnte sich aber nicht aufraffen. Die Männer ließen ihn gewähren aber packten ihn dann, nachdem sie - nach ihrer Ansicht - genug Wasser an den Fremden abgetreten hatten. Sie beäugten aufmerksam und sprachen etwas. Verus wusste nicht, was sie sagten, aber er kannte diese Augen. Sie wollten Geld. Es war klar, was passieren würde. Ein älterer Mann, behängt mit wenig Gold, deutete auf Verus und ließ ihn Fesseln. Verus, viel zu schwach, wehrte sich nicht einmal. Die Männer ahnten, was geschehen war und wuschen ihm das Blut von seinem Körper, verbrachten ihn eines der Zelte, wo er eine Nacht verweilte. Eine Frau brachte ihm ein wenig seltsames Essen, was hauptsächlich ein Brei mit Früchten war. Verus musste, wie ein Hund, aus einer Schale fressen aber tat es, weil er Kraft brauchte. Die Nacht war kalt aber er lag zumindest auf einer Decke. Verus war klar, dass sie ihn wohl als Sklaven auf einem lokalen Markt verkaufen wollten oder an die Parther ausliefern würden, da diese Interesse an römischen Sklaven hatten. Doch Verus entschied sich, eine Nacht zu ruhen und die Situation ihre Gelegenheit zur Entwicklung zu lassen. Am nächsten Tag wurde Verus in einen Karren gebeten. Verus trat in den Karren, der nicht wirklich geschützt oder gesichert war. Er setzte sich auf eine Holzbank, die Handfessel inzwischen nicht mehr wirklich wahrnehmend. Einige Männer aus dem Zeltdorf begleiteten den Tross, nachdem man noch weitere Waren auf den Karren geworfen hatte. Verus wandte sich zum Wagenlenker um und fragte: "Wohin geht es?" Der Wagenlenker schmunzelte, während er sich eine Leinenkapuze über das Gesicht zog. "Caesarea, Sklave," war die Antwort. Immerhin etwas. Es war sogar etwas Glück dabei. Denn Caesarea war römisches Gebiet. Dort könnte er weitere Pläne machen und musste nicht mehr durch die Wüste wandern. Sie übernahmen seinen Transport. Bei Zeiten würde er sich aber dieser Leute entledigen müssen oder geschickt entkommen. Doch bis dahin nutzte Verus diese Gelegenheit. Er atmete ruhig ein und aus. Seine Gedanken wanderten in Richtung Heimat. Er wollte seine Kinder wiedersehen. Wenigstens für einen Augenblick, auch wenn der Tod jederzeit möglich war. "Danke, Pluto," murmelte er in seinen ranzigen Mehrwochen-Bart, der bereits mehrfach verfilzt war. Der Karren rollte an und mit dem schicksalhaften Glück eines Unheiligen wurde Verus in die gewünschte Richtung transportiert. Noch als Sklave aber immerhin lebendiger als noch vor wenigen Tagen in parthischer Gefangenschaft.

    Ich melde mich auf unbestimmte Zeit ab, da mir aus diversen Gründen die Motivation vergangen ist. Es tut mir insbesondere Leid für Iunia Caerellia, Flavius Gracchus, Morrigan und Claudius Menecrates, die sich stets übermäßig bemüht haben und mir gutes Rollenspiel geboten haben. Dennoch - durch diverse simOff Hindernisse - sehe ich mich nicht mehr im Stande, genügend Schreibmotivation aufzubauen, um hier - für meine Maßstäbe - ausreichend Qualität zu bieten. Aus diesem Grund ziehe ich mich für eine Weile zurück.


    Liebe Grüße

    Die Rache lebte, atmete und pulsierte in seinen Adern. Ein Soldat kannte dieses Gefühl von diesem trostlosen Feuer, welches in seiner kalten Flamme, die Handlungen ummantelte, mit diesem strebsamen Gefühl der niederträchtigen Absicht, die Waffe zu führen und zu erheben. Verus fühlte diese kriechende Macht in seinen Adern, wie Krallen eines Monsters kratzten sie an seinem Gemüt entlang und brachen in verdorbener Freiheit hervor, die zeitgleich eine Kette aus dem Abgrund empor riss, um das Herz für immer zu binden. Ein Gefühl, welches für viele, die nicht gekämpft und geblutet hatten, unverständlich waren. Frieden gab es für einen Krieger niemals. Nicht einmal in fernen Hoffnung, die nur Erlösung aber keine Heilung sein konnte. In Blut und Tränen lag keine Zukunft, sondern nur ein steter Verlust. Verus fühlte sich mächtig und gleichsam verloren. Er hasste sich selbst dafür, dass er diese Iunia zu einem Werkzeug seines Hasses gemacht hatte. Verus strich sich mit der Handfläche über seine schwitzige Stirn. Ihr Wimmern und ihre Klage waren nur weitere Glieder in seiner endlosen Kette, die ihn ins schwarze Meer seiner eigenen Erinnerungen zog. Verus war sein Sklave seines Weges, selbst jeder Wunsch einen anderen Weg zu finden, war bedeutungslos. Ein Sklave des Krieges konnte nicht entkommen. Niemals war es möglich, frei zu sein, wenn man sich selbst mit seinen eigenen Erinnerungen strafte. Er selbst war sein schlimmster Feind geworden, der so dankbar den Krieg und Konflikt suchte.


    Auch an diesem Ort. Und gerade jetzt, wo diese Frau ohne weitreichendes Zögern einen Vertrauten verraten hatte. Dieser Verrat verlieh eine diabolische Größe und zerstörte damit erneut ein Vertrauen in Menschen. Verus kannte kein wirkliches Vertrauen, sondern nur Ängste. Getriebene Ängste, die nicht unbegründet und greifbar waren. Er selbst war ihr Meister und seine Handlungen vertrieben diese Geister nicht mehr, sondern beschworen sie. Die Prätorianer waren fanatisch unterworfen dieser dogmatischen Sache, die Verus nicht mehr nur verkörperte, sondern anführte. "Wir retten dich," vermeldete der Offizier, der seine tabula verschloss und diese wieder am Gürtel verstaute. Die Kordel sank mit dem Gewicht herab. "Iunia Caerellia," sprach er ihren Namen liebevoll, gar väterlich aus. "Du hast dem Reich einen großen Dienst erwiesen." Verus glaubte sogar daran; irgendwie, wollte er eine Rechtfertigung konstruieren, die auch für ihn eine Erleichterung war. Denn am Ende wusste jede Faser seines Körpers, was hier vorgefallen war. Nur Wein konnte seine Gedanken entschleunigen, die ihn verfolgten, wie Heuschrecken ein sterbendes Feld. Er freute sich insgeheim auf ein baldiges Besäufnis mit vertrauensvollen Kameraden, um gemeinschaftlich die eigene Vergangenheit für einen Moment zu begraben. Auch hier handelten sie gemeinsam und gemeinschaftlich. Verus war Soldat und vielleicht unterschied ihn das erheblich.


    "Ich habe alles, was ich brauche, um diesen Vorgang abzuschließen. Du musst nur noch deinen Sklaven zeichnen und dann bringen wir dich unter unserem Schutz nach Hause," versicherte der trecenarius, der in der Tat mit dieser Sache abschließen würde. Vorerst. "Natürlich erhälst du dann etwas zu trinken. So viel du willst," lächelte Verus ab und zeigte dabei tatsächlich einen Hauch Menschlichkeit. "Kannst du aufstehen?" - fragte der Prätorianer, da er diesen Arbeitstag abschließen wollte.

    Verus zog gleichgültig seine Schultern hoch, wobei seine linke Schulter einen seltsam knackenden Ton sich gab, der seine eigene Stille durchbrach. "Es gab sicherlich Schnellverfahren in einigen Fällen, sofern Bürger betroffen waren aber in den meisten Fällen berufe ich mich auf das Kriegsrecht und einen gesellschaftlichen Notstand. Wir befinden uns in einer außergesetzlichen Zwangslage, die nicht nur vom Kriegsrecht abgedeckt ist," erklärte der geübte trecenarius und hatte stets eine passende Grundlage für sein Handeln. Das Kriegsrecht war absolut. "Wir Prätorianer handeln stets im Sinne des Kriegsrechts," stellte Verus kalt fest.