Die Nacht brach ein. Unmerklich kam die Nacht auch über die Iunia, die völlig verlassen an diesem Ort einsam in dieser Zelle verschlossen war. Auch die schrecklichen Geräusche schienen in die stille Ferne zu rücken. Nur das Wimmern, leise Flehen und die leidenden Gesänge blieben ihr erhalten, endeten nicht mehr, da sie sich im Mauerwerk festzuhalten schienen. Niemand sprach mit ihr. Niemand schien sich noch um sie kümmern, während das Gatter kein Entkommen zulassen konnte. Auch das schwache Öllicht schien die Iunia zu verlassen. Es verabschiedete sich in einem hellen Flackern, gab der Dunkelheit endlich den Raum, den sie an diesem Ort haben sollte. Der schwarze Schatten kroch schnell in jede Auge und füllte die Augen mit Schwärze. Kein Licht an diesem Ort war mehr gesehen und die Iunia war in völliger Dunkelheit angekommen, während die Mauern ihre verächtliche Kälte abstrahlten.
Dies war eine Gruft für Träume und persönlichen Hoffnungen. Dennoch keimte an diesem Ort jener Widerstand, den Verus so verfluchte. Nicht die Flüche einer Frau ängstigten den Schlachtenmeister und Henker so vieler, sondern der Fluch des Widerstandes, der nicht mit einem Knüppel oder Schwert zu brechen war. Die Prätorianer fürchteten diesen Widerstand, der seine Angst verlor und sich auch im Untergang gegen die Mächte stellte, die die politische und gesellschaftliche Welt maßgeblich bestimmten. Es war ein Widerstand, der auch das eigene Leben opferte, um einer Idee zu folgen, die dieser Grausamkeit etwas entgegen stellte, was größer war; was besser war, als dieser stetige Verlust und Stillstand. Verus hatte seine Träume längst begraben, sich dem Stillstand ergeben, um sich träge von den finsteren Kräften versorgen zu lassen.
Die Prätorianer hielten sich für die Zukunft, doch waren sie Vergangenheit, geschaffen von einem Kaiser, der um seine Macht fürchtete und sein Leben bewahren wollte, in unruhigen Zeiten. Sie waren gewachsen unter zynischen und machthungrigen Seelen, und stellten sich unter Caligula und Nero sogar in den Dienste einer herausgehobenen Macht mit einem absoluten Anspruch, gegen die Menschen dieser Stadt und der Welt. Niemand konnte sagen, wie viele Menschen sie verdammt und in namenlose Gräber geworfen hatten. Niemand wusste, was die Prätorianer wirklich auf sich geladen hatten, da selbst der Senat sie niemals für ihre Taten verurteilte. Sie waren auf eine perfide Art freigesetzt und gleichsam durch ihre Gegenwelt ständigen und permanenten Sachzwängen unterworfen. Grausamkeit verlangte immer neue Grausamkeit, um nicht Opfer einer ähnlichen Grausamkeit zu werden. Ihre Welt war schwarz, wie ihre Robenmäntel und Tuniken. Und diese Schwärze manifestierte sich gerade in diesem Raum, indem kein Licht blieb. Eine Ratte schnüffelte an Iunia und verschwand unlängst in der Dunkelheit.
Die Nacht war lang, schien endlos, während sie das Gemäuer umhüllte, wie ein Leichentuch. Doch auch diese Nacht endete. Ein Soldat ging durch den Korridor und entflammte die kleine Öllampe mit einem Zündstein und ein wenig Öl aus einem Tongefäß, bevor er einen müden Blick in ihren Raum warf. Ihm war es vollkommen gleichgültig, was mit ihr geschehen war, sondern musste nur aus bürokratischen Gesichtspunkten feststellen, was mit ihr geschehen war. Lebte sie noch oder litt sie? Es war nicht wichtig, was er dabei fühlte, sondern es wurde in einer Liste vermerkt, die anderen zur Verfügung stand. Der prätorianische Wächter entfernte sich und schien dabei recht langsam zu schreiten. Er hatte es nicht eilig. Niemand hatte es hier eilig, da Zeit hier bedeutungslos war. Zeit war hier dehnbar, lösbar und am Ende leer. Es gab hier keinen Sinn oder Unsinn, sondern es passierte einfach. Gründe lieferten andere. Sinn suchten andere aber dieser Ort selber, war einfach nur hier und gleichsam aus der Welt gerissen, in diese Gegenwelt der Prätorianer, die so sehr pflegten, wie ihr unnahbares Außenbild. Der wahre Feind war längst in den Köpfen. Es war diese paranoide Furcht vor Andersartigkeit, Abweichlern und Feinden. Ihr Weltbild kannte nur Feinde. Die Suche endete nie. Und genau mit dieser festen Absicht würde dieser Ort für immer seinen Schrecken behalten.
Iunia erhielt nichts. Garnichts, woran sie sich festhalten konnte, außer diesen Brief von Arsinoe, der mysteriös übersehen wurde. Drei Soldaten brachten eine junge Frau, die einen Sack über ihrem Haupt trug, und schwere Fesselketten ertragen musste. Ein Soldat öffnete den Verschluss des Gatters, schob es hektisch ruckelnd zur Seite und deutete in die Zelle. "Du bekommst Besuch, Gefangene. Wir haben eine Überfüllung erreicht und müssen ein wenig umräumen," erklärte der Soldat mit seiner kratzigen Stimme, die leicht einbrach, sobald er seinen Hals bewegte. Die beiden tragenden Soldaten warfen die junge Frau in einer einfachen und verschlissenen Tunika achtlos neben Iunia auf den Boden, bevor sie die Ketten ruckartig durch die Ringe an den Wänden zogen, um die neue Gefangene an der Wand in eine fixierte Pose aufzurichten. Der dritte Soldat half beim Aufrichten, während man die Frau an die Wand presste, um die Ketten mit einem Schloss zu schließen. Die Frau war nun an die kalte Wand gefesselt, keuchte elendig aber schrie auf, als ihre Gelenke erfahren konnten, was diese Pose für Belastungen auslöste, nachdem der dritte Soldat seinen Griff lockerte. Zum Abschluss riss man ihr den Leinensack vom Schädel und ging freundlich pfeifend aus dem Raum, während man sich erneut über ein Fest unterhielt, was bald stattfinden sollte. Mit einem lauten Knall schloss das Gatter, wurde verriegelt und die Soldaten waren wieder verschwunden. Die Frau erschöpft und gepeinigt durch die Ketten in der Zelle, blickte zu Boden, so dass erkennbar wurde, dass sie mehrfach mit Knüppeln geschlagen worden war. Auch ihre Haare hatte man ihr genommen, so dass nur eine zerkratzte Glatze blieb. Iunia konnte das Elend betrachten.