Beiträge von Aulus Tiberius Verus

    Das Gesicht des Tiberius wurde zu einer Totenmaske. Keinerlei Regung zeichnete sich in seinem Angesicht ab. Auch seine Lippen wurden zu einem Strich. Natürlich wusste er davon aber hatte es verdrängt, wie er es als Soldat gelernt hatte. Man musste weitermachen und konnte sich nicht vergraben. Die Welt war grausam und man musste damit Leben lernen. Verus hatte dies gelernt und seine Mechanismen perfektioniert. Dennoch traf ihn sein Bruder an einem wunden Punkt. Er brauchte einen Moment, bevor er antworten konnte. Verus zog Luft durch seine Nase ein. "Ich weiß davon," blaffte er kalt und deutete dann vor sich auf den Boden. "Aber ich bin Soldat und ich habe schon auf vielen Schlachtfeldern gestanden. Das Leben ist nun mal so. Ich habe genug Männer bestattet. Ich habe genug Männer getötet, um zu wissen, dass diese Welt nun mal so ist," antwortete Verus schließlich nicht erzürnt oder wütend, sondern eher tonlos; fast in sich gekehrt. Es gab keinerlei Grund sich zu verstecken. Verus war ein Centurio und somit sicherlich durch mehr brennende Höllen gegangen als sein Bruder Merula, der dank eines kleinen Vermögens ein gutes Leben führen konnte. "Ich habe genug schlechte Nachrichten in meinem Leben gehört," schloss er ab und seine Stimme fand wieder Kraft, um nicht mehr herzlos zu klingen. Die Hand, mit der er noch soeben gedeutet hatte, fiel kraftlos herab. "Es ist traurig aber wir müssen damit leben und ...," versuchte er an einen warmeren Gedanken anzuknüpfen. "... als Familie zusammenstehen. Es gibt nur noch uns," sagte er. Dann blickte er seinen Bruder betroffen ehrlich an. Die militärische Maske funktionierte nicht mehr.

    Die Worte gelangen Verus nicht mehr einfach. Etwas behinderte ihn. Nein, es war kein Gewicht auf seinen Schultern, dass ihn niederdrückte oder belastete, sondern viel mehr die geheime Stimme der Furcht. Verus war ein Mann, der die Zukunft fürchtete, da seine Erinnerung als Fundament einer Vergangenheit, ihm niemals eine schöne Blüte in ferner Zeit bescheren würde. Er betrachtete seine Geliebte still, während sie sprach und angab, dass Fenrir es verstehen würde. Das Tier würde mehr verstehen, als Verus es jemals getan hatte. Der Tiberius war ein Narr, der immer noch tief vergraben an Werten festhielt, die in der Welt keinen Platz hatten und nur noch Lippenbekenntnisse waren. Er gab es nicht zu und auch sein Stolz verbot ihm ein Eingeständnis, dass er immer noch versuchte seinen guten Werten zu folgen, die ihm einst als Kind gegeben waren. Ein Mann, der niemals eine Rebellion gegen die Umstände angeführt hatte, fügte sich in eine seltene Melancholie, die gleichsam liebevoll und betörend war. Wie ein Kuss im Mondlicht, umspielte seine Aura, eine Sehnsucht nach etwas Stillstand und Ruhe. Seine Welt war zerstört und doch erschienen ihm die Ruinen seiner Zeit als Symbol. Die Ruinen gaben ihm Gelegenheit zum Stillstand für eine Weile. Er konnte nicht mehr gedrängt werden, durch eine verpflichtende Vergangenheit, die ihm sein Name gab. Sein Name drohte zu verschwinden und es kümmerte ihn nicht.


    Wer war er schon? Ein Narr, der liebte und in dieser Liebe jenes Mondlicht fand, welches das Zwielicht zwischen den Welten war. Nicht ohne Grund hatte er den Namen Luna für Iduns römisches Leben gewählt. Sie war der Mond in seiner Lebensnacht und gab ihm Licht auf seiner Suche. Dennoch behinderte ihn jener Gedanke, denn er sah bereits den Schatten, der ihm folgte. In Rom schien seine Quelle, ein Ursprung für jene Hexenkraft, die ihm seine Hölle mit Wundern füllte. Die Macht, die er erduldete, gab ihm Sicherheit aber zerstörte Welten anderer. Im Tod anderer fand er seine Sicherheit, was ihm ein Fluch war. Er war zu gut darin, was er tat und konnte nicht entkommen. Verus konnte der Person, die er geworden war, nicht entkommen. Wie sollte er Idun erklären, was er dort tun würde? Wie sollte er ihr erklären, was sie dort zutun hatte? Was würde sie erwarten? In seinem Herzen wusste Verus, dass er ihr Wahrheit geben musste aber was war schon Wahrheit in einer Welt deren System auf Intrigen, Lügen und Lippenbekenntnissen beruhte. Einer Welt der Ich-Sucht. Er würde grausame Dinge tun und dies auch nur, um diese Welt in der Ballance zu halten. Einer falschen Harmonie eines Imperiums. Das Geschäft wurde nicht besser, so sehr man auch an Werte glauben mochte. Verus war seiner selbst entkernt worden und kannte viele Facetten der Menschen; mitunter auch nur die Schlechten. Erst Idun hatte ihm andere Emotionen offenbart und entzog sich seiner Kontrolle. Dabei suchte Verus stets nach Kontrolle in einer chaotischen Umgebung. Es war verrückt, dass gerade er, der verstand, wie willkürlich das Schicksal sein konnte, eigentlich eine feste Absicht hatte. Er wollte Kontrolle, damit er zuweilen Einfluss nehmen konnte. Doch diese Kontrolle kostete einen Preis. Einen hohen Preis für ein weiches Herz, dass in ihm schlug.


    Er musste ihr ehrlich antworten. "Ich werde dort jene Dinge tun, die mein Kaiser von mir verlangt oder auch nicht verlangt. Wir sind diejenigen Männer im Schatten, die ein Handwerk ausüben, welches das Imperium erst möglich macht. Wir schmieden Furcht und Angst," erklärte Verus seine Aufgabe mit Worten, die Idun verstehen konnte. Mit römischen Vokablen oder politischen Heucheleien musste er ihr nicht kommen. Natürlich würde sie auch politische Vokabeln verstehen aber Verus wollte ihr nicht falsche Ideale präsentieren, die nur Selbstbestätigung waren. "Als Prätorianer ist nicht der Schutz des Augustus meine Pflicht, sondern ich bin auch Garant für die Macht des römischen Staates. Wir tun das, was notwendig ist. Alles, was notwendig ist," fixierte er seine Geliebte und offenbarte damit auch seine ihm eigene Furcht. Seine Augen wurden glasiger und ein Echo seiner traurigen Vergangenheit erlaubte eine Berührung. "Du wirst meine Haussklavin sein und du wirst im Hause helfen. Ich werde dich als meine Cubicularia einteilen und du wirst mir zur persönlichen Verfügung stehen. Ferner wirst du mir helfen, unser Heim wieder aufzubauen und den Tiberii erneut ein Zuhause zu bieten. Ich habe nun mehr die Pflicht meiner Familie ein Licht zu sein, da sie ansonsten zerfällt. Du wirst mir helfen, ein Zuhause zu führen," erklärte er. "Rom ist nicht zu beschreiben. Du wirst es selbst erleben müssen aber sei gefasst, dass es eine Stadt der Illusionen, Lügen und des Betruges ist. Dort scheint vieles von Magie gelenkt oder es erscheint dir alles möglich aber bedenke stets, dass dort nur Menschen sind und keine Götter," warnte er seine Luna und legte ihr seine Hand auf die Schulter.

    Verus kehrte mit Reisegepäck ein und verweilte einem Moment im Vorzimmer, bis er hineingebeten wurde, um sich dem Schreiber des Präfekten vorzustellen. "Centurio Tiberius meldet sich, um Briefe und versiegelte Botschaften mitzunehmen. Ebenso, um dem Präfekten seine Achtung auszusprechen und sich vom Dienst in der Legio II abzumelden," erklärte der gealterte Verus militärisch knapp, während er auf den Schreiber an seinem Tisch herabblickte.

    Dieser Sklave war seltsam. Verus beäugten ihn noch kurz, bevor sein Bruder erschien. "Sieh' an," schimpfte Verus im Scherze und trat die letzten Schritte auf Merula zu. Auch der soldatische Bruder weitete seine Arme und fiel in jene Umarmung unter Familienmitgliedern. "Die Götter haben damit nichts zu tun...," gab der Tiberius seine gewohnt kritischen Worte zum Besten. Verus glaubte an nichts mehr, sondern diente schlicht. Es gab wenig, was ihn noch überraschte oder wirklich forderte. Sein Leben wäre leer, wenn nicht seine geliebte Idun wäre. Sein Bruder konnte nicht wissen, wie schlecht es um die Seele des erfahrenen Offiziers stand. Seine Erfahrung war der Preis der Verdammnis. Schließlich entließ Verus seinen Bruder aus der Umarmung. "Ich habe keine Geheimnisse vor den Männern aber wir können hinter das Wachhäuschen gehen," meinte Verus und deutete den Weg an, indem er seine Hand ausstreckte. "Dort," sagte er und nickte Merula zu. Beide gelangten durch das Tor zu einer kleinen Barracke, in denen die wachhabenden Legionäre saßen, um im Winter nicht zu frieren. Verus ging einen Schritt hinter die verputzte Wand, so dass sie aus der Sicht der anderen waren. "Was gibt es?" - fragte Verus konkret und machte bekannterweise keine Höflichkeiten, um eine Sache hinaus zu zögern. Verus zögerte nicht mehr, sondern handelte und so waren auch seine Fragen. Immer direkt und fordernd.

    Einen Glückwunsch? Verus verstand, was der Flavius mit den Prätorianern verband aber er selbst sah diesen Punkt völlig entgegensetzt. Scheinbar war der Flavius nicht mit den Schatten in einem Umfang in Berührung gekommen, so dass sich seine Meinung derart hoch halten konnte. Oder war es nur eine Höflichkeitsfloskel, die Verus falsch bewertete? Der Centurio war sich unsicher und reagierte sachlich mit einem knappen: "Danke". Insofern war die Aufgabe erledigt und Verus konnte sich wieder den Resten seines Alltagsdienstes widmen. "Ich denke, dass du den Abreistag als Tribun festlegen wirst. Du findest mich in meiner Stube, sobald du bereit bist," sagte Verus nüchtern und überging das herausreichende Lob, dass der Flavius bestens protektiert wurde. Für diesen Veteranen war nichts positiv am Kampf, den Prätorianern oder seinem zukünftigen Handlungen. Diese Welt war berechnend kalt. Verus wollte immer noch verdrängen, dass er bald das Schwarz tragen würde. Der Mann kramte die Wachstafeln vom Tisch und verschwand dann. Ohne weitere Unterredung verließ der angeschlagene Soldat das Amtszimmer und ging seine einsamen Schritte in Richtung seiner Aufgaben, die er zum letzten mal abwickeln würde. Noch eine Patroullie und eine Verhaftung, dann wäre Germanie erledigt. Mit ihm war auch ein beträchtlicher Teil von Verus erledigt.

    Verus schmunzelte breit und lachte dann auf. "Ich bin Tiberius Verus," gab er sich zu erkennen und ließ den Rebstock sinken, um sich einen Schritt vom Sklaven zu entfernen. Der altgediente Offizier hatte seinen Spaß gehabt aber dieser war an der arroganten Ruhe des Diogenes gescheitert. Verus wusste, wann er geschlagen war und wollte die Situation nicht in einen echten Konflikt verwandeln, so dass er schlicht am Sklaven vorbei blickte. "Der faule Hund soll aussteigen," erhob der Tiberius seine militärisch geschulte Stimme und hoffte, dass sein Bruder nicht mehr die selbstgerechten Tendenzen zeigte, wie früher. Auch ein Tiberius konnte zu Fuß gehen. Man hatte zwei Beine und die konnte man nutzen. Verus war kein Mann, der seinen Stand bewahrte oder regelmäßig zeigte. Im Militär war es ohnehin nicht notwendig, so dass Verus dieses Standesfreiheit erheblich genoss. Eitelkeiten waren Verus fremd, der Schlamm und Blut kannte.

    "Ave," grüßte Verus durchzogen von einem militärischen Gruß und trat näher an den Flavius heran. Er legte den Marschbefehl auf den Arbeitstisch des Tribuns und nickte diesem dann zu. "Ich werde nach Rom versetzt. Ich werde bald leidlich in den prätorianischen Kohorten dienen," sagte der Centurio wenig euphorisch und versteckte auch nicht seine wahre Emotion im Bezug zu den Prätorianern. Für ihn war es keine Ehre, wie für viele. Seine Mimik verfinsterte sich bei dem Gedanken daran, ein Meuchler und Schattenmann des Kaisers zu werden, der keinerlei Moral folgte, sondern allein der Machtpolitik eines Systems. Verus bemühte sich wieder seine Emotionen zu verstecken und kehrte wieder jene Sachlichkeit hervor, die ihm oft das Leben gerettet hatte. "Ich soll mit dir reisen, sobald deine Amtszeit hier endet. Ich werde dein Geleit sein," erklärte Verus monoton und seufzte dann doch. Nicht, weil ihn die Reise mit dem Flavius störte, sondern weil der Aufbruch schon zeitnah anstand. Er fürchtete die Ruinen seines Stammsitzes, die neuen Umstände und die fragwürdigen Aufgaben, die ansonsten erwarteten. Rom war kein glorreiches Ziel mehr für diesen Römer, der alles für einen einstigen Traum von einem strahlenden Rom geopfert hatte.

    "Rom," wiederholte Verus niedergeschlagen. Sollte er ihr offenbaren, dass er zu den Prätorianern ging? Jenen Schlächtern und Meuchelmördern, die im Dienste des Kaisers so manche Wahrheit getötet hatten. Verbrechen kannten sie aber wurden aber nie dafür belangt, da sie selbst über dem Gesetz standen. Die Prätorianer waren gelebter Terror, der auch Verus in Angst versetzte. Verus wollte sich nicht erneut belügen müssen und Rechtfertigungen zusammenbauen, die nur wenig bis garnicht funktionierten. Aber seine Pflicht zog ihn in deren Kreise und er würde sich der Organisation willfährig anschließen. Er hatte keine Wahl. Rom ließ ihm keine Wahl. Verus würde seiner Geliebten vorerst verschweigen, was er werden sollte und würde sie bei Zeiten mit gnädiger Hoffnung aufklären. Idun sprach tatsächlich einen anderen Punkt an und interessierte sich auch nicht weiter für den wahren Grund seiner Versetzung. In letzter Zeit schienen ihre Gedanken ohnehin konfus und wirr. Sie wanderten. "Er kannt mitkommen. Wir werden ihn als Haustier ausgeben, sofern er sich ein Halsband anlegen lässt," entschied Verus banal. Es war nicht unüblich, das wohlhabende Römer einen privaten Zoo hatten.

    Es gab nichts zu Erklären oder zu bestimmen. Beide wussten, was ihre Gedanken und Gefühle waren. Dennoch sprach Idun offen über etwas, was sie stets verborgen hatte. Ihre Hand auf seiner Wange, gab ihm Halt und erlaubte freies Verständnis eines Soldaten, der mehr geopfert hatte, als er hätte geben können. Doch in dieser Zeit war dies alles egal; in Wahrheit zählte für Verus in diesem Atemzug nur ihre Nähe und somit war gleichsam klar, dass all der Tod und die Grausamkeit, die ihm folgte, in ihren Augen bedeutungslos war. Er sah sie an und wusste nichts zu sagen. Der Mann, der alles versachlichen konnte, war sprachlos und versuchte nicht einmal eine Antwort zu präsentieren. Es gab genug Gründe an der Liebe zu zweifeln aber keiner dieser Gründe konnte beschreiben, was er fühlte und in ihr sah. In seinen Augen konnte sie etwas finden, was Verus verloren glaubte. Die Gewalt hatte seine Menschlichkeit still und leblos gemacht aber in diesem Augenblick erwachte sie. Sie erwachte für Idun, um sich ganz aus den Trümmern zu erheben, die einst ein mitfühlender Mann gewesen waren. Die Trümmer gaben sich auf und zerliefen in einem warmen Angesicht, welches erneut einen vorsichtigen Kuss anbot, bevor Verus wieder in die Realität finden musste. Auch um ihr Schutz zu sein. "Wir müssen bald nach Rom," erklärte er vorsichtig im Nachgang des Kusses, denn er wollte so ehrlich, wie möglich zu ihr sein. "Ich wurde versetzt." Verus selbst missfiel der Gedanke, nun bald aufbrechen zu müssen, denn er wusste, dass Rom mit jenem neuen Posten eine wahrlich höllische Aufgabe war. Auch würde er auch auf Luna achten müssen. Rom war fordernd und gefährlich zugleich. Idun kannte Rom nicht und würde es auch nicht verstehen. Selbst Verus, ein Römer, verstand Rom nicht vollens.

    Mit den Wachstafeln unter seinen zernarbten Händen, suchte Verus das Amtszimmer des scheidenen Tribuns auf, um sich mit diesem abzusprechen. Verus wusste nicht, ob es gut war, aufzubrechen und wieder schlicht der Pflicht zu folgen. Immer wieder war es die Pflicht, die ihn verdammte und dennoch hatte er nicht genug Seelenmacht, um sich von den Ketten zu befreien. Er war zu gut in diesem Handwerk und gaben ihm die eisernen Ketten der Legion Halt in einer Welt, die ihm zusehens undurchschaubar war. Verus wusste nicht mit sich umzugehen, fühlte sich verloren aber kämpfte. Er kämpfte mit Waffenmacht gegen Feinde, die ihm bestellt worden war. Er wählte nicht, sondern führte aus aber konnte den Zweifel nicht begraben. Niemals verging der Zweifel, sondern schlug in Wut um. Eine Wut, die gegen das Glück anderer gerichtet war. Missgunst folgte den Soldaten, die Neid gegenüber den freien Menschen hatten, die kein Blut an ihren Händen hatten. Auch Verus war neidisch. Insbesondere auf den Tribun, der in eine stabile Welt zurückkehrte. Seine eigene Welt waren Ruinen. Die Tiberii waren zerschlagen, ihr Stammsitz niedergebrannt und er selbst war ein scheinbar herzloses Wrack, welches an seiner eigenen Leere krankte. Doch der Centurio würde sich den Neid nicht anmerken lassen, sondern gewohnt der Pflicht folgen. Insofern klopfte er fest mit der Faust an, was ein dumpfes Hämmern am Holz erzeugte. Dann trat er ein, wie er es gewohnt war. Im Militär gab es keine verschloßenen für Offiziere seines Ranges. Es sei denn, es wurden Geheimnisse besprochen aber dann würde man eine entsprechende Tafel an der Tür anbringen.

    So begann ein neues Kapitel in seiner Geschichte und beendete das Fragmente, jene Scherbe, die hier lag und ihm ein kaltes Herz beschert hatte. Ein Herz, welches nur doch Idun gewärmt werden konnte. Sie war ihm Sanftheit, wo er Zorn war. Wo sie einsam war, war er Liebe für sie. Verus nahm die Schreiben auf den Wachstafeln entgegen. "Danke," sagte der Centurio trocken und sank dann auf seinem Bett zusammen, welches unweit in einem Nebenraum seiner Amtsstuben lag. Er musste die Zeilen nicht lesen aber tat es doch. Es schmerzte, dass sich ein leidvolles Leben auf wenige Sätze zusammendampfen ließ. Es schmerzte, so wenig Mensch zu sein, dass es nicht mal ein Buch füllte. Es gab wohl keine Rettung. Es hatte nie eine Erlösung gegeben. Leben war ungeschickt hingeworfen und willkürlich. Die wenigen Wunder dieser Welt waren diesem Mann verschlossen, außer einem wertvollen Wunder, der wahren Liebe. Keine Liebe, die Besitz war oder Anspruch auf einen Menschen erhob, sondern befreite und gar zauberhaft nicht mehr in dieser Welt weilte. Menschenmacht zerbrach daran. Verus ging noch einmal seine grausame Zeit in der Legio II durch. Es gab hier nichts mehr zu gewinnen und eigentlich gab es nie etwas für ihn zu gewinnen, wenn man in der Schlacht bereits seine Ideale verloren hatte. Titel und Würden lockten Verus nicht, der schlicht nach einem suchte: Kontrolle über sein Herz. Nicht im Sinne einer potenten Macht, sondern schlicht einer Abschätzbarkeit von Entwicklungen. Ihn überraschte nichts mehr, so dass jede Grausamkeit für ihn vorstellbar war und seine Seele mit einem dunklen Schatten vergiftete. Eine Ironie war es, dass ausgerechnet er zu jenen Kohorten gehen sollte, die für ihre Grausamkeit bekannt waren. Die Prätorianer waren ein Terrorinstrument des Kaisers, welches im Geheimen meuchelte oder schlicht die Umstände nutzte, um die politische Macht als solches aus dem Nichts zu erschaffen. Jene Macht von der ein Augustus genährt wurde. Es war Furcht vor der Macht, die jene Menschen gefügig hielt. Verus würde ein Mann werden, welcher alles tun musste, um einer berechnenden Ratio der Macht zu dienen. Ihm war klar, was es bedeutete, ein Prätorianer zu werden. Eine neue Hölle aber mit dem gleichen Feuer, welches frostig brannte. Bereit war Verus nicht aber dennoch kam die Zeit. Er musste sich aufraffen, schob die Tafeln zusammen und verließ seine Zimmer, die ihm viele Jahre gedient hatten.

    Verus war es egal, ob diese Welt eine Lüge war oder eine Illusion, denn was sie für diesen Moment hatten war wahr. Der Römer verstand für eine Sekunde an Epiphanie die Zusammenhänge dieser Welt, indem er in ihre Augen schaute. Der Kuss gab ihm jene Gewissheit, dass alles seinen Zweck hatte und auch in der unsäglichen Bedeutungslosigkeit, ein Wunder lag. Idun und er hatten sich gefunden. Dies war mehr als er sich jemals erhoffen konnte und somit war sie ein Wunder, welches ein Leben, das von Pein und Schrecken geplagt war, mit Wärme anzufüllen wusste. Sie war sein aufgehender Mond in der Nacht, welcher ein schönes Licht war und stets einen baldigen neuen Tag verhieß. Idun war Leben. "Du offenbarst...," stammelte Verus zwei Worte zu recht und küsste sie erneut mit fester Absicht, diesen Moment nicht ohne Gefühl vergehen zu lassen. Ihre Lippen mussten gespürt werden, um die Wahrhaftigkeit mit Tat zu bekräftigen. Denn ihre gemeinsame Zeit war kurz, da die Cena unlängst beginnen würde.

    Ein kleines Zimmer war die Trutzfestung ihrer Hoffnung. Die kleinen Dinge waren ihr Paradies, während die Welt die großen Dinge als Waffen verbarg. Ihre Armen umwanden seine geschundenen Körper, der immer noch viele Narben trug. Der Hals bot vorsichtige Einsicht in den Zustand seines Lebens. Eine Narbe zog sich am Hals entlang, während auch seine Hände durch viele Schnittnarben gezeichnet waren, wie durch ein Muster. Diese Hände streckte er aus, um seine Geliebte zu spüren, wie sie ihm nahe war. Sie drückte ihn an sich und ihre Stimme durchbrach seine Stille, ließ ihn verliebt zurück und die Kreatur, die er geworden war, konnte zeigen, ein Mensch lebte noch. Ein jugendliche Zeitlosigkeit wollte keine Pein sein aber doch war in dieser Liebe ein bitterer Geschmack, da beide keine unendliche Lebenszeit mehr hatten, um eine Ewigkeit zu füllen. Ihnen blieben nur Momente der Sehnsucht. Verus wollte sich nicht als Soldaten präsentieren und ihr noch nicht einmal berichten, was geschehen war. Es war nicht wichtig. Nicht einmal, dass sie nach germanischer Sitte verheiratet waren. Dies waren nur Gedanken von Sterblichen, um einen Status zu beschreiben aber dieser Status brauchte keine Beschreibung. Beide fühlten es und das war Wahrheit genug. Mit einer sanften Bewegung richtete Verus ihren Kopf auf, um sie liebevoll auf den Mund zu küssen, da Worte niemals genug waren, um zu beschreiben, wie sehr sie ihm ein Licht im Dunkeln war.

    Verus sah den Einbruch des jungen Mannes aber setzte nach. Mit einem Stoß seines schweren Weidenscutums versuchte der Centurio das Gleichgewicht des Rekruten zu brechen und mitsamt eines Fußtrittes im Ansatz der Beine seines Gegenübers die Person aus dem Stand zu bringen. "Kämpfe," rief Verus verbittert und spuckte dabei einige Tropfen Speichel in die Luft. "Kämpfe," brach seine eigene Stimme in der Lautstärke. Schweißperlen fielen über seine Wangen. "Der Feind kennt auch keine Gnade und wird alles gegen dich werfen, was er besitzt," offenbarte der Centurio seine eigene Wut und seine Erfahrungen. Er zügelte sich nicht mehr. Das Gesicht zeigte den kalten Wahnsinn des Krieges, als Verus das Scutum abstellte. Ihn kümmerte das würgende Geräusch des Tiro nicht. Viel wichtiger war die Lektion, die der Centurio vermitteln wollte. Nicht nur an die an alle Neulinge, sondern auch an die Veteranen. Krieg kannte keine Sieger, sondern nur Überlebende. Man musste kämpfen oder verging. Es gab keinen Königsweg der Erleichterung, sondern nur eine mutige Handlung. Schmerz war ein wichtiger Teil der Lektion, damit dieser Tiro niemals vergaß, was er nun war und wo er sich befand. Verus wunderte sich über sich selbst, dass er immer noch so verbittert war. Die frostige Kälte ließ seine Lippen beben, während die Augen dezent hervortraten, um die Situation wie in Zeitlupe zu betrachten. Seine Hand spürte das Holzgladius, dessen Griff von seinen Fingern fest umspielt wurde. Die andere Hand wurde zur Faust, welche die Finger fest vergrub. Verus wusste, dass er mit einem echten Schwert sein Gegenüber nun getötet hätte und dieser Stich schon oft das Leben eines Feindes beendet hatte. Er spürte wieder das Blut, welches über seine Hände lief und roch die Körperflüssigkeiten. Der Tiberius sah wieder jene Augen, deren Leben er genommen hatte. Diese eine Sekunde, wo sich die Pupillen weiteten und dann verfielen. Die Gesichter huschten vorbei und baten um Zorn, den Verus nur noch müde aufrecht halten kannte. Er war müde. Nicht des Kampfes aber der Erinnerung. Verus war ein guter Soldat; ein sehr guter sogar, der mit einer einzigen Bewegung gezielt und akurat töten konnte. Stille kehrte auf dem Platz ein, als die anderen Anwärter ihre Kämpfe unterbrachen, da dieser Zwischenfall nicht ins Bild passte. Er war überzogen aber der Optio trat auf, um die Anwesenden mit Verständnis aufzuklären. Doch die Worte des Optios konnte Verus nicht vernehmen, da etwas in seinen Ohren dröhnte. Sein eigenes Blut kochte und ließ nicht viele Gedanken, während es mächtig durch seine Adern pumpte. Wenn Verus nun Mauern um sich bauen könnte, würde er es tun. Er würde die Mauern gestalten aber dennoch blieben es Mauern. Mauern boten Sicherheit und wehrten vergängliche Dinge ab. Doch die Mauern wollten sich nicht erbauen. Sie funktionierten nicht mehr. Denn der Tod grüßte bereits und bat nicht mal um Vergebung. Die Erinnerung in der Zeit war kein Glück. Sie zeigte in vergangen Stunden nur Verlust des eigenes Verstandes, der nicht mehr erfassen konnte, was man geworden war. Nicht einmal eine Träne wollte eine Antwort sein. Verus reagierte mechanisch und richtete seine Waffe erneut auf die Kehle des Tiro, der an eine traurige Bestie geraten war, die mehr Krieg in den Knochen hatte, als Leben. Es dauerte einige Atemzüge bis der Verstand wieder die Kontrolle über den Drill gewann und die Handlungsabläufe unterbrach, die Iosephus gerade gebrochen hatten. Verus würde sich nicht entschuldigen, denn es gab keine Schuld unter Kriegern. Iosephus wollte Maschine werden und somit sollte er auch sehen, was aus ihm werden würde. Er würde die Handlungsabläufe perfektionieren und auch in der ersten Schlacht sein Herz zerschmettern, um gleichsam wie seine Kameraden in Linie zu stehen. Rom war Macht. Und die Legionäre waren machtlos gegenüber der Welt. Es schmerzte nicht einmal mehr, sondern war natürlich. Angewidert von sich selbst, ließ Verus die Übungswaffe sinken und gab sie seinem Optio, der Verus aufrichtig zu nickte. Der Centurio blickte in die Gesichter der Anwesenden. "Krieg kennt Gnade. Niemand kann euch nur annähernd auf den ersten Stoß in den Leib eines Feindes vorbereiten aber wir können euch alle schulen, damit ihr das Richtige tut und überlebt. Niemand wird sagen können, wie es sich anfühlt aber ich kann euch sagen, dass es nur eine Entscheidung im Kampf gibt: Sieg oder Tod," war die kurze Ansprache in die gefassten Gesichter. Verus spuckte in den Staub und wischte sich dann den Schweiß von der Stirn, während er einen Schritt von Iosephus wegtrat. "Übung beendet. Marschübung beginnt," befahl Verus und deutete auf den Optio, der übernehmen sollte. Verus selbst entfernte sich mit langen aber langsamen Schritten. Er hatte genug. Seine Finger zitterten und auch die Augen waren wieder leer eingefallen und verfolgt von sich selbst. Der Mann war zu gut als Kämpfer aber zu schlecht in allen anderen Dingen dieser Welt.

    Und wieder dieses schändliche Theater, welches sie aufrecht erhalten mussten. Es traf Verus, der mit Mühe seine Maske erhalten konnte. "Salve, Luna." Es missfiel ihm selbst noch immer, dass sie ihn Dominus nannte. Er war nicht ihr Meister, obwohl es rein rechtlich wohl stimmte. Verus fühlte sich nicht als ihr Herr und dieser Zustand untergrub seine Zuversicht für diesen Abend. Er wollte sie aufrichtig lieben und dies auch zeigen. Nicht mehr verbergen. Dennoch musste es verborgen werden, um die Liebe der beiden nicht zu gefährden. Die Gesellschaft hatte keine Gnade und Rom würde nicht verstehen. Die Legion hatte es bereits nicht verstanden. "Ich freue mich, dich zu sehen," erklärte Verus mit einem liebevollen Funkeln in den Augen, welches auch seine Lippen spitzen ließ. Ein nicht gegebener Kuss, der magisch und heimlich nur für Idun zu erkennen war, weil sie ihm nahe stand. Verus folgte bereits mit einem Schritt in die angebotene Richtung und legte wieder sein militärisches Gesicht auf. Eine Maske, die er beherrschte und diese fiel ihm einfach. Eine Maske, die herzlos wirkte aber nicht herzlos war. Denn jeder der Verus wirklich kannte, wusste das dieser Mann ein warmes Herz besaß. "Ja, ich bleibe," war die Antwort. Sein Herz schlug heftig in ihrer Nähe, so dass sich seine Atmung leicht erhöhte.

    "Ich verstehe," antwortete Verus knapp. Natürlich konnte seine Brandrede gegen gewisse Erfahrungen als Unterstellung gegen die Führung verstanden werden aber war so nicht gemeint. "Ich habe auch keinen Zweifel bei deiner Stelle vermutet," klärte der Tiberius auf und hoffte damit einen versteckten Vorwurf zu zerschlagen, den er wohl unbewusst unterbreitet hatte. Kommunikation außerhalb der militärischen Routinen fiel Verus schwer und war mitunter nicht immer erfolgreich. Doch war das Gespräch wohl beendet, auch wenn Verus sicherlich noch ein paar Worte zu wechseln hatte. "Ich danke dir," schloss der Soldat dennoch ab und ließ weitere Sätze fallen, damit der Präfekt nicht unnötig mit emotionalen Befindlichkeiten abgelenkt wurde. Immerhin ging es hier nicht um eine Emotion, sondern um seine Funktion als Centurio. Wenn Verus eines gelernt hatte, sich zu fügen und so fügte er sich erneut unter einen gedachten Zwang. Es war jenes Pflichtgefühl, welches ihn stets in Unglück und Selbstverachtung trieb. Verus war ein Paradoxon; ein charakterlicher Widerspruch, der sich nicht einfach auflöste, sondern schlicht durch Umstände zusammengehalten wurde. Auch diese Umstände schafften - trotz ihrer Schwierigkeiten - erneut einen sachlichen Zwang zum Weitermachen. Verus konnte sich wieder auf den Moment besinnen. Der Centurio erhob sich und nahm Haltung an. "Jawohl. Danke, Präfekt," verabschiedete er sich militärisch korrekt mit dem römischen Gruß. "Ave!" - donnerte seine Stimme, bevor er die Amtsstube verließ. Im Gehen dachte er an Luna und seine zukünftige Aufgabe in Rom. Sorgen mischten sich in seine Gedanken ein.

    Zitat

    Original von Luna


    Luna nickte. „Ich werde ihn fragen.“ sagte sie. Dann schon gab sie einen Sklaven Bescheid, der den Tiberius unterrichten würde. Ein weiterer Sklave erschien, mit frischen Handtüchern, einer frischen Tunika und Badeutensilien bewaffnet. Er war bereit den Flavius zum Badehaus zu begleiten und ihm dort zur Hand zugehen. Unterdes gab die Köchin schon Anweisung wer welche Aufgabe hatte und welche Vorbereitung für das Essen getroffen werden sollten. Es dauerte nur Augenblick und in der Casa des Tribuns herrschte rege Betriebsamkeit.
    Luna sah den Flavier an und sagte leise. „Ich bin wirklich froh, dass die Verhandlungen so gut gelaufen sind und ihr alle wohlbehalten wieder hier seid.“ Nicht das sie zweifel daran gehabt hatte, aber ein gewisser Unsicherheitsfaktor war da doch immer. Es gab immer einige, die ihre eigenen Ziele verfolgten. Aber Gunar war ein guter Anführer, der es seit Jahren schaffte die Stämme zu einen und unter Kontrolle zu halten. Möge sein Arm noch lange stark genug sein.
    Luna wandt sich nun ihren Aufgaben zu, bis Verus eintraf würde sie natürlich bei den Vorbereitungen helfen.


    Und so tauchte Verus alsbald auf, nachdem er gerufen wurde. Er trug die einfache Kluft des Alltagsdienste und war wohl nicht ansprechend für eine Cena gekleidet. Verus legte nicht mehr viel Wert auf Mode, denn soldatische Tugend war Einfachheit. Verus trat durch das offene Eingangsportal, um an die innere Porta zu klopfen, um empfangen zu werden. Der erfahrene Krieger war nervös und suchte in seinem Herzen nach einer Stärke, seiner Geliebten mit aufrichtiger Seelenstärke zu begegnen. Er wollte heute nicht zweifeln oder verängstigt sein. Verus wollte für sie ein Lächeln bereithalten und für den Tribun eine gewisse Würde, die er ihn lehren wollte. Auch in der Hölle könnte man seine Würde behalten, indem man sich selbst fand. Verus hatte sich gefunden, auch wenn er noch Fragmente seiner selbst suchte aber wohl nie wieder finden würde, da diese auf Schlachtfeld lagen.


    Welch' Zufall bot sich dem alternden Verus, der gerade seine übliche Patroullie durch das Lager machte, um die Posten seiner Männer zu überprüfen. Heute waren einige seiner Untergebenen zur Wache eingeteilt und so suchte Verus in seiner einfachen Montur eines Centurios (rote Tunika und feste caligae, cingulum militare mit Pugio und Vitis, dem Rebstock der Disziplinargewalt) das Tor auf, um die Soldaten bei der Arbeit zu kontrollieren. Ein Sklave stellte einen Tiberius vor und begehrte Einlass, um den bekannten Centurio Tiberius Verus aufzusuchen. Verus selbst schmunzelte als er die Worte des Sklaven vernahm und trat an den Wachen vorbei. Diese nickten ihrem Centurio zu und der Wachhabende grüßte mit einem ehrgebietenen "Centurio", während Verus mit einer Handgeste weitere Handlungen der Soldaten unterband. Verus zog seine Vitis vom Gürtel und deutete auf den Sklaven. "Was wünscht jener Tiberius vom Centurio?" Er selbst musste breit grinsen, da er seinen Bruder Merula sehr wohl kannte und sich gerade einen zynischen Spaß erlauben wollte. Mit festen Schritt trat er vor Diogenes und baute sich mächtig auf. Die athletische und muskelbepackte Kriegerstatur des alten Veteranen kam zum Vorschein, während der Stock drohend vor dem Gesicht des Sklaven lag.

    Der Angriff des Tiro wurde mit einer schiebenden Bewegung des Weidenschildes des erfahrenen Veteran unterbrochen und der Stich versank im Nichts neben Verus. Verus wog ein wenig Kraft auf, um die Abwehr gegen den erschöpften Rekruten aufrecht zu halten.


    Verus führte die letzte Bewegung aus und verweilte in einem festen Stand vor seinem Übungsgegner. "Gut, beginnt mit euren Übungen," befahl der Centurio mit einem flappsigen Tonfall und nahm eine etwas leichtere Position ein, indem er das Schild etwas absenkte. Die anderen Rekruten begannen mit ihren Übungen, die jeweils jene Bewegungsfolge wiederholten, die Verus mit Licinius gerade vorgemacht hatte. Verus hingegen gönnte seinem Kampfopfer eine kurze Verschnaufpause. "Gute Arbeit," lobte der Offizier den gegenüberstehenden Rekruten. "Du musst nur gerade stechen. Versuche eine gerade Bewegung an deinem Schild vorbei. Schiebe mit deinem Scutum gegen das Schild deines Feindes und steche dann schnell zu. Zögere nicht und ziehe den Arm sofort zurück," erklärte Verus und hob den Schild noch einmal an. "Noch mal," forderte er den Jüngling auf, um erneut seine Fähigkeiten zu beweisen. Verus machte sich bereit, würde dem Rekruten aber eine Finte stellen, indem er sein Scutum nach Innen wandte und mit einer hektischen Bewegung über die Sichtkante stechen würde. Das Holzschwert würde im Halsbereich des Gegners landen, der durch seine nach vorne fallende Stichbewegung, zwangsläufig für einen solchen Angriff verwundbar war.

    Verus Befürchtungen wurden bestätigt, was seine Laune nicht erheblich aufwertete. Seine durch Schicksal gebundene Weltsicht wollte sich nicht erhellen und somit fügte sich der Offizier in diese Pein, um diese zu erdulden. Im Krieg und im Praesidio hatte er gelernt, geduldig jeglichen Schmerz zu ertragen, bis Eis und Frost die schrecklichen Gefühle erfroren. Zeit war wie Eis und ließ vieles zerfallen aber trotzdessen konnte die Gegenwert mit ihrem Feuer, das Eis zum Schmelzen bringen. Auch ein brennendes Herz, welches in Liebe schlug, zertrümmerte den Eispanzer um Herzen. Verus war beides widerfahren. Der Römer fühlte sich verraten. Nicht von Rom oder der Legion, sondern von sich selbst. Wieder stand er nicht zur Wahrheit seiner Seele, sondern fügte sich in Gefolgschaft. "Vernunft ist ein guter Ratgeber," meinte Verus zynisch und spielte damit auf die geteilte Analyse an. Rom war wohl doch schmutziger und grausamer als seine alten Ideale verhellen konnten. Rom war zwar auch ein Licht aber auch ein Licht konnte die Sicht blenden. Verus Sicht war jedoch nicht mehr geblendet, sondern er sah nun auch den Schatten den jenes Licht auf die Menschen warf. Es war eine familiäre Hölle: bekannt aber unlösbar. "Ich gehe vorbereitet," entfiel es ihm. "Ich bin nicht naiv oder gutgläubig, Präfekt." Er nickte Licinus zu und strich sich dann über die Handaußenfläche seiner Rechten mit der linken Hand, um dann schließlich auf einen Schmerzpunkt im Schnittpunkt zwischen Daumen und den restlichen Fingern zu drücken. Er wollte sich vergewissern, noch in der Realität zu sein und verdrängte mit diesem natürlichen Gefühl eines Druckschmerzes seine fatalistischen Gedanken, um sachlich zu bleiben. Der Tiberius kannte die römische Politik und würde sich nicht unwissend in das Moloch begeben. Er trat sogar an, einige Probleme dieser Gesellschaft zu lösen und zwar durch geschicktes Handwerk. Als Offizier wusste er Probleme strategisch anzugehen und mit Fokus Fallstricke zu beseitigen. In seinem Leben gab es viele Fallstricke, die er alle durchschneiden konnte. Dies jedoch niemals ohne einen Preis zu zahlen. Verus hatte in falschem Eifer gerne mit Blut bezahlt; vornehmlich das anderer. Sein altgedienter Vorgesetzter machte ihm sogar ein gutes Angebot, welches fast schon ein Geschenk war. Verus konnte sich wieder verstecken und würde in einem einfachen Dienst vergehen können. Der Veteran überlegte in der Tat, ob er das Angebot annehmen sollte. "Ich kann vieles, Präfekt. Ich habe an der Grenze ermittelt. Ich habe an verschiedenen Kampfhandlungen, insbesondere Dacia und zuweilen auch an Kampagnen im germanischen Raum teilgenommen und bin sicherlich in vielen Bereichen erfahren aber ich bin niemals vor der Pflicht geflohen," erklärte Verus einleitend und fasste seine recht beschauliche Karriere zusammen. "Dein Schreiben ehrt mich und würde sicherlich für einen einfachen Einstand sorgen aber mir ist wichtig, dass man meine Person als das eingesetzt wird, was für richtig befunden wird. Als Soldat diene ich auf einem befohlenen Posten, wie eine Kriegsmaschine und am Ende macht es das auch einfacher, wenn wir selbst keine Wahl haben. Keine Wahl zu haben, befreit uns von Zerwürfnissen. Es erlaubt uns, frei in der Sache zu agieren, weil es befohlen wurde," sagte Verus und gab seine Perspektive frei, die von einem bissigen Nihilus begleitet wurde. "Wenn ich Wünsche offenbare und mich besser stelle als andere, pervetiert es den Dienst und den Eid, den wir geleistet haben. Ich erwarte als Offizier Dienstreue und Aufopferung aber nehme mich selbst davon frei? Eine Centurie ist nur so gut, wie ihr Centurio, der stets in bester Tapferkeit und Selbstaufopferung handelt. Ich kann nur Disziplin verlangen, wenn ich selbst Disziplin aufbringe. Ich bin nicht korrupt und lasse mich nicht verkaufen für ein bisschen Freiheit. Am Ende soll mein Name nicht mit Trägheit verbunden werden," hielt er eine Brandrede und meinte diese insgeheim gegen Rom zu richten, das ihm diese neue Sachlage beschert hatte. Licinus war nur der Leidtragende als Zuhörer. "Dennoch möchte ich dich bitten, dass du ein ehrliches Schreiben mit meinen Erfolgen, Misserfolgen und Talenten aufsetzt, welches ich vorzeigen kann," bat Verus schließlich, um seinen Präfekten zu verprellen und ebenso für sich einen Abschluss unter der Legio zu finden. Es gab kein Entkommen aus der Pflicht. Nicht mehr für ihn. "... ein Abschluss für diese Karriere." Verus schloss die Augen und verzog seine Lippen zu einer resignierenden Maske.