Ich ließ die Demütigungen über mich ergehen. Die Ohrfeige. Den fremden Speichel in meinem Gesicht. Denn das alles.. es gehörte dazu. Es gehörte zu der Rolle. Der Rolle, die ich hier zu spielen gezwungen war. Ich war keine stolze Römerin. Eine Ritterin. Die Frau eines Senators. Nein. Nein, zur Zeit war ich nicht stark. Ich war schwach. Ich war, was ich nie sein wollte. Ein Opfer. - Aber auch ein Opfer prägte sich ein. Merkte sich. Erinnerte sich später. Und dann, später, wenn ich meine Rolle abgelegt hätte.... Man sah sich ja immer zweimal im Leben.
Bis es irgendwann soweit war, musste ich aber erstmal durch dieses Verhör kommen. Durfte nicht aus meiner Rolle fallen. Musste weiter sein, was ich zutiefst verachtete. Ein Opfer. "Ich gestehe! Ja, ich war umtriebig." Ich stellte mir vor, wie enttäuscht mein Vater von mir wäre, wenn er das hier miterleben würde. Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg. Ich schluchzte ein paar mal. Dabei hörte ich mir an, wie der Folterer thematisch zu den Helvetiern überging. Und wie er mir zwischen den Zeilen auch eine Affäre mit Commodus unterstellte. Aber solange er nur Andeutungen machte, beschloss ich, dass der Ausnahmezustand, in dem sich meine Opferrolle befand, zu groß war. Diese Andeutungen gingen an mir vorbei.
"Commodus?" Ich tat überrascht. "Natürlich kannte ich ihn sehr gut.." Erst als ich diese Wortwahl des Prätorianers wiederholte, da stutzte ich. "..kenne ich ihn sehr gut." Er lebte doch noch. Oder? "Ich habe eine sehr enge Beziehung" Absicht, dass ich genau das Wort wählte. "zu ihm aufgebaut, als ich nach dem Tod meines Vaters aus Alexandria nach Italia gekommen bin." Ich schluchzte nochmal. Dann erinnerte ich mich, dass ich schon eben gefragt wurde, was ich über Commodus und Varus wusste. Also holte ich einfach mal ein bisschen aus. "Damals bin ich in Ostia in der Casa Helvetia untergekommen. Mein Vetter Helvetius Ocella hat mich damals empfangen. Und er hat sogar extra für mich eine kleine Familienfeier veranstaltet. Eine Familienfeier, bei der ich eben auch meine beiden Vetter Commodus und Varus kennengelernt hab. Später bin ich dann natürlich weiter nach Rom gereist. Zu meinen sergischen Verwandten. Helvetius Ocella ist in Ostia geblieben. Aber meine beiden Vetter Commodus und Varus lebten auch hier in Rom. Die hab ich also häufiger noch gesehen. Dabei ist mir besonders mein Vetter Commodus sehr ans Herz gewachsen. Mein Lieblingsvetter." Ich ging natürlich stark davon aus, dass ein großer Teil dieser Geschichte nicht neu war. Besonders meine Verwandtschaft mit den Helvetiern (meine Mutter war ja bekanntlich eine Helvetia) stand sicherlich in jedem einzelnen Prätorianerbericht über mich. Mehrfach. Oder? Denn unter diesem Präfekten dienten ja keine Schlampersäcke, die so ein wichtiges Detail einfach übersahen. Richtig?
Wieder ein kleines Schluchzen. "Natürlich war ich dann auch häufiger bei meinen Vettern mal zu Besuch. Genauso wie ich auch meinen Onkel Modestus besucht hab. Später. Als er sich von seinen Kriegsverletzungen erholt hatte und wieder hierher in die Urbs in die Casa Annaea gezogen ist." Sicherlich nichts, was man mir objektiv vorwerfen konnte. Dass ich häufiger mal meine Verwandten besuchte. (Wären die Helvetier keine Verwandten. Und stünde davon auch nichts in irgendeinem Prätorianerbericht. Dann.... Aber als wenn ausgerechnet den Prätorianern diese Verbindung durch die Lappen gerutscht wäre. Richtig?) "Ich hab mich dann irgendwann mit Marcus Dives von den Iuliern verlobt. Und da muss es gewesen sein, dass der Senator Helvetius Geminus gestorben ist. Der Senator, dem das Grundstück gehört hat, was jetzt mir gehört.", ging ich dann auf die Frage nach dem Land ein. (Wie Commodus mir das Land beschafft hatte?? Der Prätorianer schien wirklich nicht zu wissen, wie es gewesen war.) "Marcus war dann nämlich Vigintivir, als mein Vetter Commodus nach Misenum gefahren ist, um da alles Nötige zu regeln. Und dabei hätte er fast die Frist verschlafen, um als Enkel des Senators dessen Erbe auch offiziell anzunehmen. Da hab ich mich dann natürlich eingemischt und einen Deal zwischen meinem Verlobten und meinem Lieblingsvetter vermittelt. Und zum Dank dafür hab ich das Anwesen bei Misenum bekommen. Während Commodus die anderen Ländereien seines Großvaters selbst behalten hat." Bei so viel zu erzählen, trockneten meine Tränen langsam. Aber solange ich nicht angeblafft wurde, war das bestimmt auch okay für meine Rolle. Außerdem wollte ja bestimmt auch der Prätorianer, dass meine Rolle redete. Und er nicht vor lauter Tränen und Schluchzen kein Wort mehr verstand.
Ich schluchzte trotzdem nochmal. So ganz wenig. Wie man eben noch so ein kleines bisschen schluchzte, wenn das große Heulen vorbei war und man sich langsam wieder beruhigte. "Was ich sonst noch von den Aktivitäten meiner Vettern mitbekommen hab.. ähm.." Ich überlegte kurz. "Dass sie genauso verrückt nach der Factio Praesina sind, wie mein Mann nach der Veneta. Mein Vetter Varus ist sogar irgendwie der stellvertretende Chef bei den Grünen geworden, glaub ich." Ich selbst interessierte mich für dieses stumpfe im-Kreis-Gefahre leider absolut nicht. Deswegen konnte ich viel mehr dazu auch nicht sagen. "Das "sogar" sag ich deswegen, weil.. Varus hat sich irgendwann immer mehr zurückgezogen. Hat lieber einen Winzer auf dem Land gespielt, als der Familie und dem Staat zu dienen. Bevor ich als Prokuratorin an die Kanzlei gekommen bin, hat ihn mein Vorgänger noch in den Ritterstand erhoben. Aber auch das hat ihn nicht wieder zurückgeholt. Wie man sieht." Nochmal ein trockenes Schluchzen. "Commodus und ich haben mehr als nur einmal darüber geredet. Und das letzte, was er da so über unseren Vetter gesagt hat, war sowas wie.. Varus weiter zu helfen und zu unterstützen, lohnt die wertvolle Zeit nicht." Im Klartext: Das letzte Bild, das ich von meinen beiden Vettern Commodus und Varus hatte, war das.. dass sie einander egal waren. Der eine träumte seinen Traum vom bäuerlichen Winzerleben. Der andere konnte damit genauso wenig anfangen wie ich.
Ja. "Aber auch zu Commodus hab ich irgendwann den Kontakt verloren. Das ging los.... Eigentlich fing alles mit diesem Duccius an." Ich weigte mich, ihn einen Konsular zu nennen. "Denn Commodus fand es eine tolle Idee, sein Tirocinium Fori bei dem zu machen. Er als Enkel eines Senators. Bei einem Germanen." Ich musste mich stark zusammenreißen. Meine Rolle war die Opferrolle. Und Opfer blickten nicht abwertend auf die Entscheidungen von anderen. Also spulte ich einfach den Teil eher etwas monoton ab. Wie eine Aufzählung. Eine Aufzählung von Fakten. "Darüber haben wir uns mehrmals gestritten. Commodus und ich. Besonders als Commodus sich zum Vigintivirat beworben hatte. Denn da war der Duccius Vorsitzender im Senat und hat die Wahlen aussetzen lassen. Und hat damit alle Pläne von Commodus über den Haufen geworfen. Und trotzdem hat mein Vetter ihn immer wieder verteidigt. Das hab ich einfach nicht verstanden. Bis heute nicht." Absicht, dass ich ihn jetzt in meiner Erzählung nicht mehr als Lieblingsvetter betitelte. Denn den Konflikt hatten wir nie aus der Welt geschafft. Nur aus unserem Blickfeld verbannt. Da war er aber trotzdem noch. Unsichtbar zwischen uns. Bis heute. "Er hat mich trotzdem noch mal in Misenum besucht. Weil er sehen wollte, was ich aus dem Anwesen seines Großvaters gemacht hatte. Aber danach haben auch wir uns dann aus den Augen verloren. Das letzte, was ich gehört habe.. dass er irgendwann doch noch zum Vigintivir vereidigt wurde." Ein kleines bisschen Enttäuschung war in meinen Worten. Denn eigentlich mochte ich Commodus sehr. Aber der Duccius.. mein Sohn.. mein jetzt Ehe-Mann.. Das waren einfach ein..zwei Dinge zu viel. Da müsste er erst wieder was gutmachen. Früher kriegte er seinen Status als mein Lieblingsvetter nicht zurück.
Varus abgehakt. Commodus abgehakt. Varia. "Ähm.. Wenn diese Varia eine Amazone ist, dann kann es sein, dass ich sie doch kenne.", gab ich ehrlich zu. "Nach meiner Hochzeit war Commodus bei Marcus und mir zu Besuch.. und war ganz stolz darauf, dass er so eine halb nackte Frau als Leibwächterin hatte. Zuerst dachte ich, dass er sie uns irgendwie schenken wollte. Es hat sich aber zum Glück herausgestellt, dass er sie einfach nur präsentieren wollte. Weil er es anscheinend toll fand. Sein Tirocinium Fori bei einem Germanen. Eine Amazone als Leibwächterin." Ich machte eine Geste mit der Hand. Der Prätorianer konnte sich ja bestimmt denken, was ich meinte. (Und dass ich selbst diese Amazone genauso großartig fand wie sein Tirocinium bei einem Germanen.) "Er scheint das.. sehr zu mögen. Dieses Außergewöhnliche. Auch wenn es in der Praxis nicht immer praktisch ist." Ich hatte patrizische Ahnen. Und es gab Bereiche (nicht überall), wo das (fand ich) auch wirklich durchschlug. Wo ich sehr konservativ war. Zum Beispiel bei Sklaven. "Möglich, dass ich dieser Amazone danach noch ein..zwei Mal über den Weg gelaufen bin.. immer wenn ich mich mit meinem Vetter Commodus getroffen hab. Aber mehr weiß ich wirklich nicht über diese Amazone. Ich hab mich nie für sie interessiert. Noch habe ich jemals ein Wort mit ihr gewechselt." Vielleicht hatte ich mal etwas gesagt, wenn sie mir im Weg stand. Möglich. Aber daran erinnerte ich mich nicht. Denn Sklaven waren mir eben im Grunde herzlich egal.
Ich machte die Augen zu. Presste sie zusammen, als der Prätorianer wieder damit anfing. Ich wäre nicht unschuldig. Er glaube mir nicht. Rom glaube mir nicht. Meine Kinder glaubten mir nicht. Ich schüttelte den Kopf. Ich dachte an meinen Vater. Caius! Ich dachte an sein Lächeln. An sein Lachen. Dachte zurück an unser gemeinsames Leben in Alexandria. Oh, Caius! Ich fühlte die frischen Tränen, wie sie über den salzigen Film der getrockneten alten über meine Wangen liefen. "Ich sage die Wahrheit!" Zwei Geständnisse sollte es geben? "Man will mir etwas anhängen!" Aber wer? Wer versuchte, mich da so in den Dreck zu ziehen? Der.. Präfekt sagte ja bestimmt nicht in seinem eigenen Fall aus. Den schloss ich also irgendwie aus. Aber bevor ich weiter grübeln konnte, kam die Frage nach den Nutznießern des Aufstands. "Nicht ich." Ich schluchzte. Denn was auch brachte mir dieser Aufstand? Nichts. "Aber.." Varus? Der sich eh für nichts zu interessieren schien, was nicht an irgendeiner Rebe wuchs und nach Weinbeere schmeckte? Selbst seine Erhebung in den Ritterstand war ihm ja (ich erwähnte es) anscheinend völlig egal gewesen. Der strebte nicht nach Macht. Nicht nach Geld. Nicht nach Einfluss. Nein. Der profitierte nicht davon. "..ähm.." Commodus? Der seinem Großvater irgendwann mal (ich hatte sein Vigintivirat erwähnt) in den Senat folgen wollte? Und der ja sooo gute Erfahrungen damit gemacht hatte. In unruhigen Zeiten aufzusteigen. Seine Karriere anzuschieben. Wenn mal eben so die Wahlen ausgesetzt wurden. Nein. Er hatte sich durch seinen Großvater (ich erzählte es) reich geerbt. Er hatte Geld. Und er wollte in den Senat. Der profitierte also ganz sicher auch nicht von einem Aufstand in Rom. "..vielleicht.." Diese Varia? Was hatte ein Sklavin von einem Aufstand? Am Ende wurde sie besiegt und war tot.
Sim-Off:Wie gesagt. Ich hätte auch eine Theorie. Aber ich hab keine Namen. Wenn du willst, darfst du Rätselraten.
Musst du aber nicht. 
Ich musste also wirklich improvisieren. "..irgendein Politiker? Einer, der erst Unruhe in Rom stiftet, um dann gewählt zu werden?" Ich überlegte. "Genau. Weil in unsicheren Zeiten wird ja immer besonders konservativ gewählt. Also jemand mit einem guten Namen. Vielleicht sogar ein Patrizier?" Wieder überlegte ich. "Einer, von dem bestimmt auch eigene Sklaven an dem Aufstand beteiligt waren. Um nicht verdächtig unverdächtig zu sein. Ja. Und einer, wo aber bestimmt der Anführer vom Aufstand nicht aus seinem Haushalt stammt. Denn das wäre ja schon zu auffällig. Außerdem: Wo der Anführer herkommt, der Haushalt wäre ja später auch der perfekte Sündenbock." Wieder musste ich kurz nachdenken. Was würde ich tun? Wie würde ich diese Intrige spinnen? "Einer, der aber bestimmt irgendeinen Mittelsmann hat, um den Anführer vom Aufstand zu kontrollieren. Ich weiß nicht. Vielleicht ein freigelassener Sklave, der im Haushalt vom Aufstandsführer einen Job annimmt? Oder.. nein. Genau. Einer, der von seinen Sklaven einen auswählt. Den dann verkauft oder verschenkt.. und dann durch diesen Sklaven den Anführer für einen Aufstand in einem fremden Haushalt rekrutiert." Klang das plausibel? Eher etwas konstruiert, oder? Außerdem: Was, wenn irgendwer den Mittelsmann schnappte? Wie sollte dann der gewählte Politiker irgendwie dafür sorgen, dass der Mittelsmann wieder in den eigenen Haushalt kam? Denn nur so (oder durch den Tod des Mittelsmanns) könnte der Politiker ja seine Intrige sicher vertuschen....
Ich machte meine Augen wieder zu. Schüttelte den Kopf. Dachte an meinen Vater und weinte. Denn was ich mir da spontan zusammengesponnen hatte, überzeugte mich nicht. Also auch den Prätorianer bestimmt nicht. Der redet dann auch wieder davon, was ich von einem Aufstand hätte. "Aber ich hab doch nichts von diesem Aufstand.", schluchzte ich. "Es bringt meine Karriere in der Kanzlei nicht weiter, wenn es in Rom einen Aufstand gibt. Im Gegenteil. Wenn es einen Aufstand gibt, dann läuft ja irgendwo irgendwas nicht rund. Da verlier ich eher meinen Posten, meinen Einfluss, meine finanzielle Unabhängigkeit durch das Gehalt, meinen Status, meine Untergebenen, mein Büro auf den Palatin, als dass mir ein Aufstand irgendwas bringt." Ein erschöpftes Stöhnen. Dann weinte ich wieder ein bisschen. Was?? Was sollte ich für einen Nutzen aus diesem Aufstand ziehen können? "Ich bin keine Christianerin." Wieso? Wieso nur wollte er mich zu einer machen? "Frag nach. Zum Beispiel im Tempel der Iuno Februata. Ich opfere den römischen Göttern. Wenn du mir dann glaubst, dann opfere ich dem höchsten Schwurgott Iuppiter auch gerne vor deinen Augen." Das kam mir gerade als rettende Idee in den Sinn. Denn war das nicht einer der Knackpunkte mit dieser Christianer-Sekte? Dass die alle nur einem einzigen Gott opferten? Und lieber in den Tod gingen, als ein Opfer an einen römischen Gott zu vollführen? (Und ich ging garantiert nicht in den Tod für irgendeinen Gott, an den ich nicht glaubte!) Erschöpft.. nach meiner Entführung.. der unbequemen Reise.. diesem anstrengenden Verhör.. ließ ich mich auf meine Knie fallen. Nur unzureichend fing ich den Aufprall mit meinen Händen ab. Am Ende lag ich halb auf dem Boden. Suchte ich Liebe? "Ich suche Marcus...."