Herrje, fühlte sich die Tiberia jetzt etwa von meinem kleinen Späßchen ernsthaft angegriffen? - Wie köstlich! Andererseits aber konnte ich sie da natürlich auch schon verstehen. Neben ihr stand eine Flavia, die auf zwei Kaiser und einen Tyrann in ihrem Stammbaum blicken konnte, während die Sergier bekanntermaßen über Jahr-hun-der-te dem patrizischen Stand angehörten und die Politik Roms mitbestimmten. Das sah man an der Tribus Sergia nicht weniger, als man es aus Vergils Aeneis herauslesen konnte, wo jener ja völlig richtig schrieb, dass der sergische Urahn Sergestus einst mit Aeneas aus Troia nach Italia kam. Da konnte ich die letzten 170 Jahre nach dem Vorfall mit Sergius Catilina ganz getrost als Bruchteil der sergischen Geschichte ausblenden, um mich im gleichen Atemzug zu fragen: Was hatten die Tiberier da nun also gegen Flavier und Sergier aufzubieten? Reichte ihre Geschichte überhaupt sonderlich viel weiter zurück als bis zu ihrer Adelung durch den vergöttlichten Iulianus? (Denn wie lange lag jene mittlerweile erst zurück? Genau!)
Der offensichtliche Vorwurf der Tiberia indes ließ mich absolut kalt. Es war schließlich gang und gäbe, dass man sich nicht nur auf Agnaten, sondern auch auf cognatische Verwandte (die nebenbei erwähnt genauso blutsverwandt mit einem waren - ihr Glück, dass die Tiberia hierzu keine offenen Worte verlor) berief! Solange die Verwandtschaft einigermaßen nah war (und das war sie hier angesichts der geringen Zahl der Verwandten definitiv), war das doch alles andere als ungewöhnlich: Auch der vergöttlichte Augustus hatte dereinst seine Enkel und Enkelinnen aus der Gens Vipsania unterstützt, wie überhaupt das verwandtschaftliche (und nicht nur gentile!) Umfeld des amtierenden Kaiserhauses stets vom ersten Mann im Staate profitierte. Oder wie sonst erklärte sich zum Beispiel auch die Domus Aeliana auf dem Palatin? - Nein, die Tiberia hatte Probleme!
Doch ich behielt vorerst mein leichtes, noch immer von meinem Späßchen gezeichnetes Lächeln auf den Lippen. "Ach, das tut mir jetzt Leid, Tiberia. Ich wollte dich gewiss nicht in Verlegenheit bringen!", beteuerte ich innerlich lauthals lachend. "Deshalb hatte ich extra auch auf die Erwähnung meines Großvaters Sergius Stephanus verzichtet, der als Quaestor Consulum amtierte, bevor er leider viel zu früh verstarb.... mit seinem Ritterring an der Hand.", befriedigte ich selbstverständlich mit größtem Vergnügen auch die Neugier der Tiberia bezüglich meiner sergischen Verwandtschaft. Es sollte mir schließlich niemand nachsagen, dass ich mich für jene womöglich gar schämen würde (obgleich ich das im Falle meines Onkels Agrippa sogar tat - aber das gehörte jetzt nicht hierher).
Die nächste Steilvorlage wartete ja schon auf mich: "Beeindruckend übrigens, wie gut du dich in meinem Stammbaum auskennst." Denn ich hatte niemals erwähnt, dass es eine Annaea war, die einen Sergius geehelicht hatte! Genauso gut hätte ich ja beispielsweise auch mütterlicherseits die Urenkelin des annaeischen Auguren sein können. "Ich nehme das als Kompliment, wenngleich ich natürlich weiß, dass die so weit in die Vergangenheit reichende Geschichte meiner Gens selbstverständlich faszinierend auch auf andere wirken muss...." Den Teilsatz "die auf eine nicht ganz so lange und bedeutungsvolle Tradition zurückblicken können" ließ ich nur ganz hauchzart unterschwellig in meinem Tonfall mitschwingen.
Das glockenhelle Lachen, das ich für mehr als unangebracht hielt (ICH hatte zuvor nicht so laut gelacht, sondern zur Erinnerung: mich stets in dezentem Kichern geübt!), quittierte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue, während ich davon unbeeindruckt weiterlächelte. Daran, dass sich der Kerl also im Bürgerkrieg hier vergleichsweise sinnleer, wie mir erscheinen wollte, in Lebensgefahr gebracht hatte, war in meinen Augen nur wenig ruhmreich. Das tat mir fast schon ein wenig Leid, aber das war einfach meine Meinung dazu. "Nun, wenn du meinst. Dann werde ich vielleicht wirklich nochmal irgendwann von ihm hören.", antwortete ich der Tiberierin amüsiert über diesen missglückten Versuch des Eindruckschindens. Meine ursprüngliche Frage (zugegeben, sie war nur indirekt zwischen den Zeilen herauszuhören gewesen) hatte sie mir in ihrem Drang ihrem Bruder (zusätzliche) Größe zu verleihen damit allerdings noch immer nicht beantwortet. 'ER' hätte nicht übertrieben damit, dass ich eine hinreißende Verlobten meines Marcus sei, hatte sie gesagt. Woher aber bitte kannte dieser Tiberius mich, wenn ich ihn ganz offenkundig angab nicht zu kennen? - Fragen über Fragen, auf die ich weder Antwort wusste, noch Antwort bekam.
Stattdessen lenkte die Tiberia nun ab und verwies mich so mehr oder weniger direkt wieder zu meinen beiden Freundinnen Paula und Tusca. Ja, es hörte sich beinahe so an, als könnte sie mich auf einmal nicht schnell genug wieder loswerden, obgleich ich mich dort gerade erst angefangen hatte mich in einem zivilisierten Disput mit ihr zu entspannen. Aus diesem Grund ignorierte ich diese Ausladung auch geflissentlich, wandte mich halb zu meinen beiden Freundinnen um und erklärte: "Meine beiden Freundinnen hier und ich, wir waren ebenfalls gerade auf dem Weg ins Wasser. Es wäre uns eine Freude, euch zu begleiten!", tat ich im Gegenteil so, als hätte ich dies als Einladung verstanden. Dann machte ich bekannt: "Paula, Tusca, das sind die edle Flavia Domitilla und ihre.. Bekannte Tiberia Lucia.", hielt ich mich natürlich an den Rang der Damen und stellte zunächst die Patrizierinnen vor, wobei ich bewusst nur von einer Bekanntschaft zwischen den beiden sprach und keiner Freundschaft. "Flavia, Tiberia, das sind meine beiden Freundinnen Pontia Paula und Titia Tusca." Meine beiden Freundinnen grüßen nahezu synchron mit einem freundschaftlichen "Salvete" und zu dritt schlossen wir uns den beiden Patrizierinnen an.
Bei der kurz darauf folgenden Frage nach zwei anderen Damen, die doch tatsächlich ohne eigenes Personal hier waren, blickte ich nur mitleidig in deren Richtung. Dabei sprach Paula zu Tusca im Flüsterton aus, was auch ich vermutete: "Wer weiß, vielleicht gehören sie zu besonders armen Familien, die sich einfach nicht selbst das geeignete Personal leisten können...." Tusca nickte. "Oder schlimmer noch: Vielleicht sind sie ja noch nichtmal echte Römerinnen...." Schockiert nahm Paula daraufhin die Hand vor den Mund. "Nein!"