Plötzlich errötete Beroe, als die beiden anderen Frauen, die sich bislang eher zurückgehalten hatten, zu lachen begannen. Hatte sie etwa gerade etwas Falsches gesagt? Verschämt sah sie sich nachden beiden um. Die beiden wirkten sehr entspannt und sahen gepflegt aus. Solche Frauen standen nicht unter der Fuchtel eines unbarmherzigen Zuhälters, der ihnen das Letzte abforderte.
Schließlich visierte sie aber dann wieder Morrigan an. Das Mädchen, dem sie eigentlich ihr Hiersein zu verdanken hatte, war inzwischen mit einem kleinen Paket zurückgekehrt. Vorsichtig, als sei etwas besonders Wertvolles darin, packte die junge Sklavin es aus. Beroe erkannte von ihrer Warte aus einen roten Stoff, welcher sich recht schnell als sehr elegante Tunika entpuppte.Anschließend konnte sie staunend miterleben, wie harmonisch, ja fast freundschaftlich das Miteinander zwischen Morrigan und der kleinen Sklavin war. Beroe war einfach nur noch sprachlos. Sollte sie, nach allem was sie an schrecklichen Dingen erlebt hatte, endlich einmal so etwas wie Glück gefunden haben? Ausgerechnet sie, deren bisheriges Leben ein einziges Trauerspiel gewesen war! Doch allmählich begann sie zu realisieren, dass ihr von nun an hellere Tage bevorstehen würden. Schließlich begann ihr Morrigan auch zu erläutern, wie ein solches Leben möglich war und Beroe hörte ihr gespanntt zu. Alle, die sie hier tätig waren, profitierten von ihrer eigenen Arbeit und konnten sich ein solches Leben leisten, weil sie alle zusammen standen. Und sie waren frei darin, selbst zu entscheiden… weil sie alle selbst einmal in Unfreiheit gelebt hatten. Hier war der Traum eines jeden Sklaven wahr geworden. Jenes sagenumwobene Land, in dem alle Sklaven frei und gleich waren, es existierte wirklich – ausgerechnet mitten in Rom!
Morrigan kam auf sie zu und reichte ihr ihre Hand, um sie willkommen zu heißen. Beroe zögerte nicht lange und ergriff sie. Eine neue Familie! Allerdings keine familia, wie sie sie von der Villa Auria her kannte. Im Gesicht der Lykierin begann sich endlich ein zaghaftes Lächeln zu manifestieren. Vorsichtig stieg sie aus dem Wasser. Sie fühlte sich wie neu geboren und in gewisser Weise war es ja auch so. Sie genoss es, wie die beiden Frauen, die kurz zuvor noch über sie gelacht hatten, sie nun abtrockneten und sie anschließend mit einem duftenden Öl einrieben. Beroe musste sich vorkommen, wie eine dieser feinen Damen, die täglich die Thermen in Rom besuchten. Genau das, was sie sich doch immer gewünscht hatte. Und wieder schweiften ihre Gedanken ab, hin zu Avianus und ihr zweites Aufeinandertreffen, vor so langer Zeit.
Schritt für Schritt war aus dem Häufchen Elend, das vor wenigen Stunden noch im Staub der Straße gesessen hatte eine junge hübsche und gutgekleidete Frau geworden. Beroe musste nur an sich herabschauen, um erkennen zu können, dass sie nicht wie damals bei Silanus wie eine billige Straßenhure aussah. Geduldig ließ sie sich nun auch noch frisieren. Sie konnte es kaum erwarten, sich in einem Spiegel zu sehen.
„Du bist so gut zu mir! Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann. Sag, wann kann ich anfangen?“ Beroe spürte plötzlich den Drang, etwas tun zu wollen. Sie wollte endlich wieder etwas Geld in der Tasche haben. Nicht etwa um sich besondere Dinge leisten zu können. Nein, es gab da etwas, was sie unbedingt noch erledigen musste, etwas was ihr bewusst geworden war, nachdem man sie aus dem Carcer entlassen hatte…