Beiträge von Iunia Sibel

    Die Arbeit in der Taberna tat Beroe gut. Nicht nur, weil sie dadurch weiterhin dort wohnen konnte, auch weil die Beschäftigung sie so vom Grübeln abhielt. Außerdem half sie Mirjam gerne, denn die Wirtin war wie eine Mutter zu ihr, warmherzig und gütig.


    Die Gäste, die in die kleine Taberna kamen, waren fast ausschließlich Fremde, die meist aus geschäftlichen Gründen nach Rom kamen. Viel von ihnen waren ebenso Juden, wie Simon und Mirjam. Für sie war die Herberge ein Stückchen Heimat inmitten der Fremde.
    Beroe vermied es meistens, sich mit den Gästen zu unterhalten. Lediglich die üblichen Nettigkeiten tauschte sie mit ihnen aus, wenn sie den Leuten das Essen servierte oder eine Bestellung aufnahm.
    Eines Tages jedoch war ein neuer Gast angekommen, ein Mann aus dem Osten, wie man unschwer an seinem Aussehen und seinem Akzent erkennen konnte. Er hatte in der Taberna ein Zimmer bezogen, da er für einige Tage in Rom zu bleiben gedachte. Gleich bei seiner Ankunft war er der Lykierin aufgefallen. Vielleicht lag es an dem vertrauten Klang seiner Sprache oder an seinen Äußerlichkeiten, die sie an die Leute in ihrer alten Heimat erinnerten.


    Später am Abend, hatte er sich an einen Tisch gesetzt, um dort eine warme Suppe und frischgebackenes Brot zu sich zu nehmen. Nach einiger Zeit, so war Beroe aufgefallen, hatten sich einige andere Gäste der Taberna um ihn herum geschart.
    Normalerweise interessierte sie sich nicht, worüber sich die Leute in der Schankstube unterhielten. Doch diesmal versuchte sie, wenigstens ein paar Fetzen von dem aufzuschnappen, was an dem Tisch dort gesprochen wurde. Der Mann aus dem Osten sprach immer wieder von einem Herrn, dessen Güte angeblich bis an den Himmel reichte. Die Männer und Frauen, die sich zu ihm gesetzt hatten, hörten ihm aufmerksam zu, wenn er weiter über diesen gewissen Herrn sprach.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img708/4690/8tyy.gif]
    Mirjam


    Beroe hatte an diesem Abend nicht herausfinden können, um welchen kuriosen Herrn es sich dabei gehandelt und hatte. Schließlich fragte sieMirjam und die Wirtin hatte auch eine Antwort parat. „Das sind Christen!“, hatte sie unter vorgehaltener Hand geflüstert. Offenbar war ihr das unangenehm gewesen, denn weder sie noch ihr Mann wollten in Schwierigkeiten geraten. „Am besten erzählst du niemanden davon. Erst recht nicht deinem Freund in der schwarzen Tunika!“
    „Chrsiten...“, entgegnete sie nachdenklich. Beroe hatte bisher immer nur Gerüchte über diese Christen gehört. Angeblich beteten sie zu einem toten Gott der vor einigen Jahrzehnten von den Römern in Iudaea gekreuzigt worden war. Außerdem aßen sie sogar Menschenfleisch, wobei sie dabei überzeugt war, dass es sich hier um ein Schauermärchen handeln musste. Dennoch hatte dieser Fremde ihre Neugier geweckt.


    Sim-Off:

    An dieser Stelle sind alle im Geheimen lebenden Christen und solche, die es werden wollen (gerne auch NSC’s), sowie Spitzel und Denunzianten ganz herzlich eingeladen, mitzuposten. :) Aber Vorsicht, es könnte durchaus auch brenzlig werden. ;)

    Die letzten gemeinsamen Minuten, waren wohl die schwersten. Der ewige Kampf zwischen Herz und Verstand, bei dem einmal mehr das Herz der Unterlegene sein musste, war grausam und so berechnend. Seine letzten Berührungen, der Abschiedskuss, er war so bittersüß. Wie sollte sie nur die kommenden Wochen überstehen? Avianus‘ Worte hallten noch eine ganze Weile in ihrem Kopf. Bis bald hatte er gesagt, so wie er es jedes Mal getan hatte, wenn sie sich getroffen hatten. Nur dieses Mal würden Wochen, ja sogar Monate dazwischen liegen.
    Als er gegangen war und die Türe hinter sich geschlossen hatte, verharrte Beroe noch eine Weile, mitten in ihrem Zimmer stehend. Langsam, aber unaufhaltsam, holte sie die Gewissheit ein, dass er nun fort war. Sie spürte, wie ihr Herz schwer wurde und ihre Augen sich mit Tränen füllten. Genau so würde jener Tag sich anfühlen, an dem er sie für immer verlassen würde...


    ~~~


    Die ersten Tage nach Avianus‘ Abschied hatte sich Beroe in ihrem Zimmer verkrochen. Sie aß kaum und wollte niemand sehen. Doch dann klopfte es eines Morgens an ihrer Tür.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img708/4690/8tyy.gif]
    Mirjam


    „Wenn du glaubst, du könntest hier die nächsten Monate versauern und in deinem Selbstmitleid ertrinken, dann hast die Rechnung ohne den Wirt gemacht… oder besser gesagt ohne die Wirtin!“ Mirjam hatte sich vor ihr aufgebaut und ihre Arme in die Hüften gestemmt. Ihre mütterlich-strenge Ansprache hatte Beroe regelrecht überrumpelt.
    „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“ fragte sie niedergeschlagen.
    „Ich könnte noch jemanden in der Küche brauchen und der gelegentlich auch in der Schankstube mit anpackt!“ Dass Beroes Finanzen demnächst wohl in der Krise stecken würde, erwähnte Mirjam erst gar nicht, da sie sich sicher war, dass Beroe dies auch ohne ihr Zutun wusste...


    So kam Mirjam zu einer Küchenhilfe und Beroe zu einer sinnvollen Beschäftigung, die ihren Lebensunterhalt sicherte.

    Natürlich hatte sie ihm zugehört, als sie das kleine persönliche Andenken für ihn präparierte. Und nachdem sie ihm ihr Geschenk überreicht hatte und er sie geküsst hatte, nickte sie. „Ja, nur ein paar Wochen…“, wiederholte sie seine Worte. Eigentlich hatte sie dies zu sich selbst gesagt, um sich die Sorgen zu vertreiben. Dabei wusste sie doch selbst, wie schwer es ihr gefallen war, die wenigen Tage zu warten, die zwischen heute Abend und dem Abend lagen, an dem er sie hierher gebracht hatte. Und auch als Avianus davon gesprochen hatte, dass er nach seiner Reise vielleicht einige freie Tage hätte, behielt sie seine Worte von nun an in ihrem Gedächtnis. Das war etwas, woran sie denken konnte und worauf sie hoffen konnte. Viele lange Tage würden nun vor ihr liegen, die wahrscheinlich genauso schwer zu ertragen waren, wie die dunkelsten Stunden als sie noch Sklavin gewesen war.


    Diesmal war sie es, die ihn in ihre Arme schloss, sich an ihm schmiegte und ihr Gesicht in seiner Tunika vergrub. Jede Minute, die ihr noch blieb, wollte sie ihm so nah sein, wie es irgendwie möglich war. „Ich werde hier auf dich warten und darauf achtgeben, dass mir nichts passiert. Und jeden Abend werde ich für dich eine Kerze anzünden, damit du wieder zu mir zurückfindest. Das verspreche ich dir.“

    Wenn noch irgendetwas diese Hiobsbotschaft toppen konnte, dann war es ganz sicher der Moment, als er ihr sagte, dass er bereits morgen in der Frühe schon aufbrechen musste. Er würde also nicht die Nacht mit ihr verbringen. Vielleicht würde er nicht einmal lange bleiben können. Und dann? Für wie lange würde sie ihn dann nicht mehr sehen? Wie lange musste er in Germania bleiben? Und was, wenn er nicht wieder zurückkam? Der Weg nach Germania war so furchtbar weit und gefährlich!


    „Morgen schon?“ Beroe schlug die Augen nieder. Natürlich war ihre Enttäuschung riesengroß, hatte sie doch gehofft, dass von nun an alles nur noch besser werden konnte. Doch es war, wie es immer schon gewesen war und wie es auch immer wieder sein würde. Sie konnte ihm eigentlich nur dankbar sein, dass er sie aus Silanus‘ Klauen befreit hatte. Das war schon viel mehr, als sie hätte erwarten dürfen.
    Sie wollte ihm keine Vorwürfe machen, er tat nur das, was er tun musste. Noch weniger wollte sie jetzt in Tränen ausbrechen, um ihm noch ein schlechteres Gewissen zu bereiten, als er es wahrscheinlich eh schon hatte.


    Schließlich fasste er sie bei ihren Schultern und ermahnte sie, auf sich aufzupassen. Das Gleiche hätte sie tun können. Stattdessen nickte sie nur und ein leises „Ja“ folgte. Was konnte sie noch sagen, was tun? Gleich würde er gehen. Sie hatte ihm ihr Amulett gegeben, damit sie sich wiederfinden konnten. Ob dieses Amulett für eine so lange Zeit ausreichen würde, bezweifelte sie fast. Doch dann hatte sie eine bessere Idee.
    „Warte bitte noch einen Moment,“ bat sie ihn und wandte sich um. Auf ihrem Tisch stand noch der leere Teller von ihrem Abendbrot. Ein kleines Messer, mit dem sie den Käse geschnitten hatte, lag daneben. Sie griff nach dem Messer und schnitt sich eine Locke von ihrem Haar ab und band ein Schnürchen um die Haarsträhne.
    „Hier, bitte nimm das mit. Dann ist wenigstens ein kleines Stück von mir bei dir.“

    „Du hast mir auch gefehlt,“ raunte sie ihm ins Ohr. Sie war so glücklich. Endlich hatte ihr Warten ein Ende. Langsam löste er sich von ihr. Allerdings verschwand sein Lächeln unmerklich und machte dem ernsten Ausdruck Platz, den sie schon sehr oft bei ihm gesehen hatte. Sie spürte eine Veränderung, die schleichend kam, aber sie war da. Avianus begann zögerlich von Neuigkeiten zu sprechen.


    Nun wich auch langsam das Lächeln aus Beroes Gesicht. Neuigkeiten – sie hoffte doch, es waren gute Neuigkeiten… zum Beispiel was Avianus‘ Verwandter mit ihr vorhatte. Allerdings gab es da so eine Vorahnung, dass diese Neuigkeiten nichts Gutes verhießen. Wieder drängte sich ihr der Gedanke auf, dass der Iunier ihr zu viel versprochen hatte, was er schließlich doch nicht halten konnte.


    Seine Worte jedoch, übertrafen alles, womit sie gerechnet hatte und verhinderten anfangs jegliche Regung. Wortlos starrte sie in sein Gesicht, um zu begreifen, was er gesagt hatte.
    „Germania…“ brachte sie endlich nach einer Weile hervor. Das war aber dann auch schon alles, was sie sagen konnte. Germania, ein unwirkliches Land, weit weit weg von Rom, irgendwo im Norden. Im Grunde war das schon alles, was sie über Germania hätte vorbringen können.


    Beroe war nicht dumm und ahnte bereits, was das bedeutete. Zwar war sie hier in der Taberna noch sicher. Aber es war nur eine Frage der Zeit … und wenn sie für längere Zeit hier bleiben musste, dann musste sie sich früher oder später ein paar Sesterzen dazuverdienen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten… sonst würde der Wirt sie eines Tages ganz gvewiss auf die Straße setzen…
    All diese Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum und sorgten dafür, dass es ihr schier schwindelig wurde.

    Das Zimmer in der kleinen Taverne war zu ihrem neuen Zuhause geworden. Mirjam, die herzensgute Wirtin, sorgte für ihr leibliches Wohl und tat manchmal mehr, als sie eigentlich hätte machen müssen. Durch Beroe hatte sie eine neue Möglichkeit erhalten, gelegentlich wieder ihre Tochter Rachel sehen zu können, was für Mirjam einem unerwarteten Geschenk gleichkam.


    Beroe verließ so gut wie nie ihr Zimmer. Höchstens in den frühen Morgenstunden traute sie sich hinaus, um sich zu waschen und um Mirjam in der Küche etwas zur Hand zu gehen. So kam sie wenigsten ein bisschen unter Menschen. Zu groß war immer noch ihre Angst, jemand könnte sie hier finden.


    An den Abenden wartete sie immer auf ein Klopfen. Bisher hatte sie jedoch jedesmal vergeblich gewartet. Doch sie glaubte fest daran, dass Avianus sie bald wieder besuchen würde. Er hatte einfach viel zu tun! Das redete sie sich immer wieder ein und sie hatte keinen Grund, daran auch nur zu zweifeln.


    Als es eines Abends nun endlich klopfte, war sie vor Freude aufgesprungen und zur Tür geeilt. Noch ehe sie die Tür erreichte, öffnete sie sich bereits und Avianus trat herein.
    „Aulus!“ Sie umarmte ihn überschwänglich und küsste ihn.
    Endlich war er wieder da! Diesen Abend würde sie nicht alleine verbringen müssen! Vielleicht konnte er auch wieder bis zum Morgen bleiben… wenn sie ihn ganz lieb darum bat, würde er bestimmt nicht nein sagen. Und vielleicht brachte er Neuigkeiten mit. Vielleicht musste sie gar nicht mehr lange in der kleinen Taberna wohnen… ja, vielleicht…

    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img21/1086/w6jj.gif]
    Rachel


    Noch war der skeptische Blick nicht aus Rachels Gesicht verschwunden. Auch wenn Beroe diesen Mann als ihren Freund bezeichnet hatte, hieß das noch lange nicht, dass er auch ihr freundlich gesonnen war.


    Beroe indes verließ das Bett und ging Avianus entgegen. Es war Zeit, er musste gehen. Jedoch blieb auch sie auf Abstand. Sie war sich nicht schlüssig, ob sie vor Rachel ihre wahren Gefühle zu dem Iunier offenbaren sollte. Bestimmt würde Avianus dafür Verständnis haben, hoffte sie.
    „Äh, ja Avianus. Ich glaube schon. Vielen Dank nochmals.“ Wie ungewohnt es für sie inzwischen war, ihn mit Avianus anzusprechen, benutzte sie doch sonst immer sein Praenomen. Auch auf die übliche Umarmung und den Abschiedskuss verzichtete sie diesmal besser, obschon es ihr sehr leid tat. Mit einem sehnsuchtsvollen Blick sah sie ihm nach, als er ging. Und erst als er die Tür hinter sich schloss, widmete sie sich wieder der Freundin.


    „Na sag mal, wo hast du den denn aufgegabelt?“, war Rachels erste Frage, als sie sich Beroes Aufmerksamkeit wieder sicher sein konnte. Die beiden Frauen hatten inzwischen auf dem Bett Platz genommen. Beroe versuchte, sich auch weiterhin nichts anmerken zu lassen. „Och, er war einer meiner Kunden. Und weil er ziemlich nett ist, hat er sich in den Kopf gesetzt, mir zu helfen,“ antwortete sie arglos. Allerdings war damit Rachels Skepsis lange noch nicht aus der Welt geschafft, ganz im Gegenteil, sie wurde dadurch nur noch mehr angestachelt.
    „Aha, weil er nett ist... Einfach so?“ Das musste sich erst mal bei ihr setzten. „Das hört sich für mich ganz schön komisch an, wenn du mich fragst. Du solltest vorsichtig mit dem Kerl sein. Wer weiß, was er mit dir noch alles anstellt. Bist du sicher, dass du keine Hilfe brauchst?“, fragte Rachel nocheinmal nach, diesmal wesentlich eindringlicher als zuvor. Ihrem Verständnis nach, gab es keiner Männer, die einfach nur so nett waren, und schon gar nicht waren römische Männer einfach nur nett, und noch weniger zu einer Lupa!


    „Mach dir keine Sorgen, Rachel. Glaub mir, ich brauche keine Hilfe, ich vertraue Avianus.“, beschwichtigte sie die Freundin. Dabei wurde ihr erst im Nachhinein klar, was sie ihr da soeben, voller Überzeugung gesagt hatte. Warum hatte sie sich bei Avianus so schwer getan, ihm zu sagen, dass sie ihm vertraute? Es hatte sich doch eben so richtig und selbstverständlich geklungen.
    Rachel aber wollte sich damit immer noch nicht zufrieden geben. Irgendetwas schien an dieser Geschichte faul zu sein.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img708/4690/8tyy.gif]
    Mirjam


    Bevor sie jedoch noch etwas entgegnen konnte, klopfte es noch einmal an der Tür. Kurz drauf öffnete sie sich einen Spalt und Mirjam, die Wirtin schob sich zwischen Tür und Angel. „Rachel, schnell beeil dich, dein Vater kommt gleich nach Hause! Du weißt, was geschieht, wenn er dich hier findet!“
    Beroes Freundin schien daraufhin sehr verändert. Ruckartig sprang sie auf und hatte es plötzlich sehr eilig.
    „Beroe, ich muss jetzt gehen! Kann ich noch etwas für dich tun?“ , fragte sie noch, bevor sie das Zimmer verließ. Die Lykierin war sehr überrascht, als alles auf einmal so schnell ging. „Dein Vater?“, fragte sie verwundert, doch sie merkte es der Freundin an, dass sie auf dem Sprung war. „Könntest du mir ein paar Kleider aus der Villa Ogulnia holen? Aber bitte sei vorsichtig und lass dich nicht von Silanus erwischen!“ Im Nachhinein machte sie sich Vorwürfe, ihrer Freundin eine solche Bürde aufzuerlegen. Doch Rachel nickte nur und verschwand dann schnell, ohne ein weiteres Wort des Abschieds.

    Sibel schlief noch, zwar nicht mehr ganz so tief, doch hatte sie das Klopfen nur schemenhaft wahrgenommen. Ebenso als Avianus aufgestanden war und im Zimmer umher lief. Aus der Ferne hörte sie ihren Namen, dann eine zarte Berührung. Sie wollte sie wieder zu Avianus umdrehen, der sicher noch neben ihr lag. Aber dann drang die Stimme, die diesmal deutlicher schien, wieder zu ihr. Langsam erwachte sie endlich. „Was? Wer?“ fragte sie verschlafen und gähnte. Am liebsten wäre sie sofort wieder eingeschlafen, weil es doch so gemütlich und warm im Bett war. So gut hatte sie wirklich schon lange nicht mehr geschlafen, was natürlich nur zu einem Bruchteil an dem sauberen gemütlichen Bett lag. In ihrem Kopf aber begann es zu arbeiten. Ihre Freundin war da… Ihre Freundin war da? Rachel…
    Sie schlug die Augen auf, die eine Weile brauchten, um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Schließlich erblickte sie ihren Geliebten, der sich bereits mit seiner Tunika und dem Gürtel bekleidet hatte und sich über sie beugte. Endlich hatte sie begriffen! „Rachel? Äh ja, lass sie doch rein.“ Schnell zog sie sich noch ihre Tunika über und setzte sich auf.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img21/1086/w6jj.gif]
    Rachel
    Als Rachel eintrat warf sie als allererstes dem Prätorianer einen skeptischen Blick zu. „Schalom, äh Salve!“, begrüßte sie ihn etwas verunsichert und ging recht zügig zu ihrer Freundin hinüber. „Wie schön, dich zu sehen, Beroe!“, rief sie, als sie sie umarmte. „Ich habe gehofft, dass du hier bist. Geht´s dir gut?“ erkundigte sie sich und warf dann noch einmal einen flüchtigen Blick auf den Römer. „Was macht der denn hier?“ , flüsterte sie und deutete mit ihrem Kinn auf Avianus.„Bist du in Schwierigkeiten? Soll ich Hilfe holen?“ Nun ja, die meisten Leute hatten mächtigen Respekt vor Prätorianern. Da war Rachel keine Ausnahme. Also konnte man es ihr nicht verdenken, dass sie gegen ihn misstrauisch war.
    Beroe lachte vor Freude, die Freundin wieder zusehen, diesmal in einer weitaus ungefährlicheren Umgebung. „Ja, wir sind gleich hierher gegangen. Der Wirt hat uns sein letztes Zimmer überlassen. Und ja mir geht es gut! Übrigens, die Hilfe ist schon da! Das ist Avianus, mein Freund.“ Eigentlich hatte sie Gelbiebter sagen wollen. Sie deutete auf den Iunier, der sich sicher gerade ziemlich fehl am Platz vorkommen musste.

    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img21/1086/w6jj.gif]
    Rachel


    Rachel arbeitete noch nicht lange als Lupa. Wie viele andere war sie aus der Not heraus war sie bei den Lupae gelandet, die sich in der Nähe der Trajansmärkte anboten. Von ihrer Familie verstoßen und aus der vertrauten Umgebung des jüdischen Viertels verbannt, hatte sie ums Überleben kämpfen müssen und war dabei in eine völlig andere Welt geraten. Schon manches Mal hatte Rachel es bitter bereut, sich gegen den Willen ihres Vaters zu stellen. Doch nun war es zu spät.
    Doch ab und an, wenn das Heimweh überhandnahm und es sie zu verzehren drohte, überquerte sie wieder den Tiber, um sich heimlich mit Mirjam, ihrer Mutter zu treffen.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img708/4690/8tyy.gif]
    Mirjam


    Mirjam hatte sich dem Urteil ihres Gatten widerstandslos beugen müssen, als er vor einigen Monaten seine Tochter wegen eines schrecklichen Streits im Zorn verstieß. Voller Gram über sie hatte er seine Tunika zerrissen und das Kaddisch gesprochen, so als wäre sie bereits gestorben. Und für Simon, einem gottesfürchtigen Mann, war sie das fortan auch. Rachels Name war aus den Alltagsgesprächen verbannt worden. Lediglich die Erinnerung an eine verstorbene Tochter war übrig geblieben. Für Mirjam hingegen war eine leidvolle Zeit angebrochen, da sie den Verlust ihrer Tochter nur schwer bewältigen konnte. Als sie kurz davor stand, endgültig zu zerbrechen, hatte sie das Haus verlassen, um sie auf der anderen Seite des Tibers zu suchen und dort auch zu finden. Seitdem trafen sie sich heimlich, ohne dass Simon davon erfuhr.


    Nachdem Rachel am Abend zuvor ihre Freundin Beroe in die Taberna ihrer Eltern geschickt hatte, zehrte nun schon die ganze Nacht die eine Frage an ihr: War ihre Freundin sicher angekommen? Beroe hatte einen verstörten Eindruck auf sie gemacht… und was wollte eigentlich dieser Prätorianer von ihr? Sie steckte bestimmt in Schwierigkeiten. Nach einer schlaflosen Nacht, machte sie sich am frühen Morgen auf, um zur Taberna ihrer Eltern zu eilen.
    Zögernd blieb sie davor stehen. Nachdem ihr Vater sie verstoßen hatte, war sie nicht mehr hier gewesen. Wenn sie ihm nun unter die Augen trat, da war sie sich gewiss, würde er sie sofort des Hauses verweisen. Doch für gewöhnlich suchte er bereits kurz vor Sonnenaufgang die Synagoge zum Beten auf. Sie musste also versuchen, mit Hilfe ihrer Mutter zu Beroes Zimmer gelangen, falls sie überhaupt hier war.
    Vorsichtig öffnete sie die Tür und schlich sich in die Küche, in der sie ihre Mutter erwartete. Um diese Zeit war sie meistens schon auf den Beinen. So war es auch an diesem Morgen. Beim Anblick ihrer Tochter erschrak Mirjam, dann fiel sie ihr um den Hals und dankte dem Allmächtigen. Rachels Absichten waren kurz erklärt und so führte Mirjam ihre Tochter zu dem Zimmer, das Simon am Abend zuvor an den Prätorianer vermietet hatte, der mit der jungen Frau gekommen war.
    Rachel klopfte einmal, aber nichts geschah. Sie klopfte ein weiteres Mal und die Stimme eines Mannes ertönte. Überrascht zögerte Rachel vorerst. „Beroe? Ist Beroe hier? Ich bin‘s, Rachel! Bitte lass mich rein.“

    Auch er hatte nicht gezögert, ihr alles zu geben. Voller Lust erbebten ihre bieden Körper in höchster Ekstase, bis sie sich schließlich erschöpft aber ganz erfüllt von Glück neben ihn niedersinken ließ. Ihr Atem beruhigte sich langsam wieder. Ein zufriedener Ausdruck lag auf ihren Lippen als sie zu ihm blickte, seine Hand nahm und sie in ihrer hielt. Voller Dankbarkeit empfing sie seinen Kuss.
    So nah bei ihm zu liegen und die Wärme seines Körpers zu erleben, fühlte sich so vertraut an. Bei ihm war sie sicher, hier drohte ihr kein Unheil. Deshalb gab es keinen Grund mehr, sich nicht endgültig fallen zu lassen. Gab es etwas schöneres, als an der Seite des Mannes einzuschlafen, den man liebte? Ja, das war Glückseligkeit, genau so fühlte sie sich an. Wenn es nur immer so sein könnte!


    Nur verschwommen nahm sie seine geflüsterten Worte wahr, die für sie keinen rechten Sinn ergeben wollten. Doch sie war viel zu müde, um genauer darüber nachzudenken. So kommentierte sie es nur mit einem langsam entrückenden „W..was… meinst…du..?“ Und falls er ihr tatsächlich darauf noch geantwortet hatte, dann war sie längst abgedriftet, hinab in die Gefilde des Schlafs. Ein ruhiger Schlaf war es, ohne die Träume, die sie manchmal heimsuchten und sie dann jedes Mal aus dem Schlaf rissen. Nur ihre leisen regelmäßigen Atemzüge durchdrangen die Nacht.


    Erst sehr früh am Morgen klopfte es an der Tür. Die Nacht war vorbei!

    Seine Berührungen lösten ein betörendes Prickeln in ihr aus, das ihr Begehren noch weiter anspornte. Er konnte nicht ohne sie, hatte er ihr zugewispert. Genauso wenig konnte sie ohne ihn sein. Sie waren füreinander geschaffen. Deshalb waren sie sich damals begegnet. Daran würde sich auch nie etwas ändern, ganz gleich, was kommen mochte. Wenn sie irgendwann von ihm ihr Amulett zurück erhalten sollte, dann würde ein Teil von ihr fehlen. Aber daran wollte sie nun keinen einzigen Gedanken verschwenden.


    Vielmehr war sie damit beschäftigt, ihm all ihre Liebe, die sie für ihn empfand, zu schenken. Noch einmal wollte sie diese Vollkommenheit spüren, die sie an jenem Abend in den Gärten erleben durfte. Sibels Verlangen nach ihm stieg ins unermessliche. Sie wollte ihn jetzt, ohne es noch länger aufzuschieben. Auch seine Leidenschaft war heftig entbrannt, auch er wollte nicht länger warten.


    Schließlich vereinigten sich ihre Leiber und wurden eins. Sibels Atem ging heftig und strömte heiß auf seine Wange. Ihre Zunge schmeckte den salzigen Geschmack auf seiner Haut. Lodernd waren ihre Küsse und voller Leidenschaft als er unter ihr zu erbeben begann. Sie nahm sich, wonach sie sich gesehnt hatte und trieb so unaufhaltsam dem Höhepunkt entgegen. Gleichzeitig machte sie sich ihm zum Geschenk. Sie schenkte ihm alles, was sie besaß.

    Diese Nacht gehörte nur ihnen ganz allein. Niemand war da, der ihnen auflauern konnte oder sie störte. Es gab nur noch sie auf der Welt. Wer hätte da also an schlafen denken können? Nur ein Narr, der nichts wusste vom Leben! Niemand konnte vorhersagen, wie viele solcher Nächte ihnen noch vergönnt waren. Das machte jede Minute zu einer kostbaren Gabe. Sie beide hatten das erkannt und so erwachte in ihnen das Verlangen, sich ganz nah zu sein, um schließlich eins zu werden.


    Während er noch mit dem Band kämpfte, welches ihre Tunika um ihre Taille zusammenhielt, begann sie schon, sich an seiner zu schaffen zu machen. Dabei liebkoste er ihren Hals und ließ keinen Zweifel daran, wonach er sich sehnte. Und Sibel, da konnte er gewiss sein, würde ihm alles geben, wonach es ihn dürstete. Er, Avianus war ihre große und Liebe, den sie so sehr begehrte, wie sie noch niemals einen Mann begehrt hatte. Wenn ihr Leben morgen enden müsste, dann stürbe sie glücklich.


    Langsam schob auch sie seine Tunika nach oben, um ihn endlich davon zu befreien. Auch ihm war es inzwischen gelungen, den Gürtel zu lösen und ihre Tunika zu lockern, so dass auch er ihr das Kleidungsstück nur noch über den Kopf streifen musste. Dann konnte endlich Haut auf Haut treffen.
    Wie wunderschön er war als er nun vor ihr lag. Sein stählerner Körper und seine starken Arme, die sie vor allem Unheil bewahrt hatten. Nein, sie konnte nicht von ihm ablassen. Wieder begaben sich ihre Finger auf Wanderschaft auf seinem Körper hinab, gleichzeitig erwiderte auch sie seine Küsse, noch heißblütiger voller Verlangen. Ein leises „Ich liebe dich,“ hauchte sie ihm ins Ohr.

    Als sie nun ganz eng in seinen Armen lag, begann alles, was an ihr genagt hatte, abzufallen bis nur noch ein wundervolles Gefühl des Friedens übrig blieb. Ihr Körper fühlte sich so leicht an, alle ihre Muskeln waren entspannt. Sie musste nicht mehr darüber nachgrübeln, was in Zukunft mit ihnen sein würde. All das spielte nun keine Rolle. Wenn ein solcher Augenblick, wie dieser möglich war, dann würde es dovh auch eine Lösung geben müssen, für alles, was sie sonst so belastete. Daran wollte sie glauben, daran würde sie sich festhalten.


    Sanft strichen ihre Finger über sein die Konturen seines Gesichtes. Es sah so friedlich aus, wenn er die Augen geschlossen hatte. Selbst die markanten Falten zwischen seinen Augen, sie sich immer dann bildeten, wenn er angespannt war, wirkten gelöst. Ihr Zeigefinger wanderte vorsichtig an seiner Nase hinab, bis er auf seine Lippen traf. Schließlich setzt ihre Hand ihre Wanderschaft weiter fort zu seinem Nacken. Vorsichtig versuchte sie unter seine Tunika zu gelangen, was ihr dann auch gelang.
    Dabei küsste sie ihn wieder, diesmal weitaus fordernder, als sie es beim ersten Mal tat. So verlockend es auch war, aber an einschlafen dachte sie noch nicht. Nicht wenn er bei ihr war!

    Behutsam hatte er seine Arme um Beroe gelegt und hielt sie einfach umschlungen. Sie konnte seinen Herzschlag hören, der ruhig und gleichmäßig ging. Einfach so bei ihm zu sein, seine Nähe zu spüren und die Wärme seines Körpers zu fühlen, war ein wertvolles Geschenk. Sie war dankbar dafür, für jeden einzelnen Herzschlag. Und doch war er bereit, ihr immer noch mehr von sich zu geben, als er ihr anbot, noch länger zu bleiben.
    „Ja, das will ich,“ raunte sie ihm ins Ohr, denn jeder Minute mit ihm war so unendlich kostbar. Ganz gleich, was morgen sein würde. Das Jetzt zählte und nichts anderes.


    Ihr Mund fand zu seinem, um ihn zu küssen. Heute Nacht wollte sie ihm gehören und von nun an nur noch ihm. Nie wieder, wenn die Götter es wollten, würde sie sich verkaufen müssen. Nie mehr! Eine neue Zeit hatte begonnen, klammheimlich in der größten Not. Vielleicht würde sich Beroe , darüber erst in einigen Tagen bewusst werden, dass nichts mehr so sein würde, wie es einmal war. Und möglicherweise erwies es sich sogar, dass ihr diesmal auch ein Stückchen Glück zufallen würde.
    Doch im Augenblick schob sie all das beiseite und genoss die Zweisamkeit mit ihrem Geliebten, dem sie all ihre Zärtlichkeit zuteilwerden lies, über die sie verfügte. Langsam hatte sie zurück auf das Bett fallen lassen und hatte ihn mit sich gezogen. So war es bequemer, für sie beide.

    „Du kannst nichts tun, Aulus,“ antwortete sie ihm. Ihre Stimme klang gequält, denn es schmerzte sie so sehr, ihn so leiden sehen zu müssen. Schon wieder hatte sie ihm einen Stich mitten ins Herz versetzt, indem sie ihm die Wahrheit gesagt hatte. Die Wahrheit über ihr Unvermögen, über das, was sie wohl nie wirklich richtig überwinden konnte. Gerne hätte sie ihm gesagt, das sie nie wieder zweifeln wollte, aber dieses letzte Stückchen Mut fehlte ihr einfach. Sie war eine Gefangene ihres Schicksals und die Ketten die sie banden, waren zu fest, um sie einfach abzustreifen.


    „Ja, vielleicht.“ Sie strich ihm sanft über sein Haar, um ihn zu trösten. Sie hätte gerne viel mehr getan, um ihm nicht ständig wehzutun. Vielleicht sollte sie versuchen, sich einfach fallen zu lassen, mit dem Wissen, dass er da war, um sie aufzufangen. Hatte sie nicht einmal gesagt, dass er ihr Fels in der Brandung war? So oft hatte er es ihr schon bewiesen, dass er selbst in den schlimmsten Stunden bei ihr war, so wie es eben ein Fels in der Brandung zu tun pflegte.


    „Komm!“ Sie versuchte, ihn näher an sich heran zu ziehen, denn sie wollte ihm endlich wieder ganz nah sein. Das hatte sich nach allem, was in den letzten Tagen geschehen war, gewünscht. Und auch in den letzten Stunden, als ihr Schicksal so ungewiss schien, war es das Einzige, was sie noch einmal erleben wollte, bevor sie…
    „Bitte halte mich!“, sagte sie und schloss ihre Augen.
    Vielleicht konnte sie in ihm noch einmal diese Erfülltheit heraufbeschwören, die sie empfunden hatten, als sie sich in den Gärten getroffen hatten, vor wenigen Tagen, als ihre Welt noch nicht endgültig aus den Fugen geraten war.

    „Als Köchin also.“ Beroe nickte bedächtig. Und Avianus würde für ihr Tun bürgen. Allein diese Tatsache bereitete ihr schon Bauchschmerzen. Schon in ihrer Zeit als Sklavin hatte sie nicht besonders mit ihren Kochkünsten glänzen können. Wie würde es also jetzt sein? Sie war bereits schon wieder kurz davor, ihm eine Absage zu erteilen, im letzten Moment aber riss sie sich zusammen. Wenn man will, kann man alles, hatte einmal eine alte Sklavin zu ihr gesagt und sie selbst hatte es sich schon einmal bewiesen, dass etwas Wahres an diesem Spruch war.
    „Ich werde mein Bestes geben, das verspreche ich dir,“ antwortete sie ihm schließlich. Beroe würde also alles Mögliche dafür tun, damit er wegen ihr keine Schwierigkeiten bekam. Sie würde lernen und hart dafür arbeiten, damit das so blieb.


    Als sie nun endlich damit begonnen hatte, das auszusprechen, was sie schon den ganzen langen Tag über bewegt hatte, klang dies alles fast wie eine Rechtfertigung. Genauso wie sie es damals als Sklavin gewohnt war. Für alles, was nicht dem entsprach, wie man es von ihr erwartete, hatte sie sich rechtfertigen müssen und hatte dabei immer auf Verständnis gehofft, um schlimmeren zu entgehen. So etwas konnte man nicht einfach von heute auf morgen ablegen. Avianus hingegen antwortete ihr das, was er ihr schon so oft gesagt hatte und wohl immer wieder wiederholen musste, solange sie zusammen waren. Was er aber nun von ihr verlangte, war wohl das Schwierigste überhaupt. Einem anderen Menschen voll und ganz vertrauen, ganz gleich was geschah. Dem letzen, dem sie in ihrer kindlichen Naivität voll und ganz vertraut hatte, war einer jener Männer ,die sie damals nach dem Schiffbruch am Strand gefunden hatte und ihr versprach, sie zu ihrer Tante nach Rhodos zu bringen. Stattdessen war sie auf einem Sklavenmarkt in Misenum gelandet.
    Wenn sie nun Avianus dieses Vertrauen entgegenbringen wollte, dann war dies weitaus mehr, als einfach nur ‚ja, ich versuch´s‘ zu sagen. Es war die Überwindung eines Traumas, welches sie seit damals fest im Griff hatte.
    „Du hast recht, es fällt mir sehr schwer,“ entgegnete sie nach einer Weile. „Aber nicht deswegen, weil ich dir nicht glaube, was du sagst. Es ist nur… seit meiner Kindheit gab es niemand mehr, der etwas um meinetwegen tat, weil ich ihm etwas bedeute. Die, denen ich vertraute, haben mich im wahrsten Sinne des Wortes verkauft. Aber dann kamst du. Und du sagst mir immer wieder, dass du mich liebst und dass du alles nur wegen mir tust, weil ich wichtig für dich bin. Glaube mir, Aulus ich würde dir nur zu gerne sagen, dass ich dir voll und ganz vertrauen kann, denn auch ich liebe dich mehr als mein Leben und du wirst auch immer hier drinnen in meinem Herzen sein, ganz gleich was geschieht.“ Sie zog seine Hand näher zu sich heran und hoffte, er könnte ihre Beweggründe verstehen. Für ihn, der immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hatte, war es wahrscheinlich auch schwierig, sich in sie hineinzuversetzen. Sie würden wohl beide noch viel Zeit brauchen.
    „Aber ich will dich nicht anlügen, denn das hast du nicht verdient. Ich mochte dich nur bitten, mir zu glauben, dass ich es versuchen will.“

    Avianus und Beroe hatten Rachels Anweisungen befolgt und hatten nach kurzer Suche die kleine Taberna im Trans Tiberim gefunden. Sie hatten wirklich Glück, denn der Wirt hatte noch ein Zimmer frei. Normalerweise nächtigten hier nur ausländische Reisende, meist auch Glaubensbrüder des Wirtes. Zwischenzeitlich hatte man sogar gemunkelt, der Wirt würde sogar den Anhängern dieser neumodischen und für ihre Gefährlichkeit in Verruf gekommenen Sekte, den Christianern, Unterschlupf bieten. Daher war es nicht verwunderlich, dass der Wirt das ungleiche Paar anfangs etwas skeptisch beäugte, doch nachdem der junge Mann, der seinem Äusseren nach zu den Prätorianern gehörte, gleich für ein paar Tage die Miete im Voraus gezahlt hatte, störte er sich nicht mehr an dem wirren Aussehen der Frau in seiner Begleitung.


    Das Zimmer, in welches er die beiden geführt hatte, war nicht gerade groß gewesen. Das Mobiliar war sehr spärlich und hatte bereits weitaus bessere Tage gesehen. Ein kleines Fenster ließ am Tage wenigstens ein paar Sonnenstrahlen herein. Zumindest war es sauber, so konnte man zumindest nach dem ersten Blick schließen.


    Endlich konnte sich Beroe von dem klammen Umhang befreien, der ihr in den letzten Stunden Schutz vor Regen, Wind und Kälte geboten hatte. Damit er trocknen konnte, legte sie ihn über den Stuhl, der bei einem kleinen Tischchen stand. Sie war so erleichtert, dass sie nun hier, an diesem sicheren Ort war. Zwar hatte Avianus ihr auf dem Weg hierher immer gut zugesprochen, doch hatte ihre Angst stets überwogen.
    Nun war er hier bei ihr, saß auf dem Bett und starrte ins Leere. Er sah müde und erschöpft aus. Die ganze Zeit über hatte sie sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, wie es wohl ihm ergangen war, nachdem sie am Abend zuvor auseinander gegangen waren. Was in der Nacht zuvor geschehen war, nagte an ihnen beiden. Beroe hatte es das Herz gebrochen, als sie ihn dazu aufgefordert hatte, ihr das Amulett zurückzugeben, obwohl er doch so viel auf sich genommen hatte.


    Schließlich begann er, ihr von dem Arrangement zu erzählen, das er mit seinem Verwandten getroffen hatte. Beroe setzte sich neben ihn, und dachte darüber nach, was er ihr gerade eröffnet hatte. Natürlich warf dies wieder neue Fragen auf und die Skeptik, mit der sie ihm bereits bei ihrer Begegnung am heutigen Abend entgegengetreten war, meldete sich, wenn auch in abgeschwächter Form, wieder zurück. „Bei Bekannten? Einfach so?“ Über diese scheinbare Selbstlosigkeit war sie sehr erstaunt, schließlich kannte dieser Verwandte sie doch gar nicht. Es musste doch noch einen Haken an dieser Sache geben, der sich ihr aber einfach nicht erschließen wollte. Ein solch hohes Maß an Vertrauen eines völlig Fremden war sie einfach nicht gewohnt.


    „Aulus…“ begann sie nach einer Weile unvermittelt. „Es tut mir so furchtbar leid.“ Sie hatte sich nun ganz zu ihm gewandt und schaute direkt in seine müden Augen. „Dass, was gestern Abend war... Ich habe dich in Gefahr gebracht. Wenn dir etwas geschehen wäre, hätte ich mir das niemals verzeihen können! Deshalb wollte ich, dass du mich einfach vergisst.“ Sie nahm seine Hand, die sie so sicher hierher in Sicherheit geführt hatte, küsste und liebkoste sie. „Du hast so viel für mich getan. Wie soll ich dir nur dafür danken? Da draußen in den Gärten… ich hatte alle Hoffnung verloren. Bitte verzeih mir, dass ich an dir zweifeln konnte.“

    Die kleine Taberna inmitten des Trans Tiberims, die schon viele Wirte gesehen hatte, verfügte über einen Schankraum im Erdgeschoss. Im ersten Stock der Insula wurden einige einfach eingerichtete Zimmer vermietet. Meist kamen Fremde hier für ein paar Tage unter, bevor sie weiterzogen.
    Simon, der jetzige Wirt, war ein geachtetes Mitglied der jüdischen Gemeinde, die sich in diesem Teil Roms angesiedelt hatte, auch wenn er sich von Berufswegen mit vielen Ungläubigen abgeben musste. Aber von irgendetwas musste man ja leben.

    Gerne hätte sie noch eine Weile so verharrt. Die innige Umarmung, seine Nähe, ein kleines Stück des Glückes, das bis vor kurzem noch ganz selbstverständlich für sie war. Für einen Moment war es wieder zu ihr zurückgekehrt. Doch Avianus löste sich aus ihrer Umarmung, denn es war schon spät. Sie mussten nun gehen, bevor es ganz dunkel wurde.
    Beroe nickte und folgte ihm wortlos. Der Weg zurück in die Stadt war ihr wohlbekannt. Nahezu täglich war sie ihn mindestens einmal gegangen, um nach ihrem Amulett zu schauen.
    Beim letzten Mal war ihr Silanus gefolgt. Bei diesem Gedanken beherrschte sie wieder die Angst. Das Wissen, das er irgendwo da draußen war und nur darauf wartete, bis sie ihm wieder über den Weg lief, ließ sie erzittern. Ihre Hand schloss sich fester um Avianus´ Hand als sie sich dem Ausgang näherten. Immer wieder sah sie sich um, aus der Furcht heraus, dass jemand ihnen folgte. Aber da war niemand.


    Je näher sie sich dem Gebiet um die Märkte näherten, desto mehr sträubte sie sich, weiter zu gehen. Avianus musste sie beinahe schon mit sich ziehen. „Bitte, lass uns nicht weitergehen. Wenn wir dorthin gehen, wird er mich finden!“, bat sie Avianus. Gleichzeitig zog sie ihren Umhang noch tiefer ins Gesicht. Die Straßen waren noch recht belebt mit Männern, die von ihrem Tagewerk nach Hause gingen, Sklaven, die gekaufte oder verkaufte Waren an ihren Bestimmungsort trugen oder aber auch leichten Mädchen, die auf der Suche nach Kundschaft durch die Straßen zogen. Beroe versuchte so unauffällig wie möglich an den Lupae vorbeizulaufen. Sie achtete nicht auf Gesichter, die sie vielleicht sogar kannte. Doch dann erschrak sie plötzlich, als direkt hinter jemand ihren Namen rief.


    [Blockierte Grafik: http://imageshack.us/a/img5/5760/0v7p.gifRachel


    „Beroe?! Bist du das?“ Die junge Frau, die sie offensichtlich erkannt hatte, lief ihr nach und holte sie und Avianus schließlich ein. Als sich Beroe zu ihr umwandte, erkannte sie Rachel, eine junge Frau, die auch davon lebte, tagtäglich ihren Körper zu verkaufen, um über die Runden zu kommen. Rachel war ihr immer wohlgesonnen gewesen und Beroe war sich sicher, dass sie nicht zu jenen gehörte , die sogar ihre Großmutter für eine Handvoll Sesterzen verkaufen würden. Die Lykierin gab ihrem Begleiter ein Zeichen, kurz stehen zu bleiben.
    „Wir haben dich heute schon vermisst! Einer von Silanus Leuten sagte, du wärst so gut wie tot. - Oh, du hast Kundschaft!“, bemerkte sie noch, als sie den Prätorianer an Beroes Hand musterte. „Ich komm nicht mehr zurück, Rachel. Bitte erzähl niemandem, dass du mich gesehen hast!“, brachte Beroe schließlich stockend heraus.
    „Natürlich kommt mir kein einziges Wort über die Lippen!“, versicherte sie ihr. „Aber wo wollt ihr denn hin?“ Auch Rachel wusste, wie sinnlos es war, sich vor Silanus zu verstecken, denn das Gebiet um die Trajansmärkte wurde von ihm und seinen Leuten kontrolliert. Doch von ihrem früheren Leben, bevor sie sich von ihrer Familie losgesagt hatte, kannte sie noch eine gute Adresse. Dort würde ihre Freundin fürs erste sicher sein, denn Beroe und ihr Begleiter machten auf sie einen sehr unschlüssigen Eindruck. „Es gibt da eine kleine Taberna…“ begann sie schließlich. „Da werdet ihr sicher sein! Überquert den Tiber und lauft ein Stück auf der Via Aurelia, dann biegt in die zweite Seitenstraße ein. In der ersten Insula auf der rechten Straßenseite. Sagt der Wirtin, dass ich euch geschickt habe.“ Rachel nickte dem Prätorianer freundlich zu und umarmte ihre Freundin, als sich diese bei ihr bedankte. Dann trennten sich wieder ihre Wege.
    Zielstrebig eilten die beiden zum Trans Tiberim.

    Das Lächeln wich aus Avianus‘ Gesicht. Beroe glaubte zu spüren, wie er immer weiter von ihr abzudriften schienen, was sie nur allzu gerne verhindert hätte. Dabei war es doch sie gewesen, die den Stein ins Rollen gebracht hatte.
    Noch immer staken ihre Gedanken an diesem einen Wörtchen ‚uns‘ fest und wollten es einfach nicht loslassen. Gab es dieses uns noch wirklich oder war es nur diese eine Phrase, die, weil sie zur Gewohnheit geworden war, zu leichtfertigt benutzt wurde? Noch ehe sie sich darüber wirklich im Klaren darüber sein konnte, relativierte er seine Bemerkung. Er will mir helfen …einen sicheren Ort für dich zu finden …also uns… irgendwie.
    Statt endlich zu handeln, schien Beroe einfach nicht aus dem Grübeln herauszukommen. Forschend sah sie ihn an, als hätte sie immer noch nicht richtig verstanden.
    Erst als er ihr nun über ihren Arm strich, ihre Hand nahm und sie leicht drückte, begann sich diese Starre in ihr zu lösen. Sie wandte ihren Blick von ihm ab, sah auf ihre Hand, die nun von seiner umschlossen war. Endlich begriff sie. Er wollte sie nun von hier wegbringen. Die kommende Nacht sollte sie nicht noch einmal hier draußen bei Wind und Wetter verbringen. Und er würde auch bei ihr sein und sie beschützen, wenn sie sich wieder in die gefährlichen Gassen Roms wagte.
    Bevor er sie nun mit sich ziehen konnte, legte sie ihren freien Arm um ihn, schmiegte sich an ihn, so wie sie es immer getan hatte und vergrub ihr Gesicht in seiner Tunika. Ihre Tränen begannen den Stoff zu benetzen.
    „Natürlich will ich!“, schluchzte sie.