Der Iulier ließ sich zwar nichts anmerken, doch was hätte ich dafür gegeben, seine Gedanken zu lesen, als Iduna ihn auf diese Weise regelrecht überfallen hatte. Ob dies ein schlechtes oder ein gutes Omen war? Wie hatte sie nur so einfältig sein können, um zu glauben, dass er Aislin freigeben könnte, sobald sie diesen Wunsch vor ihm äußerte. Ich für meinen Teil hätte dieses Gespräch ganz anders begonnen. Wie hatte ich auch so dumm sein können, um mich darauf einzulassen, dass ich das Reden der Germanin überlassen wollte? Aber so war es eben, wenn man dem Weibsvolk das Wort überließ! Ob ich mit meinem Einwurf noch etwas retten konnte, musste sich noch herausstellen.
Der Römer fragte doch tatsächlich nach unseren Beweggründen, als ob das nicht offensichtlich war! Oder glaubte er etwa, zwei Barbaren wie uns hatte nichts Besseres passieren können, als dass man uns versklavt hatte? Wir mochten vielleicht in seinen Augen Barbaren, doch waren wir in erster Linie auch Eltern und hatten damit eine Verantwortung übernommen. Dementsprechend gestaltete sich dann auch Idunas Argumentation. Sie wollte, dass es der Kleinen einmal besser ging und dass sie nicht befürchten musste, etwas zu erleiden, was sie gar nicht wollte. Als Beispiel nannte sie dafür Vergewaltigung. Ich spürte sofort die Veränderung in ihrer Stimme. Dann war da noch ihre Hand, deren Finger sich mit meinen Fingern verwebten. Ich wusste genau Bescheid, worauf sie dabei hinaus gewollt hatte und auch ich sah in diesem Moment ganz schuldbewusst zu Boden. Es würde niemals vergessen werden, was ich ihr angetan hatte, obgleich auch ich dazu gezwungen worden war.
Doch mit genau dieser Begründung hatte Iduna unwissentlich in ein Wespennest gegriffen und die ganze Brut schickte sich nun an, sich gegen sie zu verbünden. Der Iulier fühlte sich nun persönlich angegriffen und er meinte doch allen Ernstes, dass niemand seiner ehrenhaften Familie unserer Tochter etwas antun wolle. In mir keimte schon wieder die Wut. Dieser Wicht hatte doch keine Ahnung, wozu Menschen fähig waren. Wozu er und seinesgleichen fähig waren! Wir beide hatten es am eigenen Leibe miterlebt. Uns musste man nichts mehr erzählen! Doch ich hielt mich weiter zurück. Das war im Augenblick sicher das Klügste.
Iduna erkannte auch hier ihren vermeintlichen Fehler und sank vor ihm auf die Knie. Ich merkte, dass hier etwas ganz gewaltig schief lief, denn ganz gleich, was man dem Iulier zur Antwort gab, würde er ihm ein passendes Gegenargument einfallen, was dagegen sprach. „Steh auf, mein Herz“, sagte ich leise zu ihr und hielt ihr meine Hand entgegen, damit sie sich daran hochziehen konnte.
Letztendlich sprach er dann mich an und fragte mich nach meiner Meinung. Doch ich machte mir wenige Hoffnungen, dass ausgerechnet ich ihm das Argument lieferte, was er als richtig erachtete und durchgehen ließ. Doch ich konnte es ja versuchen.
„Nun, natürlich wollen alle Eltern nur das Beste für ihr Kind, damit es ihm später einmal besser geht. Doch wir beide – Iduna und ich – wurden nicht als Sklaven geboren. Wir wissen, wie es ist, einen freien Willen zu haben und nach dem zu streben, was unserer Meinung nach das Richtige ist. Es besteht sicher kein Zweifel daran, dass es Aislin in deinem Hause gut ergehen wird. Doch was ist mit ihren Träumen und ihren Wünschen? Ihrem Streben nach Glück und allem, was ihr in ihrem Leben wichtig sein wird. Vielleicht möchte sie eines Tages heiraten. Das könnte sie nicht, wenn sie eine Sklavin wäre. Gut, sie könnte mit einem Gefährten zusammenleben, wie es ihre Mutter tut. Doch sie müsste jeden Tag damit rechnen, dass man ihr diesen Gefährten wegnimmt. Flavius Scato gab mir vor vielen Monaten die Erlaubnis, Iduna als Gefährtin zu nehmen. Inzwischen haben wir zweimal den Besitzer gewechselt. Dir Dominus könnte es morgen einfallen, uns dieses Privileg zu nehmen und wir könnten nichts dagegen tun. Außerdem… ich habe schon einmal ein Kind verloren. Ich konnte nichts dagegen tun, sondern musste dabei zusehen, wie es stirbt. Deshalb… deshalb bitten wir dich, Dominus.“ Damit beendete ich meinen leidenschaftlichen Monolog.