Dieser Dreckskerl genoss es, mich so zu sehen. Unter anderen Umständen hätte ich ihm seine dämliche Visage poliert. Allerdings war ich zum einen nicht richtig in der Verfassung, andererseits wollte ich nicht noch länger in diesem Loch eingesperrt sein. Iduna würde es mir niemals verzeihen, wenn ich nicht bei ihr wäre, wenn das Kind kam.
Um mich noch weiter zu reizen, verhöhnte er mich, wie er nur konnte. Dabei unterstellte er mir sogar, meine Entscheidung sei nicht ernst gemeint. Jedoch transportierte er auch kleine Informationen, die mir wenn man genau zuhörte, die eine oder andere Frage beantwortete. So zum Beispiel, wie lange ich hier festgesessen hatte. „Vier Tage?“, fragte ich erschrocken, wobei ich eigentlich bemüht gewesen war, mir nicht noch mehr Schwächen ansehen zu lassen. Doch in dieser Zeit konnte alles Mögliche passiert sein!
„Der Boss, das ist die Krähe nicht wahr?“ fragte ich, diesmal mit einer etwas festeren Stimme, um von meinem Erstaunen über die Dauer meiner Gefangenschaft abzulenken. „Ja, verdammt, ich will zu seiner Bande dazugehören! Und wie ich das will!“ Bei diesen Worten kehrte so langsam mein altes Ich wieder zurück. Zumindest verspürte ich wieder die Glut des Hasses in mir. Der Hass auf all jene, die mich all die Jahre gedemütigt hatten und die glaubten, einen Anspruch auf mich zu haben.
Als der Kerl sich wieder umdrehte und ich schon befürchten musste, er würde mich noch weiter hier festhalten wollen, blieb ich diesmal standhaft. Nicht noch einmal wollte ich vor diesem Widerling zusammenbrechen. Zu meinem Erstaunen aber ließ er die Zellentür weit offen stehen. Sollte das meine Gelegenheit zur Flucht sein oder war das nur ein Test? Um das herauszufinden, verharrte ich erst einmal an Ort und Stelle und konnte kurze Zeit später feststellen, dass er und ein paar seiner Gehilfen zurückkehrten. Sie trugen alles herbei, was man so benötigte, um nach vier Tagen Kerkerhaft wieder passabel auszusehen. Dagegen hatte ich natürlich nichts, denn ich konnte mich selbst nicht mehr riechen. So sehr stank ich.
Ich ließ mich nicht lange bitten und streifte meine Kleider vom Leib. Dabei war es mir egal ob ich Zuschauer hatte. Mein Körper war muskulös und durchtrainiert. An einigen Stellen kündeten Narben von Auseinandersetzungen, die ich in meinem Leben schon auszufechten hatte. Aber es waren auch Narben von Schlägen, die dokumentierten, wie groß mein Stolz in all den Jahren gewesen war. Die Tätowierungen, die mein Körper vereinzelt zierte, stammten aus einem anderen Leben – einem Leben in Freiheit!
Als ich mit der Rasur begonnen hatte, fragte er mich, was ich nun vorhätte. Das führte dazu, dass ich einen Moment lang unaufmerksam war und mich mit dem Rasiermesser unterhalb des linken Wangenknochens schnitt. Kaum hörbar zischte ich einen Fluch in meiner Muttersprache und griff nach einem Tuch, um damit das Blut aufzufangen. Für einen Moment hielt ich es fest auf die Wunde gedrückt und wandte mich meinem Zuschauer zu. „Als erstes werde ich zurück zu meinem Dominus gehen, damit er keinen Verdacht schöpft. Ich kann ja sagen, dass ich aufgehalten wurde.“ Natürlich erzählte ich dem Kerl nichts von Iduna und dem Kind. Das ging ihn einen feuchten Kehricht an.
Zum Glück stoppte die Blutung bald und ich konnte die letzten Handgriffe machen, bis ich fertig war. Frisch gewaschen, rasiert und in sauberer Kleidung fühlte ich mich gleich viel besser.