Beiträge von Susina Alpina

    Alpina rüttelte leicht an den Schultern des Chirurgicus.
    "He, Balbus! Mach die Augen auf! Was ist passiert? Wer hat dich so zugerichtet? Sag nicht, dass du einfach im Suff umgekippt bist?! Hallo? Balubs? Hallo!!!"


    Sie sah die Germanin Jnga hilflos an. Die ergriff einen Krug mit Wasser und goss ihn über Balbus Kopf. Alpina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen als der Chirurgicus prustend die Augen aufriss und unflätig fluchte.
    Die Raeterin machte einen neuen Anlauf. "Balbus! Was ist passiert? Hat dich jemand beraubt, zusammengeschlagen?"

    In Begleitung der Germanin betrat Alpina die Wohnung. Es roch unangenehm nach einer Mischung von Schweiß, Blut, Erbrochenem und Alkohol. Alpina holte tief Luft.


    Auf einem einfachen Lager lag Balbus. Sie hätte ihn fast nicht wiedererkannt. Das linke Auge war zugeschwollen, er trug einen 3-Tage-Bart. Der mit Blutergüssen übersäte Körper war nur von einer dünnem dünnen Tuch bedeckt. Die Kleidung lag verknäult in einer Ecke.


    Inga entschuldigte sich. "Ich bin noch nicht zu waschen gekommen. Er hat eine Tunika in seinem Bündel. Ich wollte sie ihm erst anziehen, wenn die Wunden sauber sind und er sicher auch nicht mehr erbricht."


    Alpina nickte. Sie kniete sich neben den Chirurgicus und hob das Laken an. Man konnte sehen, dass er das Opfer eines Überfalls geworden war. Vermutlich hatte man den Betrunkenen beraubt. Alpina ließ sich die Wunden zeigen und begutachtete die Platzwunde. Sie war zwar verkrustet, doch eine Stelle nässte und schien eitrig zu werden. Die Kräuterfrau holte eine Tinktur hervor und begann die Wunde zu säubern. Balbus stöhnte auf. Er schlug um sich und Alpina wich aus so gut sie konnte. Nach einiger Zeit, als sie begann, die Wunde zu verbinden, schlug er die Augen auf.
    "Salve, Balbus. Ich bin´s, Alpina. Erkennst du mich?"

    Als die Glocken über der Tür läuteten wusch Alpina gerade ihre Hände. Sie hatte sauber gemacht und war nun bereit abzusperren und ihren Feierabend zu beginnen als eine Frau die Taberna medica betrat. Im Dämmerlicht brauchte es kurz bis sie die Germanin Inga erkannte, die eine langjährige Kundin von ihr war.
    "Inga? So spät noch?", begrüßte sie die Frau.



    "Alpina, ein Glück, dass ich dich noch antreffe. Ich brauche deine Hilfe. Ich habe auf der Straße einen Kerl aufgelesen, der völlig verdreckt und stinkend in der Gosse lag. Er hat sich offenbar bei einem Sturz verletzt. Hat ne Platzwunde und jede Menge blaue Flecken. Ich brauche also was um die Wunde zu reinigen. Sie sieht nicht gut aus und eine Heilsalbe."


    Alpina hörte sich die Geschichte an. Das klang alles plausibel. Sie machte sich daran eine Tinktur zur Reinigung der Wunde zu holen und die Heilsalbe auf den Tresen zu stellen als Inga fortfuhr.
    "Stell dir vor: ich habe seine Sachen durchsucht. Also natürlich nur um herauszufinden wer er ist, denn er konnte es ja nicht sagen. Da habe ich ein Etui mit Messerchen und so gefunden, wie bei einem Medicus!"


    Die Raeterin fuhr herum. Der Zerlumpte hatte ein Arztbesteck bei sich?
    "Wie sieht er denn aus?", wollte sie von Inga wissen.


    Die Germanin hob die Achseln. "Nicht besonders. Er ist eher schmächtig. Nicht mehr jung. Ach ja und wie ich gesehen habe sind seine Schneidezähne abgebrochen."


    "Balbus!" Alpina erkannte den Chirurgicus aus der Beschreibung. Sie beschloss sich die Sache selbst anzusehen.
    "Bring mich zu ihm, Inga. Ich denke, ich kenne den Mann."


    Überrascht nickte die Germanin und wartete, dass Alpina ihren Korb mit den Behandlungsmaterialien gepackt hatte, dann ging sie mit ihr zurück in ihre Wohnung.

    Kurz war Leben in den schmutzigen Kerl zurückgekehrt. Inga beschloss Vorsicht walten zu lassen. Vielleicht war es besser sich um diesen Besoffenen zu kümmern. Womöglich würde er es ihr danken. Auch wenn sein Geldsäckchen leer war, bestand ja immerhin die Möglichkeit, dass er woanders noch mehr davon hatte.



    Die Germanin fluchte leise, dann rief sie zwei junge Typen, die sich bei der Caupona ums Eck ein Bier gönnten zur Hilfe. Gemeinsam schleppten sie den Verletzten in die kleine Wohnung der Germanin.
    Als sie ihn auszog und wusch sah sie diverse Blutergüsse und die Platzwunde am Kopf war zwar inzwischen verkrustet, sah aber nicht wirklich gut aus. Inga beschloss, die Kräuterfrau zu fragen, die in den Cabanae ihre Taberna medica betrieb. Sie kannte die junge Frau gut, hatte sich dort schon oft Rat geholt. Also ließ die Germanin den Betrunkenen seinen Rausch ausschlafen und machte sich auf den Weg.

    Es war Massa, der Alpina auf ihre Frage nach der Zuständigkeit antwortete. Die Hebamme hörte den Namen eines Tribuns, der ihr persönlich noch nicht bekannt war. Es spielte keine Rolle für sie, wer zuständig war, sie wusste nur, dass sie um das Leben von Mutter und Kind zu retten, etwas unternehmen musste. Und zwar dringend.
    "Wo finde ich ihn? Kannst du mich zu ihm führen?", fragte sie.


    Ingas Augen suchten den Boden nach Münzen ab. Wie so oft versuchte sie durch Zufallsfunde ihr karges Einkommen aufzubessern. Sie arbeitete sonst aushilfsweise in einer Gerberei. Trat mit ihren Füßen die Felle ausgeweideter Tiere in einem konzentrierten Gemisch aus Pisse, Eichen- und Kiefernrinde, Sumach und Galläpfeln. Eine im wahrsten Sinne des Worte "anrüchige" Tätigkeit.


    Als sie um eine Ecke bog, wäre sie beinahe über einen zusammengekrümmten Mann gestolpert. Er lag in seiner eigenen Kotze und stank erbärmlich. Bis zur Besinnungslosigkeit betrunken war er wohl gestürzt und hatte sich den Kopf aufgeschlagen. Blut sickerte aus einer Platzwunde und verschmierte das Gesicht des dreckigen Kerls noch zusätzlich.


    Der Kleidung des Mannes war zu entnehmen, dass sie einst nicht ganz billig gewesen war, wenn auch nicht teuer so doch anständig. Nun aber war alles verdreckt und zerrissen.


    Inga durchsuchte den Mann auf Geld. Sie fand ein leeres Geldsäckchen und fluchte. Neben ihm lag ein Bündel, das die Frau ebenfalls einer Untersuchung unterzog. Eine Tunika, ein Mantel und ein Etui, das sie schnell aufknotete, um nachzusehen, ob es etwas Wertvolles enthielt. Es war ein Chirurgenbesteck. Die Germanin sah sich den Mann genauer an. Kurz geschnittene Nägel und feine Hände offenbarten, dass er nicht schwer körperlich gearbeitet hatte. War er ein Medicus? Oder hatte er das Etui irgendwo gestohlen?


    Der Mann neben ihr begann zu stöhnen. Inga beeilte sich tiefer in dem Bündel zu suchen, ob es dort neben dem Etui noch etwas gab, dass sich zu Geld machen ließ. Sie tastete etwas hartes, ein Metallkästchen...



    ... in diesem Moment schloss sich mit einem lauten Klatschen ein schraubstockartiger Griff um ihr Handgelenk. Erschrocken sah Inga auf....

    Glücklich nahm die Mutter in Kind in die Arme. Das schwache Weinen des Kindes verebbte an der Mutterbrust.
    Alpina musste etwas unternehmen. Wenn die Frau in der Zelle blieb, würde das Kind sterben. Also kümmerte sie sich zunächst darum, dass das Kind gebadet, abgetrocknet, gewickelt und in wärmende Decken gehüllt wurde. Ebenso die Mutter. Sie war erschöpft und so geschwächt würde sie womöglich schneller sterben als das Kind. Das gefürchtete Wochenbettfieber ergriff vor allem die geschwächten Frauen. Unterkühlung, schlechte Ernährung und schlechte hygienische Zustände. Alles in allem ein Graus für die umsichtige Hebamme.


    Als Mutter und Kind versorgt waren überließ Alpina die beiden der Fürsorge der jungen Frau, die sich Rona genannt hatte. Sie selbst wollte jemanden suchen, der für eine Entlassung oder zumindest Verlegung der Wöchnerin zuständig war.
    Sie trat vor die Tür des Gefängnisraums.
    "Wer hat hier das Sagen? Wer ist der diensthabende Offizier? Ich muss ihn sprechen! Dringend!"

    Mit vereinten Kräften und der Übersetzung Ronas ging es voran. Die Schmerzen waren sicherlich immens, weil aber das Kind noch so klein war, konnte es doch trotz der Beckenendlage zur Welt gebracht werden. Ein kleiner Junge rutschte in Alpinas Hände. Er war sehr klein und zart, die Haut gänzlich mit der Käseschmiere bedeckt. Ein typisches 7-Monatskind. Die Gefäße schimmerten blau durch die papierdünne Haut, die Atmung ging flach und schnell. Anstelle eines Schreis kam nur ein leises Wimmern.


    Alpina hüllte den kleinen Kerl in ein sauberes Tuch. Die Placenta folgte mit der nächsten Wehe.
    "Es ist ein kleiner Junge und es ist alles dran. Er ist noch sehr klein. Sicherlich ein 7-Monatskind. Das bedeutet er braucht ganz viel Wärme, wenn er überleben soll. Ein Ort wie hier ist vollkommen ungeeignet. Das Kind wird sterben, wenn es mit seiner Mutter hier bleiben muss."


    Mit den üblichen Handgriffen nabelte sie den Jungen ab und versorgte ihn. Dann legte sie ihn der erschöpften Mutter in den Arm.
    "Wir werden beide wärmen müssen und vor allem hier herausbringen müssen. Warum ist sie hier?"

    Überrascht nahm Alpina den Brief entgegen, den ihr ein Bote überbrachte. Er kam auch Rom. Allerdings nicht, wie erwartet von Licinus sondern von einem Helvetier, wie ihr das Siegel deutlich zeigte.
    Die Raeterin nahm den Brief mit sich auf ihr Zimmer. Dort brach sie das Siegel und las den Brief.


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    Susina Alpina
    Casa Helvetia
    Mogontiacum



    In anteilnehmender Trauer


    Salve Susina Alpina,


    du wirst dich sicherlich wundern über diesen Brief. Genauso wunderte ich mich vor einigen Tagen als ich Nachricht erhielt der Erbe meines Verwandten Lucius Helvetius Corvinus zu sein. Mit großer Trauer erfüllt mich die Nachricht von seinem Tod. Ich mag mir gar nicht vorstellen wie es sich dabei für dich, seiner Frau anfühlt. Ja diesen Status hast du, wenn auch nicht vor dem römischen Recht dann aber doch in den Augen der Gens. Leider weiß ich nicht viel über dich. Ich habe irgendwann mit Corvinus Mutter ein paar Briefe geschrieben und sie hat mir ein wenig von dir berichtet. Das du Hebamme in Mogontiacum bist, die Gefährtin von Corvinus die er heiraten wird sobald der Exercitus das zu lässt und das ihr eine gemeinsame Tochter habt.
    Ich hoffe du und die kleine Helvetia sind wohl auf und ihr seid versorgt!


    Ich bin mir nicht sicher ob du weißt wer ich bin. Meinen Namen kennst du ja nun. Ich und Corvinus teilen uns einen Großvater. Ich lebe in der Nähe von Roma Eterna und betreibe dort für die Gens ein Weingut.


    Ich soll dir auch das Beileid und Unterstützung von Marcus Helvetius Commodus ausrichten. Dem Oberhaupt der Familie in dessen Haus ich mich immer aufhalte wenn ich in Roma weile und aus dem ich dir auch gerade schreibe.


    Ich würde gerne nach Germanien reisen und nach dem rechten sehen. Aufklären warum ich und nicht du oder wenigstens eure Tochter als Erbin eingetragen sind. Doch leider hatte ich vor kurzem einen schweren Unfall und erhole mich von einer Trepanation. Da ich weiß das du medizinisch gebildet bist weißt du das eine solche Verletzung eine lange Genesung nach sich zieht. Deshalb ist eine Reise derzeit leider nicht möglich und ich muss auf diesem Weg Unterstützung und Anteilnahme bieten.


    Wir, meine Wenigkeit und Marcus Helvetius Commodus bitten dich und bieten dir an dich jederzeit an uns zu wenden wenn du Hilfe oder Unterstützung benötigst.


    Vale Bene
    Tiberius Helvetius Varus & Marcus Helvetius Commodus



    Mit großer Verwunderung ließ sie den Brief sinken. Corvinus hatte ihr nie von seinen Verwandten in Rom erzählt. Sie wusste, dass die Familie seines Vaters aus Rom stammte, ihn der Militärdienst nach Germanien verschlagen hatte. Aber sie hatte nie von Helvetius Varus und Commodus gehört.
    Jetzt waren sie die Erben von dem was Corvinus besessen hatte. Nun ja, sie hatte ja auch nichts erwartet. Der Brief und die darin ausgedrückte Anteilnahme waren schon mehr als sie erwarten konnte. Dann sprach dieser Helvetier von einem Unfall, der ihn ans Bett fesselte. Eine Trepanation! Eine Schädelöffnung! Alpina erstarrte. Er musste von Glück sagen, dass er so eine schwere Verletzung und Operation überstanden hatte. Abschließend boten die beiden Helvetier ihre Unterstützung an. Nun ja, sicherlich nur freundliche Floskeln, aber immerhin.


    Alpina grübelte. Sollte sie die Helvetier um Hilfe bitten, wenn sie tatsächlich nach Rom reisen wollte? Durfte sie das? War es auch so gemeint oder eher pro Forma?
    Sie las den Brief noch einmal. Er klang warmherzig und mitfühlend. Vielleicht sollte sie es versuchen. Zunächst aber wollte sie eine Nacht darüber schlafen und vor allem wollte sie abwarten, was ihr Licinus schrieb. Sie wartete immer noch auf dessen Antwort aus Rom. Zur Zeit war der Postverkehr zwischen Rom und Mogontiacum ungewöhnlich langsam.

    Richtig, Alrun! Das hatte sie gesagt. In der Hektik hatte Alpina es überhört. Die Gefangene, die halt nannte man Rona. Nun gut. Es ging los. Die Fruchtblase platzte, Alpina wurde nass. Nichts ungewöhnliches für eine Hebamme. Alpina ölte sich erneut die Hände, dann weitete sie mit der linken den Geburtskanal während die Rechte versuchte das Kind zu ergreifen. Sie spürte das kleine Hinterteil.
    "Sie muss jetzt pressen. Ohne Pause, so viel sie kann! Sag ihr das! Und du hilfst ihr am besten indem du ihr die Knie an den Bauch presst, Rona. Los! Wir haben keine Zeit zu verlieren!"


    Alpina gab Kommandos wie ein Centuro. Doch hier zählte nur die Zeit und die richtige Hilfe. Es ging um das Leben des Kindes.
    Sie sah die Gebärende streng an. "Alrun?! Pressen, pressen! Mit aller Kraft!"

    Alpina nickte der Frau zu, die helfen wollte.
    "In Ordnung. Ich würde trotzdem gerne ihren Namen wissen, um sie direkt ansprechen zu können, wenn es nötig wird. Wie ist denn dein Name? Verstehst du ihre Sprache? Kannst du übersetzen? Ich werde sie jetzt untersuchen und dann werden wir sehen."


    Die Hebamme kniete sich hinunter und tastete den Bauch ab. Das Kind war tatsächlich sehr klein und lag in Beckenendlage, wie die Frau bereits vermutet hatte. Die vaginale Untersuchung ergab, dass der Muttermund weit geöffnet war, die Fruchtblase allerdings nicht gerissen war bisher. Dennoch war die Geburt in vollem Gange. Das Kind würde geboren werden, auch wenn es unreif war. Entweder es überlebte oder nicht. Die widrigen Umstände sprachen leider dagegen. Alpina beschloss, die Erkenntnis erst einmal für sich zu behalten.


    "Das Kind wird geboren werden heute. Es liegt leider verkehrt herum. Aber weil es noch sehr klein ist, sollte es möglich sein es so zur Welt zu bringen. Ich werde helfen es herauszuziehen."

    Alpina hatte schon an den ungewöhnlichsten Orten Kindern auf die Welt geholfen. Eine Gefängniszelle war allerding noch nicht dabei gewesen. Irritiert und unsicher sah Alpina Massa an. Auf seine Aufforderung trat sie ein.
    "Ich werde ganz sicher einiges brauchen. Zum einen heißes Wasser, Essig und einige saubere Tücher. Ob das reicht, oder ich noch mehr benötige, werde ich gleich sehen."


    Sie trat ein und begüßte die Kreissende. Den anderen Frauen nickte sie freundlich zu. Wahrscheinlich würde sie die eine oder andere zur Hilfe rufen.
    "Salve, mein Name ist Alpina. Ich bin Hebamme und Kräuterfrau. Du darfst Vertrauen haben, ich habe schon unzähligen Kindern auf die Welt geholfen. Wie ist dein Name? Darf ich dich untersuchen?"

    Alpina fuhr herum als das Glöckchen über der Tür wie wild bimmeln anfing.
    Massa stolperte herein und polterte heraus. Es ging um eine Gefangene, eine Germanin. Sie erwartete ein Kind. Jetzt! Alpina nickte irritiert, griff ihren Korb mit den Utensilien, die sie für eine Entbindung brauchte und machte sich bereit ihm zu folgen.
    "Ich bin soweit! Wir können gehen!"


    Die Hebamme nahm das Schild, das ihre Abwesenheit ankündigte, um es an die Tür zu hängen.

    Die Stimmung war hervorragend. Der Kaiserin und dem neuen Statthalter schollen die Jubelrufe zu. Alpina konnte sich dem nicht entziehen. Auch sie rief: "Vivat Augusta! Vivat Livianus!"
    Die Raeterin winkte und hüpfte auf und ab. Dann stieg die Kaiserin aus. Sie sah wunderschön aus. Alpina hielt den Atem an. Die Kaiserin begann zu sprechen. Es war eine gute Rede mit vielen Weisen Sätzen. Gerne hätte Alpina sie aufgeschrieben um sie später noch einmal lesen zu können.


    Sie sah sich um. Ein wenig entfernt von ihr sah sie Norius Carbo, einen Legionär, den sie einmal mit einer Verletzung versorgt hatte. Alpina winkte ihm zu. Auch den Chirurgicus Balbus sah sie im Publikum. Doch schien er sie nicht zu bemerken.

    Die Kaiserin kam! Alpina war selbstverständlich auch auf der Straße um dieses Ereignis mitzuerleben. Einen neuen Legatus Augusti gab es schließlich alle paar Jahre mal, aber der Besuch der Kaiserin aus Rom war etwas gänzlich außergewöhnliches.


    In der Regel machte sich die Raeterin nicht so viel aus Kleidern und Frisuren, aber in diesem Fall war sie schon neugierig wie die Frau des ersten Mannes im Reiche aussah. Ob sie auch zu den Bürgern Mogontiacums sprechen würde?


    Um sie herum standen die Menschen dicht gedrängt. Gerüchte machten die Runde. Alpina versuchte eine Lücke zwischen der ersten Zuschauerreihe zu nutzen, um einen Blick auf die Kaiserin zu erhaschen.


    Da! Da kamen sie! Der Legatus in vollem Ornat, hoch zu Ross neben einem Prätorianer-Tribun. Das war schon mal beeindruckend. Aber wo war die Kaiserin?

    Alpina brachte den Brief gleich am kommenden Tag zum Cursus Publicus. Sie bat darum die Wertkarte der Helvetier zu belasten um den Brief nach Rom zu schicken.


    Ad
    Marcus Iulius Licinus
    Princeps Praetorii
    Domus Iulia
    Roma


    Lieber Licinus,


    sei auf´s herzlichste bedankt für das großartige Buch! Ich konnte gar nicht mehr aufhören, darin zu lesen. Es hat mir so viele neue Einblicke gegeben in die Frauenheilkunde und so viele Behandlungsmöglichkeiten erwähnt, mit denen ich noch nicht vertraut bin. Nichts würde ich lieber tun, werter Freund, als diese Wissenschaft zu erlernen. Kannst du mir sagen, wo der Autor des Werkes lebt und arbeitet? Lebt er, wie sein Cognomen ahnen lässt, in Ephesus? Oder weißt du ob es in Rom Medici gibt, die nach seinem Vorbild arbeiten und lehren? Bitte versuche das für mich in Erfahrung zu bringen. Ich würde alles möglich machen, um diese Kunst zu erlernen. Wenn ich nur nicht bis Ephesus reisen müsste. Denn dann wird es leider unmöglich sein.


    Drücke Esquilina ganz herzlich von mir und schreibe mir bitte so bald wie möglich zurück. Vergiss nicht mir zu schreiben wie es der Kleinen, inzwischen sicher wieder gewachsenen Maus geht und was sie Neues in der Schule gelernt hat. Auch interssiert mich brennend, wie es dir gesundheitlich geht. Ich hoffe gut?


    In treuer Freundschaft und mit tiefstem Dank für das wundervolle Geschenk,
    Alpina

    Die raetische Hebamme las und las. Sie verschlang das Werk des Soranus von Ephesus beinahe. Es waren viele ihr völlig unbekannte Empfehlungen darin, seltsam anmutende Behandlungen und Theorien aber auch eine Menge Rezepturen mit ihr vollkommen unbekannten Zutaten und Pflanzen oder Heilpflanzen, die in Germania einfach nicht zu bekommen waren und wenn doch, dann zu astronomischen Preisen.


    Als sie das Buch beendet hatte stand für sie eines fest. Sie wollte das erlernen, was dieser kluge Medicus in seinem Buch beschrieb. Dazu musste sie zunächst einmal feststellen ob dieser Soranus von Ephesus noch lebte und praktizierte und wenn ja, dann wo? In Ephesus, so wie der Name vermuten ließ? Dann wäre es ein unmögliches Unterfangen von ihm direkt zu lernen. Aber Licinus hatte das Buch schließlich in Rom gekauft. Vielleicht gab es dort einen Schüler von ihm, der auch praktizierte und von dem sie lernen konnte? Sie musste Licinus schreiben. Eifrig ergriff sie Papyrus und Feder und legte los.


    Ad
    Marcus Iulius Licinus
    Princeps Praetorii
    Domus Iulia
    Roma


    Lieber Licinus,


    sei auf´s herzlichste bedankt für das großartige Buch! Ich konnte gar nicht mehr aufhören, darin zu lesen. Es hat mir so viele neue Einblicke gegeben in die Frauenheilkunde und so viele Behandlungsmöglichkeiten erwähnt, mit denen ich noch nicht vertraut bin. Nichts würde ich lieber tun, werter Freund, als diese Wissenschaft zu erlernen.
    Kannst du mir sagen, wo der Autor des Werkes lebt und arbeitet? Lebt er, wie sein Cognomen ahnen lässt, in Ephesus? Oder weißt du ob es in Rom Medici gibt, die nach seinem Vorbild arbeiten und lehren?


    Bitte versuche das für mich in Erfahrung zu bringen. Ich würde alles möglich machen, um diese Kunst zu erlernen. Wenn ich nur nicht bis Ephesus reisen müsste. Denn dann wird es leider unmöglich sein.


    Drücke Esquilina ganz herzlich von mir und schreibe mir bitte so bald wie möglich zurück. Vergiss nicht mir zu schreiben wie es der Kleinen, inzwischen sicher wieder gewachsenen Maus geht und was sie Neues in der Schule gelernt hat. Auch interssiert mich brennend, wie es dir gesundheitlich geht. Ich hoffe gut?


    In treuer Freundschaft und mit tiefstem Dank für das wundervolle Geschenk,
    Alpina

    Das erste Kapitel war zu Ende. Alpina konnte nicht aufhören. Sie begann das nächste Kapitel zu lesen.


    Kapitel 2


    Die tüchtigste Hebamme Es ist nötig, das was zu einer tüchtigen Wehemutter gehört, zu besprechen, damit die Tüchtigsten ihrer selbst bewusst werden, die Anfängerinnen dieselben als Muster ansehen, das Publikum aber wisse, welche es rufen soll. Im Allgemeinen nennen wir diejenige fertig, welche die Heilkunst völlig erfasst hat (theoretisch), die Tüchtigste aber die, welche schon mit Hand angelegt hat und mit der Theorie viele Erfahrung verbindet.
    Im Besonderen aber betrachten wir diejenige Hebamme als die tüchtigste, welche im ganzen Gebiete der Therapie geübt ist – denn bald muss man diätetisch, bald chirurgisch, bald pharmaceutsich eingreifen. Die im Stande ist, richtige Anweisungen zu geben, die den Zusammenhang mit dem Allgemeinen erfasst, das Nützliche daraus zu entnehmen versteht, dann im Einzelnen sich nicht beim Wechsel der Symptome verwirren lässt, sondern dieselben in entsprechender Weise lindert, welche ferner ruhig und unerschrocken bei Eintreten von Lebensgefahr ist, in geschickter Weise den richtigen Weg der Hilfe vorzuschlagen versteht, Trost den Leidenden zuspricht, Mitgefühl besitzt. Dass sie bereits geboren habe, ist nicht durchaus erforderlich, wie einige Autoren meinen, damit sie bei eigener Kenntnis der Schmerzen mit den Kreissenden fühle, was bei solchen, die geboren habe, eher vorauszusetzen sei. Ferner erfordert ihr Dienst Kraft, doch braucht sie nicht durchaus jung zu sein, denn auch eine junge kann kraftlos und im Gegenteil eine ältere stark sein; dann muss sie mäßig im Genuss und stets nüchtern sein, weil der Augenblick nicht vorherzusehen ist, wo sie zu gefährlich Kranken(:..gerufen wird, auch verschwiegen, weil ihr viele Lebensgeheimnisse anvertraut werden, auch unbestechlich, auf dass sie nicht für Geld Abtreibungsmittel verabreiche, frei von Aberglauben, damit sie nicht um eines Traumes oder einer Beschreiung oder des gewohnten Mysteriums des Gottesdienstes willen eine heilbringende Handlung unterlässt.


    Alpina starrte auf die Zeilen. War sie so eine "tüchtige Hebamme?" Sie war durchaus praktisch begabt und verfügte auch über einige theoretische Kenntinisse wobei da sicher noch viel zu erlernen war. Sie gab nicht selten diätetische Hinweise, pharmazeutische auch, zumindest wenn es um Kräuter ging. Chirurgische Kenntnisse besaß sie - zwangsweise - soweit es eben notwendig war für die Geburt eines Kindes. Und in den letzten Jahren auch vermehrt bei verletzten Erwachsenen.
    Sie bemühte sich immer ruhig und unerschrocken zu sein, die richtigen Anweisungen zu geben und Trost zu spenden. Mitgefühl hatte sie mit Sicherheit.


    Kraft und Alter spielten nach Soranus keine Rolle und auch der Umstand, dass sie selbst geboren haben sollte, wenn sie einer Frau in den Wehen half. Bei Alpina war dies der Fall. Sie hatte Ursi geboren und wusste - bei Iuno Lucina - genau was es für Schmerzen bedeutete, einem Kind das Leben zu schenken.


    Für sie war es eine Selbstverständlichkeit nüchtern zu sein. Ihr wurde das Leben mindestens zweier Menschen anvertraut. Wie konnte man eine Geburt leiten, wenn man betrunken war?
    Verschwiegenheit und Unbestechlichkeit sollte doch eigentlich auch selbstverständlich sein, oder nicht? Abtreibungsmittel gegen Bestechnung? Unvorstellbar. Alpina hatte bereits Abtreibungsmittel gegeben, aber immer nur in einer echten Notlage der Frau oder aber weil sie Mutter oder Kind in Gefahr sah.


    Aberglauben durfte die Behandlung nicht beeinträchtigen. Aber auch Alpina wusste wie sehr Träume, Omina oder Götterzeichen eine Geburt beeinflussten und sei es auch nur deshalb weil sie die Frau verängstigten und damit die Geburt verlangsamten oder gar zum Stillstand brachten. Im günstigsten Falle beschleunigten sie die Geburt und halfen. Sie selbst war nicht gänzlich frei von "Aberlauben", da sie fest an den Einfluss der Götter glaubte. Doch hoffte sie, trotzdem ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen auszuführen und nichts zu unterlassen was der Heilung zuträglich war.


    Alpina ließ den Codex sinken. Sie grübelte. War sie wirklich eine gute Hebamme? War sie tüchtig? Tüchtig genug?