Curio machte eine lange Pause, denn er brauchte einen Augenblick, bis er sich die notwendigen Fragen vergegenwärtigt hatte. Für den Verwalter und seine Frau mochte das wenig angenehm sein, leider mussten sie da aber durch. Nun trank Curio aber erstmal einen Schluck und begann dann mit seiner ersten, nach dem kurzen Rundgang wohl naheliegenden Frage.
Wie kommt es, dass der Westteil des Hauses so heruntergekommen ist?
Interessiert, offen und ohne jegliches Misstrauen blickte er den Verwalter an. Der schluckte einmal und antworte dann.
Es ist lange her, dass unsere ehemalige Herrin, die hochverehrte Centenia Pia, das letzte Mal hier war. Als sie jünger war, kam sie oft hierher, doch mit zunehmenden Alter wurde es immer seltener und nach dem Eintritt ihrer schweren Erkrankung stellte sie die Besuche komplett ein. Das war vor etwa anderthalb Jahren. Ihr letzter Besuch ist aber auch bereits zwanzig Monate her. Leider wurden mit ihrer Erkrankung auch die Unterhaltszahlungen für das Haus eingestellt, sodass notwendigen Reparaturen nicht mehr durchgeführt werden konnten. Die Reparaturen am Ostteil haben meine Frau und ich noch aus den Mitteln unseres peculiums zahlen können.
Auch wenn Roger es nicht aussprach, schwang bei dieser Erklärung doch unüberhörbar die Unzufriedenheit darüber mit, dass das Haus in solch einem schlechten Zustand war. Jedenfalls wurde dadurch klar, dass die Familie der Centenia ohnehin kein Interesse an dem Landgut hatte. Warum das aber so war, dazu war noch nichts zu hören gewesen.
Wie kommt es, dass bei den Verwandten der Centenia kein Interesse an der Villa bestand?
Eine Frage außerhalb der Reihe, doch war Curio einfach zu neugierig, wie man zwei so gut gelegene Grundstücke inklusive einer - wenn auch kleinen und bescheidenen - Villa Rustica abgeben konnte.
Es ist wirklich schade, aber leider war sie für die Precier wohl unter ihrer Würde. Du musste wissen, dass es eine testamentarische Verfügung des Erbauers Caius Centenius Macer, dem Großvater väterlicherseits der Centenia, dass keine baulichen Änderungen an der Villa vorgenommen werden dürfen. Also keine Umbauten, sondern nur Renovierungen und Ausbesserungen. Es ist eine der Aufgaben des amtierenden Vilicus, darüber zu wachen. Die Villa scheint den Preciern schlicht zu klein zu sein und da sie nicht auf die Grundstücke angewiesen sind, haben sie offenbar auch kein Problem damit, dass sie an dich gehen.
Curio runzelte die Stirn. Keine Umbauten, nur Renovierungen. Eine seltsame Regelung. Aber wenn sie ihm zu Gute kam, hatte er kein Recht sich darüber zu beschweren. Für ihn, seine Frau und seine Familie reichte die Villa vollkommen aus. Nur die notwendigen Renovierungen ließen ihn ein wenig daran zweifeln, ob er mit der Annahme des Erbes gut fuhr. Inwiefern das aber tatsächlich belastend war, hing sehr stark von der Antwort auf seine nächste Frage ab.
Das erklärt zumindest einiges. Aber sag, Roger: Wie steht es um die Wirtschaftsbetriebe? Wie sind die Arbeiter untergebracht?
Erneut trank der Helvetier einen Schluck. Der Verwalter entspannte sich etwas, wenn auch immer noch eine gewisse Anspannung in seinem Verhalten erkennbar war.
Die Wirtschaftsbetriebe stehen organistorisch, materiell und finanziell gut da. In diese wurde regelmäßig investiert, sodass vorerst keine Ausgaben dort notwendig sind. Wir sind also bereit, die zwei gesunde Betriebe zu übergeben, Helvetius. Deren Mitarbeiter wohnen in einer kleinen, selbstgebauten Siedlung weiter westlich den Rhenus entlang. Es sind vor allem kleine Holzhütten, die die Arbeit dort für sich gebaut haben. Auch dort besteht kein Bedarf an Investitionen. Ich befinde mich aber in regelmäßigem Austausch mit den Arbeitern, zumeist germanische und gallische Peregrine, sodass ich mögliche Ausgaben frühzeit ankündigen kann.
Curio nickte zufrieden. Das hörte sich doch schonmal gut an und es war etwas, auf dem er aufbauen konnte. Zumindest würde es helfen, seine eigenen Ausgaben für die Villa in Grenzen zu halten. Nun interessierte ihn aber noch etwas.
Dann danke ich dir erstmal für den Überblick. Nun möchte ich aber noch etwas über dich und seine Frau wissen. Vielleicht erzählt ihr einfach ein bisschen über euch.
Nun war es ein Stück Käse, mit Sicherheit aus der eigenen Käserei, das Curio probierte. Sehr gut, stellte er für sich fest und bot dann Acanthos auch ein Stück an, was dieser zu gerne annahm.
Ich stamme hier vom Gut. Mein Vater war bereits Verwalter hier, ebenso wie mein Großvater. Ich erhielt eine Ausbildung hier und übernahm nach dem Tod meines Vaters auch dessen Verwaltungsstelle. Etwas später wurde Lysandra aus dem Haushalt der Centenia hierher versetzt. Ich half ihrer, sich hier einzugewöhnen, was für sie als geborene Macedonin nicht so einfach war. Dennoch klappte es und... na ja... ich möchte dich nicht mit den Einzelheiten aufhalten, Helvetius, aber wir bekamen die Erlaubnis zu heiraten und leiten nun hier gemeinsam die Geschäfte. Mit dem Tod unserer Herrin gewährte sie uns in ihrem Testament die Freiheit, sodass wir nun so unser Leben weiterleben können.
Er stockte kurz und schluckte. Curio vermutete, dass hier die der eigentliche Grund für seine Nervosität lag, denn wenn er schon in dritter Generation Verwalter hier war, wollte er bestimmt nicht weg. Und genau das bewahrheitete sich auch.
Meine Frau und ich möchten dich bitten, dass wir auch weiterhin hier leben und arbeiten dürfen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und kann mit ein Leben ohne das Landgut nicht vorstellen.
Erwartungsvoll blickte der Verwalter den jungen Helvetier an, der nachdenklich in seinen Getränkebecher blickte, bevor er antwortete.
Nun, erstmal sei erwähnt, dass Acanthos hier ebenfalls aus Macedonia stammt. Gut, es ist recht groß, aber die Welt ist ja bekanntlich kleiner, als man glaubt, nicht wahr? Vielleicht findet sich ja mal die Möglichkeit zu Austausch.
Kurz schmunzelte der Helvetier, dann entstand eine weitere längere Pause, in der sich Curio einen Plan zurechtlegte, wie er weiterverfahren wollte. Letztlich wandte er sich erneut an den Verwalter.
Ich sehe zum jetzigen keinen Grund, einen neuen Verwalter hier einzusetzen. Du kennst das Landgut wahrscheinlich besser als jeder andere. Zudem gehe ich davon aus, dass dir etwas an der Villa liegt. Ebenso habe ich ein Interesse daran, dass sie bald wieder voll nutzbar ist, denn ich möchte sie im Sommer gerne als Rückzugsort für mich und meine Familie nutzen. Allerdings kommen wir nicht daran vorbei, ein paar organisatorische Änderungen vorzunehmen und ich kann auch bereits sagen, dass ich die Betriebe nicht selbst werden führen können, da ich als Beamter des Cultus Deorum von Mogontiacum keine Betriebe führen darf. Sie werden daher bis auf weiteres unter deiner Leitung verbleiben. Zudem werden von dir sämtliche Einnahmen daraus verwaltet. Daraus sind auch die Löhne der Angestellten, wie auch der Lohn für dich und deine Frau zu entrichten. Dies wird über eine Gewinnbeteiligung laufen, die wir gesondert aushandeln werden. Zudem wird ein fester Prozentsatz für die Reparaturen der Villa zurückgelegt und ein weiter an mich übersandt. Zuletzt erwarte ich wöchentliche Berichte über den Status der Betriebe, Einnahmen, Ausgaben sowie den Fortschritt der Reparaturarbeiten. Natürlich werde ich auch in regelmäßigen Abständen vorbeikommen, auch unangekündigt, um mich von der Richtigkeit der Berichte zu überzeugen. Kommen wir dabei überein?
Es dauerte nicht lange, bis der Verwalter letztlich nickte. Curio reichte ihm die Hand, um diese Abmachung festzumachen. Danach plauderten sie noch ein wenig über die Eigenarten des Landgutes, bevor sich Curio noch den Garten und die Wirtschaftsräume zeigen ließ und schließlich mit Acanthos zurück in die Stadt ritt.