Curio hatte ja zu Beginn des Gespräch eher mit einem einfacheren Thema gerechnet. Zum Beispiel die Geschichten von den Lehrstunden, den sie den Kindern der Bauern in der Umgebung gab, welche Kinder dazugekommen waren oder welches der Kinder bereits so gut lesen, schreiben und rechnen konnte, dass die Eltern bald die Ausbildung beenden würden. Natürlich wäre auch ihre Tätigkeit im Tempel ein Thema gewesen, wo sie, sofern die Gespräche der Aeditui stimmten, nun ebenfalls mit der Ausbildung einzelner Discipuli beauftragt worden war. Und nicht zuletzt die regelmäßigen Besuche von Menschen jeder Volkszugehörigkeit, die Rat bei seiner Frau suchten, da sich offenbar langsam herumsprach, dass Silvana übersinnliche Fähigkeiten besaß. Aber irgendwie war er auch froh, dass seine Frau sozusagen direkt in medias res ging und mit dem Tod ihrer Mutter begann. Bislang hatte sie sich einem Gespräch dazu beharrlich verweigert oder war ihm manchmal auch einfach aus dem Weg gegangen, um nicht darüber sprechen zu müssen. Daher betrachtete Curio dies hier als sehr, sehr großen Schritt nach vorne.
Während Silvana sprach, lag ihr Kopf auf seiner Brust und seine Hand ruhte auf ihrer ihm abgewandten Schulter und streichelte in regelmäßigen Bewegung an ihrer Schulter und ihrem Oberarm auf und ab. Es war kein leichtes Thema. Das war Curio klar. Auch für ihn nicht, denn die grausame Mors, Göttin des Todes, war bislang immer an den Menschen in seiner Umgebung vorbeigezogen. Nun, wenn auch nur indirekt, damit konfrontiert - er hatte seine Schwiegermutter ja erst nach Silvanas Inauguralopfer kennengelernt und hatte sie danach auch nur selten gesehen, ehrlich gesagt konnte er die gemeinsamen Momente sogar an einer, maximal zwei händen abzählen - fehlten ihm die Worte, da er weder aus irgendeinem Erfahrungsschatz greifen konnte, noch irgendwelche abgeschmackten Platitüden von sich geben wollte. Daher ließ er Silvana ausreden, hörte die leise Verzweiflung in ihrer Stimme und glaubte auch, sie körperlich wahrnehmen zu können. Dann schwieg er einige Augenblicke.
Ja, manchmal sind die Götter grausam. Und Mors ist mit Abstand die Grausamste unter ihnen. Aber letztlich machen sie alle nur jene Aufgabe, die ihn zugedacht wird.
Es war nunmal so. Schon morgen konnte sein Lebensfaden enden, oder Silvanas - er bekam bei dem Gedanken eine Gänsehaut - doch war es dann nunmal so.
Deine Mutter war stolz auf dich, Runa, und sie war sicherlich auch stolz, dass sie einen gesunden Sohn zur Welt gebracht hat. Vielleicht war genau das ihre Aufgabe und sie hat sie erfüllt mit erhobenem Haupt.
Er zögerte einen Augenblick. Silvana war bis zuletzt bei ihrer Mutter geblieben. Sie wusste am besten, was in dem Raum abgelaufen ist, während Curio die Informationen nur vom Hörensagen kannte.
Was deinen Vater angeht, denkt er wahrscheinlich genauso wie du. Eine Ehe, die, wie du mir erzählt hast, vor allem auf Respekt beruhte, blühte plötzlich auf und ohne es wirklich genießen zu können, wird ihm das wieder genommen... Er hat einen Sohn gewonnen, aber eine Frau, die mittlerweile seit siebzehn Jahren an seiner Seite stand, verloren. Es ist ein ungerechter Tausch, aber traurigerweise haben die Götter so entschieden.
Curio konnte sich natürlich lediglich vorstellen, was Verus durchmachte. Er hatte es gespürt in der kurzen, aber dennoch viel zu langen, Trennung von Silvana, doch war es natürlich längst nicht so endgültig gewesen, wie bei Verus und seiner Frau. Der kleine Hoffnungsschimmer, der doch immer irgendwo in seinem Hinterkopf herumgespukt hatte, musste bei Verus komplett erloschen sein.
Allerdings macht mir Sorgen, dass dein Vater offenbar nicht nur seinen Sohn meidet, sondern auch an seiner eigenen Existenz zweifelt. Kurz bevor du mit deinem Bruder herunterkamst, schritt er durch die große Halle und verkündete, dass die Götter ihn verlassen hätten. Seitdem habe ich nicht mehr mit ihm geredet. Selbst bei den Salutationes macht er sich rar. Irgendwie müssen wir ihn da rausholen, aber ich weiß nicht, ob wir dafür die Richtigen sind.
Erneut setzte Curio ab. Es war zum Mäusemelken. Irgendwie hatte Verus ihn zu seinem Ersatzsohn hochstilisiert, zumindest hatte Silvana das immer und immer wieder betont.
Vielleicht hilft es euch, gemeinsam zu trauern?
Gab es eigentlich schon Planungen für den Leichenzug Fusas? Für die Verbrennung und Beisetzung? All das wusste Curio nicht, denn während sich Verus offenbar in seiner Schockstarre verlor, blieb das meiste wohl an Marsus hängen, zu dem er nunmal nicht den engsten Kontakt hatte. Das musste sich jetzt wohl ändern.
Wie wäre es, wenn wir deinem Vater gemeinsam einen Besuch abstatten? Wenn ihr unter euch bleiben wollt, lasse ich euch natürlich alleine. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, mit deinem Onkel zu sprechen. Aber wir müssen hin und wenigstens versuchen, deinen Vater aufzurütteln.