Viel war passiert am Vormittag der Vinalia. Während Silvana sich in die Natur zurückzog, suchte Curio Hilfe in den Büchern. In seiner kurzen Mittagspause hatte er nicht gegessen - er hätte wahrscheinlich auch nichts hinuntergekriegt - und fand sich schließlich vor jene Buchhandlung wieder, in der er sich bereits seine Ausgabe der Oden des Horaz gekauft hatte. Erneut betrat er den Verkaufsraum, der alte bärtige Besitzer erkannte ihn sofort, ließ ihm jedoch wieder etwas Zeit, sich umzuschauen, so wie er es auch beim letzten Mal getan hatte. Unruhig glitt der Blick des Helvetiers durch die Fächer und blieb schließlich an einem Regal hängen, das mit "Ovid" beschriftet war. In einem Fach des Regals fanden seine Augen die Aufschrift "Amores" und natürlich machte seinen Herz einen kleinen Sprung. Unsicher nahm er eine Ausgabe heraus, so vorsichtig, wie möglich und öffnete sie ein Stück. Nach dem Musenanruf fanden sich direkt einige Zeilen, die ihm aus dem Herzen sprachen.
Sagt, was mag das nur sein, daß das Lager mir täglich so hart scheint
Und daß die Decke mir stets gleitet vom purpurnen Pfühl?
Schlaflos verbring' ich die Nächte, die endlos langen; es schmerzt mich
Jegliches Glied und im Bett werf' ich mich stöhnend umher.
Wär' ich von Liebe gequält, so müßt' ich das wissen und fühlen –
Oder beschlich sie vielleicht listig und heimlich mein Herz?
Ja, so geschah's: jäh drang in die Brust ihr zartes Geschoß mir,
Und nun beherrscht sie, die rauh Waltende, völlig mein Herz. –
Weich' ich? Oder entfach' ich im Kampf noch höher das Glutmeer?
Nein denn, ich weiche. Man trägt leichter die Last mit Geduld.
Der Mann wusste, worüber er schrieb. Curio schüttelte leicht den Kopf. Man erträgt leichter die Last mit Geduld. Es war definitiv ein Laster, wenn auch ein angenehmes. Nur war es grade bei ihm auch eine andere Last, die damit einherging, nämlich diese verdammte Verantwortung, die ihm eingebläut worden war. Er las noch weiter und eigentlich gab er ja gute Beispiel dafür, es erstmal geschehen zu lassen, denn Amor würde ja ohnehin siegen... Dann jedoch stockte er.
Mit dir schreiten im Zug Schmeichelei, Verblendung und Tollheit –
Wack're Gesellen, die stets treu deinen Fahnen gedient.
Waren sie vielleicht wirklich verblendet, waren sie toll außerhalb jeder Kontrolle? Erneut schüttelte er den Kopf, dieses mal aber aus reiner Ablehnung dessen, was er da las. Er konnte noch Denken, er wusste über die Probleme - ebenso wie Silvana - doch er war davon überzeugt, dass sie es irgendwie schaffen würden, als Hürden zu überschreiten. Außerdem kam ihm ein pragmatischer Gedanke: Wenn Amor, der kleine Dreckskerl, sie beide schon mit ihren Pfeilen abschoss, sollte er auch gefälligst helfen, dass es zumindest einfacher wurde. Wenigstens ein bisschen.
Er legte die Schriftrolle wieder zurück. Er könnte sie nicht kaufen, ohne dass Gerüchte entstanden, denn einer der Schreiber würde sicher plauschen und plaudern. Schon in ihrer beider Interesse konnte er das nicht riskieren. Sein Blick wanderte weiter und erneut bot sich ihm ein Regal dar. Es war überschrieben mit "Heilmittel gegen die Liebe" Er verzog kurz sein Gesicht. Wie hatte es Alpina gesagt: Bitter und süß, mit beidem würde er zu tun bekommen. Er vermutete, dass es wohl einige hier gab, die unglücklich liebten, denn in dem Regal lagen deutlich weniger Schriftrollen als im ersten.
Letztlich atmete der Helvetier durch, verabschiedete sich mit einem einigermaßen freundlichen Blick von dem bärtigen Besitzer und machte sich auf den Weg zu seinem nächsten Termin.
(alles Kursive aus: Publius Ovidius Naso: Amores - 2. Amors Triumphzug)