Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Glücklicherweise war die Barackentür halb geöffnet. Die Hitze hat also auch ihr gutes, dachte Antias erleichtert. Er hatte auf dem Weg ein halbes Dutzend mal nachgefasst, um nichts von seiner Ausrüstung fallen zu lassen, und war nun froh, die Tür nur aufstoßen zu müssen, um mit all seinem Krempel in die Unterkunft rumpeln zu können.


    Kaum hatte er sich mit seinem Bündel durch die schmale Tür gedrückt, empfing ihn bereits heiseres Geschrei. Nicht noch ein Optio! Lasst mich doch erstmal in Ruhe meine Sachen verstauen! dachte er flehentlich, während er durch den dicht umklammerten Wald aus Töpfen, Lampe, Helm, Rüstung und Hasta im Halbdunkel der Baracke zu erkennen versuchte, was vor sich ging. Als er im Dämmerlicht schließlich eine quergestellte rote Crista erblickte, war er im Bilde. Kein Optio. Der Centurio höchstselbst stand da breitbeinig in der Unterkunft, Jupiter sei Dank mit dem Rücken zur Tür.


    Mist! Und jetzt? Meldung? Wie? Salve? Ave? Die Augenblicke verrannen so langsam wie Jahreszeiten. Salutieren? Aber wie? Mit dem ganzen Zeug im Arm? Fallen lassen? Den Gladius und die Hasta? Nie im Leben!
    Antias dankte den Göttern, dass der Centurio offenbar seine ganze Aufmerksamkeit auf einen der strammstehenden Kameraden konzentriert hatte. Vorsichtig und so geräuschlos wie möglich legte er sein Bündel neben sich auf den Boden, nahm Haltung an und wartete einfach ab.

    „Verstanden, Optio!“ presste Antias hervor.
    Auch das noch, eine Hasta. Kein Pilum, mit dem er gelernt hatte umzugehen, nein, eine Hasta. Länger als das Pilum und natürlich auch schwerer. Sonst noch irgendwas zum mitnehmen? Einen Rammbock vielleicht? Oder eine Ballista?


    „Danke Optio!“
    Unbeholfen fummelte er die Stoßlanze zwischen Schulter und Unterarm und schob sich vorsichtig zur Tür hinaus.

    „Danke Optio“ nickte Antias, nahm den Gladius auf und wog ihn prüfend in der Hand. Geschliffen, poliert, keine Scharten an den Längsschneiden, keine Haarrisse an der Klingenspitze. Knauf und Schnittschutz waren zwar fleckig und nachgedunkelt, aber die Grifffurchen lagen tief und rau wie es sein musste. Aus einer leichten Hüftdrehung ließ Antias seinen Schwertarm nach vorn schnellen, betrachtete kurz die tanzenden Lichtreflexe auf der Klinge und riss den Gladius wieder zurück. Ebenso schlicht wie tödlich. Wenn man ihn nicht benutzte wie einen Dreschflegel.


    „Mein Vater hatte auch so einen ..“ murmelte er versonnen vor sich hin, wurde sich seiner eher albernen Aussage aber sofort bewusst und lächelte den Optio entschuldigend an.
    „Ein schwer widerlegbares Argument für die Pax Romana.“


    Was gab es noch? Antias wandte sich dem Miles zu, vor dem sich ein gewaltiges Bündel an Material aufgehäuft hatte, das den schweren Geruch von Leder, Metall und Wolle ausdünstete. Und wo war der Maulesel dazu? Ratlos blickte Antias vom Miles zum Optio. Schlichen sich da Spuren eines Grinsens in die unbewegten Minen?


    Na gut. Keuchend begann er sich durch den Ausrüstungshaufen zu arbeiten, schnallte sich um, stülpte sich über, klemmte sich unter, bis er schließlich vor dem Optio stand wie ein überdimensionales Saturnaliengeschenk.
    „Ausrüstung aufgenommen, Optio“ keuchte er schwankend.

    Noch immer benommen vom Pathos des eben geleisteten Eides stolperte Antias leicht zerstreut in die Waffenkammer.


    „Salve Optio!“ schnarrte er mit belegter Stimme.
    „Titus Germanicus Antias, zurück vom Fahnenheiligtum .. äh .. geschickt vom Optio des Officium .. also .. hier zur Materialausgabe!“
    Glückwunsch! höhnte es in seinem Schädel. Sehr soldatisch, alle Achtung.

    Die Standarten und Feldzeichen waren es nicht, die Antias im Fahnenheiligtum bedrückten, nicht die Altäre und nicht einmal das Standbild des Princeps. Vielmehr hatte er das Gefühl, als lasteten die Blicke unzähliger Augenpaare auf ihm, die prüfenden und fordernden Blicke all der Männer, die für diese Einheit gearbeitet, gekämpft und gelitten hatten.


    Antias kaute auf der Unterlippe herum. Allmählich wurde er sich der Bedeutung des Augenblickes bewusst. Mit Eiden, Schwüren und Versprechen war das so eine Sache. So leicht er jahrelang das Leben genommen hatte, so schwer tat er sich mit langfristigen Bindungen, und was war ein Eid anderes als eine eherne und unverbrüchliche Bindung? Er war nie großzügig gewesen mit Versprechen. Nicht etwa, weil er sie ohnehin nicht für bindend erachtet hätte, sondern weil er dergleichen schon immer sehr ernst genommen hatte.
    Tief in sich versunken stand er da und horchte in sich hinein. Wo waren die zweifelnden Stimmen jetzt, die Bedenken, die verheißungsvollen Einflüsterungen der zwanglosen Ungebundenheit? Feige verstummt offenbar. Er lauschte weiter. Stille.


    Dann plötzlich:


    „IURANT AUTEM MILITES OMNIA SE STRENUE FACTUROS QUAE PRAECEPERIT IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS, NUMQUAM DESERTUROS MILITIAM NEC MORTEM RECUSATUROS PRO ROMANA REPUBLICA."


    Und damit war alles gesagt.

    Antias trat ein, baute sich vor dem Schreibtisch des Offiziers auf und vermeldete schneidig:
    „Ja, Optio!Titus Germanicus Antias, zurück von der Tauglichkeitsprüfung!“ Dann trat er vor und reichte dem Optio die Tabula.
    Er konnte es sich nicht verkneifen: „Der Medicus meint, ich werde Optio.“



    Tauglichkeitsprüfung von Titus Germanicus Antias



    Alter: 22


    Vorerkrankungen: keine


    Körperlicher Zustand: gut


    Gehör: gut


    Augen: gut


    Sonstiges: ----



    Antias nahm die Tabula entgegen. Irgendwie fühlte er sich jetzt, da er wieder bei Atem war und sein Pulsschlag sich normalisiert hatte, sogar frischer und wohler als vor der Schinderei. Ein Nebeneffekt, den der zynische Medicus sicher nicht beabsichtig hatte. Soso, kein großes Talent, dachte er amüsiert. Für diesen Befund reichten also ein paar Körperübungen aus? Vielleicht sollte sich ein Mann mit solch umfassendem Sachverstand eher der Kaninchenzucht widmen.


    „Verstanden, Medicus!“ blökte Antias und verließ grinsend das Valetudinarium.

    Der Medicus schien in der Tat ein feines Gespür für die Belastbarkeit seiner Probati zu haben. Oder auch nur Glück. Jedenfalls hatte er den Dauerlauf gerade noch rechtzeitig beendet, nämlich einen Wimpernschlag bevor Antias ihm vor die Füße gekotzt hätte. Der bemühte sich nun um eine möglichst aufrechte Haltung und machte sich gleichzeitig daran, mit geblähten Nasenflügeln den Raum leer zu atmen.


    Was stand auf dieser Tafel? Der Schweiß rann ihm in die Augen Das ist nur diese Sauhitze, wollte er dem Medicus mitteilen, hielt es aber für klüger, den Mund zu halten und sich elementareren Dingen wie dem Luftholen zu widmen. Endlich kam er auf den Gedanken, sich den Schweiß mit dem Handrücken aus den Augenwinkeln zu wischen.


    „Äh .. V .. XII .. II .. III .. VIII .. IX ..“ er kniff die Augen zusammen, der Schweiß brannte und der Medicus wartete. „ .. XX .. oder M .. tut mir leid, Medicus, die letzten kann ich nicht deutlich erkennen.“ gab Antias beschämt zu.

    Hatte der Medicus ihn nicht eben selbst nach Vorerkrankungen gefragt? wunderte sich Antias. Nun gut, vielleicht gehörte das zum Test.


    „Eine wirkliche Ausbildung habe ich nicht, Medicus.“ antwortete Antias, während er – noch relativ problemlos – die Kniebeugen absolvierte. Als nächstes ließ er sich nach vorne fallen und begann mit den Liegestützen.


    „Mein Vater hat mich zwar ..“ berichtete er nun schon etwas stockender.
    „.. den Umgang mit Pilum, Gladius und Scutum gelehrt, und mir ..“
    Verdammt, jetzt wurde es mühsam. „.. Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht ..“
    Zwanzig! Und nun rennen? Ernsthaft?
    Antias richtete sich schnaufend auf, schüttelte die Arme aus, und begann auf der Stelle zu laufen.
    „.. aber eine richtige Ausbildung kann man das nicht nennen!“ Die letzten Silben kamen ihm nur noch als Keuchen über die Lippen. Er schwitze nun nicht mehr, während er japsend weiterrannte, er hatte begonnen, zu schmelzen. Gehörte das erlösende Wörtchen „Halt“ nicht zum Wortschatz des Medicus? Eins, zwei, eins, zwei ….

    Antias trat aufatmend ein. Schatten! Immerhin.


    „Salve Medicus! Titus Germanicus Antias zur Tauglichkeitsprüfung!“ bellte er beflissen und hielt sich die Tabula vor die Brust wie ein Scutum.



    Tauglichkeitsprüfung von Titus Germanicus Antias.


    Alter:


    Vorerkrankungen:


    Körperlicher Zustand:


    Gehör:


    Augen:


    Sonstiges:


    Auf seinem kurzen Weg zum Valetudinarium überflog Antias schnell die einzelnen Punkte auf der Tabula. Vorerkrankungen, Gehör, Augen, da wird es keine Probleme geben, stellte er beruhigt fest. Zwar zierte ihn die eine oder andere Narbe aus diversen Prügeleien mit Schankwirten, Saufkumpanen und Legionären im heimischen Mogontiacum, aber das waren lediglich die üblichen Blessuren eines unreifen Bengels. Ansonsten war er bislang von ernsteren Verletzungen und Krankheiten verschont geblieben.
    Was allerdings seinen körperlichen Zustand betraf, fiel ihm die Selbsteinschätzung schon weniger leicht. Sicher, die Abstinenz und der lange Fußmarsch von Germanica herunter hatten das ihre dazu getan, ihm die Spuren von Trägheit und Zechgelagen aus den Knochen zu treiben, aber diese Hitze machte ihm doch mehr zu schaffen als er für normal hielt. Jetzt reiß dich am Riemen! rief er sich zur Ordnung. Du bist normal, nur die Hitze ist es nicht!


    In derlei Grübeleien versunken, hätte er die Tür zum Valetudinarium fast übersehen. So, und jetzt die Arschbacken zusammen, du Hänfling!


    Gehorsam pochte Antias an der Tür.

    Antias trat ein und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Mochten Ruhm und Ehre der Cohortes noch so strahlen, in ihren Amtsstuben manifestierte sich dieser Glanz nicht im geringsten. Welch ein Kontrast zum geschmackvoll eingerichteten Officium des Senators. Allerdings schien der Offizier hinter dem einfach gezimmerten Schreibtisch ohnehin kein Mann zu sein, der viel Wert auf unnötige Bequemlichkeiten legte. Umso besser.


    „Salve, Optio!“ schmetterte Antias motiviert.
    „Titus Germanicus Antias. Ich möchte bei den Cohortes Urbanae meinen Dienst für Rom leisten.“

    Nach kaum fünfzig Schritten auf der belebten Hauptstraße hatte Antias das Rekrutierungsbüro erreicht. So weiträumig sich die Castra auch ausdehnten, verlaufen konnte man sich hier genau so wenig wie in allen anderen Legionslagern. Lagerstraßen, Plätze, Verbindungsgänge, Unterkünfte und Verwaltungsgebäude, alles war bis ins kleinste durchdacht und strukturiert. Selbst die vielköpfigen Menschentrauben auf der Principalis wogten nicht planlos durcheinander wie auf den Gassen und Märkten der Stadt. Antias wusste, dass ein paar kurze Signale des Cornicen ausreichen würden, um den scheinbar ungeordneten Haufen binnen kürzester Zeit unter Waffen zu bringen. Dem Zivilisten in ihm nötigte das Ehrfurcht und Respekt ab, dem angehenden Legionär erfüllte es mit heißem Stolz. Das war die Legion, das war Rom!


    Antias anfängliche Zweifel verflogen, und als er mit fester Hand an die Tür des Officiums klopfte, war er sich bereits völlig sicher, das richtige zu tun.

    Je näher Antias den Castra Praetoria kam, desto höher wuchsen deren Mauern in den Himmel. Unwillkürlich verlangsamten sich seine Schritte. Das hatte er nicht erwartet. Ein Legionslager, ja. Ein großes stark befestigtes Legionslager, zweifellos. Allerdings nicht dieses wuchtige Ungetüm, das dort vor ihm trutzig über den Vorstadtdächern lauerte. Er war beeindruckt, und allmählich ging es ihm ernsthaft auf die Nerven, ständig auf's Neue beeindruckt zu werden. Schön – dachte er grimmig, Rom eben. Hier ist einfach alles größer und gewaltiger und römischer, so langsam hab ich's kapiert!


    Halblaut vor sich hin maulend blieb er stehen, holte den Trinkschlauch aus seinem Bündel und goss sich den letzten Rest brühwarmer Posca in den trockenen Mund. Tresterpisse! Und als Ausgleich für die schiere Erhabenheit Roms haben die Götter diese Schweinehitze in die Stadt flatuliert, man könnte ja sonst noch in Hybris verfallen! Antias stellte wieder einmal fest, dass allzu hohe Temperaturen seiner Ausgeglichenheit wenig zuträglich waren.


    Na gut, vorwärts! – ermunterte er sich. Senator Sedulus hatte ihm schließlich versichert, man könne sich an dieses Klima gewöhnen. Ob man wollte, war also die Frage. Als er mit gezwungen strammen Schritten auf die Torwache zumarschierte, ließ sein Grimm ein wenig nach. Was lamentierte er über die Hitze? Dem armen Kerl, der dort Wache schob, kochte sicher schon das Hirn unter dem heißen Helm. Immerhin, man sah es ihm nicht an.


    „Salve Soldat.“ grüßte Antias freundlich.
    „Ich komme, um mich zu den Cohortes Urbanae zu melden.“