Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Antias begriff durchaus, in welcher Zwickmühle sich die verbitterte Wirtin befand. Jede Anschuldigung, die sie gegen die Christianer erhob, konnte eben so gut auf sie selbst und ihren Mann zurückfallen. Je gefährlicher sie die Umtriebe dieser Sarah und ihresgleichen beschrieb, desto fragwürdiger musste Mirjams’ eigene Rolle bei alldem erscheinen. Hätte Antias es darauf angelegt, es wäre ihm ein leichtes gewesen, ihr aus ihrer Mitwisserschaft einen Strick zu drehen, aber das hatte er nicht vor. Mirjam war kein kalt berechnender Mensch, sondern eine verzweifelte Mutter, die sich an jeden Funken Hoffnung klammerte, etwas über das Schicksal ihrer Tochter zu erfahren. Noch immer konnte er sich nicht vorstellen, was diese obskure Razzia damals derart aus dem Ruder hatte laufen lassen. Die Urbaner konnten ihre Augen und Ohren nicht überall haben und waren nach seinem Dafürhalten auch auf eine gewisse Unterstützung der Cives und Perigrini angewiesen, um ihrer Aufgabe, die Urbs und ihre Bewohner zu schützen, wirklich gerecht werden zu können. Mit brutaler Willkür und blinder Zerstörungswut verschüttete man nur kostbare Quellen und machte das Volk zu heimlichen Feinden der Ordnungsmacht.


    „Schon gut, Mirjam.“ lächelte er der Wirtin besänftigend zu. „Beruhige dich, ich glaub dir ja. Wären wir gekommen, um euch mitzunehmen oder euer Haus zu verwüsten, hätten wir das längst getan. Leider sind nicht alle Urbaniciani gleich, die Offiziere schon gar nicht. Mein Optio ist wahrlich kein Unmensch, euch beiden droht keine Gefahr von unserer Seite. Dass du offen mit mir sprichst, kann sich nur zu eurem Vorteil auswirken.“ Nachdenklich lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und gönnte sich ein paar tiefe Züge der feucht frischen Regenluft. Nein, er war nicht hier, um den Wirtsleuten Schwierigkeiten zu machen, es ging um Informationen. Was im Hinterhof geschehen war, konnte Mirjam nicht angekreidet werden. Dennoch war es geschehen.
    „Ich werde deine gut gemeinte Warnung vor Sarah und den demagogischen Elementen ihrer Sekte ebenso weitergeben wie meine Überzeugung, dass deren Rituale nicht unter eurem Dach stattgefunden haben. Wo sie stattdessen stattfinden, weißt du aber sicher, nicht wahr?“

    Zu einer wirklichen Lösung hatte das Gespräch der drei Kameraden bislang nicht geführt. Auf dem ganzen Weg von den Lagerthermen bis zu den Unterkünften war die Diskussion immer wieder unter den heißen Wogen von Hispos’ Selbstmitleid verschwunden. Bei allem Verständnis für seinen maximal durchbluteten Freund war Antias doch allmählich der Langmut abhanden gekommen. Hispo war hier schließlich nicht der einzige mit derlei Problemen. Fimbria dagegen war ganz wie es seinem Charakter entsprach aufrichtig um Marullus besorgt und bestrebt, ihm zu helfen, ohne freilich zu wissen, wie er das anstellen sollte, und Antias wiederum wusste nicht so recht, was man nun von ihm erwartete. Sicher, er war der Stubenälteste, aber was nützte ihm das schon? So viele Möglichkeiten, Marullus aus seiner Trauerstarre zu holen, gab es gar nicht. Antias würde mit ihm reden, es zumindest versuchen, sollte er dennoch nicht bis zu ihm vordringen, blieb letztlich kein anderer Ausweg als die Entlassung wegen Dienstuntauglichkeit. Marullus nach dem Beispiel anderer Einheiten einer brutalen Sonderbehandlung zu unterziehen, war für Antias keine Option. Nicht in seinem Contubernium!


    Als sie die Baracke endlich erreicht hatten, schienen sich sowohl Selbstmitleid als auch Hilfseifer schlagartig verbraucht zu haben. Hispo machte sich mit demonstrativem Enthusiasmus an den dreckigen Töpfen zu schaffen, Fimbria ließ sich summend auf sein Lager nieder, den Weinschlauch so zärtlich umklammert wie ein Wickelkind und Antias wurde klar, dass es wieder einmal an ihm hängen geblieben war. Seufzend blickte er auf die regungslose Gestalt im hinteren Teil der Baracke, füllte seine Patera mit nahezu erkaltetem Puls und ging schließlich zu Tutors Pritsche, auf der Marullus wie aufgebahrt dalag und mit solch leerem Blick an die Decke starrte als hätte man ihm zwei gebrochene Fischaugen auf die geschlossenen Lider gelegt.
    „Na, Miles Tadius? Mal wieder nichts gegessen?“ fragte Antias in bemüht leichtem Tonfall, setzte sich vorsichtig auf die Pritsche und hielt Marullus die Patera hin. Keine Reaktion. Hispo brummte dumpf in den Spülbottich, Fimbria stimmte eine schwere melancholische Weise an, Marullus jedoch blieb stumm. „Komm, iss.“ schlug Antias aufmunternd vor. „Ist fast noch warm, mit Speck und Rosinen.“ Die toten Augen zitterten ein wenig, neigten sich ein wenig. „Iss, Marullus!“ Marullus fuhr lautlos vom Lager auf, griff nach der Patera und tat stumm wie ihm geheißen, aß, schmatze, schlang, stopfte den klebrigen Brei in sich hinein ohne irgendeine Regung zu zeigen. Selbst als die Patela leer war, leckte Marullus noch immer wild darin herum, bis Antias ihm den Napf wieder wegnahm. „Schon gut, du kannst aufhören.“ Schlagartig hörte Marullus auf zu kauen, ließ sich wieder auf die Pritsche fallen und summte fast tonlos die wehmütige Melodie von Fimbrias’ Gesang mit, während sich ein nasser Schimmer über die ausdruckslosen Augen legte. Antias war entsetzt. Dass es so übel um den Burschen stand, hatte er nicht erwartet. Beklommen und ratlos lauschte auch er dem traurigen Soldatenlied.


    „.. dein Schild, er ward mir Schutz und Schirm
    durch aller Schlachten Pein
    dein edler Mut, dein heißes Blut
    ward wild wie Flammenschein


    es wies den Weg mir durch die Nacht
    auf Pflaster, Moos und Stein
    es schürte mich und führte dich
    bis in den Tod hinein


    in Staub und Sand
    im Partherland
    bleicht nun dein kühnes Haupt
    oh Krieges Brand, oh Feindes Hand
    hast mir den Freund geraubt ..“


    Na wunderbar. Wenn das nicht die Stimmung hob. Am liebsten hätte sich Antias neben Marullus auf die Pritsche gelegt um nie wieder aufzustehen „Fimbria, könntest du vielleicht ...“


    „.. im Blut von Carrhae standen wir
    wie Brüder Speer an Speer ..“


    „Fimbria! Bitte! Geht’s noch deprimierender?“ Der erdige Bariton verstummte, ein beleidigtes Grunzen wurde vernehmbar, dann das Gluckern des Weinschlauchs. Die Barackentür flog auf, Pacatus, einer der übrigen Milites steckte den Kopf in die Unterkunft, gewahrte die trübe Atmosphäre und knallte die Tür stöhnend wieder zu. Hispo gab einige unbeherrschte Körpergeräusche von sich. „Hat der jaulende Bergbulle vielleicht auch was beschwingteres im Angebot? Mir gefriert schon das Spülwasser.“ Fimbria murmelte Unflat in seinen Bart, versuchte sich dann aber umgehend an leichterem Liedgut.


    „In des Frühlings dampfend Wäldchen
    jag ich heut mein Ross hinein
    ohne Zügel auf den Hügel
    durch den ersten Morgenschein ..“


    Nur geringfügig erleichtert blickte Antias wieder auf Marullus hinunter. Da half alles nichts, Marullus war als Miles nicht zu gebrauchen. Zumindest nicht in diesem Zustand. Möglich, dass er wirklich nur hier raus musste. Für eine Weile. Zu seiner Familie vielleicht in die Lepinischen Berge. Aber wie? Und vor allem, für wie lange? Im Grunde wusste Antias sehr wohl, dass Marullus – wenn er denn einmal die Castra verlassen konnte – nie wieder zurückkehren würde.


    „.. in des Wäldchens warmer Grotte
    bringst du mir dein Sehnen dar
    kommt verlegen mir entgegen
    dein benetztes Lippenpaar ..“


    „Marullus.“ fragte Antias schließlich mit Nachdruck in der Stimme. „Willst du nachhause?“ Die trüben Fischaugen flackerten wieder etwas. Das blasse Gesicht blieb leichenstarr. „Willst du heim? Geht’s dir dann besser?“ Ein gequältes Seufzen durchfuhr Marullus eingesunkene Brust und strömte in ein paar leise gemurmelten Worten aus seinem halbgeöffneten Mund. Antias verstand nicht, was Marullus sagte, begriff aber endgültig, dass der Zwilling für die CU verloren war.


    „.. Chelidonis, nicht dein Herzchen
    Chelidonis, muss es sein
    Chelidonis, nur dein Schößchen
    Chelidonis, ganz allein ..“


    Völlig unvermittelt knallte Hispo den Topf in den Bottich und keifte Fimbria an. „Was anderes als dieser aufreizende Saukram fällt dir nicht ein? Das machst du mit Absicht, Raecius!“ Antias fuhr erschrocken herum. Was war denn jetzt wieder? Fimbria machte nicht den Anschein, als wüsste er worum es ging. Mit zornrotem Schädel riss Hispo seinen Mantel an sich und stampfte zur Barackentür. „Da verbring ich die Nacht lieber im Kaltwasserbecken als bei euch rücksichtslosen Furzgesichtern!“ Die Tür schwang knarrend auf und wummerte krachend wieder zu. Nun waren sie nur noch zu dritt in der Baracke, genau genommen sogar nur zu zweit, denn wo sich Marullus in Wirklichkeit herumtrieb, vermochte niemand zu sagen. Müde erhob sich Antias, warf seine Patera ebenfalls in den Bottich und zerrte dann Fimbria den Weinschlauch aus den Armen. „Beim Iuppiter, Fimbria .. manchmal wünschte ich, ich hätte Germania nie verlassen.“

    „.. CCXC .. CCXCI ..“ zählte Antias monoton vor sich hin. Langsam wurde es ungemütlich. Die Wärme begann sich aus seinem Körper zu verflüchtigen, seine vor kurzem noch weich gekneteten Muskeln wurden allmählich wieder hart, höchste Zeit, das Frigidarium zu verlassen und sich auf der Palaestra körperlich zu betätigen. Ohnehin war diese Wette der reinste Schwachsinn. „.. CCXCII .. CCXCIII ..“ So gut hätte Fimbria Hispo eigentlich kennen müssen, um zu wissen, dass der mit seinem besten Stück keine Späße trieb. Aber gut, die beiden Idioten hatten ihm die Rolle des neutralen Zählers zugewiesen, also zählte er weiter, während er fröstelnd das Kaltwasserbecken umrundete, in dessen Mitte Hispo mit bläulichen Lippen und hoch gereckten Armen im Wasser hockte und sich von einem guten Dutzend amüsierter Soldaten begaffen ließ. „.. CCXCIV .. CCXCV..“ Fimbria saß rotwandig und siegesgewiss am Beckenrand, nippte ab und zu an einem Trinkschlauch und deutete Antias gestenreich an, gefälligst langsamer zu zählen. Noch langsamer? Kam überhaupt nicht infrage! Für Fimbria war die Wette bereits in dem Moment verloren gegangen, als er sie vorgeschlagen hatte, da nützte auch das langsamste Zählen nichts, außerdem wollte Antias endlich hier raus. „.. CCXCVI .. CCXCVII ..“


    Die große Sause zum definitiven Ende der Grundausbildung hatten sie sich alle etwas anders vorgestellt, zum Beispiel als episches Besäufnis in Rufo’s Elysium mit anschließendem Spießbratenfest zwischen Sasernas’ zuckenden Schenkeln. Zumindest Hispo bedurfte dringend einer derartigen Behandlung. Je geiler der wurde umso misslauniger stampfte er durch die Gegend und seit Wochen war er dauergeil. Fimbria dagegen wurde von Heimweh geplagt und hatte eine Abwechslung ebenfalls bitter nötig. Aber nein, der verblichene Princeps hatte den armen Kerlen rücksichtsloserweise einen Strich durch die Rechnung gemacht. „.. CCXCVIII .. CCXCIX ..“ Nicht einmal Antias konnte sich so recht für seine Kameraden freuen, war er doch durch seine vorzeitige Beförderung bereits in den Genuss zweier freier Tage gekommen. Dafür, dass dem Rest des Contuberniums nun die verhängte Urlaubssperre dazwischen gekommen war, konnte er zwar nichts, ein schlechtes Gewissen nagte aber dennoch an ihm. Er brauchte Sasernas’ Dunstpforte nicht, er brauchte kein Besäufnis und keinen Heimaturlaub, er brauchte nur eine Aufgabe, eine paar vernünftige Ideen und Apolonia. Allein der Gedanke an sie ließ sein Blut ein wenig wärmer durch die Adern strömen.


    „Wwa .. was is jetzt?“ bibberte Hispo aus den eisigen Fluten und brachte Antias wieder in’s Frigidarium zurück. „Ach so, ja .. CCC .. und jetzt raus da!“ Etwas ungelenk erhob sich Hispo aus dem Wasser, senkte aufseufzend die Arme und stakste zitternd auf den Beckenrand zu. Fimbria sprang auf, beugte sich forschend nach vorne und ließ den Unterkiefer fallen. „Gibt’s doch gar nicht.“ Steifknochig kletterte Hispo aus dem Becken und hielt Fimbria herausfordernd seine tropfenden Lenden entgegen. „Ssso, bbbitteschön! Was hab ich euch gggesagt?“ Fimbria starrte ungläubig auf den prallen wie aus Granit gemeißelten Schaft, der ihm da entgegen federte. „Das is aber doch nicht mehr angenehm, oder?“ fragte er mitfühlend. „Nein! Gar nicht! Wovon red ich denn die ganze Zeit!“ ereiferte sich nun Hispo. „So geht das nicht! Das können die mit mir nicht machen! Bin ich ein Fisch? Ich dreh hier noch durch!“
    „Es ist für uns alle nicht leicht.“ versuchte Antias Hispo zu besänftigen, während er ihn mit einem frischen Wolltuch abrieb. „Immerhin hast du grade dreissig Sesterzen gewonnen. Ein Freistich bei Saserna.“ Dass dies ein eher ungünstiges Argument war, wurde ihm sofort klar als er es ausgesprochen hatte. „ACH JA? Und was bringt mir das? Soll ich ihr meinen Schwengel mit dem Boten schicken? Ich muss hier raus!“ Gutes Stichwort. „Ich auch. Also verschwinden wir hier erstmal. Fimbria, gib ihm den Schlauch.“


    Fimbria überreichte Hispo ehrfürchtig den Weinschlauch und schob den erregten Kameraden mit Antias’ Hilfe zum Ausgang. „Wir müssen auch noch über Marullus sprechen .. unbedingt.“ Allerdings mussten sie das. Antias war nicht entgangen, welch beunruhigende Verwandlung in dem zurückgeblieben Zwilling inzwischen vorgegangen war. Im Grunde hatte das Contubernium mit Tutor nicht nur einen Toten zu beklagen, sondern zwei. Marullus wandelte tot in ihrer Mitte und das konnten sie nicht zulassen. „Der muss einfach mal hier raus ..“ konstatierte Hispo bitter. „.. hier drin kann man verrecken, und keinen interessiert’s!“ Dem war ganz und gar nicht so, und Hispo wusste das auch. Aber auch das verschworenste Contubernium vermochte es nicht, den Tod zu bezwingen. Wenn sie Marullus nicht mehr erreichen konnten, mussten sie ihn loslassen. Tote hatten unter Soldaten keinen Platz, sie mussten begraben werden.

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    Spurius Cluvius Sulca


    Bereits die anklagenden Worte des Tiberiers hatten den Lärmpegel auf dem Forum deutlich zu senken vermocht. Der eben noch röhrende Pöbel verfiel in erwartungsvolles Gemurmel, die frugalen Wurfgeschosse wurden weniger, die keuchenden Tirones konnten kräftig durchatmen und die Reihen neu ausrichten. Unter den Schildreihen streckten sich dürre Hände nach dem herumliegenden Gemüse aus. Die ärmeren Schichten in der geifernden Menge hatten offensichtlich schon kapiert, dass es in Zeiten wie diesen weit sinnvoller war, das Gemüse zu essen anstatt damit rum zu schmeißen. Frisches Gemüse würde bald zur begehrten Mangelware werden. Die Tore waren dicht, der Handel unterbrochen. Ein knurrender Magen verlangte eben mehr Aufmerksamkeit als ein kochendes Hirn. Sulca zertrat trotzdem ein paar der knochigen Hände. Das war hier keine Armenspeisung sondern eine Hinrichtung. Und was für eine. Kaum war die mit wohldosiertem Pathos gewürzte Rede des Magistrats verhallt, machte sich der Carnifex über den noch verbliebenen Delinquenten her, und begann der faszinierten Menge eine ebenso unerhörte wie entzückende Sauerei zu präsentieren.


    „Hoppla.“ entfuhr es Sulca vergnügt, als der erste Schwerthieb statt des Halses den Arm des Verurteilten durchschlug. Fein! Der Carnifex spielte den Dilletanten, nicht ganz überzeugend, wie Sulca fand, dafür aber mit vollendeter Hingabe. Der Mann wollte eben auch auf seine Kosten kommen. Verständlich. Ein kurzer Blick auf den strahlenden Tiberius ließ unschwer erkennen, dass nun auch der Impresario dieses perfekt inszenierten Spektakels seinen verdienten Lohn empfing. Angestachelt von den süffisanten Bemerkungen des Magistrats lief der Henker allmählich zur Hochform auf, hackte und hämmerte auf den zuckenden Fleischklumpen ein bis dessen Schädel anmutete wie zerkochter Kürbis in Rotweinsoße. Die Ansicht des erstarrten Todesblickes wurde Sulca so zwar verwehrt, denn die Augen des stolzen Mörders waren längst aus den Höhlen geplatzt, aber alles in allem wog das Gemetzel dieses kleine Defizit mehr als auf. Schließlich wurde der zerhauene Schädel dann doch noch vom nicht minder zerhauenen Rumpf getrennt. Sulca reckte den Hals. Nein, da gab es nichts mehr zu bestaunen, nicht einmal das Gesicht war noch zweifelsfrei zu lokalisieren. Gelöst und dankbar schob sich der Cluvier zwei Finger in den Mund und schickte ein paar anerkennende Pfiffe zu Magistrat und Carnifex hinüber. Natürlich war letzterer eine verfluchte Drecksau ohne Berufsethos, aber an den virtuos geführten Fäden des Tiberius hatte das Stück Mist doch eine bewegende Vorstellung abgeliefert. Trotzdem würde Sulca dem Henker die Daumen abschneiden, wenn er ihm einmal in einer finsteren Gasse über den Weg lief. Er selbst konnte sich ja auch nicht immer so hemmungslos ausleben wie ihm zumute war. Professionalität verpflichtet.


    „Tja, Tiro Deciums.“ grinste Sulca zufrieden den noch immer neben ihm stehenden Rekruten an. „Verstärkung wird wohl keine mehr benötigt. Die nächsten, die hier aus der Reihe tanzen, lassen wir den Richtplatz säubern. Das kann viel unterhaltsamer sein als ihnen die Knochen zu brechen.“

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    Appius Rabuleius Caprarius


    Nervös vor sich hinbrabbelnd stakste Caprarius auf die Porta zu. „Ah, das isses .. gut gemacht, Urbaner .. Meldegänger , pah .. Capra bring dies, Capra hol das .. ein Weinchen hast du dir schon verdient .. nachher .. wo ist jetzt der Wisch?“ Fahrig fummelte er zwei Schriftrollen aus dem Mantel, entrollte eine davon und klopfte an der Porta. „Oh je, Götter .. der Lagebericht .. nichts passiert, grade noch gemerkt. Gut gemacht. Also der andere." Hektisch entrollte Caprarius das zweite Schreiben und überflog es.


    Matinia Musa
    A. Matinio A. s.p.d.
    Casa Matinia , Roma


    Mein lieber Aulus,


    du wirst es nicht fassen, doch stehe ich vor dem Tore Roms. Der Einlass wird mir jedoch nicht gewährt, nur dieser Brief ist mir erlaubt. Ich bitte dich daher, dass du dich mit dem Praefectus Urbi Decimus Livianus oder dem Praefectus Praetorio in Verbindung setzt, damit mir der Einlass gewährt wird. Als Enkelin eines Censor sollte es doch möglich sein.

    Ich fühle mich hier draußen einfach verloren, so zwischen die ganze Menge.


    Bitte, bitte…
    Deine

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    „Gut gemacht, Capra, gut gemacht. Hier ein Brief von ... einem Absender. Ich bin Miles Rabuleius ... Sauwetter, das. Die Pflicht ruft! Semper fidelis! Schönen Tag noch ... vale.Verkündigte es, gab den Brief ab und wuselte murmelnd von dannen.

    Das ohnehin schon fahle Licht des fortgeschrittenen Nachmittages wurde allmählich von tiefen schwarzblauen Wolken erstickt, die sich vom westlichen Horizont her langsam und bedrohlich auf die Urbs zuschoben. Auch das noch! Eine ungeschützte Nacht im Frühjahrssturm würde die wartenden Massen nicht gerade milder stimmen. Verdammt! Mochte Aeolus diese aufgequollenen Wolkenbäuche erst weit im Osten zur Entleerung bringen und mochte der Rest der launischen Götter diesem ganze Spuk ein schnelles Ende bereiten!


    Brummend nahm Antias den Brief aus der Hand des Sklaven und entrollte ihn. Nichts verfängliches, nur ein Hilferuf. Ob diese Nachricht der Verfasserin eine Nacht vor den Toren ersparen konnte, dufte zwar bezweifelt werden, aber die Aufgabe der Urbaniciani war schließlich der Schutz römischer Bürger, ob nun innerhalb oder außerhalb der Mauern. Jeder Civis weniger, der sich hier draußen herumdrücken musste, war bereits eine kleine Erleichterung. „In Ordnung. Kann aber eine Weile dauern. Du solltest deine Herrin erstmal aus dem Trubel bringen.“


    Mit einem besorgten Blick gen Westen stapfte Antias zur Stadtmauer, wo hinter den starren Reihen der Sardinier ein zusammengesunkenes Häuflein Syrer an den Quadern lehnte und apathisch vor sich hinstarrte. Die stummen Insulaner hatten offensichtlich längst das Interesse an ihrer blutleeren Beute verloren. „Habt ihr noch was mit ihm vor oder kann er weg?“ fragte Antias den dunklen Miles, der immer noch die Tabula unter den Arm geklemmt hatte. Der Sarde warf einen kurzen Blick auf den Syrer und zuckte die Achseln. „Uns egal. Todlangweilig der Kerl.“ „Verstehe. Dann schaff ich ihn rein.“ Keine Reaktion von sardischer Seite, also packte Antias den Syrer kommentarlos am Ärmel und zerrte ihn hinter sich her zum Tor.


    „Hispo!“ Wieder nichts. Wieder drang nur dumpfes Gemurmel durch das massive Tor übertönt von der abgehackten Kommandostimme des Optios. Fluchend riss sich Antias das Halstuch herunter. Waren sie hier draußen Urbaner zweiter Klasse, oder was? „Verflucht nochmal, HISPO!“ Endlich knarrte der schwere Torflügel auf, aber anstatt des geröteten Schädels seines Kameraden schoss ihm ein Trupp berittener Soldaten entgegen und zwang ihn, sich beiseite zu hechten. Glücklicherweise wurde sein Aufprall durch den schlaffen Körper des schreienden Syrers einigermaßen abgefedert. Unflätige Beschimpfungen ausstoßend rappelte sich Antias wieder hoch, zog den Syrer auf die Beine und stampfte wütend auf Hispo zu, der den Reitern beeindruckt hinterher blickte.


    „Was war DAS denn? Bewachen wir hier offene Tore oder verrammelte?“ Welchen Eindruck mochte das auf die wartenden Reisenden machen? „Genehmigt von Optio Classicus.“ entgegnete Hispo kleinlaut. So. Aha. Was sollte er dazu sagen? Am besten gar nichts. Äußerst angesäuert hielt Antias Hispo den zusammengerollten Brief vor die Nase. „Stehen irgendwelche Meldegänge nach Süden Richtung Palatinus an?“ Hispo zupfte sich nachdenklich am Ohr. „Nicht direkt. Dieser überspannte Rabuleius vom vierten Contubernium soll dem Wachhabenden des Südabschnitts eine Lagemeldung überbringen. Der macht sich demnächst auf den Weg zur Porta Ostiensis.“
    „Na also, passt ja. Dann soll er auf dem Rückweg einen kleinen Haken schlagen. So wie ich ihn kenne, macht der das sowieso. Das Schreiben hier muss zur Casa Matinia am Palatinus, liegt ja quasi auf dem Weg.“ Misstrauisch fingerte Hispo nach dem Brief. „Natürlich was hochoffizielles nehme ich an?“ „Natürlich.“ Schnaufend steckte der genervte Rotschopf den Brief unter seinen Mantel. „Bene. Und was ist mit dem da?“ Ach ja, der Syrer. Stumm leidend und schicksalsergeben wie der Kerl hinter ihm verharrte, hatte ihn Antias fast vergessen. „Den Blödmann sperrt ihr in die Wachstube. Soll der Optio entscheiden, was weiter mit ihm passiert.“ Hispo nickte lustlos, schnappte den Syrer an der Tunika und zog ihn durch’s Tor. „Sonst noch was?“ Antias schüttelte nur müde den Kopf.


    Das Tor schlug zu. Der Wind frischte auf. Der Himmel wurde dunkler und dunkler. Wenn es etwas gab, was einen Scheißtag wie diesen noch krönen konnte, dann war das eine Scheißnacht. Die Blicke der Wartenden waren angesichts der davonjagenden Reiter nicht eben freundlicher geworden. Eine frostige Nacht unter freiem Himmel würde hier keinerlei Frohsinn aufkommen lassen, so viel stand mal fest, weder unter den Reisenden noch unter den Urbanern.

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    Spurius Cluvius Sulca


    Mit äußerst gemischten Gefühlen stapfte Sulca hinter Rekrutenkette entlang, hieb wo es nötig war mit dem unteren Ende der Hasta auf allzu erhitzte Bürgerschädel ein oder trat mit den frisch benagelten Caligae unter den erhobenen Scuta hindurch nach Fußknöcheln und Schienbeinen. Die Tirones machten ihre Arbeit soweit ganz passabel, aber sie schrien dabei viel zu viel rum. Sie mühten sich ab, das war nicht zu leugnen, allerdings standen ihnen Angst und Verwirrung deutlich in’s Gesicht geschrieben und das war fatal. Die Menge hatte sich vor den Urbaniciani zu fürchten, nicht umgekehrt! „Hört mit dem dämlichen Geblöke auf!“ röhrte Sulca missmutig. „Haltet die Klappe und die Reihen geschlossen!“ Gebrüllte Anweisungen der Urbaner interessierten den Pöbel nicht im geringsten.


    Die Meute hatte Blut gerochen, und wollte mehr davon, so viel wie möglich. So lief das immer ab, wenn ihnen ein Ventil für ihren Hass und ihren Neid dargeboten wurde. Der Magistrat hatte es ja auch so gewollt. Allerdings konnte sich Sulca des Eindruckes nicht erwehren, dass der Tiberius die Wirkung des Spektakels wohl doch nicht bis in’s kleinste zu Ende gedacht hatte. Man hätte taub sein müssen, um nicht mitzubekommen, dass sich in der aufgebracht skalierenden Menge allmählich zwei Lager bildeten. Während Sulca kopfschüttelnd stehen blieb um auf den jungen Decimus zu warten, hatte er die privilegierte Gelegenheit, den verschiedenen Parolen aus nächster Nähe zu lauschen.


    „Weitermachen!“


    „Zerfetzt sie! Nieder mit den Parasiten!“


    „Das ist Rechtsbruch!“


    „Holen wir uns die wahren Verbrecher!“


    „Römische Bürger dürfen nicht gegeißelt werden!“


    „Überlasst sie dem Volk!“


    „Der Tiberier missachtet die Gesetze!“


    „Keine Macht den Consuln!“


    „Macht die Tore auf!“


    Nein, das lief nicht glatt. Mit etwas Glück würden sich die widerstreitenden Parteien vielleicht ineinander verbeißen und den Urbanern die Position des lachenden Dritten überlassen, mit etwas Pech dagegen konnte sich der angestaute Volkszorn auch vereint gegen die Organe der Öffentlichen Ordnung richten, die ja bekanntlich sowieso immer an allem schuld waren. Verdammt, und das empörte Pack hatte nicht mal völlig unrecht. Der Tiberius musste doch wissen, dass römische Cives nicht der Folter übergeben werden durften, so bedauerlich das auch war.


    Nun ja, niemand war letztlich perfekt, und wie auch immer sich das hier entwickeln würde, es war Zeit, einen Meldegänger zu bestimmen, der bei Bedarf Verstärkung heranholen konnte. Der Decimus – langbeinig und eifrig – war da ein idealer Kandidat. Endlich war der Bursche herangekommen und half nun dabei, die drängende Plebs aufzuhalten. Auch er schien etwas überfordert und brüllte den Leuten Anweisungen entgegen, die natürlich vollkommen unbeachtet verhallten. Brummend trat Sulca neben den Decimer, schlug ein- zwei mal mit der Hasta über den Schildwall und stieß schließlich ein raues Lachen aus, als der Tiro um Rat nachfragte.


    „Ratschläge interessieren uns einen Scheiß, mein Junge!“ Hatte er eben mein Junge gesagt? Er? Mit einem weiteren Lanzenhieb trieb er sich diese gefühlsduseligen Faxen aus. Wir handeln nach Befehl! Und unser Befehl ist, standzuhalten! Das sind nur blutgefüllte Fleischsäcke, nichts weiter! Bleib ruhig! Schlag zu wenn du musst und halt dich bereit! Wenn der Centurio Anweisung dazu gibt, rennst du los zur Castra als wär der Cerberus persönlich hinter dir her! Verstanden, Tiro?

    Ein paar raue Atemstöße lang versenkte sich Antias tief in Apolonias’ flackernden Blick. Das sonst so sanfte Meergrün flammte sengend und verzehrend durch die Dunkelheit, ließ noch einmal all die schmerzhaften scharfkantigen Bilder in ihm hochsteigen, die ihn schon bei ihrer ersten Begegnung heimgesucht hatten. Alles Verlorene, alles Verschwendete, alles Vergangene, nichts davon schmerzte mehr. Der einzige Schmerz, den er in Apolonias’ atemloser Gegenwart fühlte, war süß und lockend. Dann schloss er die Augen und vergaß. alles. Alles, außer ihr. Gierig sog er ihren scharfen Dunst ein, trank mit weit aufgerissenem Mund die kleinen Schweißperlen von ihren Brüsten, schlang sich keuchend um sie, bäumte sich in ihr auf, wuchs ihr weiter und weiter entgegen.


    Seine Finger wanderten gespreizt an ihrem Rücken hinab und schlossen sich schließlich energisch um ihre zuckenden Backen. Er fing sie mit seinem kreisenden Becken ein, zog sie mit in den unaufhaltsamen Strudel, der sich immer schneller um sie drehte. Schwer atmend umklammerte ihre feuchten Hüften, begann sie gegen seinen eigenen Rhythmus zu drehen, bis ihrer beider Körper übereinanderr rieben wie zwei nasse Mahlsteine. Ihre bebenden Worte peitschten ihn auf, stachelten ihn an, blitzten durch sein Blut und pulsierten unbeherrschbar in seinen Lenden. Er schlug die Augen auf, sah eine dunkle Haarsträhne auf ihrer schweißglänzenden Stirn, fasste sie mit den Lippen und alles um ihn her versank in meergrünem Licht.

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    Spurius Cluvius Sulca


    Soso, Vettianus und Duccianus. Grinsend pfiff der Cluvius durch die Zähne. Der Magistrat war ein verflucht durchtriebener Hund. Der Krieg der Parolen war also eröffnet. Recht so. Das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden war ganz nach Sulcas’ Gusto. Ohnehin war es in der Urbs für seinen Geschmack viel zu ruhig geworden unter der fast unmerklichen Herrschaft Palmas. Ein Princeps hatte für ihn omnipräsent zu sein, allgegenwärtig, unausweichlich, sehr gerne von höchst exzentrischem Wesen, von ihm aus auch völlig irrsinnig. Die stille schleichende Verwaltung des Imperiums machte das Volk nur faul, träge, und vor allem respektlos den Ordnungskräften gegenüber. Ein Römer, der seinen Kaiser fürchtete, fürchtete auch dessen Exekutivorgane. Vielleicht hatte es dieser Tiberier ja selbst auf den Thron abgesehen. Wenn ja, konnte er sich der Unterstützung des Cluviers gewiss sein.


    Ohnehin sah Sulca keinen annähernd geeigneten Kandidaten aus dem hochgestellten Haufen der Togaträger herausragen. Die Consuln? Selbstverliebte Debattierbrüder ohne Bezug zu den niederen Staatsdienern. Ein unverfrorener Barbar aus der germanischen Provinz? Pah! Niemals! Der Praefectus Urbi? Vielleicht nicht die schlechteste Wahl, aber auch der hatte Sulca bis heute nicht befördert. Nein, der also nicht. Was blieb dann noch? Ein siegreicher Kriegsheimkehrer, ein bewährter Feldherr, der die Dinge ohne große Rücksichten selbst in die Hand nahm? Ja! Genau das brauchte Rom jetzt. Aber woher sollte dieser Triumphator kommen? Nicht einmal einen Krieg hatte Palma zustande gebracht! Sulca suchte sich missmutig einen besonders unsympathischen Kerl in der Menge aus und wischte seine besudelten Caligae an dessen Mantel ab. Der Civis war augenscheinlich wenig davon angetan, beschränkte seinen Protest aber auf einen hasserfüllten Blick. Fleischlose verweichlichte Schwächlinge, alle miteinander!


    Über den Richtplatz kullerte der spritzende Schädel des Schwagermörders. Verdammt! Sulca hatte einen der Höhepunkte verpasst. Die ganze Veranstaltung, so sehr er sich im Vorfeld auch darauf gefreut hatte, begann ihm langsam lästig zu werden, ebenso lästig wie diese unbeleckten Rekruten von denen einer sogar zu Boden gegangen war. Getroffen von einem welken matschigen Kohlkopf! Oh Lares! Oh Manes! So weit war es mit den Truppen Roms schon gekommen! Er hätte am liebsten gar nicht hingesehen. „Nun gut, Tiro Decimus!“ wandte er sich an den auf Anweisungen wartenden Rekruten, den er zwischenzeitlich fast vergessen hatte. „Wir verstärken dort drüben die Linie! Deine Kameraden stellen sich an wie die Vestalinnen!“ Ohne auf Antwort zu warten, stampfte Sulca voraus. Wenn er dort Ordnung reinbrachte, würde er vielleicht noch die zweite Enthauptung genießen können.

    „Ähm .. ja .. klar .. da wächst wohl nix mehr ..“ murmelte Antias halblaut und zupfte sich dabei verlegen an der Nase. Bei der säugenden Wölfin! Nun hatte er sich schon wieder bei diesem peinlichem Geglucke ertappt! Schluss jetzt damit! Ein für alle mal! Ausgesprochen verwundert über sich selbst beäugte Antias den vergeblichen Versuch seines Bruders, die Schlappen loszuwerden. Einen schmiss er fort, zwei kamen zurück. Wenn er das auch mit Sesterzen fertig brachte, brauchte man sich um Ferox’ Zukunft keinerlei Sorgen mehr zu machen. „Tja, Ferox .. stinkende Schuhe und schlechte Angewohnheiten. Beides sehr anhänglich.“ resümierte Antias lachend. „Am besten verbrennst du die Schlorpen, oder bringst sie in unserem Marstempel als Opfer dar.“


    So langsam wurde es Zeit, in die Unterkunft zurück zu kehren. Hispo war mit Kochen dran, und der wurde immer zum Tier, wenn sich jemand verspätete. Die Hand bereits zu einem brüderlichen Schulterklopfen erhoben, wurde er von Ferox’ Frage einigermaßen überrumpelt.
    „Klein?“ Das meinte er nicht ernst, oder? Doch, es schien so. „Ach Unsinn, Bruder! Du bist nicht klein. Nicht von außen und erst recht nicht von innen.“ Das hatten sie jetzt von seinen dämlichen Bemutterungsanfällen. Das ganze unwürdige Gehätschel hatte den kräftigen gutmütigen Waldbären schließlich in’s Grübeln gebracht. Reife Leistung! Glückwunsch! schalt sich Antias zerknirscht.


    „Geh’ mal rein und guck dir eure Betten an. Die sind exakt für Burschen deiner Größe ausgelegt. Bei mir wird’s da schon eng und meinem Freund Hispo hängen nachts die Hufe über die Kante. Nein, du bist nicht klein, Ferox.“

    Die Freude der Sardinier über ihre syrische Beute hätte – für ihre Verhältnisse – nicht ausgelassener sein können. Mit ein paar kernigen Stiefeltritten trieben sie den taumelnden Gerüchtekoch hinter die Reihen, beglückwünschten ihren Kameraden mit dezentem Kopfnicken und glotzen schließlich wieder stur geradeaus, allerdings nicht, ohne sich zuvor die Halstücher umzubinden. Sagittas’ Rolle beim erfolgreichen Fangzug wurde geflissentlich ignoriert. Der stapfte grummelnd in die Formation zurück, wo Antias mittlerweile ebenfalls wieder eingetrudelt war. „Seltsamer Haufench.“ Seit sich Sagitta in der Subura ein angebrochenes Nasenbein gefangen hatte, hörte er sich an, als seien seine Nasenlöcher mit Ton versiegelt. „Und du meinst, das bringt was mit der Krankheit und den Tüchernch und so?“ Antias hoffte es. „Naja, zumindest wird es die Leute auf Abstand halten, denk’ ich.“ Offenbar falsch gedacht. Kaum hatte Antias sich eingereiht, stand schon wieder dieser Sklave vor ihm. Hartnäckiger Bursche.


    „Briefe?“ Antias wollte sich wie üblich am Kinn kratzen, erwischte aber nur das Halstuch. Briefe? Nun ja, der tiefere Sinn einer Nachrichtensperre bestand ja wohl in der Unterbrechung des Nachrichtenstromes. Andererseits galt es vor allem ausgehende Nachrichten zu unterbinden, eingehende würden wohl kaum größeren Schaden anrichten. Im Gegenteil, in Fällen wie diesen konnte eine Benachrichtigung sogar ganz sinnvoll sein. Die Lage beiderseits des Stadttores war schon angespannt genug, mit dem Auftauchen Dutzender von Cives, die sich nach dem Verbleib der Anverwandten erkundigen wollten, war niemandem geholfen.
    „Ja, ich denke, das lässt sich machen.“ nickte er dem Sklaven zu. „Allerdings müssen wir uns vorher vergewissern, dass der Brief keine brisanten Informationen enthält. Irgend ein Bote oder Meldegänger wird sich dann schon finden.“

    „Ha!“ Unter erleichtertem Gelächter fummelte Antias sein Cingulum zurecht. „Und wir haben uns deswegen fast in die Tunika gestrullert! Ahaahaahaa! Ich zumindest! Hihihi.“ Natürlich würde Ferox das Lesen trotzdem erlernen müssen, schon um seinen Kameraden gegenüber nicht im Nachteil zu sein, aber der Zeitdruck hatte sich wenigstens erstmal verflüchtigt. „Na, dann hoffen wir mal, dass wenigstens einer in deinem Contubernium die Befehlsaushänge und Bekanntmachungen entziffern kann. Komm mal her .. wie du wieder rumläufst.“


    Kopfschüttelnd klopfte er den Staub von Ferox’ Rücken, zupfte ein paar Steinchen aus der dicken Wolltunika. „Vergiss den Schlappen., schmeiß den anderen besser gleich hinterher.“ Götter! Diese Flecken würde man nur mit Essigwasser wieder rausbekommen. „Auf dich warten deine Caligae, stramm, stabil und im wahrsten Sinne des Wortes nagelneu.“ So, nun noch die Falten glatt gezogen und sein Bruder sah schon ganz manierlich aus. „Wenn du deinen ersten Ausgang hast, kaufen wir dir ein paar schöne weiche Calcei, die nicht drücken ..“ Antias stemmte die Fäuste in die Hüften und besah sich sein Werk. Ja, so konnte man Ferox wieder unter die Leute lassen. „.. und wo du zur Not noch reinwachsen kannst.“

    Antias zuckte krampfartig auf dem Boden herum, ließ die Zunge heraushängen und röchelte kehlig vor sich hin. Endlich hielt ihm jemand einen Trinkschlauch vor die Nase. Wurde auch Zeit, hier konnte man ja eingehen wie eine Primel, ohne dass es jemanden scherte. Gierig schlabberte er am Lederschlauch und vermeldete schließlich mit einem viehischen Rülpser, dass er gerade noch mit dem Leben davongekommen war. „Hilf einem gebrochenen alten Miles mal auf die zittrigen Beine.“ stöhnte er Ferox gequält an. Der kam amüsiert der Bitte nach und zog ihn hoch. Antias blickte grinsend an sich hinunter. Nur zwei Spangen waren verbogen, das ging ja noch. Nichts, was Fimbria in kürzester Zeit nicht wieder hinbekommen würde. „Den Griff?“ Er nahm nochmal einen tiefen Schluck, gurgelte ausgiebig und ließ eine breite Sprühfontäne in’s Publikum regnen. „Den bekommst du schon noch beigebracht, und ne Menge andere dazu.“

    Tief befriedigt beobachtete er, wie einer der Umstehenden seine Wettgewinne einstrich. Auch die lachhafte Miniatur eines Käselaibs wechselte den Besitzer. Das Gesicht dieses Spaßvogels würde Antias sich vorsorglich mal merken.


    Schmunzelnd hielt Antias seinem staubigen Bruder den Wasserschlauch hin. „Vespa geht’s prächtig. Sie ist jetzt quasi Urbanerin. Du findest sie quietschfidel im Stabulum, aber übertreib’s nicht mit den Besuchen. Unzucht mit Vierbeinern ist auch hier drin nicht gerade die Regel.“

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    Spurius Cluvius Sulca



    Donnerwetter, der Junge brannte ja vor Tatendrang. Sulca hatte Mühe, dem großen Burschen hinterher zu kommen. Nach allen Seiten großzügige Hiebe mit dem Scutum austeilend wühlte sich der Cluvier langsam durch die Menge, ohne den motivierten Rekruten auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Der machte das gar nicht so ungeschickt. Anstatt wie Sulca zunächst befürchtet hatte armrudernd und deckungslos durch die Meute zu eiern, nutzte auch der Decimus seinen Schild als Pflugschar und umging den mistigen Steinewerfer erst einmal gekonnt, bevor er sich auf ihn stürzte. Eigentlich hatte er dem Tiro noch nachrufen wollen, dass er – falls es doch brenzlig werden würde – den Pugio benutzen konnte, aber wie es schien, war das gar nicht nötig.


    Zufrieden rammte Sulca das Scutum auf ein paar knackende Fußknochen und wartete ab. Beim Iupitter, er konnte halbgare Rekrutenbengel auf den Tod nicht ausstehen! Aber der lange Decimer hatte irgendwas an sich, das Sulca an seine eigene Zeit als Tiro erinnerte. Ein halbes Leben war das schon her. Talent hatte der Kerl, vielleicht ließ sich ja mithilfe gnädiger Götter ein ganz brauchbarer Urbaner aus ihm machen. Irgendwann.


    Der Decius schleppte seinen Fang ohne große Probleme auf den Cluvius zu und machte korrekt Meldung. Sulca räusperte sich ein paarmal, brummte guttural vor sich hin, konnte eine leise Anerkennung in seiner Stimme aber trotzdem nicht ganz verbergen.
    „Äh, sehr schön. Respektable Leistung, Tiro Decimus!“ Noch ein raues Räuspern. Noch ein belegtes Brummen. „Könnte was aus dir werden.“ Mehr Lob ging beim besten Willen nicht, er war verdammt ungeübt in sowas. Was man vor dir nicht gerade behaupten kann!“ brüllte er stattdessen die bedröppelt dreinblickende Steinschleuder an und hieb ihm die Faust auf die Niere. Der vergnügungssüchtige Aufrührer sackte mit einem kurzen Keuchen am Arm des Decimers zusammen und erbrach sich über Sulcas’ Caligae. „Schmeiß ihn zurück in die Menge, Tiro!“ knurrte der Cluvius angewidert. „Dann warten wir einfach mal ab, wie sich das hier entwickelt.“

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    Spurius Cluvius Sulca


    Es war gar nicht so einfach, die Flugbahnen all der Wurfgeschosse zurück zu verfolgen, zumal Sulca sich entschlossen hatte, das geworfene Gemüse gänzlich zu ignorieren. Ein geworfener Kohlkopf richtete keinen großen Schaden an, ein verspeister schon eher. Was das Pack mit seinen verdorbenen Eiern anfing, konnte ihm letztlich ebenso egal sein. Die Steine waren das Problem. Dumm nur, dass ein fliegender Stein einem fliegenden Ei nicht ganz unähnlich war. Und dann die ganzen Hände! Es wäre schon enorm hilfreich gewesen, wenn wenigstens der friedfertige Teil des Pöbels seine Pfoten heruntergenommen hätte.


    Mit gestreckten Hals ging Sulca langsam die schwankende Urbanerkette entlang, gefolgt vom jungen Decimer, der wohl einen weitaus besseren Blick über die Köpfe hatte; und wirklich schien er recht bald einen der Mistkerle entdeckt zu haben. Sulca stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte auf den Fingerzeig des Decimus hin über die wogende Masse hinweg. „Tatsächlich. Ich seh' ihn. Na gut .." Ohne weitere Erklärung zog er den Rekruten hinter sich her zwischen den absperrenden Kameraden hindurch in die wuselnde Menge hinein. „Ich bleib schräg hinter dir und halt dir den Rücken frei. Also los! Hol mir das Arschloch!"


    Sim-Off:

    So. JETZT kannst du dich austoben. :)

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    Spurius Cluvius Sulca


    Zitat

    Original von Tiberius Decimus Rusticus
    Beim Jupiter, so hatte sich das Rusticus nicht gedacht. Eilig und Hände zitternd steckte er sein Gladio wieder ein.


    Ob der Decimer einen tieferen Sinn hinter seiner gebrüllten Anweisung erblickt oder sich einfach nur erschrocken hatte, war Sulca völlig gleich, Hauptsache, der Tiro steckte seinen Gladius wieder in die Scheide, und genau das tat er auch. „In Ordnung!" krähte der Cluvier für seine Verhältnisse überraschend unaggressiv. „Die blanke Waffe ist saugefährlich im Gewühl! Vor allem für mich! Wenn du dir damit die Nüsse absäbelst, ist mir das scheißegal, aber auf mich wartet ein dampfendes Weib in der Subura!" Nun gut, der Bursche hatte wohl verstanden. Sulca atmete ein paar mal tief durch, rieb sich die pochende Stirn und nickte dem Decimer dann relativ entspannt zu. „Du bist ein ziemlich großer Kerl, das wollen wir doch ausnutzen nicht wahr? Wir gehen jetzt die Reihen ab und picken uns in Ruhe einen oder zwei von den Steinwerfern aus. Wenn sie einigermaßen gut zu erreichen sind, greifen wir zu. Aber keine Alleingänge! Und vor allem kein Gladius! Verstanden, Tiro?"

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    Spurius Cluvius Sulca


    Bei der wogenden Menge angekommen sah sich Sulca kurz um. Natürlich, die feigen Hunde warfen ihren Mist aus den hinteren Reihen. Ob es ratsam war, sich sofort zu ihnen durchzuarbeiten? Vielleicht sollten sie sich erstmal ein paar Demonstrationsobjekte aus den vorderen Reihen fischen und sie als anschauliche Mahnung ein wenig zusammenzustiefeln? Schwund gab es bei solchen Anlässen immer, mal erwischte es die Richtigen, mal die Falschen. Gerade wollte Sulca sich einen Probanden angeln, da ließ ihn das laute Organ des Rekruten herumfahren. Der Decimer hatte sich drohend vor der Zuschauerfront aufgebaut und hielt markige Volksreden, was so falsch gar nicht war, hätte er sein Schwert dabei nicht gezogen. „Der Tag ist hin." seufzte Sulca.


    Als der Tiro schließlich herankam und sich brav bei ihm meldete, vermochte sich Sulca kaum noch zu beherrschen. Tief atmend steckte er seine Hasta hinter das Scutum, fischte unter dem Wangenschutz des Decimus nach dessen Ohr und zog ihn noch weiter auf sich zu. „WEG MIT DEM GLADIUS!" überbrüllte Sulca die lärmenden Massen. „SOFORT! Du ziehst dein Schwert erst, wenn es dir befohlen wird! KAPIERT?" Am liebsten hätte er den großen jungen Narren durch die Lorca gezogen, aber woher sollte er das alles schon wissen? „Hör zu!" blökte Sulca eine winzige Nuance gutmütiger. „Gerade für sowas haben wir die Hasta! Wir sind Urbaner! Wir gehen nicht mit blankem Gladius auf Steinschmeißer los! Nicht, so lange es nicht sein muss, und es muss nicht sein! Also weg damit, verdammt nochmal!"
    Ein grüner Rekrut mit gezogener Klinge direkt in seinem Rücken! Das hatte er nicht verdient!

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    Spurius Cluvius Sulca


    Sulcas' Laune befand sich im freien Fall. Verdammtes Saupack! Anstatt sich einfach zu vergnügen, wie man es von kultivierten Cives eigentlich erwarten konnte, begann der Pöbel allmählich ausfallend zu werden. Immer das gleiche. Die Plebs wusste einfach nicht, wo ihre Grenzen lagen. Alle möglichen Gegenstände flogen auf den Richtplatz zu und darüber hinaus, angefangen von vergammeltem Gemüse, über tönerne Trinkbecher bis zu Dreckklumpen und Steinen unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit. Sulca kochte innerlich. Er war verflucht nochmal gerade dabei gewesen, sich ein wenig zu amüsieren, konnte sich dieser stinkende Mob nicht wenigstens so lange zusammenreißen, bis die zwei Geschundenen ihr kümmerliches Leben ausgehaucht hatten? Anscheinend nicht.


    Laut fluchend verschaffte sich Sulca einen Überblick. Die Kette der Tirones hielt zwar noch stand, wogte aber unter dem Druck der Masse immer bedenklicher vor und zurück. Das kam dabei raus, wenn man unreifes Grünzeug mit in den Einsatz schleppte. Dass der Centurio ihm schließlich Anweisung gab, die angehenden Urbaner zu unterstützen, stimmte Sulca auch nicht gerade versöhnlich. Der Iunier hatte gut reden, der gockelte mit seinem neuen roten Hahnenkamm auf den Rängen herum und ließ sich bestaunen, während seinen heißgeliebten Tirones die Rosetten zu dampfen begannen. Bei allen Göttern, konnte man nicht einmal – nur ein einziges mal – in Ruhe seinen Spaß haben? Mit einem knappen Nicken bestätigte Sulca den Befehl des Centurois, packte seine Hasta und winkte den Decimus hinter sich her hinunter zum respektlosen Volk. „Komm mit Tiro! Zertreten wir ein paar Schienbeine!"

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    Spurius Cluvius Sulca



    Beiläufig wischte sich Sulca einen Blutspritzer aus dem Gesicht. Der Carnifex machte seine Arbeit verdammt professionell. Die bereitstehenden Wassereimer würden wohl nicht zum Einsatz kommen, denn der offensichtlich sehr berufserfahrene Scharfrichter wusste genau, wann er den zerfetzten Leibern eine Pause gönnen musste, um einer Ohnmacht vorzubeugen.


    Fasziniert betrachtete Sulca die zwei röchelnden Gestalten. Interessant, erst jetzt, wo sich die aufgerissenen Körper und die verzerrten Gesichter zusehends ähnelten, traten die unterschiedlichen Charaktere der Delinquenten deutlich zutage. Zwar brüllten beide unter jedem Hieb dumpf in ihre Knebel, bei Tudicius jedoch war wilder Hass herauszuhören, während der Avienus nur seinen Schmerz herauszuschreien versuchte. Pausierte der Carnifex, verstummte auch der Tudicius mit zusammengepressten Lidern, der Avienus aber brüllte weiter, riss die Augen weit auf und starrte mit – ja, tatsächlich – mit so etwas wie verzweifelter Hoffnung auf den schwitzenden Henker. Wirklich sehr interessant. Der eine hatte die Angst fahren gelassen und erwartete trotzig das Ende aller Schmerzen, wohl wissend, dass nichts mehr vor ihm lag als unerträgliche Pein. Der andere war ein Trottel.


    Wütend ließ Sulca seinen Blick über die jubelnden Massen schweifen. Was wusste dieser dreckige Pöbel schon von Qual und Haltung? Hier starb ein Kerl so aufrecht es ihm möglich war. Mochte er zu Lebzeiten auch ein verachtenswertes Subjekt gewesen sein, er stellte sich dem Unvermeidlichen wie ein Mann, und er würde weit länger zu leiden haben als der kreischende Avienus, in dessen Augen sich schon erste Spuren des gnädigen Wahnsinns geschlichen hatten. Wie gut der Carnifex sein Handwerk wirklich beherrschte, würde sich erst in der Endphase dieser durchaus sehr kurzweiligen Marter erweisen. Der scharfe Einschlag der Kette. Der satte Klang platzender Haut. Das entmenschlichte Heulen aus den verquollenen Gesichtern. Welch berauschendes Gefühl es doch war, am Leben zu sein.

    Ferox schlug sich tapfer und für einen noch völlig unbedarften Frischling sogar recht geschickt. Ein Paardutzend Einheiten Nahkampfausbildung würden Reflexe und Motorik zweifellos schnell in Einklang bringen. Vor allem gab er sich nicht ohne weiteres geschlagen. Schon wollte Antias eine anerkennende Bemerkung fallen lassen, da klatsche ihm eine breite rissige Fußsohle mitten in’s Gesicht. Oh ja, sein Bruder zog wirklich alle Register, auch die untersten. „Booaahh!“


    Antias hielt den Druck seines Griffes aufrecht und versuchte dabei so flach wie möglich zu atmen. Schwierig. Jemand aus dem Publikum meinte, Ferox’ Vorgehen als unfair bezeichnen zu müssen. Sicher war es das. Für einen Gladiatoren. Nicht aber für einen Urbaner. Draußen in den verwinkelten Gassen erwarteten sie keine Regeln, da galt allenfalls die Maxime: Töte niemanden, von dem du nicht willst, dass er tot ist. Ansonsten war letzten Endes alles legitim, sogar Kratzen und Beißen. Beißen, an sich keine schlechte Idee, fand Antias, und biss zu. Freilich nicht mit maximalem Druck und erst recht nicht mit Appetit, aber doch energisch genug, um Ferox damit anzudeuten, dass sein finaler Vorstoß als gescheitert betrachtet werden durfte. Wie standen die Wetten überhaupt? Drei zu eins für den Miles, wenn Antias das richtig mitbekommen hatte. Den Pfeifen würde er einen Strich durch die Rechnung machen.


    Um Luft ringend spuckte er Ferox’ Müffelquante aus, löste den Griff und ließ sich hustend auf den Rücken plumpsen. „Oh Seuche! Erbarmen! Bringt mir was zum Ausspülen! Wasser, Posca, glühende Lava ... irgendwas!“