Beiträge von Iulia Torquata

    Torquata grinste von einem Ohr zum anderen. "Aber warte nicht zu lange - sonst sind die besten Fische weg!", neckte sie Vestina.
    Aber dann wurde sie ernst und kam zurück auf Avianus zu sprechen. "Es gibt etwas, das Avianus mir nicht erzählen will", verriet sie ihrer Freundin. "Wenn ich raten müsste, dann würde ich intuitiv sagen, dass es mit einer Frau zu tun hat." Torquata runzelte die Stirn. "Ich wünschte, er würde mir so weit vertrauen. Dann könnte ich mir überlegen, ob ich ihm später als Vestalin vielleicht helfen kann..."
    Draußen schüttete es noch immer und es war so, als hätten die Götter beschlossen, den Regen des ganzen Jahres auf heute zu legen.
    "Wir könnten morgen ja auch mal in die Thermae Agrippae gehen - ich war selbst auch noch nie dort und ein ausgiebiges Bad würde uns beiden gut tun. Ich meine: wir könnten auch das hauseigene balneum benutzen, aber in den öffentlichen Thermen würden wir neue Leute kennenlernen..."

    Torquata lachte. "Ich kann bei jedem Wetter und überall schlafen, wenn es nicht gerade eine Bibliothekt ist. Dann schlafe ich nämlich erst, wenn ich nicht mehr lesen kann..."
    Im Gegensatz zu Vestina blieb Torquata liegen und streckte sich nur ausgiebig. "Tja. Da gäbe es erst mal Flaminina. Sie ist eine Cousine von uns und etwa in deinem Alter. Ich denke, ihr werdet euch gut verstehen. Allerdings habe ich sie in den letzten Tagen kaum gesehen...und da wäre noch Avianus." An dieser Stelle musste Torquata kurz kichern - und das passte gar nicht zu ihr. "Aulus Iunius Avianus habe ich zufällig auf dem Forum kennengelernt. Er ist soooo liebenswürdig!" Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Und er sieht gut aus. Wer weiß: Vielleicht funkt es ja zwischen euch."
    Doch als sie Vestinas Blick sah, ruderte sie schnell zurück. "He - es war nur ein Scherz! Vielleicht fällt dein Blick ja eher auf Servius?" Torquata zog nachdenklich ihre Nase kraus. "Obwohl es eine ganze Weile her ist, seit ich meinen Bruder zum letzten Mal mit einem Mädchen gesehen habe..."

    Da musste auch Torquata lächeln. Schläfrig kommentierte sie: "Na dann hoffe ich mal, dass ich niemals einem Mann begegne, für den ich so viel empfinde, dass ich in die Versuchung kommen könnte, meinen heiligen Eid zu brechen."
    Und bisher war es ja auch nicht geschehen.
    Obwohl, widersprach ihr ein kleiner, irrationaler Teil ihres Verstandes. Avianus sieht ja recht schnuckelig aus...
    Sofort war Torquata hellwach und verbot sich den Gedanken. Mein Leben gehört der Göttin!
    "Ich frage mich, wo Vater bleibt", murmelte sie, um sich selbst abzulenken. "Vielleicht gibt er dir ja das unbewohnte Zimmer neben meinem. Wenn er nicht bald kommt, werde ich hier noch einschlafen..."

    Torquata rutschte ein Stück näher und schmiegte sich vertrauensvoll an ihre etwas ältere Freundin. "Es ist wirklich schön zu wissen, dass es jemanden gibt, dem man alles erzählen kann", meinte sie. "Ich glaube, das meinte Selenus mit 'zu Zweit seid ihr stärker'."
    Eine Weile herrschte einvernehmliches Schweigen zwischen ihnen, während sie hörten, wie es draußen zu regnen begann. Das anfängliche Tröpfeln wandelte sich schon bald zu einem stetigen Rauschen und entferntes Donnergrollen verkündete, dass es noch längst nicht vorbei war.
    Das warme Licht der Kerzen trug zu einer behaglichen Atmosphäre bei.
    "Willst du einmal heiraten?", fragte Torquata dann unvermittelt. Ihre Augen waren schläfrig und halb geschlossen.

    Nachdem sich auch Torquata angemessen bedankt hatte, folgte sie ihrem Vater wieder nach draußen, wo dieser sich sogleich nach ihrem Befinden erkundigte.
    Das ist sehr aufmerksam von ihm, dachte Torquata, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.
    "Gut, vielen Dank...Vater.", antwortete sie mit einem zaghaften Lächeln. Für alles, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber sie ging davon aus, dass er sie auch so verstand.
    Dennoch fiel es ihr natürlich schwer zu akzeptieren, dass sie sich gerade von Servius entfremdet hatte.


    Sim-Off:

    Sorry, dass ich erst jetzt reagiere - normalerweise bin ich schneller...

    Vestinas Frage quittierte Torquata mit so etwas wie einem halben Lächeln.
    "Jein", meinte sie und rollte sich herum, um Vestina anzuschauen.
    "Ich interessierte mich schon immer für die Götter und bin überzeugt davon, dass sie nachhaltig unser aller Leben beeinflussen - alles, was uns widerfährt, Gutes und Schlechtes, hat einen Sinn, dessen Komplexität sich jeder menschlichen Vorstellung entzieht." An dieser Stelle trat ein wehmütiger Ausdruck in die großen, silbrig schimmernden Augen des Mädchens. "Sogar der Tod meiner Eltern. Die Götter handeln nach ihrem Gutdünken, stets mit einem bestimmten Ziel vor Augen. Meine Eltern haben mich bewusst so erzogen und es entsprach meinem Wunsch, en Göttern auf irgendeiner Art und Weise zu dienen."
    Langsam fragte sich Torquata, wo Dive- äh ihr Vater blieb. Er kam heute außergewöhnlich spät nach Hause.
    "Beantwortet das deine Frage?", fragte Torquata und beäugte Vestina ihrerseits neugierig. "Wo liegen denn deine Interessen?"

    Torquata versperrte die Tür von innen und dichtete die Türritze mit einem Tuch ab und räumte die Buchrolle, welche sie aus der hauseigenen Bibliothek hatte, auf den Tisch, der über und über mit beschriebenen Papyrusblättern übersät war.
    "Ich habe geradeeben überprüft, ob jemand uneingeladen mein Zimmer betreten hat. Das mag ich gar nicht." Sie ließ sich auf das Bett fallen und lud Vestina mit einer Geste ein, es ebenfalls zu tun.
    "Nenn mich paranoid, aber hier in Rom sollte man wirklich besser auf sich aufpassen."
    Auf dem Rücken ausgestreckt und die Arme hinter dem Nacken verschränkt starrte Torquata an die Decke. "Also. Was hast du für Pläne hier in Rom?"

    An der Tür zu ihrem Cubiculum angelangt, ging Torquata in die Hocke und prüfte, ob das dünne Haar, welches sie stehts über den Türrahmen hinweg spannte, noch intakt war. Erst gestern hatte sie die Sklaven angewiesen, das Zimmer nur ganz früh am morgen - während sie in ihrem Zimmer frühstückte - zu betreten, um ihre Tätigkeiten zu verrichten.
    Danach, wenn Torquata es verließ, wurde die Tür praktisch versiegelt. so wollte sie sichergehen, dass alle ungebetenen Gäste registriert wurden. Oder zumindest der Erste. Es war ja nur wichtig zu wissen, dass überhaupt jemand dort drin gewesen war.
    Erst als sie das intakte Haar fand, zog Torquata die Tür auf und bat Vestina, ihr kleines Reich zu betreten.

    Torquata seufzte. "Das hoffe ich sehr!"
    Dann senkte sie die Stimme und beugte sich zu ihrer cousine. "Weißt du wirklich nicht, was in dem Testament deines Vaters steht? Es könnte doch sein, dass er ebenfalls für dich Pläne hatte..."
    Nervös blickte Torquata immer wieder um sich. Es wurde langsam dunkel und das schwindende Licht machte es ihr immer schwerer, die Zugänge zum Hortus im Auge zu behalten. "Ich glaube, es ist besser, wenn wir erst einmal in mein Cubiculum gehen. Dort können wir ungestörter reden."

    Torquata lächelte traurig.
    Tja. Hatte sie das nicht auch gedacht ganz am Anfang?
    Und dann? Die Beziehung zu ihrer Adoptivmutter war jedenfalls nicht mehr zu retten.
    "Das gilt vielleicht für dich, Vestina", meinte sie dann ruhig. "Aber nicht für mich. Ich werde bald in die Gemeinschaft der Vestalinnen eintreten. Und damit trete ich im Grunde in die Öffentlichkeit. Neider und Speichellecker werden immer öfter meinen Weg kreuzen", klärte sie die Cousine geduldig auf.
    "Selbst wenn du nicht nach Feinden suchst - Feinde suchen nach dir. Aber in einem Punkt hast du recht: Ich kann nur hoffen, dass ich eines Tages stark genug bin, um gewissen Leuten die Stirn zu bieten."
    Du musst lernen, auch ein Mal einen Schritt zurückzutreten, Torquata. Wer nicht kleine Demütigungen ertragen kann, verdirbt große Pläne. Selenus' Tadel hallte in ihren Gedanken nach. Wie gut er sie doch kannte!
    Torquata überlegte. Stimmt. Sie musste hart an sich arbeiten!
    "Freunde? Ich denke...mir fallen dort schon mal drei Personen ein." Torquata lächelte fein. "Was hältst du davon, wenn ich dir morgen die Stadt zeige und wir einfach mal spontan bei ihnen hereinschneien?"

    Erstaunt lauschte Torquata den Worten der Vestalin. Sie konnte nicht glauben, dass die werte Decima ihr gerade einS tück ihrer eigenen Geschichte offenbart hatte - was sie sogleich daran erinnerte, dass sie ebenfalls dazu aufgefordert worden war.
    Kurz erwog sie, ihre leiblichen Eltern nicht zu nennen - doch andererseits kannte sie ja Dives scheinbar schon länger und wusste vermutlich ohnehin von ihren Schwierigkeiten.
    Außerdem war sie es ihren leiblichen Eltern schuldig.
    "Ich wurde in Misenum geboren und bin dort aufgewachsen", begann sie leise. "Meine Eltern besaßen dort ein Gut", an dieser Stelle bildete sich ein großer Kloß in ihrem Hals und sie konnte nur mühsam weitererzählen. "Aber dann wurden wir überfallen. Meine Eltern wurden an jenem Tag getötet. Mein Bruder und ich überlebten jedoch, weil wir uns zu dem Zeitpunkt nicht dort befanden. Wir wurden getrennt. Längere Zeit. Aber dann fand ich heraus, dass er in Rom weilte und bin ihm nachgereist", fasste Torquata das Ganze so knapp wie möglich zusammen. Sie wollte ja nicht pathetisch wirken!
    "Ich habe immer an den Einfluss der Götter in unserem leben geglaubt und auch meine Eltern haben mir stets beigebracht, dass alles, was geschah, einen Sinn hatte - wenn dieser sich uns Menschen auch nicht immer erschloss." Torquatas Augen waren auf einen Punkt in der Vergangenheit gerichtet.
    "Diese Worte allein gaben mir die Kraft, nicht aufzugeben. Ich betete täglich zu den Göttern, dass sie sich meines Bruders und meines eigenen Schicksals erbarmen würden und gelobte, ihnen treu zu dienen."
    Nun lächelte Torquata die Vestalin an. "Und als ich Servius nach Jahren endlich aufspürte, wusste ich, dass dies ein göttliches Zeichen sein musste. So verstärkte sich mein Entschluss, mein Leben den Göttern zu weihen und zu widmen. Ein ehrenhaftes Leben zu führen. Wie hätte ich ahnen können, dass meine Eltern dies längst für mich vorausgeplant hatten? Ich bin sehr glücklich darüber, dass mein Vater mich in seinem Testament ausdrücklich den Vestalinnen zuschrieb. Er hat meine Berufung früher erkannt als ich selbst."
    Torquata senkte den Kopf - bescheiden, aber nicht unterwürfig.
    "Die Vestalinnen symbolisieren seit jeher Reinheit und Disziplin. Verantwortungsbewusstsein und Opferbereitschaft", begann Torquata, die zweite - und wichtigere Frage - der Sacerdos Vestalis zu beantworten. "Denn sie widerstehen den weltlichen Versuchungen, um der Welt das Wohlwollen der Götter zu sichern. Das Feuer im Vestatempel, das nie erlöschen darf außer am 1.März jedes Jahres, vertritt das Wohlergehen des ganzen Staates. So sind die Vestalin als Hüterinnen unserer Zivilisation zu betrachten und führen gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Collegium Pontificium Rituale, Opfer und andere kultischen Handlungen durch - für die ewige Blüte Roms. Das alles verlangt viel Selbstdisziplin und Selbstaufopferung - denn sie dürfen ja innerhalb der dreißig Dienstjahre weder heiraten, noch sonstige Beziheungen zu Männern führen. Aber dafür behandeln die Menschen die Virgines Vestales seit jeher mit größtem Respekt. Als Statussymbol dürfen Vestalinnen deshalb über ihren eigenen Liktor verfügen, dürfen am Tage mit dem Wagen durch die Stadt fahren und haben Ansprüche auf die Senatorenplätze bei öffentliche Veranstaltungen - na ja, außer bei Gladiatorenspielen und Dergleichen..."
    Torquata holte tief Luft. Selenus und ihre Eltern hatten ihr so viel über die Vestalinnen erzählt! Sogar von dem Opferschrot und der Quelle der Egeria!
    Aber Torquata brannte darauf, endlich alles von einer echten Sacerdos Vestalis zu erfahren! Die Augen des Mädchens funkelten vor Wissensdurst.

    "Oh..." Torquata errötete. Mal wieder war sie ins Fettnäpfchen getreten.
    "Nun..." Sie räusperte sich verlegen. "Wie du vielleicht weißt, war - ist - Selenus mein Lehrer und er war wohl maßgeblich daran beteiligt, dass du hier landest..." Dann wusste sie nicht weiter. Der restliche inhalt des Briefes war zu brisant, um einfach mit ein paar Worten zusammengefasst zu werden.
    "Pass auf: Den Rest werde ich dir wortwörtlich übersetzen", raunte Torquata leise, nachdem sie sich ausgiebig davon überzeugt hatte, dass die Gänge um den garten herum leer waren. "Rück mal näher ran - es wäre gefährlich, wenn irgendjemand es hörte." Ganz besonders, wenn es sich bei diese, Jemand um die Sergia oder ihre Leibsklavin callisto handelte.
    Dann begann sie, den entscheidenen Absatz Satz für Satz ins Lateinsiche zu übersetzen.
    "Die Überbringerin dieser kleinen Notiz ist deine Cousine Iulia Vestina, die du vor langer Zeit schon einmal getroffen hast. Vermutlich wirst du dich kaum an sie erinnern können, aber sie ist auf jeden Fall vertrauenswürdig und ein sehr freundliches Mädchen....
    ...zu zweit seid ihr stärker...
    ...nicht alle in der Casa Iulia euch mit offenen Armen empfangen...
    ...Machtgerangel, Intrigen und Netzwerken...
    ...seid der plötzlichen Hektik und Berechnung der Stadtbewohner nicht gewachsen...
    ...gemeinsam seid ihr stark! In Rom kann niemand allein existieren...
    ...müsst es schaffen, eure gemeinsame Schwäche in Stärke zu verwandeln - und dafür braucht ihr einander."

    Torquata hatte die ganze zeit so leise gesprochen, dass wirklich nur Vestina sie hatte verstehen können - sie hatte ihr den Text fast ins Ohr geflüstert.
    Und laut meinte sie dann: "Wenn du willst, könnte Selenus dich vielleicht auch unterrichten - in Griechisch zum Beispiel Und Literatur! Also, das heißt natürlich, wenn du es willst..."
    Torquata blickte sich wieder um.
    Die Gänge waren noch immer leer.

    Torquata lächelte vor sich hin. Ja, Selenus' Augen wirkten in der Tat...klug.
    Vielleicht sollte Vestina diesen Brief ebenfalls zu lesen bekommen? Dann wussten sie beide besser, woran sie waren.
    "Hier, der Brief betrifft auch dich", wandte sie sich an ihre Cousine. Doch dann sah sie, dass Vestina noch immer dastand. "Aber ich bitte dich: Setz dich ruhig!"
    Sie hielt ihr die Schriftrolle hin, wobei ihr einfiel...konnte Vestina überhaupt Griechisch?
    Selbstverständlich war das nämlich nicht! Ihr Vater, Caius Iulius Octavenus, hatte ihr - für ein Mädchen - eine außergewöhnlich umfassende Bildung zukommen lassen. Aber galt das Gleiche auch für Vestina?
    "Ah...du beherrschst doch Griechisch...?", fragte sie in wenig unsicher - sie wollte ihre neue - alte - Freundin schließlich nicht bloßstellen!

    Numquam despera - gib niemals die Hoffnung auf!
    Torquata empfing die kleine Papyrusrolle mit zitternden Fingern und ließ sich auf einer der marmornen Bänke nieder, die neben duftenden Holunderbüschen und Rododendren standen.
    Bedächtig öffnete sie das korrekt versiegelte Schreiben (Torquata hatte noch nie zuvor das Siegel der Gens Fundania gesehen!) und fing an zu lesen. Es war auf Griechisch verfasst.



    Selenus grüßt seine kleine Torquata.


    Liebe Torquata, ich hoffe, dass du die Reise nach Rom gut überstanden hast und freue mich, dir mitteilen zu können, dass sich deine Tante, die werte Fundania Agrippina, bereits mit deinem Tutor - oder inzwischen vielleicht sogar deinem Vater - darauf geeinigt hat, meinem Anliegen, anzureisen, stattzugeben, sobald ich hier alle notwendigen Vorbereitungen getroffen habe.
    Eine dieser Angelegenheiten betrifft insbesondere deinen Bruder Servius, von dem ich hoffe, dass er sich ebenfalls bester Gesundheit erfreut.
    Außerdem wird dein Vormund sicherlich viele Fragen an mich haben, die du nicht alle beantworten konntest.


    Die Überbringerin dieser kleinen Notiz ist deine Cousine Iulia Vestina, die du vor langer Zeit schon einmal getroffen hast. Vermutlich wirst du dich kaum an sie erinnern können, aber sie ist auf jeden Fall vertrauenswürdig und ein sehr freundliches Mädchen.
    Dies ist einer der Gründe, weshalb ich Agrippina dazu überredete, sie ebenfalls nach Rom zu vermitteln - zu zweit seid ihr stärker!
    Denn es werden nicht alle in der Casa Iulia euch mit offenen Armen empfangen, obwohl ihr wie sie zu den Iulii Caepiones gehört.
    Warum ich das denke?
    Weil Rom eine Stadt ist, deren Ewigkeit durch Machtgerangel, Intrigen und Netzwerken aufrechterhalten wird. Diese Eigenschaften treffen bei Weitem nicht auf alle Einwohner zu, aber doch auf eine beträchtliche Minderheit. Beträchtlich ist sie deshalb, weil sie sich fast ausschließlich in der Gesellschaftsschicht befindet, in welcher ihr euch bewegt.
    Kurz: Ihr, beide der ländlichen Harmonie des Südens entsprungen, seid der plötzlichen Hektik und Berechnung der Stadtbewohner nicht gewachsen und müsst auf der Hut sein und euch anpassen, um euch zu behaupten.
    Ich hoffe sehr, dass du verstehst, was ich dir damit sagen will.
    Gemeinsam seid ihr stark! In Rom kann niemand allein existieren - auch eine Vestalin nicht. Vergiss das nie.
    Ihr müsst es schaffen, eure gemeinsame Schwäche in Stärke zu verwandeln - und dafür braucht ihr einander.


    Bitte verbrenne diese Nachricht, sobald du dir meine Worte eingeprägt hast. Es ist besser, wenn niemand etwas davon erfährt.
    Im Übrigen kann ich euch beiden bis zu unserem Wiedersehen nur alles Gute wünschen.


    Mögen die Götter dich, Vestina und Servius schützen!


    Caius Iulianus Selenus


    Torquata saß stumm vor Staunen auf der Bank und las die Zeilen immer und immer wieder.
    Selenus würde bald nach Rom kommen!
    Aber dann runzelte Torquata die Stirn.
    War Vestina eigentlich klar, was Selenus bezwecken wollte? Nun ja, jedenfalls war der Plan perfekt ausgeführt: Vestina und sie passten genau zueinander!
    Schließlich wandte sie sich wieder an Vestina.
    "Und, was machte Selenus für einen Eindruck auf dich?", fragte sie gespannt. Sie selbst kannte ihn ja als einen unglaublich klugen, aber zurückhaltenden und hochgebildeten Mann - aber andere mussten es ja nicht so sehen...

    Torquata freute sich, endlich jemanden gefunden zu haben, der auf gleicher Wellenlänge war.
    Verständnisvoll folgte sie Vestinas Erzählung und fragte sich unwillkürlich, wie viele andere Mädchen wohl ein ähnliches Schicksal erleideten - und die nicht so viel Glück hatten wie sie...Sie schauderte.
    Doch dann sickerte etwas verspätet in ihren Verstand.
    Moment mal...sie war bei Tante Agrippina?...Könnte sie vielleicht etwas von Selenus wissen?
    Bemüht, ihre plötzliche Aufregung zu unterdrücken, fragte sie langsam:
    "Sag mal...als du bei Agrippina warst...hat sie dir zufällig einen Selenus vorgestellt?" Torquata suchte mühsam nach Worten. "Ich meine: Hast du einen Selenus dort kennengelernt...und hat er dir vielleicht etwas mitgegeben...?"
    Hmpf...eher unwahrscheinlich, oder? Vestina hätte es mir dann bestimmt schon ausgehändigt. Aber wie sagte man so schön: Spes moritur ultima - die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Torquata verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "Ja, das ist er wohl", stimmte sie Vestina zu.
    Aber dann musste sie unwillkürlich lächeln. "Als ich herkam, da hatte ich mir gedacht: Cum finis est licitus etiam media sunt licita - der Zweck heiligt die Mittel. Mit anderen Worten: Ich habe versucht, ihn davon zu...ah...überzeugen, mich hereinzulassen."
    Aber dann wurde sie wieder ernst. "Haben deine Eltern dir irgendetwas hinterlassen? ich meine, so etwas wie ein Testament oder irgendetwas anderes, das dich in die Obhut der hiesigen Iulii übergibt? Das würde die ganze Sache nämlich deutlich vereinfachen. Was genau hat dir Tante Agrippina denn erzählt?"