Beiträge von Marcus Artorius Rufinus

    Nach meiner Entscheidung, die Urbaner für die Aufnahme meiner Aussage in die Castra Praetoria zu begleiten, wurde mir ein Miles Visellius zur Seite gestellt. In seiner Obhut erreichte ich sicher die Castra, wo ich bald darauf meine Aussage machte. Dann durfte ich gehen. Dabei wollte ich gar nicht gehen. Nicht alleine. Nicht hinaus in eine Welt, wo ich ein leichtes Ziel wäre. Wo ich jetzt als Zeuge eines Mordes ein dickes, fettes Fadenkreuz auf dem Rücken trug. Ich überredete den Centurio dazu, dass mich der Visellier und zwei seiner Kameraden nach Hause eskortierten. Wenigstens auf dem Weg zurück in die Domus Artoria konnte mir so also nichts passieren.


    Nun war ich zu Hause. Die Soldaten waren wieder weg. Ich verkroch mich sofort in meinem Cubiculum und befahl einem meiner Sklaven, auf den Märkten in der Stadt Leibwächter zu besorgen. Mindestens ein Dutzend zum Schutz des Hauses. Dazu noch ein halbes Dutzend, die mich ab sofort überall hin begleiten und mir nicht mehr von der Seite weichen sollten. (Ein Glück, hatte ich als Neureicher genug Kleingeld für diesen Aufwand.)


    Anschließend verbarrikadierte ich mich bis zum Eintreffen meiner neuen Leibwachen in meinem Zimmer.. und schlief bald darauf völlig erschöpft von dem Erlebten ein. Erst danach konnte ich wieder halbwegs klar denken. Ich beschloss: Um nicht komplett durchzudrehen, stürzte ich mich in die Arbeit.. bis der Täter hoffentlich bald gefasst wurde und der Prozess gegen ihn begann.

    Die Idee war nicht neu. Neu war nur, dass ich mich jetzt damit beschäftigte. Denn seit ich Zeuge eines Mordes geworden war und wusste, dass mit der Täter gesehen hatte, und wusste, dass der Täter noch auf freiem Fuß war, fürchtete ich mich (trotz meiner zahlreichen neu angeschafften Leibwächter) vor jedem freien Augenblick. Ja, ich wurde regelrecht verfolgt von diesem Erlebnis! Deshalb stürzte ich mich also in die Arbeit und lenkte mich ab und.. beschäftigte mich jetzt also mit den Vorschriften des Cursus Publicus.


    "Die Vorschriften des kaiserlichen Cursus Publicus."


    Der überflüssige Untertitel wurde erstmal rigoros gestrichen.


    "Paragraph eins. Allgemeines.
    Eins. Der Cursus Publicus dient der Beförderung von offizieller und privater Post innerhalb des Imperium Romanum."


    Klang logisch. Klang gut. Blieb genau so, wie es war. Denn wer wollte schon irgendwelche Post bis nach Fernost transportieren oder in den gefährlichen, germanischen Wald? Nein, die Begrenzung auf die Grenzen des Imperiums war da schon ganz sinnvoll.


    "Zwei. Berechtigt zur Nutzung sind öffentliche Institutionen, militärische Einheiten, eingetragene Vereine, römische Familien sowie alle freien Bürger und Nicht-Bürger freundlicher Gesinnung."


    Besser, fand ich. Vorher hatten die Libertini gefehlt. Außerdem passte das mit den öffentlichen, militärischen und als Verein eingetragenen Institutionen sowie römischen Familien jetzt besser zu den Institutionen- und Familien-Wertkarten. Oder?


    "Drei. Jeder Bedienstete des Cursus Publicus ist zu Amtsverschwiegenheit verpflichtet. Jegliches Zuwiderhandeln kann zu einem Ausschluss aus dem Angestelltenverhältnis führen."


    Ja, gut. Warum nicht? Den Punkt ließ ich also wieder, wie er war. Dafür strich ich den vierten Punkt komplett. Denn erstens hatten irgendwelche Abkürzungen nix in einer Vorschrift zu suchen (!) und zweitens war der Posten des kaiserlichen Legaten über den Cursus Publicus schon vor etlichen Jahren abgeschafft worden. (Wurde scheinbar wirklich mal Zeit, dass sich jemand um diese Vorschriften kümmerte.)

    Ich musste grinsen. Der Typ hatte definitiv Humor.


    "Dann wünsch ich dir 'nen guten Hunger!"


    Und einen kleinen Spruch hatte ich natürlich auch selbst noch auf Lager:


    "Achso. Aber lass dich nach den Erbsen ja nicht zu schnell wieder bei deinem Cheffe blicken. Denn jeder weiß ja.."


    Ein kurzes künstlerisches Räuspern.


    "Erbsen, Bohnen und Linsen
    bringen das Arschloch zum Grinsen."


    Ich erhob mahnend meinen rechten Zeigefinger.


    "Und das gilt ganz besonders für die Erbsen der Caupona hier um die Ecke."


    Die Erfahrung hatte ich nämlich vor einiger Zeit selber schon gemacht. Auch wenn ich zum Glück zu Hause keinen Cheffe hatte und pupsen konnte, soviel ich wollte. Weil es mein Haus war.

    Ich zuckte mit den Schultern.


    "Okay. Wie du willst. Dann bis später."


    Besser so, als dass sich nachher einer der Tabellarii auf den Marktplatz von Mantua stellen musste und den Marktschreier machte, um nur irgendwie diesen Tallius zu finden.
    Die Zeit verging und ich hatte den Kunden schon fast wieder vergessen, da stand er plötzlich erneut vor mir und verkündete triumphierend seinen Erfolg.


    "Großartig."


    Ich nickte anerkennend.


    "Dann schreib ich das hier noch schnell hinter den Ort und der Brief kann gleich auf Reisen gehen."


    Schnell noch die Abrechnung gemacht, dann war die Katze im Sack.


    "Kann ich sonst noch irgendwas für dich tun?"


    Das freundliche Lächeln eines Verkäufers aufgesetzt. Vielleicht konnte ich ja noch einen Stilus oder sowas an den Mann (oder die Frau) bringen.

    Nach der schrecklichen Nahtoderfahrung, die ich neulich gemacht hatte, vermied ich es neuerdings so gut es ging, allein zu sein oder an dunklen Orten zu sein. Selbst nachts ging ich jetzt nicht mehr alleine ins Bett (ohne mich zu dabei vergnügen) und auch neben meinem Bett wachte von abends bis morgens ein Sklave mit einer Licht spendenden Lampe. Und auch bei der Arbeit hatte ich jetzt die meisten meiner Schichten in dem stickigen Büro der Stationarii gegen Schichten hinterm Postannahme-Schalter getauscht. Hier war es heller, hier kamen mehr Leute vorbei und irgendwie fühlte ich mich hier etwas sicherer. (Hoffentlich schnappten die Urbaner diesen Mörder bald und sperrten ihn für immer weg oder warfen ihn den Löwen zum Fraß vor. Hauptsache nur, das wäre alles bald vorbei.)


    "Den Göttern zum Gruße."


    Mit einem freundlichen Lächeln nickte ich dem nächsten Kunden zu. Ich verdrängte meine Probleme durch Arbeit. Und ich versteckte meine Ängste und Sorgen hinter einer gut gelaunten Fassade.


    "Ein Brief auf Wertkarte. Kein Problem."


    Ich nahm den Brief entgegen, kontrollierte die Adresse.. und stieß jetzt doch auf ein Problem:


    "Äh.. Hier steht: An einen Gaius Tallius Priscus in Mantua. Du hast nicht zufällig noch den Namen der Straße, in der dieser Tallius wohnt? Oder den Namen der Insula, Casa, Domus oder Villa, in der er lebt? Oder wenn er ein Soldat ist, dann kann ich auch die Castra noch als Adresse draufschreiben. Dann wird der Brief dahin ausgeliefert."


    Ein fragender Blick. Derweil kratzte ich mich hinterm Ohr.

    Die Stimme des Soldaten riss mich aus dem Erlebten und brachte mich wieder zurück in die Gegenwart. Ich hörte auf seine Stimme (während ich von anderen Stimmen und Geräuschen kaum etwas mitbekam) und öffnete todesmutig meine Augen wieder. Und er hatte recht. Kein Mann mit einem Dolch, der mich gleich aus dem Leben beförderte. Kein Halbdunkel der Nacht, nur erhellt durch das Licht des abnehmenden Mondes. Keine götterverlassene Gasse, in der mein Mörder und ich alleine waren. Stattdessen: Viele Menschen. Und sie hatten Lichter dabei. Und vor mir stand (ich senkte meinen Arm) auch nicht mein Tod, sondern der Soldat, der mir wieder auf die Beine geholfen hatte.


    "Ja."


    Niemand war da, außer den Soldaten und mir. Für einen kurzen Moment war ich wieder etwas beruhigt. Dann wollte der Urbaner nochmal wissen, was ich gesehen hatte. Ich sollte diese ganze Sache hier nochmal durchleben? Mit meiner niederen Herkunft und dem ganzen Mist, den ich in meinem Leben schon gesehen und erlebt hatte, war ich ja sonst eigentlich nicht so.. so.. eingeschüchtert und ängstlich. Eher im Gegenteil. Allerdings hatte ich auch noch nie dem Tod so direkt in die Augen geschaut.


    "Ich.. ich weiß nicht, was er wollte. Er hat mich nur wütend angeschrien. Und wenn.. wenn dann nicht da oben irgendwo"


    Ich zeigte an der Hauswand nach oben. Denn so genau hatte ich das nicht mitbekommen.


    "ein Mann zurückgebrüllt hätte, dann.. dann...."


    Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich selber tot.


    "Und dann ist der Mann mit dem Dolch weg.. in die Richtung, glaub ich."


    An mir war er nicht vorbeigekommen. Deshalb zeigte ich also vom Clivus Suburanus aus gesehen weiter in die Seitengasse hinein. Wo genau der Mörder dann aber abgeblieben war, das wusste ich natürlich nicht. Vielleicht in irgendeinem Häuseraufgang. Vielleicht war er bis zur nächsten größeren Straße geflüchtet. Oder vielleicht war er auch noch hier ganz in der Nähe.. als unschuldiger Passant.. und beobachtete mich und was ich sagte. Ich schluckte nervös.


    "Ja, ich glaube, ich will mit euch mitkommen."

    Zitat

    Original von Aulus Iunius Avianus


    Atorii, Artorii.. Ich hatte mein eigenes Genuschel selbst kaum verstanden. Und bei dem Soldaten hörte ich vor lauter Aufgeregtheit und innerer Aufgewühltheit so genau nicht hin, als er meinen Namen nochmal wiederholte. Ich bekam nur mit, dass es ungefähr so wie mein Name klang. Also nickte ich einfach stumm. Dann griff dieser Soldat nach meinem Arm und half wieder auf die Beine. Ohne darüber nachzudenken folgte ich mechanisch und stand kurz darauf wieder. Gleichzeitig begann ich etwas Vertrauen zu fassen und verzog im selben Augenblick angeekelt mein Gesicht. Denn jetzt, wo er es sagte, roch ich diesen Gestank plötzlich auch.


    "Ich.. ich war gerad auf dem Weg nach Hause, in die Domus Artoria."


    Ein grober Fingerzeig in die ungefähre Richtung. (Und diesmal klappte es auch etwas besser mit dem Namen.)


    "Aulus.. also mein Arbeitskollege Aulus.. er ist auch ein Stationarius des Cursus Publicus.. er hat am anderen Ende der Stadt ganz groß seinen Geburtstag gefeiert. Ich hab morgen.. oder ist schon heute? ..ich hab jedenfalls frei. Deshalb war ich ziemlich lang da und hab gefeiert. Und meinen Kranz"


    Ich fasste mir mit der rechten Hand auf den Kopf.


    "meinen grünen Blätterkranz hab ich da irgendwo verloren. Aber ich war müde und Aulus wollte ihn mir zur Arbeit mitbringen, wenn er ihn findet. Darum hab ich mich verabschiedet und bin dann gegangen. Und dann.. dann.. ich.. dann bin ich irgendwann in den Clivus Suburanus gebogen...."


    Meine Augen weiteten sich und mein Blick wurde wieder etwas apathisch.


    "Plötzlich waren da diese Stimmen aus der Seitengasse hier. Und ich konnte hören, wie gekämpft wurde. Ich wollte an der Seitengasse vorbei, weiter auf dem Clivus Suburanus lang. Aber wenn man mich sieht, dann.. Ich darf mich nicht erwischen lassen. Ich muss vorsichtig um die Ecke gucken. Wenn keiner in meine Richtung schaut, dann renne ich ganz schnell vorbei und nach Hause."


    Meine Atmenfrequenz erhöhte sich langsam. Vor meinem inneren Auge lief der ganze Film noch einmal ab.


    "Ich werde geblendet. Dann sehe ich, das ist nur der Mond, der sich in dem Dolch spiegelt. Niemand sieht zu mir. Also renn ich so schnell es geht los. Plötzlich lieg ich am Boden. Ich bin hingefallen. Der Mann mit dem Dolch sieht zu mir. Der andere Mann bewegt sich nicht mehr. Gleich kommt er zu mir. Dann wird er mich auch töten. Ich will weg. Aber ich.. ich.. ich beweg mich nicht. Der Mann schreit.. er.. er schreit mich an."


    Ich nahm meinen rechten Arm vors Gesicht, verdeckte meine Augen. Ich schüttelte unentwegt meinen Kopf.


    "Ich.. ich kann nicht.. ich.. ich kann das nicht. Ich.. ich kann das nicht ansehen. Ich.. ich will das nicht. Ich will ihn nicht sehen. Nicht den Dolch. Nicht.. nicht.. nein!"

    Die Minen haben mal wieder fleißig produziert (und fast alle Minenrechte verbraucht). 8o


    Und hat der Staat diese Woche schon das Amphitheater angeschmissen? ;)


    Saludos, Arti 8)



    Achso. Und noch eine Frage: Produziert der staatliche Jäger eigentlich auch? Oder eher nicht? Könnte für nen Auftrag nämlich noch ein paar Pelze gebrauchen.... =)

    Dem ersten noch etwas bedrohlichen Satz folgte ein zweiter. Da erzählte er mir, dass er.... Ich schniefte.. und überhörte leider erneut, wer oder was er war. Aber er war jemand von den Stadtkohorten. Das drang gerade noch so zu mir vor. Dann sicherte er mir zu, er wolle das hier klären und niemanden umbringen. Ich schluckte.. und nahm nur langsam und zögerlich meine schützenden Arme beiseite und hob vorsichtig meinen Kopf an, um etwas mehr sehen zu können. Ich musste hier bestimmt gerade ein schreckliches Bild abgeben. So verängstigt, so verdreckt, so voll fremdem Blut. Es war das erste Mal für mich, dass ich so beinahe den Tod gefunden hätte. Hätte die Stimme aus dem Fenster nicht geschrien. Hätte die Stimme aus dem Fenster keine laut klirrende Keramik geworfen. (Dass es sich um einen Nachttopf gehandelt hatte, so wie das hier stank, roch ich in meinem Zustand nicht. Überhaupt roch ich gar nichts gerade.)


    [SIZE=7]"Ich bin.."[/SIZE]


    Ich räusperte mich. Lauter!


    "Ma..marcus ist.. Ruf.. Marcus Rufinus ist.. von den.. ich.. den Ruf.. Atorii Rufi.. ist.."


    Tief atmen! Ruhig atmen!


    "Und ich habe gesehen, wie.. der hätte mich fast.. ich wäre fast.."


    Mein Herzschlag erhöhte sich aufgeregt. Ich sah zu dem Toten. Ich wollte es sagen. Aber ich konnte es nicht aussprechen. Ich wäre heute Nacht fast.. gestorben. Alle meine Gedanken kreisten wie gierige Aasgeier um diesen einen Fakt. Und obwohl ich um diesen Fakt wusste, wollte er einfach nicht in meinem Kopf. Mein Kopf wehrte sich dagegen. Ich wehrte mich dagegen. Ich wehrte mich gegen diese Aasgeier. Und meine Hände zitterten.

    Sim-Off:

    Tschuldigung.


    Ja, er war tot. Und tausend verschiedene Gedanken schossen mir nun durch den Kopf. Es waren so viele, dass ich keinen einzigen von ihnen klar denken konnte. Es war ein ganzes Meer an Fragen, an Überlegungen, an.. Was-wäre-wenn. Was wäre, wenn ich auf der Party am Ende nicht noch ewig lange Aulus gesucht hätte, um mich auch von ihm zu verabschieden? Wäre ich dann früher hier gewesen? Würde der Tote vor mir dann vielleicht noch leben? ..und in meinem Blut knien? Oder was wäre, wenn in dem Haus hier niemand von den Geräuschen in der Gasse wach geworden wäre und sich durch das Werfen von Keramik bemerkbar gemacht hätte? Wäre ich dann tot? War ich vielleicht sogar schon tot? ..und wusste es nur noch nicht? Und warum war der Kerl mit dem Dolch am Ende geflüchtet vor mir? Hatte ich einmal mehr Fortuna auf meiner Seite? Oder war ich in irgendeiner Parallelwelt ein Held? (Oder sah mein Schatten im Halblicht des Mondes aus wie ein Soldat?) Oder.. träumte ich hier nur meinen letzten Traum, während ich langsam in die Unterwelt überführt wurde?


    Mein apathischer Blick löste sich von dem Toten und senkte sich langsam. Ich sah an mir herunter. Meine Kleidung war an den Unterschenkeln triefend nass. Und sie war ganz rot. Und kastanienbraun. Eigentlich fast wie vorher. Herbstlich eben. Ganz langsam hob ich meine Hände und blickte in meine Handflächen. Ich spürte das erkaltende Blut auf meiner Haut. Ich sah die verschmierten roten Streifen.. an meinen Fingern.. an meinen Händen. Meine Augen wurden immer größer, während ein Gefühl von Panik in mir aufstieg. Gleischzeitig konnte ich meinen Blick nicht abwenden von meinen Handflächen.... bis.. man mich plötzlich von der Seite ansprach. Zu Tode erschrocken zuckte ich zusammen.


    "Hilfe.. Hilfe."


    Ich hörte nicht, was man zu mir sprach. Ich sah nur einen bedrohlich kräftig wirkenden Mann. Und ich wusste, dass es in wenigen Augenblicken also auch um mich geschehen sein würde. Ich flüchtete mich mit den Rücken bis an die gleiche Wand, an der auch der Tote neben mir lehnte. Die Beine zog ich so nah wie möglich an mich. Umklammerte sie mit dem linken Arm. Legte den Kopf auf meine Knie und hielt meinen rechten Arm schützend darüber. Ich wollte nicht mit ansehen, wie ich mein Leben aushauchte.


    [SIZE=5]"Tu mir nichts. Bitte, tu mir nichts."[/SIZE]


    So wimmerte ich kaum hörbar durch meine Knie um mein Leben und hoffte, dass alles nur möglichst schnell vorbeiging..

    Was für eine Fete! Mein Arbeitskollege Aulus (heute Nacht hießen alle nur Caius, Lucius und Marcus) hatte wirklich eine ganz fantastische Geburtstagsfeier geschmissen! Das Motto: Grün, gelb, rot und weiß - im Licht der vier Jahreszeiten. Ich trug passend ein herbstliches Rotbraun mit weinroten und kastanienbraunen Tönen und dazu einen kräftig grünen Kranz auf dem Kopf. Jedenfalls hatte mein Outfit anfangs so ausgesehen. Im Verlaufe der Party war mir zwischen dem griechischen Wein dann irgendwann mein Kranz abhanden gekommen. Jetzt lief ich also morgens (schon wieder fast nüchtern) ohne Kranz auf dem Kopf im Licht des abnehmenden Monds nach Hause. Einmal quer durch die Stadt, weil Aulus natürlich am anderen Ende Roms wohnte und gefeiert hatte.


    "Een Glück habsch morjen frei."


    So redete ich etwas mit mir selbst, um nicht so einsam und allein durch die Stadt zu stolpern. Dann bog ich in den Clivus Suburanus ein. Endlich. Fast zu Hause. Fast im Bett. Ich merkte, wie meine Beine langsam müde wurden. Jetzt nur noch den Esquilin rauf und dann wäre ich da. Doch plötzlich.. plötzlich.... plötzlich waren da Geräusche zu hören aus einer der Seitengassen. Ich blieb kurz stehen und lauschte: Owei. Da wurde gekämpft!


    Mein Puls ging nun immer schneller vor Aufregung. Ein Überfall! Ich sollte versuchen, in einem günstigen Moment die Gasse zu passieren und dann nach Hause rennen. Plan gefasst, Plan ausgeführt: Ich schlich bis an die Gasse heran und spähte um die Ecke. Beobachten und in einem günstigen Moment an der Gasse vorbeihuschen. Das hatte ich vor. Da blendete mich plötzlich ein helles Licht beim Blick in die Gasse. Ich zuckte erschrocken zusammen. Aber Glück im Unglück: Niemand hatte mich entdeckt. Es war nur das Mondlicht, das sich in irgendeinem Messer oder Dolch gespiegelt hatte. Also beobachtete ich weiter und sah, wie der eine Fremde (er sah mir vom Umriss her aus wie ein Mann) dem anderen einen kräftigen Tritt in die Weichteile gab. Autsch! Das sah nicht nur schmerzhaft aus, sondern hörte sich auch schmerzhaft an. Dann ein schmerzerfülltes Stöhnen, ein weiterer Lichtblitz, noch ein Stöhnen, noch ein Lichtblitz, ein Röcheln.
    Mir ging auf: Hier geschah gerade ein Mord! Scheiße! Ein Mord! Wenn ich diese Gasse jetzt nicht passierte, dann würde man mich beim Verlassen der Gasse finden und aufgreifen und auch umbringen! Es hieß also: Jetzt oder nie!


    Ich stürmte los und stolperte keinen Augenblick später über meine eigenen Füße. Uff. Ich landete auf meinen Händen und Knien im Straßenstaub und spürte, wie nun der Blick des Fremden auf mir zu liegen kam. Mein letztes Stündlein hatte geschlagen. Ich schluckte angstvoll. Dann blitzte erneut der Dolch in den Händen des Fremden auf. Mein Blick blieb an dem dunklen Mantel hängen. Dann kniff ich für einen Moment die Augen zusammen. Vielleicht sah er ja nicht, dass ich ihn gesehen hatte. Vielleicht hatte ich ja Glück.
    Mit einem frustierten Schrei (ja, das hier war eindeutig ein erwachsener Mann) bearbeitete der Typ sein Opfer. Dann: Ein Fensterklappen und ein lautes Rufen. Ich öffnete meine Augen wieder und starrte den Typ mit dem Dolch an. Dann begann es zu regnen. Und es begann zu stinken. Und mit einem schrillen Klirren zerbrach ein Nachttopf direkt vor mir. Überall rostrote und schwarze Scherben.


    "HILFE ! HILFE !! SO HILF MIR DOCH !!!"


    So schrie ich der Nachttopf werfenden Person flehend hinauf. Dann wandte sich der Dolchträger von mir ab (in seiner anderen Hand funkelte eine goldene Kette oder sowas) und floh. Auf allen Viern krabbelte ich anschließend über die Scherben (und schnitt mir dabei in den linken Daumenballen).


    "Hallo! Hallo du!"


    Der fülligere Mann, der sitzend an der Häuserwand lehnte, reagierte nicht. Als ich ihn erreichte, schüttelte ich ihn kurz am Arm. Immernoch keine Reaktion. Tot. Er war tot.. Und mein schönes Geburtstagsoutfit tränkte sich in seinem Blut....

    Sim-Off:

    Damit du mich nicht vergisst. ;)


    Stille. Ich wartete. Ein beklemmendes Gefühl. Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus.


    "Ähm.. hab ich irgendwas Falsches gesagt?"


    Sorgenfalten auf meiner Stirn. Dabei hatte ich gehofft, dass man bei dem Geld, was ich der Factio gerade bezahlt hatte, über die eine oder andere Unzulänglichkeit von mir einfach hinwegsah. Oder konnten mittlerweile nur noch Römer mit entsprechendem Stammbaum und edlen Vorfahren Mitglied in einer der großen Factiones werden? Dann würde ich am Ende vielleicht wirklich noch eine eigene Factio gründen, der dann jedermann beitreten konnte!

    Ich kam nicht weit mit meiner Rechnerei, da gab es gleich eine Gegenfrage zu beantworten.


    "Äh.. ja."


    Es gab nur die genannten vier Wertkarten zur Auswahl. Warum? Das wusste ich auch nicht. Es war halt so. Es hatte sich bewährt. Und wahrscheinlich, so spekulierte ich, hielt sich das System auch noch eine ganze Weile. Jahrhunderte. Vielleicht sogar Jahrtausende. Vielleicht konnte man in zweitausend Jahren an der Kasse eines Geschäfts auch nur zwischen Prepaid-Karten fest vorgegebener Größe wählen. Ob dabei allerdings auch die Rabatte für größere Wertkarten erhalten blieben?


    "Okay, gut."


    Ich machte eine Notiz und verbuchte 250 Sesterzen auf die Wertkarte der Annaeer. In der nächsten Monatsabrechnung würde irgendein Caius die 180 Sesterzen altes und 250 Sesterzen neues Guthaben dann auch zu 430 Sesterzen Gesamtguthaben zusammenrechnen. Jetzt gerade war ich dafür aber zu bequem.


    "So, dann sind hier 90 Sesterzen zu..rück."


    Oder war das als Trinkgeld gemeint? Kurz runzelte ich die Stirn. Das wäre bei nur 230 Sesterzen ganz schön viel Trinkgeld, fand ich. Deshalb schob ich diesem Annaeanus einfach ganz naiv, denn so war ich nunmal, seine 90 Sesterzen Rückgeld zu.


    "Sonst noch irgendwas, was ich für dich tun kann?"


    Auch wenn ich nicht die Postannahme war, konnte der Kunde mir ja trotzdem einfach seine Post gleich hierlassen, falls er welche dabeihatte. Sparte er sich einen Weg. Und ich musste später eh noch dort vorbei, um die Postannahme über die Wertkarteneinzahlung zu informieren....

    Ich grinste. Denn das war eine Frage, die ich sogar aus dem Stehgreif beantworten konnte.


    "Gar nicht."


    So hatten sich die Preise des Cursus Publicus entwickelt.


    "Briefe kosten immernoch 10 Sesterzen. Frachtsendungen werden für 50 Sesterzen zugestellt. Ein Brief plus Fracht macht dann natürlich 60 Sesterzen. Und soll das ganze als Einschreiben, also mit Empfangsbestätigung des Empfängers, versandt werden, dann kostet das nochmal 30 Sesterzen extra."


    Das waren die seit vielen Jahren aktuellen Versandpreise.


    "Und bei den Familienwertkarten gibt es vier verschiedene zur Auswahl: Du kannst entweder 25, 50, 100 oder 250 Sesterzen kaufen oder dazukaufen. In der Reihenfolge sind die Preise für diese vier Optionen 25, 50, 95 und 230 Sesterzen. Du kannst also bei den letzten beiden Wertkarten jeweils ein bisschen was sparen, wenn du willst. Einmal fünf und einmal acht Hundertstel."


    Das war der Text, den ich auswendig gelernt hatte und deshalb auch ganz leicht so aufsagen konnte. Dann überlegte ich: Fiel mir irgendeine Variante ein, wie man 320 Sesterzen nur mit diesen vier Beträgen bilden konnte? 250 plus 50 plus 25.. waren 325. 100 plus 100 plus 100 plus 25.. waren auch 325. Das passte also auch nicht. - Wer war überhaupt auf die Idee gekommen, eine Wertkarte zu schaffen, mit der man 2,5 Briefe versenden konnte? Das sollte mal endlich irgendwer ändern! (Aber ich sagte lieber nichts. Sonst würde der Chef mir noch diese Aufgabe aufs Auge drücken.)

    Er wollte nur wissen, ob die Familienwertkarte der Gens Annaea noch bestand.


    "Das lässt sich leicht herausfinden."


    Ich musste nur die Liste mit den Wertkartenguthaben finden. Die musste in meinem geordneten Chaos hier auch irgendwo herumliegen. Und dann würde ich ja sehen, ob da noch eine Wertkarte der Annaeer mit einem Guthaben größer als nichts aufgeführt war.


    "Nichts leichter als das."


    Noch ein letztes Lächeln zu dem Kunden. Dann überlegte ich kurz, wo ich mit dem Suchen am dümmsten anfangen sollte: Vielleicht hier bei dem Wachstafel-Stapel zu meiner rechten? Probieren geht über studieren, sagte ich mir.. fand aber nichts. Dann viellecht in dem Haufen links daneben? Ich suchte. Hm. Da war die Liste auch nicht.


    "Jaja, Ordnung ist das halbe Leben.."


    ..und ich lebte in der anderen Hälfte. Ich legte meinen rechten Zeigefinger auf meine geschlossenen Lippen und überlegte. Wo könnte ich diese blöde Tafel nur hingepackt haben?! Mein Blick schweifte umher.... Und da entdeckte ich sie! Sah so aus, als hätte ich die vorhin mit meinem Füßen vom Tisch abgeräumt. Denn anders konnte ich mir das nicht erklären, dass sie jetzt direkt daneben auf dem Boden lag. Ich bückte mich und hob sie auf.


    "So. Da ist sie ja."


    Fluchs wanderte ich mit meinem Zeigefinger durch die Zeilen der Tabelle:


    "Da ist sie: Die Familienwertkarte der Gens Annaea. Gültig für den Postversand aus Rom und ganz Italia. Mit einem Restguthaben von genau 180 Sesterzen."


    Ich legte die Tafel vor mir auf dem Tisch ab und sah den Annaeanus aufmerksam an. Hatte er noch ein weiteres Anliegen?

    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. Denn ich hatte zwar noch nicht davon gehört, dass man bei den Factiones in Rom etwas bezahlen musste, um ihnen beizutreten (oder war das nur bei der Praesina so wegen ihrem schlechten Abschneiden so?), aber so neureich wie ich war, konnte ich mir diesen kleinen Betrag locker leisten. Ich zückte also meinen klimpernden Geldbeutel.


    "Zehn Münzen, richtig?"


    Und was für welche? Ich hatte nicht richtig zugehört. Aber egal. Ich zuckte mit den Schultern und fingerte einfach nach den goldenen. Die würden schon richtig sein....


    "Hier. Zehn goldene Münzen."


    Sim-Off:

    Überwiesen an Factio Praesina (Konto 1242).


    Still lächelnd schnürte ich meinen Geldbeutel wieder zu und ließ ihn in meiner Kleidung erschwinden.


    "Ja, ich weiß. Deshalb sag ich ja auch, der Praesina gehört die Zukunft."


    So kommentierte ich zuletzt noch den Satz zu den beiden Fahrern. Denn ich hatte das ja nicht nur so im Spaß gemeint, als ich die Praesina als Sieger-Factio von morgen beschrieben hatte. Ich glaube ehrlich, dass mit mir kleinem Fortunatus auch die Praesina bald wieder auf die Beine kam.

    Ein kommender Archimedes? Ich verzog unweigerlich mein Gesicht. Denn wenn ich Archimedes hörte, dann dachte ich als allererstes an einen alten bärtigen Mann. Und soeiner war doch nichts für diese schöne Pennisia! (Aber wo die Liebe eben hinfiel. Oder das Geld. Auch wenn ich von letzterem nach meinem üppigen Erbe bestimmt mehr hatte, als dieser Archimedes.... Aber das war dann Pennisias Pech.)


    "Äh.. nein. Ich glaube, selbst auf einer Biga oder Quadriga zu fahren, das ist nichts für mich. Mir wird schon schlecht, wenn ich nur mit der Kutsche mal etwas schneller unterwegs bin."


    Deshalb benutzte ich auch keine Kutschen mehr, seit ich einmal diese Erfahrung gemacht hatte. Ich sagte mir: Ich hatte es halt einfach nicht gelernt so zu reisen. Wer schon als Kind immer seine zwei Beine benutzt hatte und gelaufen war, der fuhr eben auch als junger Erwachsener selten mal mit der Kutsche oder der Sänfte. So war das halt, wenn man nur der Sohn eines Landstreichers war.


    "Aber umso mehr will ich die unterstützen, die wirklich auch Talent für sowas haben!"


    So versuchte ich von meiner eigenen Schwäche ein bisschen abzulenken.


    "Und dabei will ich die Factio unterstützen, die die beste Zukunft vor sich hat. Und wenn du dich jetzt fragst, warum ich dann hier bin und nicht bei der Russata: Wer ganz oben ist, der kann nur irgendwann abstürzen und sich verschlechtern. Wer aber ganz unten ist, für den kann es eigentlich nur bergauf gehen."


    The story of my life.


    "Darum bin ich hier. Bei den Siegern von morgen, wenn es heißt: Die Letzten sind die Ersten geworden."


    Mein Lächeln wurde etwas schief. Denn in meinem Kopf klang der letzte Satz eben noch schöner als er sich so ausgesprochen jetzt anhörte. Naja. Nicht zu ändern.